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13

Ich habe dich eine ganze Woche nicht gesehen, sagte Willatz zu Mariane. Warum bist du an dem Tage nicht gekommen, wo du es versprochen hattest?

Anton ist hier gewesen, sagte Mariane.

Das weiß ich.

Das weißt du?

Ich habe ihn gesehen. Warum bist du nicht gekommen, wie du mir versprochen hattest?

Dann weißt du wohl auch das andere. Ich bin also mit ihm auf dem Eiderdaunenfest gewesen.

Das hatte Willatz nicht gewußt, und seine Augenbrauen zitterten leicht. Nein, er wußte in diesen Zeiten von niemand irgend etwas; er arbeitete so fleißig, so angespannt, er hätte Mariane an jenem Tag in der vorigen Woche als Publikum gebraucht, damit sie etwas anhöre, aber sie war nicht gekommen. Er arbeitete sehr angespannt, aber auch sehr schlecht.

Dagegen hatte er ihren Vater auf der Straße getroffen und einige Worte mit ihm gewechselt.

Ich sehe, daß das Laub gelb wird, sagte Willatz. Jetzt wäre es gut, wenn die Waldbäume, die geschlagen werden können, bezeichnet würden.

Das ist besorgt, erwiderte Herr Holmengraa.

Besorgt? Ich bin Ihnen sehr verbunden. Wann ist es denn geschehen?

Ganz kürzlich. Ich wollte mir nicht erlauben, Sie zu stören, und machte es nach bestem Wissen und Gewissen.

Ich danke Ihnen. Und können Sie mir auch Holzfäller verschaffen?

Ein merkwürdiger Mann, dieser neue Willatz Holmsen im Vergleich mit dem vorigen! dachte wohl Herr Holmengraa. Er braucht Hilfe und Handreichung zu allem. Zwei Mann hatten mehrere Tage Bäume angezeichnet, und jetzt waren sie fertig; aber der neue Willatz Holmsen ließ kein Wort über die Bezahlung verlauten, dachte wohl überhaupt nicht daran, hatte das Geld vielleicht nicht in Bereitschaft. Holzfäller! sagte er.

In einem Tone, der einen haarfeinen Beiklang von Ermüdung verriet, antwortete Herr Holmengraa: Dazu kann wohl auch noch Rat werden.

Ich danke Ihnen, sagte Willatz. Aber er hörte wohl heraus, daß Herr Holmengraa müde war, und wollte ihn nicht länger aufhalten. Ich empfehle mich.

Sie arbeiten gar so eifrig, Willatz. Wir sehen Sie ja nie mehr bei uns!

Ja, ich versuche, etwas fertig zu bringen. Na, jeder von uns hat seine Sorgen: Ich habe mich vergebens abgemüht, eine Nadel einzufädeln, ja in der letzten Zeit habe ich mir sogar alle erdenkliche Mühe gegeben, sagte er lächelnd.

Da fällt mir eben ein, haben Sie darüber nachgedacht, ob Sie mir etwas von Ihrem Bergland abtreten können? sagt Herr Holmengraa.

Wenn ich aufrichtig sein darf, so möchte ich lieber nicht, entgegnete Willatz.

Nun, dann reden wir nicht mehr davon.

Lieber Herr Holmengraa, das könnte von meiner Seite wie böser Wille und Undankbarkeit aussehen; mein Vater jedoch, der alte Gutsherr, hat mich in seinem letzten Brief gebeten, das Land wieder einzulösen, nicht aber es aus der Hand zu geben.

Wir reden gar nicht mehr darüber, sagte Herr Holmengraa. Und niemand hätte wohl dem alten Spekulanten angemerkt, daß er in seinem innersten Herzen über die Weigerung entzückt war; höflich und kühl hatte er Antwort gegeben.

Wohl, das war geschehen, als Willatz Herrn Holmengraa auf der Straße getroffen hatte.

Jetzt sitzt Mariane bei ihm. Ob sie wohl ebenso kühl sein wird wie ihr Vater?

Auf dem Eiderdaunenfest? Was ist das?

Es war das Fest des Ladentheodors. Du erinnerst dich doch wohl an das Schießen und das Feuerwerk neulich am Abend? Da bin ich mit dabei gewesen.

Sie hatte wohl irgendeine spöttische Bemerkung erwartet, wie: dann sei es kein Wunder, daß sie ihn im Stich gelassen habe. Aber nein, er nickte nur.

Aber jetzt bin ich also da. Ist es zu spät? fragte sie.

Es war etwas, das ich dir gerne vorgespielt hätte; da habe ich's übersprungen, und jetzt habe ich es übrigens ganz gestrichen.

Ach Gott, lieber Willatz, wenn ich nicht immer gleich dastehen kann, sobald du rufst  

Ich habe dich nicht nur gerufen; es war mir sogar dringend darum zu tun. Ich habe dich herbeigefleht.

Ich bin sehr unglücklich. Dann werde ich am Ende daran schuld sein, daß deine Partitur niemals das Licht der Welt erblickt.

Er lächelte auch, der Kälte wußte er zu begegnen.

Gar zu abhängig brauche ich ja nicht zu sein. Und so abhängig bin ich auch nicht immer gewesen.

Nein, gewiß nicht, sagte sie und tat übertrieben einverstanden. Sie erhob sich und trat ans Fenster, als ob sie einen Vorhang zurechtzupfen wollte. Du hast ja auch schon einige ausgezeichnete Sachen fertig gebracht, nicht wahr?

Er lächelte wieder. Weißt du nicht mehr, daß Grieg sie genial genannt hat?

Doch, das sage ich ja.

Willatz war heute anders als sonst, was nun auch der Grund sein mochte. Er, der sonst unter vier Augen in zarten und herzbewegenden Worten von seiner Kunst gesprochen hatte, scherzte jetzt darüber. Willatz, der sonst so oft vor Eifersucht gerast hatte, saß jetzt da wie ein Holzklotz.

Übrigens, sagte sie und reckte sich, um eine Vorhangfalte zu erreichen, schielte aber dabei unter ihrem Arm weg zu ihm hinüber   wenn du möchtest, daß deine Genialität bekannt wird, so mußt du dich auch fernerhin in Einsamkeit vergraben und darüber schweigen.

Das traf, er fuhr zusammen, heute rückte sie ihm ordentlich zu Leib! Aber als hätte er sich vorgenommen, ihr keinen Sieg zu gönnen, lächelte er wieder, saß gedankenversunken da, betrachtete seine gefalteten Hände und lächelte.

Was ich sage, ist unbestreitbar, fuhr sie fort; aber du kannst meinetwegen tun, was du willst. Anton ist übrigens immer noch hier, weißt du das?

Ja, antwortete er.

Hastig drehte sie dem Fenster den Rücken. Das weißt du?

Ach, wie er sie heute mit seiner Ruhe reizte! Er antwortete: Du bist nicht die Spur überrascht davon, Mariane, dein Gesicht verrät jetzt keinerlei Gemütsbewegung. Natürlich weiß ich, daß Anton hier ist, aber was tut das? Ich habe auch die ganze Zeit über gewußt, daß du da am Fenster standest und wolltest, ich solle nachsehen, weshalb du dastehst.

Das traf auch. Ihre Augen schlossen sich beinahe. Aber in der nächsten Sekunde war sie schon wieder überlegen. Sie hätte zischen, hätte die Gabel wieder in Anwendung bringen mögen, konnte das jedoch gut verbergen. Ach, aber all diese List nützte heute vielleicht gar nichts, sondern schadete nur.

Ich verstehe nicht, was du meinst, sagte sie. Hör', kannst du nicht das eine Ding spielen, nur das eine kleine Ding?

Erlaß es mir heute! Es ist noch nicht fertig, wehrte er ab.

Ich werde es dir alle Tage erlassen, sagte sie aufrichtig verletzt. Alle Tage.

Nein, was für Stöße sie einander versetzten! Willatz, der Holzklotz, saß ebenso unversöhnlich da und fragte:

Du willst also jetzt nicht mehr?

Nein, antwortete sie. Und sie sah einen Augenblick aus, als ob das ihr ganz fester Wille wäre. Was uns verbunden hat, ist ja eigentlich immer nichts weiter als ein Strohhalm gewesen.

Schweigen.

Nicht wahr? fragte sie.

Wir beide sind doch auch miteinander auf Festen gewesen, antwortete er.

Da hatte er sich eine Blöße gegeben, hatte seine Eifersucht in einem unbewachten Augenblick sehen lassen. Ob sie es gemerkt hatte?

Grüß Anton von mir! sagte er, um das wieder gutzumachen. Wann reist er ab?

O ja, Mariane hatte seine Gedankenlosigkeit wohl bemerkt, sie antwortete sehr kurz:

Er kann doch nicht fahren, bevor das Schiff kommt.

Allerdings nicht. Und wann kommt es? Aber es ist einerlei. Grüß ihn und sage, ich täte, als hätte ich in diesen Tagen sehr viel zu tun, sagte Willatz und griff nach einem Notenblatt.

Was ist das? Woher hast du den? erkundigte sich Mariane nach einem Säbel mit vergoldetem Griff.

Meines Vaters Säbel hat immer da gehangen, sagte er.

Entschuldige! Und als sie ganz zufällig wieder zum Fenster hinaussah, rief sie: Da verliert er wahrhaftig   er kann doch nicht ohne seine Handschuhe gehen! Leb wohl!

Damit lief Mariane hinaus und machte nicht einmal die Tür ordentlich hinter sich zu.

So mußte Willatz doch aufstehen und sie schließen. Und dabei mußte Willatz doch einen halben Blick zum Fenster hinauswerfen. Püh, nur Anton! Aber er trug ja keine Handschuhe   Mariane hatte das frei erfunden. Betrügerei auf der ganzen Linie.

Und nun nach diesem konnte doch Willatz nicht mehr arbeiten, unmöglich, und singen konnte er auch nicht, er hatte nicht die Stimme seiner Mutter. Im Grunde genommen war er doch ein langweiliger Gesell; er konnte zeichnen und malen wie seine Mutter, verstand sich gut und vornehm zu kleiden wie sein Vater, aber das war auch alles, was er konnte. Aber auf Anton eifersüchtig? Verzeihung, da mußte er lachen!

Nun war wohl der Weg wieder frei, und er konnte ausgehen?

Aber es sollte ihm heute noch mehr widerfahren. Konrad stand auf dem Weg, der gewesene Taglöhner, der Lump, der stand da und grüßte, und sein Genosse Aslak, der auf einem Stein saß, stand auch auf und grüßte ebenfalls. Konrad beschaute eine Weile andächtig die Linien in seiner Hand, und nachdem er damit fertig war, reichte er die Hand dar. Da zeigten sich plötzlich auf Willatz' Stirne noch tiefere Falten, als an diesem ganzen Tage vorher.

Ich wollte Euch danken, sagte Konrad.

Willatz ertrug das nicht, konnte das nicht aushalten, er sagte:

Du hast mir für nichts zu danken, merk dir das für die Zukunft. Was willst du sonst?

Konrad sah ein, daß es galt, nicht viele Worte zu machen, er sagte:

Wir wollten hören, ob wir bei Ihnen Arbeit bekommen könnten.

Willatz musterte ihn vom Kopf bis zu den Füßen; wenn er jemand musterte, sah er aus wie sein Vater:

Arbeit?

Ja, ich und auch der Aslak.

Willatz musterte auch Aslak. Da stand der Mann, dem er einmal eine Züchtigung erteilt hatte, jawohl, und er hatte dafür gezahlt, daß er dem ärmlichen Kerl selbst und der Menschheit diese Wohltat erwiesen, diese Ohrfeige versetzt hatte, sie waren quitt.

Ihr könnt im Wald Bäume fällen, die ich bezeichnet habe, sagte Willatz.

Gut, stimmte Aslak zu. So, Ihr wollt also Bäume fällen lassen? Aber ist es dafür nicht noch zu früh?

Willatz ließ sich auf kein Gespräch ein, er nickte nur kurz und sagte: Geht auf den Hof und meldet euch beim Knecht Martin! Damit ging er weiter.

Das war gar nicht so dumm, es war sogar sehr gut, er konnte Herrn Holmengraa alle weitere Mühe mit den Holzfällern ersparen. Natürlich war es jetzt noch zu früh zum Fällen, aber für zwei Leute gab es auf dem großen Hof auch noch eine Zwischenarbeit. Das war einfach großartig, und er wollte sofort zu Herrn Holmengraa gehen und ihm Bescheid sagen.

Herr Holmengraa zeigte sich wieder mild und freundlich: So? Na, Holzfäller wären jedenfalls nicht schwer aufzutreiben gewesen. Lassen Sie die Stämme aus dem Wald schaffen, solange die Schlittenbahn noch gut ist, und flößen Sie sie im Frühjahr   und Holz ist so gut wie bares Geld.

Das war alles richtig, aber es versetzte Willatz doch einen Stoß: Kein Geld vor dem Frühjahr! Aber wie hatte es doch gelautet? War damals denn nicht der Holzhandel so außerordentlich bequem gewesen, und hatte man denn nicht für die nun bezeichneten Bäume soviel Geld bekommen können, als man nur wollte? Wartete Herr Holmengraa vielleicht auf eine Bitte? Da konnte er lange warten!

Können Sie uns nicht die Freude machen, und zum Abend bleiben? fragte Herr Holmengraa. Es wäre reizend, Mariane und ich sind gar zu einsam. Allerdings in den letzten Tagen hat Anton Coldevin etwas zu unserer Unterhaltung beigetragen, aber trotzdem  

Nein, es ging nicht! Willatz konnte nicht, durfte nicht, so gerne er gewollt hätte!

Er ging denselben Weg zurück, den er gekommen war, aber jetzt erlebte er noch etwas: nahe bei der Brücke war ein Weidengehölz; es lag am Wegrand, Willatz kannte den Ort genau, dort hatte er Mariane vor seiner ersten Reise nach Berlin das letzte selige Mal geküßt   nun erblickte er Mariane und Anton dort. Was weiter? Nichts! Anton hatte ja vorher gesagt, daß er den Goldfisch an sich nehmen wolle. Das Paar harte vielleicht schon so dagestanden, als Willatz vorbeigegangen war. Wenn er da nur nicht vor sich hingemurmelt oder mit sich selbst gesprochen hatte, wie er es zuweilen tat!

Dort kniet Anton. Kniet. Er ist barhaupt, er macht ihr gewiß seinen Antrag; Mariane will fort, aber er umarmt ihren Rock, es sieht lächerlich aus, er umarmt ihre Beine. Hielt er um sie an? Es sah mehr als lächerlich aus, sie sprachen beide zu gleicher Zeit. Willatz konnte an ihren Bewegungen erkennen, daß sie vollständig von sich selbst in Anspruch waren, und das Brausen des Flusses hinderte sie, zu hören, ob jemand kam. Sie hielten sich für ganz sicher.

Willatz dachte einen Augenblick daran, umzukehren, er machte einen Schritt zurück, doch da erblickte ihn Mariane. Sie sagte ein paar hastige Worte. Anton sprang auf und starrte ihn an. Die beiden Freunde blickten einander rat- und verständnislos an, wie aus zwei verschiedenen Welten, dann ergriff Anton seinen Hut, grüßte Mariane und ging dem Walde zu.

Flüchtete er? Das sah ihm eigentlich nicht gleich. Mariane mußte ein entscheidendes Wort gesprochen haben.

Sie verließ das Gehölz und trat mit hochatmender Brust auf die Straße. Trotz ihrer peinlichen Verlegenheit und trotzdem sie schwer ringen mußte, um nicht in Tränen auszubrechen, brachte sie es fertig, Willatz zu begrüßen und ihm zuzulächeln. Ein tüchtiges Mädchen, diese Mariane, sie konnte alles. Sie sagte:

Du hast das wohl gesehen? Da ist nun nichts zu machen, und es ist mir auch einerlei. Aber es ist mir unerträglich, daß du es gesehen hast. Er ist verrückt. Nun sage, wie ist es gegangen, hast du arbeiten können? Sieh, da liegt sein Stock, ich hebe ihn gewiß nicht auf. Was hast du bei Papa getan? Sie zieht ihr Taschentuch heraus und fährt dann fort: Jetzt habe ich mich natürlich erkältet, der Schnupfen fängt schon an. Auch meine Augen tränen. Hast du schon so etwas gesehen, und so plötzlich? Sag einmal, macht das etwas? War es unfein? Hast du nicht gesehen, daß er   ich konnte mich nicht rühren  

Leb wohl! sagte er und ging.

Er schaute sich kein einziges Mal um   hatte je einer einen Willatz Holmsen dabei ertappt, daß er den Kopf drehte!   Als er nun heim in seine Ziegelei kam und hineingehen wollte und da entdeckte, daß Mariane zwei Schritte hinter ihm stand, fuhr er heftig zusammen; ihr gleitender, lautloser Schritt hatte sie unbemerkt hierher gebracht.

Entschuldige! sagte sie, weil sie ihn erschreckt hatte.

Geh nach Hause! bat er. Bleibe nicht da stehen, sondern geh heim!

Die Erkältung war verschwunden, das Taschentuch war verschwunden; sie hatte ihre Tränen verschluckt.

Gewiß geh' ich heim. Aber willst du nicht zugeben, daß dies doch zu sinnlos von dir ist? Was kann ich dafür, daß er mich festhielt?

Das konnte nicht bestritten werden, ja, es war so aller Vernunft bar, daß er eine Weile stumm blieb. Aber sie stritten sich ja nicht zum erstenmal, sie verstanden sich beide darauf, und schon nach einer kleinen Weile konnte er sagen:

Hast du daran gedacht, daß wir uns dort einmal verlobt haben?

Sie gab keine Antwort.

Du hättest mich schwer enttäuscht, wenn du anders als durch Schweigen auf diese Frage geantwortet hättest.

Können wir nicht hineingehen? fragte sie.

Gewiß können wir das. Und wenn du nur deutest, so knien wir auch hin, und es macht gluck gluck in uns. Gewiß können wir hineingehen. Was ist aus Anton geworden? Wir würden dem gewiß einen Possen spielen, wenn wir jetzt zusammen hineingingen und uns setzten. Was meinst du?

Nein, es wäre kein Possen für ihn. Er will mich haben, sagt er, und es ist heute nicht zum erstenmal, daß er es gesagt hat. Aber ich habe ihm geantwortet, ich wolle ihn nicht, denn ich sei nicht frei.

Was ist denn nicht frei bei dir? Ich weiß nichts.

Das, was man Herz nennt, ist nicht frei bei mir.

Merkwürdig! Sollte dein Herz wirklich nicht frei sein? Nein, du bindest und lösest das natürlich nach Belieben. Und im ganzen hast du ja das Recht, dein kleines Besitztum zu verwalten, wie es dir gefällt.

Können wir nicht hineingehen, Willatz?

Aber da es nun Anton nichts genützt hat, vor dir zu knien und sich zu deinen Füßen zu winden,   es ist unbescheiden von mir, aber was, wir sind ja alle miteinander Raubvögel!   ist die Sache für mich ja eben so hoffnungslos. Wenn ich mich nun hier eine Stunde lang befleißigte und dich bäte und anflehte um das, was du dein Herz nennst   würde das etwas nützen?

Jetzt hör auf! Es wird dir später selbst leid tun, daß du so häßlich bist.

Und wenn ich statt dessen hell hinauslachen und Lebewohl und danke schön sagen würde, was dann?

Ach, diese Erkältung, sie wirft sich mir auf die Augen! sagte Mariane und zog wieder ihr Taschentuch hervor.

Er bemerkte wohl, wie es sie schüttelte, daß sie aber tapfer war und ihre Tränen verschluckte. Das war tüchtig von ihr.

Geh heim! sagte er.

Ja, jetzt geh ich, sagte sie und ging. Gewiß hatte sie ihre Tränen verschluckt, sie kamen nicht zutage, niemand hatte sie je in Tränen ausbrechen sehen. Zornig und erbittert drehte sie den Kopf und rief zurück: Und wenn du im Herbst mit dieser Oper ins Ausland fährst, so lebe wohl!

Dies machte ihn wieder für einen Augenblick stumm. Dann entgegnete er: Möchtest du mich nicht daran erinnern, ehe du gehst, daß ich dir morgen Blumen schicken soll?

Sie hatten einander herrlich weh getan mit fürchterlichen Worten, mit einer Bosheit, wie sie im Kriege oder auf der Landstraße hervortritt   und das in der Verlobungszeit! Ja, aber dann würde es später nicht schlimmer werden, konnte nicht schlimmer werden. So entgingen sie der Unannehmlichkeit, eine ganze Ehe hindurch bei der Erinnerung an all das frühere Süßholzgeraspel Übelkeit empfinden zu müssen. Sie waren ein überlegenes Liebespaar.

Die Erkältung und das Taschentuch sind wieder verschwunden. Mariane geht ihres Weges wie sonst, sie vermag zu denken und zu reden. Eine Schar schreiender Elstern verfolgt einen Mann; Lars Manuelsen kommt ihr entgegen in seinem zweireihig geknöpften Wams mit acht Knöpfen, er ist eines so großen Mannes Vater, daß er meint, er dürfe jedermann stellen, und so stellt er auch Mariane:

Wenn ich Euer Vater wäre, würde ich alle diese schädlichen Elstern totschießen, sagte er.

Läßt dich die Elster immer noch nicht in Frieden? versetzte Mariane.

Nein. Die Elstern verfolgen mich, wo ich stehe und gehe. Es ist ein Kreuz, die Leute verspotten mich, und das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Das hier sind Ihre Elstern.

Du hättest mit der Elster nicht in Feindschaft geraten sollen, Lars.

Warum nicht? Tod und Pestilenz, ich werde sie alle einzeln vergiften!

Sie rächt sich, sagt man.

Sie hat sich genug gerächt. Ich bin in aller Leute Mund, ich weiß mir nicht zu raten und zu helfen. Die Leute beschuldigen mich des Diebstahls in Ihrem Hause, sie sollen mir's doch beweisen! Aber jetzt habe ich an meinen Sohn Lassen geschrieben, er möchte kommen und mich frei machen.

Na, und Lars kommt also?

Lassen ist der Mann, der kommen wird, zu seiner eigenen Zeit und Stunde.

Nun begegnete Mariane Anton. Er hat seinen Stock aufgelesen und wartet auf sie. Auch er ist voller Anzüglichkeiten.

Ist die Sache mit dem Mann wie Gold in Ordnung?

Nein, die ist nicht in Ordnung. Und jetzt möchte ich Sie dringend bitten, mich nicht noch öfter solchen Unannehmlichkeiten auszusetzen.

Ich flehe Sie um allergnädigste Vergebung an!

Meine Vergebung hängt von Ihrem zukünftigen Benehmen ab.

Ich werde mich bessern. Gestatten Sie mir, auf Ihr Wohlwollen zu hoffen.

Mit ehrerbietigem Gruß ging Anton seines Weges hinunter zur Landungsbrücke und in sein Hotel. Aber als er hinter Deckung gekommen war und sich versichert hatte, daß Mariane ihm nicht nachschaute, ging er hinüber zum Fluß und schritt diesen entlang bis zur Ziegelei. Ohne weiteres öffnete er die Tür und trat bei Willatz ein.

Guten Tag, sagte er. Hier bin ich. Willst du etwas von mir?

Nein, erwiderte Willatz. Höchstens möchte ich dich bitten, nicht herzukommen und mich zu stören.

Du willst versuchen, darüber wegzureden, sagte Anton erbittert. Das soll dir nicht gelingen.

Deine Grobheiten lassen mich kalt. Sie berühren mich nicht, erwiderte der andere.

Anton war sehr erregt. Es soll dir nicht glücken, und wenn einer von uns auf dem Platze bleibt.

Es ist ein gewisser Sinn in dem, was du sagst, entgegnete Willatz; er überlegte und gebrauchte alle seine Einsicht. Dann sagte er: Nachher kannst du dich ja drinnen auf ein Sofa legen und ausschlafen.

Noch mehr Geschwätz! Also, ich bin nicht ans Boxen gewöhnt, an diese englische Fleischmühlenarbeit. Aber ich kann fechten.

Und ich bin nicht an die französischen Stricknadeln gewöhnt.

Nein, aber wir können doch wohl alle beide schießen?

Willatz lachte laut auf und sagte: Du bist einfach lächerlich! Aber einerlei, hast du denn etwas zum Schießen mitgebracht?

Nein. Aber da an der Wand hängen ja Revolver. Übrigens elende sechs Zoll lange Dinger.

Acht Zoll, verbesserte Willatz unparteiisch. Und er beschrieb die Revolver mit geduldigen Worten noch näher: Sieh sie dir an, sie sind blank und gefährlich.

Allein Anton war immer noch ärgerlich und erregt. Du hast sie vermutlich unbrauchbar gemacht, weil du mich erwartet hast, sagte er.

Das könnte nur gewesen sein, damit du dir nicht einen Schaden damit antust. Und nun, du verrückter Kerl, kann ich wohl jetzt erfahren, was dich zu mir herführt?

Ist dir das noch nicht aufgegangen? schrie Anton rasend. Ich will dich züchtigen.

Eine tiefe Blässe legte sich über Willatz' Gesicht. Er stand auf und sagte: Wenn ich dich nicht kennte, könnte ich dich ernsthaft nehmen.

Ich werde dich dafür züchtigen, daß du herumschleichst und spionierst! schrie Anton, ohne jede Selbstbeherrschung und sprang in die Höhe. Du hast keine Scham im Leib, du schleichst herum und spionierst  

Und nun geschah es, daß Willatz   dieser Mann, der mit lächerlicher Ruhe sprechen und schweigen konnte, der reden konnte, wie es ihm beliebte, der zuschlagen konnte oder es unterlassen   nun geschah es, daß er zuschlug. Und er traf gut. Aber Anton blieb nur einen Augenblick am Boden liegen, sofort sprang er wieder auf, starrte Willatz mit verstörten Augen an und zischte: Fleischhackmaschine! Dann ergriff er seinen Stock und schleuderte ihn aufs Geratewohl fort; ein Flakon fiel von einem Wandbrett herunter, ehe der Stock zur Ruhe kam. Anton sieht sich nach mehr Gegenständen um, die er schleudern könnte, als es ihm aber klar wird, daß er schon etwas getroffen hat, ja, daß er großartig glücklich gewesen ist und dem Gesicht seines Freundes etwas Blut abgezapft hat, verzichtet er darauf, ein altertümliches Pistol, das er plötzlich in der Hand hielt, auch fortzuschleudern. Er legte das Pistol weg und sagt zitternd vor Erregung:

Sieh her, ich schone sogar eine Fleischhackmaschine. Übrigens warst du ohne die Wunde schon widerlich genug. Das Unangenehmste ist mir das Flakon, dir selbst gönne ich alles, was du bekommen hast. Was kostet das Flakon?

Als er keinerlei Antwort erhielt, pustete er vor Verachtung, ja, er schnaubte vor Hohn und Erzverachtung. Merde! sagte er und ging.

Aber er drehte noch einmal um und sagte: Jetzt wird die Dame wohl gleich hier sein. Du hast sie natürlich herbestellt, damit sie dich wieder zusammenflicken kann. Pfui Teufel!

Anton ging wieder den Fluß entlang, um Mariane nicht zu begegnen, die von oben herunter kam. Er zitterte noch vor Wut. Mut hatte er, der Kerl, aber er schwatzte und zischte, er konnte kein Maß halten!

Was sollte er nun mit sich anfangen, bis das Postschiff kam? Sich im Hotel vergraben? Einen Augenblick kam er auf den Gedanken, er könnte für eine Stunde oder so zum Ladentheodor gehen; aber er gab diesen Gedanken gleich wieder auf und ging ins Hotel.

Er hätte nicht viel davon gehabt, wenn er jetzt in den Laden gegangen wäre, er wäre mitten in ein großes Durcheinander von Kisten und Tonnen, lauten Befehlen und großer Packerei hineingeplatzt   Theodor zog heute in seinen neuen Kramladenpalast um. Er hatte vielerlei Mannschaft zur Hilfe aufgeboten, darunter auch Julius.

Natürlich meinten alle miteinander, der neue Laden sei lächerlich groß; aber Theodor war größer als alles, denn er sah jetzt schon den Tag voraus, wo er auch diesen neuen Laden vergrößern mußte. Es ließ sich auch gar nicht leugnen, er hatte eine unglaubliche Menge Waren erhalten und brauchte Raum.

Und der alte Laden, der Laden der Fräulein Jensen und des Rechtsanwalts Nasch? Ja, der stand Wand an Wand mit dem neuen und war eben auch da, Theodor wollte ihn nicht zugrunde richten, die Familie konnte ihn gerne haben. Indessen war die Sache so, daß Theodor selbst ihn besaß, seine Werte darin stecken hatte; der Laden war sein Pfand, so lange er nicht ausbezahlt war, und er hatte also guten Grund, den alten Laden unberührt stehen zu lassen. Aber das sollte nicht lange dauern. Du liebe Zeit, die letzten Geschäftsreisenden hatten ja nichts an die beiden Fräulein Jensen verkauft, sondern alles an Theodor. Sie hatten die Damen besucht, hatten mit der größten Höflichkeit ihre Karten abgegeben, aber weiter konnten sie nicht gehen: sie verkauften an den jungen Herrn Jensen, der ihr alter Kunde war, es war Geschäftsgrundsatz, am selben Platz nicht an zwei Konkurrenten zu verkaufen. Die beiden Fräulein Jensen nickten nur beleidigt und warfen den Kopf zurück. Ach bitte, sorgen Sie doch nicht für uns, wir bekommen alle Waren, die wir nötig haben, wir kaufen gegen bar. Die Damen waren guten Muts, aber sie hatten nicht wie Theodor Handel und Wandel in den Fingerspitzen, sie warfen zu häufig den Kopf zurück und hatten nicht die nötige Gutmütigkeit, die das wieder ausglich. Kam eines der Segelfosser Mädchen zu den Fräulein Jensen und wollte sich Hemdentuch besehen, so konnte sie leicht folgenden Bescheid erhalten: Wir selbst verwenden nicht sehr viel feineres Tuch für unsere Wäsche, und da sollte dir dieses hier nicht fein genug sein? Theodor merkte gleich, daß das nicht taugte, er machte es besser, er führte Aufschreibbücher ein für solide Mädchen, die einen Dienst hatten, und da konnte ein Mädchen dem andern sagen: Erst gestern hat mir Theodor angeboten, meine Einkäufe in ein Buch schreiben zu lassen und monatlich zu bezahlen. Denn es ist ja viel einfacher, Fräulein Palästina, hat er sogar gesagt.

Theodor Jensens Laden war wirklich sehenswert: große Fenster mit großen Scheiben und helle Wände und Glasschränke mit Messingstangen davor. Was glaubst du, was das gekostet hat? fragte Theodor. Er hatte sich alles selbst ausgedacht, damit es wie in anderen Städten werde, das heißt, er hatte an dem Telegraphenbeamten Baardsen eine gute Hilfe gehabt. Dieser sonderbare Müßiggänger und Nachtschwärmer hatte für Theodors Streben immer mehr und mehr Teilnahme gezeigt   um der guten Eigenschaften der Jugend willen, sagte er   und gab ihm häufig einen ausgezeichneten Rat. Halten Sie die Messingstangen blank, wenn nicht, so werfen Sie lieber die Glasschränke wieder hinaus, sagte er. Theodor dachte wohl auch daran, daß dieser Baardsen die Wunder auf dem Eiderdaunenfest ins Werk gesetzt hatte, obgleich er keine Kleider hatte, um selbst mit dabei sein zu können.

Das Eiderdaunenfest   noch immer sprachen die Leute davon. Was glaubst du, daß das gekostet hat? fragte Theodor. Er gab eine Summe an, Hunderte, einen ganzen Haufen Geld. Er hatte keine Kontrolle zu fürchten, wer kannte die Preise eines Feuerwerks? Aber ihr habt ja selbst gesehen, was ich mit dem Himmel gemacht habe, sagte Theodor.

Und dennoch war Theodor nicht mehr derselbe Mann, der er am Tage des Eiderdaunenfestes gewesen war. Wenn nur das Fest gar nicht stattgefunden hätte! dachte er wohl zuzeiten. Eine solche Bitterkeit, wie sie ihn ergriffen hatte, die war nichts Gutes, sie versetzte ihm den Atem und verwandelte ihn ganz. Ach, dieser Theodor, der wahrhaftig ganz anders hätte sein sollen, er vergrub sich zuweilen in die Einsamkeit und tat, was er konnte: er fluchte gewaltig. Menschenkenner und Menschenbeurteiler hätten sich verwundert über solche Kleinheiten und Begrenztheiten eines tüchtigen Jünglings. Wo wollte er hin? Man verschenkt nicht an einem Eiderdaunenfest kostbare Taschentücher. Baardsen hätte ihm von jedem Versuch dazu abgeraten, hätte das Ganze einfach zu Tode gelächelt. Was hätte es ihr geschadet! wiederholte sich Theodor immer wieder. Er hatte kein Gefühl dafür, daß man sich wohl für eine Stecknadel bedanken kann, aber fünfunddreißig Kronen ablehnen muß. Nein, er fühlte nichts, als die schmähliche Abweisung.

So leb denn wohl und sei glücklich! hätte er auch jetzt wieder sagen und die Sache auf sich beruhen lassen sollen. Und die Zeit heilt unweigerlich alle Wunden. Ja, man sollte so vieles richtig sagen und tun.

Übrigens hatte das berühmte Fest nicht das eingebracht, was es hätte einbringen sollen. Der Kollege Anton Coldevin war wieder abgereist, ohne ein täglicher Umgangsfreund geworden zu sein. Und die Segelfosser Zeitung hatte das Fest mit keinem Wort erwähnt. Das waren Gründe genug zur Bitterkeit. Und alles das muß in Betracht gezogen werden, wenn man ein Urteil über Theodors Vorgehen gegen seine jungen Schwestern fällen will. Er ließ sie ein paar Tage lang das Geschäft führen, ließ sie ruhig das Wenige verkaufen, was sie verkaufen konnten. Dann aber kam er mit dem Lensmann und legte Beschlag auf das bare Geld. Auf dieses selbe Geld, mit dem die Damen und der Rechtsanwalt Waren kaufen wollten.

Diese Wichtigtuerei! sagten die Schwestern. Der Rechtsanwalt wurde geholt. Kommt, wir wollen es einmal durchsprechen! sagte der Rechtsanwalt. Das bare Geld muß eingeschrieben werden, wie es eingeht, sonst schreibt der Lensmann alles auf, was noch vorhanden ist, und schließt den Laden zu, sagte Theodor.

Der Lensmann stand dabei und sah alle miteinander verzagt und gutmütig an und hatte gar keine Lust, einzutreiben und Geld zu verdienen, er suchte zu vermitteln: So und so, jedem etwas, beide Parteien sind ja eine Familie  

Familie! fiel der Rechtsanwalt ein. Hier haben wir nicht das, was man unter einer Familie versteht.

Die täglichen Ausgaben müßten abgezogen werden, fuhr der Lensmann fort; eine angemessene allmähliche Abzahlung aber  

Beide Parteien waren gleichmäßig unzufrieden. Theodor erklärte kurz: Nein. Und der Rechtsanwalt tat dasselbe. Das ist ein Versuch, das Geschäft lahmzulegen, erklärte er. Und zum Lensmann sagte er erbittert: Und Sie, Lensmann, kommen mit Ihren angemessenen Abzahlungen daher, jetzt ist's genug; die Bank muß innerhalb vierundzwanzig Stunden ihr Geld haben. Verstehen Sie!

Der Lensmann verstand. Und obgleich er nicht hätte stottern sollen, weil das erbärmlich war von einem Mann der doch ein Pferd besaß, das er verkaufen konnte, ja, obgleich das keinen guten Eindruck auf einen Mann wie den Rechtsanwalt machen konnte, so brachte der Lensmann doch nicht mehr heraus als: Ich will zusehen   es muß Rat geschafft werden   ich habe ein Pferd  

Aber Demut machte auch jetzt wieder einen guten Eindruck auf Rechtsanwalt Rasch, seine Erbitterung legte sich ein wenig, so daß er sagen konnte: Ein Pferd   wer wird denn jetzt ein Pferd kaufen und es über den Winter füttern? Sie hätten es im Frühjahr verkaufen sollen.

Jawohl, aber wegen der Ernte  

Ja, ja, ja, es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.

Aber der Lensmann brachte es doch fertig, ehe er ging, zwischen beiden Seiten ein wenig zu vermitteln und eine Einigung über einen gewissen Prozentsatz der Eingänge als Abbezahlung für Theodor zu erzielen. Jawohl; allein das war nur ein Aufschub, das Geschäft war verurteilt.

Der Lensmann begab sich dann nach seiner Gewohnheit zu Herrn Holmengraa. Diesmal hatte er überdies gestern ein Brieflein von Fräulein Holmengraa erhalten, daß sie ihn sprechen möchte, sobald er in diese Gegend komme, und daß er sie doch nicht bis ins Endlose warten lassen solle!

Mariane kam sofort zur Sache. Sie war gewiß vergnügt, sie lächelte. Lensmann, ich habe einen Brief erhalten, wollen Sie den Umschlag sehen? Was steht da?

Eintausend Kronen.

Ja, die sind gestern angekommen, und die Sache liegt so, daß Sie dieses Geld auf zwanzig Jahre erhalten. Sehen Sie, hier ist der Schein, ein Tausendkronenschein, den leihe ich Ihnen auf zwanzig Jahre, und Sie zahlen mir dann zweitausend zurück. Verstehen Sie, Lensmann?

Nein, der Lensmann verstand nicht.

Das Geld gehört mir. Ich könnte Ihnen den Brief zeigen, der mit dem Geld gekommen ist, er ist von einem Geschäftshaus, ich hab ein Geschäft gemacht, aber heimlich, Sie dürfen darum den Brief nicht sehen. Und jetzt hab ich alles gesagt, was ich darüber sagen will, ich hab es mir eingeübt, als ich Sie kommen sah, so kurz als möglich. Denn es ist mir peinlich, lange darüber zu reden, sagte Fräulein Mariane.

Ich lebe keine zwanzig Jahre mehr, erklärte der Lensmann.

Doch, behauptete Fräulein Mariane.

Der Lensmann murmelte einen Dank und daß es unleugbar   aber eine so große Hilfe   eine Summe  

In diesem Augenblick schickte der Vater nach seiner Tochter und rettete sie dadurch. Vielleicht war es eine abgekartete Sache, der Vater half seiner Tochter häufig in ihrem Spiel. Ich möchte nur wissen, warum mich Papa wieder plagt, der Witzbold! sagte sie. Sie glitt sofort zur Tür und grüßte zurück: Leben Sie wohl, Lensmann! Verzeihen Sie, daß ich Sie verlassen muß. Und kommen Sie bald wieder, hören Sie!

Der Lensmann ging mit seinem Schatz den Hügel hinunter und dachte an allerlei und rechnete hin und her und verkaufte sein Pferd nicht. Ein solches Pferd verkauft man nicht, das ist unbezahlbar. Aber mit einem Tausendkronenschein konnte er dem Rechtsanwalt nicht kommen, der würde sofort merken, wo er herrührte, er würde ihn verraten, würde ihn bloßstellen; er ging zu Theodor im Laden und ließ den Schein wechseln.

Wo sind Sie inzwischen gewesen? fragte Theodor verblüfft. Seinem hellen Kopf war sofort alles klar; da er aber keinen Grund hatte, sich über die Guttaten der Familie Holmengraa zu äußern, schwieg er plötzlich und sagte nur: Es geht mich ja nichts an. Einen Tausendkronenschein wechseln? Gerne. Zwei, wenn Sie wollen.

Theodor war guter Laune. Während der Stunde, die Sie weggewesen sind, hat sich hier etwas ereignet, erzählte er dem Lensmann. Mein Vater hat erfahren, wie die Sachen stehen, und da hat er wieder einen Schlag bekommen. Leider, sagte Theodor. Ich habe zum Doktor geschickt.

Wieder einen Schlag?

Ja, leider, antwortete Theodor. Und ich erwarte den Rechtsanwalt demnächst, vielleicht heute noch, er soll nur herkommen und nachgeben und um gut Wetter bitten. Was kann er machen? Alle Wege sind ihm verschlossen! So, Sie sagen, er werde nicht kommen und nicht nachgeben?

Ich meinte nur, das sähe ihm nicht gleich.

Ich werde schon machen, daß es ihm gleichsieht! erklärte Theodor. Was, zum Kuckuck, ein solcher Schmerbauch wälzt sich dazwischen und will neben mir Handel treiben! Was ich sagen wollte, Lensmann, muß man Erlaubnis zum Theaterspielen haben? Die Künstler schreiben mir, daß sie jetzt wiederkommen wollen.

Sie können gewiß ruhig spielen. So, sie kommen also wieder?

Auf ihrem Weg nach Süden. Diesmal haben sie ein neues Stück; es heißt: »Über die Gartenmauer«. Es wird viel darin gesungen, sie fragen an, ob ich ein Klavier habe. Natürlich habe ich ein Klavier.

Theodor wuchs mehr und mehr in die Höhe, diese letzte Stunde war wohl das reine Wachswetter für ihn gewesen: Einen Tausendkronenschein wechseln? Gerne, zwei, wenn Sie wollen. Klavier? Er hatte schon längst eines und war gerade in der Stimmung, noch ein zweites anzubieten. Nun wollte er sofort Arbeiter anstellen, die den Weg zum Theater in Ordnung bringen sollten, damit Fräulein Sybille Engel sich nicht noch einmal den Fuß übertrete. Er wollte auch dem Schuhmacher Nils Botschaft senden, daß er jetzt wieder zwei Kronen verdienen könne. Gib Julius und den andern einen Schluck Traubensprit, wenn sie schließen! rief er dem Ladendiener Kornelius durch die Kontortür zu. Feuer und Flamme, höchster Betrieb! Und es war gut und aufmunternd für die Menschheit, daß jemand Feuer und Flamme war.

Brauchte nicht der Schuhmacher Nils eine Aufmunterung? Ach und wie sehr! Die gute Frau Rechtsanwalt Rasch hatte ihn allerdings nicht vergessen, sondern ließ ihn oftmals einen kleinen Kinderschuh in einem großen Pack mit heimnehmen und mit einen Kehrbesen wiederkommen. Aber der Schuhmacher Nils wurde nicht fetter davon, nein, es war ihm gar nicht anzusehen, im Gegenteil, je länger es dauerte, desto greulicher schrumpelte er ein. Frau Rasch hatte auch Jung-Willatz veranlaßt, an Mr. Nelson in Amerika zu schreiben, aber es war keine Antwort gekommen. Vielleicht ist Ulrich bereits auf der Heimreise, meinte Schuhmacher Nils. Lange Zeit hatte er auf einen Basar des Vereins für das Wohl der Stadt Segelfoß gehofft. Ja, wie ein Hund hätte er sich gerne dazu herangeschlichen; er hatte Gott darum angefleht, aber es war nichts daraus geworden. Die Sache scheiterte an der Raumfrage. Der Rechtsanwalt konnte sich nicht überwinden, diesem Theodor, dieser Ladenmaus, diesem Emporkömmling sein Theater für diesen Zweck abzumieten, und außerdem sollte auch niemand denken, dieser Raum sei ein Theater, nein, es war nur ein Bootsschuppen. Der Verein für das Wohl der Stadt Segelfoß mietet nicht einen Bootsschuppen für seinen Basar, mein lieber Nils!   Nein, natürlich nicht! sagte der Schuhmacher Nils und lächelte welk und stimmte ganz mit dem Rechtsanwalt überein. Aber auf diese Weise verdiente er nichts.

Der Lensmann ging nach Hause. Das heißt, er ging zuerst zum Rechtsanwalt und bezahlte seine Schuld. Da sehen Sie, was es nützt, wenn man streng ist! sagte der Rechtsanwalt. Werden Sie jetzt auch mit der Revision fertig, wenn sie kommt?   Ich hoffe sie jetzt wie früher zu bestehen, erwiderte der Lensmann.   Na, haben Sie sich so herausgemacht? sagte der Rechtsanwalt über den zuversichtlichen Ton seines Opfers gekränkt. Aber dann hätten Sie die Sache auch bei mir früher ins reine bringen können.   Ich werde versuchen, Ihnen nie mehr etwas schuldig zu bleiben, das ist mein Vorsatz, erklärte der Lensmann.

So hatte er nun doch wohl endlich eingesehen, daß er mehr Geld verdienen und seine Kasse besser in Ordnung halten mußte. Es war Zeit dazu. Er sah sehr fest und bestimmt aus, als er den Rechtsanwalt verließ, und ging schräg zum Hotel hinüber, um von Julius innerhalb vierundzwanzig Stunden das Auktionsgeld zu verlangen. Als er aber an die Tür kam, sah er nach der Uhr und entdeckte, daß er durchaus keine Zeit mehr habe, heute noch ins Hotel zu gehen. Er machte sich auf den Heimweg und schlenderte zum Schuhmacher Nils. Er wollte es doch noch einmal versuchen, den Schuhmacher zum Arbeiten zu bringen. Aber er hatte wieder kein Glück damit.

Ich schustere ja nicht einmal mehr für mich selbst, gab Nils zur Antwort und zeigte dem Vorsteher, daß er fertiggekaufte Stiefel aus dem Laden an den Füßen hatte. Das war einer der letzten Einkäufe gewesen, die er sich im Sommer von dem wunderbaren Märchengeld geleistet hatte. Sie fingen allerdings schon an, an den Nähten etwas aufzuplatzen und dünne Sohlen zu bekommen, aber es waren doch leichte und angenehme Sommerstiefel, obgleich es Herbst geworden war. Schuhmacher Nils konnte wie der Wind darin laufen. Es gibt noch mehr solche Stiefel im Laden, sagte er zum Lensmann.   Ja, aber das sind keine passenden Stiefel für mich, Nils.   Und kurzum, sagte Nils, soeben habe ich Nachricht von Theodor bekommen, daß jetzt wieder Theater gespielt wird, und es ist niemand anders da, der die Eintrittskarten und die ganze Abrechnung übernehmen kann.   Was bekommst du für so einen Abend? fragte der Lensmann.   Zwei Kronen, antwortete Nils, ohne sich zu besinnen.

Ach, er war wohl an einem nebeligen Tage von zu Hause weggefahren und fand den Heimweg niemals mehr!

Der Lensmann begegnete unterwegs dem Gig des Doktors und zog seine Mütze.

Guten Tag, Lensmann! gab der Doktor den Gruß zurück und hielt an. Ich möchte die Gelegenheit benützen, auch Ihnen Lebewohl zu sagen, denn ich reise in den nächsten Tagen ab. Vielen Dank für alles, Lensmann, und bitte, grüßen Sie auch die Ihrigen bestens von mir. Ja, nun ist es soweit, aber ich darf mich rühmen, daß ich meine Pflicht getan und meine Zeit hier im Norden abgedient habe. Auf der faulen Haut habe ich jedenfalls nicht gelegen, und ich mache jetzt noch einen Krankenbesuch, sozusagen auf dem Fallreep. Man hat mich zum Per im Laden gerufen, zum alten Jensen im Laden, ein bedauernswerter Mensch, schon eine lange Reihe von Jahren krank. Ich habe alles getan, was die Wissenschaft tun kann, er hat, was wir Ärzte Hemiplegia heißen, Lähmung auf einer Seite des Körpers. Nun bekomme ich heute Botschaft, daß etwas Neues dazugetreten sei, aber ich kann mich nicht darüber aussprechen, was es ist, bis ich eine genaue Untersuchung vorgenommen habe. Denkbar wäre eine zerebrale Lähmung. Leben Sie wohl, Lensmann! Ach, wie wohl wird mir sein, wenn ich wieder in den Süden und nach Christiania komme und mit meiner eigenen Familie zusammen sein werde! Nur allein die Hoffnung auf diesen Augenblick hat mich all diese Jahre her aufrecht erhalten. Jetzt bringe ich, Gott sei Dank, eine Summe von Erfahrung mit, die nun meinem eigenen Landesteil zugute kommen soll.

Der Doktor fuhr weiter; er kam in den Kaufladen, stieg ins obere Stockwerk hinauf, schnüffelte in der schlechten Luft und befahl, ein Fenster zu öffnen. Er nahm seinen Überzieher ab, rieb sich die Hände und untersuchte seinen Patienten. Gewiß war der alte Per krank, aber einen neuen Schlag hatte er nicht gehabt, nein, das wollte er sich auch verbeten haben. Er war von etwas erschüttert worden und hatte gewaltig gebrüllt. Erklärlicherweise hatte ihn das Unglück des Geschäfts gehörig gepackt und ihm für einen Augenblick den Sinn verdüstert. Man gibt einen glänzenden Racheplan nicht auf, ohne einen Knacks zu bekommen.

Aber der alte Per lag nicht auf den Tod. Er war nur noch fürchterlich erregt. Der Laden! stöhnte er. Und dann die dumme Kuh von einem Weibsbild! sagte er.   Ja, ja, und nun will ich Ihnen was zum Schlafen geben! sagte der Doktor beruhigend. Er wog mit äußerster Genauigkeit ein wenig Bromkalium ab, als ob ein Gran zu viel den Tod bringen könnte. Und dies hier soll er dann heute abend nehmen, sagte er zu den dabeistehenden Fräulein Jensen. Bringen Sie mir einen Eßlöffel, damit ich die Größe sehen kann, sagte er. Ja, der ist recht. Nun werde ich ihm zum erstenmal selbst eingeben, damit Sie sehen, wie Sie es heute abend machen müssen!

Als der Doktor fertig war und herunterkam, stand Theodor da und wartete auf den Bericht.

Nein, eine neue Lähmung ist es nicht, sagte der Doktor. Aber der Kranke muß Ruhe haben. Sollte eine Verschlimmerung eintreten, so senden Sie mir sofort Bescheid.

Und Doktor Muus ging mit höchst gemessenen Schritten zu seinem Gig hinüber.

Theodor blieb allein zurück. Diese neue Heimsuchung des Vaters hatte ihn wohl ein wenig gebeugt und ein wenig zerschmettert; er war still, als er hineinging und dem Ladendiener Kornelius Gegenbefehl gab. Es sei nicht angemessen, den Knechten heute abend noch einzuschenken, denn es gehe seinem Vater schlechter, sagte er.   Geht's zum Sterben? fragte Kornelius.   Theodor antwortete: Der Kranke soll Ruhe haben. Übrigens habe ich noch niemals gehört, daß ein Kranker nicht hätte Ruhe haben sollen, sagte er.

Theodor war längst nicht mehr in derselben Stimmung wie am Vormittag, und wäre es ihm nicht um die Leute gewesen, so hätte er am liebsten das Grammophon aufgezogen und sich eine Weile den Krönungsmarsch vorspielen lassen. Aber seine Niedergeschlagenheit sollte nicht lange dauern, es kam eine Botschaft vom Rechtsanwalt, überbracht von dem Dienstmädchen Florina.

Wissen Sie, wo sich Herr Didriksen aufhält? fragte sie, um in erster Linie ihre eigenen Angelegenheiten wahrzunehmen.

Didriksen? Was willst du von ihm?

Ich habe schon lange an ihn geschrieben und keine Antwort erhalten. Ich will nur wissen, wo er ist.

Wozu denn? Das Geld liegt hier bereit, wenn die Zeit kommt, das habe ich dir ja gesagt.

Ja, aber ich will nicht länger warten. Das können Sie ihm ausrichten.

Ich werde mich hüten.

Schweigen. Florina hat wohl nicht viel Schamgefühl in sich, denn sie sagt:

Na ja, dann schreibe ich an seine Liebste, ich weiß, wie sie heißt.

Jetzt hör' auf, Florina, das sag ich dir! erklärte Theodor feierlich. Wenn du der feinen Dame gegenüber mit Mund oder Feder ein Wort verrätst, so wirst du dich gehörig brennen.

Ich habe keine Achtung vor Euch! rief Florina und sah Theodor wütend an.

Das war so ziemlich das Schlimmste, was man dem Ladentheodor ins Gesicht schleudern konnte; das ertrug er nicht, das erniedrigte ihn zu etwas Gewöhnlichem und Geringem.

Ich werde dich hinauswerfen! rief er blaß vor Entrüstung. Und dann kommst du mir nicht wieder herein.

Florina merkte, daß es Ernst war, und sagte:

Ich komme im Auftrag des Rechtsanwalts. Ob Ihr Euch nicht auf seinem Kontor einfinden möchtet?

Theodor bedachte sich eine Weile.

Vom Rechtsanwalt? Ob ich mich bei ihm einfinden wolle? Nein!

So war der Auftrag.

Du kannst den ganzen Rechtsanwalt von mir grüßen und ihm sagen, wenn er etwas von mir wolle, so könne er zu mir kommen!

Florina schnitt ein höhnisches Gesicht zu der Großartigkeit des kleinen Mannes. Das war genug, Theodor packte sie am Arm und schob sie zur Tür hinaus.

Ich werde den Gruß schon ausrichten! rief sie Theodor drohend zu.

Aber es mußte dem Rechtsanwalt doch wichtig genug vorgekommen sein, Theodor bereits an diesem Nachmittag zu treffen, er kam wirklich in den Laden hereingestapft und machte als Einleitung die Bemerkung, es sei mit der Höflichkeit der jungen Burschen nicht mehr weit her. Theodor stand gerade vor dem Ladentisch mit einem Halbmeterstab in der Hand, und so ein guter Halbmeterstab ist bekanntlich aus Eschenholz. Er trat dem Rechtsanwalt einen Schritt näher und fragte, ob er etwas von ihm wolle? Jawohl, antwortete der Rechtsanwalt, und er sagte nun gleich lieber ohne Umschweife, daß sich das alte Geschäft ergeben müsse.

So rasch? Was in aller Welt! Ho, Theodor durchschaute den dicken Mann sofort: Der Rechtsanwalt hatte vermutlich gedacht, es sei jetzt schon Gefahr, daß er um seine Gebühren kommen könne!   Darüber mußte Theodor in der Stille lächeln, da kannte er das alte Geschäft besser.

Dabei ist nichts zu lachen, sagte der Rechtsanwalt und klirrte mit seinen Schlüsseln. Übrigens beabsichtige ich nicht, hier stehen zu bleiben und mit Ihnen zu verhandeln, wollen wir das nicht lieber unter vier Augen tun?

Nein, entgegnete Theodor, bei Ihnen will ich Zeugen haben.

Ein böses Lächeln glitt über die Züge des Rechtsanwalts, und er erwiderte:

Der heutigen Jugend fehlt wirklich die gute Erziehung. Sie verlangen höchst ungezogenerweise von mir, zu Ihnen zu kommen, um mit Ihnen zu verhandeln, schämen Sie sich denn nicht? Wäre es nicht um Ihrer Eltern und Schwestern willen, so hätten Sie bis ans Ende der Tage auf mich warten können. Übrigens habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen und will nichts mehr mit Ihnen zu schaffen haben. Nach der schlimmen Wendung, die es heute mit Ihrem Vater genommen hat, habe ich ihm und Ihren Schwestern geraten, die Sache selbst mit Ihnen zu ordnen. Das Resultat, auf das ihr euch einigt, wird dann endgültig sein, und was geschrieben werden muß, werde ich schreiben. Meiner Ansicht nach ist es das Beste, wenn ihr euch gütlich vergleicht. Natürlich übernehmen Sie alle Waren im Laden.

Ja.

Und zu einem anständigen Preis. Das tun Sie ja selbstverständlich. Und den Laden kaufen Sie ja doch auch.

Nein, erwiderte Theodor.

So?

Es ist eine alte Baracke. Ich habe, wie Sie wissen, mein eigenes Haus, und was glauben Sie, daß das gekostet hat? Nein, Sie und die andern alle haben mich aus dem alten Laden vertrieben, da hinein gehe ich nicht mehr.

Aber das war nur ein schlaues Geschwätz von Theodor. Weshalb hätte er denn sonst den neuen Laden Wand an Wand mit dem alten gebaut? Wollte er denn nicht beide Häuser vereinigen, sobald die Zeit dazu gekommen war?

Aber ich kann den alten Laden mieten, sagte er.

Da wurde der Rechtsanwalt wirklich ängstlich, und vielleicht dachte er an seine Gebühren: Das einzige, was mir am Herzen liegt, sind Ihre Angehörigen. Was soll aus ihnen werden? Wenn sie ihre Güter nicht preiswert verkaufen, ist mir nicht klar, wovon sie künftig leben sollen.

Meine Angehörigen hätten es haben können, wie sie es vorher gehabt haben.

Ja, sagte der Rechtsanwalt, so, wie die Umstände sich jetzt gestaltet haben, wäre es allerdings das beste gewesen, das gebe ich zu.

Ho, der verfressene Rechtsanwalt zerdrückt, zerquetscht, der Schmerbauch, das Mastschwein! Nun war Theodor sein Herr. Er fragte mitleidig: Wieviel wollen Sie denn für den alten Laden haben, für den Fall, daß ich  

Ich habe mit Ihren Angehörigen darüber gesprochen und wir meinten   Ihr Vater meinte dreitausend.

Sonderbar, jetzt eben hatte Florina den jungen Herrn Didriksen wieder ans Tageslicht gebracht, wie würde der in solcher Lage gehandelt haben?

Ich werde dreitausend dafür geben, sagte Theodor.

Der Rechtsanwalt betrachtete dies wie einen persönlich errungenen Sieg und sagte: Sieh doch, Sie lassen also mit sich reden! Ich habe Ihnen nicht vergebens einen unparteiischen Überblick über das Ganze gegeben.

Was, wurde der Rechtsanwalt auf einmal wieder der Alte und fing an, mit den Schlüsseln zu klirren!

Sie haben mir überhaupt keinen Überblick gegeben, sagte Theodor, und Sie können jederzeit Ihrer Wege gehen.

Ja, sagte der Rechtsanwalt verblüfft. Jawohl, es wird das beste sein, daß Ihre Angehörigen nun weiter auf meiner Grundlage verhandeln. Schließlich ist es doch eine einzige Masse; die Rechnungen werden davon bezahlt, mein kleines Guthaben wird auch davon abgezogen. Aber dann wird es geteilt, ein Teil Ihren Eltern, ein Teil Ihren Schwestern. Sie selber verzichten doch auf die Erbschaft?

Selbstverständlich.

Gut; gerade das habe ich noch ins reine bringen wollen. Wenn die Waren gezählt und abgeschätzt werden, stelle ich Ihnen meinen Beistand wieder zur Verfügung. Ist es Ihnen recht so?

Schwatzen Sie nicht länger! sagte Theodor. Ich gebe meiner Familie alles, was sie beanspruchen kann, ja noch mehr als das, auch ohne Ihren Beistand.


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