Friedrich Halm
Das Haus an der Veronabrücke
Friedrich Halm

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Während Ilsung, durch die Mitteilung auf das peinlichste berührt, und in der Überzeugung, daß sein Leben in Gefahr schwebe, durch die furchtbare Aufregung bestärkt, in der Ambrosia die Hände ringend im Gemache auf und nieder schritt, in sich gekehrt dastand und mit düsteren Blicken die reizende Gestalt der Liebsten verschlingend, die Mißgunst des Schicksals erwog, das ihnen beiden miteinander zu sterben, aber nicht füreinander zu leben verhängt hatte, nahm Ambrosia in der verzweifelten Angst ihrer Seele, wie sie es von Kindheit auf in allen schwierigen Lebenslagen gehalten hatte, zum Gebete ihre Zuflucht, und warf sich auf den Estrich nieder, um von der Huld des Himmels die Abwendung der Greuel zu erflehen, die über sie hereinzubrechen drohten. Wie sie nun ihre schönen in Tränen schwimmenden Augen in brünstiger Andacht zu der Decke des Gemaches emporhob, von der ihr unter anderem kunstvollem Schnitzwerk ein mit Rosen und Efeu zierlich umschlungenes Kreuz entgegenleuchtete, war ihr, als ob sie schon einmal in einer ähnlichen Seelenstimmung zu eben diesem Kreuze emporgeblickt hätte. Diese Erinnerung wurde in ihr immer lebendiger, und Bild an Bild reihend, entsann sie sich zuletzt, daß jenes Kreuz ihr Trost niedergestrahlt habe, als sie vormals am Sterbebette der Mutter in Kummer und Gram flehend zum Himmel emporgeschaut hatte. Sie warf einen forschenden Blick um sich her, und nun erkannte sie die eigentümliche Form der Fensterbogen, das beider Umgestaltung des Hauses verschont gebliebene Getäfel der Wände; ja dort in der Ecke, wo nun Enricos Lager bereitet war, hatte das Sterbebett der Mutter gestanden; sie konnte nicht mehr zweifeln; sie war in dem Hause an der Veronabrücke, in dem Gemache, das ihre Mutter so lange bewohnt hatte. Mit dieser Erkenntnis aber erwachte in ihr die Erinnerung an den geheimen Ausgang des anstoßenden Klosetts, und blitzschnell aufspringend, nahm sie die Lampe vom Tisch und eilte in das Klosett, wo sie, an dem Schnitzwerk der ihr wohlbekannten Wandstelle herumtastend, bald auf die Rose stieß, deren Berührung das Getäfel öffnete und die Türe zu dem geheimen Gang erschloß. »Gott sei ewig gepriesen! Du bist gerettet!« rief sie nun dem erstaunt hinzutretenden Ilsung entgegen, worauf beide ungesäumt den geheimen Gang durchwanderten, an die von außen durch eine Steinplatte verborgene Ausgangstüre gelangend, deren verrostete Riegel mit vereinten Kräften zurückschoben, und endlich in der Stille der Nacht in das abgelegene an den Rio degli assassini hinführende Sackgäßchen hinaustraten. Hier gab Ambrosia dem jungen Deutschen den Weg an, den er einzuschlagen habe, um so bald als möglich zu einer Mietgondel zu gelangen, dann hieß sie ihn unverzüglich nicht nur Venedig, sondern das Gebiet der Republik überhaupt verlassen und nach Mailand flüchten, wo Ruggiero keine Macht mehr habe, ihm zu schaden; dort angekommen, solle er den Pfarrer von S. Maria Zobenigo von seinem Aufenthalte in Kenntnis setzen, da sie durch dessen Vermittlung ihm Nachricht geben wolle, ob und wann er mit Sicherheit zurückkehren könne. Ilsung wie sonst durch ihre Schönheit und Anmut, nun durch die Geistesgegenwart und Tatkraft der Geliebten bezaubert und hingerissen, gelobte pünktlich ihren Befehlen nachzukommen. Den schüchtern Vorschlag, dem Zorn ihres Gemahles sich entziehend mit ihm zu entfliehen, beantwortete Ambrosia mit einem strafenden Blicke der Entrüstung, was aber den Jüngling nicht hinderte, seine Retterin zum Abschied noch einmal in seine Arme zu schließen und einen heißen Kuß auf ihre weiße Stirne zu drücken, worauf er in die Nacht hinauseilte, während Ambrosia, die schwere Tür hinter sich zuziehend, die Riegel so gut sie konnte, wieder vorschob und durch den geheimen Gang in das Haus zurückkehrte. Kaum aber hatte sie die Wandtüre des Getäfels hinter sich zugedrückt, und war aus dem Klosett wieder in das Hauptgemach getreten, als die Lampe ihrer zitternden Hand entglitt, und Erschöpfung sie in bleierner, todesähnlicher Ohnmacht auf dem Estrich niederstreckte. – –

Indessen irrte Ruggiero, nachdem er das Haus an der Veronabrücke hinter sich verschlossen hatte, in seine gewöhnlichen halblauten Selbstgespräche vertieft, aber von den verschiedensten Empfindungen bestürmt und daher aufgeregter als je, durch die bereits ziemlich menschenleeren Gäßchen Venedigs planlos umher. Daß das Werk seiner Rache nunmehr vollbracht und gelungen sei, galt ihm für eine ausgemachte Sache. Denn daß Gottes Gerechtigkeit ihm nach allen in dieser Angelegenheit überstandenen Anstrengungen, Mühen und Leiden durch Ambrosia nicht nur einen Sohn schenken, sondern daß dieser auch infolge der körperlichen wie der geistigen Eigenschaften seiner Eltern ein kräftiger, wohlgebildeter und hochbegabter Knabe und demnach vollkommen geeignet sein werde und müsse, den alten Stamm der Malgrati mit dem Glanze neuer Ehren und Auszeichnungen zu umgeben, davon hatte er sich längst durch Trugschlüsse und Spitzfindigkeiten aller Art so vollkommen überredet, daß er nicht mehr auch nur die Möglichkeit eines dieser Voraussetzung widersprechenden Erfolges seiner Bemühungen zu fassen imstande war. Die Freude, die ihm diese seine Siegesgewißheit auf der einen Seite einflößte, wurde jedoch auf der anderen gar sehr durch die Erwägung der Opfer getrübt, mit welchen dieser Sieg erkauft werden mußte, und deren Umfang und Bedeutung ihm nun, da sie gebracht waren, zum ersten Male vollkommen einleuchteten. Er hatte, um eine Kröte zu zertreten, die köstlichste Perle seiner Habe freiwillig und bewußt im Schlamm versenkt und begraben; er hatte die reine Seele der edelsten Frau gewaltsam, wenngleich nicht vor der Welt, doch vor ihrem eigenen Bewußtsein mit untilgbarer Schande und ewigem Vorwurfe, und ihr Gewissen mit einer Lüge beladen, deren Bürde sie ihr ganzes Leben mit sich fortzuschleppen und selbst ihrem eigenen Kinde, ja gerade diesem am sorgfältigsten, zu verheimlichen verurteilt war. Diese Betrachtungen steigerten nur seinen alten ingrimmigen Haß gegen Anselmo, den Vergifter seiner Lebensfreude, gegen den er, an seinem Stocke forthumpelnd, unerhörte Verwünschungen in seinen Bart murmelte und dabei ab und zu stille stand, um bei dem irgendwo im Erdgeschosse aus einem Fenster hervorbrechenden Lichtschimmer in seinem Taschenbuche schmunzelnd die Wechsel zu besehen, die er von seinem Neffen aufgekauft hatte, damit derselbe später desto sicherer in rettungslosem Elend verkomme. Diese Wutausbrüche gegen seinen Neffen taten gleichwohl dem Grolle, den er gegen den jungen Deutschen empfand, keinen Abbruch; er glaubte es vielmehr Ambrosien nicht genug danken zu können, daß sie ihn vor der Unzuverlässigkeit Ilsungs gewarnt und ihn dadurch zu dem Entschlusse gebracht hatte, seinen Schützling die seligen Stunden, die er jetzt verlebte, eben mit dem Leben bezahlen zu lassen. »Und nicht zu teuer,« brummte er vor sich hin, »nicht zu teuer bezahlt sie der Laffe, der nicht wert ist, den Staub von ihrer Sohle wegzuküssen! Blüht eine solche Blume für einen Hund von Deutschen? Kohlstrünke wären zu gut für seinesgleichen, und wenn nicht Anselmo wäre, an die Wand gespießt hätte ich ihn wie eine Fliege, wenn er mir auch nur den Saum ihres Gewandes zu berühren gewagt hätte!« – Diese Empfindungen wiederkäuend, und zwischen Frohlocken und Erbitterung, Schadenfreude und Selbstverachtung in der Schwebe hin und herschwankend, war er gegen Mitternacht auf den Markusplatz gelangt, wo noch mehrere Spaziergänger, die Nachtkühle zu genießen, sich auf und ab bewegten, und wo er seinerseits die Stunde abzuwarten beschlossen hatte in welcher er Ilsung aus seinem Paradiese hinausstoßen und ihn Beppo und dessen Söhnen überliefern wollte. Von den körperlichen und geistigen Anstrengungen des Tages erschöpft, lehnte er sich an einen der Pfeiler der alten Prokurazien, und starrte in Gedanken versunken vor sich hin, ohne wahrzunehmen, wie die Spaziergänger vor ihm plötzlich in größeren Gruppen sich zusammenscharten, als ob ein unerwartet eingetretenes, bedeutendes und den Anteil aller mehr oder minder in Anspruch nehmendes Ereignis sie beschäftige. Ebensowenig bemerkte er, daß ein Mann, von einer dieser Gruppen sich ablösend, ihn längere Zeit mit teilnehmenden fast bedauernden Blicken betrachtete, bis derselbe endlich die Hand auf seine Schulter legend ihn also ansprach: »Ihr wißt es also, Messer Ruggiero, und ich habe nicht, wie ich fürchtete, Euch die erste Nachricht von einem Ereignisse zu bringen, das, dem bekümmerten und verstörten Ausdruck Eurer Mienen nach, Euch schwer genug auf der Seele liegt! Daß dies der Fall ist, daß Ihr an einem Menschen, der Eure Huld und Euer Wohlwollen so oft mit Füßen von sich gestoßen, noch immer so viel Anteil nehmt, macht Eurem Herzen alle Ehre; allein wenn Gott will, so muß man still halten und seinen Ratschlüssen sich fügen!«


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