Heinrich Hansjakob
Meine Madonna
Heinrich Hansjakob

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3.

Anno 1627 war im Renchtal, dem sonnigsten Tale im nördlichen Schwarzwald, der Neue gut geraten. Um Micheli war schon Herbst, und es gab, wie die Leute von frühen Herbsten zu sagen pflegten, einen »Herrenwein«.

Im Städtchen Oberkirch, dem Hauptort des Tales, saßen die Burger fleißig beim neuen Klevner, und auf den Burgen über dem Städtchen, auf der Schauenburg und auf der Fürsteneck, taten die Ritter das gleiche.

Ueberall sprach man dabei vom Krieg, der im Norden Deutschlands tobte, und vom Wallenstein und vom Tilly, von denen heimkehrende Landsknechte viel zu erzählen wußten.

Auch in der Vorstadt Loh, in der Herberge zur Linde zu Oberkirch, saß an einem Abend in den ersten Tagen des Oktober 1627 eine Anzahl Burger beieinander; sie sprachen dem Klevner zu und diskurierten und disputierten. Das erste Wort führte ein Schreiner, nach seinem Vornamen nur der »Schriner-Mathis« genannt.

Er war vor Jahr und Tag über den Rhein herüber nach Oberkirch gekommen und galt bald als der erste seines Faches. Er machte schön eingelegte Kasten und Truhen für die umliegenden Ritterburgen und Klöster. Namentlich in den Stiften Allerheiligen und Gengenbach war er ob seiner Kunst viel beschäftigt.

Er spürte heute den Neuen bereits am meisten, denn er saß nicht mehr beim ersten Glas. In diesem Stadium schimpfte er gerne über die Obrigkeit. Auch heute war er an diesem Thema.

Als sein Tischnachbar, der Schuster Börsig, dessen Schuhknecht unter Wallenstein gedient, von diesem redete, meinte der Schriner-Mathis: »Wenn er nur bald auch zu uns heraus käm, der Wallensteiner, und die Württemberger aus dem Renchtal jagen tät.Die Bischöfe von Straßburg, die Herren der Herrschaft Oberkirch, hatten diese 1592 an die Herzoge von Württemberg verpfändet, die bis 1634 in deren Besitz waren. Denen ist's nur ums Geld der Untertanen zu tun, und nebenbei führen sie ein streng Regiment. Der jetzige Obervogt ist gar ein harter; der weiß nur von Steuern und Stockstreichen.«

»Also der Wallensteiner soll kommen und uns kaiserlich machen. Bischöflich möcht' ich auch nicht sein; wo die geistlichen Herren in alles hineinregieren, ist's auch nichts. Aber kaiserlich, das ist eine Nummer! Ich hab' in Wien gearbeitet und weiß, was die Bürger von Wien für freie Leute sind. Sie reden mit dem Kaiser per Du und bleiben im Wirtshaus sitzen, so lange es ihnen paßt.«

»Mathis,« so flüsterte ihm der Schuster Börsig bei diesen Worten zu, »sprich nit so laut; dort drüben sitzt unser Schultheiß beim württembergischen Gefälleinzieher. Die zwei hinterbringen alles dem Obervogt.«

»Sitz dort drüben wer will,« rief laut der vom Klevner erhitzte Schreiner: »ich sag meine Meinung und bleib dabei: Kaiserlich, des isch a Wort!«

»Ihr alte Oberkircher seid auch so Duckmäuser und Helden, welche die Faust im Sack machen. Ihr seid Herrenknechte und wedelt vor jedem Herrn, der ins Städtle kommt, sei es nun der Ritter von Schauenburg oder der von Staufenberg drüben oder gar der Bischof Leopold von Strasburg oder der Herzog Johann von Württemberg, euer gnädigster Herr!«

»Mir, dem Schriner-Mathis, können alle Herren g'stohlen werden!« fuhr er zu reden fort und schlug auf den Tisch. »Ich zahl' meine Steuer und meine Schoppen und laß' mir weiter von keinem Teufel was g'fallen!«

»Doch,« so schloß er, »jetzt will ich heim. Ihr Oberkircher schwitzt vor Angst ob meiner Rede, weil ihr meint, die Herren dort drüben sehen euch scheel an, daß ihr beim Schriner-Mathis sitzt.«

Mit diesen Worten stand er auf, bezahlte seinen Wein und schritt hinaus in den dunkeln Abend.

»Der verbrennt sein Maul doch noch,« hub der Glaser Huber an, als der Mathis fort war.

»Was fragt der Mathis darnach, wenn er's auch verbrennt,« gab der Schuster zurück. »Er ist ledig und geht fort von hier, wenn's ihm nicht mehr gefällt. Ein Meister, wie er, findet überall sein Brot.«

Am andern Abend saß der Mathis richtig im »Loch«, und nachdem er zweimal vierundzwanzig Stunden darin zugebracht, erhielt er die Weisung, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden das Gebiet der Herrschaft Oberkirch für ewige Zeiten zu verlassen.

Am Morgen des 7. Oktober 1627 schritt der Schriner-Mathis wohlgemut zum unteren Tor von Oberkirch hinaus und sagte noch dem Torwart, »er möge die Stadtherren und die Bürger alle schön grüßen. Sie sollten gut württembergisch bleiben und 's Maul halten, dann kämen sie nie ins Loch und könnten als zufriedene Knechte leben und sterben.« –

Zwanzig Tage später ward der Mathis von der Reichsstadt Gengenbach als Burger angenommen. Der »berühmte« Klosterorganist Jakob Billmayr, ein Breisacher, war sein Freund, und alle Klosterherren kannten die Kunst des vertriebenen Schreiners. Sie traten beim Rat für ihn ein, und er ward kurzerhand ein Reichsburger.

Es gefiel ihm bald in der heitern, kleinen Kinzigstadt, und anno 1630 heiratete er unter Assistenz seines Freundes Billmayr und eines Schreiners Karpfer eine Schwarzwälderin aus Elzach, Barbara Witt.

Im übrigen setzte er seine spitzigen Reden in den Wirtshäusern längst wieder fort, und nachdem er sich gegen die Oberkircher und ihre Herrschaft ausgeschimpft hatte, stichelte er bald auch gegen den Rat von Gengenbach und kritisierte dessen Verordnungen.

Die Bürger hörten ihm gerne zu; sie hatten als unabhängige Reichsburger mehr Mut als die Oberkircher, denen der württembergische Obervogt stets auf der Haube saß.

Dem Rat blieb das »Gespai« des Schriner-Mathis nicht unbekannt, und als derselbe sich anno 1631 um die von der Stadt in Pacht zu vergebende Wirtschaft »zur Blume« in der Kinzigvorstadt bewarb, ließ man ihn als Bewerber durchfallen. Der Grund ist heute noch im städtischen Protokollbuch zu lesen und heißt: »wegen seines widerspenstigen Wesens und wegen seines bösen Maules.«

Der Mathis, dem die Gengenbacher gierig zuhorchten, wenn er in den Weinkneipen seine losen Sprüche machte, hatte gemeint, als Wirt würde er ob seiner Unterhaltungsgabe stets Gäste haben.

Abgeblitzt beim Rat, stichelte er noch mehr denn vorher. Als nun anno 1633 die Blume wieder pachtfrei wurde und der Schriner-Mathis sich abermals meldete, da sprach der Ratsherr und Weißgerber Bock in der Rats-Sitzung also: »Ihr Herren von Gengenbach, ich meine, wir sollten dem Schriner-Mathis willfahren und ihm ›die Blume‹ zukommen lassen. Er hat viel Einfluß bei allen Zünften und beim gemeinen Mann ob seiner Redseligkeit und ob seines Gespais (Gespötts).«

»Wenn wir ihn nochmals durchfallen lassen, so hechelt er uns in allen Herbergen und Weinstuben noch ärger durch als bisher.«

Sprach's, und Beifall nickten die übrigen Väter der Stadt, und der Schriner-Mathis ward Blumenwirt. Aber, wie die meisten seiner Nachkommen, war er kein Glückskind. Kaum hatte er angefangen zu Wirten, als sich der Schwedenkrieg in die Gegend spielte. Ihm und allen Bürgern verging das Gespai, und anno 35 raffte die Pest viele Menschen hin, mit ihnen wahrscheinlich auch den Schriner-Mathis.

Er hinterließ einen einzigen Sohn, Johannes, mit dem die Mutter in ihre Heimat Elzach sich zurückzog.

Woher der Schriner-Mathis gewesen, das haben die Leute, so um die Backmulde gelebt und erzählt, nie recht gewußt. Die einen sagten, er sei ein Elsässer gewesen, die andern, er sei aus dem Wallis gekommen, noch andere, er habe aus Sachsen gestammt.

Eines nur steht fest, daß er der erste – Hansjakob im Kinzigtal und der Stammvater aller Proletarier dieses Namens im Schwarzwald gewesen und geworden ist.

Ich aber bin so stolz auf den um 1627 aus Oberkirch vertriebenen Schreiner Mathias Hansjakob, wie ein Zwölf-Ahnen-Kind auf seine adeligen Vorfahren. Es freut mich, daß er kein knechtseliger Mann war, sondern ein freies Wort nach oben liebte und dafür litt, und daß er seinen Nachkommen bis zur Stunde und so auch mir etwas von diesen Eigenschaften als Erbteil hinterlassen hat.

Wie dieselben sich vererbt haben und wie sie ein durchgehender Zug seines Geschlechtes geworden sind, das werden wir noch öfters aus der Backmulde herauslesen. –

Im Jahre 1667 taucht sein Sohn Johannes als ein »ehrbarer und züchtiger Jüngling und Schwarzfärber« in Hasle auf, um die Brigitta Graf, Witwe des Schwarzfärbers Georg Walter in der Vorstadt, zu heiraten.

Die Brigitta ist aus dem benachbarten Dorfe Steinach und hat bereits drei Kinder. Sie nimmt den Johannes in ihre »völlige Haushaltung, in ihr liegend und fahrende Hab und Schuld dergestalten auf, daß er ihr besten Fleißes helfe haushalten, schalten, walten, gewinnen und werben und die jetzigen und durch Gottes Segen zu verhoffenden Kinder in einer Kindschaft zu aller Gottesfurcht, Zucht und Ehrbarkeit aufziehen.«

Er bringt – ein vorbildliches Wahrzeichen für die Armut der meisten seiner Nachkommen – in die Ehe blutwenig mit, nämlich einen neuen Farbkessel und 20 Gulden, welch letztere ihm seine verwitwete Mutter zuschießt.

Stirbt die Hochzeiterin vor ihm, so hat er bleibende Statt im Hause zehn Jahre lang. Dann aber kann er mit seinem Farbkessel und seinen zwanzig Gulden wieder abziehen, da der »Vortel« aufs Haus den Kindern seines Vorgängers gehört.

Lebt die Brigitte aber so lange, bis sie ein neues Häuslein neben das alte gebaut, so wird das neue dem Johannes von Gengenbach und seinen eventuellen Kindern zu teil.

Doch der ehrbare und züchtige Jüngling und Schwarzfärber war ebensowenig ein Glückskind wie sein Vater. Die Brigitte starb nach wenig Jahren, und der Johannes holte eine zweite Frau, Katharine Erath. Diese stirbt ihm auch und hinterläßt ihm ein Kind gleichen Namens wie die Mutter.

Indes sind die zehn Jahre, die er noch Herberg hat nach dem Tode des ersten Weibes, um; der Stiefsohn Franz Walter ist selbst Schwarzfärber und Meister geworden und kündigt dem Stiefvater Johannes die Wohnung auf. Da dieser nicht Folge leistet, wohl weil er keine andere Herberge hat, nimmt ihn der Stiefsohn vor Rat und Gericht und läßt ihm den Ausweis amtlich diktieren.

Er zieht nun aus mit seinem Kind, aber für seinen Farbkessel findet er keine Stätte. Noch 1679 verklagt ihn der Nachfolger des früh verstorbenen Franz Walter, Mathis Weiß, ein Schwarzfärber aus Rötz in Niederösterreich, der seines Vorgängers Witwe geheiratet – er solle seinen Kessel aus dem Haus tun.

Im gleichen Jahr gelingt es meinem Ahnherrn, ein drittes Weib zu bekommen und mit ihm ein eigenes Haus und Platz für seinen Farbkessel. Er geht im Mai 1679 »einen ehrlichen Heurat« ein mit Anna Maria Billmann, der Tochter eines alten Schmieds, der dem Färber seine Hütte für 210 Gulden überläßt.

Um etwas an dieser Schuld bezahlen zu können, verkauft der Johannes alsbald »einen Tauen« Matten an den Rappenwirt Rupp für 34 Gulden und eine halbe Ohm Wein.

1681 tritt unser Färber als Kronzeuge auf für ein gefährdetes »Heiltum« von Hasle. Die benachbarten Buren des Dorfes Steinach und ihr Pfarrer behaupten, die Kreuzpartikel in der Kirche zu Hasle gehöre ihnen; sie sei ehedem von Steine weggenommen worden.

Schon hat der Generalvikar von Straßburg ihnen dieselbe zugesprochen und sie schicken sich an, sie in Prozession abzuholen, als der Schwarzfärber Johannes Hansjakob und einige Burger sich erheben und mit der »Schwörhand« bezeugen, die Partikel sei von einem Bruder des verstorbenen Haslacher Erzpriesters Ramstein aus Italien gebracht und ihrer Stadtkirche geschenkt worden.

Jetzt mußten die Steinacher nachgeben.

Der Wettersegen, so mit der Kreuzpartikel gegeben wurde, nützte aber dem Schwarzfärber nicht viel. Er mußte in den neunziger Jahren seinen Krautgarten und abermals eine Matte verkaufen und konnte trotzdem das Heiratsgut seiner Tochter Katharine nicht bezahlen.

Sie hatte in den damaligen Kriegsläuften des orleanischen Kriegs einen Korporal des Prinz Lothringischen Regiments zu Fuß, namens Martin Lohr, geheiratet und war ihm nach Ungarn gefolgt.

Später wurde dieser als Werber ins Reich abkommandiert und schickte deshalb sein Weib zum Vater Färber, bei dem er es von seinen Werbzügen aus besuchte.

1695 nimmt er bei solch einem Besuch den alten Schwarzfärber vor Rat und Gericht und klagt, daß er ihm die versprochenen zwanzig Gulden Heiratsgut noch »völlig schuldig« sei.

Ob der Korporal je zu diesem Gut gekommen ist, möcht' ich bezweifeln. –

Aus der Ehe mit der Billmännin sproßten dem armen Schwarzfärber zwei Söhne: Johannes und Hans Georg. Der erstere wurde ein Färber, der andere, mein näherer Ahnherr, ein Weber; denn Weber, Färber und Stricker bildeten eine Zunft in Hasle. Was die einen woben und strickten, das färbten die andern.

War eine feine Zunft, diese alliierte Bruderschaft der Weber, Färber und Stricker in Hasle an der Kinzig! Die erste Rolle spielten in ihr die Hosen- und Baretlin-Stricker. Sie verdienen es, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Alle diese Stricker hatten in Prag gearbeitet, der hohen Schule ihrer Zunft. Und die Stricker in Hasle nahmen zum Meister nur den an, der das Meisterstück gemacht hatte, wie es in Prag üblich war. Dieses bestand aber darin, daß einer eine Decke, vier Ellen lang und vier Ellen breit, ein Baretlin von Arras, ein Wollhemd und ein Paar Handschuhe fertigen konnte.

Da von der alliierten Zunft die Stricker allein mit ihrer Ware auf die Märkte gingen, galt nur ihnen der Zunftartikel, daß keiner einen größeren Stand habe als der andere und daß keiner Waren auflegen solle, die nicht auf ihre »Ehrlichkeit« geprüft wären.

Was von der Ortsobrigkeit »ausgeschaut« wurde, durfte nicht verkauft werden.

Jeder Geselle der Zunft hatte täglich sechzehn Kreuzer Lohn anzusprechen. Davon mußte er quartaliter vier Kreuzer in die Bruderschaftslade geben, aus der jeder fremde Geselle, der keine Arbeit fand, sechs Kreuzer bekam.

Ein fremder Geselle ist zuerst dem Meister zuzuführen, dessen Werkstatt am längsten »leer und öde« gestanden ist.

Bei Strafe von zwei Gulden darf kein Meister deutsche oder welsche Maidle als Strickerinnen anstellen. Nur die eigenen Kinder, Maidle und Buben, darf er zum Handwerk verwenden.

Dieser »Artikul« wurde erst zu Ende des 17. Jahrhunderts aufgenommen. Der Rat wies demgemäß alle fremden Leute aus. Auch der »alte Schwarzfärber« Johannes Hansjakob muß 1699 auf Ratsbeschluß die bei ihm wohnende Hosenstrickerin »bei Strafe des Pfunds abschaffen«.

Wir sehen, die alten Hosenstricker waren keine Freunde der Frauen-Emanzipation; sie ließen sich von den Wibervölkern nicht einmal ins Stricken pfuschen.

Mein Urahne hatte mit den Damen überhaupt kein Glück. Als seine beiden Buben in der Fremde waren und er sich aus Armut keinen Gesellen halten konnte, stellte er wider Handwerksbrauch eine Magd ein, die ihm half beim Färben des Zwilches. Diese Magd fiel beim alten Johannes und bei der Anna Maria in Verdacht, als habe sie ihre arme Herrschaft bestohlen.

Der Färber bricht dem Maidle nicht nur seinen »Trog« auf, um nach dem gestohlenen Gut zu fahnden, sondern er behält ihm auch fünf Gulden »Liedlohn« zurück.

Für diesen Frevel muß der Johannes samt seiner Gattin vor den hohen Rat, dessen Hilfe die unschuldige Magd angerufen hat.

Dies geschah am 15. Oktober anno 1700. Nach »Red und Gegenred« stellt sich die Unschuld des Mägdleins heraus, und das Urteil lautet für den Johannes: »Er soll dem Maidle seinen Trog wieder schlüssig machen und den Liedlohn in zwei Terminen bezahlen.«

»Sein Weib aber muß der gekränkten Unschuld die Hand geben und bekennen, daß sie nichts als Ehr, Liebs und Guts von dem Maidle wisse.«

Nach meiner Ansicht vererben sich nicht bloß die angebornen leiblichen und geistigen, sondern auch die erworbenen Eigenschaften der Ahnen auf ihre Nachkommen. Wie obiges Urteil zeigt, war der Färber Johannes, der erste Hansjakob in Hasle, von dessen Armut wir schon oben erzählt, am Ende seiner Laufbahn so dürftig, daß er nicht fünf Gulden auf einmal zahlen konnte; er bekam dazu zwei Fristen. Und seit jener Zeit bis auf diese Stunde weiß ich nicht fünf unter seinen zahlreichen Nachkommen, die das erworben hätten, was man ein Vermögen nennt.

Die Schande, wegen einer Magd vor Gericht gekommen zu sein, entleidete dem alten Färber das ehrliche Handwerk. Sein Sohn Johannes kam bald nach dem angeführten Urteilsspruch aus Lyon, wo er sich in seiner Kunst vervollkommnet, und sofort übergab ihm nach gemachtem Meisterstück der Alte seinen Farbkessel und seine Hütte.

Die Plünderung und Niederbrennung der Stadt durch die Franzosen am 28., 29. und 30. April und am 1., 2. und 3. Mai 1703 erlebte der alte Johannes noch. Aber ihm, wie den meisten Vorstädtlern, war nicht viel zu plündern gewesen. Sie waren deshalb am glimpflichsten weggekommen.

Er ließ sich's drum auch im folgenden Sommer nicht nehmen, der alte, fromme Schwarzfärber, die Wallfahrt nach Triberg, welche die Bürgerschaft während der Plünderung gelobt, mitzumachen. Da jedoch der zwölfstündige Weg sehr beschwerlich war, legte er sich nach dieser Huldigung an die Himmelskönigin zum Sterben nieder. Sein Geschlecht aber ging weiter in seinen Söhnen Johannes und Hansjörg, die den Stamm verzweigten und die Ahnherren zweier Linien wurden. Vom Johannes ging die Färberlinie und vom Hansjörg die Bäckerlinie aus, eine fast so arm wie die andere, aber jede begabt mit der Redseligkeit und dem leichten Herzen des ehemaligen, aus Oberkirch vertriebenen Schreiners und nachmaligen Blumenwirts von Gengenbach.

Ich muß nun erzählen, wie der Weber Johannes Georg Hansjakob wider Willen der Ahnherr einer kleinen Legion von Bäckern geworden ist. Wie das zuging, das mag den allermeisten Menschen gleichgültig sein, und manche werden es mir wieder als »Größenwahn« anrechnen, wenn ich so viel von meiner Sippe erzähle.

Der gütige Leser möge aber nicht vergessen, daß ich meine Bücher zunächst für mich und zu meinem Vergnügen schreibe.

So nötig ich das Geld habe und ein so armer Schlucker ich auch bin, so könnte gleichwohl nie der Geldgewinn mich zum Schreiben bringen.

Es ist in erster Linie das eigene Pläsier, welches ich beim Niederschreiben meiner Gedanken, Erinnerungen und Forschungen empfinde und das mich zum Bücherschreiben treibt.

Andere Leute rauchen zu ihrer Unterhaltung Zigarren oder trinken Bier und spielen – ich dagegen schriftstellere zu dem gleichen Zweck. Wem dann das, was ich schreibe, nicht gefällt oder Langeweile macht, der läßt einfach das Lesen meiner Bücher bleiben. Ich bin ihm deshalb sicher nicht bös.

Ich habe ganz gute, ja beste Freunde, von denen ich weiß, daß sie meine Bücher nicht lesen. Es fällt mir aber nicht ein, sie darob scheel anzusehen. Meine eigene Schwester, die bald vierzig Jahre bei mir ist, hat noch nicht ein Buch von mir gelesen, und ich habe sie auch noch nicht dazu aufgefordert.

Ich erzähle hier besonders gerne von meinem Ur-Urgroßvater, dem Johannes Georg Hansjakob, weil er, obwohl ein armer Mann, in erster Linie seinem Großvater, dem Schriner-Mathis, nachgeschlagen hat und kein Knecht, sondern ein großer Liebhaber der Freiheit gewesen ist.

Es ist eine meiner frühesten Erinnerungen, die erst in meinen alten Tagen wieder in mir auflebte, daß mein Vater mir sagte, wir stammten von einem Weber in der Vorstadt ab. Der sei lange Jahre auf der Wanderschaft in den Niederlanden gewesen und habe aus der Fremde hundert Brabantertaler mitgebracht.

In den Niederlanden hat der Hansjörg wohl seinen Freiheitssinn geholt; denn dort bildeten die Weber die mächtigste Zunft, und dort hatten sie im 14. Jahrhundert der Volksfreiheit die erste Gasse gemacht in Europa.

Ich denke mir, daß des Färbers Hansjörg von Hasle auch in der Stadt Gent gearbeitet hat, wo die Weberzunft eine Großmacht war.

In diese Gilde ließ sich der Schöpfer der Grundrechte des Volks, Jakob van Artevelde, zu Anfang des 14. Jahrhunderts aufnehmen, und er wurde durch die 40.000 Weber der Stadt bald der einflußreichste Mann in ganz Flandern.

Es waren der Weber so viele in Gent, daß, wenn die Gesellen zur Arbeit gingen, jeder andere Verkehr stockte; solch einen Menschenstrom bildeten sie. Sie wurden so übermütig, daß sie sich selbst in die Haare gerieten. Am 2. Mai 1345 lieferten sich Walker und Weber auf dem »Freitagsmarkt« zu Gent eine förmliche Schlacht, in der es fünfhundert Tote gab.

Und daß die Weber es waren, mit deren Hilfe Jakob Artevelde den Kleinbürgern die erste freie Verfassung erkämpfte, ist keine kleine Ehre für diese sonst so verachtete Zunft.

Sicher lebte noch etwas von dem alten Geiste in den Weberzünften, als der Hansjörg in den ersten fünfzehn Jahren des 18. Jahrhunderts in den Niederlanden am Webstuhl saß. Er erzählte wenigstens, als er heimkam, viel von den Brabantern und ihrem Freiheitssinn und bekam deshalb in Hasle bald den Spitznamen – »der Brabanter«.

Sein Bruder Johannes war schon längst Vollbürger, als der Weber heimkam und sich »setzte«, d. i. Meister wurde. Mit seinen Brabantertalern kaufte er, wie schon bemerkt, Hütte und Geschäft des Hans Briemel und heiratete die Tochter eines Schusters Joos. Mit der Hütte übernimmt er aber auch, wie wir bereits gehört, den Namen des abgegangenen Kremplers und heißt im Volksmund nicht nur der Brabanter, sondern auch »der Briemel«.

Dies geschah anno 1717. Zwei Jahre später wird er schwer an seiner Ehre angegriffen.

Der Schreiner Philipp Maurer wirft dem Weber eines Tages vor, er betrüge die hinterlassene Tochter des verstorbenen Briemel und sei »ein Kugler und kein ehrlich Kind«.

Der Hansjörg greift dem Schreiner »gröblich an den Hals« und schleppt ihn vor Rat und Gericht. Der Meister Leim wird verurteilt, von morgens Betzeit bis abends Betzeit eingesperrt zu werden und dem schwer beleidigten Weber abzubitten. Daß der Brabanter sich schwer gekränkt fühlte, weil er, der Enkel des Schriner-Mathis und der eheliche Sohn des Schwarzfärbers Johannes, kein ehrlich Kind sein sollte, versteht sich von selbst.

Aber was soll der Kugler bedeuten?

Um das alte Hasle standen, wie wir gleich des näheren hören werden, uralte Eichenhaine. Im Schatten dieser hatte die Stadt Kegelbahnen angelegt für jung und alt. Das Kegelaufsetzen vergab der Rat alljährlich an arme Buben.

Der Brabanter Weber war nun, was später mein Vater und ich auch gewesen sind, ein leidenschaftlicher Kugler, d. i. Kegelspieler, der bisweilen auch an Werktagen, wenn es ihm in seinem Webkeller zu dumpf wurde und der Freiheitsgeist seiner Niederländer Zunftgenossen in ihn fuhr, dem Kegelspiel huldigte. Auch an Sonntagen konnte er es nicht abwarten, bis in der Kirche die Vesper aus war; er kegelte manchmal schon vorher und wurde vom Rat punktiert, d. i. gestraft.

Mit dem Worte Kugler wollte der Schreiner-Philipp den Brabanter als Tagdieb bezeichnen, und daher der Groll des Webers.

Ein Jahr später stirbt diesem sein junges Weib. Er sucht nach Jahr und Tag ein anderes und findet es 1721 in der Tochter des Mesners und Schulmeisters Georg Schürer, eines ebenso braven als frommen Mannes.

Seine Schule hielt dieser in der Kirche und bekam dafür alle Quartal von der Stadt sechs Gulden und ein Viertel »Mulzer« aus der Stadtmühle.

Daß seine Tochter Franziska dem Weber in der Vorstadt keine Reichtümer bringen konnte, geht schon aus dem Einkommen des Vaters hervor.

Die Brabantertaler hatte der Kauf der Hütte und die Einrichtung der Werkstätte verschlungen, und das Weberhandwerk brachte kein Geld. In Stadt und Land saßen die Weber so zahlreich wie die Schwalben im Sommer. Die Kremplerei war auch nicht viel; denn in der Vorstadt wohnten meist arme Leute.

Oft schimpfte der Hansjörg, daß ihm von der ganzen Kremplerei nicht mehr bleibe als der Name »Briemel«, der seinen ehrlichen Geschlechtsnamen verdrängt habe.

Den »Brabanter« ließ er sich gerne gefallen, aber den Namen Briemel hörte er nicht gern.

Doch selbst der Pfarrer Planer von Plan schrieb einmal ins Taufbuch, da er ein Kind des Webers eintrug, Hansjörg Briemel. Dieser hätte dem Pfarrer darob sicher auch nach dem Hals gegriffen, so er diese amtliche Schmach gewußt.

Gute Tage hatte unser Weber nur, wenn der Holländer-Marti, Hans Parker; in Hasle eintraf.

Die kleinen Eichenwälder, welche damals das alte Städtle umgaben, wurden wie heilige Haine gehütet, nicht bloß die Bäume, sondern auch die Früchte, die Eicheln.

Dem Schweinehirten war strenge verboten, in den »Aeggerich«, wie diese heiligen Haine genannt wurden, zu fahren, und das Lesen und das »Schwingen« von Eicheln zu unerlaubten Zeiten wurde mit Geldstrafe punktiert. Nur wenn der Rat es erlaubte, durfte aus jedem Haus eine Person Eicheln lesen oder schwingen.

Selten ward einem Burger ein Eichbaum zum Bauen genehmigt. Dagegen erschien fast alle Jahre der Holländer-Marti und kaufte der Stadt schöne Eichen ab, das Stück durchschnittlich zu zehn Mark unseres heutigen Geldes.

Er konnte aber, als er 1722 zum ersten Male kam, nicht gut oberdeutsch, und da mußte der Hansjörg, der flämisch zu reden gelernt, ihm den Dolmetscher machen. Er wurde so sein Freund.

Der Holländer hat Geld wie Heu und die Eichen sind billig: drum läßt er was fliegen, bis die Bäume in der Kinzig liegen, um auf Tannenflößen die Reise nach seiner Heimat anzutreten.

In späteren Jahren wird der Bruder des Hansjörg, der Färber Johannes, der längst Waldmeister ist, auch Amtsburgermeister und Minister des Innern. 1730 ist er's geworden, trotzdem er ein armer Mann war wie sein Bruder und der Rat ihn Schulden halber noch vor Jahr und Tag mit Pfänden bedroht hatte.

Jetzt konnte der Hansjörg dem Holländer mit Hilfe seines Bruders leicht Gehör verschaffen, wenn er kam, um wieder Eichen zu holen aus den heiligen Hainen am Kinzigstrom.

Uebrigens war der Weber in der Vorstadt nicht der einzige unter den Handwerkern, der eine fremde Sprache beherrschte. Bei den Schustern, Bäckern und Färbern, die gerne nach dem Welschland zogen, gab es manche, die französisch, unter den Hosenstrickern, die alle in Prag gewesen, solche, die böhmisch, und unter den Rotgerbern einzelne, die in Rußland praktiziert hatten und russisch redeten.

Das war der Segen des Wanderns in die weite Welt. Heutzutage kommt selten mehr einer über Deutschland hinaus, und wenn er heimkommt, redet er höchstens – preußisch. –

Der Briemel, von dessen Freiheitssinn wir in einem besonderen Kapitel reden werden, segnete das Zeitliche, das ihm kein Paradies gewesen, noch nicht fünfzig Jahre alt, anno 1734. Ein Jahr zuvor hatte er noch »sein bisher ruhiglich ingehabtes Stückle Reben im Spizenberg« um 30 Gulden und 15 Kreuzer Trinkgeld für seine Ehefrau einem Nagelschmied verkaufen müssen.

Der Brabanter hinterließ von fünf Kindern nur einen kaum vier Jahre alten Sprößling Tobias, den Stammherrn der Hansjakobischen Bäckerlinie und meinen Urgroßvater. Daß aus ihm später ein Bäcker wurde und kein Weber, trotzdem der Webstuhl des Vaters sich auf ihn vererbt, daran war die Mutter schuld.

Junge Witwen haben allzeit gern wieder geheiratet, und jung, eine angehende Dreißigerin, war die Witwe des Briemel. Darum heiratete sie den Bäcker Philipp Müller. Sie wurde durch diese Tat auch die Ursache, daß ich, ihr Ur-Urenkel, in meiner Knabenzeit der Becke-Philipple genannt wurde.

Ihr Sohn Tobias taufte nämlich einen seiner Buben dem Stiefvater zu Ehren Philipp, und dieser Philipp gab einem seiner Knaben wieder den gleichen Namen. Dieser dritte Philipp aber war mein Bäckervater und ich darum der »Becke-Philipple«. –

Als der Weber in der Vorstadt diese schöne Erde verließ, lebte sein älterer Bruder Johannes, der Färber, noch und hatte bereits zwei Söhne, die Meister in der Schwarzfärberei waren, den Johannes und den Tobias, und von denen der eine schon ein öffentliches Amt bekleidete.

Der Johannes junior ist der Waldmeister, der seinem Vetter, dem Bäcker Tobias, die schöne Buche verschaffte zur Backmulde und mir damit die Madonna.

Er war seit Jahren auch Burgermeister, wie sein Vater es gewesen. Daß auch er nicht mit Glücksgütern gesegnet war, zeigt der Umstand, daß seine einzige Tochter einen Schneider heiratete; noch mehr aber die Tatsache, daß er auch gegen Ende seines Lebens, am 31. Juli 1760, als Burgermeister sich vor dem hohen Rat verklagen lassen mußte. Er war dem Kaufmann und Ratskollegen Battier, einem eingewanderten Savoyarden, 31 Gulden 13 ½ Kreuzer für Krämerwaren schuldig und zahlte nicht. Er wird verurteilt, innerhalb vier Tagen seine Schulden zu tilgen. Die Frist geht um, ohne daß der Battier sein Geld hat.

Noch ärmer war sein Bruder Tobias, aber dafür auch, wie wir sehen werden, freiheitlicher gesinnt. Er wurde der nähere Stammherr der Färber Hansjakob, die heute noch ihr Geschäft treiben, während die Bäckersippe ihr Gewerbe langst aufgegeben hat.

So sind die nächsten Stammherrn der erlauchten Familie Hansjakob in Hasle zwei Männer mit dem Namen Tobias, die gleichzeitig lebten und nur verschieden waren im Alter. Der Färber hieß darum in den amtlichen Akten Tobias Hansjakob alt und der Bäcker Tobias Hansjakob jung.

Im Volke aber wurden sie genannt der Färber-Toweis und der Bäcker-Toweis. Der erstere wurde im gleichen Jahre – 1730 – Meister, da der letztere geboren ward.

Bäcker geworden bei seinem Stiefvater, ging er mit einem Jugendfreund, dem Schuster Josef Heim, in die Fremde, fünf volle Jahre lang. Sie nahmen nur Arbeit, wo beide zugleich solche bekamen, und zogen gemeinsam wieder von dannen. In Besançon arbeiteten sie, wie auch in Wien, und kamen als tüchtige Meister heim.

Dem Toweis war in den langen Jahren seit dem Tode seines Vaters aus dem Verkauf der Weberhütte in der Vorstadt und ihres Mobiliars ein kleines Vermögen angewachsen. Er konnte in der Stadt, unfern vom Rathaus, das Haus des verganteten Bäckers Hils, auf dem ein Backrecht ruhte, um 470 Gulden kaufen. Ohne dieses wäre es ihm nie möglich gewesen, Meister zu werden in Hasle. Die schon zu zahlreichen Bäcker wachten mit Argusaugen darüber, daß kein Unberechtigter ihnen Konkurrenz machte.

Alle Meister der anderen Zünfte hielten es ebenso. Bittschriften über Bittschriften gingen alljährlich von ihnen an den Landesherrn, den Fürsten von Fürstenberg, ab, dem oder jenem zu verbieten, sich unter ihnen ansässig zu machen.

Es mußte auch, um Ueberproduktion zu verhüten, jeder Meister, der einen Lehrbuben ausgebildet, zwei Jahre »Stillstand halten«, d. h. er durfte vor Ablauf dieser Zeit keinen »Jungen« aufnehmen. Nur eine direkte Eingabe an den Fürsten konnte diese Wartezeit abkürzen, was aber bloß dann Erfolg hatte, wenn der Lehrjunge ein Fremder, d. h. kein fürstenbergischer Untertan war.

Ein Jungmeister konnte seine neidischen Zunftgenossen nur versöhnen, wenn er eine Tochter aus der Zunft nahm. Dies tat auch der Sohn des Hansjörg.

Ich besitze sein Porträt aus seinen alten Tagen; diesem nach zu schließen war der Toweis sicher ein bildschöner junger Mann. Das mag nicht wenig dazu beigetragen haben, daß er die neunzehnjährige Tochter des ersten Weißbecken im Städtle zur Frau bekam.

Der alte Weißbeck Josef Lienhard war nicht bloß der erste Bäcker, er war auch ein angesehener, beliebter Mann unter seinen Mitbürgern. Er bekleidete dreißig Jahre lang das Amt eines »Vorsprech«, d. h. er vertrat die Bürger und Hintersaßen in Zivilsachen vor dem Rat.

Alljährlich bestimmte dieser bei der Aemterbesetzung drei Bürger als »Vorsprecher«. Sie wurden auch Fürsprecher genannt und hatten das Recht und die Pflicht, an jedem Amtstag beim Rat vorzusprechen und die Wünsche ihrer Klienten vorzutragen.

Man wählte drei solcher Gratis-Advokaten, damit die Rechtsuchenden und Bittsteller eine Auswahl hätten. Der beliebteste war der Weißbeck Joseph Lienhard. Es geht daraus hervor, daß er ein redegewandter Mann gewesen sein muß.

Eines Tages im Vorsommer des Jahres 1755 sprach der junge »Briemel« beim Vorsprech Lienhard vor und hielt um seine Tochter Maria Magdalene an.

Die jungen Leute hatten sich kennen gelernt in den heiligen Eichenhainen, wo das ledige Volk an Sonntagen zusammenkam.

»Der Lienhard,« so antwortete der Alte, »gibt seine Tochter nicht gern einem Hansjakob. Denn bei denen ist viel Geschrei und wenig Woll'. Dein Vater und sein Bruder, der Schwarzfärber, haben beide es zu nichts gebracht. Und die Söhne des Färbers, der Johannes und der Tobias, haben fast noch weniger als ihr Vater. Alle aber waren und sind allzeit vorndran beim Krakeel, auf den Kegelbahnen und im Wirtshaus.«

»Doch du schlägst deiner Mutter nach und ihrem Vater, dem Schürer-Jörg; der war der brävste und frömmste Mann in Hasle und noch mein Lehrer. Und dein Stiefvater, der Becke-Philipp, gibt dir ein gutes Zeugnis und außerdem noch 200 Gulden. Er hat auch an dir gehandelt wie ein rechter Vater und dein kleines Vermögen vergrößert. Drum sollst du mein Maidle haben. Haus und Handwerkszeug hast du schon. Ich geb' der Magdalene auch 200 Gulden und noch Feld und Matten, daß ihr könnt zwei Kühe halten. Und dann haust und spart und betet, und Gott wird euch segnen.«

Am 6. Juli 1755 hielten sie Hochzeit. Der greise Pfarrer Planer von Plan traute sie, und der alte Lienhard und der junge Schuster Joseph Heim waren die Zeugen.

Beim Hochzeitsfeste, drüben beim Nachbar Sonnenwirt Fideli Fackler, ging's hoch her. Der Sonnenwirt, aus dem Simonswald stammend, hatte die »Simiswälder Schnurranten« kommen lassen, damals die besten im nördlichen Schwarzwald, und es wurde gespielt und getanzt und gesungen bis in die späte Nacht hinein.

Die ganze Bäckerzunft war beisammen, Meister und Gesellen und Jungen, um auf des angehenden »Jungmeisters« Wohl zu trinken. Die Vetter Färber saßen am Ehrenplatz neben dem Hochzeiter. Sie tranken und hielten Reden, während der ernste Lienhard bitter lächelnd zuhörte, wie die zwei Färber ihren Stammeseigenschaften freiesten Lauf ließen. Als der Hochwächter Hansjörg Sundthofer die erste Morgenstunde vom Kirchturm blies und der Nachmitternachtwächter Jakob Meyer die gleiche Stunde anrief, war alles still in der Sonne; denn um Mitternacht mußte die lustigste Hochzeit zu Ende sein bei schwerer Straf für Wirt und Hochzeiter.

Am folgenden Tag tat sich der Toweis als Bäcker auf. Backstube und Backmulde traten in ihren Dienst, den sie über hundert Jahre leisten sollten.


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