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5

Mit munterem Sinn fing die Elster an, Reiser zu ihrem Nest zusammenzutragen. Und Gott hat der Elster diesen munteren Sinn gegeben, damit wir sie ansehen und auch zufrieden sein sollen, so hatte beständig die alte Katrin gesagt, die Mutter der kleinen Pauline und des kleinen Gottfred.

Als es März wurde und die schlimmste Kälte vorüber war, da hauchte die alte Katrin auf die Scheiben und taute das Eis auf und sagte: Gott sei Dank, nun ist doch auch dieser Winter vorbei, die Elster fängt an, Reiser zusammenzutragen!

Übrigens sammelte die Elster nicht bloß Reiser zusammen und damit Punktum, sie sammelte alles, was glänzend und fett und wollig war. Ihre Neugierde und Habgier waren so groß, und es gefielen ihr die merkwürdigsten Dinge. Was wollte sie nun mit Lars Manuelsens Brille? Sie brauchte sie doch nicht, um in der Postille zu lesen, wie Lars Manuelsen, sie brauchte nicht noch besser zu sehen, als sie schon tat. Lars Manuelsen hatte seine Brille auf dem Heimweg vom Hotel verloren, er wußte auch den Platz genau und ging zurück, um sie zu suchen; aber die Brille war verschwunden. Das hat die Elster getan, sagte Lars Manuelsen.

Jetzt aber kam wieder eine Elster, sie kam von Herrn Holmengraas großem Hause hergeflogen und hatte etwas Glänzendes im Schnabel; aber was es nun auch sein mochte, jedenfalls war es weder Reisig noch Stroh. Als sie sich auf den Boden herunterließ, glich sie einem Stück Pappe, das sich im Kreise dreht. Aber die armselige Elster ist eben doch weiß und schwarz und schön, eine geborene Schönheit, und das Schwarze hat einen grünlichen Metallglanz. Selbst wenn sie auf dem Boden sitzt und den Körper hin und her wiegt, ist sie herrlich anzuschauen und schmückt das Gelände weit umher. Die Elster ist sehr klug, sie hat gewiß auch hinten Augen, denn bei der geringsten Gefahr fliegt sie auf; aber wenn sie dann in Sicherheit ist, fängt sie oft an zu lachen, so lustig ist sie. Wenn sie eine Katze oder einen Hund erwischt, reizt sie das Tier furchtbar, und das macht ihr einen Riesenspaß. Sie hält sich nicht zum Vergnügen in der Nähe menschlicher Wohnungen auf, sondern aus Klugheit, um vor ihren Feinden beschützt zu sein. So ist die Elster.

Aber dann sind die Menschen oft selbst ihre Feinde. Kannst du sehen, was sie im Schnabel hat? fragt Lars Manuelsens Frau.

Laß mich mit der Elster zufrieden! antwortet Lars Manuelsen. Sie stiehlt alles, was sie sieht, und sie hat auch meine Brille gestohlen. Aber laß sie nur erst ihr Nest gebaut und Eier darin haben und Junge in den Eiern, dann werde ich ein Wörtchen mit ihr reden!

Du rührst mir das Nest nicht an! sagt seine Frau.

Jedes Frühjahr gab es denselben Streit; Lars Manuelsen wollte das Elsternnest, das alte Elsternnest auf der Birke vor seinem Hause, herunterreißen, und seine Frau widersetzte sich. Bis jetzt hatte die Frau gesiegt. O, sie hatte sehr gute Gründe für ihren Widerstand: Die Elster rächt sich, die Elster hat Helfershelfer über und unter der Erde; die Lappen verwendeten die Elster als Botschafter; die Elster ist durch und durch gut und böse zugleich.

Lars Manuelsen gab nichts auf all dieses törichte Gefasel und Gerede und Getue. Das sagte er auch zur Elster und drohte ihr zugleich mit der Faust. In demselben Augenblick ist auch die Elster schon von der Erde auf und in die Birke geflogen; da sitzt sie einen Augenblick still und schlüpft dann wie ein Geist in ihr Nest hinein. Als sie wieder herauskam, hatte sie nichts Glänzendes mehr im Schnabel, und nun starrte sie zu Lars Manuelsen hinunter und lachte ihn aus. Unbegreiflich   es war, als sei sie voll lustigen Giftes. Jetzt hüpfte sie auf einen anderen Zweig, um Lars noch mehr zu verhöhnen, ja und dann sogar auf einen dritten Zweig; dort machte sie einen schiefen Kopf und schrie zu Lars hinunter. Aber das war unerträglich. Die Elster ging zu weit, wenn Lars Manuelsen nicht seinen Verstand zu Hilfe gerufen hätte, hätte er eine Axt nach ihr geworfen.

Du drohst der Elster nicht, das sag ich dir! warnte seine Frau.

Jetzt will ich dir nur eins sagen, versetzte Lars Manuelsen mit Nachdruck   Lars Manuelsen sagte gar vieles mit Nachdruck, seit er der Vater eines großen Mannes geworden war und eine Perücke trug und durch die Geschäftsreisenden im Hotel Geld verdiente. Außerdem war Lars Manuelsen auch jetzt Freisasse auf seinem Grundstück, dem kleinen Grundstück, das zwei Kühe ernährte, und konnte also seinen großen Sohn beherbergen, wenn er kam, und Gott mochte wissen, ob der Sohn nicht so ein Elsternnest für etwas recht Gewöhnliches auf einem Hof hielt. Deshalb sagt jetzt Lars Manuelsen mit Nachdruck: Wo ist meine Brille? Die Frau wußte es nicht. Frag die Elster, sagt Lars Manuelsen. Und möchtest du außerdem noch etwas wissen? fragt er. Hast du auf einem einzigen ordentlichen Hof viele Elsternnester, Krähennester und Komödienspielerei gesehen? Das habe sie allerdings nicht, versetzte die Frau. Nun, dann laß es dir nur nicht einfallen, mir noch weiter etwas darüber zu sagen! schloß Lars Manuelsen.

Auch andere als die Elster bereiteten sich auf den Frühling vor; zum Beispiel der Rechtsanwalt Rasch. Er ließ alle Schneeflecken auf seinem Grundstück mit Sand bestreuen, um das Tauen zu beschleunigen. Rechtsanwalt Rasch hatte in wenigen Jahren sein Eigentum umgeschaffen und es in einen Garten und Park verwandelt. Früher war es eine elende Wiese mit Futter für zwei Kühe gewesen, jetzt war es keine Futterwiese mehr, überall waren Büsche und Bäume und Gewächse gepflanzt, den Menschen zur Freude und dem Hause und ganz Segelfoß zum Schmuck. Rechtsanwalt Rasch hatte Großes geleistet, seit er Geld in die Hände bekommen hatte. Was sollte er mit Wiesen und Kühen? Eine Milchmagd war außerdem noch ein ganzer Dienstbote mehr. Er konnte seine Milch vom Gut Segelfoß kaufen, wie alle andern Leute auch; all das Gerede von der Hebung der Landwirtschaft in Norwegen war schon recht, aber es lohnte sich nicht. Hier war durch seine Tätigkeit etwas Handgreifliches erstanden, er pflanzte sibirische Erbsenbäume und amerikanische Tannen, er ließ Wacholdergebüsche und Farnkräuter und Weidenbäume aus dem Walde holen und pflanzte sie in seinen Park, wo sie gediehen, insbesondere die sibirischen Erbsen, die schossen ordentlich in die Höhe und wurden zu einem ganzen Wald. So oft der Distriktsarzt Muus auf Besuch kam, wandelte er in des Rechtsanwalts Park umher, betrachtete alles, nickte anerkennend und sagte, es sei großartig. Wenn Sie noch ein paar Jahre so weitermachen, bekommen Sie schließlich noch Nachtigallen in Ihren Hain, sagte er.

Dies sagte nun Doktor Muus wohl mehr zum Scherz, denn wenn er wollte, war er ein gebildeter Herr mit ganz herrlichen Redewendungen; aber Rechtsanwalt Rasch nickte nur, er war der Mann, dem nichts mehr unmöglich war, auch Nachtigallen waren erreichbar. Er hatte die Leute dazu gebracht, ihm allerlei Muscheln und seltene Steine zu bringen, die wollte er als hübsche Einfassung um seine Astern- und Mohnrabatten setzen, genau so, wie es die besseren Leute im Süden hatten. Hopfen und wilder Wein kletterten jedes Jahr auf der Südseite seiner Schweizervilla empor und hatten sich schon fast bis zu den Starenhäuschen hinauf geschwungen; an den Giebeln und dem Dachfirst gähnten naturgetreue Drachenköpfe, die sowohl Zähne als Zunge im Rachen hatten. Ja, selbst der Rasenplatz in der Mitte des Gartens hatte seinen Schmuck, nämlich ein kleines Zementbecken, das ein paar Tonnen Wasser hielt, und aus diesem heraus erstreckte sich ein Rohr, aus dem ein Wasserstrahl aufstieg. Zweihundert Kronen hatte es gekostet, die Wasserleitung von dem großen Fluß her anzulegen, hier wurde nicht danach gefragt, was etwas kostete. Ganz drunten im Garten stand die Flaggenstange mit einer versilberten Kugel oben drauf. Rechtsanwalt Rasch hätte sich's hier auf dieser Welt für sich und seine Familie nicht vornehmer wünschen können. Nur eins war noch übrig: die Einweihung dieses Gartens und dieses Parks, die aus dieser Futterwiese aufgeschossen waren. Jedes Jahr hatte er dieses Fest feiern wollen, aber es war immer wieder hinausgeschoben worden, weil das Gebüsch erst noch mehr heranwachsen sollte; jetzt bestimmte er es wieder für dieses Jahr. War das Leben nicht gut gegen ihn gewesen? Er hatte dessen gute Gaben annehmen oder nicht annehmen können; er hatte sie angenommen. Das Leben hatte ihm ohne jegliche Bedingung Glück geschenkt, steuerfrei, wie er vielleicht selbst gesagt haben würde, er hatte die Verpflichtung, den Empfang anzuerkennen, dafür zu quittieren   in diesem Jahr sollte das Fest wirklich stattfinden.

Alles in allem war ein unermeßlich großer Unterschied zwischen dem jungen Juristen, der vor einer Anzahl Jahre arm und ledig nach Segelfoß gekommen und von Herrn Holmengraa angestellt worden war, und dem so mächtigen Rechtsanwalt mit Geld, einem Bauch und Autorität. Es gab eine Zeit, wo er seine paar Überzieher und Hüte im Flur vor dem Kontor aufgehängt hatte, damit die Leute, die zum Rechtsanwalt wollten, denken mußten, es seien schon mehrere Klienten bei dem Chef drinnen. Sie saßen dann eine Weile im Vorzimmer und warteten, sie hörten auch Stimmen drinnen, und dann hörten sie den Chef die Tür nach dem Flur öffnen, hörten ihn seine Klienten hinausbegleiten und freundlichst sagen: Guten Tag! Guten Tag! Ja, wir werden die Sache schon machen, verlassen Sie sich darauf! Dann trat der Rechtsanwalt ins Vorzimmer und grüßte wieder höchst liebenswürdig: Guten Tag! Guten Tag! Entschuldigen Sie, daß Sie haben warten müssen, ich war so sehr beschäftigt.

Jetzt war Rechtsanwalt Rasch wirklich beschäftigt, er hatte alle Hände voll mit Rechtsfällen. Dazu war er auch Bankdirektor und im geheimen überdies Mitarbeiter der Segelfosser Zeitung, bei der Redaktion. Es war jetzt auch nicht mehr so einfach, in sein Privatkontor zu kommen, man mußte angemeldet werden. Ein Schreiber klopfte an eine Tür und fragte, ob der Herr Rechtsanwalt jemand empfangen könne. Sogleich! konnte Herr Rasch antworten. In einem Augenblick, konnte er antworten. Wer ist es? Lars Manuelsen? Bitten Sie Manuelsen, einen Augenblick zu warten.

Der Rechtsanwalt tat nichts in dieser Sekunde, er runzelte die Stirne und überlegte. Dann öffnete er die Türe und begrüßte Manuelsen. Guten Tag! Guten Tag! Bitte! Warten Sie schon lange?

Nein.

Lars Manuelsen tut großartig, deshalb sagt er, er habe nicht lange gewartet. Das hat er nicht nötig. Und der Rechtsanwalt behandelt ihn danach.

Setzen Sie sich, Manuelsen! Haben Sie kürzlich von Ihrem Sohn gehört?

Ach nein, es ist nun schon lange her.

Er ist in der Hauptstadt sehr beschäftigt, hält Vorträge und schriftstellert.

Ja, so ist es wohl.

Seine wissenschaftlichen Forschungen machen großes Aufsehen. Jetzt wird er ins Schwedische übersetzt, wie ich sehe.

So, in die schwedische Sprache?

Jawohl, in die schwedische Sprache. Ja, er ist ein großer Mann und wird sicherlich noch einmal Bischof.

Glaubt Ihr das?

Sicherlich.

Er schickt nichts heim, sagt der Vater des großen Mannes.

Nicht? Das verwundert mich etwas, er muß es vergessen haben.

Er hätte aber jetzt lang genug Zeit gehabt, wieder daran zu denken.

Das heißt, er schiebt es eben immer wieder hinaus, weil er mit Arbeit überhäuft ist. Ich kenne das aus eigener Erfahrung.

Ach, das Ausstellen eines Wechsels auf fünf oder zehn Kronen würde ihn nicht besonders viel Zeit kosten.

Nein, aber der Entschluß dazu, Manuelsen! Übrigens verwundert es mich doch. Hat er auch seine Predigtsammlung nicht geschickt?

Ei freilich! Aber nun hab ich meine Brille verloren und kann deshalb nicht mehr lesen. Die verdammte Elster hat sie fortgetragen.

Die Elster, haha!

Das ist nichts zum Lachen, sagt Lars Manuelsen gekränkt; ich weiß, daß die Elster es gewesen ist. Doch, was ich sagen wollte: Ist es recht, daß der Theodor im Laden ein Zweikronenstück behält, das er vom Landungsplatz aufhebt und in die Tasche steckt?

Darauf berichtet Lars Manuelsen die ganze Geschichte und behauptet, das Geldstück gehöre ihm. Der Rechtsanwalt verspricht ihm, mit Theodor, dem jungen Jensen, zu reden. Es scheint mir übrigens nicht das richtige für einen Mann wie Sie, Manuelsen, sich damit abzugeben, sagt der Rechtsanwalt. Zwei Kronen, was ist das?

Der Verdienst ist diesmal nicht so gewesen, wie in den vorhergehenden Frühjahren, antwortet Lars Manuelsen. Im Hotel waren nur wenig Gäste. Der letzte Geschäftsreisende ist mit seinem eigenen Schiff dagewesen und überhaupt nicht an Land gekommen. Da ist gar nichts für mich abgefallen.

Ich habe von diesem Reisenden gehört, sagt der Rechtsanwalt.

Er hieß Didriksen, und an Bord gab's Spiel und Tanz und ein Trinkgelage. Für uns andere alle war es ein wahrer Skandal.

Dann war es wohl ein lustiger und junger Mann, sagt Herr Rasch und greift zerstreut nach einem Aktenbündel auf seinem Tisch.

Das kann schon sein! In der Nacht stellte er den Tanz ein und fuhr mit zwei Mädchen aufs Meer hinaus. Die eine davon war Eure Florina.

Florina? Na, Jugend hat keine Tugend. So, Florina?

Ich sage nichts mehr und will nichts gesagt haben, versetzte Lars Manuelsen. Dann sieht er den Rechtsanwalt fest an und sagt folgende Worte zu ihm: Aber ich bin überzeugt, daß sich Florina da ihr Zahnweh geholt hat.

Rechtsanwalt Rasch machte nicht eine jähe Bewegung auf seinem Stuhl und warf auch Lars Manuelsen nicht einen hastigen Blick zu. Aber die Augen fielen ihm zu, wie vor etwas Überlautem, etwas Betäubendem. Was wollte der Mann mit der Perücke andeuten? Was wußte er?

So, sagte Rechtsanwalt Rasch, klagt denn Florina über Zahnschmerzen?

Ja, und über Erbrechen, sagt Manuelsen.

Auch das? Ja, man soll sich im Frühjahr nicht warm tanzen, man erkältet sich da leicht.

Jetzt hat Nils von Välta mit ihr gebrochen.

So. Ja, das eine zieht das andere nach sich.

Damit Ihr es wißt, sagt Lars Manuelsen.

Da mußte Herr Rasch lächeln; er war nun wirklich nicht verraten und verkauft, was meinte denn der alte Kerl?

In einem Hause wie dem unsrigen hat ja die Hausfrau mit den Mägden zu tun, sie gehören nicht in mein Departement, sagt er.

Da richtete sich Lars Manuelsen auf und lächelte auch dazu, ein schwaches, schiefes Lächeln, das der Rechtsanwalt nicht mißverstand, ja er wurde sogar ein bißchen verlegen.

Was übrigens das Zweikronenstück betrifft, so können Sie gerne eins von mir bekommen, Manuelsen, sagte er, indem er diesem das Geldstück reicht. So sicher bin ich, daß der junge Jensen Ihnen das ausliefert, was Ihnen zukommt.

Ich danke, sagt Lars Manuelsen. Und wenn Ihr das von meinem Sohn Lassen ins Blatt setzen würdet, so käme es doch unter die Leute.

Das kann ich nicht, erwiderte Rasch. Ich redigiere die Segelfosser Zeitung nicht.

Zu gewissen Zeiten hatte der Rechtsanwalt nichts dagegen, wenn er in Gut und Böse für den eigentlich ausschlaggebenden Herrn des Blattes gehalten wurde, zu andern Zeiten aber behagte es ihm nicht. Da stand nun der alte Spitzbube Lars Manuelsen und war ihm nicht bescheiden und nicht schüchtern genug, es war, als meine er, für irgend etwas eine Bezahlung verdient zu haben   aber wofür denn? Und als er das Zweikronenstück bekam, sagte er danke und steckte es ein. Oho, Rechtsanwalt Rasch war nicht der Mann, den man nach St. Helena schicken konnte!

Aber Lars Manuelsen hatte sich mit den Jahren eine ganz großartige Sicherheit zugelegt, er gab niemand nach.

Und zugleich, sagte er, könntet Ihr auch beiläufig sagen, wer hier oben Lassens Eltern sind.

Der Rechtsanwalt schüttelte dazu nur den Kopf und blätterte in seinen Akten.

Dann ging Lars Manuelsen.

Nach ein paar Tagen kam er wieder.

Ich bin beschäftigt. Lassen Sie ihn warten, sagte Rasch zu seinem Schreiber.

Lars Manuelsen wartete eine gute Weile im Vorzimmer, als er endlich eingelassen wurde, schaute der Rechtsanwalt auf und sagte:

Fassen Sie sich heute kurz, Lars, ich habe sehr viel zu tun.

Hm. Es hat nichts im Blatt gestanden, sagte Lars Manuelsen.

Da machte der Rechtsanwalt eine unwirsche Bewegung und richtete seinen dicken Körper im Stuhl auf.

Ich will nichts mehr von diesem Gerede mit der Zeitung hören, sagte er und war rot im Gesicht. Geh selbst in die Zeitung, der Redakteur heißt Kopperud, ich heiße Rasch.

Ich will nicht mit Euch streiten, das hab ich nicht nötig, sagte Lars Manuelsen und ging zur Tür hinaus.

Der Rechtsanwalt runzelte die Stirne und ging im Zimmer umher; an der Wand blieb er stehen und überlegte. Plötzlich fragte er ins Vorzimmer hinaus:

Ist Manuelsen gegangen? Ging er?

Ja. Soll ich ihm nachgehen?

Ja, sagen Sie ihm, er soll wieder hereinkommen.

Der Rechtsanwalt steht in seinem Kontor und hört den Schreiber Lars Manuelsen nachrufen, dann hört er wie Manuelsen abweisend sagt: Das hab ich nicht nötig.

Der Würfel war also gefallen. Wollte der alte Spitzbube Krieg haben? Armer Mann, Krieg mit Rechtsanwalt Rasch! Aber der Tag war ihm nun schon verdorben; konnte er mit einem armseligen Spitzbuben Krieg führen? War es da nicht besser, Nachsicht walten zu lassen? Der Tag war nun doch schon verdorben, ob all der Aufregung.

Ist heut auch keine Einzahlung vom Lensmann gekommen? fragt er den Schreiber. Er hat eine Auktion von mehreren hundert Kronen abgehalten und schickt kein Geld; was soll das heißen?

Der Schreiber schüttelt den Kopf.

Der gute Lensmann von Ura soll sich ein bißchen in acht nehmen.

Der Rechtsanwalt ist auch beim Mittagessen nicht redselig und freundlich gestimmt. Er sagt, er habe eine große Arbeit vor sich, einen ungeheueren Haufen Akten. Ich gehe deshalb gleich wieder aufs Kontor   Florina soll mir den Kaffee dahin bringen.

Sag mal, warum hast du das gräßliche Halstuch um den Mund gebunden? fragt der Rechtsanwalt, als er mit dem Dienstmädchen Florina allein in seinem Kontor ist.

Ich habe Zahnweh, sagt Florina.

Das ist kein Wunder, wenn du dich heiß tanzst und in solchen Frostnächten, wie wir sie jetzt noch haben, aufs Meer hinausfährst.

So, wißt Ihr das? Dann wißt Ihr wohl auch, warum ich es getan habe?

Der Rechtsanwalt antwortet kurz, nein, und geht nicht auf diese Frage ein.

Nun dringen merkwürdige und unverständliche Worte über Florinas Lippen, Andeutungen, leise Worte: Gott ist mein Zeuge! Was soll aus mir werden! Der Rechtsanwalt erwidert teils heftig, teils unter Lachen: Hoho! sagt er. Laß doch Nils von Välta laufen, willst du vielleicht an jedem Finger einen Liebsten haben? Hast du nicht einen neuen? Wie heißt er   Didriksen?

So, das wißt Ihr auch? sagt Florina. Dann wißt Ihr wohl auch, warum ich es getan habe?

Nein, antwortet Rasch wieder. Aber jedenfalls nimm hier im Haus das Tuch ab. So etwas ist mir noch nie vorgekommen, ein schönes, junges Mädchen, Sparkassenbuch und alles miteinander! Verlier nur das Sparkassenbuch nicht.

Ich wollt, ich hätt es nie gehabt! sagt Florina.

Warum? Nils von Välta ist froh darüber, er nimmt dich mitsamt dem Sparkassenbuch.

Aber als der Rechtsanwalt das Aktenbündel erfaßt und damit andeuten will, daß Florina gehen soll, greift diese zu den Tränen. O, Florina war sicherlich noch nicht zu Ende, sie hatte sich mit der Stadt Segelfoß entwickelt und fand Auswege.

Still, heul nicht so laut!

Florina wollte wohl den Augenblick verlängern, das erleichterte ihr das Herz; sie war zäh und zerschmettert und ging allmählich zu einer Art Dienstmädchenfachsprache über, indem sie behauptete, das beweise wenig Herz bei einem Mann, der »ihre Blume gebrochen« habe.

Blume? fragte der Rechtsanwalt und sprang vor Wut ein wenig in die Höhe. Der Teufel soll mich holen   Blume?

Da ist das Sparkassenbuch, sagte Florina und legte es auf den Tisch. Ich will es gar nicht haben.

Einen Augenblick sah Rechtsanwalt Rasch das Mädchen starr an. Doch plötzlich lachte er kurz auf und sagte: Jetzt lege ich noch etwas dazu, vom heutigen Tag an noch eine artige Summe. Dann zeig es einmal Nils von Välta!

Der Rechtsanwalt schrieb etwas in das Buch, gab dieses dann Florina zurück mit einer Bewegung, die als Verbeugung gedeutet werden konnte. Sie nahm es, und vielleicht aus Verwirrung, vielleicht aus Neugier, schlug sie es auf und las, was da stand. Dann band sie das Tuch wieder um, steckte das Buch vorn in ihre Bluse und ging hinaus.

Fertig! Zustande gebracht! Der Rechtsanwalt trug die Summe als Posten ins Bankbuch ein und versank wieder in Gedanken. Jawohl, alles war in Ordnung. Aber es war immerhin am richtigsten, sich Lars Manuelsen gegenüber freundlich und nachsichtig zu zeigen. Der alte Schleicher konnte keine harte Behandlung vertragen, wer den Verstand hatte, der mußte ihn gebrauchen.

Der Rechtsanwalt steht unter der Tür und diktiert seinem Schreiber: An den Lensmann von Ura. Sie werden gebeten, die an die Segelfosser Spar- und Leihbank verfallenen und Ihnen einbezahlten Auktionsgelder innerhalb 8   acht Tagen   an den Unterzeichneten einzusenden. Ehrerbietigst  

Der Tag ist verdorben. Rasch nimmt seinen Hut und Stock und macht einen Gang ins Freie. Er hört, daß draußen an der Landzunge geschafft und gehämmert wird, und so geht er dorthin. Zimmerleute arbeiten am Bootshause, am Tanzsaal des Per im Laden, das Bootshaus wird erweitert, es bekommt einen ungeheueren Anbau, eine Bühne wird errichtet, Bänke werden gezimmert. Was ist hier los?

Es soll ein Theater werden, antworten die Arbeiter.

Ja, nun bekam die Fleischeslust Zündhölzer! Ein Theater bekam sie!

Der Rechtsanwalt bleibt einen Augenblick stehen und sieht zu. Der Telegraphist Baardsen kommt einhergeschlendert; er hat offenbar etwas mit dem neuen Gebäude zu tun, denn er teilt Befehle aus, deutet da und dorthin. Der Rechtsanwalt erwartet, daß der Telegraphist grüßt   keine Spur   der Telegraphist mißt nur eine Wand mit seinem Metermaß und gibt noch einen Befehl. Konnte Rechtsanwalt Rasch sich gefallen lassen, daß man ihn wie Luft behandelte? Dieser Telegraphist ist von jeher unverschämt gewesen, er grüßte nicht, aber er trank und spielte Cello und war unsicher den Mädchen gegenüber, dieses Wrack!

Rechtsanwalt Rasch geht nach dem Laden. Die Klappe des Ladentisches wird aufgeschlagen, und er stapft mit seinen schweren Füßen durch den Ladenraum und ins Kontor hinein. Das war Theodors kleiner Verschlag mit Pult, Geldschrank und Drehstuhl. Theodor schreibt.

Der Rechtsanwalt bringt die Sache mit dem Zweikronenstück zur Sprache. Es war etwas ganz Unbedeutendes; aber Herr Rasch hält es wohl nicht für unbedeutender, als viele andere seiner Sachen. Warum soll er durch Lars Manuelsen um zwei Kronen kommen? Sein ganzes Vermögen war auf kleinen Zweikronenstücken aufgebaut.

Als Theodor hört, um was es sich handelt, ist er zuerst sprachlos, wahrlich sein Gesicht sieht vor Verwunderung ganz komisch aus. Da er aber einen klugen Kopf hat, begreift er wohl, daß er sich nicht zu lange weigern darf.

Hier bitte! sagt er. Ich hatte dieses Zweikronenstück ganz vergessen. Ja, ich habe es auf dem Landungsplatz gefunden.

Danke, sagt der Rechtsanwalt. Ich habe ja gleich gesagt, daß Sie es abliefern werden, wenn man Sie daran erinnert. Wie geht es Ihnen sonst, Jensen?

Ganz gut.

Aber auch Theodor im Laden hat keine große Lust, Geld auszustreuen; so war er nicht erzogen worden, und noch weniger war es ihm angeboren.

Aber Sie dürfen nun ja nicht glauben, daß das Geldstück Lars Manuelsen gehört hat, sagt er.

Doch jetzt, da Rechtsanwalt Rasch selbst schadlos war, erwidert er nur:

Ich begreife nicht, wie Sie um so ein armseliges Geldstück lamentieren mögen, Sie, der mit so großen Summen arbeitet.

Ich lamentiere auch nicht, ich sage es nur.

Ja, das habe ich mir gleich gedacht. Apropos, was ist denn das? Sie bauen ein Theater?

Theodor schüttelt den Kopf:

Reden Sie nicht darüber   ja, ich baue ein Theater.

Aber der Rechtsanwalt begreift nichts. Er fragt, was denn das heißen soll.

Ein Theater also, einen Festsaal, antwortet Theodor. Diese Künstler schreiben an mich als an den bekanntesten Mann hier am Ort und bitten mich um die Erlaubnis, hier spielen zu dürfen. Da müssen sie doch ein Haus haben.

Durch diese Rede fühlte sich Rechtsanwalt Rasch richtig beleidigt.

Sind Sie der bekannteste Mann hier am Ort? versetzt er. Das habe ich nicht gewußt.

Aber vielleicht hatte Theodor im Laden sich nur versprochen, er hatte wohl sagen wollen, er sei der Mann, der den Ort am besten kenne; einem gelehrten Mann gegenüber konnte er doch nicht anders als zurücktreten. Er wich auch noch weiter zurück, als Herr Rasch sagte:

Ich begreife nicht, daß irgend jemand in so einer Sache an Sie schreiben konnte. Das ist doch etwas, was Sie nicht verstehen.

Ich habe den Telegraphisten Baardsen gebeten, die Sache zu beaufsichtigen, antwortete Theodor sanftmütig.

Der ist auch der Rechte dazu! spottete Rasch. So etwas ist mir noch nie vorgekommen.

Er ist aus vornehmer Familie und früher viel im Theater gewesen.

So, ich habe nie etwas von der Familie Baardsen gehört.

Es ist eine vornehme, reiche Kaufmannsfamilie.

Ja, ja, sagte der Rechtsanwalt, es muß ja auch Kaufmannsfamilien geben. Na, mir ist es einerlei. Aber haben Sie sich für Ihr Bauwerk die Segelfosser Zeitung gesichert?

Das verstand Theodor nicht.

Und haben sich die Schauspieler wegen der Vorstellungen an die Segelfosser Zeitung gewendet?

Das weiß ich nicht.

Na, mir ist es einerlei, sagte Herr Rasch.

Dann ging er, aber er war doch tief gekränkt.

Ei sieh, der bekannteste Mann in Segelfoß war der Theodor im Laden! Glückliche Einfalt! heißt es auf lateinisch. Und in Theatersachen schrieb man nicht an einen Rechtsanwalt Rasch oder an einen Bezirksarzt Muus, man schrieb an den Theodor im Laden!

Indessen mußte Theodor der Ärger gestochen haben, denn er lief dem Rechtsanwalt nach und zeigte ihm den Brief von den Schauspielern. Bitte, sehen Sie selbst! Und da stand wirklich, daß Herr Theodor Jensen der bekannteste Mann in Segelfoß sei. Theodor hatte die Worte nur wiederholt.

Vielleicht möchten Sie selbst das Gebäude übernehmen? fragte Theodor ärgerlich.

Ich? Wieso? Ich will kein Gebäude übernehmen.

Ich dachte, weil Sie sich so hineinmischen.

Nein, das ging zu weit, wollte die Ladenmaus die Zähne zeigen?

Nimm dich in acht, Männchen! sagte der Rechtsanwalt.

Nehmen Sie sich selbst in acht! antwortete Theodor. Und plötzlich war er des alten Ladenpers Sohn geworden, zornig und derb, nur durch den Verlust eines Zweikronenstücks und des andern Hochmut aufgeregt.

Aber um alle Welt, stand Theodor wirklich da und widersetzte sich Rasch? Der Rechtsanwalt ging seines Weges weiter und tat, als wäre der Laden mit allen seinen Leuten, allen seinen Kunden und ganz Segelfoß nur ein Zipfel seines eigenen Bereichs, so schwer stapfte er davon. Aber er konnte stapfen, so viel er wollte; der Boden unter seinen Füßen war doch nicht ganz sicher. Es war, als wüßten heute alle Menschen etwas von ihm.

Da rief Theodor etwas hinter ihm drein, etwas von einem Zweikronenstück. Diese Bagatelle also war es, was Theodor von ihm wußte, sonst nichts! Jetzt fühlte der Rechtsanwalt wieder festen Boden unter den Füßen. Aber dieser kleine Theodor wußte noch mehr; klein und verdrießlich und rachgierig stand er da und lächelte höhnisch hinter dem Rechtsanwalt drein. Er hätte ja doch auch nichts über Nils von Välta und über Florinas Sparkassenbuch hinter ihm herrufen können, wenn er nichts damit gemeint hätte.

Theodor schlich in seinen Laden zurück, gerade wie ein Hund, der, ohne sich zu schämen, herausgefahren ist und einen Vorübergehenden angebellt hat. Er fing auch gleich an, bei seinen Kunden seinem Herzen Luft zu machen, und sagte, er habe manches für die Stadt, für Segelfoß getan, er habe einen neuen Flaggenhügel errichtet und eine nagelneue Flagge aufgezogen, jetzt baue er ein Theater für Künstler, die hier spielen wollten, und später wolle er einen festen Photographen hersetzen, er habe sich eben nach einem erkundigt. Was dagegen Rechtsanwalt Rasch tue? Ferner wolle er ein großes Schild auf seinem Haus anbringen, mit dem Namen unserer Firma, sagte Theodor, der Geschäftsreisende Didriksen habe ihm versprochen, ihm ein Schild mit Gold und mit vielen Farben zu verschaffen. Es höre sich vielleicht nicht so großartig an, aber es bedeute doch so viel, daß dann Segelfoß wie andere Städte aussehe. Was dagegen Rechtsanwalt Rasch tue? Und haben Sie die diesjährigen Maiblumen schon gesehen? fragte Theodor. Sehen Sie hier und hier, zehn Öre das Stück, die Einnahme ist fürs Wohl der Gemeinde. Ich habe den Verkauf übernommen, damit wir uns alle Maiblumen kaufen und sie anstecken können, wie die Leute in den anderen Städten.

Und da er nun einmal im Zug war, tat er dem Ladendiener Kornelius und dem anderen Ladenjungen mit lauter, im ganzen Laden vernehmlicher Stimme kund:

Macht Platz im Warenhaus, Jungen! Heute abend kommen unsere Frühjahrsartikel!

Julius, der Hotelwirt, der sich gar oft zu einem kleinen Schwatz im Laden einfand, war jetzt auch wieder da. Er witterte wohl Verdienst, ein Geschäft, und er war nicht zu vornehm geworden, seine Hand nach etwas auszustrecken. Julius vornehm? Gottlos war er und gesund und grob, doch nicht niederträchtig, nicht verdorben. Sein Vater war demoralisiert und konnte seiner Perücke wegen nicht mehr arbeiten. Die Mutter machte sich ein wenig lächerlich, weil sie im Winter einen Muff trug, aber sonst plagte und schindete sie sich wie früher, obgleich sie L. Lassens Mutter war. Aber Julius war auf Verdienst aus, wo nur einer zu ergattern war, und dann hatte er ein Paar Fäuste! Jetzt fragte er:

Dann bekommt ihr also heute abend viele Waren?

Ja, es kommen wohl an hundert Kolli für unsere Firma, antwortete Theodor.

Braucht ihr Leute zur Hilfe?

Ich habe schon Leute bestellt, antwortete Theodor kurz.

Julius wußte ja nicht, daß Theodor an diesem Tag zwei Kronen für seinen Vater hatte draufgehen lassen; zwei Kronen einfach weggeworfen für einen Lümmel, das wußte Julius nicht. Er dachte nur an den Verdienst, der ihm entging.

Hundert Kolli? Das glaub ich nicht, sagte er.

Ein paar Kunden, die sich drüben an dem früheren Weintisch aufgehalten hatten, stimmten dem nun bei und sagten lachend: Hundert Kolli! Ach, das ist nur Prahlerei!

Sagen wir, es seien Kisten, und zwar zehn Kisten, warf Julius ein.

Ich schere mich gar nichts um dich! sagte Theodor erzürnt.

Da stand nun dieser Julius und war unangenehm gegen ihn in Gegenwart vieler Leute. Andererseits konnte man indes nichts gegen ihn unternehmen, man konnte ihn nicht zur Tür hinauswerfen, außerdem hatte er ein ungewaschenes Maul.

Es geht viel in zehn Kisten hinein, sagte er.

Jawohl, stimmten die angetrunkenen Kunden bei, wir wären froh, wenn wir zehn Kisten hätten, dann könnte Theodor gern die übrigen neunzig haben.   Und darauf lachten sie aus vollem Halse.

Das versteht ihr nicht! Ich bekomme allein eine ganze Kiste voll Haarkämme, versetzte Theodor, und darauf trat er in sein Kontor, um nichts mehr zu hören.

Haarkämme, was ist das? fragte Julius. Enge Kämme, weite Kämme?

Da lachte der Ladendiener laut auf.

O du, Julius! Nein, das sind Kämme, die man ins Haar steckt, Nackenkämme, zurzeit das Modernste, was es gibt; in London sieht man niemand ohne so einen Kamm, das heißt, sie sind nicht für alte Leute, sondern für junge Mädchen. Und sie müssen einen braunen oder gelben Kamm haben, je nach ihrer Haarfarbe. Wir bekommen eine sehr große Auswahl.

Was kosten sie denn? wird vom Weintisch her gefragt.

Das wird die Faktura ausweisen. Wir haben es noch nicht ausgerechnet.

Aber als es Abend wurde und das von Süden kommende Dampfschiff anlegte, blieb es nicht länger als sonst da, lud auch nur gewöhnliche Sachen ein und aus und fuhr wieder weg. Die hundert Kolli für den Laden kamen nicht mit. Eine ziemlich große Menge Leute hatte sich am Landungsplatz versammelt, hauptsächlich junge Leute, die den Frühlingsartikeln entgegensahen; sie lachten und schwatzten laut, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Theodor selbst ging mit Schleifen auf den Schuhen umher und ließ sich nichts anmerken; vielleicht hatte er selbst auch seine Frühjahrsartikel an diesem Abend nicht erwartet, sondern sie nur ankündigen wollen. Es sah dem eitlen Burschen ganz gleich, daß er die Aufregung schon lange vorher genießen wollte. Wo sind die hundert Kolli? fragte Julius. Und wo sind die zehn Kisten voll Haarkämme? fragte er frech.

Aber etwas ereignete sich doch an diesem Abend: Herr Holmengraa kehrte zurück. Wo war er gewesen und was hatte er erlebt? Er war still und geheimnisvoll, lächelte nicht und sprach nur ganz wenig. Eine Veränderung war mit ihm vorgegangen, das merkte jeder. Schon sein Anzug war elegant und neu und mit Seide gefüttert. Aber das Merkwürdigste war doch Herrn Holmengraas Blick. Schielte er plötzlich? Es sah aus, als habe er viel gefastet.

Als er über den Landungssteg daherkam, stand Rechtsanwalt Rasch mit seiner Frau gerade vor ihm. Ei der Tausend! Rechtsanwalt Rasch wollte wohl den Leuten zeigen, daß er seine Frau mit spazieren nahm, so oft es ihm seine mit so wichtigen Geschäften besetzte Zeit erlaubte. Heute war er mit ihr nach dem Landungsplatz gestapft, und das war nicht dumm von ihm, denn es waren viele Leute da versammelt. Er begrüßte Herrn Holmengraa bei dessen Ankunft, aber Herr Holmengraa erwiderte den Gruß nicht, sondern griff nur mit flacher Hand an den Hut   und siehe! auf dem Mittelfinger trug er einen merkwürdigen goldenen Ring. Glücklich zurück! sagte der Rechtsanwalt. Darauf gab Herr Holmengraa keine Antwort, sondern ging mit schiefem Blick wie schielend an Rasch vorüber, als wäre dicht neben diesem etwas Merkwürdiges zu sehen.

Das war ja ganz unheimlich, sagte der Rechtsanwalt zu seiner Frau. Er sagte es recht laut, um sich wichtig zu machen und überlegen zu zeigen.

Die Umstehenden horchten auf, und Frau Rasch fragte harmlos:

Was war unheimlich?

Hast du den Ring an seinem Finger gesehen?

Einen Ring?

Nun ließ Julius seine Stimme ertönen. Julius war ein draufgängerischer Kerl, der sich durchaus nicht scheute, die eine oder die andere große Frage zu stellen. Er sagte:

Ich habe den Ring auch gesehen. Was war es denn für ein Ring?

Der Rechtsanwalt tat fürchterlich wichtig und besah sich Julius, ob er ihn wohl einer Antwort würdigen sollte. Dann beugte er sich zu seiner Frau hinab und fragte:

Hast du auch seinen schiefen Blick bemerkt? Er hat gewiß viele Tage gefastet.

Warum alle diese Fragen? Was meinte der Rechtsanwalt damit? Aus Aberglauben redete er nicht so, und noch weniger, um in ironischer Weise etwas anzudeuten; tat er es aber, um Herrn Holmengraa zu unterstützen und ihm ein Ansehen zu geben? Rechtsanwalt Rasch gab niemand ein Ansehen, außer sich selbst. Er redete, um zu glänzen, um sich wichtig zu machen, um Lars Manuelsen, dem alten Spitzbuben, einen kleinen Schrecken einzujagen, um Theodor im Laden zu imponieren, der ein Stück weiter drüben stand und seinerseits tat, als gebe er auf den ganzen Rechtsanwalt gar nicht acht.

Aber könnt Ihr uns nicht sagen, was es für ein Ring war? fragte Julius.

Da antwortete der Rechtsanwalt endlich:

Frag lieber nicht danach, Julius, denn es geht über dein Begriffsvermögen; es war wirklich und wahrhaftig der richtige Freimaurerring.

Jetzt hätte sich der Rechtsanwalt am liebsten von der Menge zurückgezogen; aber seine Frau war unvorsichtig und sagte:

Der Freimaurerring? Ist das so etwas ganz Besonderes?

Und der Rechtsanwalt belehrte seine Frau feierlich:

Ich habe das immer gehört, Kristine. Im Hause meiner Eltern hängt an der Wand ein Porträt von dem Großvater meiner Mutter, der Generalagent war; der hält seine rechte Hand so, und auf seinem Mittelfinger steckt ein Ring, der Freimaurerring. Ich weiß also etwas davon.

Aber was hat der Ring für einen Zweck? fragte Julius. O, der verflixte Julius, nie konnte er den Mund halten!

Der Rechtsanwalt wollte hier in der Öffentlichkeit nicht weiter darüber sprechen, nein er wollte nicht; dagegen wendete er sich an seine Frau und sagte: Herr Holmengraa steht jetzt ungefähr so hoch, wie nur irgendein Sterblicher stehen kann.

Dann ging das Paar.

Und nun begann ein lebhaftes Hin- und Herreden über das Gehörte. Man besprach sich eifrig über den Ring, man sah Herrn Holmengraa mit finsterer Neugier nach und nickte: Ja, jetzt war es gewiß Ernst mit der Freimaurerei! Da ging er hin, in klaftertiefe Gedanken versunken, mit schielenden Augen, wer weiß, ob er geringe irdische Dinge überhaupt noch sah? Der Rechtsanwalt hatte gesagt, es sei etwas Unheimliches dabei, und Lars Manuelsen sagte plötzlich: Ich werde einen Brief an meinen Sohn Lassen schicken und ihn danach fragen. Doch einer der Umstehenden drückte seine Zweifel aus, ob Lassen es auch wisse, und sagte: Ich habe gehört, niemand wisse über die Freimaurerei richtig Bescheid. Da lächelte Lars Manuelsen   es war das einzige Lächeln, das bei dieser ernsten Versammlung zutage trat   und er entgegnete: Das, was Lassen nicht weiß, das kannst du dir nicht einmal denken.

Alle waren sehr ergriffen. Es war, als stünden sie dem Ewigen, einem Rätsel, einem falschen Eid oder einer mit Blut besiegelten Verschreibung auf Leben und Tod gegenüber.


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