Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dorfgeschichten

Wenn mans genau und eine Landkarte dazu in die Hand nimmt, lassen sich die Einwohner des Badnerlandes in lauter Schwarzwälder und Odenwälder eintheilen. Die schwäbische Hochebene und rauhe Alp sind wohl geognostische Kinder des Schwarzwaldes und das Rheinthal von Basel bis Mannheim eigentlich nur ein Bergkessel zwischen dem Schwarzwalde und den Vogesen.

Freilich gedeihen auf den Höhen des Schwarzwaldes nur Nadelhölzer; selbst diese verkrüppeln und verschwinden am Feldberge und wenn auf den Vorhügeln des Rheinthales drunten Mandeln verblüht sind, Kastanien blühen und die Rebe ihre Schößlinge treibt, sind die rechten Schwarzwälder froh, wenn ihr Hafer angesäet und ihre Kartoffeln gestupft werden können und thun, als ob sie heuer gerathen wollten. Doch die rechten Schwarzwälder bewohnen nur ein kleines Gebiet; jedes Thal hat wieder sein Besonderes in Sprache, Tracht und Sitte und wer das Murgthal bis Freudenstadt und Rothweil, das Kinzigthal von Offenburg bis Schenkenzell und Alpirsbach, das Simonswälderthal, Höllenthal und viele andere Thäler von der würtembergischen Grenze bis zum Rheine besucht hat, weiß am Ende nicht mehr recht, wo er den Schwarzwald eigentlich suchen soll, nicht weil Land und Leute einen cosmopolitischen Brei bilden, sondern weil man kaum recht Athem holen kann, um Verschiedenheiten in der Natur und unter den Menschen zu finden.

Steigt er vom Schluchsee oder Titisee, wo Schlehen, Preiselbeeren und andere Kinder des Nordens allein noch zu finden sind, in die Seitenthäler herab, wo Obstbäume die Strohhütten beschatten und wogende Saatfelder die saftiggrünen Wiesen mit ihren sprudelnden Quellen allgemach ersetzen, die gelben Strohhüte und kurzen, faltenreichen Röcke allmälig verschwinden und tritt er aus den Vorhügeln mit ihren Weinbergen in das Rheinthal hinaus und wandert vom Wiesenthale abwärts bis zur Murg und zum Neckar, so befindet er sich allerdings nicht mehr in der Gebirgswelt, sondern in einer gartenähnlichen Ebene, doch das Gebirge kommt ihm weder aus den Augen noch aus dem Sinn, die Ebene liefert ihm auch alle Augenblicke etwas Anderes und wenn er aus den zahllosen Mannigfaltigkeiten die Einheiten heraussucht, theilt er die Menschen am Ende in zwei große Partheien, nämlich in Dorfmenschen und Stadtmenschen; im Gebirge herrschen die Dorfmenschen, in der Ebene die Stadtmenschen vor und der Unterschied der Dorfmenschen unter sich ist bei weitem nicht so groß, wie ihr Unterschied von den Stadtmenschen.

Wer das Leben und Treiben der Schwarzwälder im engern Sinne genau kennen lernen will, muß den »Kalender für Zeit und Ewigkeit« oder »Spindlers herzige Erzählungen aus neuerer Zeit« zur Hand nehmen, denn Berthold Auerbachs Dorfgeschichten, so anmuthig, hinreißend und herrlich sie auch uns und vielen tausend Andern vorkommen, sind eben doch keine eigentlichen »Schwarzwälder« Dorfgeschichten, sondern laufen fast ohne Schwarzwälder Lokalfarben auf die Gegensätze zwischen Stadt und Land hinaus.

Im Gebirge verschlingt das Dorfleben das Stadtleben, in der Ebene geht´s umgekehrt zu und wie das Stadtleben allmälig auch in den Seitenthälern und auf den Höhen des Gebirgs zur Herrschaft kommen will, zeigt unter Andern die Geschichte des Duckmäusers.

Das Heimathdörflein desselben liegt an der Mündung eines Thales, das einen allmäligen Uebergang vom Schwarzwalde zur Rheinebene bildet und zwar nicht blos der Natur, sondern auch des Charakters der Bewohner. Land und Leute wachsen immer und überall wundersam zusammen und für ein geübtes Auge ist jede Gegend ein Buch, aus dem es die Geschichte, das Leben und Treiben ihrer Bewohner so im Allgemeinen herausliest!

Kehren wir nach diesem kurzen Ausfluge zu unserm Benedict zurück, der aus der Schule entlassen, bereis ein bischen größer und vom Mütterlein ein bischen weniger gezügelt wurde.

Sein Vater, der finstere, doch grundehrliche Jacob arbeitet noch immer den ganzen Tag, rasirt sich am Sonntag hinter dem Ofen und trägt Nachmittags nach der Vesper seinen Nebelspalter in den Hirzen. So lange der Benedict in der Schule war, durfte er nicht ins Wirthshaus und nicht einmal den größern Burschen den Kegelbuben machen, doch jetzt hilft er dem Vater tüchtig arbeiten, stolzirt am Sonntage mit Etwas herum, was bei uns fast so viel bedeutet, als die toga virilis bei den alten Römern, nämlich mit einer Tabakspfeife und wenn es ihm beifällt, auch ein Schöpplein im Hirzen zu trinken, so sieht's der Jacob nicht gerne, doch der Sohn will thun wie andere auch und noch mehr, weil er der Held in 5 Dörfern ist. Der Vater hört denselben doch lieber herausstreichen als schimpfen und muß eben nachgeben, wie andere redliche Väter auch nachgeben.

Abends mag der Benedict nicht mehr beim Mütterlein spinnen, die kleine Hanne kanns thun, wird dieselbe doch mit jedem Tage größer und der Bruder geht in die Kunkelstube, um seinen Erzählerruhm aufrecht zu erhalten. Alle einzelnen Kameradschaften der Bursche und Mägdlein buhlen um seine Gunst, wo die Margareth ist, welche er am liebsten zu haben scheint, sitzt die Ofenbank voll und wenn er kommt, kommt Freude und Leben und jedem der Feierabend zu frühe.

Alle Häuser besucht er, jeden Abend ein anderes, in jedem ist er beliebt und bekannt und Niemand weiß, welchem er den Vorrang gebe! Uebrigens darf man nicht glauben, daß die Buben und Mägdlein unziemliche Kurzweil trieben an den langen Abenden, mindestens geschah dies nirgends, wo der Benedict hinkam und dieser wußte einen wüsten Gast derb abzutrumpfen und heimzuschicken.

Der Liebling der Jungen wollte auch der Liebling der Alten sein, zudem dem Mütterchen eher Ehre denn Schande machen und so wurde in den Kunkelstuben nur Ehrbares und oft Heiliges erzählt und nichts Unziemliches geschwatzt oder gar getrieben. Der Benedict hielt viel auf Ehre und hätte es sich nicht nachsagen lassen, daß ein unehrbares Wort aus seinem Munde gekommen und deßhalb liebten ihn auch alle Mädchen und ihre Eltern hatten nichts dagegen, wenn dieselben mit ihrer Kunkel und dem Rosenkranz nach dem Nachtessen in das Haus wanderten, in welchem der Benedict gerade zu finden war.

Eines Abends sitzt so eine trauliche Gesellschaft im Vaterhause des Hansjörgen und der Benedict erzählt bis gegen 10 Uhr, daß den Zuhörern bald die Thränen in die Augen schießen, bald die Gänsehaut aufsteigt. Jetzt stellt die Margareth ihre Kunkel weg, streicht die braunen Haare aus der Stirn, steht auf und sagt gar holdselig: »Benedict, 's ist bald Zeit, wir wollen noch Eins tanzen, damit wirs lernen bis Fastnacht!« – Alle Buben und Mägdlein sind dabei; der Benedict hat seine Klarinette bei sich, denn auch ein Musikus ist er geworden, der blinde Hans hat ihm die Griffe und Pfiffe gezeigt, er spielte bereits die schönsten Hopser, Ländler, Walzer und dergleichen aus dem ff heraus und jetzt sucht er den Ton, während Tisch und Bänke in eine Ecke gestellt werden und der Hansjörg vor Freuden mit der Zunge schnalzt und Sprünge macht wie ein Tiroler.

In diesem Augenblick tritt jedoch die Ursula, Hansjörgens Mutter in die Stube und sagt zum Benedict: »He, Benedict, wollt Ihr tanzen? Weißt wohl, daß ich nichts dagegen habe, wenn´s Zeit ist, doch ist heute nicht Freitag Abend? Was fällt dir auch ein, an einem solchen Abend blasen zu wollen? Kommt am Sonntag oder an einem Tage in der nächsten Woche!«

Der Benedict wird feuerroth, steckt die Klarinette ein, geht mit dem jungen Volke fort und sagt auf dem Heimwege zu den Mädlen, er wisse gar nicht, was er darum gäbe, wenn er heute nur nicht in Ursulas Haus gewesen wäre! ... Die Ursula war eine Gevatterin seiner Mutter und Gotte dreier seiner jüngern Geschwister, hatte ihn von Kindesbeinen an geliebt und geehrt, doch wer ihr Haus mit keinem Schritte mehr betrat und ihr auf der Straße fortan auswich, das war er, und zwar deßhalb, weil er meinte, sie hielte ihn in ihrem Herzen für einen religionsfeindlichen Menschen, der sich nichts daraus mache, am Freitag zu tanzen und aufzuspielen!

Hatte es früher schon schlechte und verrufene Leute im Dorfe gegeben, so gab es allmälig auch Aufgeklärte, denn mancher, der als frommer, züchtiger Rekrut fortgegangen war und auf Urlaub heimkam, hatte die Welt in der Stadt und in der Kaserne mit neuen Augen betrachten gelernt und der reiche Max aus dem Rindhofe wanderte jetzt fleißig in die nahe Stadt, wo er in jeder Bierkneipe gescheidte Leute und genug kirchenfeindliche Zeitungen fand. Der arme Benedict regierte die Jungen im Dorfe, der reiche Max sah dies nicht gern, suchte und bekam auch Anhang und daß der vielgepriesene »Zeitgeist« auch in diesem Dörflein zu rumoren anfange, zeigte sich vor dem Frohnleichnamsfeste. Seit urdenklichen Zeiten saßen jedes Jahr am Tage vor dem Frohnleichnamsfeste die Mädchen in der Schulstube und arbeiteten oft bis Mitternacht, um das Kreuz und den Altar, zu welchem die Prozession morgen aus dem Pfarrdorfe herüberzog, mit den stattlichsten Kränzen und Blumen zu schmücken. Sie hätten es sich um keinen Preis nachsagen lassen, der Herrgott am Kreuz und das ganze Kreuz sammt dem Altare seien nicht mit Kränzen, Blumen und Bändern aufs reichlichste ausstaffirt gewesen. Die Bänder wurden von den Mädchen und deren Müttern geliefert und heuer kommandirt der Benedict den ganzen Tag im Schulhause, macht den stattlichsten Kranz, der die Dornenkrone bedecken sollte und verspricht Abends beim Fortgehen, er werde der erste sein, welcher morgen früh den ersten Kranz ans Kreuz hefte.

Dem schwülen Tage folgte eine Regennacht, welche zu stürmisch war, als daß man hätte fürchten mögen, die Prozession werde darunter leiden und noch um 11 Uhr saßen einige Mädchen in der Schulstube, um beim Licht die letzten Zurüstungen zu treffen. Der Benedict liegt im Bett und will sich eben vom Rauschen des Sturmes in den Baumwipfeln und vom Plätschern des Regens in Schlaf lullen lassen, als es leise an seinem Fensterlein klopft und ruft. Er springt auf, denn er kennt diese freundliche Stimme und verwundert sich über den seltsamen Ton derselben.

»Hör', Benedict, jetzt sind wir Mädchen zu Schanden gemacht,« berichtet die Margareth, welche den hübschen Kopf in das Kammerfensterlein hineinstreckt, damit das Wasser vom Dache sie nicht ersäufe.

»Verlassen und verrathen sind wir, alle Mühe war umsonst, denn die Buben haben keine Maien geholt!« bestätigt die Susanne. »Was? keine Maien?« sagt der Benedict erschrocken und Margareth sammt der Jutta und dem Vefele, die auch herbeieilen, erzählen, der Max habe die Buben aufgehetzt, heuer keine Maien im Walde zu holen und gesagt, es sei eine Schande für so große Esel, sich noch mit solchen »Kindereien« abzugeben. Daß der Max nicht umsonst redete, während der Benedict im Schulhause saß, stellte sich um Mitternacht sonnenklar heraus. Die Maien sind jedoch gleichsam die Rahmen, welche das Kreuz und den Altar liebend umfassen und wie armselig sieht ein Bild ohne Rahmen drein? Je größer, schöner und frischer die Maien, desto größer die Ehre für die Mädchen, an den Maien erkannten die Leute aller benachbarten Dörfer, wie Buben und Mädchen in diesem Jahre zusammen standen, seit Menschengedenken hatten die Maien nie gefehlt, drum that es den Mädchen heuer desto weher, sie sahen nicht nur den Herrgott vernachlässigt, sondern sich selbst beschimpft.

Rathlos steht der Benedict, ängstlich stehen seine Herzkäfer vor dem Fensterlein, der Regen stürzt wie aus Kübeln vom dunkeln Nachthimmel und ob den Vogesen, dem Rheinthale und Schwarzwalde zugleich flammen Blitze und kanonirt hundertstimmiger Donner.

»Geht heim, ihr Lieben, Maien müssen her, ich verlasse Euch nicht!« sagt endlich der Benedict, reicht den Mädchen die Hand, schließt das Fensterlein und schleicht zu den Eltern. Die Mutter hat all ihre Seiden- und Taffetbänder ins Schulhaus geschickt, sie weiß, daß sich die Mädchen heuer ganz besonders abmühten, jetzt erzählt er, wie schimpflich die Buben gehandelt und die Mutter stößt ihren Alten aus dem Schlafe. »Wär´ der Werktag nicht schon vorbei und der Fronleichnamstag angebrochen, so ginge ich wahrlich trotz Sturm und Wetter in den Wald!« meint der Benedict zögernd, um den Eltern an den Puls zu fühlen.

»Was an Sonn- und Feiertagen zu Gottes Ehre gearbeitet wird, ist keine Sünd´! antwortet die Mutter.«

»Aber woher Maien? Die Weidenstöcke am Bach sind abgehauen, ... das Unwetter ist grausig, ich müßte eben junge Birklein holen, ´s ist fast eine Stunde in den Wald und wenn mich der Cyriak, der Waldhüter erwischte, gäbe es theure Maien!« meint der Benedict. »Ah bah! Cyriak hin oder her, wenn´s dir Ernst wäre, würdest du nicht darnach fragen, ob es theure oder wohlfeile Maien gäbe! Warum haben denn die Buben keine geholt, he?« sagt der Vater.

»Weil´s der Max, der Willibald und noch ein paar so schöne es für eine Schande erklärten und Alle, welche holen wollten, so verspotteten, daß sie es bleiben ließen!«

»Eine ewige Schande ist´s für euch, Buben, euch von dem ungerathenen Max, der unserm Herrgott und dem eigenen Vater, dem herzensguten Fidele nur Schande macht, in der Art verhetzen zu lassen! Gehst du nicht, so stehe ich wahrhaftig auf, wecke den Fidele und wir alte Kracher bringen gewiß Maien!« fährt der Jacob auf, wirft die Schlafkappe weg und richtet sich aufgebracht im Bette empor.

Fünf Minuten später eilt der Benedict mit einem Beil und Stricken durch die Sturmnacht, kein Faden an ihm bleibt trocken, bis er in den Wald kommt; hier ist's stockfinster, doch seine Hände wissen glatte Birkenrinde von der der jungen Erlen gut zu unterscheiden und bald hat er vier stattliche junge Birklein vor den Wald auf die nassen Wiesen herausgeschleppt. Das Aergste ist, daß er kaum zwei auf einmal zu tragen vermag; muß er den Weg doppelt machen, so kommt der Tag, ehe alles an Ort und Stelle und die Freude der Mädchen fertig ist. Was thut der Benedict? Er springt mit zwei Birklein eine Strecke weit, springt zurück, um die beiden andern nachzuholen, macht auf diese Weise fort und die ersten Strahlen des Tages sehen die letzten zwei Birklein am Altare. Der Regen hat aufgehört, die Schwalben zwitschern und die Rothkelchen singen auf den Dachfirsten, der Benedict tropfnaß und heidenmäßig schwitzend, springt ins Schulhaus, dann zum Altare zurück, heftet richtig, wie ers versprochen, auch den ersten Kranz ans Kreuz und dann geht er heim, um noch ein Stündlein zu ruhen.

Sehr früh kommen einige Bauern zum Altare, um bei der Verzierung des Kreuzes zu helfen, alle bewundern die herrlichen Birklein, der Cyriak kommt aber auch dazu und sagt:

»Diesen Vier hab' ichs gestern Abend spät noch vermacht, daß sie heute da gesehen werden! ... Am Werktag sind sie nicht geholt worden und diesen Morgen auch nicht! ... wer die geholt hat, muß gesalzen werden! ich bring ihn heraus, gebt Acht, 's wird theure Maien geben!« brummt er zum Xaver, betrachtet ärgerlich die schönen Bäumlein und macht eine Faust.

»Sie stehen besser hier, als in deinem Revier!« lacht der Xaver.

»Heut' sind die Birklein noch schöner als gestern, gelt Cyriak?« scherzt der alte Liebhardt.

»Sollen auch schön Geld kosten, ich bringe den Buben heraus!« versichert der Cyriak und geht mit starken Schritten das Dorf hinauf.

Die Ehre der Mädchen war in den Augen aller Einheimischen und Fremden durch die Verzierungen und durch die vier prächtigen Birklein herrlich gerettet, dafür wurde auch der Benedict von den Mädchen schier in den Himmel erhoben und erklärt, er allein sei treu gegen Gott und Menschen, er verdiene, daß sie ihn zeitlebens auf den Händen trügen.

Das Wunderbarste bei der Sache blieb, daß kein Mädchen den Waldfrevler verrieth. Um Mittag wurde das Vefele, das heute Nacht bei demselben gefensterlet, von ihrem Vater, dem Cyriak, ins strengste Verhör genommen, doch sie weiß nichts und ihr Bruder, der Mathes, versichert, er wisse auch nicht, wer die Birklein geholt, wenn ihn der Vater auch mit dem Waldbeil vor das Hirn schlüge. Wie ein Feuerreiter eilt der Cyriak von Haus zu Haus, von Mädchen zu Mädchen, doch die Birklein blieben abgehauen und – was keine Erdichtung, sondern blanke Thatsache ist und ein Licht auf die angebliche Schwatzhaftigkeit der Mädchen wirft – der Benedict unverrathen, mindestens für das laufende Jahr.

Vom Max und dessen Anhange mußte er dagegen Spottreden genug hören, doch kümmerte er sich wenig um diese »neumodische Schwitt«, wie der Max mit seinen Kameraden hießen, welche auch allgemach an Werktagen und am Sonntag unter dem Gottesdienst im Wirthshause zu sehen waren. Liberalseinsollende Zeitungen und böse Bücher übten wohl nur Einfluß auf diese Bursche, weil Aufklärer in jedem Wirthshause saßen; sie selbst waren keine großen Freunde vom Kopfzerbrechen und Lesen und ihre Weisheit floß in einem unter dem Landvolke allmälig weit verbreiteten Sprichwörtlein zusammen, welches heißt: Predigen und Büchermachen ist das Handwerk der Pfaffen und G'studirten! Woher solches Sprichwort stamme und welche Leute es am liebsten im Munde führten, darauf sah die »neumodische Schwitt« nicht, sondern schloß mit ihrem gesunden Bauernverstande ruhig weiter: »Ist der Pfaff ein Handwerker, so ist die Kirche seine Werkstätte, Gottesdienst und Predigt aber sind Stücke seiner Arbeit. Bei jedem Handwerker hat man die Auswahl unter seinen Arbeiten, daher wählt man aus der Predigt gerade das, was Einem am besten gefällt und gefällt Einem nichts (was bei steigender Aufklärung bald der Fall sein muß), nun, dann läßt man dem Pfaffen seine ganze Arbeit und geht am Ende gar nicht mehr in die Werkstätte desselben!«

Die Eltern der »neumodischen Schwitt« sammt den meisten bejahrtern Einwohnern betrachteten die Kirche als das Haus Gottes, den Geistlichen als Diener Gottes, thaten, wie ihre Urahnen, hielten Sonn- und Feiertage heilig, beteten zu Hause, in der Kirche, im Felde bei Prozessionen und Bittgängen, zierten das Kreuz vor dem Dorfe und schliefen nicht ein, wenn der Benedict Legenden erzählte. Sie waren der Religion treu geblieben; Protestanten, welche über die Jungfrau Maria, die Heiligen, die Ohrenbeichte, das Abendmahl, die Ehelosigkeit des Pfarrers witzelten, gab es keine und dies aus dem einfachen Grunde, weil es überhaupt im Dörflein des Benedict und in der Umgegend weder Protestanten noch Hebräer gab.

Es lebte da ein gutes, glückliches Völklein und wenn auch die Protestanten von ihm als eine Art Heiden betrachtet wurden und die kleinen Kinder davon liefen, wenn ein Hebräer auf der Straße zu sehen war, so geschah doch Niemanden etwas zu Leide um des fremdartigen Glaubens willen. Was zum alten Eisen gehörte, blieb der Aufklärung unzugänglich; der Jacob pflegte zu sagen, die »neuen Lehren« seien von »alten Lumpen« längst gepredigt worden und dafür wußte er Namen zu nennen. Doch die Aufklärung in religiösen und politischen Dingen kam auch in dieses Dorf und ihre erste Frucht war Zwiespalt unter dem jungen Volke beiderlei Geschlechtes.

Der Max saß mit dem Willibald und Andern fleißig im Wirthshause, der Fidele und die Eltern der Uebrigen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, ermahnten, baten, weinten, zankten, fluchten und wetterten, doch gab dies keinen Zwiespalt unter der Dorfjugend, denn hier zwitscherten die Jungen nicht, wie die alten sangen, sondern die Alten mochten sagen, klagen und thun, was sie wollten, die »neumodische Schwitt« ließ sich dadurch wenig Galle aufrühren und noch weniger graue Haare wachsen.

Zuerst begnügte sie sich, im Wirthshaus zu sitzen statt in der Werkstätte des Pfarrers; bald spotteten sie über Jene, welche beim Alten bleiben wollten und in demselben Jahr, in welchem der Max aus der Sonntagsschule entlassen wurde, hatte er auch die Magdalene zum Extraschatz, ein armes, doch hübsches Mägdlein voll Leben und Feuer.

Weil sie einige Sommersprossen im Gesichte und rothe Haare hatte, deßhalb hieß sie auch »die Rothe« oder das »Fegfeuer« und wegen ihres lebhaften ungestümen Wesens zuweilen »der Feuerteufel.«

Unter den Burschen war der Max der Reichste, doch der Benedict der Gescheidteste und Angesehenste und letzteres zeigte sich, als jener seine Macht erprobte und einen Vorschlag machte, welcher so recht zu der »neumodischen Schwitt« paßte.

Uralte Sitte und patriarchalisches Leben herrschten in diesem Dörflein noch und so bestand auch der Gebrauch, daß die Buben den Mädchen insgesammt am Neujahr und bei andern Gelegenheiten Geschenke machten, ohne dabei Gedanken an nähere Liebschaften zu haben.

Nun meinte der Max, welcher vielleicht etwas von der Zehntablösungsfrage aufgeschnappt hatte, man möge künftig den Mädchen nur noch am Neujahr Etwas geben und zwar keine Ringe oder ein Konstanzer Gesangbuch und ähnliches Zeug, sondern baares Geld. Er stand gerade unter der alten Linde, welche die Jugend so vieler Geschlechter beschattete und die Sache wurde noch an demselben Abend in allen Kunkelstuben verhandelt. Die »Rothe« und einige andere Mädlen wären mit dem Geldgeschenk zufrieden gewesen, doch wurde viel gestritten, der Max und der Benedict redeten sich für und gegen die neue Mode schier Lunge und Leber heraus.

Am Ostermontag kam die Angelegenheit bei den Buben und Mädchen zur Berathung und Entscheidung, der Max hatte gotteslästerlich viele Worte, Flaschen und Versprechungen aufgeboten, Benedict in den letzten Tagen so geschwiegen, daß der Max ihn auf seine Seite zu bringen hoffte, doch jetzt trat derselbe für die alte Sitte und seine jungen Herzkäfer auf und siehe da, die meisten Buben fielen ihm zu.

Wüthend zog Max mit den Seinigen von der Linde in den Hirzen; von diesem Tage an brachte er dem Benedict den diesmal sehr unverdienten Namen, »der Duckmäuser« auf; der Zwiespalt des jungen Volkes offenbarte sich noch an demselben Tage darin, daß die Neumodischen sich im Wirthshause abgesondert von den Altmodischen setzten, doch geschah keine feierliche Kriegserklärung, es wurden einstweilen nur neue Namen aufs Tapet gebracht.

Benedict hieß fortan »der Duckmäuser« und sein Anhang »die schwarze Schwitt«, Maxens Roche gab den Anlaß, dessen Schwitt die »roche« zu taufen und von »lewatisch gewordenen Schaufelstudenten« und »Knierutschern« war beiderseitig viel Munkelns und ingrimmigen Höhnens.

Viele Buben und Mädchen wußten noch nicht recht, zu welcher Schwitt sie halten sollten und am andern Sonntage stehen und sitzen sie nach der Vesper um die Linde herum, plaudern und scherzen, singen und lachen, doch will die Freude nicht recht in Gang kommen, denn der Benedict fehlt und vergeblich läuft bald die Susanne, bald die Margaret mit ihren Kameradinnen ins Oberdorf, um den Herzkäfer herbeizuholen. Im Hirzen sitzt der Jacob vor seinem Hälbsle, daheim steht die Theres im Garten und ihr Waldburgele hält sie immer an der Schürze, das Besele und das Kätherle folgen der Mutter wie die Küchlein der Henne, doch weder der Jacob noch die Theres wissen, wo der Benedict steckt und die kleinen Schwestern wissen auch nichts, als daß er ihnen ein Rad am Wägelein flickte, worauf sie ihre »Doggenbaben« spaziren führen, dann die Kappe genommen, den Kittel über das rothe Wamms angezogen habe und fortgegangen sei, nachdem er in der Küche beim Anzünden der Tabakspfeife sich noch ein bisle verbrannt habe! ... Auf einmal geht der Ersehnte mit dem Gregor, seinem liebsten Kameraden vom Unterdorf herauf und langsam auf die Linden zu, die Susann' und die Margareth, das Vefele und die Apel, die Affer, Sabin' und Andere laufen ihm entgegen.

»Sag uns doch, warum bist du bös auf uns?« – »He, ich bin mit Euch durchaus nicht bös!« – »Ja, warum kommst heute nicht?« – »Ei, bin ich jetzt nicht bei Euch?« – »Du bist bös mit uns, wenn du's auch verhehlst!« – »Ich bin nicht bös, gelt Gregor nit?« »Aber«, sagt der Duckmäuser jetzt laut und vernehmlich und steht mitten unter dem Haufen, »ich und der Gregor und der Mathes bleiben jetzt für uns Herr, und Alle, welche am Frohnleichnamstag Maien geholt haben, dürfen nicht mehr zu mir kommen!« – »Und die, welche keine Maien geholt, sollen uns vom Leibe bleiben!« rufen die Mädchen. – »Ich gehe über Feld, wer will mit?« – »Ich, ich, ich auch, wohin?« rufen und lärmen die Buben. – »Ja, es dürfen keine Andern mit mir als solche, die den Mädlen keine Maien geholt haben!« ruft der Duckmäuser.

Der Stich wurde verstanden, die Buben sonderten sich in zwei Heere, das größere sagt: »Benedict, wir sind bei dir!« – »Wollt Ihr altmodisch bleiben?« fragt der Benedict und Alle antworten. »Ja!« Einer rennt in den Hirzen, mit feuerrothem Kopfe kommen der Max, der Willibald und Andere; der Max scheidet zuerst seine Rothe von den andern Mädlen ab, die Buben alle thun dasselbe, die Scheidung der Lämmer und Böcke, der schwarzen und rothen Schwitt ist in wenigen Minuten entschieden, die rothe Schwitt verläßt mit ihren Mädchen die Linde, am nächsten Sonntage soll sichs zeigen, ob die rothe oder schwarze Schwitt ihren Mädlen größere Freuden zu bereiten verstehe!

»Lauter Markgräfler muß auf den Tisch«, schwört der Max, »kein Mädle darf an den Wänden herumstehen, wenn's auch keinen besondern Schatz hat, bei uns gilt die Eine was die Andere, wir bringen Anderes auf's Tapet, als Blumenzutragen, Maienholen, den Eckpfosten am Schulhaus verzieren und das verwitterte Kreuz, wo der Herrgott bald einen Schnurres von Moos bekommt!« Was ist das für ein Munkeln und Gerede die ganze Woche, wie gespannt sind die Alten und Jungen, doch ruhig bleiben die Mädlen der schwarzen Schwitt, denn ihr Herzkäfer hat gesagt: »Der Max und ich stehen einander gleich dick gegenüber am Sonntag, obgleich er der einzige Sohn des reichen Fidele ist und ich der des fast armen Jacob; ihr Mädlen sollt nicht zu Schanden werden!« Am Sonntag nach der Vesper sitzen die beiden Schwitten mit ihren Mädchen im großen Saal beim Hirzenwirth einander gegenüber; dem Duckmäuser thut nichts weher, als daß der Hansjörg und dessen Schwester, zwei stille, harmlose, einfältige Seelen auch bei der rothen Schwitt sitzen. Die Beiden halten den Duckmäuser für ihren Todfeind seit dem Freitag, an welchem ihre Mutter demselben das Tanzen und Klarinettblasen verbot, obwohl er ihnen kein böses Wort gegeben. Der Max bekommt gar keine Zeit zum Sitzen vor lauter Einschenken und Zubringen des Markgräflers an seine »Gemeinmädlen«, und feurige Wangen und blitzende Augen gibts unter der rothen Schwitt, bis endlich der Max seinen Wamms auszieht, das Halstuch locker knüpft, das Schnupftuch in einem Knopfloche seiner rothen Weste festbindet, seine Rothe am Kopfe nimmt und sagt: »Auf Alte, wir tanzen jetzt Eins!«

Jetzt wird getanzt, gesoffen und gefressen, daß es erst eine rechte Art bekommt. Unter dem Tisch der rothen Schwitt liegen die Scherben aller geleerten Flaschen, vom Tische herab regnet der Zwölfer, kein Glas darf vom Munde, ehe es ganz geleert ist, nur der Hansjörg und dessen Schwester sind von diesem Gesetze ausgenommen; die Pyramiden von Wecken und Bretzeln, welche vor den Mädchen gestanden, waren zum guten Theil wieder Teig geworden, die rothe Schwitt tanzt, stampft und jauchzt, daß der Boden zittert und die Scheiben klirren.

»Franz«, schreit der Max dem Aufwärter zu, der mit seiner weißen Schürze schwitzend umherfliegt, »Franz, einen Kübel voll vom Allerbesten, vom alten Rothen!«

»Jo, s'ischt anfangs nöthig, daß Ihr's in Kübeln fordert, d'Butelle sind bi Gott alle z'sammeng'schlage!« brummt der Franz.

»Franz, hol ihnen den Brunnentrog im Hof, sie können die Köpf hineinhängen, daß sie bälder voll werden!« ruft der Duckmäuser vom Tisch seiner Schwitt herüber und der Willibald schaut ihn giftig an.

Schon um 5 Uhr trinkt der Max nicht mehr, hört auch nichts von der schönen Musik, denn er liegt schwerbetrunken hinter dem Holzschoppen des Hirzenwirths und seine Rothe mag auch irgendwo so ein Plätzlein gefunden haben; um 6 Uhr ist von der rothen Schwitt nichts mehr zu sehen als eine im Markgräfler gebadete und von Flaschen zerhämmerte Tischplatte voll Scherben und Teig; die Gäste wurden theilweise fortgetragen, theilweise taumelten sie hinaus, um im Freien sich zu lagern, nur der Hansjörg und dessen Schwester sitzen noch da und diese führt der Duckmäuser jetzt an die lange und dicht besetzte Tafel der schwarzen Schwitt.

Die Mädlen der rothen Schwitt haben sich theilweise fortgeschlichen, theilweise buhlen sie um Aufnahme bei der schwarzen, heute wird aber nichts daraus.

Der Duckmäuser hat auch Pyramiden von Wecken und Bretzeln aufstellen lassen, doch nichts durfte verdorben werden; er hat stets denselben Wein kommen lassen wie der Max, doch blieb die Tischplatte sauber und Niemand wurde zum Saufen gezwungen; Alle sind nüchtern und in Ehren fröhlich, der Duckmäuser sitzt stolz zwischen seiner Margareth und der Marzell.

Den Mädlen der schwarzen Schwitt gefiel's gar wohl, keinen »Batzenvierer«, sondern denselben Wein wie die der rothen trinken zu dürfen; nunmehr ist die rothe Schwitt fort, die Mädlen meinen, man könne jetzt mit dem Zwölfer aufhören, weil das Prahlen und Wettzechen vorüber sei, doch jetzt läßt der Duckmäuser erst vom Dickrothen ausstellen, bringts der heißgeliebten Margareth zu und lacht:

»He, Ihr glaubt, der Benedict habe einen schwindsüchtigen Geldbeutel, weil sein Alter das Knieschlottern bekommt, wenn er ihm einen Batzen geben muß? Seid getrost, der Dorfhanswurst hat noch Späne!« Alles Zureden und Lobreden der Mädchen half nichts, gab nur zu zärtlichen Wortgefechten Anlaß und alle Mädlen gelobten, der altmodischen Schwitt treu zu sein, alle Buben schwuren, wie ehrliche Brüder zusammenzuhalten und die Mädlen in Ehren hoch zu halten. Erst Abends zehn Uhr schied die schwarze Schwitt vom Hirzen und vom Dickrothen, doch kein Betrunkener war zu hören oder zu sehen und den ganzen Sommer redeten Alt und Jung vom Ehrentage, welchen der Benedict seinen Herzkäfern bereitete.

Am nächsten Sonntage legt der Duckmäuser der Susanne, die mit ihren Kameradinnen aus der Kirche kommt, die Hand auf die Achsel, schaut sie gar ernsthaft an und fragt. »Habt ihr recht andächtig gebetet, Mädlen?« – »Ja!« – »Auch für mich?« – »Wir beten Alle für dich!« rufen die Mädlen treuherzig und dem Duckmäuser wirds wohler ums Herz.

Er hat sich nichts merken lassen, doch bang und schwüle ist's ihm seit dem letzten Sonntag und finstere Ahnungen, als ob ihm etwas Großes, Ungeheures bevorstehe, schnüren seine Brust zusammen; jetzt thut ihm das Geständniß der lieben Kameradinnen gar wohl und gießt Muth in seine Seele! ... Daheim hat der jüngere Bruder schon das Papier gerichtet und die Feder gespitzt, damit ihm der Benedict die Predigt dictire; der Benedict kommt und dictirt, doch guckt er wieder in Einem fort in eine Ecke und der Bruder muß heute gar zu oft fragen: »was kommt jetzt, was soll ich jetzt schreiben« und meint, er habe heute nicht recht aufgepaßt, sonst müßte er nicht so lange studiren.

Plötzlich fragt der Vater draußen mit einer Stimme nach dem Benedict, welche diesen zittern macht; rasch öffnet er die Kammerthüre und ruft: »Was ist's, was gibts?« Die Frage ist noch nicht recht heraus, fühlt sich der Benedict am Titus gefaßt, hageldichte Schläge versetzt ihm der Jacob mit einem vierfachen, reichlich mit Knöpfen versehenen Seilstumpen und brüllt. »Wo hast du Geld geliehen?« »Hab' keines geliehen!« heult der Benedict, krümmt sich unter den Eichenfäusten des Vaters und immer wüthender haut dieser zu und haut zu, wie der Sohn schon auf dem Boden liegt, denn Weste und Wamms hatte dieser ausgezogen und trug nur ein Hemd und dünne Sommerhöslein, so daß kein Hieb verloren ging. »Ach, Vater, sechs Kreuzer habe ich geliehen!« – »Bei wem, Schlingel!« – »Beim Aloys!« – »Wo hast noch geliehen?« – »Beim Bernhard!« – »Wieviel?« – »Nur zwölf Kreuzer!« – »Wo hast noch geliehen?« – »Beim Stoffel!« – »Wieviel?« – »Achtzehn Kreuzer!« – »Und wo noch?« – »O Jesus, Maria und Joseph, laßt mich gehen, beim Bernhardt!« – »Wieviel?« – »Einen Sechsbätzner!«

Auf solche Weise ging das Examen fort, der Jacob bebte vor Zorn und Wuth, doch seine Kräfte gaben nach von lauter Zuschlägen, der Benedict aber war Eine Beule von oben bis unten und sein Blut rann ihm über das Gesicht und den zerfleischten Leib. Athemlos und keuchend steht der Jacob, vermag kaum den Seilstumpen mehr in der Hand zu halten, mit heiserer Stimme gibt der Benedict die letzte Antwort: »Ach, beim Liebhardt hab' ich zwei Gulden geliehen!« – und aufs neue schlägt der Vater zu, daß sich der Sohn wie ein Wurm auf dem Boden krümmt, schreckensbleich steht der Bruder, die Schwestern weinen vor Mitleid, die Theres bringt vor Angst und Schrecken kein Wort hervor und hat den Muth zum Abwehren verloren, denn sie kennt ihren Alten und weiß, wozu ihn die Wuth bringen kann.

Das Blut Benedicts, der keine Stimme und keine Thränen mehr zum Weinen hat, gibt ihr endlich den Muth, in den Augenblicke, wo alle Kinder um Hülfe für den Bruder schreien, aus der Küche zu springen, dem Vater, der mit beiden Händen seinen Strick hält und zuhaut, unter den Streich zu fahren, denselben am Arme zu packen und zur Menschlichkeit zu ermahnen. »Spring fort, spring fort, Benedict!« rufen angstvoll die Geschwister und der Benedict springt nicht fort, doch wankt er zur Thüre und zur Hinterthüre hinaus in den Obstgarten und von da über den Zaun ins Feld.

Ohne Kappe, ohne Halstuch, ohne Wamms und Weste, ohne Schuhe und Strümpfe und dazu ohne Geld wankt der Mißhandelte von Wenigen gesehen und von Keinem erkannt, dem Weidengebüsche am Mühlenbache zu.

Dies waren Folgen des Ehrentages der schwarzen Schwitt.

Der Vater hatte nicht gewußt, daß sein Sohn die Zeche bezahlte; diesen Morgen wandelt der Liebhard mit ihm und andern Nachbarn aus der Kirche, das Gespräch kommt auf den Benedict, Alle loben denselben und der Liebhardt sagt: »Darfst glauben, Jacob, daß ich deinem Buben die zwei Gulden nicht geliehen hätte, wenn er ein liederlicher Mensch wäre!« – »Was? zwei Gulden hat er bei dir geliehen?« fährt der Jacob auf und macht Augen wie Pflugräder. – »Hätte ich das Maul gehalten!« denkt der Liebhardt, der jetzt erst merkt, der Jacob wisse nichts um die Sache, doch kann er nicht als Lügner dastehen, erzählt die Sache ausführlich und der grundehrliche Jacob schämt sich in den Boden hinein, der finstere Jacob aber eilt heim, flicht Knoten am Seilstumpen und ist gerade fertig geworden, als sein Opfer den Kopf zur Kammerthüre herausstreckte.

Der Duckmäuser hatte nicht nur beim Liebhardt, sondern noch bei vielen Andern, welche keine Buben oder Mädlen bei den Schwitten hatten, Geld geliehen, wußte nicht, daß der Vater nur vom Liebhardt etwas wisse, gestand zuerst den kleinsten, dann größere, allmälig alle Posten ein und mit den Zahlen wuchs so der Grimm des Vaters. Als dieser der Theres Alles erzählt, steht die gute, grundehrliche Frau gleich einer Bildsäule da und würde ihren Mann zum erstenmal einen Lügner gescholten haben, wenn sie die Geständnisse ihres »Augapfels« theilweise in der Küche draußen nicht selbst gehört hätte. Beim Mittagessen erschien kein Benedict, in der Vesper fehlte er auch und den ganzen Tag bis in die tiefe Nacht hinein war ein Geläufe der Buben und Mädlen der schwarzen Schwitt zum Elternhause ihres »Herzkäfers«, doch vom Benedict wußte Niemand ein Sterbenswörtlein, seine Eltern und Geschwister verriethen aber auch nicht, wie er geschlagen worden sei und warum.

Noch um zehn Uhr Abends geht die Margareth mit der Susanne, Marzell und Anderen durch das Oberdorf, sie reden lauter Liebes und Gutes vom Duckmäuser, eine dunkle Gestalt schleicht hinter ihnen eine Weile her und dann verschwindet sie zwischen den Gartenzäunen.

Es ist der Benedict, der seiner Wohnung zutrollt, die beiden kleinern Schwestern stehen noch im Hofe, eilen freudig auf ihn zu und berichten auf seine leise Frage, der Vater liege im Bett, die Mutter jedoch sei noch auf, sie habe immer geweint und gefürchtet, er werde sich den Tod anthun, doch wisse kein Mensch, was der Vater gethan habe.

Die letzte Versicherung tröstet den Duckmäuser, wenns nur Niemand weiß, dann steht alles gut! wie lieb ihn die Mädlen haben und wie hoch ihn die Buben der schwarzen Schwitt in Ehren halten, das hat er auf dem Heimwege erfahren!

Am Bache hat er seine schwarzblauen Beulen und blutigen Striemen wehmüthig betrachtet, sich dann ins Wasser gelegt und an den Wunden gerieben, hoffend, dieselben würden eher unsichtbar werden, dann legte er sich zwischen den Weiden nieder und schlief mit hungrigen Magen bis zum Abend, wo er noch sitzen blieb, bis es recht finster wurde und dann fortschlich, um zu sehen, wie es im Dorfe und daheim aussehe.

»Gang, Hannesle, lang mer jetzt die Kleider zum Kammerfenster heraus und bring mein Geld; es liegt hinter dem Getüchtrog in einem dunkeln Lumpen eingewickelt!« sagt der Duckmäuser; der Hannesle geht, berichtet der Mutter, der Bruder sei Gottlob wieder gekommen, das Mütterchen bringt das Geld selbst und fragt, wozu er so viel geliehen.

Ihr gesteht er Alles und sie sieht ein, daß der Augapfel Geld lieh, um die Altmodischen der schwarzen Schwitt im Dorfe gegen die liederlichen und allgemach verrufenen Rothschwittler in Oberhand zu halten, vergißt ihre Schaam und würde die Beulen ihres Augapfels gerne nicht nur aus dessen Gesicht, sondern von seinem ganzen Leibe mit ihren Zähren abgewaschen haben. Sie will ihm Essen holen, er will nichts und sagt, er verdinge sich noch heute Nacht in der Stadt oder sonst wo und nur das feierliche Versprechen der Mutter, beim Vater ganz gutes Wetter zu machen, bringt ihn davon ab, doch bleibt er nicht daheim, sondern geht wieder fort.

Eine halbe Stunde später kommt der Duckmäuser zum Dorfe, torgelt und taumelt und redet mit sich selber wie ein Schwerbetrunkener und findet aber doch den Weg zu den Linden, wo noch Buben und Mädchen der schwarzen Schwitt stehen, denn das Verschwinden ihres Herzkäfers hat Alle in schwere Unruhe und Besorgniß versetzt und Mehrere suchen in den umliegenden Ortschaften ihr Haupt.

Der Mond steigt über den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes auf und leuchtet ins Thal, die Susanne erkennt den Duckmäuser, Alle springen ihm fragend entgegen und sehen seine Beulen und Striemen; er spiele die Rolle des Betrunkenen, wiewohl er im Pfarrdorfe drüben nur zwei Schöpplein schnell hinabstürzte; sie glauben, daß er heute fortgewesen, im Rausche unbesonnen gewesen sei, Händel angefangen und »Pumpes« bekommen habe.

Dies war's, was er wollte, denn daß ihn seine Eltern so wenig verriethen, als die, von welchen er Geld geliehen, wenn er nämlich dieses Geld rasch zurückgebe, dessen war er gewiß.

Der theuern Margareth, der holdseligen Marzell und dem herzensguten Vefele erzählte er die Sache vom Liebhardt selbst, doch wollte er auf dem Markte, wohin er jeden Donnerstag mit einem Korb voll Eier, Butter und dergleichen geschickt wurde, ein großes Unglück gehabt und die zwei Gulden gebraucht haben, um den Schaden vor dem strengen Vater zu verbergen!

Er konnte als armer Bursche mit den paar rothen Batzen, welche die Mutter dem Vater für ihn abschwatzte, seine Anführersrollen nicht spielen, der Max würde ihn mit seinen Kronenthalern arg zu Schanden gemacht haben. Heimliche Schulden drückten den Benedict und seitdem er so gründlich erfahren, was der Vater von Schulden halte, wars ihm desto unlieber, weil die Mutter gar zu scharfe Augen machte, wenn sie den Marktkorb zurüsten half.

Ohne dem Augapfel ein Freudlein in Ehren zu mißgönnen, blieb sie sehr sparsam und häuslich; seit der Geldgeschichte schien ihr auch ein Licht darüber aufgegangen, weßhalb der Benedict seit einiger Zeit manchmal in »Brandpeterle's« Haus schlich, welches im Punkte der Ehrlichkeit und in einigen andern dazu nicht im besten Geruche stand. Sie paßte gewaltig auf, wenn derselbe seinen Marktkorb auf den Kopf nahm und in die nahe Stadt marschirte, suchte zuweilen hinter dem Getüchtrog und in andern Winkeln und schüttelte den ergrauenden Kopf, obwohl sie niemals etwas Verdächtiges fand.

Man munkelte im Dorfe hie und da von Schulden des Benedict, die rothe Schwitt meinte, »er habe es dick hinter den Ohren und sei halt der Duckmäuser«, doch die Leute wurden nach und nach bezahlt und der rothen Schwitt das böse Maul gestopft.

An einem Dienstag Abend sitzt der Benedict bei den Mädlen unter den Linden, da sagt die Marzell: »Gelt, du hast heute ein Pfund Butter bei der krummen Lisbeth für s' Baschi's Wittfrau gekauft?« – »Ja, warum sagst du's?« – »He, die Lisbeth hat dich bei einer ganzen Heerd Weiber ausgerichtet, habest ihr kein Geld für die Butter gegeben und nachher doch behauptet, du hättest sie bezahlt!« – »Wart'! der Lisbeth will ichs morgen sagen! Hab' ich je in meinem Leben um einen halben Kreuzer betrogen?« fährt der Benedict auf und geht bald ein bischen verstimmt heim.

Am nächsten Markttage steht die krumme Lisbeth mit andern Weibern und Mädlen des Dörfleins auf dem Wochenmarkte und just neben einer Obsthändlerin. Auf einmal kommt der Benedict, kauft für zwölf Kreuzer Obst, gibt der Frau das Geld und geht.

Eine Viertelstunde später kehrt er eilfertig zurück und fragt die Obstfrau schon von weitem: »Nicht wahr, bei Euch habe ich für zwölf Kreuzer Obst gekauft?« – »Ja, das habt Ihr!« – »Ich habe Euch ja 's Geld nicht gegeben?« – »Doch, doch, Ihr habts mir in die Hand gelegt!« – »Oh, das kann gar nicht sein, ich weiß es von meinem Gelde, die zwölf Kreuzer fehlen mir nicht!«

Wer keine doppelte Bezahlung will, ist die blutarme Obstfrau, wer darob ein tüchtiges Geschrei anfängt, der Benedict und während alle Weiber recht aufpassen, sagt er und schaut auf die krumme Lisbeth hinüber. »So ist's! Die Eine will ihre Waare gar nicht, die Andere dagegen doppelt bezahlt haben! ... Für die halbe Stadt muß ich einkaufen; gehe ich nun auch einmal fort und vergesse in Gedanken das Bezahlen, so finde ich bald, wo es fehlt, wenn ich die Rechnung über mein Geld stelle! ... Doch zweimal, wie es vorgestern Eine mit ihrem Pfund Butter haben wollte, zahle ich nicht gern!«

»Da sieht man wieder, wie man den Leuten Unrecht thut!« ließen sich die Weiber vernehmen und schauten auf die Lisbeth.

»Ich hab's vorgestern gleich nicht geglaubt, der Benedict geht jetzt schon lange auf den Markt und hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen!« meint die Apel.

Abends hört der Duckmäuser von seinen Herzkäfern lauter Liebes und Gutes und einer ganzen Heerde Weiber hat die Lisbeth eingestanden, es sei leicht möglich, daß sie Benedicts Geld für die Butter verloren habe; ein Loch sei nicht in ihrem Rocke, doch habe sie das Geld in der Eile nicht in den Beutel gethan und vielleicht mit dem Schnupftuche weggeworfen.

Sauer, blutsauer ließ sich's unser Held werden, bis die ärgsten Gläubiger zufrieden gestellt waren, Angst und Noth stand er genug dabei aus und fand, der Erwerb auf krummen Wegen gewähre dem Menschen sehr wenig Freude; er würde sich gern mit den paar Batzen begnügt haben, welche die Mutter ihm zusteckte, doch sollte er jetzt vor dem Max zurücktreten, aufhören, an der Spitze der schwarzen Schwitt zu stehen und so die »Neumodischen« Herren im Dörflein werden lassen?

Der Max besaß Geld wie Heu; nicht blos an hohen Feiertagen und besondern Gelegenheiten, sondern jeden Abend, den Gott gab, lebte die rothe Schwitt herrlich und in Freuden, sei es im Hirzen oder in Kunkelstuben, und wenn die schwarze Schwitt auch nicht groß thun, prahlen und unmäßig sein wollte, so gab es doch von Zeit zu Zeit Gelegenheiten zum Geldausgeben und der Benedict hätte es nicht sehen können, wie Maxens Rothe, Willibalds Luzie und Andere mit Geschenken überhäuft wurden, während die braven, treuen und lieben Mädlen der schwarzen Schwitt leer ausgingen.

Wenn er jetzt zuweilen mit einem kleinen Marktkorbe auf dem Kopfe zum Ort hinausging, so wuchs der Korb merkwürdig in die Höhe, ehe er durch das Stadtthor keuchte und einige Weiber wollten wissen, das Wunder gehe ganz natürlich zu; gewiß war, daß der Benedict unterwegs seinen kleinen Korb abstellte, seitwärts vom Wege in das Weidengebüsch des Mühlenbaches trug und weit schwerer bepackt wieder hervorkam, sich vorher nach allen Seiten umsah, ob kein Unrechter in der Nähe sei und dann rascher als vorher der Stadt zulief. Die krumme Lisbeth mit ihren scharfen Augen bemerkte es wohl, andere Weiber wußtens bald; sie zogen den Benedict auf wegen seines Abstellens bei den Weiden und dieser merkte, daß Mutter Theres sammt andern ihres Geschlechtes und manchen Männern dazu seine Ehrlichkeit und Redlichkeit stark bezweifelten.

Der Liebhardt war nicht allein beim Jacob gewesen, als die Geldanleihe zur Sprache kam, Andere mochten die Sache herum gesagt haben, Benedicts Eltern zahlten alle ihnen bekannten Gläubiger aus, diese merkten auch etwas, das Pfund Butter war auch noch nicht vergessen und das Dörflein lag nicht in einer Gegend, wo man gestohlen haben mußte, um für unehrlich zu gelten; eine wackere Lüge reichte dazu hin und der Marktkorb machte die Mutter so mißtrauisch, daß sich der Held der schwarzen Schwitt nicht mehr zu helfen wußte. Zuweilen kam jetzt wohl die Schwindsucht an sein Geldbeutelein, doch von Zeit zu Zeit besaß er Geld und so vorsichtig er mit dem Ausgeben desselben war, schüttelten doch manche den Kopf und meinten, der Max habe mit dem Namen »Duckmäuser« keinen üblen Einfall gehabt.


 << zurück weiter >>