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Gefangenschaft und Flucht.

Als ich einige Zeit gesessen war und mich umgeguckt hatte, beschloß ich noch einen kleinen Streifzug zu unternehmen. Vielleicht konnte ich noch irgendeinen Leckerbissen auftreiben, und dann war es auch so erquickend, in der Abendkühle herumzuspazieren.

Gedacht, getan. Ich begann davonzuhüpfen und blieb zwischen jedem Hopser ein Weilchen still sitzen und spähte nach allen Seiten, einerseits nach Beute, andererseits nach Räubern, die ja am Abend gern umherzuwandern pflegen. Als ich dies eine Zeitlang getan und nichts Gefährliches entdeckt hatte, wurde ich kühner und weniger vorsichtig. Ich machte hohe, lange Sätze und freute mich über meine langen starken Beine. Wie ich so durch die Frühlingsnacht hüpfte, wurde ich ganz übermütig und sagte zu mir selbst:

»Arme Frau Frosch, du bist schon ganz alt und steif, du kannst gewiß nicht mehr über diesen Stein springen.«

»Kann ich nicht? Sieh einmal«, antwortete ich mir selbst, spannte meine Hinterbeine an, machte einen mächtigen Satz und kam hinüber. »Na,« sagte ich triumphierend, »Frau Frosch ist noch nicht zum alten Eisen zu werfen. Und dieser kleine Hügel, – über den fliege ich einfach – eins, zwei, drei –« doch da – es gruselt mir noch, wenn ich daran denke – fühle ich im selben Augenblick wie scharfe Zähne sich in meine Hinterbeine schlagen und merke, wie ich weggeschleppt, gezogen, gezerrt werde. Ich schrie auf und sträubte mich und versuchte auszuschlagen, aber nichts half. »Jetzt ist dein letztes Stündlein gekommen, Frau Frosch,« dachte ich, und plötzlich wurde es rings um mich ganz dunkel und der Räuber, der mich hielt, schleppte mich durch einen dunkeln Erdgang. Ich hatte keine Ahnung, wer der Räuber war, aber am Biß fühlte ich, daß es einer von den allerschlimmsten sein mußte und daß ich wohl nicht mehr viel zu hoffen hatte. Mit Windeseile ging es weiter. Es war eine dunkle, unheimliche Reise. Die schwarze Erde wirbelte rings um mich und drang mir in Mund und Augen. Von Zeit zu Zeit machte ich verzweifelte Versuche, mich loszureißen, aber so eng war der Gang und so fest bissen die Zähne zu, daß es nichts half. Ich dachte an Frau Vespa, die wohl gerade jetzt in ihr Papierhaus flog, und ich dachte an das Ehepaar Hirundo, das friedlich und geborgen in seiner Tonschale schlief, und ich dachte an meine Unzähligen im Teich unter dem Lemna-Wald, und zuguterletzt begann ich an den Räuber zu denken, der mich fortschleppte. Schließlich hatte ich keinen anderen Wunsch mehr, als zu wissen, in wessen Magen ich eigentlich landen würde. Da hörte ich eine knarrende, verdrießliche Stimme rufen:

»Herr Talpa, Herr Talpa, beeile dich, ich wittere eine Gefahr, hier in einem Gange ist etwas Geringeltes, Häßliches, Langes zu sehen, ich muß zu unseren drei Kleinen eilen, unseren kleinen, kleinen, nackten, blinden Kindern, die sich nicht helfen können. Lauf du in die andere Richtung.«

Als der Maulwurf – jetzt wußte ich, wer der Räuber war – dies hörte, da lief er aus Leibeskräften, aber ließ dabei meine Hinterbeine nicht los, wie ich gehofft hatte, sondern zerrte und schleifte mich nach, bis wir in einer geräumigen Höhle angelangt waren. Da machte er Halt.

»Jetzt fresse ich dich auf,« knurrte er wütend.

Ich zappelte und wehrte mich und schrie vor Angst laut:

»Quarr, quarr, quarr, denk' an das Ringeltier, denk' an das Ringeltier, von dem deine Frau gesprochen hat. Das wird sie ganz bestimmt auffressen und deine kleinen, kleinen, nackten, blinden Kinder.« Und dann schrie ich wieder: »Quarr, quarr, quarr, lauf' zu deiner Frau und deinen Kleinen, hilf ihnen und laß mich in Frieden. Quarr! Quarr!«

»Willst du das Maul halten,« zischte Herr Talpa in höchster Wut, »du machst ja einen solchen Lärm, daß man es weit und breit hören kann.«

»Das ist gerade recht,« rief ich, so laut ich nur konnte, »Quarr! quarr! quarr! Ringelrangel! Quarr! quarr! quarr! Hier ist Herr Talpa, hier ist Herr Talpa!«

Im selben Augenblick mußte Herr Talpa mit seinen feinen Ohren etwas gehört haben, was mir entgangen war, denn er zuckte zusammen, ließ meine armen, zerbissenen Beine los und huschte in einen Gang, indem er mir zurief:

»Hüte dich, hüte dich, wenn wir uns das nächstemal treffen, aber ich glaube, Ringelrangel wird sich jetzt einen fetten Froschbraten zu Gemüte führen.«

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Ich war so zerbissen, daß ich mich zuerst gar nicht rühren konnte – und überdies hörte ich auch jetzt ganz nahe ein Rascheln und Prasseln, irgend etwas Unheimliches kam durch die Dunkelheit herangeschossen, so daß ich gar nicht wußte, ob ich mich freuen sollte, Herrn Talpa entkommen zu sein. Ich versuchte mich in eine Ecke zu schleppen, um wenigstens etwas aus dem Wege zu sein, wenn das Ungeheuer heran käme, und dort verhielt ich mich so still, als wenn ich tot gewesen wäre. Das war das einzige, was ich tun konnte. Aber weißt du, gruselig war es zu hören, wie das Rascheln immer näher und näher kam. Und als ich dann fühlte, wie der lange geringelte Körper über mich hinglitt und die lange schmale Zunge meinen Kopf beleckte, da glaubte ich, ich müßte auf der Stelle des Todes sein und hatte nur einen Wunsch, daß Herr Talpa mich lieber aufgefressen hätte. Man wünscht manchmal so törichte Dinge, nicht wahr? Aber die Schlange Pelias – denn das war sie – schien nicht so viel Geschmack an Froschbraten zu finden, als Herr Talpa gehofft hatte. So kam ich mit dem bloßen Schrecken davon. Aber ich zitterte auch am ganzen Leibe, noch lange, nachdem Pelias mit ihrem langen schwarzen Rückenbande in dem Gang verschwunden war, durch den Herr Talpa sich geflüchtet hatte. Erst nach und nach erholte ich mich soweit, daß ich mich wieder besann, an welchem gefährlichen Ort ich mich befand.

Denn denke nur, wenn Herr Talpa zurückgekommen wäre! Dieser Gedanke erfüllte mich mit neuem Entsetzen und gab mir die Kraft, meine verwundeten Beine zu bewegen. Ich begann aufs Geratewohl über den Boden der Höhle zu kriechen, die, wie ich merkte, Herrn Talpas Wohnung sein mußte, denn sie war mit Gras und Moos und Laub sehr weich austapeziert. Es wäre ein ganz gemütliches Zimmer gewesen, wenn nicht ein so brummiger und bösartiger Geselle wie der Maulwurf da gehaust hätte.

Wie ich so kroch und kroch, kam ich zu einer Oeffnung. Die mündete in einen Gang, der steil aufwärts führte. Mit großer Anstrengung gelang es mir, in diesen Gang hinauf und zu einem andern Gang zu kommen, wo man sich leichter bewegen konnte. Aber denke dir meinen Schreck, als ich nach langem Umherkriechen bemerkte, daß ich wieder auf derselben Stelle stand, von der ich ausgegangen war. Ich war im Kreise gekrochen.

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Nun ging ich behutsam zurück und untersuchte den Gang nach allen Seiten und schließlich entdeckte ich einen neuen Weg, der steil hinunterführte. In größter Hast ließ ich mich herab, bis ich unten angelangt war. Und richtig, da war ein neuer Gang. Aber, o Jammer und Elend! Wie glaubst du, war mir zumute, als ich merkte, daß ich wieder in einen Gang geraten war, der im Kreise ging. In wilder Verzweiflung setzte ich mich auf meine kranken Beine und fragte mich, ob es nicht am besten wäre, still zu sitzen und auf Herrn Talpas Zähne zu warten. Was half es, sich mit lebendem Herzen in seinen Irrgängen umherzuschleppen, aus denen man ja doch nicht herausfand. Herr Talpa war zu klug für mich, das merkte ich schon. Es war am besten, die Hände in den Schoß zu legen.

Aber ich wäre doch nicht Frau Frosch gewesen, wenn ich das wirklich getan hätte. Nachdem ich mich ein bißchen erholt hatte, begann ich einen Ausweg aus dem Kreisgang zu suchen. Und weil ich jetzt nicht unbesonnen und blind dahinstürzte, sondern ruhig und überlegt suchte, fand ich auch wirklich einen Weg, der in einen breiteren Gang mündete.

Wie lange ich mich durch diesen und alle möglichen Seitengänge schleppte und wie oft ich mich angstvoll an die Wand preßte, wenn ich einen Laut hörte, – ein kleines Rascheln oder ein schwaches Piepsen, – das weiß ich nicht, aber lange, furchtbar lange dauerte es wohl, bis ich unverhofft am Ende eines Ganges stand, der – du kannst dir meine Freude denken – in einen See mündete! Da hinein stürzte ich mich kopfüber, ganz toll vor Lust, und ich schwamm hin und her, und ich tauchte unter, und ich kam wieder in die Höhe, und ich kletterte auf einen Stein und sah mich in der hellen Sommernacht um, und ich gurrte förmlich vor Vergnügen. Dann sprang ich wieder in den See und tauchte und schwamm, und zuguterletzt kletterte ich auf den Strand und atmete die Luft ein, die schöne, frische Luft. Als ich eine Weile still dagesessen hatte, merkte ich, daß die Nacht sehr kalt und kein lebendes Wesen zu sehen war. Die sind wohl alle in ihre Schlupfwinkel gekrochen, dachte ich, es wird auch am besten sein, wenn ich in den See tauche und mich in den Schlamm lege. Das wird auch meinen kranken Beinen gut tun. Und so schluckte ich eine tüchtige Portion Luft, tauchte unter, wühlte mich in den Schlamm ein und verschlief mein ganzes böses Abenteuer.


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