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Wie einer fast ohne Schuld des Teufels werden kann

Von Allen, welche ihn liebten und fruchtlos versucht hatten, den Duckmäuser mit der Mutter auszusöhnen, tief bedauert, kehrte derselbe in die Garnison zurück. Das Erste, was er erfährt ist, daß sein Regiment nach Freiburg zurück verlegt wird. Rasch schreibt er diese frohe Nachricht seiner Rosa und bittet dieselbe, ihn doch um Gotteswillen mit der Mutter auszusöhnen, auf ihr ruhe hierin noch seine einzige Hoffnung.

Der Abmarsch nach Freiburg wird so rasch angetreten, daß er Gelegenheit bekommt, die Antwort auf den Brief selbst zu holen, weil dieselbe doch etwas lange ausgeblieben ist.

Freudig wird er vom Straßenbasche, Saumathis, vom Rosele und allen Bekannten empfangen, doch – Roseles Antwort lautet untröstlich genug. Was er, der Vater, die Geschwister, die Mädlen der schwarzen Schwitt, der Korbhannes sammt der Ursula und vielen Andern nicht vermocht hatten, setzte auch das Rosele nicht durch, im Gegentheil erging es ihr am schlechtesten.

In ihrer Unschuld und Liebe bat sie am eindringlichten, versicherte, nicht weichen zu wollen, bis ihrem Benedict der übel angebrachte, doch arglose Scherz verziehen sei, dafür fiel auch sie bei Mutter Theres in volle Ungnade und diese wies sie aus ihrem Hause, um niemals wieder über die Schwelle desselben zu treten.

Solche Kränkung schmerzte, empörte, allein die Liebe duldet Alles und das Mädchen bedauerte nur, daß auch seine Bemühungen vergeblich gewesen, der Straßenbasche mit seinem Weibe schüttelt den Kopf und meint, die Weiber seien ein wunderliches, unergründliches Volk.

Kaum ist der Benedict wieder in die Garnison zurück, so entdeckt er den Nebelspalter des Vaters und richtig steht dieser bald vor ihm und erzählt, die Mutter habe ihn hergeschickt, damit er dem Herrn Kapellmeister empfehle, den Hobisten Benedict recht strenge zu halten und niemals wieder zu beurlauben.

»Abschlagen hab ich´s der Mutter nicht können; seit jenem Abend redet und deutet sie wenig, nimmt grausig ab und ist kränklich, bin halt zum Herrn Kapellmeister gegangen und hab´ ihn zuerst gefragt, wie du dich aufführtest. Er hat dich sehr herausgestrichen, deßhalb habe ich meinen Auftrag auch nicht ausgerichtet, ´s wär eine Ungerechtigkeit. Halte dich nur brav, die Mutter wird auch wieder anders werden!«

So sprach der Vater, als er vom Sohne Abschied nahm.

Das Mütterlein wurde jedoch nicht anders, sondern sandte an der Stelle ihres Alten die Salome zum Herrn Kapellmeister. Salome war ein lediges, jedoch mit fünf lebendigen Kindern gesegnetes Weibsbild, trug Gebetbuch, Rosenkranz, den Loosungsgroschen und die Karte zum Kartenschlagen stets in Einer Tasche, übernahm Wallfahrtsgänge für die halbe Welt, deßhalb auch die Wallfahrt zum Herrn Kapellmeister, zumal Mutter Theres ihr ordentlich spendirt und noch mehr versprochen hatte, wenn sie etwas ausrichte.

Die Salome wußte gar ehrbare und erbauliche Gesichter zu schneiden, Alles gut einzufädeln, was sie einfädeln wollte und es war ihr ein Leichtes, den Kapellmeister, einen wackern, offenen Soldaten, der nicht gerne an Verstellung glaubte, weil er selbst aller Verstellung fremd war, gegen den Duckmäuser einzunehmen.

Zuerst beschrieb sie demselben den answendigen, dann den inwendigen Benedict von der Geburt bis zur letzten Kirchweihe, erzählte alle Streiche desselben, wußte den unseligen Scherz mit dem Traueranlegen als Verbrechen darzustellen, beschrieb dann auch die Rosa als ein verdorbenes, gottvergessenes und heuchlerisches Geschöpf und schloß, indem sie den Kapellmeister im Namen der tief bekümmerten und gekränkten Mutter des Benedict bat, diesem keinen Urlaub mehr zu geben und ganz besonders auch die Ausflüge ins Rheindorf zum Rosele zu untersagen.

Wer schon bei der nächsten Probe dem staunenden und betretenen Duckmäuser in Gegenwart aller Hobisten sein ganzes früheres Leben, seine »ganze verfluchte Duckmäuserei« und die schändliche Rede gegen die alte Mutter vordonnerte und ihm öffentlich aufs strengste verbot, jemals wieder einen Fuß zu der »liederlichen Fuchtel« ins Rheindorf zu setzen, das war der Herr Kapellmeister.

Wie verächtlich betrachteten die ältern Hobisten jetzt den Benedict, wie schadenfroh lachten die jüngern und besonders die leichtsinnigsten über den »Klosterbruder!«

Einen Brief nach dem andern, einer rührender als der andere, schrieb derselbe an die Mutter, um ihr Herz zu erweichen; nie erhielt er eine Antwort und weil er nicht mehr zum Rosele hinüber durfte, kam dieses mit und ohne den Straßenbasche zuweilen herüber.

Solches wird dem Kapellmeister gesteckt, einem Hagestolz, der als Todfeind aller Bekanntschaften seiner Untergebenen, besonders der jüngern bekannt ist und jetzt den Umgeher seines Verbotes recht zu fuchsen sich vornimmt.

Wo fehlen beim Militär jemals Gelegenheiten zum Strafen, wenn ein Vorgesetzter darauf ausgeht, Einem das Leben zu entleiden?

Selten fand eine Probe statt, bei welcher der Kapellmeister den Hobisten Benedict nicht andonnerte oder strafte, dieser gewann bald Aehnlichkeit mit seinem ersten Vorbilde, dem Compagnieschneider, insofern auch er bereits immer Zimmerarrest hatte.

Von der Kirchweihe bis zur Fastnacht hielt der Duckmäuser aus und machte seine Sache durch sein heißes Blut nicht schlimmer; das Romanlesen verlieh ihm Gleichgültigkeit und Erhabenheit gegen die Quälereien prosaischer Seelen und Genuß, weil er sich selbst für einen von Schicksalstücke arg Verfolgten halten mußte.

An Fastnacht bekamen alle Hobisten, sogar Meister Feucht für 3 Tage Urlaub, Benedict sollte beim Adlerwirth im Rheindorfe drüben aufspielen – der Kapellmeister jedoch gab ihm an der Stelle des Urlaubes drei Tage Zimmerarrest.

Am Fastnachtsonntag saß er mutterseelenallein im Zimmer, hatte deßhalb auch die Zimmertour und weil's gerade ein Brodtag war, so faßte er das Brod für die Hobisten und legte jedem seine zwei Laibe auf das Bett. Gegen Abend hielt ers nicht mehr aus, sah nur immer das weinende Rosele vor sich, nahm sich Urlaub aus dem eigenen Tornister, trat Abends zehn Uhr halberfroren in Straßenbasches Haus, verlebte im Rheindorfe zwei lustige Tage und kehrte am Aschermittwoch in die Kaserne zurück.

Beim Eintritt in die Stube kommt ein Hobist auf ihn zu und klagt, weil ihm ein Laib Brod fehle; der Duckmäuser behauptet, jedem beide Laibe auf das Bett gelegt zu haben und wie er noch redet, wird er arretirt und wegen eigenmächtigen Urlaubes zum erstenmal ins Dunkle gesetzt.

Kaum tritt er aus dem Arreste, so kommt der Oberlieutenant, fragt nach dem Laibe Brod, welcher dem Hobisten fehlte; der Benedict schwört hoch und theuer, das Brod richtig gefaßt und richtig ausgegeben zu haben, eine Untersuchung wird eingeleitet und der Duckmäuser wegen Unterschlagung eines Brodlaibes im Werthe von 7 Kreuzern standgerichtlich zu drei Tagen Arrest verurtheilt; ein standgerichtliches Urtheil hat aber stets die Entziehung der Einstandserlaubniß zur Folge und dies setzt den Bestraften in arge Betrübniß.

Kaum ist er frei, so findet sich der Brodlaib; Alles beruhte auf einer Verwechslung mit dem Brode eines andern Hobisten, der Benedict fordert beide Hobisten dringend auf, seine Unschuld an den Tag zu legen; sie wollen ihn insgeheim mit einer kleinen Vergütung zum Schweigen bringen, doch er will nichts als seine Ehrenrettung, dazu lassen sie sich nicht bewegen, er verflucht und verwünscht Beide und – merkwürdig! beide starben noch in jenem Jahre, der eine ertrank, der andere bekam einen Blutsturz nach dem andern und starb gleichfalls.

Benedict gedachte der bangen Ahnungen des Rosele; eine schöne Gelegenheit zur Erlernung des Schreinerhandwerkes bietet sich ihm an, er faßt ein Herz, geht zum Oberst und fordert seinen Abschied. Der grundehrliche, brave, jedoch barsche und rauhe Soldat nimmt den Degen, schlägt das Hobistlein nach Noten herum und poltert: »Ich will dir den Abschied auf den Rücken schreiben, du Hundsfötter, du! ... Wir müssen dich fuchteln, sonst stirbst du im Zuchthause, du verstellte, heimtückische Bestie!«

Brav durchgewalkt kehrt der Verzweifelnde in sein Compagniezimmer zurück, welches er drei Frühlingsmonate nicht mehr verlassen darf. Er vergeht fast vor Schmerz, doch hält er immer ritterlicher aus, denn seine Romane verleihen ihm Trost, Muth, Heldenkraft. Zum Musiciren spürt er wenig Lust mehr, liest wie der große Trommelschläger den ganzen, lieben langen Tag, denkt und lebt sich ganz in seine Bücher hinein und ist fest entschlossen, nach dem Muster der heldenmäßigsten Ritter allen Flohstichen und Keulenschlägen eines widrigen Geschicks mannhaften Trotz zu bieten!

Während der Verbannung im Compagniezimmer kam ein schwarz versiegelter Brief vom jüngern Bruder, vom Hannesle, welcher ihm meldete, die Mutter sei gestorben und habe ihm in ihrer letzten Stunde Verzeihung angedeihen lassen.

Seit jenem Abende, an welchem Benedict harmlos scherzte, er werde für sie mit einem weißen Federbusche auf dem Kriegshute trauern, gab sich Mutter Theres einer Schwermuth hin, welche nicht mehr wich; sie wurde still und in sich gekehrt, suchte immer die Einsamkeit, aller Trost und alles Gerede blieben von ihr ungehört und den Namen ihres Sohnes durfte Niemand nennen, wer sie nicht in die furchtbarste Aufregung versetzen wollte. Von Tag zu Tag nahmen ihre Kräfte sichtbar ab, sie wurde bettlägerig, ihr Zustand verschlimmerte sich und die Aerzte mit ihrer Weisheit standen rathlos am Krankenbette.

Schon zur Zeit der Fastnacht, an welcher die rothen und schwarzen Schwittler sich endlich in die Haare geriethen und barbarisch prügelten, wie dies im weinreichen Baden gar oft der Fall zu sein pflegt, erwartete man das Ende der Mutter Theres und die herrliche Margareth wich fast nicht mehr von deren Bette.

Schwankend zwischen Leben und Tod lag die Dulderin viele Wochen; in ihren letzten Tagen nannte sie häufig den Namen ihres Sohnes, doch so oft man fragte, ob man denselben herbeiholen sollte, schüttelte sie verneinend den Kopf. Plötzlich schien sie von Neuem aufzuleben, die Krankheit gewichen zu sein, sie vermochte wieder deutlich zu sprechen, bat, den Benedict herbeizuholen, sie wolle und müsse demselben Alles verzeihen, wenn sie selbst Verzeihung bei Gott erlangen wolle, denn Alles habe sie dereinst an ihrer eigenen Mutter verschuldet.

Halb aufgerichtet im Bette legte sie vor allen Anwesenden das Bekenntniß ihrer Schuld ab und kaum war solches geschehen, so sank sie todt in ihr Kopfkissen zurück!

Es gibt unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon sich die Philosophen gar nichts oder nicht gerne träumen lassen, weil jeder Luftzug aus einer überirdischen Welt ihre gar emsig und kunstreich gewobenen Spinnengewebe zu zerreißen im Stande ist.

Werke sind besser als Worte, Thatsachen lehren eindringlicher denn alle Spitzfindigkeiten der verständig gewordenen Vernunft, deßhalb mag die Jugendgeschichte der Mutter Theres das räthselhafte Benehmen während der letzten Zeit ihres Lebend erklären oder doch einigermaßen aufklären.

Ihr Vater, ein vermöglicher und braver Mann starb sehr frühe, von einem zweiten Manne bekam ihre Mutter noch einen Sohn und zwei Töchter. Dem letzten Willen des Vaters gemäß sollte Theres, sein einziges Kind, die Hälfte seiner Hinterlassenschaft in Empfang nehmen, sobald sie das achtzehnte Jahr erreicht haben würde, die andere Hälfte jedoch erst nach dem Tode der Fränz, ihrer Mutter. Theresens Stiefvater war ein roher, wüster, leidenschaftlicher Mann, mit welchem Mutter Fränz recht unglücklich lebte und welcher sich immer mehr dem Trunke ergab. Geduldig ertrug Therese alle Unbilden und Mißhandlungen, welche ihr Stiefvater sammt den Stiefgeschwistern ihr alltäglich anthaten, wurde 18, 20, 22 und 24 Jahre alt, blieb bei der Mutter, deren einziger Trost sie war und dachte nicht an die Herausgabe des halben Vermögens.

Armuth und Elend nahmen jährlich im Hause zu, der Stiefvater verkaufte, was ihm beliebte; von allen Seiten wurde Therese gewarnt, ihr Eigenthum zu retten und in ihrem 26. Jahre verließ sie endlich das Haus der Mutter und heirathete den Jacob.

Bei dieser Gelegenheit kommt die schlechte, gewissenlose Wirthschaft des Stiefvaters an den Tag, Fränz schaut jammernd in die Zukunft und bittet die Obrigkeit um Hülfe, der Trunkenbold wird endlich mundtodt gemacht, mißhandelt die Fränz ärger als je, bis sich der Himmel erbarmt und die Arme von ihrem Quälgeiste erlöst.

Theres hauste mit dem Jacob, ihre Stiefschwestern heiratheten auch kurz nach einander, die Fränz lebte jetzt allein mit ihrem Sohne, dem Paul. Dieser schlug seinem rohen, wüsten, trinklustigen Vater in Allem nach, doch war er noch jung und wurde vorläufig nur von Neid und Mißgunst verzehrt, weil er sehen mußte, wie die Therese, seine Stiefschwester, die schönsten Grundstücke und Hausgeräthe und Anderes dem Jacob in die Ehe brachte. Am meisten schmerzten ihn die beiden Rappen, seine Lieblinge, welcher der Schwager aus dem Stalle holte und wenn der Paul gar daran dachte, die Stiefschwester werde nach dem Tode der Mutter Fränz die andere Hälfte ihres väterlichen Vermögens beanspruchen, dann wußte er sich fast nicht mehr zu helfen vor Neid und Haß, zumal der eigene Vater mit all seiner Habe fertig und auf Unkosten der Fränz beerdiget worden war.

Mutter Fränz mußte dem Paul ihre Vorliebe schenken, ob sie wollte oder nicht und dieser war kaum volljährig, so suchte er eine reiche Frau zu bekommen. Im Dorfe und in der Umgegend nicht sonderlich gut angeschrieben, durfte er nicht an jeder Thüre anklopfen, zuletzt erschlich er sich die Liebe eines sechszehnjährigen Mädchens, der hübschen, muntern und vermöglichen Christine und die Mutter derselben gab die Heirath zu, weil die ältere Tochter sich hatte verführen lassen und weil sie fürchtete, gleiche Schande an der jüngern erleben zu müssen. Der Vogt, ein unumschränkter Dorfmonarch und vielgeltender reicher Mann, war Christinens Vetter, hatte deren Heirath mit dem Paul ungerne gesehen, doch als diese nicht mehr verhindert werden konnte und geschehen war, nahm er sich des Paares gewaltig an.

Bald redete Paul mit dem vielvermögenden Vetter, auf welche Weise die Therese um ihre halbe Erbschaft gebracht werden könnte; der Vogt versprach Alles zu thun und hielt Wort, bald entspann sich eine Dorfintrigue, worin Mutter Fränz, ihre Kinder aus zweiter Ehe und ihre Tochtermänner Hauptrollen spielten. Die Leute munkelten und redeten viel von diesen Intriguen, Jacob und Therese bekümmerten sich anfangs wenig darum, weil sie auf ihr geschriebenes und gültiges Recht pochten, doch wie endlich allgemein und laut gesagt wird, Fränz habe ihre älteste Tochter verstoßen und von der halben Erbschaft ausgeschlossen, geht Therese zur Mutter, um dieselbe über das Geschwätz zu befragen. Mutter Fränz erschrickt sichtbar, kann der Tochter nicht in die Augen schauen, gibt lauter ausweichende Antworten und dies beunruhigt natürlich diese gewaltig.

Am andern Morgen langt Jacob seinen langen Rock aus dem Kasten, setzt den Nebelspalter auf und begleitet sein Weib zum Hofe des Dorfmonarchen.

Der Vogt hört Alles ruhig an, dann donnert er los:

»Du, Theres, bist eine eigensinnige, bösartige Tochter gewesen, kannst es vor Gott nicht verantworten! ... Thut deine Mutter wirklich also, wie du da klagst und fragst, so hat sie Recht, du hast's tausendfältig an ihr verdient! ... Als deine Mutter im größten Elende bei ihrem liederlichen Manne schmachtete, bist du fortgelaufen, hast einen Mann genommen, die arme Frau wie eine Räuberin ausgeplündert! ... Wäre ich damals Vogt gewesen oder hätte mich's angegangen, ich würde dir einen Strick um den Hals gelegt haben, du unbarmherziges Thier!« – Die Ungerechtigkeit der Mutter und Stiefgeschwister kränkte die schuldlose Therese zehnmal mehr, denn der Verlust der halben Erbschaft, doch vertraut sie auf ihr gutes Recht und Gott, und hütet sich, den Anklagen des Dorfmonarchen durch ein böses Wort gegen die Mutter eine Handhabe zu geben.

Sie hütet sich nicht wochen-, sondern jahrelang und es scheint Gras über die Angelegenheit gewachsen zu sein, über welche erst der Tod der Mutter Fränz Aufschluß und volle Gewißheit zu geben vermag.

Eines Morgens kommt der mürrische, versoffene Paul zur Therese und fordert einen ausgehauenen Schweinstrog, welcher in Jacobs Hof steht, von ihr zurück, weil der Schweinstrog nicht ihrem, sondern seinem Vater zugehört habe. Therese lacht dem Paul ins Gesicht und gibt zu verstehen, sie sei im Stande, ganz andere Forderungen zu machen, wenn das Betragen der Stiefgeschwister es erheische.

Jetzt fährt der Stiefbruder auf, schreit ingrimmig:

»Was du zu erwarten hast, das hast du schon und darfst dich glücklich schätzen, wenn du nichts herauszahlen mußt!« und poltert zur Stube hinaus, deren Thüre er zuschlägt, daß das ganze Haus und Therese vor Zorn und Entrüstung zittert. Wenige Minuten später kommt Mutter Fränz, weiß nichts von dem Vorgefallenen, klagt über Unwohlsein und die noch unwillige und aufgeregte Therese meint:

»Sterbet in Gottes Namen, Ihr könnt nichts Besseres thun! ... Nur sagt es mir zuvor, daß ich mir ein weißes Kleid kaufe zum Leidtragen für Euch!«

Diese Aeußerung kränkte Mutter Fränz bitter, sie verließ die Stube, kam nie wieder zurück, verfiel in eine langwierige Krankheit und ließ der ältesten Tochter erst wenige Minuten vor dem Tode Vergebung angedeihen. Mehrere Wochen saß diese Tag und Nacht beim Krankenbette der Mutter, die 3 Stiefkinder kümmerten sich nicht im mindesten um die Sterbende, denn sie hatten, was sie wollten, nämlich ein schriftliches Testament, nach dessen Wortlaut Therese auch nicht Einen Kreuzer erhielt.

Sterbend verlangt Mutter Fränz das Testament, welches gleich nach der ersten und letzten Beleidigung von Seite Theresens geschrieben worden, zurück, um es zu vernichten, doch ein Tochtermann hatte es in Verwahrung und war über Feld gegangen, der Vogt wird herbeigeholt und hört das letzte Wort der Mutter Fränz: »das Testament ist ungültig, un – « Kaum ist diese eine Leiche, so kommt der Tochtermann von der Reise zurück, zeigt das Testament, der Vogt erklärt, der Widerruf gelte nichts, weil die Sterbende nicht mehr bei Besinnung gewesen, Theresens halbes Erbe bleibt verloren, denn diese fängt keinen Prozeß an, sondern betrachtet die Enterbung als eine Strafe des Himmels.

Mutter Theres war eine fromme, gottesfürchtige Frau; eine freudlose und leidenreiche Jugend hatte sie vorbereitet, mit dem finstern, strengen, doch dabei fleißigen, grundehrlichen und gerechten Jacob glücklich zu leben. Der Benedict war es, der ihr zumeist Sorge und Kummer bereitete, sie an alte Zeiten erinnerte und am Ende glauben machte, er sei von der Vorsehung bestimmt, an ihr die Verwünschungen zu erfüllen, welche Mutter Fränz nach dem erwähnten Auftritte gegen sie ausgestoßen hatte. – Der Besuch in der Kaserne und die Kirchweihe hatten ihre abergläubischen (wenn man's so nennen will!) Befürchtungen zerstreut; der, welchen sie von je am zärtlichsten geliebt und welcher sie am tiefsten betrübt hatte, war wiedergefunden. Sie liebte denselben von jeher mehr als eine gewöhnliche Mutter, mehr als alle andern ihrer Kinder, warum – wußte sie selbst nicht; die Kirchweihe weckte die ganze Gluth ihrer zärtlichsten und sicherlich nicht durch Romanlesen verminderten oder gesteigerten wahrhaftig leidenschaftlichen Liebe, – Der unglückselige Scherz, welchen der Hobist machte, in derselben Stube, in welcher vor vielen Jahren Mutter Fränz ihre Tochter verfluchte und in einer Stunde machte, wo das Licht noch nicht angezündet war, so daß sie nur die verhängnißvollen Worte vom weißen Leidtragen hörte, die Miene des Sohnes jedoch nicht sah; dies überzeugte sie von Neuem, der Fluch des Himmels laste noch auf ihr und ihr ältester, geliebtester Sohn sei geboren, um diesen Fluch zu erfüllen.

Gewiß war sie selbst überzeugt, derselbe habe es mit den paar Worten nicht böse gemeint, doch diese paar Worte sprach nicht der Benedict, sondern sprach nach ihrer Ueberzeugung der zürnende Gott zu ihr.

Sie hat den Sohn verflucht als ein Werkzeug des Fluches, hat ihm verziehen, weil der Tod sich ihrer nicht erbarmen wollte – wird der Fluch oder die Verzeihung sich als leitender Gedanke durch die fernere Lebensgeschichte ihres Sohnes ziehen? –

Der Duckmäuser ward durch den Tod und die Verzeihung der Mutter nicht sonderlich ergriffen; er erblickte in diesem Vorfalle nur einen neuen Beweis für die aus seinen Romanen geschöpfte Ueberzeugung, zu einem abenteuerlichen Leben bestimmt zu sein.

Ein von der Vorsehung zu wunderbaren Dingen ausgerüsteter Mann seiner Art läßt sich durch alle Anfechtungen der prosaischen Außenwelt wenig berühren, lebt in andern Zeiten und höhern Regionen und begnügt sich, prosaischen Vorgesetzten tiefe Verachtung und ritterlichen Trotz entgegenzusetzen und diesem »Gewürme«, welches auf der Keule des Herkules herumkriecht, thatsächlich zu beweisen, daß man nach seinen kleinlichen und winzigen Chikanen so wenig frage, als nach den Ansichten und der Ordnung der gegenwärtigen prosaischen Welt überhaupt.

Der Oberst hatte den Hobisten in den Zimmerarrest und damit in die ohnehin geliebte Romanenwelt hineingeprügelt, drei Monate lang lebte der Hobist dem Obersten zum Trutz sehr glücklich in Burgen, bei Turnieren, focht wacker gegen Sarazenen, befreite mehr als Ein Ritterfräulein mit blauen Augen und hochwallendem Busen, oder zog sich als weitgefürchteter Räuberhauptmann in unzugängliche Felsburgen zurück.

Kaum während der Probe wußte der Glückselige Etwas von der prosaischen Wirklichkeit und mehr als einmal redete er bei seinen Erbsen und Kartoffeln laut genug von fehdelustigen Rittern, treuen Knappen und Fräuleins, welche ihm statt Gänseweines Nektar kredenzten. Wie die Hobisten von je den großen Trommelschläger verlacht und verspottet hatten, so verspotteten und verlachten sie jetzt auch den Benedict – hatte sich jener wenig daraus gemacht, so bewirkten sie bei diesem das Gegentheil. Mehr als einmal kamen gutmeinende Vorgesetzte und Offiziere, um dem Hobisten Benedict zuzusprechen, damit er nicht in Doctor Rollers Hände falle, allein Güte und Ernst prallten an ihm ab.

Die drei Monate des Zimmerarrestes waren beinahe zu Ende, da tritt ein sehr beliebter, gebildeter und braver Adjutant in das Hobistenzimmer und macht dem Benedict, der stets mit Rittern und Fräuleins redet, ganz ruhige, vernünftige und menschenfreundliche Vorstellungen. Doch dieser hört ihn kaum und wie der Adjutant ihm das Narrenhaus prophezeit, streckt er die Hand aus und spricht wörtlich also:

»Du bist nicht als ein Apostel berufen und hast einem so unerschrockenen Ritter meiner Art durchaus keinen Vorwurf zu machen, deßhalb schweige, wenn ich dir nicht den Fehdehandschuh vor die Füße werfen und dir meine Kraft fühlen lassen soll!« –

Die Antwort des Adjutanten lautete auf 3 Tage Dunkelarrest, der Dunkelarrest machte den Kopf des Duckmäusers nicht heller! ... Endlich sind die 3 Monate des Zimmerarrestes verflossen, beim Beginne derselben war der Frühling kaum im Werden, jetzt findet der Befreite Leben, Bewegung, Freude, Liebe und Schönheit allenthalben; Alles, was er sonst gleichgültig betrachtete, hat für ihn hohes Interesse, er fühlt sich gleichsam neugeboren und ein schöneres, höheres Leben ist in ihm wach geworden! –

Lesefrüchte

Es steht zu vermuten, daß der Straßenbasche ein oder auch zweimal die Treppen des Commandantenhauses hinanstieg, um den Herrn Obersten, seinen alten Kriegsgefährten zu besuchen, die angetastete Ehre seines Rosele zu retten und für den Benedict ein gutes Wort einzulegen. Eines Tages nämlich sprach der Oberst zum Kapellmeister:

»Hören Sie, Ihr Hobist, der Benedict, ist kein schlechter Kerl, aber er wird durch seine verfluchte Leserei ein größerer Narr, denn der große Trommelschläger! ... Der Kerl hockt noch im Zimmerarrest, dauert mich halb und halb und wenn zuweilen sein Schatz vom Rheine herüberkommt, um ihn zu besuchen, so wollen wir nichts dagegen haben. Es soll ein verständiges, braves Mädchen sein und ganz geeignet, den Kerl vor dem Narrenhaus zu bewahren!«

Der Kapellmeister schrieb sich diese Ordre hinter die Ohren und wendete nichts dagegen ein, wenn Straßenbasches Pflegetochter an Sonntagen zuweilen in die Kaserne kam, um den gefangenen Träumer zu besuchen, wurde jedoch diesem nicht grüner.

Die Veränderung, welche in diesem vorging, blieb der Rosa nicht verborgen, denn er sprach jetzt häufig in einem himmelhohen Style, welchen sie nicht verstand und die einst so demüthigen, bescheidenen und ergebenen Reden desselben nahmen allmälig ein Ende. Sie ermahnte ihn gar zu lehrmeisterisch, den Obern zu gehorchen und brav zu werden, langweilte ihn mit ihren prosaischen Predigten und obwohl er in ihrer Gegenwart die lichtesten Augenblicke hatte und niemals vergaß, hundertmal »auf Ritterwort und Handschlag« Gehorsam zu geloben, so hegte sie doch wenig Hoffnungen und kehrte jedesmal nachdenklicher zum Straßenbasche zurück.

Jetzt stolzirt der Benedict an schönen Sommerabenden als freier Mann in der Gegend herum, die Gestalten seiner Romane steigen von den Burgruinen herab in die Ebene, wandeln um ihn herum und er entdeckt gar viel Ritterliches und Fräuleinhaftes in den schöngeputzten Städtern und Städterinnen.

Außer den Mädlen der beiden Schwitten und der Rosa mit ihren Kamerädinnen hat er noch keine Weiber kennen gelernt, doch weiß er jetzt, jene seien prosaische, gefühllose, ungebildete »Bauerndötsche« in Zwilchröcken, mit sonnenverbrannten Gesichtern, braunen Armen und abgearbeiteten, rauhen Händen. Wie niedlich und zierlich sind dagegen die Städterinnen gekleidet, wie zart, von Liebesgram gebleicht oder von beglückter Minne verklärt die Wangen, wie grazienhaft der Gang, wie fein und tugendsam ihr Benehmen! Täglich sieht er Hunderte, für die er sofort Lanzen haufenweise brechen würde und täglich Eine, welche auf milchweißem Rosse mit fliegendem Schleier auf ihrem Zelter sitzt, neben ihm den steilen Burgweg hinaufreitet, der Burgwart stößt gewaltig ins Horn, die Knappen schwingen jubelnd ihre schartigen Flamberge, der alte Kuno macht seine Meldungen, der Ritter führt die Ritterin in den hohen Rittersaal und getheilt zwischen Minne und Kampf verlebt er in der neugebauten Burg seiner Väter endlose Jahre voll Seligkeit – bis in Freiburg der Tambour seine Kameraden zum Zapfenstreich herausschlägt und der zum Hobisten degradirte Ritter auf des Schusters bescheidenem Rappen in den prosaischen Kasernennothstall zurücksprengen muß! ... Der Straßenbasche trägt nichts Ritterliches und Knappenhaftes an sich, die Rosa bleibt ein ehrliches, gutes, doch plumpes und grobfühlendes Landmädchen, nur der große Trommelschläger versteht vollkommen Benedicts Seufzen, Fühlen und Denken, theilt dessen romantischen Weltschmerz; noch mehr, der Trommelschläger hat viele Bekanntschaften in der höhern Frauenwelt der Städte gemacht und versichert, neben zahllosen, prosaischen, abgeschmackten Klötzen gebe es unter den Dienstmägden und Bürgertöchtern zarte, empfindsame Seelen, der treuesten Minne würdig und von der anmuthigsten Hingebung!

Geht der Duckmäuser über den Karlsplatz oder in den romantischeren Alleegarten, wo die Ritterfräuleins mit zarten Früchten der Minne sitzen und wandeln, dann richtet er sich stolz empor, nimmt das Schwert unter den Arm, schreitet mit Ritterschritten eines Niebesiegten an denselben vorüber, nicht ohne ihnen züchtige und minnigliche Blicke zuzuwerfen und ist voll Liebessehnen und Seligkeit! ... Wie oft steht er auf dem Schloßberge mit dem großen Trommelschläger und beide verfluchen die schaale Wirklichkeit, in specie den Klotz im Kommandantenhause und die Klötze in der Kaserne oder sie träumen von jener Zeit, wo der riesenhafte Münster noch nicht gebaut war, auf dem Kippfelsen drüben wohl mancher Lindwurm hauste und in der Ebene mannhafte Ritter prosaischen Pfahlbürgern ihren Kram abnahmen, dieselben zur Unterhaltung todtschlugen oder in schauerliche Burgverließe schleppten! Manchmal wandelt der große Trommelschläger mit einer Nymphe des Schwarzwaldes oder der Stadt durch die Auen, neben ihm der Duckmäuser mit klopfendem Herzen, unsäglichem Wonnegefühl und tiefer Wehmuth! Im Spätsommer bekommt Letzterer wieder einmal Urlaub, fliegt mit Ritterfräuleins liebestrunken in das Rheindorf, dessen schaale Wirklichkeit ihn ein bischen stark langweilt und bald zieht er durch das Land, um wo möglich irgend eine Burg und Abenteuer aufzutreiben.

Er wandelt zwar allein herum für prosaische Augen, doch neben sich hat er stets die lustige, minnigliche »Itania.« Alle Augenblicke breitet diese ihre Schwanenarme nach ihm aus, er drückt sie an den Ritterbusen, erklärt ihr die Schönheiten der Landschaften und redet von seinen und seiner Gegner Burgen, deren hohe Thürme sich in den Silberwellen der Flüsse spiegeln.

Jeder verwitterte Steinhaufen und jeder epheuumrankte Thurm ist ein Magnet, welcher den Hobisten unwiderstehlich die steilsten Berge hinaufzieht und je höher er steigt, desto prachtvoller und einladender steht die Burg da im alten Glanze, desto lebhafter wird das Freudengetümmel im Schloßhofe und jede Distel scheint eine Trompete zu sein, welche dem Längstersehnten, von einer bösen Fee Verwunschenen, den Morgengruß einer neuen Zeit entgegenschmettert.

Allenthalben und überall sucht er seinem Ritterthume Ehre zu machen; es kann nicht fehlen, der stattliche Bursche in der glänzenden Uniform erobert durch sein galantes, edles Benehmen, durch seine gebildet klingenden hochtrabenden Reden und durch Schilderungen seiner edeln Abstammung und Güter im Sturmschritte das Herz eines Fräuleins und dafür, daß er an keine Dulzinea von Tobosa geräth, ist schon gesorgt, weil er nicht in Andalusien oder Estremadura, sondern im Großherzogthum Baden und in einem Herbstnebel des 19. Jahrhunderts herumfährt! ... Die Erkorene ist freilich kein anerkanntes, sondern ein verwunschenes Fräulein, wie deren sogar an den Brunnen zu Freiburg und anderswo angetroffen werden, doch wohnt sie nicht nur auf einem Berge, sondern bei einer Burg, kann mindestens als Tochter eines Burgwartes gelten, der für anlangende Gäste zu sorgen hat und sucht sich allseitig über die Wirklichkeit zu erheben. Ist es unmöglich, die namenlosen Reize Itanias zu beschreiben, so begnügen wir uns mit der Angabe, das Töchterlein des Burgwartes sei ein recht hübsches und lebhaftes Kind von 16 Jahren, in Benedicts Augen natürlich die »engelgleiche Itania« von Kopf bis zu den Füßen geworden.

Ein höflicher Vater, eine für Ritterlichkeit zugängliche Mutter, ein holdes, schuldloses, zutrauliches und plappersüchtiges Fräulein, vortrefflicher Wein, eine Burg vor Augen, ein Feenland am Fuße des Berges – was konnte unserm Ritter zur Glückseligkeit fehlen? Nichts, höchstens ein etwas längerer Urlaubspaß.

Drei Tage voll Seligkeit verlebte er hier; die Seligkeit ward nur Eine Stunde gestört, weil ein Hornist seines Regimentes, welcher den Abschied genommen und im Heimathsorte am Fuße des Berges sich häuslich niedergelassen hatte, gleich einem Gespenst in das Paradies seiner Träume hineinstolperte und aus purem Neid über das Minneglück sogar schlechte Witze über die Arreste und Zimmerarreste des ehemaligen Kameraden riß.

Am letzten Abend sah der Mond ein liebendes Paar innerhalb der zerfallenden Burgruine, fürchterliche Schwüre ritterlicher Treue hörte die Nachtluft, perlende Thränen im Augenpaar Itanias küßte der trauernde Benedict hinweg, denn morgen mußte er in die Welt hinaus, den Kampf mit den Tücken des Schicksals von Neuem aufzunehmen und nur die Gewißheit, die edelste Perle des Landes dereinst zu besitzen, gibt ihm Muth zum Scheiden, Trost im furchtbarsten Schmerze.

Itania lebte auf dem Lande, doch schon ihr Wohnhaus hob sie hoch über die prosaische Alltagswelt empor; aus einem »Pensionate« kürzlich zurückgekehrt, trug sie noch Hut und Schleier, war ein zartgebautes, schlankes und belesenes Mädchen, liebte und verstand Ritterromane, kannte die Welt nur durch diese, denn zwei langweilige Religionsstunden wöchentlich geben weder Gottes- noch Weltkenntniß; auf diese Weise wird der kleine Roman des Hobisten begreiflich und das Unglück lag nur darin, daß er es weit ernstlicher mit diesem Romane meinte, als die 16jährige Itania selbst und daß es ihm gelang, sich rasch die Gunst der Eltern zu gewinnen.

Auf dem Rückwege eilt er in sein Heimathdörflein, jedoch nicht, um das Grab der Mutter oder die Herzkäfer der alten Schwitt zu besuchen, sondern um den Vater zu drängen, damit ihm dieser augenblicklich 50 Gulden vom mütterlichen Vermögen herausgebe, welche er binnen einem Jahre zurückzuzahlen schwört. Jacob macht ein gar bedenkliches Gesicht, will wissen, wozu das Geld dienen solle und zudem hat er fast keines im Hause, doch der Duckmäuser weiß den Alten so zu täuschen und zu bereden, daß dieser noch in der Nacht den schweren Gang zum alten Liebhardt macht, die Summe holt und dem Sohne gibt.

Kaum graut der Morgen, so eilt Benedict aus dem Dörflein, macht zuweilen Sätze wie ein Hirsch und kommt richtig wieder in seine Kaserne, wo er kaum erwarten kann, bis der große Trommelschläger aus dem Arrest erlöst wird, um diesen in das Geheimniß seines Glückes einzuweihen.

Außer dem Kapellmeister und Benedict haben nämlich gerade alle Musikanten des Regimentes Strafen auf dem Hals, weil sie bei einem gemeinsamen Ausfluge Gelegenheit bekamen, ohnentgeldlich gut zu essen und beliebig zu trinken, des Guten zu viel thaten und deßhalb von der Ironie des Schicksals dahin gebracht wurden, sich auf dem Heimwege gegenseitig mit Fäusten und Säbeln zu belehren.

Die innere Seligkeit treibt den Duckmäuser in das Gewühl des Wochenmarktes und wider Erwarten findet er hier das Rosele, welches ihm einen freundlichen Morgengruß entgegensendet, der von ihm gar kühl und betreten erwiedert wird.

»Weßhalb so trotzig heut'? Bist bös mit mir oder was ist mit dir?«

»Muß ich dir Alles sagen? Bin ich unter deiner Oberherrschaft, so daß ich über mein Verhalten Rechenschaft abzulegen habe?« – »Ei, ei, so gefällst du mir, wenn du auf diese Weise anfängst? Womit habe ich denn das verdient?«

Benedict kehrt dem armen Mädchen den Rücken, plaudert mit der Sergeantenfrau, welche ihm die Hemden wäscht, kauft dann in Rosas Nähe einige Rettige und verschwindet im Gewühle.

Am folgenden Tage Abende bringt ihm eine Frau einen Brief vom Rosele voll zärtlicher dringender Bitten um Aufschluß über sein befremdendes und kränkendes Benehmen, voll liebreicher Mahnungen und gutgemeinter Warnungen. Benedict sagt der Ueberbringerin einen Ort, wohin er am Sonntage kommen und die Antwort mitbringen werde.

Richtig kommen Beide zusammen, er gibt dem Rosele einen Brief, sagt Adje, kehrt eilig um und rennt fort, ohne auf das Nachrufen des staunenden Mädchens zu hören, welches den Brief sofort erbricht, liest und mit zitternden Knieen beinahe zusammenbricht.

Er lautet also:

»Rosa! Du weißt, wie man mich seit Langem hier gehalten hat und nun habe ich die sicherste Nachricht erlangt, daß Du und nur Du die einzige und alleinige Schuld daran bist. Will ich mein Loos ändern, so muß ich Dich für immer meiden, was ich um so lieber thue, weil ich glauben darf, Du seiest nicht die bisher vermeinte fromme Rosa, sondern eine Schmeichlerin voll Falschheit und Trug. Besuche mich nicht, ich werde Dir fortan nur mit tiefer Verachtung begegnen. Glaubst Du Forderungen an mich zu haben, so schreibe Alles genau auf und schicke mir die Rechnung, ein anderes Schreiben werde ich nicht annehmen oder ungelesen zerreißen.

Hobist Benedict.«

Die edle Rosa ist des Schreibers Schutzgeist gewesen; noch vor acht Tagen war sie mit dem Straßenbasche beim Oberst und Kapellmeister und legte ein gutes Wörtlein für den wahrhaft Geliebten ein, sie hat ihn aus einem liederlichen Sauhirten zu einem Menschen gemacht, mit Güte und Wohlthaten überhäuft und – dann den Lohn der Welt empfangen, der sie vernichten würde, wenn sie nicht um Gottes und der unsterblichen Seele des Benedict willen gehandelt hätte.

Gott meinte es wohl mit Rosa, als Benedict es böse meinte.

Er opferte seinen Schutzengel einem Trugbilde und that es auf eine Weise, welche uns vollkommen an ihm irre machen müßte, wenn nicht ein geheimer besonderer Beweggrund ihn bei Abfassung des Schreibens geleitet hätte.

Dieses war jedoch der Fall.

Von Kindesbeinen an strebte er nach der Gunst der schönern und bessern Hälfte des menschlichen Geschlechts, das heißt, nach der Gunst der Mädchen und Frauen, mit welchen ihn sein Leben in Berührung brachte. Als Schulknabe und Unterlehrer beschützte er die Kamerädinnen gegen Rohheiten, half denselben in der Schule und bei Schularbeiten, that Alles, um sie angenehm zu unterhalten und für sich einzunehmen. Was der Knabe erstrebt und gewonnen, wollte der Jüngling nicht einbüßen, sondern erhalten und vermehren und hieraus erklären sich großentheils seine Tugenden und Verirrungen, jedenfalls seine Nüchternheit, Mäßigkeit, Scheu vor Geldspielen und die Sucht, Geld auf alle Weisen und durch alle Mittel zu erhalten. Er sparte, betrog, stahl, um seine Rolle als Haupt der altmodischen Schwitt behaupten und den Anhängerinnen derselben kleine Geschenke und frohe Stunden machen zu können. Wie viele seiner Herzkäfer hat er in einer Reihe von Jahren erfreut, welche Opfer hat er oft gebracht, um der Margareth, dem Vefele, der Marzell oder einer Andern ein kleines Geschenk machen zu können! ...

Seitdem er in der Montur steckt, ist es die Rosa, welcher er Geschenke aufdrängt, um ihr seine Liebe, dem Pflegvater seine Sparsamkeit zu beweisen. Er wandelt auf ehrlichen Wegen, muß sich Alles am eigenen Munde absparen und wenn die Geschenke auch nur lauter Kreuzer kosteten, so machen 60 Kreuzer bereits einen Gulden und ein Gulden ist für einen Hobisten schon ein Sümmchen.

Jetzt hat sich der demüthige Hobist zu einem stolzen, mannhaften Ritter graduirt, welcher jedem Adjutanten den Fehdehandschuh kühn vor die Füße wirft; der Ritter hat bitterlich gespart, um eine Ritterfahrt unternehmen zu können, auf dieser Fahrt fand er das Idol, wornach sein überhirnter Verstand und sein fieberhaft pochendes Herz dürstete. Die holdselige 16jährige Itania winkt im langen Kleide und mit fliegendem Schleier von der Burg herab Tag und Nacht dem armen Hobisten in seiner Kasernenstube zu. Großartig ist ihm die Einzige entgegengetreten, großartig hat der Ritter sich gezeigt, großartig muß das erste Geschenk sein, welches er seiner Gebieterin zu Füßen legen will.

Der Hobist log sehr unritterlich beim Vater, um 50 Gulden zu erhalten, er handelte mehr als unritterlich an Rosa, um sich desto ritterlicher gegen Itania zeigen zu können. Die Geschenke an Rosa müssen aufhören! – hierin liegt der Schlüssel zu dem herzlosen, lügnerischen und niederträchtigen Abschiedsbriefe, welchen er derselben in die Hand drückte und dann vom bösen Gewissen getrieben fortrannte.

Die bisherige Geliebte muß wissen, weßhalb er ihr keine Geschenke mehr macht; ein allmäliges Abbrechen und Sparsamwerden würde ihm bei ihr und dem Straßenbasche nichts nützen und viel schaden, geschweige daß die himmelanstrebende Itania keinen knickischen und knausigen halbgetreuen Ritter zu ihren ätherischen Füßen sehen will! ...

Die 50 Gulden reichen noch zu keinem großartigen Geschenke hin, die Ersparnisse bei Rosa machen wenig aus, das ritterliche Einkommen muß durch Sparsamkeit und Arbeit vermehrt werden, denn um Unverlornes mit »kühnem Griffe zu finden,« dazu ist der Benedict doch allzu ritterlich gesinnt und allzu prosaisch gewitziget worden.

Bisher bekam der Tabaksverkäufer monatlich 40 Kreuzer für Tabak, der Apotheker 12 für Pomade, die Leihbibliothek 48 für Entzückungen und Verzückungen, die Wirthshäuser nur 36 bis 40 Kreuzer, endlich trug er auch dem kleinen Liebling der Rosa, nämlich der Johanna und dem Schwesterlein des blinden Michel Milchbrödlein und dergleichen Geschenke zu. – Itania winkt vom hohen Söller herab und die bisherige Monatsrechnung des Hobisten reducirt sich auf Null.

Der große Trommelschläger ist noch immer ein lesender Narr, der Duckmäuser hat den Rubikon zwischen Idee und Wirklichkeit überschritten und ist zum handelnden Narren geworden.

Er verkauft seine beiden Tabakspfeifen, thut alles, um ja Niemanden zu begegnen, mit dem er anstandshalber einen Schoppen Bier trinken müßte, unterrichtet mit allem Eifer zwei Damen der Stadt, die seidenrauschende und juwelenstrahlende Tochter eines halbverzweifelten Bierbrauers und die den hohen Adel durch ihren Aufputz beschämende Primadonna des städtischen Theaters auf der Guitarre, musizirt im Orchester des Theaters, wodurch ihm die Leihbibliothek mehr als ersetzt wird, endlich schreibt er in jedem freien Augenblicke Noten für Damen und Offiziere ab und vermehrt dadurch sein Einkommen ganz gewaltig.

Doch noch nicht genug – der Benedict verzehrt monatlich nur einen einzigen Laib prosaischen Komißbrodes, verkauft 14 andere monatlich um 3 Gulden 30 Kreuzer; für das Fleisch erhält er jeden Mittag einen Groschen, endlich schnürte der Held seinen widerspenstig knurrenden Magen mit einer vom Meister Feucht zur guten Stunde erbettelten Binde immer fester zusammen und träumt allnächtlich von vollen Humpen und Wildschweinköpfen, welche ihm Itania kredenzt und vortrefflich zubereitet.

Der große Trommelschläger bleibt der Einzige, welcher den Ritter Benedict lobt, bewundert, tröstet, die andern Musikanten spotten und lachen oder schimpfen beide »Büchernarren« brav aus.

In der Stadt wurde er von seinen Zöglingen oft eingeladen, Etwas zu genießen – doch ein Ritter ist kein Schmarotzer, läßt sich nur so weit herab, zu nippen oder einen einzigen Bissen zu genießen, um den Anstand und Ruf zu wahren und sprengt dann hungrig weiter.

Meister Feucht vom Bodensee aß wie ein Löwe und soff alle sechs Wochen trotz einem Urgermanen, blieb dabei spindeldürr und schüttelte jetzt unaufhörlich den Kopf, weil Ritter Benedict nicht aufhörte, ganz ordentlich und blühend auszusehen.

Große Affekte und Leidenschaften sättigen auch den Leib, wenn sie Kinder des Glückes sind, davon wußte Meister Feucht sammt seinen Kameraden wenig oder dachte nicht daran.

Benedict hielt mondenlang aus, machte sogar eine große Revüe mit und dankte Gott, der ihm schon als Knabe die Fähigkeit gegeben zu hungern, um den Mädlen Geschenke machen zu können.

Die Revüe nützte seinem Magen, schadete jedoch seinen Finanzen so gewaltig, daß er sich selbst in seinem letzten und wohlfeilen Vergnügen beeinträchtigte. Bisher war die Dämmerungszeit sein gewesen; er hatte neben dem großen Trommelschläger tiefergreifende, sehnsuchts- und wehmuthsvolle Septimen- und Mollakkorde den Lüften anvertraut, um sie der angebeteten Itania melodisch zuzuflüstern – jetzt übernahm er es, zwischen Licht und Dunkel Monturstücke, Waffen und anderes Zeug für den Regimentsfourier und Verwaltungsfourier zu putzen und erhielt von jedem derselben monatlich anderthalb Gulden.

Nebst einem herzbrechenden und hochbegeisterten Briefe hat er für mehr denn fünfzig Gulden Schmuckwaaren an Itanien gesendet, die Antwort voll Liebesgluth blieb nicht lange aus, deßhalb nahm er die Gelegenheit wahr, kaufte für 36 Gulden Zeug zu einem fräuleinhaften Gewande und sandte es mit einem bogenlangen Briefe ab. Er wartet mit fieberhafter Spannung auf Antwort, hungert und spart, spart und hungert, denn im Frühling will er die Burg besuchen und sich im vollen Glanze eines begüterten Ritters zeigen.


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