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Besuch beim lustigen Entengrün.

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Einige Zeit, nachdem ich das Schwalbenpaar Hirundo getroffen hatte, beschloß ich, zu meinem See zu hüpfen und mich nach den Unzähligen umzusehen. Als ich herankam, erblickte ich sogleich ein paar alte Freunde, die aus ihrem Winterschlaf auf dem Grund des Sees erwacht und heraufgekommen waren.

»Guten Tag, liebe Entengrün,« begrüßte ich sie und begann herumzuschwimmen, »es ist wirklich hohe Zeit, aufzuwachen.«

Sie wiegten sich in meinen Schwimmwellen und flüsterten eifrig: »Glaubst du, wir haben bis jetzt geschlafen?« und dabei wippten sie Hand in Hand, wie sie das zu tun pflegten.

»Was habt ihr denn getrieben, wenn ihr nicht geschlafen habt?«

»Aber, Frau Frosch, kannst du dir denn nie merken, was du gehört hast? Jedes Jahr muß man dir dieselbe Geschichte erzählen, sagen unsere Alten. O, Frau Frosch!«

Sie waren so eifrig, daß sie sich alle um mich drängten, und einige sahen aus, als wollten sie sich auf ihre feinen Füßchen stellen.

»Vielleicht erinnerst du dich nicht einmal mehr, wie wir aussehen,« riefen sie. »Weißt du nicht, Frau Frosch, daß wir kleine grüne Scheiben sind, und weißt du nicht, daß jede von uns mit einem feinen Fuße im Wasser steckt? Und weißt du nicht, daß wir am Rande kleine Spalten haben, durch die unsere Kinder herauskriechen? Wie kannst du nur ein so schlechtes Gedächtnis haben, Frau Frosch, wie kannst du nur?«

»Ja, ja,« sagte ich, »jetzt fange ich an, mich zu besinnen. Ja, dich habe ich schon gesehen, und dich auch,« und ich puffte zwei kleine, kleine Entengrüne, die sich an größeren dunkleren Scheiben festhielten. Aber da gab es einen Jubel. Die ich gepufft hatte, begannen entzückt auf und nieder zu Hüpfen, und die ganze Schar hüpfte mit. Als sie sich ein wenig beruhigt hatten, riefen sie:

»Unsere Alten hatten recht, unsere Alten hatten recht.«

»Worin denn?« fragte ich.

»Ja, Frau Frosch ist zu komisch,« riefen sie, und sie lachten alle und ich lachte mit.

»Hast du mich vielleicht auch schon gesehen,« fragte ein ganz kleines lichtgrünes Neugeborenes.

»Ja, ich glaube, im vorigen Sommer haben wir uns getroffen, du kommst mir so merkwürdig bekannt vor.«

Das Kleine brach in ein vergnügtes Lachen aus.

Weißt du, das ist ein alter Spaß von mir, daß ich jeden Frühling so tue, als hätte ich die Entengrüne vergessen. Die alten Lemnascheiben, die den Winter über auf dem Grund des Sees geschlafen haben, die kannten den Witz schon, aber den Kleinen machte er großen Spaß.

»Weißt du nicht, daß unsere Alten im Winter im Schlamm geschlafen haben?« riefen die Scheiben.

»So, so,« sagte ich, »wie sind sie denn hinuntergekommen?«

»Ja, wie seid ihr denn hinuntergekommen?« fragten die Kleinen die Alten.

»Wir sind herabgesunken, weil unsere Alten uns einen so großen Schnappsack gepackt haben, daß wir ganz schwer, ganz schwer wurden, und so sanken wir langsam hinab, immer tiefer und tiefer. Ihr könnt euch gar nicht denken, wie unheimlich das war, als das Licht verschwand und wir schließlich tief unten im Bodenschlamm anlangten. Jetzt, wo wir wieder oben sind, erinnern wir uns wieder an die ganze Geschichte.«

»Na, der Bodenschlamm ist ja gar nicht so schlimm,« meinte eines der ältesten Kinder.

»Ja, das sagst du, weil du im Schlamm geboren bist,« entgegneten die Alten.

»Bist du im Schlamm geboren?« fragte ich! »Aber wie bist du denn heraufgekommen, du und ihr alle, das möchte ich gern wissen.«

»Rate mal, Frau Frosch, rate doch, wer uns alle zum Licht und zur Wärme heraufgetragen hat.«

»Vielleicht waren es meine Unzähligen? Ich habe mir immer gedacht, daß etwas Rechtes aus ihnen werden würde.«

»O nein, o nein!« rief die ganze Schar. »Wir waren es, wir Jungen!«

»Da sieh einer einmal,« sagte ich, »das sind aber prächtige Kinder. Wie seid ihr denn so stark geworden?«

»Ja, siehst du, Frau Frosch, gleich, als wir dort unten im Dunkel geboren waren, begannen unsere Alten uns wunderliche Geschichten zu erzählen: Wir wissen nicht, ob wir geträumt haben, sagten sie, aber wir erinnern uns an einen Ort, wo es so hell war, wie ihr euch gar nicht denken könnt. Da schwammen wir auf dem Wasser, das ganz lau und rein war – nicht so wie hier unten im Schlamme. Und wir sahen die Sonne, der Wind fächelte uns, und kleine Wesen hausten und lebten rings um uns. Ja, das war anders als hier unten, aber das wird wohl ein Traum gewesen sein, sagten die Alten und seufzten.«

»Vielleicht doch nicht,« antworteten wir Kinder, »vielleicht ist es dort oben, dieses Land.«

»Möglich,« sagten die Alten, »aber wir kommen nie mehr hinauf.«

»Vielleicht doch, wenn wir versuchen. Aber erzählt doch weiter!«

»Und die Alten erzählten und erzählten, auch von dir, Frau Frosch, und von allem, was sie in ihrem langen Winterschlafe geträumt zu haben glaubten. Manchmal sagten sie zu uns:

»Ihr werdet hier unten so blaß, weil keine Sonne scheint. Und ihr werdet so dünn und hell, weil wir euch nicht genug Futter geben können.«

»Aber das ist doch gerade gut,« riefen wir alle, »durch eure schweren Schnappsäcke seid ihr ja eben gesunken! Wenn wir dünn und leicht und hohl werden, dann schwimmen wir hinauf und ziehen euch mit.«

»Und weißt du, Frau Frosch, immer sprachen wir davon, wie wir hinauf schwimmen wollten und was wir alles im Lande der Alten zu sehen bekommen würden. Aber als wir eines Tages alle fühlten, daß wir leichter würden und wie wir gleichsam gehoben und hinaufgetragen wurden, da erschraken wir zuerst sehr, und wir wurden ganz schwindlig.«

»O, wie wird das enden,« rief eines in großer Angst.

»Gehen wir lieber wieder herunter,« sagte eines der Alten, »da weiß man wenigstens, wie man es hat.« – Aber wir Jungen, wir konnten nicht mehr Halt machen, und wir wollten es auch nicht. – »Es wird schon gut gehen, wir werden euch hinauftragen. Es wird schon gut gehen.«

»Und gut ging es, und hinauf kamen wir. Hier sind wir nun, Frau Frosch. Und wir sind so froh, so froh.«

»Denkt ihr denn gar nicht an all die Armen, die dort unten leben?«

»Die Armen,« lachten die Scheiben, »die Armen! Warum sagst du das? Weißt du, was ein kleines Ding uns gestern sagte?«

»Nun, was sagte es denn?« fragte ich.

»Ja, es sagte: Eilt euch, eilt euch, wachst schnell, bald wird die Sonne so heiß und das Wasser so schal, ihr sollt unser grüner schattiger Wald sein, ihr sollt uns unten frische Luft bringen, wie es die großen Wälder auf dem Lande tun. Siehst du, Frau Frosch, das sagte das kleine Ding. – Aber schwimme doch nicht fort, Frau Frosch«, riefen sie, als sie sahen, daß ich mit meinen langen Hinterbeinen auszuschlagen begann, »schwimm doch nicht fort, wir haben dich noch so viel zu fragen.«

»Ein andermal, ein andermal, jetzt habe ich keine Zeit, ich muß nach meinen Unzähligen sehen. Lebt wohl, lebt wohl,« und damit schwamm ich fort.


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