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V.

– Sie haben vollkommen recht: die nationalen Eigenthümlichkeiten müssen bei Zellengefangenen berücksichtiget werden, ja ich glaube, daß Zellengefängnisse für südliche Völker nichts taugen. Der schweigsame, kaltblütige Engländer mag sich begnügen mit flüchtigen Besuchen, welche den Charakter polizeilicher Controlle tragen, pietistische Tractätlein und die Offenbarung Johannis mögen sein Herz nicht mit dem Kopfe davon rennen lassen und er mag nichts vermissen, wenn sein Verhältniß zu Beamten und Aufsehern nichts Herzliches und Freundschaftliches an sich trägt, nicht aber so der Deutsche. Der Hang zum Grübeln und Schwärmen, die Innerlichkeit und Gemüthlichkeit des Deutschen ist auch beim Verbrecher zu berücksichtigen und darin liegen Anknöpfungspunkte für seine Besserung wie für Geistesstörung und Selbstmord. Senden sie schweigsame, spröde Korporalstockpedanten in deutsche Zellengefängnisse, geben Sie dem Gefangenen nur religiöse Bücher, bestellen Sie für ihn Geistliche, welche in religiösen Angelegenheiten das Gefühl zum Dictator machen, und verdoppeln Sie die, besonders in den ersten zwei Jahren namhaften, Leiden der Einzelhaft durch Strafverschärfungen – so werden je nach der Dauer der Strafzeit unbrauchbare Menschen oder Krüppel aus den Zellen heraustreten, manche Zelle der schauerliche Schauplatz eines Selbstmordes und die Irrenanstalten mit Rekruten versehen werden.

Was die Strafverschärfungen angeht, so hat bei uns wie anderswo die Liebhaberei dafür so sehr Platz gegriffen, daß man Bruchsal mit mehr Recht bald eine neu aufgelegte und vermehrte Abschreckungsanstalt denn eine Besserungsanstalt nennen dürfte. Selten wird Einer von den Schwurgerichten verurtheilt, ohne eine Anzahl von Hungerkost- und Dunkelarresttagen auf den Weg zu bekommen.

Unstreitig sind Strafverschärfungen und unter diesen vor Allem Hungerkuren das wirksamste Mittel, den Stammgästen der Zuchthäuser das Zuchthaus zu verleiden oder sie bequem ins Jenseits zu spediren. Gewohnheitsdiebe sind ebenso Kinder des Unglücks als der Unverbesserlichkeit, das Zuchthaus ist ihre Versorgungsanstalt – sie gehören zu Jenen, welche leben wollen, ohne Geld zu besitzen, und dies ist in unsern »christlichen« Staaten ein so unverschämtes Verbrechen, daß Einer von Rechtswegen gleich nach der Geburt einen Laufpaß in die Ewigkeit erhalten sollte und zwar aus purer »Humanität«, denn das Leben der Armen wird mehr oder minder zum langsamen, qualvollen Sterben.

Weil das Heidenthum in den Köpfen unserer Gesetzgeber und Besitzenden spukt, deßhalb will ich nichts gegen Strafverfolgungen sagen, die bei Gewohnheitsdieben angewendet werden.

Allein nicht nur alte Zuchthausbrüder, sondern Solche, die zum erstenmal in eine Strafanstalt kommen; ferner nicht nur die Sträflinge, welche gemeinschaftlich zusammenleben, sondern auch Zellenbewohner werden mit Strafverschärfungen bedacht und zudem müssen die Tage der Hungerkost und des Dunkelarrestes gemeiniglich in der ersten Zeit der Haft durchgemacht werden, weil die Dauer der Strafe häufig eine ziemlich kurze ist.

Dies erscheint meinem beschränkten Unterthanenverstande nicht klug, nicht recht, nicht zweckmäßig. Nicht klug – denn der Staat muß die Hungerkuren der Sträflinge theuer genug bezahlen. Abgesehen von der großen Mühe der Beamten, deren Geschäfte vermehrt werden, leidet der Gewerbsbetrieb dadurch Noth und wird die Gesellschaft mit arbeitsunfähigen Menschen bereichert. Nicht gerecht – denn anerkannt gilt Einzelhaft schon an sich als eine Strafverschärfung und weßhalb sollen Zellenbewohner ärger bestraft werden als andere? Zufall, Laune, die Erklärung des Verurtheilten entscheiden darüber, ob derselbe in die Zelle komme oder nicht, folglich auch über den höhern oder niedern Grad der Strafverschärfung Nicht zweckmäßig – denn der Hunger entkräftet, foltert und tödtet wohl den Leib, doch bessert er den Betroffenen schwerlich. Raubvögel werden durch Hunger zahm; diesen muthet man keine Arbeit, keinen Besuch der Schule und Kirche, kein gesetzmäßiges Verhalten und keine lieb reichen Gesinnungen gegen Mitraubvögel zu, alles dieses dagegen hungerigen Menschen; und solche Behandlung soll fühlende, bewußte Menschen mit Liebe gegen Mitmenschen entflammen? Den Glauben an einen gerechten Gott erwecken? Klingt es nicht wie herber Hohn, Gefangenen die Religion der Liebe verkündigen, während man den ganzen Haß der Gesellschaft gegen sie fühlbar macht?

Was den Dunkelarrest betrifft, so ist dieser auch nicht geeignet, das Innere des darin Sitzenden zu erleuchten. Einige Tage Dunkelarrest mögen in Kasernen und Amtsgefängnissen gut wirken, doch Sträflinge, welche ohnehin gefangen sind und bleiben, werden im Allgemeinen dadurch zur Onanie und zum Faullenzen angeleitet. Für Sträflinge in gemeinsamer Haft bleibt der Dunkelarrest eine oft gar nicht unangenehme kleine Abwechslung, bei Zellenbewohnern kann er leicht Anlaß zu Seelenstörungen und Selbstmord geben, da ihre ohnehin aufgeregte und reizbare Gemüthsverfassung dadurch gesteigert wird.

Will man doch einmal Sünder gegen das Eigenthum oder gegen Leib und Leben Anderer den Thieren gleich stellen, so stelle man sie eher in die Reihe der Hausthiere anstatt in die der Raubthiere und führe die Prügelstrafe wiederum ein.

Die Prügelstrafe ist unstreitig die wohlfeilste, wirksamste und für gewisse Klassen von Menschen wohl auch die angemessenste und gerechteste aller Strafen. Von dem Grundsatze ausgehend, daß nicht sowohl der Mensch im Menschen als das Thier in demselben gezüchtiget werde, sollte man für drei Fälle von Vergehen Stockprügel auch außerhalb der Gefängnisse bereit haben. Erstens für händelsüchtige, rohe Bursche, weiche besonders in weinreichen Gegenden, bei Tanzgelegenheiten und anderswo Händel und Schlägereien stiften. Zweitens verdienen sittenlose Mannsleute und freche Weibspersonen, die am lichten Tage oder im Zwielicht hündische Schaamlosigkeit beweisen, den Hunden gleich gezüchtiget zu werden ohne Rücksichtnahme auf Stand oder Rang. Drittens endlich verdient Schläge, wer ein Weib schlägt. Uebrigens möge uns Gott vor jener guten alten Zeit bewahren, in welcher der Stock das A und das O der Beamtenweisheit ausmachte. Einzig und allein in obigen drei Fällen möchte ich Prügel für Nichtgefangene empfehlen. Begreiflicherweise gibt es in Strafanstalten Leute, für welche Prügel eine große Wohlthat sein möchten und ich bleibe überzeugt, daß ein aus lauter Sträflingen bestehendes Gericht gar oft auf Prügelstrafe für einen ihrer Kameraden erkennen würde.

Allein nicht einmal im Zuchthause möchte ich die Anwendung von Prügelstrafe dem Ermessen des einzelnen Beamten anheimstellen, geschweige Aufsehern und Werkmeistern den Stock in die Hand geben. Vorstand, Verwalter, Buchhalter und Oberaufseher sollten in geeigneten Fällen durch Stimmenmehrheit für oder gegen Anwendung des Stockes und Zwangstuhles entscheiden, jedoch niemals, ohne ein Mitglied des s.g. Aufsichtsrathes beizuziehen. Die letzte Bestimmung der durchdachten und vortrefflichen Bruchsaler Hausordnung heißt: »Gegen solche Straferkenntnisse, wofür theils der Vorstand, theils der Aufsichtsrath zuständig ist, steht dem Sträfling der Rekurs, in der Regel jedoch ohne aufschiebende Wirkung, an den Aufsichtsrath, beziehungsweise an das Justizministerium zu.« – Diese Bestimmung sollte überall Aufnahme finden, namentlich wo Prügel einheimisch geworden, denn nichts ist so sehr geeignet, das Rechtsgefühl des Verbrechers vollends abzustumpfen und zu tödten als ungerechte, willkürliche Behandlung und nichts so tauglich, alles Ehrgefühl gründlich zu vernichten, denn ungeeignete Prügelstrafe.

Das Ehrgefühl sollte man im Verbrecher fast mehr schonen und pflegen als bei andern Leuten, denn wie ein Mensch ohne Ehrgefühl ein ordentlicher Bürger oder erträglicher Christ werden mag, sehe mindestens ich nicht ein. Selbst falsches Ehrgefühl ist zehnmal besser als gar keines und großartige Selbsterhebung zehnmal besser als gemeine Selbstwegwerfung.

Bei uns entehrt Zuchthausstrafe an sich und ich halte derartige Ausdehnung der Entehrung für die Mutter vieles Schlimmen. Sie stellt Jeden, der eine von der dermaligen Gesetzgebung als ehrlos verpönte Handlung begangen, mit Sträflingen in Eine Reihe, welche längst jeden Begriff von Ehre verloren haben und setzt dadurch seiner Besserung in der Strafanstalt wie seinem ehrlichen Fortkommen nach erstandener Strafe mächtige Hindernisse entgegen.

Entehrung durch Zuchthausstrafe bleibt aber auch ungerecht, so lange die Gesetzgebungen nicht alle an sich entehrenden Handlungen mit Zuchthausstrafen bedenken. Diese Gesetzgebungen sind sehr mangelhaft schon dadurch, daß sie Ein Gebot Gottes mit aller Macht in Schutz nehmen, andere dagegen fast ganz außer Acht lassen.

Namentlich ist unsere Eigenthumsgesetzgebung eines der auffallendsten Zeugnisse für die Siege, welche das Heidenthum in unsern christlichen Staaten davon getragen. In meinen Augen ist ein Straßenräuber bei weitem kein so verächtlicher und ehrloser Mensch denn ein Jungfrauenschänder und ein ehrloser, feiger Spitzbube mehr werth als ein Ehebrecher.

Straßenraub wird furchtbar bestraft, selbst wenn verzweifelte Noth dazu trieb – Jungfrauenschänder mit und ohne Von vor ihrem Namen, mit und ohne Epauletten stolziren vornehm an Strafanstalten vorüber und es fällt ihnen nicht im Traume bei, daß sie von Gott und Rechtswegen härter als Straßenräuber und Spitzbuben bestraft gehören.

Schändliche Wucherer, gewandte Betrüger ruiniren ihre Mitmenschen innerhalb der gesetzlichen Schranken und freuen sich, sobald sie in Zeitungen oder anderswo die Entdeckung einer neuen Tortur gegen arme Teufel, die eine Kleinigkeit stahlen, zu lesen bekommen.

Will man gar vom ersten der 10 Gebote anfangen – doch ich will nicht, denn mein Blut fängt an zu sieden und die Hand zittert vor gerechtem Zorn! Man geräth in Gefahr, in der That zu glauben, die Armuth sei die einzige Todsünde, welche bei der Welt keine Vergebung finde und das Erwischtwerden das einzige Verbrechen, insofern man aus dem kleinen Zuchthaus in das große hineinschaut und Betrachtungen über Leben, Treiben und das Loos der Armen und Reichen sammt Vergleichen zwischen Räubern, Dieben, Mördern, Nothzüchtern einerseits und anständigen, honetten, besitzenden und oft sogar fromm thuenden – Schurken anderseits anstellt.

Ihrem Wunsche gemäß nur noch Ein Wort über Besserung der Zellengefangenen.

Ein solcher kann in der Zelle allerdings Beweise von Besserung geben und zwar bessere als ein Freier. Sein hartes Loos um Jesu Christi willen still und geduldig ertragen, sich der Erfüllung aller Pflichten fröhlich und freudig unterziehen, dies vermag er und Sie dürfen fest annehmen, daß ein gebesserter Zellenbewohner durch Mienen, Gebärden, Reden und Handlungen sich vom ungebesserten unterscheidet.

Weil alte Verbrecher bei uns in die Zelle kommen, alte und junge häufig nur kurze Strafzeit haben und mit Strafverschärfungen bedacht werden, daher mag es rühren, daß die Früchte der Einzelhaft bei uns nicht recht sichtbar werden wollen.

Aber noch Etwas, worauf gewöhnlich wenig Gewicht gelegt wird.

Ein Gefangener mag gebessert sein, d.h. er mag mit lebendigem religiösen Glauben das aufrichtige Streben verbinden, nicht nur gesetzmäßig, sondern allen göttlichen Geboten gemäß zu leben und nach der Freilassung dennoch wieder in alte Ansichten, Fehler, Laster und Verbrechen zurückfallen. Warum? Die Gesellschaft trug mehr oder minder Mitschuld an seinem ersten Verbrechen, sie gab ihm in der Zelle Gelegenheit und Mittel zur Bildung und Besserung, er ergriff dieselben und tritt versöhnt mit Gott und Welt in die Freiheit hinaus. Doch was findet er da? Hat die Strafe mit der Entlassung ein Ende?

Gott bewahre, die Strafe wird in anderer Weise fortgesetzt und oft in einem Grade, daß ein Heiliger dazu gehörte, um sich nicht in den verlassenen Kerker zurückzusehnen.

Zunächst weist ein unpassendes Gesetz den Entlassenen nach Hause und was findet er dort? Lieblose Verachtung, ungerechte Vorwürfe, keine Arbeit und keine Unterstützung, dagegen böses Beispiel, schlechte Kameraden, Anlaß und Gelegenheit zu Lastern und Verbrechen. Der alte Mensch in ihm stirbt nicht so leicht und rasch, wie dies zu wünschen wäre, er geräth in Versuchung, abermals an Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verzweifeln, weil die Menschen ihm täglich Ursache geben, an ihnen zu verzweifeln. Er bereut seine Besserung, weil dieselbe doch keine Anerkennung und weil er findet, daß Andere sich nicht besserten und begeht aus Rachsucht oder Verzweiflung manchmal eine That in der Absicht, wiederum ins Zuchthaus zu kommen, wo er Nahrung, Kleidung, Wohnung und wenn ein auch noch so kümmerliches doch ungeschornes Leben findet.

Nicht weil nothwendig ein Rückfälliger ehrlos ist, sondern weil die Mitmenschen ihn als Ehrlosen behandeln, wird er es wirklich.

Schließlich noch eine Ansicht über Todesstrafe.

Ich bin derselben im Ganzen nicht gewogen und sehe in ihr eine Frucht der Fortdauer heidnischer und barbarischer Zustände. Doch gibt es Leute, deren Gemüth mehr oder minder durchteufelt ist und Verbrechen, welche unter so schauderhaften Umständen verübt werden, daß man für den Tod des Thäters fast unwillkürlich stimmt, indem man die Opfer der That bedenkt.

Aber man sollte erstens nach der Verurtheilung Keinen wochen- und mondenlang zwischen Tod und Leben hängen lassen, indem man ihm die Möglichkeit der Begnadigung übrig läßt; ferner sollte man zweitens dem Verurtheilten volle Gewißheit seines Todes geben, ihm den Tag und die Stunde desselben verkündigen und mindestens einige Wochen Zeit lassen, sich auf seinen Tod vorzubereiten; drittens endlich sollte man Keinen vom Schafot zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigen, dessen Verbrechen voraussichtlich keine späteren Milderungen der Strafe erwarten läßt. Lebenslänglich im Zuchthause sein, heißt langsam und qualvoll hingerichtet werden; gebessert aber wird selbst kein zum Tode Verurtheilter, wenn er unter Sträflingen lebt.


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