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Die Kaulquappen wollen auf einmal alle Frösche sein.

Während ich noch so dachte, schwamm ich rasch davon.

»Sieh da, Frau Frosch,« rief eine Stimme, und im Nu war ich von einer großen Schar meiner Unzähligen umringt.

»Grüß Gott, Frau Frosch,« riefen sie fröhlich, »du kannst aber prächtig schwimmen.«

»Und springen auch,« sagte ich vergnügt, denn als ich die lustige Schar um mich sah, war ich sogleich wieder guter Dinge.

»Wer hat dich alle deine Künste gelehrt? Sag, wer hat sie dich gelehrt,« riefen die Kleinen durcheinander.

»Ja, wer hat sie mich gelehrt,« dachte ich. Aber plötzlich war mir alles klar, und ich rief mit lautem Quacken:

»Die Räuber haben sie mich gelehrt, die guten Räuber und die Not, die heilsame Not.«

Da lachten all die Kleinen laut auf, als sie das hörten und schwammen durcheinander und riefen:

»Die guten Räuber, die heilsame Not! Oh, die guten, guten Räuber, die liebe, prächtige Not! Ach, Frau Frosch, du bist doch immer guter Laune. Die guten Räuber und die heilsame Not! Und wieder lachten sie und wollten gar nicht aufhören. Ich mußte auch ein wenig mitlachen, aber dann sagte ich:

.

»Glaubt ihr, ihr könntet so geschwind schwimmen und so flink ausweichen und so vortreffliche Schlupfwinkel hier im See finden, wenn nicht Dytiscus und seine Larven und –«

»Und Frau Frosch selbst,« fiel ein kleiner Schelm ein.

»Ja,« fuhr ich fort, »und Frau Frosch selbst euch etwas Angst eingejagt hätten?«

»Nein, nein,« rief die ganze Schar, »ihr seid alle vortreffliche Räuber und Lehrmeister.« Und damit fingen sie wieder zu lachen an.

Aber ich fuhr fort: »Wenn ihr immer mühelos euer reichliches, gutes Futter gehabt hättet, so daß euch niemals der Hunger gequält haben würde, was wäret ihr dann geworden?«

»Satt,« rief ein ganz kleines Ding, »satt wären wir geworden.«

»Und dumm,« sagte ich, »dumm und gedankenlos und unverständig. Der Hunger lehrte euch erst, was es alles in eurem eigenen See gibt, und der Hunger wird euch noch so manches lehren, was ihr heute nicht versteht.«

»Ach, der gute Hunger!« riefen und lachten die Unzähligen durcheinander, »der gute, prächtige, liebe Hunger! Ach, Frau Frosch, wie bist du doch komisch!«

Ich lachte auch, aber begann mir dabei meine Jugendschar etwas näher anzusehen. Die Kleinen waren gewachsen und hatten sich sehr verändert, einige bis zur Unkenntlichkeit.

»Pfui!« rief ich und tat, als sei ich sehr erschrocken, »pfui, wie du aussiehst! Was sind denn da für häßliche Fäden an dir hängen geblieben? Das sieht ja abscheulich aus. Komm her, ich will sie abreißen!«

»Laß das, laß das!« schrie die Kaulquappe erschrocken, »das sind doch meine Beine, meine neuen feinen Beine.«

»Beine,« sagte ich erstaunt, »was fängst du mit Beinen an? Was soll eine Kaulquappe mit Beinen? Nein, pfui, Beine sind nur lästig, so sagte mir einmal eine kleine Kaulquappe, und ich finde, sie hatte ganz recht.«

»Ich habe das nie gesagt,« versicherte das Kind und stellte sich stolz auf seine Hinterbeine, die lustigsten, schmalsten Hinterbeine, die ich je gesehen habe. Fein und dünn wie Fäden hingen sie von ihm herab.

»Das muß ein Dummkopf gewesen sein, der so etwas sagte,« rief eine andere Kaulquappe und drängte sich vor. »Sieh doch mich an. Sieh mal meine Beine! Ich habe jetzt richtige Beine und viele Beine. Die dort hat ja nur zwei kleine Stümpfchen.«

»Aber das ist ja ganz schrecklich,« rief ich, »hier ist noch eine Kaulquappe mit Beinen und noch dazu mit so vielen!«

»Ja, wirklich – lange dicke Hinterbeine hast du und kleine Vorderbeinchen – ja, was in aller Welt willst du damit anfangen, und was soll schließlich aus euch werden? Vielleicht Tausendfüßler?«

»Tausendfüßler!« riefen die Kaulquappen und lachten, aber sahen dabei ein bißchen verlegen aus, »Tausendfüßler, was ist das überhaupt, Tausendfüßler? Wir werden keine Tausendfüßler.«

»Aber was werdet ihr denn eigentlich?« fragte ich sehr ernst. »Etwas Merkwürdiges muß es sein, das sieht man euch an.«

Sie antworteten nichts, sondern schwammen kichernd und lachend durcheinander.

»Tausendfüßler einmal sicher nicht,« sagte schließlich eine und schwamm ganz nahe an mich heran.

Als ich den neuen Ankömmling sah, da war ich so erstaunt, daß ich rief:

»Liebe Kaulquappen, kommt doch her, kommt her und seht euch die an.«

Alle kamen rasch herbeigeschossen und beguckten sich die Kaulquappe, die eben gesprochen hatte.

»Was ist an ihr zu sehen?« fragten sie neugierig und schwammen um mich herum.

»Was ist denn so wunderlich an mir?« fragte die Kaulquappe und drehte sich ein bißchen ängstlich herum.

»Dein Mund,« sagte ich. »Liebes Kind, wie sieht denn dein Mund aus?«

»Mein Mund, mein Mund,« sagte die Kaulquappe und wendete sich von einem zum andern. »Ist mein Mund denn nicht ganz in Ordnung? Was fehlt ihm denn? Ich finde ihn ganz gut.«

»Gewiß ist er gut, sehr gut sogar,« riefen all die anderen Kaulquappen. »Frau Frosch ist in letzter Zeit so merkwürdig geworden.«

»Findet ihr wirklich, daß dieser Mund für eine Kaulquappe paßt?« rief ich. »Das kann ich nicht finden. Früher hattest du ein kleines süßes Mündchen, und was in aller Welt hast du jetzt? Eine große, breite Spalte. Der halbe Kopf ist ja aufgesprungen. Das ist ja greulich. Was hast du denn angestellt? Hast du dir den Mund aufgerissen? Oder hast du zuviel gelacht? Was ist dir denn passiert, du arme kleine Kaulquappe? Dein Mund geht ja von einem Ohr zum andern.«

.

»Ich bin überhaupt keine Kaulquappe,« sagte die Kleine in beleidigtem Tone. »Und arm schon gar nicht. Und ich will keinen süßen kleinen Mund. Mein Mund ist gut, so wie er ist, und so soll er bleiben. Ein breites Maul und ein großer Rachen – das gefällt mir.«

»Ja, uns auch, uns auch!« riefen die anderen, »breite Mäuler und große Rachen sind schön und gut. Was sollen wir denn mit kleinen, süßen Mündchen anfangen?«

»So sagt ihr, so, so, nur große Mäuler sind gut? Und du bist gar keine Kaulquappe? Aber was bist du denn eigentlich?« fragte ich und wandte mich plötzlich an das Froschkind mit dem großen Mund.

Das antwortete nichts, sondern schwamm flink davon.

Aber nach einem Weilchen hörte ich eine Stimme, die rief:

»Guten Tag, Mutter Frosch!«

»Wer ist denn das?« fragte ich und drehte mich rasch um.

»Ich bin es – ein Froschkind,« war die Antwort.

»Ein Froschkind,« rief ich. »Ein Froschkind, das ist das erste Froschkind, das ich in diesem Sommer getroffen habe. Wo bist du, wo bist du?«

Die Kaulquappen, die um mich herumschwammen, lachten laut.

»Dort ist das Froschkind,« sagten sie und wiesen auf ein Seerosenblatt, auf dem ein merkwürdiges kleines Geschöpfchen saß.

.

»Höre mal,« sagte ich, »hör mal, du arme, kleine Kaulquappe, weißt du nicht, wo mein Froschjunges ist, das mich eben gerufen hat?«

Das Kleine lachte, aber sagte nichts.

»Wo ist mein Froschjunges?« fragte ich wieder.

»Warum nennst du mich arm?« fragte die Kaulquappe, ohne auf meine Frage zu antworten.

»Bist du es denn nicht?« sagte ich bedauernd und versuchte, sehr betrübt auszusehen. »Bist du nicht zu bemitleiden? Du hast doch deinen Schwanz verloren, deinen feinen dünnen Schwanz, das beste, was ihr überhaupt habt, ihr Kaulquappen. Hat ihn dir ein Räuber abgebissen, oder wie hast du dich nur so arg verletzt? Du bist wirklich sehr zu bedauern, nicht wahr?« fragte ich die anderen Kaulquappen.

Sie schwammen in großen Scharen um mich herum und sahen bewundernd und ein ganz klein wenig neidisch die schwanzlose Kaulquappe an. Einige von ihnen waren noch ganz richtige Kaulquappen mit langen Schwänzen, dicken Körpern und kleinen Mündchen. Andere hatten schon schmale feine Hinterbeine, und einige hatten Hinterbeine und Vorderbeine. Bei manchen war der Schwanz lang und hoch, bei anderen wieder nur ein kurzes Stümpfchen. Sie sahen so drollig aus, daß ich nicht länger ernst bleiben konnte, sondern zu lachen anfing. Gleich lachten all die Kleinen mit und einige riefen:

»Mutter Frosch, Mutter Frosch, wir sind ja alle deine Froschkinder, alle, alle!«

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»Aha,« sagte ich, »endlich! Ihr wolltet doch etwas ganz anderes, Extrafeines sein! Nicht wahr?«

»Und nie, nie wolltet ihr eure schönen, prächtigen Schwänze hergeben und nie, nie wolltet ihr glauben, daß ihr einmal Frösche werden würdet, häßliche, schwanzlose, hopsende, langbeinige Frösche!«

Die Kleinen lachten. Ich wandte mich an das kleine Fröschlein auf dem Seerosenblatt.

»Aber komm jetzt rasch ins Wasser, liebes Froschkind – da du doch ein Froschkind bist. Du sitzest jetzt schon so lange da, daß deine Kiemen eintrocknen, und dann mußt du ersticken.«

»Hab keine Kiemen mehr,« sagte das Froschkind.

»Ich weiß, ich weiß,« sagte ich. »Sie hängen dir nicht mehr wie Fransen herab, das sagtet ihr ja, als wir uns zuletzt trafen, aber sie sind in einer Hauthöhle und das wäre ebenso gut, sagtet ihr.«

»Ich habe gar keine Kiemen mehr,« sagte das Froschkind, »und ich atme nicht im Wasser.«

»Nicht,« sagte ich, »ja wie atmest du denn?«

»Ich atme in der Luft wie du und alle andern großen Frösche,« sagte das Kleine, warf den Kopf zurück und steckte die Schnauze in die Luft. »Und ich gedenke jetzt aufs Land zu hüpfen und mich dort umzusehen. Ja, das gedenke ich zu tun.«

»Ich will auch auf dem Land herumhüpfen,« rief ein ganz Kleines, das noch lange nicht fertig war. »Ich bin so neugierig, so neugierig, ich möchte wissen, wie es dort oben ausschaut, und ich will alles sehen, was überhaupt zu sehen ist.«

.

»Aber, Frau Frosch,« rief ein anderes, »kannst du erraten, was das fertige Froschkind im Munde hat?«

»Es wird doch nicht etwa eine Zunge sein?« sagte ich und schnellte meine eigene Zunge heraus, wie damals im Frühling. Aber diesmal erschrack keines von ihnen, sondern alle, die auch nur das allerkleinste Stümpfchen von einer Zunge hatten, streckten es stolz heraus und warfen sich selbstzufrieden in die Brust.

»Natürlich muß man eine Zunge haben, wenn man erwachsen ist,« sagte eines.

»Ja, nicht wahr?« sagte ich, »das ist notwendig. Aber fragt niemals den Hund, wozu man seine Zunge verwenden soll.«

»Warum denn nicht?« riefen alle die Kleinen. »Und wer ist das überhaupt, der Hund?«

»Der Hund ist ein großes Wesen, das gar nicht weiß, was man mit seiner Zunge anfangen soll, aber das ist nicht zu verwundern, denn seine Zunge ist verkehrt angewachsen. Wozu soll eine Zunge, die ganz rückwärts im Munde sitzt, eigentlich gut sein?«

»Rückwärts angewachsen!« riefen die Froschkinder und dann lachten sie, und am allermeisten lachten die Kleinsten, die noch gar keine Zunge hatten.

»Aber woher weißt du denn das?« fragte dann eines.

Da erzählte ich ihnen von meinem letzten Abenteuer bei den Menschen. Als ich zu Ende gesprochen, rief ein Kleines:

»Ich will groß werden, ich will groß werden. Auch ich will durch die großen Graswälder hüpfen, ich will das Ehepaar Hirundo und den Hund kennen lernen, ich will mit der Fliege plaudern, und ich will den Menschen sehen.«

»Aber das ist gefährlich,« sagte ich, »es ist gefährlich, auf dem Lande herumzuhüpfen, da muß man sehr vorsichtig sein. Wir haben zahllose Feinde, auf der Erde, in der Erde und über der Erde.«

»Das macht nichts,« rief das Kleine, »lustig ist es doch. Nein, wie schön, daß wir doch schließlich Frösche geworden sind!«

»Ja, ist das nicht herrlich!« riefen alle die anderen.

»Aber die Frösche haben viele Feinde, zahllose Feinde, vor denen sie sich hüten müssen,« sagte ich noch einmal warnend.

Da lachte meine fröhliche Schar.

»Feinde! Aber, liebe Mutter, du sagst doch selbst, daß die Feinde und die Räuber unsere besten Lehrmeister sind. Da ist es doch gut, daß es so viele gibt. Wir haben keine Angst, wir sind aus dem Geschlecht der Frösche. Frösche sind immer ruhig, ruhig und zufrieden. Nicht wahr, alte Mutter Frosch?«

»Ja, ja,« sagte ich und lachte mir ins Fäustchen. Findest du nicht auch, daß es merkwürdig kluge Kinder sind, meine Unzähligen? Denk mal, kaum haben sie herausgefunden, daß sie Froschkinder sind, so wissen sie auch schon, wie Frösche sind und sein sollen. Ja, sie sind klug und tüchtig, meine Unzähligen – gescheite Kinder und schön – sehr schön!


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