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2

Es war dasselbe Gebäude, in dem der alte Per seinen kleinen Kramladen begonnen hatte, aber ein zum doppelten Umfang ausgebauter und erweiterter Laden. Das hatte Theodor getan.

Droben über der Zimmerdecke lag der alte Per im Laden und starb nie. Es war ein Wunder, wie lang es bei ihm dauerte, obgleich er auf der gelähmten Seite sehr zusammengeschrumpft war und statt der guten Glieder, die er gehabt hatte, nur noch eine welke Frauenhand und einen vertrockneten Frauenfuß besaß. Sterben? Selbstverständlich. Aber nicht zur Zeit, nicht vor der Zeit! Schon aus der Entfernung sahen die Leute, wie wenig Lust er täglich zum Sterben hatte. Da lag er in seinem Bett und stieß mit dem Stock auf den Boden, wenn er etwas wollte; er stieß ihn häufig auf und stieß ihn dröhnend auf und mischte sich in alles, was sich zutrug. Er hatte auch immer die Weste an, damit er jedenfalls mit dem Oberkörper nicht ganz bettlägerig aussah. Aber siech war er und jammervoll lahm, bärtig, und die Haarbüschel im Nacken waren ganz weiß. Im Sommer konnte er an warmen Tagen ins Freie getragen werden, und da war es ihm ein großes Vergnügen, den Verkehr von und zu seinem Laden zu beobachten.

Aber im Winter während der kurzen Tage las er nicht in den Zeitungsblättern oder Postillen, dazu war das Lampenöl viel, viel zu teuer, sondern er lag im Dunkeln und lauschte auf den wohl eine Meile entfernten Gesang der Schwäne, und das war ein unheimlicher Gesang, vor dem ihm schauderte. Es war, als brauste der Sturm gegen eiserne Platten, als bewegten sich Kirchtürenflügel und als knarrten große Tore in ihren Angeln. Hu! Und warum zum Teufel schrien diese wilden Vögel nur so? Es tat ihnen doch niemand etwas!

Aber im Sommer in den hellen Nächten, da war Per noch ein ganzer Mann, da lag er da und schmiedete Pläne und machte Geschäfte. Ach, es waren nur Kinderpossen, nur Gefasel! Er ging davon aus, daß der Handel und das Geschäft jetzt noch genau so betrieben würden, wie zu seiner eigenen Zeit, nur daß alles in etwas größeren Mengen umgesetzt wurde. Er glaubte immer noch an einen Artikel, die Wasserbrezeln, die die Küstenfahrer von Bergen in leeren Fässern und Särgen mitbringen sollten. Er glaubte an Drahtstifte, an viele Kisten mit drei und vier Zoll langen Drahtstiften, an Pfefferminzplätzchen für die Schulkinder, an Kragen und Hemdenbrüste aus Papier   was taten die Leute jetzt damit? Per im Laden war vom alten Schlag, ein blödsinnig sparsamer, ein über alle Maßen vorsichtiger, halsstarriger Krämer, jawohl! Aber wenn er da auf seinem Bette lag und mit ausgeschossenen Waren Handel trieb, dann, weiß Gott, verstand er seine Sache und tat geradezu, als haue er einen Käufer übers Ohr. Wen er übers Ohr haute? Entweder sich selbst oder andere, aber irgend jemand. Er war dazu geboren, zu feilschen und zu handeln, und sein unausrottbares Talent dazu führte ihn weiter und weiter; die leichte Doppelzüngigkeit im Handel hatte er längst hinter sich gelassen, über die bubenschlaue Mogelei war er hinausgewachsen, jetzt war er vielleicht schon ganz auf der Kehrseite angekommen: er spielte »Betrügerles«, er war ein lauernder, grotesker Kerl.

Jetzt eben stieß er mit dem Stock auf den Boden. Nach längerer Zeit kommt seine Frau herbei; er verlangt nach Theodor, und als seine Frau eine Weile bei ihm stehen bleibt und sich nicht beeilt, wiederholt ihr Mann seine Worte sehr kurz angebunden. Er spricht mit seiner Frau nur, wenn er dazu gezwungen ist, und er sieht sie auch nicht an, nein, sie kommt ihm wie eine dumme Kuh vor.

Es kommt darauf an, ob Theodor Zeit hat, sagt sie.

Theodor soll heraufkommen! schreit Per.

Aber Theodor kam oder kam nicht, je nachdem er Zeit und Lust hatte. Wenn der Vater zu lange warten mußte, schickte er aufs neue nach ihm, und sein Befehl klang dann noch barscher: Seht, der alte Stiernacken hatte immer noch eine gewisse Macht, abgesehen davon, daß das ganze Geschäft noch auf seinen Namen lautete und P. Jensen hieß. Theodor hatte noch nicht gewagt, seinem Vater in seinem ganzen Staat vor die Augen zu kommen, seine Fingerringe pflegte er heimlich in die Westentasche gleiten zu lassen. Das tat er auch jetzt.

Er bleibt vor dem Bette stehen, und aus altgewohnter Achtung läßt er sich nicht auf einen Stuhl nieder.

Hättest du nicht gleich kommen können, als ich geklopft habe? sagt der Vater.

Ich bin im Keller gewesen, antwortet der Sohn.

Das glaub ich nicht. Haben wir Zündhölzer?

Zündhölzer? O ja  

Sie steigen wohl nicht im Preis?

Die Zündhölzer? Nein.

Wir müssen noch ein Tausend Gros kaufen, und dann steigen sie, sagt der Alte.

Tausend Gros? Das ist eine ganze Schiffslast. Und wo sollen wir sie unterbringen?

Im Bootshaus. Im Bootshaus soll keine Tanzerei mehr gehalten werden, denn es ist Sünde. Ich habe einen bösen Traum deswegen gehabt. Nun soll die Fleischeslust im Bootshaus Zündhölzer bekommen.

Aus altgewohnter Achtung lacht Theodor nicht, und er schlägt sich auch nicht aufs Knie; aber der Vater will also die Fleischeslust unterkriegen, will den Teufel unterkriegen mit Zündhölzern! Er meint auch gar nicht, daß etwas dabei zu verlieren wäre, er will die Fabrik auskaufen und dann Besitzer aller Zündhölzer im ganzen Nordland werden. Kinderpossen   der Vater ist kindisch geworden. Tausend Gros Zündhölzer können gar nicht verladen werden, sie nehmen fürchterlich viel Platz ein und wiegen nichts. Und was würden tausend Gros Zündhölzer einbringen? Nichts. Ja, wenn es Spazierstöcke oder Blusenstoffe gewesen wären!

Tausend Gros, so habe ich's bestimmt. Und haben wir Salz? fragt der Alte weiter, und er denkt, durch ein schweres Gewicht im Kielraum das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Salz? Wir haben, was wir im Sommer brauchen.

Ist das Salzfaß voll?

Ganz voll will ich nicht sagen. Aber das Salz schwindet in der Hitze.

Du Gelbschnabel   willst du deinen Vater belehren? Hundert Tonnen Salz, hörst du! Geh und schreib es auf!

Es war das reine Gefasel. Theodor ging hinunter und schrieb es nicht auf. Er begriff wohl, wie sehr dem Vater daran gelegen war, der Fleischeslust zum Tort Zündhölzer zu kaufen, wenn er sogar einen großen Salzschwund an dem Geschäft erleiden wollte; aber der Vater war unzurechnungsfähig. An dem Bootshaus durfte auch nichts geändert werden, das war der Tanzsaal der Jugend, er bezahlte sich außerordentlich gut, bezahlte sich unsinnig. Allerdings war dem Laden jetzt das Weinverkaufsrecht entzogen worden; aber trotzdem kam gar mancher Mann zum kleinen Theodor, und es wurde ihm mit einer Flasche zum Samstagsball ausgeholfen. Und wenn Theodor selbst, was selten geschah, in seiner ganzen Pracht und mit Schleifen auf den Schuhen in das Bootshaus kam, dann stellte er einen Herrn, einen großen Herrn, einen reichen Mann vor, und für jedes Mädchen, das da war, alles Hohe und Herrliche der Welt. Übrigens liebte der junge Theodor eine Prinzessin, und die Mädchen waren Luft für ihn. Gott hatte wohl dieses schwere Leid in seinen Kielraum gelegt, damit er vor lauter Torheit und Windigkeit nicht davonfliegen sollte. Aber es war ein Kreuz.

Theodor steckt seine Ringe wieder an und tritt in seinen Laden, sein Reich. Die Leute, die am Ladentisch stehen und ihm den Weg versperren, weichen zur Seite vor ihm; er hebt die Klappe auf, gleitet durch die Öffnung und macht die Klappe wieder hinter sich zu. Jetzt ist er der Kommandant. Der junge Mann hat zwei Ladenbedienstete unter sich, die Schubladen und die Fächer an den Wänden sind voll, die Decke mit Waren vollgehängt, der Fußboden mit Waren besetzt, es ist ein Laden mit allem, was Menschen nur begehren können: Seidenzeug, Elfen, Kaffeekuchen. Theodor kündigte in der Segelfosser Zeitung nur zum Staat an, es war ganz unnötig, er hatte keine Konkurrenten, aber er betrieb das Geschäft modern.

Der alte Per hatte eigentlich keine Ahnung davon, was sich tatsächlich da drunten unter seinen Füßen zutrug. Zündhölzer hatte er gesagt, Salz hatte er gesagt. Meinte er, es sei noch wie zu seiner eigenen Herrscherzeit, wo die Ausbeute des Tages in einen Lederbeutel gestopft und in der Nacht unter das Kopfkissen gesteckt werden konnte? Jetzt wurde die Einnahme in große Protokolle eingetragen und im Kontor in einem feuerfesten Schrank verwahrt, und das Kontor war für Theodor, der da auf einem hohen Drehstuhl saß und an alle Welt schrieb, ganz allein da.

Und früher, im Anfang, als er noch klein war, unterschrieb er, ehrerbietigst Theodor Pedersen, weil sein Vater Per hieß, jetzt aber unterschrieb er Theodor Jensen, weil der Vater Jensen hieß. Seine Mutter war es gewesen, die den Vater umgetauft hatte, sie wollte im Hut gehen und Madame sein. So wuchs alles in die Höhe, das eine mit dem andern und der Handel am allermeisten. Zündhölzer und Salz? Nein, Konservenbüchsen und Makkaroni und Schweizerkäse. Der halsstarrige Krüppel da droben im Oberstock wollte wie in den alten Tagen auch jetzt noch Ziegenkäse haben   der einfältige Mann, Ziegenkäse war ja gar nicht mehr aufzutreiben, weil niemand mehr Ziegen hielt, die Ware war ausgerottet, wie die Papierkragen und Wasserbrezeln ausgerottet waren. Der Alte konnte statt Ziegenkäse etwas bekommen, was Fettkäse hieß, und er konnte auch Meiereikäse dafür haben   jawohl, aber was er sagte, war rein auf den Boden gespuckt. Der Vater war der schlechteste Kunde, den der Laden hatte, weil er so schrecklich altmodisch war. Konnte er nicht wie andere Leute Rochefort in Silberpapier und Camembert in niedlichen Holzschachteln nehmen? Aber das sei alles Betrug. Auf Milch mit Klößen verstand er sich, aber Makkaroni, was war das für ihn? Er hatte den Aufschwung des Ortes und der Menschen nicht mitgemacht, jetzt gab es niemand mehr, der nicht Makkaroni in Wasser gekocht aß, und sie schmeckten wie Kuchen, schmeckten gar herrlich weich, und man hätte wahrlich auch hier einen wogenden Makkaroniwald haben sollen wie im Ausland!

Aber über alle diese Vorteile ragte doch die neue bequeme, leichte Haushaltführung hinaus! Butter! Man rührte jetzt keine Butter mehr, man ging in den Laden und kaufte »Pellerin«. Die Speisekammer und das Rauchloch voll Fleisch und Speck und Fisch? Man hätte sich über den, der jetzt noch Salzfleisch einlegte, totgelacht! Es gab doch wahrhaftig Fleischgerichte in Büchsen, Büchsengerichte genug! Die waren fertig gekocht, sie waren auch schon gekaut, sie waren jederzeit bereit, um in einen Lappen gebunden zu werden als Lutschbeutel für die Menschheit. Ach, wie hatten sich die armen Weiber in ihren Hütten früher mit der Haushaltung plagen müssen! Wozu brauchte der Mund jetzt noch Zähne? Zähne zum Staat hingen ja jetzt an der Schnur aufgereiht im Laden des Zahnmachers, und zu den Büchsengerichten brauchte man nichts als einen Löffel. Die Büchsengerichte waren überdies ungesalzen, sie wirkten gelinde auf die Leute, die schon Magengeschwüre davon bekommen hatten. Nun, war das nicht ein Aufschwung auf der ganzen Linie?

Aber der Schuhmacher Nils und sein Sohn wurden brotlos. Sie, die einst die notwendigsten Menschen in Segelfoß und in der Umgegend gewesen waren, sie, die Lederschuhe nähten, die ein Jahr oder zwei hielten, und die einen Fleck aufsetzen konnten, der ein Schmuck und eine Zier für den Stiefel war, sie wurden brotlos. Jetzt kauften die Leute ihr Schuhzeug im Laden, jawohl. Und es glänzte großartig und hatte spitzige Kappen und war so lecker, daß es einem auf der Zunge hätte zergehen können.

Als der Schuhmacher Nils es einige Jahre ausgehalten hatte und dabei immer dünner geworden war, ja, wie ein Widerschein seiner selbst, ja so leichtfüßig wie ein Konfirmand, wenn er von Haus zu Haus ging und da oder dort eine Tasse Kaffee mit einer Brotscheibe dazu ergatterte   und wenn er dann auf jedem Kehrichthaufen diese Fabrikschuhe und Fabrikstiefel liegen sah, die die Leute in ein paar kurzen Monaten vertragen und weggeworfen hatten   ja, als nun der Schuhmacher Nils dies alles einige Jahre ausgehalten hatte, schickte er kurz entschlossen seinen Sohn nach Amerika, er selbst aber ging auf der Brandstätte umher und hungerte sich von einem Tag zum andern durch. Bisweilen begegnete ihm auch eine freigebige Seele, das muß man zugeben. Er begegnete dem Vorsteher Baardsen vom Telegraphenamt und bekam ab und zu einen Groschen von ihm. Es bestand eine merkwürdige Bekanntschaft zwischen ihnen. Sie hatte damit angefangen, daß Nils eines Tages zum Telegraphenamt gekommen war, auf des Vorstehers Stiefel gedeutet und gebeten hatte, sie besohlen zu dürfen. Nein, erwiderte Baardsen, das kann ich mir nicht leisten. Aber ich habe einen Schnaps und ein, zwei Kronen, sagte er. Und seither bekam der Schuhmacher immer ein bißchen was, wenn Baardsen es entbehren konnte.

Julius war auch verschiedentlich gut gegen Nils, das Hotel Larsen hatte manchen Bissen für den ausgemergelten armen Tropf. Gib dem Nils was zu essen, er hat einen weiten Weg hinter sich, sagte der Wirt Julius zu seiner Mutter, die der Küche vorstand. Gib ihm ein ordentliches Stück Fleisch, Mutter, sagte Julius. Und wenn du von hier aus aufs Gut gehst und zu Pauline kommst, dann sollst du vom Hotel Larsen nicht mit hungrigem Magen kommen, sagte Julius zum Schuhmacher Nils.   Es ist noch nie vorgekommen, daß ich am Hotel Larsen ohne ein großes Traktement vorbeigekommen wäre, sagte dann seinerseits der Schuhmacher Nils, und er sprach durchtrieben und unterwürfig. Der Schlauberger!

Eine andere Küche, wo Nils gut ausgenommen wurde, war die der Frau Rechtsanwalt Rasch. Den Rechtsanwalt selbst sah Schuhmacher Nils nie, nein, der war fett und dick, saß nur auf seinem Kontor und schnappte nach Luft und leitete große Geschäfte; dagegen aber sah Schuhmacher Nils Frau Rasch, die gute Seele, sie, die zu des Herrn Leutnants Zeiten Jungfer Salvesen auf Segelfoß gewesen und dann die vornehme Frau geworden war. Ja, gegen früher war es in Wahrheit ein Emporkommen für alle Menschen! Bei Leutnants hatte Jungfer Salvesen nur im Lohn gestanden, aber merkwürdigerweise, da war sie auch zufrieden und glücklich gewesen. Aber jetzt war sie Frau Rasch, hatte Geld in Hülle und Fülle und war Mutter von zwei Kindern, was fehlte ihr da noch? Aber trotzdem war die Frau Rechtsanwalt elend und nervös und aufgeregt; sie weinte oft und war töricht, obgleich sie sich in Samt und Seide kleiden konnte. Es war ein Zustand! Hatte sie nicht die Kraft gehabt, Mutter von zwei Kindern zu werden? Oder konnte sie am Ende den Lagermeister von Herrn Holmengraas Lagerhaus nicht vergessen, mit dem sie damals, als Rechtsanwalt Rasch sich einstellte und sie bekam, verlobt war?

Wenn der Schuhmacher Nils mit einem Reisigbesen, den er für Frau Rasch verfertigt, in die Küche schlüpfte, oder mit einem Kinderschuh, den er ein bißchen zusammengeflickt hatte, dann setzte sich Frau Rasch zu ihm und bewirtete ihn und sprach von den alten Zeiten und fragte nach seinem Sohn in Amerika. Ja, diese merkwürdige Frau Rasch war es auch gewesen, in deren Kopf der Plan zu dieser Amerikareise gewachsen war; aber Geld hatte sie leider selbst nicht entbehren können, nur ein paar Kronen, zwanzig Kronen, die sie in vielen Monaten durch allerlei kleine Kniffe in der Haushaltung zusammengestohlen hatte. Die törichte Frau weinte auch beinahe, als sie Nils diese zwanzig Kronen für den Sohn gab, diese Groschen für den Sohn, und sie wurde rot im Gesicht, weil es so wenig war. Aber sieh, hier ist noch mehr, hier ist das Geld zur ganzen Überfahrt, und es ist von Jung-Willatz, weißt du, Wilhelm Holmsen, sagte sie.

Und Frau Rasch erzählte weiter, daß sie an Jung-Willatz geschrieben habe, der sehr weit weg sei, in der großen weiten Welt draußen, daß er da musiziere und ein berühmter Mann sei. Nun, an ihn habe sie geschrieben und habe alles bekommen, um was sie gebeten habe, ja mehr als das Geld? habe Jung-Willatz geantwortet, bitte hier! habe er geantwortet. Er mache es genau wie sein Vater seinerzeit, wenn zu dem jemand gekommen sei und ihn um etwas gebeten habe. Ach, die Holmsens auf dem Gute, das war eine Herrschaft! Und der Sohn genau so, auf den Punkt so wie die Eltern. Jetzt zum Sommer komme er nach Hause und wolle wieder längere Zeit in seinem großen Hause wohnen.

Frau Rasch ist merkwürdig bewegt, sie spricht ganz begeistert mit dem Schuhmacher und macht sich nichts daraus, daß ihre Mägde zuhören. Aber dazwischen scheint sie plötzlich wie auf Nadeln zu sitzen; sie ermahnt Nils, das Butterbrot und das Stückchen Kuchen schnell zu essen, damit sie den Tisch abräumen könne, denn es sei unnötig, daß etwas herumliege. Dann geht sie in die Speisekammer, und als sie zurückkommt, fragt sie den Schuhmacher, ob er nicht auch den anderen Kinderschuh mitnehmen und zusammenflicken wolle. Ich habe hier ein großes Paket daraus gemacht, damit es nicht so leicht zu verlieren ist, sagt sie.

Als der Schuhmacher Nils mit dem Paket unter dem Arm wieder vor der Tür steht, wird Frau Rasch ruhiger, und sie fragt nun noch allerlei.

Wie geht es dir eigentlich? Denn du bist bei dieser Kälte nicht recht warm angezogen.

Warm angezogen? erwidert Nils, und jetzt, da er satt ist, scherzt er und lacht mit seinem welken Gesicht. Ich vertrage wirklich nicht mehr Kleider auf mir, als ich anhabe. Und außerdem laufe ich so geschwind, daß ich die Kälte weit hinter mir lasse. Ha, ha, jawohl das tu' ich, sagt der Schuhmacher Nils.

Und Frau Rasch fragt weiter: Hat dir dein Sohn noch gar nichts geschickt?

O doch, antwortet Nils, ei freilich! In der Hauptsache allerdings nur Briefe. Denn so sehr glänzend hat er es wohl auch nicht. Aber ich bin froh, daß es ihm so ausgezeichnet geht.

Hast du gar nichts weiter von ihm bekommen als Briefe? fragt Frau Rasch.

O doch. Eine Photographie.

Sonst nichts?

Nei n. Aber er hat versprochen, mir das nächstemal etwas zu schicken. Er schreibt sehr groß und deutlich, und man kann es gut lesen. Und er unterschreibt sich Nelson.

Wenn das der Herr Leutnant erlebt hätte! sagt Frau Rasch und ballt die Faust. Er hätte deinen Sohn dazu gebracht, so zu schreiben, daß es noch leichter zu lesen wäre!

Darauf erwiderte Nils kein Wort; aber als er sich bedankt und zum Gehen wendet, sagt Frau Rasch, sie werde Jung-Willatz dazu bringen, an diesen Sohn in Amerika, diesen Nelson, zu schreiben. Da antwortet der Schuhmacher, dessen Seele dem amerikanischen Sohn gegenüber, dem es so ausgezeichnet geht, stockblind ist:

Ja, aber   nein, er hat es vielleicht auch nicht so ganz leicht. Aber Gott behüte, auf der Photographie sehe ich ja, daß er sich ordentlich schindet und das hat, was er braucht, Kleider und Uhr usw. Er sagt, er habe im Sinn, einen Besuch in der Heimat zu machen, und was mich betrifft, so werde ich schon durchkommen bis dahin. Ja, und nun bedanke ich mich schön, Frau Rasch.

Komm bald wieder! sagt Frau Rasch.

Als der Schuhmacher gegangen ist, spricht sich Frau Rasch gegen ihre Mägde aus: Sie wolle diesen amerikanischen Herrn, diesen Nelson, Mores lehren! Ist es nicht zum Davonlaufen! Eine Photographie! Davon werde ein magerer Vater schön fett werden! Aber warte, bis Jung-Willatz heimkommt!

Und jetzt erinnert sie sich plötzlich daran, daß sie durchaus nach Segelfoß, dem Herrenhof, muß. Sie will es auch gleich tun, von Tag zu Tag ist es hinausgeschoben worden, aber jetzt will sie keinen Augenblick mehr warten.   Hol mir meinen Mantel, Florina! Und vergeßt nicht, Mädchen, daß eine von euch, während ich fort bin, in den Laden gehen und Kaffee holen muß!

Ach, die gute Frau Rasch, sie hatte Jung-Willatz versprochen, ab und zu in seinem Hause Umschau zu halten, und das wollte sie jetzt tun. Auf dem Herrenhof war Pauline als Wirtschafterin; sie war ein tüchtiges Mädchen und hatte ihrerseits mehrere Mägde unter sich. Und dann war auch der Knecht Martin für die Landwirtschaft da, der den Halblappen Petter und die anderen Knechte kommandierte.

Frau Rasch hatte immer alles sauber und wohlbestellt im Hause gefunden, aber im Herbst und im Frühjahr wollte sie doch wirklich das Silberzeug sehen. Ja, das wollte sie. Es war ihre Pflicht, da sie es versprochen hatte, und dann war es ja Silberzeug, das zu sehen der Mühe wert war! Ach Gott, die Platten, die Schüsseln mit echt vergoldeten Henkeln, die Kuchenschalen, die Auftragbretter, die Kannen, die Messer mit den Widderköpfen am Heft, das Waschgeschirr aus Silber für die Zimmer des gnädigen Herrn und der gnädigen Frau. Und überall nicht ein Raum ohne überwältigende Pracht und Ölgemälde und Marmorfiguren und vergoldete Kronleuchter und Schmuckkästen.

Frau Rasch genießt in vollen Zügen, sie hat sich aus ihrer Hausjungferzeit eine unerschütterliche Ehrfurcht für alles auf dem Gute bewahrt, nichts war so wie hier, sogar bis zum Geländer der beiden Herrschaftstreppen   Ja, ich weiß nicht, aus was es gemacht ist, sagte sie, aber es glänzt wie Gold. Und als sie einmal in einer Zeitung von einem goldenen Speiseservice bei irgendeinem Fürsten las, sagte sie zu ihren Mägden in der Küche: Auf dem Gut hatten wir ein Tafelgeschirr, das niemals gebraucht wurde.   Aus Gold? fragten die Mägde.   Aus Gold will ich nicht sagen, erwiderte Frau Rasch, aber jedenfalls war es aus Silber. Wir gebrauchten es nie, denn es war zu kostbar. Es wurde nie herausgenommen, sondern blieb immer eingepackt. Denkt euch, Teller für vierundzwanzig Personen!   Teller aus Silber? riefen die Mägde. Und Frau Rasch antwortete: Ja, entweder waren sie von Silber oder von Gold, ich weiß es nicht; aber ich meine mich deutlich zu erinnern, daß ich einmal vierundzwanzig Teller gesehen habe!

Na ja, Frau Rasch übertrieb wohl und log und war in guter Laune. Deshalb war sie auch ganz aufgeräumt, als sie nach Segelfoß kam, und als sie Pauline sah, rief sie ihr zu: Hier kommt der Inspektor und will nachsehen!

Und Pauline erwidert: Das ist gerade recht, denn Martin hat jetzt Nachricht erhalten.

Kommt er?

Ja, er kommt bald. Und nun müssen Sie uns sagen, was wir tun sollen.

Das war gar nicht so leicht zu sagen, es mußte gründlich überlegt werden. Jung-Willatz hatte außer dem Herrenhof auch noch die beiden Zimmer im Ziegelwerk, in denen sein Vater gelandet war. Wo würde nun der Sohn wohnen wollen? Beide Wohnungen waren mit allen Möbeln darin ganz unberührt.

Schreibt er nicht, wo er am liebsten wohnen möchte? Nun, Pauline, du mußt hier alles in Ordnung machen! Meinst du, ein Mann wie er könne wo anders wohnen als im Herrenhaus? Richte die Zimmer seines Vaters, des Herrn Leutnants, die ganze Nordseite, weißt du. Komm, wir wollen alles ansehen!

Die beiden zogen miteinander los. In jedem Zimmer schlugen Frau Rasch Erinnerungen entgegen; sie ging umher und gab Befehle wie in den alten Zeiten, zog Pauline mit sich, deutete dahin und dorthin und rückte die Stühle zurecht. Dann gingen sie in die Zimmer der gnädigen Frau; auch hier mußte geputzt und abgestaubt, mußten Kissen geklopft und die Vorhänge gewaschen werden. Darauf machten sie sich an das Silber.   Ah! sagte Frau Rasch und setzte sich auf den nächsten Stuhl, und die beiden Frauen waren ganz hingenommen. Tiefer und tiefer drangen sie in die Silbergrube ein, hoben die Gegenstände heraus, legten sie wieder nieder und saßen mit großen Silberschüsseln im Schoß da. Nun diese kleine Kommode, die aussah wie ein ärmliches Ding, obgleich sie auf vergoldeten Löwenfüßen stand.   Diese tiefen Schubladen hatten die beiden noch nie ordentlich durchgesehen   her mit dem Schlüssel! Jawohl, wieder in Watte gepacktes Silber, aber von alter, seltsamer Form, durchbrochene Sachen, Tafelgeschirr. Pauline hob Schachtel um Schachtel, Paket um Paket heraus, ganz unten stand ein Kasten. Nimm den auch heraus, Pauline! Gib den ganzen Kasten, Pauline!

Der Kasten war sehr schwer, und als er geöffnet war, enthüllte er zwei Dutzend silberne Teller.

Da sprang Frau Rasch von ihrem Sitz auf. Was sie selbst fast für einen Traum gehalten hatte, ja für eine Art Lüge ihrerseits, das war Wirklichkeit! Hab ich es nicht gesagt? rief sie. Ich wußte ja, daß es da war und hatte es mit meinen eigenen Augen gesehen; aber ich war nicht ganz gewiß, ob es der Herr Leutnant nicht am Ende verkauft hatte   ob er es nicht in der letzten Zeit, ehe er starb, zu Geld gemacht hatte. Aber ich hätte es besser wissen sollen, ein Mann wie er! Zwei Dutzend, wenn ich mich nicht täusche, zähl sie, Pauline! Natürlich sind hier silberne Teller für vierundzwanzig Personen. Nun, stehen wir in einem Herrenhaus oder stehen wir nicht in einem Herrenhaus? Ach, du lieber Gott!

Sie war in große Erregung geraten, es reute sie, daß sie nicht ihre beiden Kinder mitgenommen hatte, da hätten sie einmal ein Märchen sehen können. Wer weiß, vielleicht hätte es auf ihr ganzes Leben eingewirkt   vielleicht auf meine lieben Kinder fürs ganze Leben! Aber ich werde es ihnen heute abend beim Schlafengehen erzählen; du weißt, Pauline, was für schöne Augen sie haben, beide gleich schöne und große Augen, Gott segne sie! Ich hätte nur noch mehr Kinder haben sollen! Aber jetzt werde ich wohl bald zu alt, dann bekomme ich keine mehr, und wenn die beiden groß sind, dann ist kein einziges Nesthäkchen mehr im Hause. Daran denke ich mehr als einmal. Pauline, vergiß nur nicht, alles wieder hübsch abzuwischen und in seine Watte zu wickeln, dann lege es wieder in die Schubladen und lasse es schlafen. Schlafen, schlafen, hier liegt ein Reichtum und schläft! Ja, gewiß, kleine Pauline, heute haben wir beide etwas gesehen. Ich will dir einmal sagen, wie eine Tafel mit Silber gedeckt werden muß, wo außer den venetianischen Gläsern jedes kleinste bißchen aus Silber besteht. Und dann gibt es nicht nur Butterbrot oder gekochtes Ziegenfleisch, sondern allein drei Gänge von allen Sorten Fisch, außer fünf bis zehn Gängen mit mehrfachen Fleischarten, und Obst und Käse, und dann zuletzt Kaffee mit Likör aus den Krügen im Keller. Ich werde dir einmal erzählen, wie es ist, wenn die Großen Feste feiern. Da haben wir gestärkte Latzschürzen an und weiße Florhäubchen auf dem Kopf, damit kein Haar ins Essen fällt. Und die Damen haben bis hier ausgeschnittene Kleider und goldene Ketten um den Hals, und alle Herren sind im Frack, wenn auch mitten am Tag gespeist wird. So ist es Sitte. Dann erhebt sich der Herr Leutnant und hält eine Rede an alle   als die kleine Margarete Coldevin getauft wurde, fand die Taufe hier statt, und da hielt der Herr Leutnant auf sie eine Rede, die das Schönste gewesen sein soll, was je eine menschliche Zunge ausgesprochen hat. Aber damals war ich nicht dabei, es war vor meiner Zeit gewesen, Konsul Frederik hat es mir später selbst erzählt. Und Konsul Frederik, Pauline! Er erzählte Geschichten, über die ich mich bis an mein Ende halbtot lache, und er nahm mich bei der Hand, wenn er mit jemand ein bißchen schön tun und bezaubernd sein wollte. Seinesgleichen gab es nicht. Niemand brachte so komische Sachen über die Lippen wie er. Ich warte auf Sie, sagte er zu mir; aber er tat nur so, denn er war schon lange verheiratet. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann weiß Gott, was zwischen uns hätte werden können, denn er konnte uns alle herumschwatzen. Doch hier sitze ich und plaudere, nein, komm jetzt, Kind, und laß uns gehen! Ich vergesse meine Kinder daheim und das Vesperbrot.

Als Frau Rasch unter der Tür stand, um zu gehen, hatte sie doch noch nicht ihren letzten Befehl gegeben; sie ging nochmals ganz in die Küche hinein und sagte zu Pauline:

Ich bin entsetzt, daß wir nicht früher daran gedacht haben. Laß auch die Zimmer im Ziegelwerk in Ordnung bringen. Laß die Vorhänge waschen und die Teppiche klopfen und überall abstauben. Man kann nicht wissen, ob so ein Herr wie er nicht vielleicht an zwei Orten wohnen will.

Dann wanderte Frau Rasch wieder heim zu ihren Lieben. Und sofort durften die Mägde an dem großen Erlebnis im Herrenhause teilnehmen, an diesen Silbersachen, die zu einer reinen Diamantengrube, zu ungezählten Mengen, zum Paradies wurden.

Wir haben auch das Goldgeschirr abgewischt, sagte sie wie beiläufig, vierundzwanzig Teller.   Waren sie von Gold? fragten die Mägde und schlugen die Hände zusammen.   Das hab ich nicht so genau gesehen, antwortete Frau Rasch, vielleicht sind sie aus Silber. Aber sie sind jedenfalls ganz echt, jeder Teller ist gestempelt. Es ist kein so großer Unterschied zwischen Silber oder Gold. Hat man die silbernen Teller, dann hat man auch die goldenen, aber silberne sind sehr oft feiner, besonders zum Gabelfrühstück. Haben die Kinder ihr Vesperbrot bekommen?

Die Magd Florina konnte dafür vom Laden berichten. Dort sei es ganz schwarz von Menschen gewesen, sie habe den Kaffee fast nicht bekommen können; jedermann habe davon gesprochen, was denn geschehen werde, und was denn los sei, weil Kornelius den ganzen Tag auf dem Flaggenhügel stehe und Ausschau halte. Das werdet ihr schon sehen, hätten die Ladendiener geantwortet, und Theodor selbst auch. Mehr hätten sie nicht sagen wollen. Aber aus der ganzen Umgegend seien Leute gekommen, um zu hören, was denn eigentlich los sei.

Das Ganze ist nichts als ein Gefasel, sagte Frau Rasch. Im Laden geben sie einfach vor, es komme jemand, und dann flaggen sie. Ich gebe nichts auf all das Getue, gar nichts.

Aber die Mägde waren von der allgemeinen Erregung angesteckt, und gegen Abend fragten sie Frau Rasch, ob sie nicht auch gleich Erbsen und Gerstengraupen im Laden holen sollten. O ja, das sollten sie nur tun, lautete die Antwort. Und obgleich die eine von den Mägden, die Florina hieß, seit kurzem nicht recht wohl war und an Erbrechen, Weinerlichkeit und Zahnweh litt, wollte sie doch mit und war nicht zurückzuhalten, sie band sich nur ein wollenes Tuch um die Wangen.

Nun, die Mägde machten sich also auf den Weg, und als sie zurückkehrten, stand Kornelius immer noch auf dem Flaggenhügel, er war noch gar nicht wieder heruntergekommen.

Wir bekamen Schokolade von den Ladengehilfen, sagten die Mägde. Und Daverdana ist auch da gewesen und hat Wein bekommen, den ihr Theodor selbst einschenkte. Gerade als ob es eine Hochzeit oder so etwas gäbe.

Da wurde es auch Frau Rasch zu viel; sie war ja auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut, und sie wußte, wenn sie nicht heute noch ein Paket Gelatine und einen halben Meter Fliegennessel kaufte, dann mußte sie es morgen tun, denn übermorgen war Sonntag. Sie machte aber wirklich nicht viel Wesens daraus, sondern wollte barhäuptig in den Laden gehen und auch nur einen Augenblick bleiben, um denen dort zu zeigen, wie wenig Wert sie dem ganzen Einfall beimaß.

Als sie in den Laden trat, wurde sie von allen Leuten gegrüßt, denn sie war Frau Rasch und hatte nur Freunde in der Welt; aber schlimm war es, daß auch der Lagermeister da war, der Lagermeister von Herrn Holmengraa, der eigentlich der erste Bräutigam war, den Frau Rasch hier am Ort gehabt hatte. Jetzt grüßte er allerdings wie gewöhnlich und ließ sich durchaus nichts anmerken, aber Frau Rasch war es äußerst unbehaglich zumut, weil sie barhäuptig war und etwas nachlässig angezogen.

Lassen Sie mich Ihre Gelatine sehen, war alles, was sie in ihrer Verwirrung herausbrachte. Und geben Sie mir auch einen halben Meter Fliegengaze, fügte sie hinzu.

Der junge Theodor kam selbst herbei und bediente sie; als er aber die Tischplatte aufhob und sie bat, hereinzutreten, sagte sie: Nein, ich danke, ich bin sehr in Eile.

Und nun kam der junge Theodor mit zwanzig Paketen Gelatine herbei, als sei jedes von einer anderen Sorte, auch legte er einen ganzen Ballen Fliegengaze vor und wickelte ihn weit auf, damit sie die Ware sehen konnte. Der junge Theodor war überhaupt ausgesucht höflich, und er hatte sehr hübsche Hände, nur trug er zu viele Ringe. Unaufgefordert begann er Frau Rasch zu erzählen, wen er zu Besuch erwarte und für wen er die Flagge wehen lassen wolle. Nachdem er alle anderen mit diesem Geheimnis gemartert hatte, es nun aber ihr offenbarte, konnte sie den jungen Mann immer besser leiden, sie war ja auch nicht mehr als ein Mensch, und Theodor redete gar so verständig und nett mit ihr.

Ja, er möchte ihm eine kleine Ehre erweisen und für sein Schiff flaggen, es sei ein großer Geschäftsreisender, der Repräsentant von Didriksen & Hybrecht und der Sohn von Didriksen selbst. Er habe ein eigenes Dampfschiff und besuche nur die großen Orte. Sie wissen, Frau Rasch, der Repräsentant von Didriksen & Hybrecht. Vor ein paar Tagen hat er telegraphiert, er komme heute, aber er hat sich wohl etwas verspätet. Dann sagte Theodor weiter, die kleinen Großhändler im Süden, die nur einen Mann mit einem Handkoffer schickten, seien ihm allmählich verleidet, das schaffe gar nichts, dabei sei kein Geschäft im großen zu machen.

Bei uns ist ja ein Umsatz im großen Stil, sagte er, und wir wollen jetzt zum Frühjahr und Sommer tüchtig Einkäufe machen.

Alle Leute horchten auf, o mit starren Augen und vorgestrecktem Hals! Hier unterbrach der Hotelwirt Julius, der ein draufgängerischer Mensch war, den jungen Theodor und fragte:

Soll er bei mir wohnen?

Nein, antwortete Theodor kurz.

So, nicht? Soll er bei euch wohnen?

Theodor lächelte und antwortete mehr zu Frau Rasch als zu Julius gewendet:

Ich nehme an, daß er bei sich selbst wohnen wird, in seinem eigenen großen Salon.

Da horchten alle Leute noch überraschter. Ja, war denn der Mann so eine unmenschlich große Persönlichkeit?

Aber Theodor bediente Frau Rasch weiter, redete auf sie ein und spielte sich auf.

Wir assortieren uns jetzt für die Saison, unsere Firma ist ja das einzige große Geschäft in diesem Landesteil. Wir haben im Sinn, eine Ordre von zwanzig- bis dreißigtausend Kronen zu geben. Lauter Manufaktur, feine und moderne Stoffe, echte Straußenfedern, fertige Roben aus Paris und London, alles was Sie sich nur wünschen können, Frau Rasch. Ich hoffe, ich werde die Ehre haben. Sie, wenn die Waren kommen, bei uns zu sehen, Frau Rechtsanwalt.

Bekommen Sie Anzüge für kleine Jungen? fragte Frau Rasch.

Alles, Frau Rechtsanwalt, alles!

Sie nickte wohlwollend, als sie den Laden verließ. Ihr und niemand anders war nun die große Neuigkeit mitgeteilt worden, und sogar in Gegenwart und Hörweite des Lagermeisters. Nein, der Theodor Jensen hatte doch nicht nur Narrenstreiche im Kopf.

Der Laden leert sich allmählich, die Leute haben Bescheid erhalten und eilen nun mit der Neuigkeit auf verschiedenen Wegen davon, sie bringen sie in die Häuser und teilen sie den ihnen zufällig Begegnenden mit. Sieh, hatte man es nicht geahnt, so mächtig also waren die Leute im Laden, dieser junge Theodor im Laden! Ein eigenes Dampfschiff nur mit Mustern wurde zu ihm geschickt. Wo wollte das noch hinaus? Und wenn er dreißigtausend Kronen allein in Straußenfedern und Knabenanzügen und dergleichen anlegen konnte, was mußte er dann im ganzen genommen nicht alles kaufen können!

Einem Mann kam das feine Päckchen, das Frau Rasch gekauft hatte, höchst interessant vor, und er fragte, was darin sei.   Gelatine? Wozu braucht man das? Der Mann war vom äußersten Ende des Kirchspiels, dazu halbbetrunken, sein Pferd stand draußen und fror. Gebt mir auch so ein Paket, sagte er. Als er bezahlen wollte, verwunderte er sich über den niederen Preis und verlangte noch vier Pakete dazu, damit er für eine gute Weile Gelatine habe. Er kaufte auch noch eine Dose Zwieback, und dann schritt er mit seiner Beute hinaus.

Es wurde dunkel, und die Ladendiener zündeten Licht an. Der Ladenjunge Kornelius kam vom Flaggenhügel herunter und erklärte, er könne jetzt keine Kabellänge mehr vor sich sehen, er war blaugefroren vor Kälte. Als ihn jemand zum Lachen brachte, hatte er ein ganz unkenntliches Gesicht, und die Leute wollten sich über ihn totlachen.

Daverdana stand noch im Laden, mit Einkäufen beschäftigt. Sie hat rotes Haar, das unbedeckt ist und prachtvoll aussieht. Als Theodor zu ihr sagt, es sei jetzt Zeit, daß sie zu ihren Kindern heimgehe, lacht sie so herzlich auf, daß ihr die Tränen in die Augen treten. Daverdana ist Lars Manuelsens Tochter und nun schon seit mehreren Jahren mit dem Gehilfen in Herrn Holmengraas Lagerhaus verheiratet, und sie hat nur ein Kind. Was hätte sie dann daheim bei den Kindern sollen? Sie hatte ja nur ein Kind, also hatte sie nicht mehrere Kinder. Und dieses eine war überdies ein kleines Mädchen, das sich bereits allein versorgen konnte. Die junge Mutter ist übrigens recht fleißig, sie gehört auch zu denen, die Säcke für die Mühle nähen, und verdient also selbst Geld; ihr Mann ist ganz vernarrt in sie, alle Leute sind das, denn sie ist so prächtig und sieht schrecklich leidenschaftlich aus. Aber ihr Mann glaubt nichts Schlechtes von ihr und ist gegen allen Klatsch stocktaub.

Was hätte er auch von Daverdana glauben sollen? War sie denn nicht verheiratet und hatte ihren eigenen Mann?


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