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Die Froschkinder.

Ich war noch nicht weit gekommen, da hörte ich das Entengrün, Lemna, hinter mir lachen. »Was gibt's denn schon wieder?« fragte ich und drehte mich um.

»Wie sahen denn deine Unzähligen aus, als du sie zuletzt sahst?«

»Wie sie aussahen? Wie schwarze Pünktchen in gelben Kugeln, in prächtigen gelben Schleimkugeln, die ich ihnen als Wiegen gegeben habe.«

»Und die sie jetzt aufgefressen haben,« fiel eine kleine lichtgrüne Scheibe ein.

»Ja, das glaube ich schon,« sagte ich, »sie sind klug, meine Kinder, meine Unzähligen, die schlagen sich schon auf eigene Faust durch.«

Im selben Augenblick bemerkte ich etwas, was sich zwischen dem Entengrün bewegte, und da ich ziemlich hungrig war, tauchte ich ins Wasser, streckte meine Zunge aus, und wollte das kleine Ding eben verschlucken, als alle Entengrüne einen Schrei des Entsetzens ausstießen.

»Frau Frosch, Frau Frosch! Was fällt dir ein! Frau Frosch, halt ein!« Und ein Kleines schrie mit gellender Stimme: »Pfui, Frau Frosch! Pfui, pfui!«

Und da sah ich nun mit heraushängender Zunge und starrte die Entengrüne an, während das kleine Geschöpfchen, das ich eben verspeisen wollte, zwischen den Scheiben verschwand.

»Ja, was soll denn das heißen?« fragte ich und zog die Zunge mit einem Knall wieder ein, denn ich war etwas geärgert. – »Was meint ihr denn mit eurem Geschrei?«

»Aber hast du denn das kleine Wesen nicht erkannt? Hast du das kleine Wesen nicht erkannt, das du fressen wolltest? Aber, Frau Frosch!« riefen die Scheiben durcheinander.

»Na, das war doch eine ganz gewöhnliche kleine Wasserlarve, so eine geht bei mir gerade auf einen Bissen,« sagte ich unmutig, aber es war mir doch nicht ganz geheuer zumute.

»Es war doch dein eigenes Kind, dein eigenes Kind, eines deiner eigenen Unzähligen. O, Frau Frosch,« riefen die Scheiben und hüpften ganz ängstlich durcheinander.

»Hat man je so etwas gehört, seine eigene Familie aufzufressen!«

»Seine eigenen Kinder nicht zu erkennen!«

»Wozu hast du denn deine Augen, deine großen Glotzaugen, die du nach Belieben vorschieben und einziehen kannst,« schrien sie durcheinander.

Ich saß still und ließ sie schwatzen, bis sie müde waren. Ein bißchen verlegen war ich freilich, aber weißt du, es ist nicht immer so leicht, auf den ersten Blick eine Kindersorte von der anderen zu unterscheiden, nicht einmal für jemanden, der so vortreffliche, hervorschiebbare Augen hat wie ich. Und so sagte ich zu den Scheiben:

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»Wißt ihr, ich muß mich wirklich wundern, daß ich so blind sein konnte, das kleine Ding nicht gleich zu erkennen. Es bewegte sich doch so leicht und behend im Wasser und versteckte sich so geschmeidig und flink zwischen euch, als ich es erschreckte. Aber ich sage ja immer: Um Froschkinder braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die wissen sich schon selbst zu behüten.«

»Und das ist wahrhaftig ein Glück,« lachten die Scheiben, »denn sonst würden die Froschmütter sie auffressen.«

»Gewiß nicht,« sagte ich, ein wenig beleidigt, »ein kleiner Irrtum kann ja einmal passieren, wenn man hungrig ist und sich nicht die Zeit nimmt, genauer zuzusehen. Aber sonst ist es wirklich keine Kunst, unsere Kinder von denen anderer Leute zu unterscheiden.«

Als ich dies gesagt hatte, kroch ich auf einen Stein, denn das Geschwätz des Entengrüns fing an, mir lästig zu werden. Ich steckte das Maul über den Wasserspiegel, schlug die Nasenlöchergardinen zurück und sog die schöne frische Luft ein. Als ich ein Weilchen so gesessen hatte, ließ ich die Gardinen vor den Nasenlöchern wieder herab und tauchte ins Wasser. Es ist wunderlich, weißt du, so gern ich das Wasser auch habe, durch die Nase vertrage ich es nicht. Kommt es zur Nase herein, dann fange ich an zu nießen und zu pfauchen und zu pusten, und werde ganz wirr im Kopf. Darum muß ich immer meine Nasenlöcher verschließen, wenn ich ins Wasser gehe. Als ich nun untertauchte, sah ich mein kleines Junges, das mir entgegen schwamm. Ich verhielt mich ganz still, um es nicht zu erschrecken und sagte, so sanft ich nur konnte:

»Guten Tag, liebes Kind.«

»Wer bist denn du?« fragte das Kind und wich ganz geschwind nach der anderen Seite aus.

»Fürchte dich nicht,« sagte ich, »ich bin eine Froschfrau, und du bist ja ein Froschkind.«

»Ja, so sagen sie hier im See,« meinte das Kind, »aber wir, die anderen Froschkinder und ich, wissen gar nichts von alten Froschleuten.«

»Wir Alten sehen immer so aus,« sagte ich, »und wir haben euch die prächtigen Schleimkugeln vorbereitet.«

»So, so,« sagte das Kind, »danke. Für den Anfang war es ja nicht so übel.«

Da kamen drei, vier andere Froschkinder herangeschwommen, und ich hörte, wie sie miteinander flüsterten.

»Ach nein,« sagte schließlich eines, »das kann ich nicht glauben.«

»Ich auch nicht,« sagte ein anderes.

»Ich wollte es ihr nicht sagen,« flüsterte das erste, das ganz wie mein eigenes aussah. »Ich glaube, es könnte sie vielleicht beleidigen.«

»Aber ich sage es,« rief das Allerkleinste, und damit kam es näher an mich heran, schwamm rings um mich herum und beguckte mich von allen Seiten.

»Na, was willst du, Kleines?« fragte ich schließlich, als es gar nicht aufhörte, mich anzuglotzen.

»Wo ist denn dein Schwanz?« fragte das Junge.

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»Alte Frösche haben keinen Schwanz,« sagte ich.

Da schwamm das Kleine hurtig davon, zu den anderen hin, und sie flüsterten so eifrig und schrill, daß ich es hören konnte.

»Sie hat keinen Schwanz, sie hat es selber gesagt.«

»Ja, haben wir's uns nicht ohnehin gedacht?« riefen die anderen. »Kommt, schwimmen wir lieber fort, die ist bestimmt gefährlich.«

»Nein, wartet noch ein bißchen,« sagte das erste Junge. »Ich will sie noch etwas fragen.«

Und damit schwamm es näher, und das kleinste und neugierigste kam mit.

»Du sollst gar keinen Schwanz haben?« fragte das erste sehr ernsthaft.

»Nein,« erwiderte ich ebenso ernst. »Ich habe keinen.«

»Hast du auch keine Kiemenfransen?«

»Nein,« sagte ich. »Ich habe gar keine Fransen.«

»Das haben wir uns gedacht,« sagten die Froschkinder und zogen sich zurück.

Als sie so weit von mir waren, daß sie sich in Sicherheit glaubten, rief das kleinste:

»Siehst du aber komisch aus. Was hast du für einen großen Mund und für lange Beine, und wie wirfst du deine Augen herum. Wir glauben auch gar nicht, daß du eine Froschfrau bist. Keines von uns glaubt das. Und was hast du denn im Mund?«

»Das,« sagte ich und schnellte die Zunge heraus, so daß es knallte.,

Da stoben die Kinder alle auseinander und versteckten sich zwischen dem Entengrün.

Aber ich lachte vor Vergnügen laut auf.

»Brekekequex, brekekequex! Solche Kinder, solche Kinder!«

Und während ich gemächlich davon schwamm, dachte ich an meine Unzähligen und war stolz auf sie.

Die schlagen sich gut durchs Leben, sagte ich zu mir selbst und hüpfte ans Land, um mich nach einer Fliege oder Mücke zum Abendbrot umzusehen.

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