Friedrich Halm
Das Haus an der Veronabrücke
Friedrich Halm

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Als Ruggiero, am nächsten Morgen in dem totenstillen Hause an der Veronabrücke erwachend, bei sich die Wege erwog, die er zunächst einzuschlagen habe, fiel es ihm plötzlich schwer aufs Herz, welches Gewebe von Lüge, Trug und Verstellung er um sich hier anzettle, welchen schweren und schmerzlichen Kämpfen er seine edle Gemahlin aussetze und wie wenig es ihm, dem alten ehrenhaften Kriegsmanne, gezieme, so krumme Wege und zu so schlimmem Ziele zu wandeln. Die Empfindungen von Scham und Bedauern, die sich bei dieser Betrachtung ihm aufdrangen, würden auch vielleicht in seinem Herzen die Oberhand behauptet und ihn bewogen haben, zuletzt doch noch von seinem abenteuerlichen Plane abzusehen, wenn er nicht, das Haus durchwandernd, unversehens in das Gemach getreten wäre, in dem dereinst seine letzte Zusammenkunft mit Anselmo ein so bedauerliches Ende genommen hatte. Der Anblick dieses Gemaches, die Stätte seiner Schmach, wie er es nannte, genügte, in seiner Brust den verlodernden Brand wieder zur hellen Flamme anzufachen, und ihn mit dem glühenden Verlangen zu erfüllen, die einmal gefaßten Entwürfe um jeden Preis auszuführen. Und so verließ er, ohne weiterer Überlegung Raum zu geben, das Haus an der Veronabrücke, um sofort als reisender Wanderer in seine Wohnung am Canale grande zurückzukehren, wo ihn Ambrosia als einen längst sehnlichst Erwarteten mit aufrichtiger Freude empfing. Als nach den ersten Begrüßungen Ruggiero über den Zweck und die Erfolge seiner vorgeblichen Reise berichtet hatte, und nun an Ambrosia mit der Frage sich wendete, ob sie während der Zeit ihrer Trennung sich ihrem Versprechen gemäß verhalten und die Freuden des Lebens in fröhlicher Gesellschaft genossen habe, stand diese wie mit Purpurglut übergossen und berief sich, die Blicke auf den Estrich des Gemaches geheftet, auf eine hartnäckige Unpäßlichkeit, die sie längere Zeit das Haus zu hüten und in stiller Einsamsamkeit ihrer Gesundheit zu pflegen gezwungen habe, eine Angabe, die auch ihr Aussehen als vollkommen richtig zu bestätigen schien; denn ihre Wangen waren von durchsichtiger Blässe angehaucht, ihre sonst so hell und frisch leuchtenden Augen blickten matt und träumerisch und selbst ihre Bewegungen, früher rasch und lebhaft, schien jetzt weiche, müde Gelassenheit wie in ein weites faltenreiches Gewand malerisch einzuhüllen. Gleichwohl trug ihr Anblick keineswegs das Gepräge der Kränklichkeit, vielmehr hatte ihr Wesen, von sanfter Schwermut wie mit Nebeldunst umflossen, an bezauberndem Reize gewonnen, was es an mädchenhafter Frische eingebüßt haben mochte. Aber nicht bloß ihr Äußeres, auch ihr Gemüt trug das unverkennbare Gepräge der Vergeistigung und Erhebung, die sich, namentlich gegenüber ihrem Gatten, durch solche Innigkeit und Hingebung der Gesinnung, durch eine so vorahnende Sorgfalt für seine Bedürfnisse kund gab, wie sie ihr früher niemals zu Gebote standen. Ruggiero indes, obwohl keiner dieser Züge seiner Beobachtung entging, war zu sehr von dem einen Gedanken, der seine ganze Seele einnahm, beherrscht, und in dem eigensinnigen Streben nach dessen Verwirklichung bereits zu weit gegangen, um sie in irgendeinem anderen Sinne als dem der Brauchbarkeit für seine Zwecke aufzufassen und zu erwägen. Auch säumte er nicht, schon in den nächsten Tagen nach seiner Heimkehr ans Werk zu gehen und mit unermüdetem Eifer, wie es nur irgend anging und wo nur eine Gelegenheit sich bot, der Phantasie Ambrosias das Bild Heinrich Ilsungs aufzudringen. Wenn sie abends auf den Balkon trat, so war es der junge Deutsche, der unten im Kanal in einer Gondel sehnsüchtig nach ihr hinaufblickend, vorüberglitt; wenn sie, von den schmelzenden Klängen der Serenade gelockt, in das Gäßchen hinabblickte, das unter dem Fenster ihres Schlafgemaches hinlief, so war es seine wohlklingende Stimme, die von Mandoline und Flöte begleitet ihr entgegentönte; sein Antlitz war es, das im zitternden Fackelschimmer aus der Mitte der Musiker zu ihr emporschaute. Zudem fanden sich in dem innersten Heiligtum ihrer Gemächer bald seltene Blumen und Gewächse aufgestellt, bald schmückten zierlich geflochtene Kränze den Hals ihrer Laute, bald lagen auf ihrem Putztische anmutige Sonette auf ambraduftendem Papier mehr hingemalt als geschrieben, ohne daß Ambrosia jemals ergründen konnte, wie diese Dinge dahingekommen, wenn sie auch nicht wohl im Zweifel sein konnte, von wem die kamen.

Allein der Eindruck, den alle diese Überraschungen auf Ambrosia machten, war keineswegs der von Ruggiero gewünschte; sie vermied es nämlich allmählich, sich auf dem Balkon zu zeigen; sie zog sich vor den Klängen der Serenaden in das Innerste des Hauses zurück; Blumen und Kränze aber zerpflückte sie und die Gedichte ließ sie, in kleine Stücke zerrissen, in den Kanal hinabflattern, und zwar wie vorsätzlich oft gerade in dem Augenblicke, wenn der junge Deutsche unten in der Gondel vorüberfuhr. Viele Tage waren so vergangen; die Leidenschaft Heinrich Ilsungs war mittlerweile in dem Maße gestiegen, als die verderblichen Ratschläge des geheimnisvollen schwarzen Dominos mit der Mulattenlarve seine Achtung für Ambrosia untergraben und sein reines, unwillkürlich vor jedem Unrecht zurückbebendes Gemüt allmählich so verwirrt und verwandelt hatte, daß ihm jetzt der Besitz der Geliebten auch um den Preis eines Verbrechens nicht mehr zu teuer erkauft schien. Hierzu kam noch, daß er auf Ruggieros Andeutungen hin sich längst in der Überzeugung befestigt hatte, daß Ambrosia nicht nur seine Empfindungen teilte, sondern auch, daß sie den schwarzen Domino zum Vermittler eines Verhältnisses bestellt habe, dem sie rückhaltlos sich hinzugeben nur aus Laune oder aus Scheu noch zaudere. Es konnte daher Ruggiero, der es endlich für angemessen hielt, einen entscheidenden Schritt zu tun, nicht schwer fallen, den jungen Mann zur Abfassung eines Schreibens zu bewegen, in dem er auf diese Voraussetzung hin Ambrosia in den glühendsten Ausdrücken beschwor, nunmehr aller Rücksichten und Bedenken sich zu entschlagen, ihren Gefühlen nicht länger Gewalt anzutun und seinem wie ihrem eigenen Herzen durch eine Zusammenkunft die Möglichkeit zu gewähren, sich endlich für immer zu verständigen und zu verbinden. Ilsung hatte dies eigenhändige und mit seinem Namen unterzeichnete Schreiben kaum vor dem Reiterstandbilde Colleonis Ruggiero übergeben, als dieser, der dessen Bestellung zu besorgen übernommen hatte, ungesäumt damit nach Hause eilte, dort hastig seine Verhüllung abwerfend, sich in das Betstübchen schlich, in dem Ambrosia ihre Abendandacht zu verrichten pflegte, das Blatt auf ihren Betschemel niederlegte und dann so unbemerkt als er gekommen sich wieder entfernend in sein Gemach zurückkehrte, um den Erfolg seines Wagnisses in Ruhe abzuwarten. Er hatte nicht lange darauf zu warten; noch lagen der schwarze Domino und die Mulattenlarve, wie er sie eben abgelegt hatte, auf dem Tischchen, an dessen Seite er erschöpft in einen Lehnstuhl hingesunken war, als plötzlich die Türe des Gemaches aufflog und Ambrosia, den geöffneten Brief in der Hand, auf ihrer Schwelle erschien. Ihr Auge leuchtete und Entrüstung sprach aus jeder Miene; dabei war sie bleich bis in die Lippen und ihre Stimme zitterte, als sie auf Ruggiero zuschritt und, in der heftigsten Bewegung halb nach Atem ringend, halb ihre Rede in kurz abgebrochenen Sätzen gewaltsam herausstoßend, ihm sagte, wie sie schon seit Wochen her von einem verwegenen Fremdlinge zum Gegenstande tolldreister Huldigungen ausersehen worden, wie sie gleichwohl bis zum heutigen Tage vermieden habe, ihren Gatten mit irgendeiner Klage zu beunruhigen; heute jedoch überschreite die freche Anmaßung ihres Verfolgers die letzte Grenze des Möglichen: heute geböten ihr ihr Gewissen und die Sorge für die Ehre des Namens, den sie trage, aus ihrem Schweigen hervorzutreten und den Schutz ihres Gatten um so mehr anzuflehen, als der Frevler offenbar mit einem der Diener des Hauses in Verbindung stehe und niemand berechnen könne, welche noch schlimmeren Anschläge er vielleicht im Schilde führe. »Hier nehmt,« setzte sie hinzu, indem sie Ruggiero den in ihrer zitternden Hand hin und her flatternden Brief hinreichte, »hier nehmt und lest! Seht, wie der Wahnsinnige mich verleumdet und verlästert, wessen er mich fähig hält und was er mir zumutet! In Eure Arme flüchte ich, mein Herr und Gemahl! Beschützt und rettet mich! Ruft den Beistand des Gesetzes an, braucht Euren Einfluß bei dem Rat der Zehn, daß er den vermessenen Fremdling aus Venedig entferne, ehe ich in Zorn und Beschämung, Selbstverachtung und Gram mich verzehre!« – Mit diesen Worten versagte ihr in krampfhaftem Schluchzen die Stimme; atemlos und fast taumelnd griff sie nach einem nahestehenden Stuhle, auf dessen Lehne gestützt sie mühsam sich erhielt und gesenkten Hauptes in Tränen gebadet, Ruggieros Antwort erwartete. Dieser aber, der keineswegs erwartet hatte, daß die Sache diese Wendung nehmen würde, griff, um Zeit und Fassung zu gewinnen, nach dem Briefe, den Ambrosia auf das neben ihm stehende Tischchen hingeworfen hatte, entfaltete ihn mit gerunzelter Stirne und allem Anscheine äußerster Entrüstung und begleitete, ihn halblaut vor sich hinlesend, seinen wohlbekannten Inhalt mit dazwischen geworfenen Fragen, Ausrufen und spöttischen Bemerkungen! – »Die entzückende Gewißheit der Erwiderung seiner Gefühle« – Pah, der Bursche, scheint es, hält sich für unwiderstehlich! – »Der Stimme Eures Herzens Gehör schenken!« – Immer besser! – »Zusammenkunft!« – Tod und Teufel! Da hinaus will er, aber ich werde sorgen – Hier an das Ende des Briefes gelangt, hielt er plötzlich inne, ließ das Blatt sinken und wiederholte mit der Miene völliger Überraschung mehrere Male, als ob er ihn erst aus der Unterschrift kennen lerne, den Namen des Verfassers! – »Heinrich Ilsung,« sagte er, den Brief sorgsam zusammenfaltend und vor sich hinlegend, »Heinrich Ilsung! Das ist freilich ein anderes! In der Tat ein kecker, unternehmender Bursche, dieser Ilsung! aber,« setzte er nach einer Pause hinzu, indem seine Stirne sich glättete und ein seltsames Lächeln um seine Lippen spielte, »jung, sehr jung, und wenn wir sündigen Menschen alle der Nachsicht bedürfen, wie dürften wir sie unreifer, grüner Jugend versagen?«

Ambrosia, die bis dahin gesenkten Hauptes, wie vom Traum befangen, an den Stuhl gelehnt und jeden Augenblick den Zorn ihres Gatten in Donnerworten losbrechen zu hören erwartet hatte, erhob bei diesen Worten betroffen ihre noch tränenfeuchten Augen und blickte wie fragend nach Ruggiero hin; dieser aber fuhr fort: »Ihr müßt wissen, Ambrosia, daß dieser Ilsung aus einem vornehmen patrizischen Geschlechte Augsburgs entsprossen, reich und wohlerzogen, obgleich, wie sich zeigt, etwas leichtsinniger und verwegener Natur ist, und daß ich, teils aus Wohlgefallen an seinem heitern, anmutigen Wesen, teils auf vielfache Empfehlung hin beschlossen hatte, den jungen Mann in unser Haus zu ziehen, so daß es sich nun fragt, ob es nach Euren Mitteilungen geratener sei, diesen Plan aufzugeben, oder ihn nichtsdestoweniger zur Ausführung zu bringen?« »Wie, was sagt Ihr? – Ihr könntet – jetzt noch wolltet Ihr?« unterbrach ihn Ambrosia, kaum Antwort findend, ihr Erstaunen auszudrücken. Ruggiero aber, der seine Fassung vollkommen wiedergewonnen und mit dem Mute und der Ausdauer der Verzweiflung alles aufzubieten beschlossen hatte, um Ambrosien trotz ihres offenen Widerstandes wenigstens einige Zugeständnisse abzulisten, erwiderte darauf: »Und warum sollte ich nicht? – Ich bin alt und gebrechlich, Donna Olympia wird auf die Länge Eurer Schönheit nicht mehr zur Folie dienen wollen; Ihr bedürft eines Kavaliers, der Euch in die Gondel steigen hilft, Euch auf Spaziergängen den Arm bietet, in Gesellschaften führt und nach Hause begleitet, mit einem Worte eines Cicisbeo, wie wir es hierzulande nennen, und wie alle Frauen Eures Standes sich ihn gefallen lassen! Warum sollte dieser Deutsche Euch nicht als solcher willkommen sein? Er ist in Euch verliebt? Gut; um so fügsamer und willfähriger werdet Ihr ihn finden! Er rechnet auf Eure Gegenliebe? Nun, diesen Wahn, zweifle ich nicht, werdet Ihr ihm ehestens zu benehmen wissen! An die Stelle der Verfolgungen, die Euch bisher belästigten, werden offenkundige Huldigungen treten, und man wird als landesüblich in der Ordnung finden, was ohne Zweifel neugierigen Nachbarn bereits jetzt Anlaß zu boshaften Bemerkungen gegeben hat und vielleicht in der Zukunft zu noch schlimmeren Voraussetzungen Anlaß geben würde!« – Hier abbrechend, wollte er der Erwägung und Erwiderung Raum gewähren, erhob sich von seinem Stuhle und schritt das Gemach auf und nieder, als Ambrosia, die Betäubung, in der sie seine seltsamen Betrachtungen mit immer wachsendem Erstaunen vernommen hatte, gewaltsam abschüttelnd, ihm zurief: »Und der Brief, der Brief – angesichts dieser frechen, verleumderischen Schmähschrift könnt Ihr, der sie gelesen, mir zumuten, mir, die sie empfangen –« »Pah,« unterbrach sie Ruggiero, »wer weiß von dem Briefe, wenn wir davon nichts wissen wollen, wenn wir uns selbst und andern ableugnen ihn empfangen zu haben! Kommt zur Besinnung, Ambrosia,« fuhr er fort, indem er auf sie zuschritt und, die lauernden Blicke auf ihre Miene geheftet, hart vor ihr stehen blieb, »kommt zur Besinnung, und laßt Euch Hirngespinste nicht über den Kopf wachsen! Oder wollt Ihr durchaus einen Schülerstreich mit Ernst und Nachdruck behandelt wissen, nun so entschlagt Euch des Wahnes, ein alter Haudegen, wie ich es bin, könne in diesem Falle seine Zuflucht zu den Gerichten nehmen, sondern macht Euch nur darauf gefaßt, mich dieser Tage noch einmal meine mürben Knochen zu Markte tragen, ja mich vielleicht mit einem Degenstiche im Leibe heimkommen zu sehen! Nun, weiß Gott, wenn es Euch genehm ist, mir soll es nicht darauf ankommen!« Der Schmerzensschrei, in den Ambrosia, das Antlitz verzweiflungsvoll in den Händen verbergend, bei diesen Worten ausbrach, gab Ruggiero die beseligende Gewißheit, ihren Widerstand gebrochen und sie auf den Weg hingedrängt zu haben, den er sie führen wollte. Demnach erachtete er es für rätlich, um nicht die Nachwirkung des erschütternden Eindruckes abzuschwächen, den Ambrosia durch die letzte Wendung ihres Gespräches empfangen hatte, die fernere Verhandlung des Gegenstandes einstweilen auf sich beruhen zu lassen, und so sprach er, die bestürzte Gattin fast gerührt in die Arme schließend, mild und begütigend: »Beruhigt Euch, mein Herzblatt! Es wird dahin nicht kommen! Geht zu Bette, laßt Euer erhitztes Blut sich abkühlen, und über Nacht, zweifle und nicht, werdet Ihr selbst zu der Einsicht gelangen, daß die meisten Dinge auf Erden nur das bedeuten, als was wir sie gelten lassen, daß alle Verlegenheiten und Schwierigkeiten, in die wir geraten mögen, in dem Maße sich verschlimmern, als wir Lärm darüber schlagen und daß, alles wohl erwogen, mein Vorschlag, wie sehr er Euch befremde, denn doch am Ende das geeignetste Mittel darbietet, Euren jungen Anbeter zur Vernunft zu bringen, oder doch seinen Wahnsinn, uns wie ihm selbst, möglichst unschädlich zu machen. Gute Nacht also und morgen das Weitere!« – Damit drückte er Ambrosia liebkosend an sein Herz, als diese, plötzlich sich seinen Armen entwindend und seine Hände krampfhaft in die ihren schließend, mit hochwogendem Busen also anhub: »Gott weiß es, mein teurer Gatte, daß ich vieltausendmal lieber mein Leben hinopfere, als das Eure irgendeiner Gefahr bloßstellen wollte! Gleichwohl gebieten mir Pflicht und Gewissen, die Mittel, deren Anwendung Ihr vorschlagt, zu verwerfen, und kein Überlegen kann diesen Entschluß erschüttern, denn –« hier innehaltend, senkte sie das Haupt auf die Brust und brach in lautes, ungestümes Schluchzen aus, das sie aber mit aller Anstrengung niederzukämpfen suchte. Als sie sich wieder erholt hatte, fuhr sie fort und sprach erschöpft mit müder, fast tonloser Stimme: »Ich muß Euch alles sagen! Ich habe den jungen Mann mehrere Male gesprochen! Ich weiß nicht, welcher Dämon ihn jetzt erfaßt, ihn sich selbst entfremdet und zu so verbrecherischen Schritten hingerissen haben mag. Damals, weiß ich, fand ich ihn schlichten und einfachen Sinnes, voll frischer und lebhafter Empfindungen, biedern und treuherzigen Gemütes und –« setzte sie bis in die Lippen erbleichend mit niedergeschlagenen Augen hinzu, »und er gefiel mir sehr wohl!« – Ruggiero kniff die Lippen zusammen, als er diese leise hingehauchten Worte vernahm, und ein Gefühl wie von Bitterkeit, ja von Schmerz durchzuckte seine Seele. Die Leidenschaft, die ihn beherrschte, war aber zu mächtig, als daß nicht die Sorge für das Gelingen seines Rachewerkes über diese Menschliche Regung bald wieder die Oberhand gewonnen hätte. »Nun, desto besser,« begann er, den Ton gutmütigen Scherzes anschlagend, »gefällt Euch der Bursche, so wird es Euch um so leichter werden, ihm den Kopf zurechtzusetzen! Und in der Tat, er ist ein hübscher Junge mit leuchtenden Augen und mit sprechenden Zügen, schlank und drall wie eine Tanne und überdies für einen Deutschen ganz feinen und einnehmenden Wesens! Dabei scheint er mir gutmütig und lenksam, und Ihr werdet, wenn Ihr auf meinen Vorschlag eingeht, ganz leichtes Spiel mit ihm haben, ihn ganz nach Eurem Geschmack heranziehen und in jede Form umgießen können, die Ihr ihm geben wollt! Nehmt nur die Sache nicht so schwer! Werft den verrückten Brief ins Feuer, fühlt Euch nicht von den Tollheiten eines Verliebten beleidigt, sondern ergötzt Euch an seinen Huldigungen und laßt Euch anbeten! Was verschlägt es Euch? Behaltet Ihr doch freie Hand, ihn fortzuschicken, wenn er Euch langweilt, oder wenn er zudringlich wird, ihn mit einem: Bis hierher und nicht weiter! in seine Schranken zurückzuweisen!« – Er hielt inne, denn ein Seufzer entrang sich aus Ambrosias Brust, die bisher still in sich gekehrt, bleich wie ein Marmorbild vor ihm gestanden und jetzt, wie mit Purpurglut übergossen, flüsternd hinhauchte: »Und wenn es dahin käme, daß ich ihn liebte!« – Bei diesen Worten fuhr Ruggieros Hand unwillkürlich nach dem Dolche, den er am Gürtel trug, aber ebenso blitzschnell durchzuckte ihn der Gedanke, daß Ambrosia nur darum früher den Schein der Entrüstung über Ilsungs Brief angenommen habe, um zu erfahren, wie er, Ruggiero, sich verhalten würde, wenn sie in irgendeinen Liebeshandel sich einließe; daß er somit sein Spiel bereits gewonnen gehabt, daß sie einen solchen mit Ilsung einzugehen gleich von Anfang her nicht abgeneigt gewesen wäre, und zwar als er eben am meisten fürchtete, es zu verlieren. Die wilde Freude, die er darüber empfand, erstickte für den Augenblick in seiner Brust alle anderen Gefühle, die sich darin regen mochten, und sich wieder in seinen Lehnstuhl zurechtsetzend, sagte er laut auflachend und fast leichtfertigen Tones: »Nun, und was mehr? Meint Ihr etwa, ich wäre so toll und eifersüchtig wie jener Ludovico Moro, der damals auf Cypern seine Hausfrau eines Schnupftuches wegen erdrosselte? Nein, ich bin nicht wie der Hund des Gärtners im Kohlgarten, der weder selbst nascht, noch andere naschen läßt! Ihr sollt nicht hungern an der reichbesetzten Tafel des Lebens, weil ich nur von Krankensüppchen lebe! Erfreut Euch Eurer Schönheit und genießt Eure Jugend! Ich bin kein Neidhart und Ihr seid eine kluge Frau; ich weiß ein Auge und im Notfall beide Augen zuzudrücken, damit werdet Ihr den Schein zu retten wissen. Mehr verlange ich nicht! Im Gegenteil,« setzte er hinzu, gleichsam um Ambrosien über den Umfang seiner Willfährigkeit keinen Zweifel zu lassen und die Sache ein- für allemal abgemacht zu haben, »im Gegenteil, es würde mich freuen, wenn Ihr früher oder später mir einen Stammerben brächtet, der den Namen und die Ehren der Malgrati aufrecht erhielte und ihren Besitz den Klauen meines nichtswürdigen Neffen Anselmo entzöge. Segnen würde ich ihn, tausendmal segnen und Gott auf den Knien für den Sohn meiner Rache danken!«


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