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Der Duckmäuser als Schulbube

Wer sich einen Bauersmann vorstellt, der unter seinem Nebelspalter etwas finster hervorschaut und dessen eckiges Gesicht die Sorgen des Lebens tüchtig durchfurcht haben, obwohl sie nicht im Stande waren, einen Zug ernsten Trotzes in unterthänigst kriechende Demuth vor jedem bessern Rocke zu verwandeln, der hat das Gesicht des Vaters unseres Helden gesehen und wird den abgetragenen Kittel, die Lederhosen, deren ursprünglich gelbe, die Weste, deren ehemals rothe in eine von den Malern bisher unentdeckte Farbe übergegangen ist, nicht vergessen und noch weniger die knorrigen Eichenfäuste und die breitgetretenen Füße des Mannes. Wer sich näher nach ihm erkundigte, würde überall erfahren haben, der Jakob sei ein nicht ganz armer Mann mit sechs lebendigen Kindern, habe niemals recht lesen lernen, folglich auch den »höflichen Schüler« niemals studirt und sei eine grundehrliche Haut, welche Gott und den Amtmann fürchte, mit seinem Weibe glücklich lebe und von jedem Nachbarn geliebt werde, obwohl er ein bischen hart, unbeugsam und auffahrend dazu sein könne.

Sein Weib, die Theres, mag in ihrer Jugend nicht häßlich gewesen sein, aber auf dem Lande wird die Schönheit gar rasch verschwitzt und wenn eine Frau ihre zwölf Kindbetten durchgemacht hat, wirds schlimm aussehen, wenn hinter der Leibesruine nicht ein treues, frommes Herz schlägt. Doch unter dem Mieder der Theres sah es gut aus und deßhalb lebte sie auch mit ihrem Alten recht glücklich, insofern festes Vertrauen auf Gott alle Sorgen und Drangsale des Tages ohne viel nutzloses Klagen und Weinen überstehen läßt.

Jakob hatte auf dem Felde, in Wald, Stall und Scheune, die Theres an all diesen Orten, in der Küche, am Waschzuber, in allen Winkeln des Hauses und im Garten dazu vom Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht alle Hände voll zu thun, so daß die Beiden außer an Sonn- und Feiertagen wenig mit einander plaudern, geschweige zanken konnten. Wenn es so kalt wurde, daß der Jakob seine 5- bis 8pfündigen Schuhe anziehen mußte, dann wurde er etwas brummig, denn das war Zeitverlust und wenn der Mond schien, war er im Stande, noch in der Sommer-Nacht zartes Laub und dergleichen für seine Kühe, Geisen und Schweine zu holen und es war gut, daß seine Hände nichts davon wußten, die Brombeeren und Schlehen hätten auch Dornen, und daß er mit bloßen Füßen im Verhau herumstolperte, ohne von spitzen Dornen, Steinen und dergleichen mehr als eine Ahnung zu besitzen. In der Nacht bekam er seine Ruhe, wenn nicht gerade eine Kuh kalbern wollte, das Geschrei der Kinder beirrte ihn wenig; wenn er die ganze Woche tüchtig gearbeitet hatte und am Sonntagmorgen vor der Kirche so glatt und freundlich wie ein Schuljunge hinter dem Ofen hervortrat, wo er sich ohne Spiegel und Seife musterhaft rasirte, dann pflegte er zu sagen: »Theres, die Arbeit ist gethan, heute wird zum Herrgott gebetet und Mittags im Hirzen drüben ein Hälbsle getrunken, wenn auch der Bettelvogt noch zehnmal schellt von wegen der Herrensteuer!« ...

Die Theres freute sich auch auf den Sonntag, denn wenn es für sie auch keinen Hirzen gab, so gab es doch eine Kirche und eine rechte Predigt und ordentlicher Gottesdienst erquickt ein frommes Weibergemüth mehr, denn ein Fäßlein Burgunder oder gar Capwein. Die Woche über kam die Theres kaum zum Athemholen und in der Nacht, wenn der Jakob schnarchte trotz der größten Baßgeige, fing die Plage erst recht an, denn die eisgraue Großmutter konnte die Kinder in der Nacht nicht alle pflegen und schweigen und trocken legen, und wenn eines zahnte oder sonst krankte, schlossen die beiden armen Weiber oft kein Auge.

Am Sonntag aber wars so traulich in dem aufgeputzten Häuslein, als ob die Leute die Kirche aus dem Gottesdienste mit sich genommen hätten und Mittags stand auch Fleisch auf dem Tische, an hohen Festtagen Wein aus dem hintern Fäßlein, wo der Alte und Gute älter und besser wurde, während der Gewöhnliche vom Essig wenig sich unterschied.

Nachmittags nach der Vesper zog dann Jakob seinen blauen Rock ohne Kragen mit tellergroßen Metallknöpfen an, stopfte sein Pfeiflein, drückte den Nebelspalter ein bischen aufs linke Ohr und machte mit dem Liebhardt, Fidele, Michel oder Bassi einen Gang durch die Fluren und dann in den Hirzen, um bis zum Abend an seinem Hälbsle zu trinken, während das junge Volk kegelte, auf der Straße spielte, in Rädlein beisammen stand oder Arm in Arm kettenweise singend durch das Dörflein auf und ab zog. Es mochte zweifelhaft sein, ob der Jakob an seinen Aeckern und Kühen größere Freude hatte, denn an seinen Kindern, mindestens pflegte er jene zärtlich, während er diese nach Herzenslust herumkrabbeln, fallen und heulen ließ, ohne sich groß umzusehen, dagegen bleibt es sicher, daß die alte Hanne ganz vernarrt in ihre Enkel und die Theres in den Benedikt am vernarrtesten war.

Der Benedikt, ihr erstes Kind hieß ihr »Augäpfelchen« und man darf ihr solche Vorliebe verzeihen, obwohl sich dieselbe nicht nur in Blicken und Reden kund gab. Der Benedikt mit seinen schwarzen Haaren, den runden Apfelbäcklein, kohlschwarzen Augen und dem freundlichen Munde war wirklich ein herzallerliebstes Büblein und dabei so munter und gescheid, wie keins im Dorfe gefunden wurde.

Die Leute hatten keine eigene Kirche, nicht einmal eine Kapelle, mußten im Leben und Tod ihrem Herrgott die Besuche im nächsten Orte abstatten und als der Benedikt die ersten Höslein an hatte und vom Vater am rechten von der Mutter am linken Händlein zum ersten Mal in die Kirche geführt wurde, blieben alle Leute stehen und gab es eine ganze Prozession von schweigenden und redenden Bewunderern, das Herz der Eltern bebte vor Freude und daheim konnte Theres der alten Hanne nicht genug erzählen, welche Ehre sie mit dem »Augäpfelchen« eingeerndtet, wie brav er in der Kirche gewesen, die Händlein gefaltet und bei der Wandlung mit Kreuzmachen und Brustklopfen gar nicht mehr aufgehört habe. Das Büblein holte bereits Alles beim Krämer, besorgte alle Aufträge pünktlich, griff alles geschickt an, es mochte sein, was es wollte und lachte vor Vergnügen laut auf, wenn man es nur lobte. Mit Lob ließ sich der Benedikt durchs Feuer treiben.

Besaß das Dörflein keine eigene Kirche und keinen Pfarrer, so besaß es doch eine eigene Schule und einen Schulmeister. Zwar hatte dieser nirgends besonders studirt, war eine gefallene Größe, nämlich ein großer Maurer, der von einem Dachsparren herabgefallen und ein Bein gebrochen hatte, dabei ein guter, braver Mann und wußte Alles den Kindern beizubringen, was diese in der Welt brauchen, vor allem den Katechismus.

Der Benedikt saß keine sechs Wochen in der Schulstube, so wurde auch der alte Lehrer gänzlich in ihn vernarrt und es dauerte keine zwei Jahre, so kannten die Kinder Einen Ihresgleichen als Unterlehrer, nämlich des Jakoben Benedikt.

Was Andere in einem Jahre lernen, lernte unser Held ohne große Mühe in vier Wochen und was der Mathes, der acht volle Jahre stets im Eselsbänklein saß und später dennoch ein tüchtiger Bauer und braver Mann geworden ist, in seinem Leben niemals begreifen wird, begriff der Benedikt rascher und leichter als die gescheidteste Schulkamerädin, nämlich die Susanna.

Eine andere Uhr denn eine Sonnenuhr besaß weder die Schule noch der Schulmeister und vom achten Jahre an war der kleine Schulmeister auch »Zeitverwalter« mit einer kleinen Unterbrechung gegen das Ende der Schuljahre, wo der Muthwille, der in ihm steckte, den alten Lehrer einige Wochen in Verzweiflung setzte.

Das Augäpfelchen der Theres wurde das Augäpfelchen des Lehrers, aller Buben und Mägdlein und vieler Erwachsenen und vielleicht haben die Weihrauchwolken dazu beigetragen, auch seine Gestalt in die Länge und Breite zu treiben.

Mit den Buben stand er gut, weil er der Stärkste, bei allen Spielen und lustigen Streichen, die sich mit seiner Unterlehrersehre vertrugen, voran, dabei unpartheisch und freundlich gegen alle war und bei den Mädlen stand er besser als jeder Andere angeschrieben, weil er eine merkwürdige Vorliebe für sie hegte, sie zart und schonend behandelte, gegen Schimpf und Schläge schützte, ihnen in der Schule einsagte, beim Singen eines Liedes den rechten Ton anstimmte und die leidigen Schulaufgaben gegen ein bischen Lob oder auch gegen ein Schmätzlein machen half.

Um nicht weitläufig zu werden und dennoch einen rechten Begriff von dem kleinen Benedikt zu bekommen, der ein ganz anderer Kerl war, denn der verachtete, blutarme und arg vernachläßigte Zuckerhannes, wollen wir nur drei Thatsachen aufmerken.

An einem Frühlingstage wird in der Schule biblische Geschichte gelesen und die Kinder schauen sehnsüchtig durch die Scheiben in die grünende und blühende Welt und rücken unruhig hin und her, denn das stundenlange Sitzen und Schwitzen ohne Unterbrechung ist die Folter der Kinderjahre. Auf einmal zupft ein Mädle das Andere und ein Bube den Andern und wer den Grund entdeckt, hält die Hand vor den Mund oder kichert laut. Weßhalb? Der »Unterlehrer« hat aus einem Stücklein Holz und vier beinernen Knöpfen ein Wägelein gezimmert, einen kleinen Kiesel als Fracht darauf gelegt und vier stattliche Maienkäfer, an eine Deichsel gebunden, ziehen das Ganze über die Sitzbänke. Der Lehrer merkt's, zieht die Stirne kraus und ruft den Benedikt auf, im Lesen fortzufahren. Wer beim letzten Wort weiter fährt, ohne eine Miene zu verziehen, ist der Benedict. Der Lehrer weiß, welchen Kopf und welche Kenntnisse der muthwillige Unterlehrer besitze, meint, derselbe sage einige Satze auswendig her und werde bald stecken bleiben, doch der Benedict liest und liest, ohne nur einmal zu stottern, ohne eine Silbe zu verfehlen.

Dessen verwundert sich der Lehrer, steht auf, greift nach Benedicts Buch und siehe – dieser hat Alles auswendig hergesagt, denn lesen konnte er schon deßhalb nichts, weil er das Buch, wie der Lehrer auch seither geglaubt, verkehrt in der Hand hielt.

Dieser Streich und hundert ähnliche dazu verschafften dem Benedict den Beinamen »Leichtsinn« und mit den Jahren wuchs sein Leichtsinn wirklich, wie er denn einmal, als ein Schuldschein geschrieben werden sollte, dem Lehrer keinen andern machte als folgenden:

»Ich heiße Leichtsinn, bin der Leichtsinnigste und habe in diesem Zustande geschrieben!«

Wenn er wollte, brachte er stets die besten Aufsätze, doch schien er immer weniger zu wollen, der Lehrer sagte wenig dazu, verschonte ihn fernerhin auch mit Schlägen und wußte warum.

War eine Schulaufgabe zu machen oder gar die Sonntagspredigt nachzuschreiben, so gings wie eine Prozession zu Jacobens Haus, denn hier saß der Benedict, trug die Predigt Wort für Wort im Kopfe und dictirte Jedem der zu ihm kam und Jedem verschieden, je nachdem er den Hansjörg mit seinem harten Hirnkasten, den Mathes, diesen privilegirten und getreuen Eselsbankdrücker oder einen Gescheidtern vor sich bekam. Die besten Aufsätze jedoch dictirte er den Mädlen, lief stundenlang von Haus zu Haus und bevor die Sabin insbesondere das Fließblatt ins Heft gelegt hatte, dachte er nicht ans Ballspielen oder an etwas Anderes.

An einem Winterabend zogen alle Buben ihre Schlitten lange vor der Betzeit heim und mit vielen Erwachsenen dem Rindhofe zu und Niemand fragte, was es gebe, weil Jeder wußte, es werde alldort Comödie gespielt. Die Mädchen saßen schon in der Scheune, Sabinens Gesicht glänzte vor Freude; sie saß mit der Mutter Theres und Hanne auf der vordersten Bank, der Jacob fehlte auch nicht und sah heute nicht sorgenschwer und finster drein, sondern koste mit zweien seiner jüngern Kinder; die Bänke füllten sich rasch und Alles schaute gespannt und ungeduldig nach einem Vorhange, der aus vier zusammengenähten Leintüchern gebildet war. Endlich kommt auch der alte Lehrer, eine Schelle lärmt, der Vorhang geht auf und mit einem Ah! der Bewunderung betrachten Alle – das Marionettentheater und wissen, daß heute der Benedict den »verlornen Sohn« spielen wird.

Hat der Benedict dem Landstreicher Kranich nicht längst alle Possen abgespickt? Macht er ihm nicht alle Zauberstücke nach und hat er nicht die Herzen der Dorfbewohner schon durch den »Todessprung des Ritters, den Doktor Faust, die Genofeva von Brabant, die drei Müllerstöchter, die Hirlanda, schöne Magelona« und Anderes erfreut? Sind nicht Einzelne aus den nahen Dörfern und einmal sogar der Herr Pfarrer gekommen? Hat der Benedict nicht seine Herzkäfer, die Sabin, Euphrosin, Susann, Margreth, Thekla, Line, Affer, Lisbeth und Andere geplagt, bis alle Puppen da waren? Hat er nicht den Hanswurst selbst gemacht und dazu ein Stück Hosenleder verschnitten, welches dem Mütterchen auf Ostern Schuhe hätte geben sollen?

Heute bat er sichs sauer werden lassen, um den »verlornen Sohn« prächtig auszustatten. Jetzt sieht man den Alten in seinem Ruhesessel, der älteste Sohn steht trotzig vor ihm und fordert sein Erbtheil. Dann geht er fort ins fremde Land, ein Reisender kommt zu der Mutter und sagt derselben, aus ihrem Sohne sei etwas Großes geworden, er kommandire eine ganze Armee. Richtig kommt der Sohn mit seiner großen Armee, diese jauchzt, johlt und jodelt wie nach dem größten Siege selten eine und so geht das Ding fort bis ans Ende, wo der Benedict ein bischen heiser wird.

Wer aber beschreibt das Entzücken des Publikums? Wann hat der vielgeübte Kranich jemals den weichherzigsten Mädlen Thränen entlockt? Der Benedict tritt hervor, ist umringt von nassen Augen, der Lehrer wird zum Wortführer des Lobes der Zuschauer, der Benedict verlebt eine der seligsten Stunden seines Daseins, die Mutter desselben schwimmt mit der Sabin' und andern Mädchen in Freudenthränen, von ihrem Augapfel, ihrem Liebling entlockt.

Jetzt drängt sich das mehr als 80jährige Bäbele mit seinen schneeweißen Haaren aus dem Hintergrunde hervor; war doch der Benedict auch ihr Liebling und sie muß ihm auch ihre Huldigung darbringen. Sie thut es, doch thut sie noch mehr, denn das Morgenroth einer höhern Welt leuchtet durch ihre Wangen, die Augen schauen prophetisch in die Zukunft und zu dem Volke sich wendend, spricht sie das inhaltsschwere Wort. » Glaubt nur, ihr Leut', aus dem Benedict wird entweder ein großer Herr oder ein großer Spitzbube, in unserm Geleise bleibt er nicht!« Wie oft hat der »Duckmäuser« in bangen Kerkernächten, in der erschütternden Einsamkeit der Zelle an diese Worte gedacht! Bäbeles Gebeine sind längst vermodert, ihr Name ist verschollen, doch ihr prophetisches Wort hat sich erfüllt und zittert durch das Herz eines Lebendigbegrabenen!

Längst haben sich die einzelnen Kameradschaften der Buben und Mädchen alle bemüht, den Benedict an sich zu fesseln, längst war er der Mittelpunkt, um den sich die Dorfjugend sammelte; in die »Kunkelstube«, wo er gerade zu finden war, dahin kamen auch Männer und Frauen, denn er erzählte Legenden der Heiligen, Rittergeschichten und Anderes so schön und lebendig, daß man Alles zu sehen und zu hören glaubte und in seinem Dörflein war noch alte Sitte und Zucht vorherrschend und man hätte einen Menschen, der über die Heiligen spottete oder die Unschuld erröthen machte, aus den meisten Kunkelstuben einfach hinausgeworfen.

Seit dem Abend, an welchem der verlorne Sohn gespielt worden, schaute der Jacob seinen Benedict respectvoller an, derselbe war ihm und Andern längst über den Kopf hinausgewachsen, der Held der Dorfjugend und sein Name in allen umliegenden Dörfern mit Ehren genannt.

Wurde ihm noch nicht die Welt zu enge, so war dies allmählig doch mit der Schulstube der Fall. Lernen konnte er hier nichts mehr und wußte er sich die Langeweile auch zu vertreiben, so wünschte er doch sehnlichst, Mutter Theres möchte die Zügel ein bischen länger machen und dies war nicht der Fall, so lange der Benedict zur Schule ging.

Die ganze Weisheit des Vaters bestand in dem Sätzlein: Bete und arbeite! Er ging mit Beispiel voran, hielt mit eiserner Strenge darauf, daß die Seinigen es auch thaten und wenn die Mutter nicht Alles über ihn vermocht', wie der Benedict Alles über die Mutter, so würde es wohl mit dem Heldenthum kläglich ausgesehen haben! ... Auf dem Lande ist das Geld von je als die theuerste Sache betrachtet worden, wo wenig Geld und 6 unerzogene Kinder zu finden sind, gibts zu arbeiten; gar oft mußte der gute Benedict die Kunkelstube meiden und bis um Mitternacht selbst spinnen; freilich spann das Mütterchen auch mit, denn der Winter vergeht rasch und die Leinwand muß zeitig auf die Bleiche, doch Mütterchen fing an, dem geistvollen und gelehrten Benedict mit ihren endlosen Rosenkränzen allgemach langweilig zu werden. Er wünschte oft, die Großmutter möge vom Kirchhofe kommen und sich wieder statt seiner mindestens an die Kunkel setzen; die Hanne kam jedoch nie wieder, sie hatte auf Erden genug gesponnen und der Faden ihrer Pilgerfahrt war im letzten Spätjahr leise und sanft abgerissen worden.

Der Communionunterricht beginnt, Benedict faßt freudige Hoffnungen, wiewohl er erst im Sommer 14 Jahre alt wird, der Mittwoch vor dem Palmensonntag macht dieselben zu Schanden, denn an diesem Tage werden die Namen derer verlesen, welche zum erstenmale zum Tische des Herrn gehen und aus der Schule entlassen werden. Zitternd vor Erwartung sitzt er da, jeder Name zuckt wie ein Schwert durch seine Seele, zuletzt wird noch dem Mathes die Erlösung vom Eselsbänklein angekündiget, dann kommen die Namen der Mädchen, er kanns kaum glauben, dennoch ist's richtig – sein eigener Name fehlt, der Lehrer mag den Unterlehrer nicht vor der Zeit verlieren. Noch mehr, die Seraphin, einer seiner Herzkäfer, der auch erst im Heumonat 14 Jahre alt wird, darf als »die feinste, fleißigste und sittsamste« communiciren und die ganze Schule hört an, wie der Lehrer erklärt, der Benedict müsse als der »Leichtsinnigste von Allen« noch ein Jahr da bleiben.

Jetzt war Feuer unter dem Dache und brannte ein volles Jahr! ... Besaß die Seraphin das gehörige Alter? Nein; wem hatte sie ihren Ehrenplatz zu verdanken? Zum guten Theil dem Benedict, der ihr einsagte und alle Schulaufgaben machte. Saß derselbe nicht an einem verdienten Ehrenplatz? Und jetzt sollte jene »die Feinste, Fleißigste und Sittsamste« und er dagegen »der Leichtsinnigste von Allen« sein?

Zunächst ward der Seraphin der Krieg erklärt und bald hieß das arme Mädchen allenthalben nur »die Feinste, Fleißigste und Sittsamste« und getraute sich nicht mehr, irgendwo hinzugehen aus Furcht vor Spott und Hohn. Hat das Mädchen dem Lehrer nur Milch und nichts Anderes schmeichelnd ins Haus getragen? Waren die Susanna und Margreth nicht zweimal in der Nähe, als Seraphins Mutter den weißen Korb mit einem noch weißern Tüchlein deckte und der Tochter empfahl, den Herrn Pfarrer drüben doch recht inständig zu bitten, daß sie aus der Schule komme und vorzustellen, was die alternde Mutter alles zu thun habe? Würde der Benedict, wenn er Solches vorher gewußt hätte, nicht dem Vater eine Kuh aus dem Stalle gezogen und dem Schulmeister gebracht haben statt vergänglicher Milch und dies nur, um aus der Schule zu kommen? ... Dem Pfarrer legte Benedict nichts in den Weg, er besaß den Muth nicht dazu; desto schlimmer kochte er es dem Schulmeister; – statt des gehofften Unterlehrers besaß dieser jetzt einen unbeugsam trotzigen, saumseligen und muthwilligen Schüler mehr, bei welchem Milde und Güte, Bitten und Betteln so wenig fruchtete als Drohungen und Schläge.

Schulaufgaben machte er für seine Herzkäfer, für sich selbst niemals oder in der Art, wie jenen früher erwähnten Schuldschein. Fragte ihn der Lehrer Etwas, so antwortete er trocken, er wisse es nicht oder machte die Mitschüler zu lachen, bat ihn der Lehrer, ihn ein bischen abzulösen, so ermahnte er denselben, sich an die »Feinste, Fleißigste und Sittsamste« und nicht an den »Leichtsinnigsten von Allen« zu wenden. Einmal mußte er hinaus, um die Sonnenuhr zu richten, was Keiner besser verstand; er that's, verschwieg jedoch eine ganze Stunde und der Lehrer machte fort, bis Weiber und Bursche kamen, um die Kinder zum Mittagsessen aus der Schule fortzuholen; ein andermal richtete er die Sonnenuhr so, daß der Lehrer die Schule fast um eine Stunde zu früh schloß. Von jetzt ab mußte jedoch der Max aus dem Rindhof die Sonnenuhr richten lernen, und weil der Lehrer sah, Hopfen und Malz seien am Benedict verloren, kümmerte er sich auch allmälig wenig darum, ob derselbe schwänze oder nicht und wenn er erschien, mußte er neben Mathesens Ersatzmann, dem dummen Hansjörg sitzen, der genug schmunzelte, auf seinem Katzenbänklein einen so trefflichen Einbläser neben sich zu haben! ... Endlich naht die letzte Schulprüfung, diesmal wird der Benedict kein Lob und keinen Preis davontragen!

Einige Buben müssen die »verhexte Kuh und rothe Milch«, einige Mädchen den »feurigen Drachen« zusammen declamiren lernen und wenn der Philipp, der jetzt neben dem Rindhofmax auf dem Ehrenplatze sitzt, Einen hätte, der die Rolle des belehrenden Herrn Pfarrers in den »Feuermännern« ausfüllte, würde der Lehrer hoffen, auch dieses Jahr beim Dekan Ehre zu erndten. Demüthig bittet der arme Mann den Benedict, ihm den einzigen und letzten Gefallen zu erweisen und bei der Prüfung die Rolle des Belehrers in den »Feuermännern« zu übernehmen, doch der Benedict lacht ihm schadenfroh ins Gesicht und meint: »Ich und der Hansjörg führen auf dem Katzenbänklein die Declamation der Stummen mit einander auf, gelt Hansjörg?« – Der Hansjörg grinzt und nickt bejahend, die Schüler lachen, der tief gekränkte Lehrer sagt dem Benedict, er möge ganz von der Prüfung wegbleiben und schließt die Schule sogleich vor Wehmuth.

Am vorletzten Tag vor der Prüfung geht der Lehrer in die Schulstube und wer exerzirt die Prüfungshelden nach Mienen, Stellungen und Reden in die »verhexte Kuh und rothe Milch« ein? Wer denn anders als der Benedict!

Der Erstaunte bleibt an der Thüre stehen, bis das Ding fertig ist, dann eilt der arme Mann, der statt Geister stets vor der Prüfung lauter Schwarzröcke sieht, begeistert auf den Benedict zu, drückt krampfhaft dessen Hand vor lauter Freude und bittet denselben öffentlich vor allen Schülern um Verzeihung ob der bisherigen Zurücksetzung. Unser Held weint auch beinahe vor Freude über solche Befriedigung des Ehrgeizes, doch trotz den Ermahnungen des Lehrers und der Schüler setzt er sich keineswegs auf den Ehrenplatz, sondern auf das Eselsbänklein neben dem einfältigen Hansjörg.

Die Prüfung naht, kommt, ist bei den kleinen Schülern vorüber, sie drängen hinaus, die andern hinein, doch – der Benedict fehlt, mit Todesangst schielt der arme Lehrer nach der Thüre und sucht ein Taschentuch, um einige aufsteigende Angsttropfen abzuwischen.

Endlich geht die Thüre auf, der Ersehnte tritt herein, schreitet stolz am Eselsbänklein vorüber und setzt sich auf den Ehrenplatz; der verlassene Hansjörg hat ein gar wehmüthiges Gesicht dazu gemacht! Noch niemals zeichnete sich der Benedict bei einer Prüfung so aus, wie diesmal; auch die Rolle des belehrenden Pfarrers in den »Feuermännern« spielt er meisterhaft und wie Alles vorüber ist, tritt er vor die 15 oder 18 gegenwärtigen Herren, verbeugt sich ehrerbietigst und beginnt das schöne, lehrreiche Gedicht: »Der Holzhacker« – auf eigene Faust zu declamiren und biß bei den Worten:

»Und biß, o Graus, am goldnen Bröcklein die Zähne sich aus!«

so ernsthaft und natürlich zu, daß sämmtliche Herren nachbeißen zu wollen schienen.

Der Declamation folgte ein langes Beifallsgeklatsche und öffentliche Belobung des über den Benedict ganz entzückten Dekans als Abschied aus den Kinderjahren.

Ob unser Held den Leib Jesu Christi beim erstenmal auch würdig empfangen und gewußt habe, was er eigentlich thue, ist ihm heute zweifelhaft, doch meint er, der Unterricht sei ein bischen arg mangelhaft und schlecht gewesen und ein Bube könne nicht Alles aus dem kleinen Finger saugen, wenn er auch ein Benedict sei.


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