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Die Kirchweihe

Vater Jakob zählt dem Hannesle just aus dem ledernen, eingeschrumpften Opferbeutel vier rothe Batzen als Kirchweihgeld auf den Tisch, dieser hält jeden sorgfältig zum Licht, um etwas höchst Ueberflüssiges zu untersuchen, nämlich ob es auf dieser Erde auch Falschmünzer gebe, welche auf den Einfall gerathen sein könnten, falsche Schweizerbatzen zu machen; das Vefele sitzt mit der kleinern Schwester auf der Ofenbank und redet mit Benedicts Schwestern, die Susanne nennt alle Buben, mit welchen sie auf der Kirchweih tanzen und nicht tanzen werde, Mutter Theres sitzt am Spinnrädlein und netzt den Faden, da – klopft es leise und bescheiden an der Thüre. Die Mutter denkt an einen muthwilligen Buben, am allerwenigsten an ihren Sohn, von dessen Wiedersehen sie einzig und allein ihrem Alten gesagt hat; sie weiß, derselbe sei nicht mehr in Freiburg, sondern mit seinem Regimente in Carlsruhe drunten und gegenwärtig mache derselbe die große Revüe mit. Sie sagt deßhalb nicht »Herein,« sondern: »d'Herren sind draußen, d'Bettelleut drinnen!« und die Susann' ruft mit ihrer glockenhellen Stimme: »Wir sind nit gärn klopft!«

Aber die Thüre geht auf, außer der Mutter erschrecken Alle gewaltig, denn ein großer, glänzend geputzter Soldat mit Tschako und nachläßig überhängendem grauem Mantel steht mitten in der Stube und lächelt, daß der keimende kohlschwarze Schnurrbart beträchtlich in die Länge wächst.

Der Hannesle macht Augen wie Pflugräder, die kleinern Kinder schleichen schüchtern hinter dem Ofen, der Jakob steht befremdet auf, doch die Susanne schreit mit dem Vefele aus Einem Munde: »Ohje 's isch jo Euer Duckmäuser!«

Er ist's richtig, denn der Oberst hat ihm nach der Revüe Urlaub auf 14 Tage gegeben, obwohl er diesmal nicht zum Straßenbasche wollte. Nach der Revüe nehmen ja die meisten Hobisten Urlaub und hätte der Benedict nach jahrelangem Besinnen sich nicht wieder einmal im Dörflein sehen lassen sollen? ...

Jetzt fängt das Händedrücken, Küssen, Grüßen und Fragen an, der finstere Jakob thaut ordentlich auf, die beiden Mädchen wissen nicht, was sie vor Freuden thun sollen, denn sie möchten ebenso gern bleiben als die unverhoffte Ankunft des alten Herzkäfers den Kammerädinnen ansagen. Endlich rennt das Vefele ins Unterdorf, die Susanne ins Oberdorf und ehe eine halbe Stunde vergeht, hat Benedict all den alten Lieblingen in die klaren Aeuglein geschaut und herzinnige Freude über seine Ankunft darin herausgelesen. Allen? Wir irren, denn zwei fehlen, erstens Maxens Rothe und zweitens die Sabine. Die Rothe ist in Folge ihres unordentlichen Lebens bei ihrer Schwitt nach langer, schmerzlicher Krankheit schon im 18. Jahre gestorben, die Sabine, zur rothen Schwitt desertirt, trägt eine Frucht ihres aufgeklärten Lebens auf den Armen und verbirgt sich gleich einer Eule, weil sie noch nicht so weit gekommen, gleich 5 Kameradinnen, welche zur alten Garde der rothen Schwitt gehören und mit ihren Verdiensten um Vermehrung des Menschengeschlechts stolz thun.

Die Meisten jedoch stehen und sitzen fröhlich und freudig in Jakobs Stube, erst nach Mitternacht bringen sie es über sich, dieselbe zu verlassen, doch keine schließt daheim ein Auge, jede hat's am andern Morgen gestanden.

Am andern Tage wandelt an der Hand des alten Lehrers der Benedict der Kirche zu; der rothe fliegende Haarbusch auf seinem glänzenden Tschako scheint die Oriflamme zu sein, welcher das ganze Dörflein in Einem Truppe folgt, mehr als ein bejahrter Mann und mehr als Einer wird lediglich durch das Gedränge verhindert, dem ehemaligen Dorfhanswurst, welchen sie als kleines pausbackiges Büblein mit schwarzen Augen voll Leben und Beweglichkeit gesehen und geliebt, öffentlich einen Kuß zu geben.

Nur die Buben der rothen Schwitt ließen sich nicht herbei und die Mädlen derselben thaten gleich verscheuchten Hühnern.

Während der langen Abwesenheit des Duckmäusers hatte die rothe Schwitt im Dörflein große Siege gefeiert, denn es gab keinen Burschen, welcher dem reichen, wüsten und wilden Max herzhaft und beharrlich mit Glück entgegentrat, die schwarze Schwitt hatte ihr Haupt verloren und zerfiel. Mancher Bube und manches Mägdlein trat zur rothen Schwitt über, weil sie auch ein Vergnügen oder mindestens ihre Ruhe haben wollten. Seit 2 Jahren gebot der Marx auf allen Tanzböden und in allen Wirthshäusern, über alle Vergnügungen der Dorfjugend, schloß alle »Altmodischen« davon ab und weil die rothe Schwitt auch in den umliegenden Ortschaften ihre Anhänger und Verbündeten zählte, welche ebenfalls emporkamen, so wurden diejenigen, welche hartnäckig altmodisch bleiben wollten, nicht nur von allen Freuden und Festen ausgeschlossen, sondern auch noch auf alle möglichen Weisen verfolgt und gekränkt. Max sah immer noch die verhaßte schwarze Schwitt fortbestehen, so lange nicht alle Buben und Mädlen ihm anhingen und wirklich gab es Viele, welche beharrlich von allen Festen wegblieben und Alles erduldeten, denn Solches thaten.

Die Treuesten unter den Altmodischen waren Söhne und Töchter recht christlich gesinnter Eltern, denn wie konnten diese ihre Kinder bei einer Gesellschaft sehen, deren Anführer der Max vom Rindhofe war? Zog sich der Max durch sein abscheuliches, gottloses Leben nicht einen Leibschaden zu, so daß er auch leiblich verkrüppelte? Bezeugte nicht der eigene Vater desselben, sein Einziger werde mit jedem Jahre liederlicher und bringe ihn frühzeitig in die Grube? Weinte der herzensgute Fidele nicht oft bei seinen Nachbarn die bittersten Thränen über den ausgearteten Sohn und ließ sich nur dadurch trösten, weil er demselben weder durch Rede noch That jemals ein böses Beispiel gegeben habe? Lagen die Gesinnungen der rothen Schwitt nicht in täglich sich häufenden Werken offen und erschreckend zu Tage?

Alles dies bewirkte, daß trotz dem Zerfallen und Zusammenschmelzen der schwarzen Schwitt nach Benedicts Abfall stets ein kleines Häuflein braver Buben und Mädlen altmodisch blieb, man mochte gegen sie unternehmen was man wollte.

In der letzten Maiennacht zeigten die Rothschwittler so recht ihre Bosheit und ließen dieselbe an der armen Margareth und deren Schwestern aus, deren Wohnhaus mit mehr als 500 Maien ganz umstellt wurde. Nahe am Kammerfenster entdeckte man am Morgen des ersten Mai einen Strohmann von abscheulicher Gestalt, einen Besen, mit Dünger bestrichen und mit einem Rosenkranze behängt, eine Ofengabel mit Salbhäfelein; da einen Stab mit einem alten Kochhafen, dort einen mit einigen Rinderschuhen, viele andere mit Ochsenohren, Hahnenkämmen, Gansschnäbeln, Schwänzen von Katzen und Hunden, der Eierschaalen, Nachttöpfe, Schlapphüte, weiblichen Zwilchröcke und dergleichen gar nicht zu gedenken.

Heuer an der Kirchweih wollte der Max das Oberkommando in zwei Dörfern führen und, da er als Krüppel doch den Willibald Tanzkönig sein lassen wollte, vor Allem dafür sorgen, daß die »Altmodischen« zu keinem Freudlein gelangten – die plötzliche Erscheinung des Duckmäusers am Kirchweihsonntage machte jedoch einen gewaltigen Strich durch seine Rechnung und er merkte gleich, die meisten der ehemaligen Schwarzen seien eben doch keine rechten Rothen geworden.

Begleitet von Alten und Jungen, von Altmodischen, deren Gesichter vor Freude strahlen und von Neumodischen, die den Stiel rasch umkehren, weil sie keine aufrichtigen Rothschwittler sind, tritt der Benedict in die Kirche; die beurlaubten und alten Soldaten aber weisen ihm den ersten Platz im Soldatenstuhle an und versprechen, aus allen Dörfern des Stabes ihm zu Gefallen auf die Kirchweihe seines Dörfleins zu kommen. Kaum ist der Nachmittagsgottesdienst beendet, so beginnen 6 Musikanten im Hirzen Straußische Walzer zu spielen, das Wirthshaus und der Tanzsaal wimmelt von Infanteristen, Dragonern und himmelhohen Kanoniren, welche der Benedict aus der Kirche mitgebracht hat, andere fremde Buben und Mädlen kommen auch und die Rosa ist verabredetermaßen bereits seit Mittag nach langen Jahren wieder einmal im Heimathdörflein und hat das Grab der rechtschaffenen Eltern bereits besucht; das ganze Dörflein ist voll Leben und Freude und die seit zwei Jahren von jeder Lustbarkeit ausgeschlossenen Getreuen der ehemaligen schwarzen Schwitt werden die Heldinnen dieser Kirchweihe, mit Ehrenbezeugungen und Lobreden von den achtbarsten Bürgern, geschweige von den Jungen, überschüttet.

Kein rechter Rothschwittler durfte sich diesmal im Tanzsaale blicken lassen und ihre entehrten Mädlen, welche sonst die vornehmste Rolle zu spielen pflegten, dürfen sich nicht einmal dem Hirzen nähern.

Einige reiche Bauern, wie der Fidele, Maxens Vater und der Liebhardt, legten einige Kronenthaler zusammen, um den getreuesten Mädlen der schwarzen Schwitt, welche rasch wieder auflebt, eine Freude zu machen, am Kirchweihmontag wurden schöne Halstücher gekauft und dieselben am Dienstag ausgetanzt.

Schon am Montag traten einige rechtschaffene Männer, denen das Treiben beim Brandpeterle und Andern längst ein Gräuel gewesen, im Hirzen in den Bund der schwarzen Schwitt und gelobten auf Benedicts Zusprache öffentlich und feierlich, fortan über die Sitten der christlichen Jugend des Dörfleins zu wachen, die ehr- und schamlosen Maxianer zu vertilgen.

Dies und noch weit Aergeres muß der Max mit anhören, der mit dem Willibald und zwei Anderen in einem Winkel der Wirthsstube würfelt.

»Dort hinten, sagt der tiefbewegte Fidele und deutet auf den Max, dort hinten hockt mein Schöner, den ich wohl noch am Galgen sehen muß!« ... Zum Vater des Duckmäusers, zum Jacob gewendet, der heut mehr als ein Hälbsle schluckt, sagt er weinend:

»Euer Sohn hat Euch viel Kummer gemacht und manche Thräne ausgepreßt, denn er war leichtsinnig, aber doch nie so liederlich und so bis ins Innerste verdorben, wie mein Einziger dort hinten! ... Dieser macht Euch jetzt wieder Ehre, Freude und Trost, der meinige wird mir Kummer bereiten bis zum Grab und mein einziger Trost bleibt, daß Gott und Ihr wisset, wie ich meine Pflicht als christlicher Vater erfüllte! ... Hab´ Alles gethan, ihn an Leib und Seele gesund zu erhalten, jetzt ist er doch an Leib und Seele ein Krüppel!«

Der Max schüttelt in seinem Winkel den Würfelbecher sehr lebhaft und thut, als ob er den Vater gar nicht höre; solch Benehmen empört alle Anwesenden, der Benedict stachelt den Hansjörg, mit dem er einst auf dem Katzenbänklein gesessen und Andere auf, nach zwei Minuten fliegt der Max zum Hirzen hinaus in den Straßenkoth, der Willibald und die Andern schleichen eiligst davon.

Von dieser Stunde an haßt der Max den Benedict tödtlich und schon am Abend wird letzterer gewarnt, sich wohl in Acht zu nehmen, weil der Max mit geladener Pistole auf ihn lauere, doch Jener fragt wenig darnach und gebraucht blos die Vorsicht, während der Urlaubszeit Abends nie ohne Säbel auszugehen.

Am glücklichsten fühlten sich während dieser Kirchweihe die alten Herzkäfer des Duckmäusers, die geehrten und beschenkten Jungfrauen der schwarzen Schwitt und nur Eine bekennt, daß sie nicht so glücklich sei, wie dies der Fall sein könnte. Diese Eine ist Margareth, Benedicts alte Geliebte, welche die Rosa an dessen Hand sieht. Die Rosa merkt dies wohl, spricht mit dem Benedict und sogar mit der Margareth selbst hierüber und erklärt, sie wäre bereit, für den Duckmäuser das Leben zu opfern, doch wenn er der älteren und damit mehr berechtigten Freundschaft gedenken wolle, so wolle sie entsagen.

Die Margareth jedoch meint, nicht sie, sondern das Rosele habe den Benedict vor gänzlichem Verderben gerettet, die Entsagung müßte dem Rosele schwer fallen und könne ihr nicht zugemuthet werden. Beide Mädchen meinten es aufrichtig und wohlwollend mit einander und ebenso mit dem Benedict, ihr liebreicher Streit gab den sehr zahlreich anwesenden Gästen Anlaß zu einem Gespräche, wie es wohl in einer Stadt sehr selten vorkommen mag.

Die Meisten kannten den Duckmäuser von Kindesbeinen an, sie wollten den Schiedsrichter zwischen der Margareth und dem Rosele machen und bei dieser Gelegenheit wurden alle Streiche, welche der Gegenstand ihres Streites jemals begangen, öffentlich besprochen; er erfuhr, daß die Wände Ohren haben; gar Vieles kam jetzt erst zur allgemeinen Kenntniß und er selbst war gescheidt und edel genug, bei der Aufdeckung seiner unsaubern Stücklein selbst mitzuwirken; dafür redeten Viele auch vom Guten, was er an sich trug und vollbracht hatte.

Endlich erhebt sich der älteste und ehrwürdigste Mann der Gemeinde, der eisgraue Korbhannes, welcher seit mehr als zwanzig Jahren kein Wirthshaus inwendig gesehen hat, heute seinem Liebling zu Ehren kam und seinen Sitz zwischen dem alten Schulmeister und dem Stabhalter nehmen und sich von diesen zechfrei halten lassen mußte. Er nimmt langsam die Zipfelkappe herab vom zitternden Haupte, es wird so still in der dichtgedrängten Stube des Hirzenwirths, daß man hätte können eine Stecknadel fallen hören und dann spricht der Greis, während er mit glänzenden Augen umherschaut:

»Ich weiß, daß ich von Gott und der Welt geliebt und geehrt werde; von Gott – dies beweist mein alter grauer Schädel, – von der Welt – dies sehe ich mit meinen Augen in diesem Augenblicke ... Heute ist noch ein Freudentag für mich vor meinem Tode, an welchem ich wie ein Jüngling mit Euch und dem lieben Herrgott Gesundheit trinken werde! Es ist ein glücklicher Tag, denn ein Verlorner unseres Dörfleins ist ja wieder gefunden – das allein macht mich heute so jugendlich und ist ja auch die einzige Ursache, daß der Vater Steffen dort und die Mutter Ursula dort drüben in ihrem hohen Alter noch einmal zu der ledigen Jugend auf der Kirchweihe sich gestellten! ... Es ist der größte Schmerz für rechtschaffene Eltern, ein ungerathenes Kind zu haben, aber auch der seligste Augenblick, wo ein verirrtes Kind wieder in ihre Elternarme zurückkehrt. Davon haben wir heute einen sprechenden Beweis, denn wer könnte wohl theilnahmlos bleiben an der Freude der Theres und des Jacob? ... Möge Gott dem Benedict auch ferner Seine Barmherzigkeit erzeigen, daß wir einst so wie jetzt hier voll Freuden in der Ewigkeit beisammensitzen dürfen! ... Gott weiß es, wie ich den Benedict liebte, seitdem er die ersten Hosen an hatte und diese Liebe ist nicht verschwunden, als er, mit Schande und Fluch bedeckt, sich aus dem Dörflein entfernte! ... Heute, da wir ihn als Mann und Christ wieder unter uns haben, brennt mein Herz recht für ihn und wird ewig brennen! Ich sage: ewig, denn gar bald wird mich Gott zu sich nehmen und daher glaube ich auch vor Euch Allen ein Vorrecht zu haben, dem Benedict zu rathen, wie er glücklich bleiben wird!«

Sich zum Duckmäuser wendend, fahrt der Alte fort:

»Dir rathe ich nun, fürchte Gott und halte Wort, dann kannst du einst mit derselben Ruhe und Freude in die Ewigkeit schauen, wie du es an mir siehst und nun, was diese zwei Mädlen betrifft, die dich mit gleicher Liebe lieben, so entscheide du selbst, denn Eine nur kann´s sein!«

Nach dieser Rede setzte sich der Greis, kein Beifallsgeklatsche ließ sich hören, doch in mehr als Einem Augenpaar standen Thränen, der Benedict jedoch betrachtet arg verlegen bald die Margareth, bald die Rosa und dann wieder seine Mutter, welche neben Margarethens Großmutter, der alten Ursula sitzt.

Er weiß nicht, was er reden soll, hofft, Mutter Theres werde entscheiden, doch diese ist zu gewaltig erschüttert von der Rede des Korbhannes und dem Edelmuth der beiden Mädlen, es entsteht eine lange, peinliche Pause, bis sich endlich gar die bereits 81jahrige Ursula erhebt und redet:

»Wie der Korbhannes vorhin gesagt hat, so muß ich auch sagen: ich habe den Benedict da von seiner Kindheit bis jetzt mütterlich geliebt und er allein ist´s, der mich, eine 80jährige Großmutter, noch einmal aus der stillen Stube in den Hirzen brachte und mir vor meinem Tode den Vorgeschmack ewiger Seligkeit kosten läßt; – aber ich bin der Meinung, er sei noch lange nicht aus allen Gefahren! ... Ich will mit diesen Worten den Ernst seiner Besserung nicht bezweifeln, allein er ist noch zu jung und unerfahren, um sich an fremden Orten unter fremden Leuten stets auf dem ebenen Wege halten zu können. Wir können noch wohl Ursache bekommen und besonders ihr Jüngern, über ihn so zu trauern und ihn so zu beklagen, wie wir uns heute über ihn freuen; er ist noch nicht gewonnen, so lange er von Fremden umgeben ist. Darum aber bin ich der Meinung, es sei am besten, er bleibe seiner einstweiligen Retterin, wie ich das brave Rosel nennen muß, anvertraut! ... Dieses Mädchen, von der uns oft unbegreiflichen Vorsehung gar früh in die fremde Welt hinausgeschleudert und der rohesten Behandlung preisgegeben, hat sich trotz allen widrigen Umständen gar lieblich, Gott und Menschen wohlgefällig entfaltet! ... Das Rosele bekam von Gott die Gnade, zu bewirken, was wir alle sehnlichst zu wirken wünschten und doch nicht vermochten! ... Alle unsere Ermahnungen, Warnungen und Strafen blieben fruchtlos bei diesem Verirrten, das Rosele aber hat ihn durch ihren Blick wieder zu einem Christenmenschen gemacht, dessen wir uns heute alle freuen! ... Dies scheint mir ein Beweis zu sein, daß er für keine andere als für das Rosele und das Rosele für keinen andern als für ihn geboren sei! ... Wohl mag ihr durch den Benedict noch Bitteres genug zustoßen, doch sie ist wie keine andere von Allen, die hier sitzen, so für Ausdauer in Leiden und Widerwärtigkeiten gemacht, daß sie ihn wohl zum zweiten und drittenmal retten könnte, wenn's, was Gott verhüte, die Noth erfordere! ... Gewiß bleibt, daß dem Rosele eine Kraft und Gnade innewohnt, um seine Seele zu bewahren, daß dieselbe nicht ganz für Religion erkalte und ersterbe! ... Die Hoffnung und das Zutrauen auf dieses Mädle kann mir Niemand nehmen und darum sag' ich: unsere Margreth soll dem Rosele nicht in den Weg treten!«

Alles stimmte bei, die Margareth verzichtet mit einem Kusse, welchen sie der Rosa gibt und wobei ihr doch Thränen in die Augen schießen, die sie mannhaft zurückdrängt, die Rosa aber hat während Ursulas Rede oft die Gesichtsfarbe gewechselt und später dem Benedict, welcher sie deshalb befragte, gesagt, erstens habe sie bei der Aufzählung seiner alten Fehler einen großen Schmerz empfunden und sich denken können, wie wehe es ihm thue, zweitens habe die Großmutter alle bangen Ahnungen vom Soldatenleben, welche sie gewaltsam unterdrückte, wieder auferweckt, es sei ihr gar seltsam und unheimlich ums Herz.

Der Duckmäuser sagt, bei der Aufzählung seiner Sünden sei es ihm gewesen, als ob man Alles nur sage, um Andere zu warnen und vor Schaden zu behüten und beruhigt die Geliebte ein wenig, so daß sich dieselbe zur Mutter Theres setzt und mit dieser sich unterhält.

Der Benedict nimmt dann die 80jahrige Ursula in den Tanzsaal und noch heute redet man davon, wie er zuerst mit der alten Prophetin und nachher mit der schwächlichen Mutter Theres tanzte und wie gewaltig die Freude diese beiden Frauen verjüngte und kräftigte, so daß sie es zur Verwunderung aller Anwesenden aushielten bis zum letzten Ton, wiewohl von keinem bedächtigen Menuett, sondern von einem Bauernwalzer die Rede gewesen ist.

Freilich war der Hobist auch der beste Tänzer der Gemeinde und trug die zwei Alten fast immer schwebend im Kreise herum. Nach drei Kirchweihtagen wußte er wieder einmal, Tanzen sei auch eine Arbeit und das Rosele pries sich glücklich, weil er mindestens nicht bei ihr seine Müdigkeit und Abgeschlagenheit aller Glieder geholt hatte; die alten Herzkäfer der schwarzen Schwitt dagegen meinten, er habe ihnen unsäglich viel Ehre angethan, doch hätte er mit Jeder noch ein bischen mehr walzen können!

Auf große Freud' folgt großes Leid! heißt ein altes Sprichwort und daß es gar oft ein wahres werde, erfuhr der Held der herrlichen Kirchweihe bald, ja das Leid trieb ihn aus dem Dörflein in die Garnison zurück, noch ehe sein Urlaubspaß abgelaufen war.

Er sitzt eines Abends, wo das Rosele wieder daheim beim Straßenbasche sitzen und diesem von der seit urdenklichen Zeiten unerhörten Kirchweihe ihres Geburtsortes erzählen mag, mit Vater, Mutter und einigen Hausfreunden am Tische; das Gespräch kommt auf die Leichenbegängnisse und das Leidtragen der Soldaten. Der Duckmäuser erklärt, jeder Soldat, welcher Leid tragen wolle, trage einen schwarzen Flor am Arme oder auch nur eine schwarze Schleife auf der Brust, je nachdem ihm an der verstorbenen Person mehr oder weniger gelegen sei.

Darauf fragt die Mutter:

»Nun, wenn ich einmal sterbe, dann wirst du gewiß einen recht großen Flor tragen?«

Rasch und lächelnd meint der Benedict:

»Wenn Ihr einmal sterbet, dann stecke ich einen weißen Federbusch auf meinen Kriegshut!«

Hat jemals Einer Grund bekommen, einen unbesonnenen Scherz bitterlich zu bereuen, so ist dieser Eine der arme Hobist.

Kaum ist das Wort aus seinem Munde, so wendet ihm die Mutter den Rücken zu und unfähig, ein Wort zu reden, beginnt sie so heftig und laut zu weinen, daß alle Dasitzenden erschrecken. Was half es, daß Alle die Weinende zu beruhigen suchten und ihr den Scherz erklärten? Daß der Benedict endlich selbst mitweinte und sich anbot, unter ihren Händen augenblicklich zu sterben, wenn er damit beweisen könne, wie aufrichtig er sie liebe?

Das von unsäglicher Liebe erfüllte Mutterherz scheint in Einem Augenblicke gänzlich versteinert zu sein; sie hört später mit Weinen auf, doch bleibt sie unerbittlich, kein gutes Wort kommt mehr gegen ihn aus dem Munde, sie mag und will ihn nicht mehr sehen, er muß aus dem Hause, soll es bei ihren Lebzeiten nicht mehr betreten. – Der Wunsch ging in Erfüllung.


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