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16

Dann reiste Pfarrer Lassen ab, er setzte seine Reise in nördlicher Richtung fort, um den Lästadianismus an Ort und Stelle zu studieren. Er war gewiß aufrichtig froh, seine Kinderheimat, dieses Segelfoß im Nordland wieder verlassen zu können, denn er sah selbst ein, daß er nicht zwischen solche Menschen paßte, wie Lars Manuelsen, Julius Larsen und den Ladenper, und er wollte nie wieder hierher zurückkehren. Leb wohl, Mutter! sagte er. Nein, weine nicht, es geht mir besser in Christiania! sagte er.

Julius bekam keine Bezahlung von seinem Bruder, und er machte kein Hehl daraus, daß besagter Bruder auch zwei Bücher habe mitgehen lassen, die er im Hotel gehabt habe und von denen er sich nicht um ein paar Kronen hätte trennen wollen. Ich will ihn nicht verklagen, sagte Julius, aber ich estimiere ihn nicht, nein, kein bißchen!

Seht, Julius verstand ja so einen Bruder, der so groß geworden war, ganz und gar nicht, und Daverdana war auch nicht viel klüger. So, der Lars hat also nicht nach mir gefragt? sagte sie. Er hat mich also gar nicht genannt? Na, viel Glück auf den Weg! sagte Daverdana. Denn sie war verheiratet und hatte ihr eigenes Heim und nähte Säcke für die Mühle, verdiente also auch selbst Geld; rothaarig und umworben war sie überdies auch.

Dann kam ja ein Tag, wo niemand mehr Säcke für die Mühle nähte. Es konnte nicht länger aufgeschoben, nicht in die Länge gezogen, nicht vermieden werden, o nein!

Fräulein Mariane holte ihren Vater in einem roten, pelzverbrämten Mantel wieder auf dem Weg ein und sagte zu ihm: Ich bin dir nachgegangen, um mich den Leuten zu zeigen.

Was du dir für einen hübschen Hut gekauft hast! sagte der Vater lächelnd.

Gefällt er dir? Aber er ist auch teuer.

Ja, das ist er wohl, aber er ist auch groß und hübsch.

Steht das Mühlwerk heute? fragte sie.

Ja, ganz zufällig, antwortete der Vater. Ich brauchte Bertel von Sagvika und Ole Johan notwendig zu einer anderen Arbeit.

Ich sehe, daß sie drüben am Hügel graben, wird es ein Keller oder ein Brunnen?

Es soll eine Diamantenhöhle werden, antwortete der Vater, und er war geheimnisvoll wie schon so oft. Aber du, liebe Mariane, geh jetzt hübsch nach Hause und kümmre dich nicht um die Höhle.

Weißt du noch, Vater, als Felix und ich noch klein waren, hast du uns gerade hier an dieser Stelle hinübergetragen, denn hier war der Boden immer aufgeweicht, sagte sie.

O ja, und mir ist, als sei es noch gar nicht so viele Jahre her, aber jetzt könnt ihr beide bald mich hinübertragen.

Die Zeit vergeht, sagte Mariane.

Ja, die Zeit vergeht, kleine Weisheit! versetzte der Vater lächelnd.

Der Knecht Martin kommt des Wegs daher; er geht wieder auf die Jagd und kehrt mit Vogelwild auf der Schulter aus dem Wald zurück.

Ich soll diese Vögel bei Ihnen abgeben, Herr Holmengraa, sagt er und grüßt.

Hat Willatz Holmsen es gesagt?

Ja.

Dann dank ihm, wenn du schreibst, sagte Mariane.

Und weil er mit der Herrschaft seit so langer Zeit bekannt ist und sich deshalb etwas erlauben darf, fragt der Knecht Martin jetzt: Wird denn Lars Manuelsen wegen seines Diebstahls nicht eingesteckt?

Mariane gibt keine Antwort, aber Herr Holmengraa erwidert: Was meinst du, daß der Herr Leutnant getan hätte?

Und da muß Martin antworten: Ach, der Herr Leutnant würde den Dieb haben laufen lassen, weil er ihm zu gering gewesen wäre, sich mit ihm zu befassen.

Da siehst du! sagt Herr Holmengraa.  

In tiefen Gedanken versunken wanderte Mariane heimwärts. Ihre List war nicht groß genug gewesen, sie brachte den Vater nicht dazu, ihr sein Herz zu öffnen, obgleich sie es versucht hatte. Und sie hatte ihn auch nicht dazu gebracht, etwas gegen ihren Hut einzuwenden, in nichts verriet er sich. O, es war ja gar kein neuer, teurer Hut, es war ein alter von vor zwei Jahren, den sie sich selbst neu aufgesteckt hatte. Eine List war es gewesen, sie hatte ihren Vater zu einer Mißbilligung veranlassen wollen, aber nein! Ach, sie selbst hatte an anderes zu denken als an Hüte.

Als sie heimkam, saß der Lensmann von Ura da und fragte nach ihrem Vater.

Was gibt's denn? fragte Mariane.

Nichts, Fräulein Mariane, durchaus nichts. Ich hab nur ein paar Worte mit ihm reden wollen, da ich in der Nähe vorbeikam.

In den folgenden Tagen kamen merkwürdige Leute nach Segelfoß, Herren aus der Stadt, die keine Geschäftsreisende waren. Sie stiegen im Hotel ab und ließen Herrn Holmengraa hinkommen, um mit ihm zu reden. Rechtsanwalt Rasch saß auch dabei in seiner ganzen Breite, desgleichen der Lensmann von Ura, aber dieser schien es sehr eilig zu haben, wieder fort zu kommen. Die Herren verhandelten hinter geschlossenen Türen.

Das Mühlwerk stand fortgesetzt still, und Herr Holmengraa gab als Grund hierfür an, daß er seine beiden Vorarbeiter zu anderer, genau auszuführender Arbeit brauche. Da standen nun Bertel von Sagvika und Ole Johan und gruben eine geheimnisvolle Höhle, feuerfest und merkwürdig gesichert gegen Einbruch und Einsturz. Die Höhle wurde inwendig dick ausgemauert. Was meinst du, was er hieraufheben will? fragt Ole Johan, der sehr neugierig ist. Denn es heißt, er habe nichts mehr zum Aufheben.

Wer sagt das?

Ich habe es gehört. Im Laden haben sie es gesagt.

Bertel von Sagvika ist immer auf Seite seines Brotherrn, das ist er von jeher gewesen, diese seltene Schwäche ist ihm angeboren, und er antwortet: Er hat wohl noch ein klein bißchen mehr aufzubewahren, als die im Laden wissen.

Sie sagen, es seien einige große Herren vom Süden heraufgekommen, die alles, auch das kleinste aufschreiben, was der Holmengraa besitzt, äußerte Ole Johan.

Ja, deine Mutter hat einen bekommen, der aufschrieb, antwortete Bertel mit seiner gewöhnlichen Schlagfertigkeit.

Ja, im Laden ahnten sie es wohl, Theodor hatte eine feine Nase, eine richtige Spürnase, und er meinte, nun keinen Grund mehr zu haben, das Haus Holmengraa vor einem Verdacht zu schützen. Fräulein Mariane war so hartherzig und schändlich gegen ihn gewesen, vielleicht würde sie sich nun herablassen, ihn auf der Oberfläche der Erde zu sehen.

Vielleicht. Aber so ganz sicher sollte Theodor im Laden doch nicht sein; Mariane war jeden Tag, wie sie immer gewesen war, und sie trug einen roten Mantel und einen großen Hut. Und das neue, was dazu gekommen war? Das schien gar keine Überraschung zu sein, vielleicht hatte sie ihres Vaters Lage geahnt, sie war listig und gewandt, sie konnte hinter Briefe und Telegramme gekommen sein. Und warum hatte sie im Sommer ihre Verbindung mit Willatz Holmsen beschleunigt, wenn nicht, um dem Krach und der Katastrophe zuvorzukommen?

Aber eins schien Fräulein Mariane in Verwirrung zu setzen. Dem Telegraphenamtsvorsteher Baardsen, der eben in diesen Tagen seines Amtes entsetzt worden war und deshalb jetzt noch besser Zeit hatte, sich auf den Wegen umherzutreiben, diesem Baardsen begegneten sie und ihr Vater sehr oft unterwegs, und jedesmal grüßte Baardsen den Mühlenbesitzer wie einen König. Wie mochte das zusammenhängen? Wenn irgend jemand die Lage ihres Vaters kannte und seine Telegramme an und von Felix in Mexiko durchschaute, so war es doch wohl Baardsen. Aber er grüßte den Mühlenbesitzer tief und ehrerbietig wie früher. War denn der Vater nicht zugrunde gerichtet? dachte Mariane. Oder fand Baardsen ihn der Achtung und Ehre wert auch nach seinem Fall?

Sie wendete sich wieder an ihren alten Freund, den Lensmann von Ura, und sagte: Warum haben Sie mir gesagt, es sei nichts, wenn es doch so viel war?   Damals wußte ich es noch nicht, entgegnete der Lensmann. Ich hatte ein Telegramm bekommen, verstand es aber nicht.

Nun hatte sie also vollen Bescheid.

Jawohl, ganz und gar zugrunde gerichtet, er war am Ende angekommen; der Spieler hatte seinen letzten Heller gesetzt und verloren. Dies war also der Herr Holmengraa, der nach Segelfoß gekommen und zum Schicksal für sich und andere geworden war. Er war eine Gestalt aus dem Unbekannten, aus der Tiefe, er war König, er machte das Leben zu dem Rätsel, das es ist.

Er jammerte nicht, er tat den Mund nicht auf. Früher, wenn er einen Verlust erlitten oder wenn ihn ein Schlag getroffen hatte, konnte er sich betrinken wie ein Matrose und jammern; jetzt benahm er sich größer, er grub einen merkwürdigen Keller, den er mit etwas füllen konnte, ja er lächelte und war freundlich, als könnte er sich jetzt hinlegen und vier Tage hintereinander schlafen und dann reich und in guten Umständen wieder erwachen. Der merkwürdige Mann! Aber Rechtsanwalt Rasch bemerkte mit Erstaunen, daß der Mühlenbesitzer bei dem ersten Zusammentreffen mit den fremden Herren aus der Stadt seinen geheimnisvollen Ring, den Freimaurerring, heimlich vom Finger zog und ihn in seine Tasche steckte. Warum das? Der eine von den fremden Herren hatte auch den Freimaurerring am Finger, und er zog ihn nicht ab. Wollte der Mühlenbesitzer jetzt, wo er gefallen war, seinen hohen Rang nicht zur Schau tragen? Oder war er vielleicht gar nicht Freimaurer? Rechtsanwalt Rasch stiegen Zweifel auf.

Ja, Rechtsanwalt Rasch stiegen auch Zweifel auf betreffs eines gewissen Telegramms von Puerto Rico, von einem gewissen Felix, wegen eines gewissen Schiffsverkaufs um eine ungeheure Summe. War das auch Erfindung gewesen? Im tiefsten Grund konnte man von einem Manne dieser Abstammung und mit diesem Mangel an Bildung nichts Besseres erwarten, dachte wohl Rechtsanwalt Rasch.

Aber das Ganze! Herrn Holmengraas Schicksal? Und woher kam sein Fall? Er wußte es, er allein. Sein Reichtum war vielleicht niemals besonders groß gewesen, aber er kehrte heim und glänzte mit dem, was er hatte. Das war das Schlimme, das war das Gute. Und er glänzte gehörig, übermäßig, so daß er auf seine Grundstücke Anleihen aufnehmen mußte, selbst auf die Mühle und allmählich auf das Lagerhaus, den Landungsplatz, das Wohnhaus, ja, er nahm eine Anleihe um die andere auf, verpfändete alles, preßte alles aus, bis zu den Maschinen, bis zu den Gerätschaften. Er war schon seit vielen Jahren bankerott gewesen, hatte aber den Ruin aufgehalten; das war gut gemacht, unendlich überlegen gemacht, genial! Natürlich hätte er seine Tätigkeit bei Zeit einstellen können, aber dann wären die Gläubiger sofort über ihn hergefallen; er hätte vielleicht einen großen Rest von seinem Vermögen retten können, aber das wäre kein Märchen gewesen. Die tägliche Aufsicht über eine Mühle und deren Arbeiter   gewiß war sie lächerlich. Er liebte die Regelmäßigkeit durchaus nicht, Arbeit war ihm keine Befriedigung; wenn er nicht glänzen konnte, war er machtlos. Er glänzte.

Und dann konnte dieser Mann sich in Segelfoß niederlassen, an diesem Ort sinnlos seine Jahre vergeuden, immerfort, bis das Alter eintrat. Warum nicht! Der Mensch ist sein eigenes Schicksal und das anderer. Der Mann von den Kordilleren hatte wohl herausgefunden, daß er dazu die Mittel hatte, aber nicht zu mehr, er zügelte seine Einfälle und flog dicht über der Erde hin. Im übrigen war Segelfoß kein geringer Ort, als er da anfing: die Herrschaft auf dem Gute lebte damals, Leute, gegen die sich reich erweisen ein wahres Fest war; Herr Holmengraa bereute keinen einzigen Handel mit ihnen, kein einziges Geschenk, das er ihnen gemacht hatte. Der Leutnant und seine Frau waren Aristokraten und Edelleute gewesen. Als sie starben, war eigentlich alles vorbei für Herrn Holmengraa, da war er fertig; es ist kein Märchen, eine Allee von Gewöhnlichkeit entlang zu glänzen, das kann Rechtsanwalt Rasch in einer rotkarierten Weste! Aber Herr Holmengraa hatte nun einmal diese Mühle, die Mehl mahlte, er mußte weiter mahlen, die Mühle wurde sein Herr, er mahlte sich ins Verderben, mahlte bis er alt wurde, bis sein Rücken sich beugte und seine Augen wässerig wurden. Das war Schicksal. Und überdies mußte er noch darum kämpfen, seine Stellung als Mühlenbesitzer aufrecht zu erhalten, er mußte Kniffe und Pfiffe anwenden, geheimnisvolle Fingerringe, geheimnisvolle Telegramme, alles miteinander, damit die Mühle nicht zum Stillstand kam und seine Sklaverei aufhörte. Was unternahm er sonst? Nichts. Seine Seitensprünge in der Allee, seine plötzlichen Ausschweifungen   daß er sich betrank und hinter den Mädchen her war, waren ein Ausschlag seiner natürlichen Hilfsquellen, der Matrose war Mensch. Es war nicht sein Geschäft, sein Geschäft war, Mehl zu mahlen.

Und wie unaussprechlich fein konnte das Gehirn dieses Mannes arbeiten, in Andeutungen, beinahe spurlos. Weideland für zweitausend Weideschafe   das hörte sich so grob und allmächtig an, aber es war ein haarfeiner Plan. Herr Holmengraa wollte dieses Bergland kaufen, weil es nicht zu bekommen war! Das hing mit der kleinen Mariane und mit Willatz Holmsen zusammen, mit einer Verbindung, die beschleunigt werden sollte. Späterhin, nach dem Krach, würde Willatz Holmsen erfahren, daß zwei große Spekulationen im Stillen Ozean vorläufig fehlgeschlagen waren.

Das Mühlwerk stand still, aber die Tage gingen hin. Bertel von Sagvika und Ole Johan gruben und mauerten die Höhle aus. Es mußte an die Zeitungen telegraphiert worden sein, jedermann sprach laut von der Sache, die Außenwelt wußte alles. Fräulein Mariane hatte mit der letzten Post einen neuen glühenden Brief von Anton Coldevin erhalten, heute nun bekam sie ein Telegramm von ihm, daß die letzte Disposition mit dem »Goldfisch« fehlgeschlagen sei und er seinen ehrerbietigen Antrag nicht länger aufrecht zu erhalten wage! Der praktische Mann zog sich zurück, und dagegen war nichts einzuwenden. Mariane hatte etwas wie ein Lächeln in ihren Indianeraugen, als sie es las. Dagegen lächelte sie nicht über einen Brief von Theodor im Laden; dieser Brief war etwas übermütig, aber naiv und ohne Bosheit: Hochgeehrtes Fräulein! Wenn ich in Ihre Wohnung kommen darf und eine Konferance mit Ihnen haben aus Veranlassung der Angelegenheiten Ihres Vaters, stehe ich ehrerbietigst zu Diensten. Ihrer angenehmen Antwort entgegensehend, zeichne ich Ehrerbietigst Theodor Jensen.   Lieber Theodor, Sie können das Unvermeidliche nicht verhindern, schrieb sie als Antwort, aber ich danke Ihnen für Ihre liebenswürdigen Zeilen! Ihre Mariane Holmengraa.

Dann kam die Segelfosser Zeitung heraus. Sie brachte einen Leitartikel über Herrn Holmengraas Untergang, bestimmt und sicher geschrieben mit Aufklärungen »aus bester Quelle«.   Wir haben es schon lange kommen sehen, aber wir haben nichts verraten wollen, schrieb das Blatt. Endlich hat die Nemesis ein Geschäft niedergeschlagen, dessen Untergrund hohl war und das deshalb nur mit beständig steigenden Mehlpreisen aufrecht erhalten werden konnte! Der Artikel war sehr lang, ein Meisterwerk von Ausbildung und Stil, jedermann wußte, daß es in Segelfoß nur einen Mann gab, der so mit den Worten umgehen konnte. Mit Grauen denken wir an die brotlosen Arbeiter jetzt mitten im Winter, schrieb dieser Mann, und wir können uns der Hoffnung nicht erwehren, daß die Mühle in Gang erhalten werde, wenn auch vorläufig mit Verlust. Wir haben in Erfahrung gebracht, daß man sich von einer Seite, der das Wohl der Stadt Segelfoß am Herzen liegt, an die wirklichen Besitzer der Mühle gewendet hat mit dem Verlangen um Aufrechterhaltung des Mühlenbetriebs, und wenn die neuen Herren diese Notwendigkeit nicht einsehen wollen, so werden sie sicher dazu gebracht werden können. Die Arbeiter sind zahlreich und ihr Verlangen ist gerecht.

Ein anderer Artikel im Blatt war wohl vom Redakteur und Setzer Kopperud selbst verfaßt, der war ohne besondere Bildung, aber gut und gangbar für Segelfoß und Umgebung war er auch. Was ist für eine Absicht dabei? schrieb er. Nach dem Verfahren, das der Mühlenbesitzer Holmengraa bei seinem Jubiläum eingeführt hatte, haben sich die Arbeiter nun seit verschiedenen Jahren auf ein neues Jubiläum hin abgeschunden, soll dieses jetzt ausbleiben? Beim letztenmal gab der Mühlenbesitzer fünftausend Kronen, und jetzt, da es wieder auf ein Jubiläum zugeht, gibt er sein Geschäft auf. Dies sieht aus wie Überlegung, und wer wieder geprellt wird, das sind die Arbeiter. Merkt euch das, ihr Lohnsklaven!

Jawohl, die Lohnsklaven merkten sich das und noch mehr dazu, sie hatten jetzt freie Hand, freie Sprache, Freiheit. Alle konnten den König angreifen, die Segelfosser Zeitung beklagte ihn mit keinem Wort, die Arbeiter verdammten ihn mit sieben. Warum er denn ursprünglich hergekommen sei? Angeblich wegen seiner schwachen Gesundheit, um Tannenluft zu genießen. Als ob es in Mexiko keinen Nadelwald gäbe! Als ob auf der ganzen Welt gerade nur in Segelfoß Tannenwald zu finden wäre! Was er hier denn gewollt habe?   Solange er die starke, begehrliche Eßlust des Proletariers zufriedenstellen konnte, war alles gut, er sollte den Leuten Mehl geben, am liebsten Weizenmehl für einen billigen Preis, am liebsten umsonst; die Unzufriedenheit begann, als er sich bezahlt machte, als er Arbeit für den Lohn wollte. Daß er mit seiner Abenteuerlichkeit, seiner Maßlosigkeit den Ort korrumpiert hatte, das wurde ihm nicht zur Last gelegt, der Rachen der Leute war immer aufgesperrt nach mehr, mehr. Der König hatte bar Geld eingeführt, das Geld bekam immer weniger Wert, die Münzen klirrten in aller Taschen, der König reichte sie mit freigebiger Hand dar   der herrliche König! Aber die Begriffe verwirrten sich, ein anderer Geist zog in die Häuser ein, der König führte den Überfluß ein, den zu ertragen der gemeine Mann weder Verstand noch Charakter hat.

Jetzt hörte das auf. Was sollte das bedeuten? Bedeutete es, daß man jetzt keine Konserven, keine Uhrenketten und keine Zigarren mehr kaufen konnte? Jetzt wurde es immer unmöglicher, Arbeiter zu sein, die Kapitalisten vergeudeten ihr Kapital und machten die Arbeiter brotlos; »wir denken mit Grauen an den Winter!« Viele konnten sich bitterlich beklagen; sie hatten sich Pferde angeschafft zum Lastfahren für die Mühle, jetzt waren ihnen die Pferde unnütz. Was sollten sie tun? An Ernst und Arbeit waren sie nicht mehr gewöhnt, sie schauderten davor zurück, wieder frisch anzugreifen, deshalb fingen sie an, herumzulungern, sie versammelten sich vor Theodors Ladentisch und besprachen eifrig Rechtsanwalt Raschs Wahlaussichten sowie die Frage der Landessprache, die in Norwegen eben von so großer Wichtigkeit war.

Ob ihnen nicht Theodor die Pferde abkaufen wolle? Doch, gegen Waren. Theodor kaufte und verkaufte alles, die Pferde gingen auf ihn über, mit den Dampfschiffen schickte er das eine hierhin, das andere dorthin. Theodor war der Mann, der jetzt eintreten und der Helfer aller werden mußte; die Leute hungerten nicht durch den Laden, man ißt lange an einem Pferd. Und gegen Neujahr kam der Lofotfischfang, und im Sommer würde man sich schon zu helfen wissen. Aber pfui über Herrn Holmengraa!

So solltest du nicht reden! sagte Theodor plötzlich.

Na, na!

Nein. Denn Herr Holmengraa ist doch der, der Segelfoß zur Stadt gemacht hat, und das hast weder du noch der Rechtsanwalt getan!   Seht, der Ladentheodor hat in den allerletzten Tagen umgeschwenkt und war zum Feind übergegangen. Er sagte, er habe einen Brief von Fräulein Holmengraa bekommen, und danach sehe er das ganze in einem andern Lichte. Ach, dieser Brief, diese zwei Zeilen: Lieber Theodor, Ihre Mariane Holmengraa; das war alles, was der Bursche Theodor brauchte, um umzuschwenken. Sie bekommen würde er nicht, dazu war sie zu vornehm, aber er war nicht mehr schmählich abgewiesen, es war ihm Genugtuung geschehen; sie schrieb an ihn. Er las den Brief hundertmal, zog sich mit ihm zurück und küßte ihn, ließ das Grammophon vor ihm spielen, hielt Abschiedsreden und vergoß Tränen. Das war der Jüngling Theodor, schlimmer war er nicht, so gut war er. Natürlich prahlte er mit dem Brief, es wäre ja einfältig gewesen, wenn er es nicht getan hätte, ja, Theodor gab zu verstehen, daß er und kein anderer die volle Kenntnis von Herrn Holmengraas Fall habe. Das sind Geheimnisse, die du nicht kennst, sagte er zu Lars Manuelsen.

Ich will sie auch gar nicht kennen.

Sein Keller ist nun gleich fertig, und es haben viele Kostbarkeiten und Schätze darin Platz.

Dann soll er nur nicht vergessen, daß er Daverdana für alle die Kränkungen auch etwas schuldig ist, sagte Lars Manuelsen, um die Interessen der Familie wahrzunehmen.

War wohl etwas an dem Gerede, daß Herr Holmengraa Schätze vergraben wollte? Den Leuten stiegen Zweifel darüber auf; wer wußte denn alles von dem König! Er selbst war noch da, sprach nicht und beklagte sich nicht; die Mühle stand still, aber der Keller wurde immer feuerfester und sicherer, und nun war er fertig.

Was nun?

Der Lensmann von Ura kam fast täglich in Herrn Holmengraas Haus und hielt sich da als Freund auf; vielleicht war er auch als der Vertrauensmann der anderen Partei da und beaufsichtigte die Konkursmasse. Seine Anwesenheit war eine große Wohltat; Fräulein Mariane und er scherzten wieder ganz absonderlich miteinander mitten in der schweren Zeit. Der alte Lensmann war schuldenfrei, seiner Kasse und auch den Menschen gegenüber, und im übrigen war er der Vertrauensmann aller, jetzt hatte er ein Telegramm von Willatz Holmsen bekommen.

Ich habe heute ein Telegramm erhalten, Willatz Holmsen kommt wieder nach Hause, sagte der Lensmann wie beiläufig.

Wer kommt? fragte Mariane. Aber sie war so überaus gewandt, daß sie ganz ruhig auf ihrem Stuhl sitzen blieb und weiter redete: Hören Sie, Lensmann, wenn es nun so kommt, daß wir arm sind, dann wird mich wohl keiner mehr haben wollen. Oder doch vielleicht dieser Pfarrer Lassen? Oder vielleicht würde mich der Ladentheodor auch noch, haben wollen? Aber wenn dieser nicht, dann vielleicht Lassen; was meinen Sie?

Jetzt kommt er, entgegnete der Lensmann. Jung-Willatz ist unterwegs.

So. Ja, im Wald werden die gefällten Baumstämme fortgeschafft. Haben Sie wirklich ein Telegramm von Willatz bekommen?

Ja, und ich habe ihm geantwortet, daß an dem Holz fleißig gearbeitet wird, sagte der Lensmann lächelnd.

Darf ich das Telegramm sehen?

Und siehe, Willatz Holmsen hatte tatsächlich von sich hören lassen! Es war ein Eiltelegramm, es hatte einen roten Zettel: Eilt! Was eilte denn? Mariane aufzuhalten, falls sie abreisen wolle, sie zu bitten, gleich südwärts zu kommen und ihn zu nehmen, wie er ging und stand, obgleich die Oper noch nicht ganz fertig war Lieber Freund Marianens, sondieren Sie das Terrain, ob ich Hoffnung habe, aber ohne dies vorzuzeigen! Ein langes, erregtes Telegramm, heftig und sinnlos, verliebt. Er tauchte jetzt gerade nicht aus Ritterlichkeit und Rechtschaffenheit wieder auf,   ja, das hätte er ihr auch zu bieten wagen sollen!   sondern aus Furcht, sie könne verschwinden, um nie wieder sichtbar für ihn zu werden. Ich reise gerade jetzt nordwärts, nicht wegen einer Annäherung, sondern weil meine zwei Zimmer hier rein gemacht werden sollen, bis ich zurückkomme. Antwort nach Drontheim.

Was soll ich ihm antworten? fragte der Lensmann.

Sie sollten ein solches Telegramm gar nicht vorzeigen, erwiderte sie, dunkelrot geworden. Ja, Sie lachen, aber ich werde es ihm sagen.

Treffen Sie ihn denn? fragte er in höchstem Ernst.

Sie aber war wie der Wind vor dem Spiegel und strich sich das Haar mit beiden Händen glatt, um gut auszusehen.   Ob ich ihn treffe? Lassen Sie es mich noch einmal sehen, steht nicht drin, daß er in Drontheim mit mir Zusammentreffen wolle?

Ich darf ein solches Telegramm nicht vorweisen, sagte der Lensmann.

Sie fragen, was Sie antworten sollen, ich werde selbst antworten, sagte Mariane.

Der Lensmann schüttelte den Kopf. Sie wissen ja nicht, wie viele Baumstämme schon fortgeschafft worden sind.

Wissen Sie, wo mein guter Freund Papa ist? Ich möchte gern   möchte nur  

Sie drehte sich unter der Tür um und fragte den Lensmann noch einmal, ob er dieses Telegramm wirklich erhalten habe.

Nein, ich habe es gekauft, versetzte er, und dann lachten alle beide.

Übrigens   wenn Fräulein Mariane noch so verwirrt und froh war, und wenn sie auch sofort stehenden Fußes hätte abreisen wollen, so kam das Postschiff doch erst in zwei Tagen. Sie schickte in dieser Zeit mehrere Telegramme ab und nahm auch welche in Empfang, und sie packte Kleider und sonstige Sachen in Koffer. Der Vater half ihr dabei; er war schweigsam und glücklich, wohl aus Befriedigung darüber, daß die Diamantenhöhle bald fertig war und dem Gebrauch übergeben werden konnte.

Dann kam ein großes Schiff dahergefahren; Herr Holmengraa flaggte, das Schiff legte an seinem Landungsplatz an und wollte zu ihm. Jetzt wußten die Leute weder aus noch ein: war dies ein neues Kornschiff und war der König nicht gefallen? Herr Holmengraa nickte nur und sagte, er habe dieses Schiff schon seit einiger Zeit erwartet, und jetzt sei es gekommen. Dann war dies wohl irgendein Wunder, das geschah. Ein Schiff konnte einem bankerotten Manne kein Korn ausladen, und ebensowenig konnte es einen feuerfesten Keller einladen und wieder fortfahren.

Herr und Fräulein Holmengraa gingen an Bord des Schiffes und blieben lange dort. Solange die Gäste an Bord waren, wurde auf dem Schiff festlich geflaggt, und als sie wieder an Land gingen, kam der Kapitän auch mit. Er war ein großer Mann mit gelber Hautfarbe, wohl aus fremden Landen, er führte Fräulein Mariane am Arm und redete in einer fremden Sprache mit ihr, dazwischen aber sagte er ab und zu ein Wort in gebrochenem Segelfosser Dialekt, über das alle lachten. Mariane und Herr Holmengraa nannten ihn Felix.

Da war nun also Jung-Felix nach Segelfoß zurückgekehrt zu einem heimlichen Besuch von nur ein paar Stunden, inkognito. Da war er nun. Über alles verwunderte er sich, in eine Stadt kehrte er heim, aber er hatte die Menschen vergessen und erinnerte sich nur noch an die Namen. Julius? fragte er. Gottfred? fragte er. Willatz, Pauline, Per im Laden? Wem gehört der große neue Laden? Dem Theodor? Kann mich nicht an ihn erinnern.

Jetzt fing auch Herr Holmengraa an, Koffer und Kisten mit allerlei Kleidern vollzupacken, die Bertel von Sagvika und Ole Johan dann an Bord schafften. Fräulein Mariane wollte mit ihrem Bräutigam in Drontheim zusammentreffen, und ihr Vater begleitete sie.

Ich glaube, er wird schon wiederkommen, sagte Ole Johan.

Er wird wohl wiederkommen. Es ist nicht gesagt worden, was er mit dem Keller anfangen will, versetzte Bertel.

Es heißt, er werde nicht wiederkommen.

Wer sagt das?

Der Rechtsanwalt soll es gesagt haben.

Die beiden bringen Koffer und Kisten herbei; so oft sie an Bord kamen, stellte Ole Johan die verschiedensten Fragen, bekam aber von der Mannschaft nur einen Schwall von Unverständlichkeiten zur Antwort. Der Kapitän selbst war an Land bei Herrn Holmengraa, oder er wanderte in der Gegend umher und schaute sich um. Die Leute begegneten ihm da und dort; er sprach mit ihnen, lachte und konnte einige Segelfosser Worte sagen, aber sonst war es das reine Kauderwelsch. Das mußte »Urnorwegisch« sein. Der Redakteur Kopperud wurde gefragt, und der sagte, ja, dies müsse Urnorwegisch sein.

Seit Pfarrer Lassen in Segelfoß gewesen war, hatte das »Urnorwegische« einen stolzen Aufschwung genommen, es war gewichtig, wenn dieser gelehrte und berühmte Geistliche für das Urnorwegische eintrat, ja, sogar Gottes Wort in Urnorwegisch verkündete. Alle die Arbeiter von Herrn Holmengraa, die jetzt müßig gingen, waren urnorwegisch sprechende Menschen geworden, sie setzten einander mit ihren Fortschritten in Erstaunen, und nun kam ein großer Kapitän aus der Fremde und vom Ausland und redete »urnorwegisch«! Der Kapitän ging auch in den Laden, schaute sich darin um, kaufte dies und jenes und redete dabei unablässig Kauderwelsch, man konnte sich unmöglich täuschen; allen gefiel, was er sagte, ja, das war Muttersprache, eine Herzensmahnung an die ferne norwegische Vorzeit. Die Müßiggänger nickten dem Kapitän viele Male kräftig zu und fingen an, es ihm nachzutun. Er lehrte sie in kurzer Zeit sehr viel. Nur schade, daß er wieder abreiste!

Am nächsten Tag in aller Frühe gingen Herr Holmengraa und Fräulein Mariane und der fremde Kapitän an Bord. Es wurde bald ruchbar, und die brotlosen Arbeiter dachten wohl bei sich: Will er durchgehen! Wir wollen doch sehen! Auf dem Landungsplatz wimmelte es von Menschen, Frau Irgens hatte ihre Herrschaft bis zum Schiff begleitet, weinend stand sie da, obgleich sie einen ganzen Pack Geld bekommen hatte und für sie schön gesorgt worden war. Dann weinte sie wohl, weil sie eine gute Herrschaft verlor. Der Lagermeister und sein Gehilfe waren in ihrem Sonntagsstaat erschienen und hielten sich ehrerbietig im Hintergrund; Bertel von Sagvika und Ole Johan begrüßten den Mühlenbesitzer wie gewöhnlich, und Bertel fragte: Wie ist es, sollen wir auf den Keller aufpassen, während Sie fort sind?

Herr Holmengraa überlegte eine Sekunde lang, dann erwiderte er: Ja, der Keller? Nein, da das Schiff gekommen ist, brauche ich den Keller nicht mehr.

Er übergab Bertel einen dicken Briefumschlag, und desgleichen gab er auch Ole Johan einen ähnlichen Umschlag und sagte, sie sollten es nicht öffnen, bis er abgereist sei. Dann dankte er ihnen für ihre treuen Dienste.

Kommen Sie nicht wieder? fragte Ole Johan.

Wenn meine Tochter nun Herrin auf dem Gute ist, komme ich wohl wieder, sie zu besuchen, antwortete Herr Holmengraa.

Diese Antwort verbreitete sich rasch am Landungsplatz; nein, Herr Holmengraa ging nicht durch, seine Tochter blieb hier zurück, und er selbst kam auch wieder! Da hörten die brotlosen Arbeiter auf zu johlen, und sie hörten auf, durch die Finger zu pfeifen, Schlimmeres hatten sie nicht getan, ja, sie halfen das Schiff losmachen, sie betrachteten ihren früheren Herrn mit Wehmut. Dort an Bord stand er; ein strenger, kampflustiger Arbeitgeber war er nie gewesen   glückliche Reise! Schlimmer waren sie nicht. Er soll nur nicht tausend Kronen zum Verteilen unter sie an Land schicken, es würde augenblicklich zu wenig sein, sie würden murren, daß er nicht zweitausend geschickt hätte, denn ihr Schweiß allein wäre es ja gewesen, der das Geld aufgebracht hätte. Sie haben die Natur des Proletariats, ihre ewige Unzufriedenheit ist nicht die des Tieres, ihr Rachen steht immer offen nach mehr, mehr.

Theodor im Laden hörte Herrn Holmengraas Antwort auch, und da ging ihm ein Stich durchs Herz. Herrin auf dem Gute, jawohl, keine Neuigkeit, keine Überraschung! Es nützte nicht, wenn man eine Firma hatte und der Größte in seiner Branche war, das Schicksal war größer. Da stand sie, und Leben Sie wohl, das wünsche ich Ihnen! Da lief plötzlich Ole Johan, der sich eine Weile entfernt hatte, wie ein scheues Pferd in die Menge hinein. Der neugierige Mann hatte sich natürlich nicht enthalten können, abseits zu gehen, um den Briefumschlag zu öffnen; jetzt stapfte er auf Bertel von Sagvika zu und sagte: Es ist nicht ein geschriebenes Zeugnis, wie du meinst, sondern bar Geld. Mach deinen Umschlag auch auf und sieh nach!

Wenn er fort ist, antwortete Bertel.

Baardsen kam langsam daher, dünngekleidet und frierend und von einem Stich, der ihn in die Brust getroffen hatte, sehr mitgenommen. Der merkwürdige Baardsen, der unmögliche Baardsen, abgesetzt als Vorsteher des Telegraphenamts, aber Telegraphist unter dem kleinen Gottfred, ebenso stattlich und sich in den Schultern wiegend wie früher, ohne Reue, ohne Bitterkeit. Er begrüßte die Herrschaften auf Deck; sein Hut wird in der ganzen Armlänge herabgesenkt, niemand konnte mit einem alten Hut so grüßen wie Baardsen. Und die Herrschaften erwiderten seinen Gruß ebenso tief, Herr Holmengraa dankt dem Telegraphenbeamten für alle Arbeit, die er für ihn getan hat; Baardsen senkt wieder tief den Hut und zieht sich zurück.

Jetzt rief Herr Holmengraa Theodor herbei. Er ermunterte den jungen Kaufmann, auch ferner recht fleißig zu sein, und grüß Vater und Mutter daheim! Mariane nickt ihm zu. In demselben Augenblick gleitet das Schiff vom Landungsplatz weg, und im selben Augenblick wird Theodor von Rührung überwältigt: das mächtige Schiff, das den Zwischenraum zwischen sich und dem Land immer mehr vergrößert, das letzte Nicken von Mariane; das war fürs Leben, es war unerklärlich, es nahm ihm den Atem.

Euer Vater ist tot, sagt eine Stimme neben ihm; Julius hat es gesagt.

Theodor kehrt aus einer anderen Welt zurück: Was sagst du?

Euer Vater. Eben ist er gestorben. Ich komme geradeswegs aus dem Laden.

Ist mein Vater tot?

Ja.

Mit einem Schlag ist Theodor wieder in seiner eigenen Welt, er sieht das Schiff nicht mehr, fühlt keine unerklärliche Rührung mehr, er eilt heim und sucht seine Mutter auf.

Ja, dein Vater ist tot, sagt sie schluchzend. Er war heute morgen so elend, daß er kein Wort mehr sagen konnte. Ist dir schlecht, Per? habe ich ihn gefragt, aber er gab keine Antwort. Und jetzt ist er tot.

Ja, ja, sagt Theodor.

Eigentlich war er eben jetzt auf den so plötzlichen Todesfall nicht vorbereitet; aber dieser kam ja nicht zu früh, endlich hatte Gott seinem Vater diesen Gefallen getan. Mehrere rasche Gedanken flogen Theodor durch den Kopf, der Sarg, das Begräbnis, ein Kreuz aufs Grab. Er ging in den Laden und wählte einen Trauerflor für seinen Hut aus. Sollte er nicht auch einen Trauerflor um den Arm tragen? Und um welchen Arm? Wer konnte ihm das sagen? Vielleicht um beide Arme? Der Redakteur Kopperud wußte gewiß, was richtig war, aber Theodor war nicht gut Freund mit ihm, im Gegenteil. Der Photograph wußte es vielleicht? Er schickte den Laufjungen hin, um zu fragen; nein, der Photograph wisse es nicht. Theodor war in solchen Dingen sehr genau und wollte keinen Fehler machen. Baardsen wußte es natürlich. Und sollte er sich nicht auch schwarzgerändertes Briefpapier anschaffen, wie das in anderen Städten Sitte war?

Er suchte Baardsen persönlich auf, und als er zurückkam, flaggte er Halbmast. Sollte ich nicht auch am Ende auf dem Theater flaggen? dachte er, und dann gab er Befehl, auch auf dem Theater Halbmast zu flaggen. Jetzt war das Nächstliegende getan. Theodor war auch im Kummer, im Familienkummer sehr tüchtig; alles wurde von ihm besorgt, er zeigte den Todesfall beim Küster, beim Pfarrer und beim Lensmann an, bestellte das Grab und trieb den Bäcker an, Kuchen zu backen. Was machte ihn denn so frisch und feurig? Er hielt es geziemend versteckt, aber eigentlich gewann er durch den Tod des Vaters sehr viel, hier war ein Fall, wo er seinen Preis bekommen hatte, ohne Waren dafür liefern zu müssen.

Langsam waren die Zuschauer vom Landungsplatz und dem Lagerhaus zurückgewichen, das große Schiff mit dem König Tobias und seiner Tochter war in der grauen Linie weit draußen verschwunden, jetzt strömten die Leute in den Laden und erfuhren da ein neues Ereignis. Ach so, ist er jetzt dahingegangen? Ja, ja, der liebe Gott hat ihn lange gemartert, ehe er ihn zu sich nahm!

Lars Manuelsen beklagte, daß Per im Laden nicht gestorben war, so lange Lassen in Segelfoß weilte; aber das tat er nur um Pers selbst willen, denn dann hätte dieser doch eine ordentliche Leichenrede bekommen können.


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