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III.

Je mehr ich mich durch das Wohlwollen und die Theilnahme beglückt fühle, welche meine Briefe an Herrn N. mir erwarben, desto mehr will ich eilen Ihren Wunsch zu erfüllen und Ihnen die hauptsächlichsten Gründe des Unglaubens und der Unzufriedenheit des Lehrerstandes meiner nahe liegenden Zeit sowie meine Ansicht über Gelehrtenschulen mittheilen.

Die Auszüge aus den ungedruckten und gedruckten Heften meines alten Seminardirektors haben Ihnen überraschend gezeigt, wie Vieles geschah, um die Lehrer des Volkes zu eigentlichen Trägern und Aposteln der Hauptkrankheit unserer Zeit, nämlich des Mangels an lebendigem Christusglauben und des Ueberflusses an Unkenntniß und Verkennung der katholischen Kirche zu machen.

Der oft gehörten Behauptung, unser Lehrerstand sei im Ganzen noch weit besser und erträglicher als die Erziehung erwarten ließe, stimme ich gerne bei. Es gibt tüchtige, brave Männer unter unsern Lehrern mit einem Herzen voll Liebe für die Menschheit und ihren Beruf. Edle Anlagen und günstige äußere Verhältnisse Einzelner, ganz besonders die abkühlende Wirkung, welche mehr oder minder das Berufsleben auf jeden ausübt, mögen jedoch das Meiste dafür thun, wenn nicht die Mehrzahl unserer Lehrer aus ganz und gar blinden Fanatikern des Unglaubens und offenen oder heimlichen Revolutionären besteht.

Abgesehen von meiner einst so unseligen Person waren nicht die Schlechtern oder Unfähigeren meiner Kameraden der Gefahr am meisten ausgesetzt, Fanatiker des Unglaubens und arge Revolutionärs zu werden, sondern gerade begabte, strebsame Köpfe und feurige thatkräftige Charaktere.

Diese sendeten Ideale, welche sie aus den Schulbänken getragen, keineswegs leicht in die Himmel oder in das Druck- und Löschpapier zurück, von wannen sie gekommen, sondern suchten dieselben mit mehr oder minder Beharrlichkeit im Leben zu verwirklichen. Damit waren Gefahren verknüpft, von denen ich Ihnen zwei nennen will, welche ich für die größten halte, vielleicht weil ich denselben erlag. Zum Ersten mußte Ausbildung ein Loosungswort für Alle sein, welche würdige Mitglieder der welterobernden Culturfakultät werden wollten und die argen Lücken ihres Wissens fühlten. Das Bemühen, diese Lücken durch Selbstbildung auszufüllen, bleibt aber stets gefährlich, wenn die Erziehung uns zu wenig Vorkenntnisse, unserm Denken keinen Halt in der christlichen Weltanschauung und damit kein festes Urtheil über die Bücher gegeben, aus denen wir Weisheit zu schöpfen vermeinen.

Viele von uns kamen bereits unfähig, katholische Schriften zu lesen, geschweige zu lieben und am weitesten verirrten sich nach den Seminarjahren diejenigen, welche Schöngeister, Historiker oder gar Philosophen und Vielwisser werden wollten.

Wir griffen fleißig nach Conversationslexika, Realencyclopädieen und ähnlichen Bibeln des Zeitgeistes, verloren und vertieften uns immer mehr in die moderne Bücherwelt, worin bekanntlich wenig Christliches und noch weniger Katholisches, dagegen desto mehr Vernunftbetäubendes, Heidnisches und Diabolisches zu finden ist.

Die Meisten lasen wohl weit mehr mit dem Herzen als mit dem Kopfe und je mehr Einer las, desto mehr wuchsen Einbildung und Unfähigkeit, Christliches für etwas Zeitgemäßes, Vernünftiges und Heilbringendes zu halten. Zum Andern traten wir mit den Riesenansprüchen begeisterter Jünglinge in das Leben hinaus und dieses kam den Meisten nicht nur mit Zwergleistungen, sondern mit ungeahnten Schwierigkeiten und Leiden aller Art entgegen, welche uns entmuthigten, gegen Gott, Welt, Volk und Schicksal erbitterten. Ich könnte Ihnen Vieles von arg gequälten Schullehrern und vielerlei Arten von Quälgeistern derselben, namentlich auch von partheiischen und ungerechten Behörden, unchristlichen Geistlichen und der Dummheit des Volkes erzählen, aber ich will kurz sein und mit der Bitte, nicht zu vergessen, daß der Beste unter uns seine schlimmen Neigungen und Gewohnheitssünden hat, nur auf Eines aufmerksam machen. Das Erdenloos eines Schulmeisters heißt: Leiste und trage Vieles, nimm wenig Dank und noch weniger Geld dafür ein! – In Staaten, wo der bewaffnete Friede Tausende von Arbeitskräften und den größern Theil des Staatseinkommens verschlingt, weil wir vom Christenthum ab und in das Heidenthum, aus dem Reiche der Liebe in das der Gewalt hinein gerathen, da mußte wohl das Kirchengut so weit als nur immer thunlich in den Dienst des Heidenthums gezogen und dann das Schulmeisterthum so karg als nur immer thunlich für die saure Mühe abgefunden werden, womit es im Interesse der Staatsallmacht das Volk »aufklärt.«

Ich möchte beinahe sagen, unsere Schulmänner seien für ihr Wirken, wie dasselbe seit dem Beginne des Jahrhunderts sich gestaltet, noch weniger Lohnes werth als sie bekommen – allein ich schweige, weil ich an gewisse Klassen privilegirter Faullenzer und geschäftiger Müssiggänger denke und bleibe dabei, die Bezahlung der Schullehrer sei in den meisten christlichen Staaten heidnisch klein, so daß sie sich kaum mit den Bedürfnissen des genügsamsten, geschweige mit den Ansprüchen des selbstbewußten Mitgliedes der Kulturfakultät vertrage.

Freilich sind die Armen im Geiste glücklich; Christus lehrt Entbehrungen und Leiden der Armuth geduldig, muthig und freudig ertragen; Er ist zugleich der größte aller Finanzmänner und Nationalökonomen und in der Befolgung seiner Lehre liegt das Geheimniß verborgen, nach welchem das Jahrhundert immer ängstlicher seufzt und immer durstiger lechzt: die Kunst wohlfeil zu leben und wohlhabend zu sterben. Leider hat die Erziehung seit Jahrzehnten Vieles gethan, um beizuhelfen, daß das Volk arm an Geld und Gut und arm am Geiste, nicht aber, daß es arm im Geiste werde. Wenn in den untersten Ständen der Bettelsack der eindringlichste und gefährlichste Prophet des Kommunismus bleibt, so darf man sich nicht wundern, wenn aus dem bellenden Magen oder der durstigen Gurgel manches Schulmeisterleins ein unzufriedener Mensch und arger Demagog herauswächst!

Der Bauch ist ja im Laufe einiger Jahrhunderte zu einem Weltregenten und heutzutage zum unerbittlichen Gesetzgeber und dämonischen Tirannen der »christlichen Staaten« geworden.

Ein Urtheil über Gelehrtenschulen ist meines Erachtens schier überflüssig, seitdem die Revolution mit ihren Blättern, Kammern und Parlamenten das Babel aller religiösen, sittlichen, politischen und sozialen Begriffe offenbarte, welches in den Köpfen und Herzen der gelehrtesten und gefeiertesten Männer spukt, vom besitzenden Bürger, verarmenden Handwerker, dem geistigen Proletarier, Sklaven der Fabrikanten und Auswurf der Gesellschaft zu schweigen. »An den Früchten sollt ihr sie erkennen!« – sagt die Schrift und die Revolution gab Gelegenheit, die geistigen Errungenschaften sammt der sittlichen Tüchtigkeit von Tausenden und aber Tausenden zu beweinen, welche in gelehrten Anstalten großgezogen worden.

Bei Vertretern aller politischen Partheien und aller Stände hat es sich gezeigt, daß Wissen ohne Glauben leeres Scheinwissen, alles Gerede von Charakter ohne positive Religion eine Lüge des Hochmuthes sei. Wissen ohne Glauben und Sittlichkeit ohne Christenthum waren aber seit langer Zeit die Idole, welchen unsere Erziehungskünstler nachjagten! –

Doch ich will nicht in den Schulmeisterton verfallen, sondern Ihnen nur sagen, daß ich mehrere Jahre, bis mein Vater starb und äußere Verhältnisse mich in das Lehrerseminar trieben, an Gelehrtenschulen lebte.

Dieselben waren geeignet, gelehrte Handwerker, genußwüthige Nützlichkeitsmenschen oder Leute meiner Art heranzudressiren, nimmermehr jedoch ächte Leuchten und rechte Führer des Volkes zu erziehen. Keine ächten Leuchten, weil die wissenschaftliche und keine rechten Führer, weil die religiöse Erziehung mangelte.

Zunächst ein kurzes Wort vom gelehrten Handwerkerthum, alsdann ein längeres vom getauften Heidenthum der Pädagogien, Gymnasien und Lyzeen meiner naheliegenden Zeit.

Es haben Viele laut und längst sich verwundert, weßhalb aus unsern Schulen selten ein tüchtiger Mann hervorgeht, während es in einem Nachbarstaate von Dichtern, Philosophen, Historikern, Staatsmännern, Theologen und Andern wimmelte, welche hochberühmte Namen erwarben und doch lediglich die gelehrten Anstalten ihrer Heimath besuchten. Man hat den Grund darin gefunden, daß die ganze Erziehung bei uns darauf hinausläuft, Einen im Laufe von 12 bis 15 und mehr Jahren soweit zu bringen, daß er im Siebe des Staatsexamens hängen bleibt und gleichzeitig mit so unnöthigen und vielerlei Forderungen zu überladen, daß er alle Kraft nothwendig zersplittert und fast ebenso nothwendig im Examen durchfällt, wenn ihm nicht das Glück besonders lächelt.

Wer das Programm einer Gelehrtenschule zur Hand nimmt, staunt ob der Fülle von Kenntnissen, womit die Zöglinge vollgestopft und zur Hochschule entlassen werden und wer öffentlichen Prüfungen beiwohnt, ohne die Prüfungsdressur zu kennen, muß Länder selig preisen vor allen Ländern, für welche Diener des Staates und der Kirche von so umfassender Gelehrsamkeit und edler Begeisterung für alles Große und Schöne herangezogen werden, wie dies in manchen Gegenden der Fall zu sein scheint. In Wirklichkeit verhielt sich die Sache zu meiner Zeit ganz anders. Man hätte ruhig seinen Kopf darauf verwetten dürfen, daß von 100 angehenden Hochschülern keine 10 im Stande seien, nach 8-9jährigem Studiren ohne Beihülfe aller Art einen leichten lateinischen oder griechischen Schriftsteller ordentlich zu übersetzen, geschweige zu verstehen oder gar aus dem Zusammenhange mit seiner Zeit und seinem Volke zu erklären.

Sicher waren von 100 keine 5 aufzutreiben gewesen, welche Geschmack und Freude an ihren Quälgeistern, den Alten, gefunden und doch galten alte Sprachen von der ersten bis zur letzten Klasse als Hauptgegenstände des Unterrichts, auf welche am meisten Zeit und Mühe verwendet wurden.

Von mathematischen, geographischen, geschichtlichen oder naturwissenschaftlichen Kenntnissen war bei Einzelnen Manches hängen geblieben, doch die Mehrzahl hatte Grund genug, den Sokrates als Heiligen zu ehren, weil dieser die Weisheit in das Nichtswissen, somit in die starke Seite unserer geplagten Gelehrtenschüler, setzte.

Von philosophischer Vorbildung will ich schweigen. Ich meine nur, daß davon bei Leuten keine Rede sein konnte, welche von der Weltanschauung des Alterthums keine genügende Kenntniß und von der des Christenthums im besten Falle nicht mehr als eine ganz dunkle Ahnung besaßen.

Von der Unwissenheit vieler »Gebildeten« über Alles, was sich über und unter dem Monde befindet und nicht genau mit ihrem Handwerke zusammenhängt, sind Sie überzeugt oder haben doch Gelegenheit, sich jeden Abend das Licht hierüber in Museen, Kaffeehäusern, Weinschenken, Bierkneipen und andern Orten zu verschaffen. –

Die weitgehende Unwissenheit hängt enge mit dem hochmüthigen Heidenthum der Schulen meiner Zeit zusammen.

Wissen Sie, auf welche Weise ich zum erstenmal zum Tische des Herrn kam? Nicht an Ostern, sondern im hohen Sommer, nicht im feierlichen Gottesdienste, sondern in einer stillen, wenig besuchten Frühmesse und beinahe ohne allen Vorunterricht, so daß wir kaum eine Ahnung von der Bedeutung der uns abentheuerlich dünkenden Feier besaßen. Wir beichteten, aber unser liebster Beichtvater war ein Professor, der allgemeine Beichten nicht nur annahm sondern forderte. Drängten sich zu Viele um den Beichtstuhl dieses Kirchenlichtes, so pflegte ich einen Zettel zu entlehnen, worauf ein Anderer passende Sünden aufgezeichnet, las denselben ab und übergab ihn nach der Lossprechung meinem Nachbar. – Einer der besten unserer Religionslehrer schlief jahraus jahrein und überließ es uns, Lectionen aus dem Katechismus gemächlich herauszulesen. Wieviele von uns nicht einmal das Vaterunser, geschweige das katholische Glaubensbekenntniß oder gar die Gebote der Kirche ordentlich herzusagen wußten, dafür ließen sich Namen nennen, worunter der meinige nicht fehlte. Der meinige leider auch nicht. D.V.

Wer wollte sich wundern, daß gerade der Religionsunterricht als der langweiligste und widerlichste Lehrgegenstand, das Kirchengehen besonders zur Winterszeit als das leidigste und unnützeste Geschäft erschien?

Die Klage, daß von Oben herab die Pflege des positiven Christenthums im mildesten Sinne nicht gefördert wurde, soll weniger durch die Unfähigkeit aller meiner Religionslehrer als durch den Umstand unterstützt werden, daß es an hochbelobten Lehrern wie an Schulbüchern nicht mangelte, welche uns die eigene Kirche verächtlich und lächerlich machten und unser Gemüth mit aufrichtigem Hasse gegen alles »Pfaffenthum« erfüllten.

Von Gewissen will ich aus gewissen Gründen schweigen, aber durchgehen Sie die gedruckten Programme unserer gelehrten Anstalten, um sich zu überzeugen, aus wievielen Schulbüchern wir alle Irrthümer und den Kirchenhaß des Protestantismus in uns aufnahmen. Daß nebenbei Bibliotheken der Anstalten und Professoren uns reichlich mit Hilfsmitteln der Aufklärung versorgten, versteht sich von selbst und daß Viele von uns Alles, nur nichts Gutes aus dem Kram der Leihbibliotheken schöpften, ist eben so begreiflich als verzeihlich.

Geistliche und weltliche Lehrer hatten genug zu schaffen gehabt, uns gegen den Einfluß einer durchaus unkatholischen Literatur und gegen die Gefahren der Jugend durch das Einpflanzen christlicher Gesinnungen zu schützen. Doch geschah von Allem das Gegentheil. Obwohl von Gott, Christus und Kirche manchmal die Rede war, so lernte man doch nur das zeit- und staatsmäßig zugeschnittene Christenthum meiner Mutter kennen und wurde mit einem nicht minder zeit- und staatsmäßigen Hasse und Mißtrauen gegen das positive und kirchliche Christenthum erfüllt.

Nicht Christenthum, sondern » Humanität« hieß bei uns die Loosung, reden wir also auch von ihr! –

Die Zeit, in welcher dem Jüngling sein natürlicher Zusammenhang mit dem Geschlechte offenbar wird, fällt mit derjenigen zusammen, in welcher er seinen geistigen und sittlichen Zusammenhang mit demselben mindestens ahnt, wenn auch seine Schulmeister sich als noch so elende Hebammen seines Wesens bewähren.

Der Mensch wird zum Herkules am Scheidewege. Ideale von Freundschaft, Vaterlandsliebe, Seelengröße und Tugend gehen ihm auf, und enger, inniger als bisher schließt er sich an Seinesgleichen an, um höhere Lebenszwecke als die bisherigen zu verfolgen. Jetzt bedarf er vor Allem der Führung der Religion oder doch der Leitung erfahrener Männer, die er achtet und liebt, denn diese Zeit ist nicht nur die schönste, sondern auch die gefährlichste des Lebens. Wie waren wir daran?

Die alltäglichen Redensarten eines gefeierten Humanisten klingen mir noch in den Ohren und ich gebe einige als Proben, mit welchem Takte dieser Mann 16 bis 20-jährige Vaterlandshoffnungen behandelte.

»Er steht da, als ob er die chinesische Mauer vor der Nase hätte, er verzwickter Schafskopf, non plus ultra der Rindviehdummheit, elender Böotier! – Er kann sich als Preisträger des landwirthschaftlichen Vereines melden – Fahr Er Mist, dazu ist Er dumm genug, so rindviehmäßig dumm, daß Er nicht einmal zum Schustersjungen taugt – Er Urkalb, Generalassekuranzesel, halte Er sein Maul zum H – ! – Geborenes und erzogenes Rindvieh, Er steht unter dem Niveau eines Hundes! – Ein gescheidter Pudel ist intelligenter als ihr Bestien! – Erlöst mich bald in Gottes oder des Teufels Namen! – Hat er Pech am H – ? Was will Er denn werden? Theologe! Daß sich Gott erbarme! – Da möchte ich doch lieber in der tollsten Kneipe unter Proletariern sitzen und ihren physischen Dunst einathmen, als euern geistigen Gestank riechen – Setz dich, dein Name ist Rindvieh, man könnte dich zum Präsidenten einer Eselsrepublik machen – Werd' Er Schuster, Barbier oder Leinweber, Er hyperbestialisches Rindvieh – Der Ochse wird nur einmal vors Hirn gehauen, er hats demnach besser als Ihr, denen man täglich vor den Kopf schlägt, ohne daß Ihr Etwas spürt – Ist noch keine Artillerie- oder Bierbrauerstelle für Ihn frei geworden? Er ist verballhornter als ein Esel in der zweiten Potenz – Setz' Er sich auf seine Klauen, Mondkalb! Nicht einmal ein Hund hebt sein Bein auf vor so verthierten Geschöpfen wie Ihr seid! – «

Ich will Sie mit noch derbern und ekelhaftern Redensarten dieses gepriesenen Directors verschonen. Wir haben Sammlungen davon veranstaltet und viele Freude daran gehabt, wenn er uns Gelegenheit gab, dieselbe durch neue zu bereichern.

Die Schulgesetze zu verhöhnen und zu übertreten, galt als Heldenthat.

Vieles ließe sich hier über frappante Aehnlichkeiten zwischen Zuchthäusern und Schulhäusern anknüpfen.

Von pedantischen Schulgesetzen und heimlichen Gesellschaften, von erfolglosen Ermahnungsphilippiken und schlechten Streichen, von öffentlichen Beräucherungen und heimlichen oder auch offen getriebenen Lastern ließe sich Langes und Breites erzählen und hieraus mancher Beleg für die alte und doch niemals genug beherzigte Wahrheit schmieden: daß Sünden, Laster und Verbrechen von kleinen Anfängen ausgehen und gleich schleichenden Krankheiten erst recht offenbar und auffallend werden, wenn sie schwer oder gar nicht mehr heilbar sind.

Blicke ich zurück auf meine Jugendgefährten, was ist aus so Vielen derselben geworden? Ach, mehr als Einer ist gleich mir gemeiner, geschweige »politischer« Verbrecher, gar Mancher hat sich durch Ausschweifungen in ein frühes Grab gestürzt, Viele beweinen ein verfehltes Leben und die Meisten haben es nicht ihrer Erziehung, sondern glücklichen Naturanlagen und einem freundlichen Geschicke zu verdanken, daß ihre Geschichte keine Zuchthausgeschichte geworden – denn Religion haben die Meisten noch heute keine! – Man sage dagegen was man will: alle Wissenschaft und Bildung gibt keine Sittlichkeit, verfeinert höchstens die selbstsüchtigen Triebe des Menschen oder lehrt ihn die innere Roheit und Gemeinheit mit einem äußerlich glänzenden Firniß übertünchen, durch den der wahre wüste Mensch doch täglich hervorbricht. Sittlich sein heißt in Gott leben und in Gott vermag nur der zu leben, welchem in Christo die Kraft geworden, den geistigen Menschen über den natürlichen zur Herrschaft zu bringen.

Was soll man nun von einem Schulwesen halten, welches katholische Kinder von der Volksschule an bis hinauf zur Hochschule mit Geringschätzung gegen positive Religion und noch mehr mit Haß und Mißtrauen gegen die eigene Kirche erfüllt? –

Freilich, wo Katholiken, Protestanten und Juden in Einer Schulbank sitzen, darf außer der Religionsstunde von positiver Religion keine Rede sein und wenn die Religionslehrer meiner Zeit wahre Apostel gewesen wären, so würde der Geschichtsunterricht nicht ermangelt haben, uns für die Reformation und deren Helden ebenso blind zu begeistern als gegen die katholische Kirche einzunehmen und in unheilbarer Unwissenheit über Geschichte, Einrichtungen und Gebräuche derselben zu erhalten. –

Ein Beweis für die Geringschätzung und Verachtung gegen unsere Kirche liegt vielleicht darin, daß ich mich auch nicht Eines Beispiels entsinne, wo Einer von uns auf den Gedanken gerathen wäre, irgend einen Heiligen zu seinem Vorbilde zu wählen und diesen Entschluß auszusprechen.

Und sind die Heiligen als Helden des sittlichen Willens kleiner denn jene Helden, welchen eine befangene Geschichtschreibung Weihrauch streut, weil es großartige Räuberhauptleute, siegreiche Menschenschlächter, glückliche Erfinder oder ohne ihr Zuthun mit hohen Geistesgaben ausgerüstete Männer gewesen? – Wenn einmal jene Zeit da sein wird, wo Christus als lebendiger Mittelpunkt der Geschichte der Christenheit und Menschheit erfaßt wird, dann wird auch der geringste Heilige mehr gelten denn ein lasterhafter Alexander, selbstsüchtiger Napoleon, liederlicher Maler, Geiger oder Komödiant. –

Ein weiterer Beweis, wie weit die Protestantisirung der Katholiken in paritätischen Ländern gediehen, liegt in der Thatsache, daß zu meiner Zeit nicht sowohl die Kenntnißvollsten oder Besten, sondern weit eher mittelmäßige Köpfe, Feiglinge, welche nicht den Muth besaßen, Entbehrungen und Leiden der Armuth zu ertragen, niedrig denkende Bursche, welche von vornherein an die Nichterfüllung gewisser beschworener Pflichten ihres künftigen Standes dachten, sich dem Dienste der Weltkirche Jesu Christi widmeten.

Begreiflich! – erinnere ich mich doch mehr als eines aufgeklärten Professors, der sehr verächtlich in Gegenwart der Schüler vom Stande katholischer Geistlichen redete und offen aussprach, der Dümmste sei immerhin noch gescheidt genug, um für die Kirche gesalbt zu werden! –

Soll ich länger noch bei dem heimtückischen, verkappten Kriege mich aufhalten, der mit schlauer Berechnung gegen Katholizismus und Kirche geführt wurde, während man von Oben herab und Unten herauf von Erhaltung religiösen Friedens, Gleichberechtigung der Confessionen und andern schönen Sächelchen laut genug log und durch Lügen das Gewissen der Hirten der Kirche in süßen Halbschlummer und verderbenbringende Betäubung lullte? –

So lange katholische Lehrer inwendige Protestanten sind, die Schulen nicht zu Confessionsschulen und alle mit der christkatholischen Weltanschauung in näherer Berührung stehenden Unterrichtszweige nicht aus katholischen Büchern erlernt werden, so lange wird auch ein neuer und besserer Geist das Volk nicht erneuern und beleben, sondern das schleichende Gift des Heidenthums wird weiter fressen und zuletzt den Organismus der alten, kranken Gesellschaft zerstören! –

Einige Jahre verlor ich an Gelehrtenschulen, an denen keine gründliche Bildung zu holen und das bischen Christenthum, welches manche Kameraden aus der Heimath mitgebracht, bald verloren war. Der schnell erfolgte Tod meines Vaters fiel als Hagelschlag in meine reichlich blühenden Hoffnungen auf eine ehrenvolle, glänzende Zukunft. Es stellte sich heraus, das Vermögen sei bei weitem nicht so groß als man sich allgemein vorgestellt und eine ziemlich sorglose Haushaltung hatte Vieles beigetragen, dasselbe zu zerrütten. Außer dem ältern Bruder Anton und mir waren noch mehrere Schwestern vorhanden. Anton war älter als ich, noch immer derselbe ruhige, stille Mensch, welcher er von jeher gewesen und noch immer entschlossen, ein Geistlicher zu werden. Er wollte dies nicht, weil er etwa mehr Glauben oder Kenntnisse in religiösen und kirchlichen Dingen besaß als ich, sondern weil ihm die Aussicht auf das friedliche Leben eines Landpfarrers behagte. Es war der Seelenwunsch der Mutter, daß er seinem Plane getreu bleibe, doch stellte der Tod des Vaters der Ausführung desselben Hindernisse entgegen. Die Unterstützung irgend einer Art anzunehmen, das armselige Leben eines Bettelstudentleins zu führen, dies waren Gedanken, welche die etwas stolze Mutter so wenig als Anton zu ertragen vermochten. Der Stand des Vermögens war jedoch so, daß Einer von uns Brüdern dem Studiren entsagen mußte, wenn soviel übrig bleiben sollte, um den vier Schwestern eine angemessene Erziehung und einige Aussicht auf zeitliche Versorgung zu geben. Anton war um zwei Jahre vor mir, ich liebte die Mutter und wußte bereits, daß Geld die Welt regiere, folglich meine Schwestern ohne einiges Geld schwerlich jemals zur Regierung eines Hauswesens gelangten. Nicht ohne Kampf, doch voll Freude über den Sieg verzichtete ich auf das Leben eines Studirten. Meine Neigung Soldat zu werden, ward von der Mutter aus allen Kräften bekämpft. Ich begann Musik zu treiben und trat kaum ein Jahr nach dem Tode des Vaters ins Lehrerseminar.

Sie begreifen, daß ich ohne religiösen Glauben, folglich auch ohne sittlichen Halt in dasselbe trat und beim Eifer meines Studirens sowie bei der Lebhaftigkeit meines Temperaments als vollendeter Feind des Pfaffenthums und voll Begeisterung für ein aufgeklärtes, freies, glückliches Volk aus demselben herauskam, während mich gewisse Vorfälle und Erfahrungen, die ich seit dem Tode des Vaters gemacht, gegen »honette und gebildete« Leute stark eingenommen hatten.

Ich war einige Jahre Schulmeister und habe während dieser Zeit Vieles durchgemacht, zumal die häuslichen Verhältnisse der Meinigen sich verschlimmerten. Mein Ehrgeiz drohte unter der Wucht drückender Lebensverhältnisse zu erliegen und leider mit ihm löblichere Eigenschaften. – Jetzt begreife ich, weßhalb die Behörden mich zurücksetzten und meine Vorgesetzten mir keine Ruhe ließen, doch damals sah ich nur Ungerechtigkeit, Partheilichkeit, Pfaffenhaß, Weiberintriguen und machte mich selbst zum Unseligsten aller Menschen. – Nicht die Religion, sondern die Liebe für eine Sonntagsschülerin war es, welche meinem schwankenden, ruhelosen, unseligen Wesen wiederum Halt, Friede, jenen Schimmer der Seligkeit gewährt, welcher Jedem die Erinnerung an die erste Liebe unvergeßlich macht.

Ich erfuhr nicht, daß Liebe der Lange Irrthum Eines Betrogenen Esels sei, wie Saphir herb genug witzelt, aber ich war ein Schwärmer, ein Romanenheld, die Geliebte dagegen ein verständiges, treuherziges, einfaches Landmädchen. ... Es verstand mich nicht, Eltern und Verwandte erklärten sich gegen mich – Doch, ich will Sie mit meiner Liebesgeschichte nicht langweilen.

Sie modert längst im Grabe und in demselben Grabe mein besserer Mensch. Ich verlor sie keineswegs durch den Tod, denn sie starb erst, während ich in Frankreich lebte. Sie ließ sich halb und halb zu einer Heirath zwingen und war zu edel, um ein Verhältniß fortzusetzen, welches ihren Pflichten hätte gefährlich werden müssen. Ihr Verlust war für mich der Anfang einer Sittenverwilderung, deren Schilderung Sie mir gewiß gerne erlassen. Ich sank von Stufe zu Stufe und stürzte mich in Schulden, aus denen mich die Meinigen weder herauszureißen vermochten, noch den Willen dazu hatten. Die Meinigen verfluchten, die Behörden bedrohten, die Gläubiger verfolgten, alle Bessern verachteten mich und ich, ich glaubte – ein noch immer vortrefflicher Mensch und verdienter Lehrer zu sein und ein Recht zu besitzen, der ganzen Welt zu trotzen.

Nur mit Schauder denke ich an jenen Sonntag zurück, an welchem ich im Hochamte während der Wandlung auf der Orgel das Bänkelsängerlied:

Schnapps, Schnapps, Schnapps, du edeles Getränke

anstimmte. Ich mußte fast augenblicklich fliehen und floh ohne Geld, ohne Schriften, ohne Gepäck, ohne Ziel und Plan und ließ hinter mir die Heimath, die Ehre, den Frieden meiner Seele.

Ich floh nach Frankreich und zwar nicht als fortgejagter Schulmeister, sondern auch als Deserteur, da ich ein Jahr Kasernenleben mitgemacht und auf meinen Abschied noch lange zu warten hatte. In Straßburg ließ ich mich anwerben. Wenn ich meine Erlebnisse in Algier, Spanien, in Frankreich, besonders in Paris und Lyon erzählen und mich näher mit dem politischen und sozialistischen Theile meiner Geschichte befassen wollte, so würde dieser ohnehin wohl zu lang gerathene Brief vor einem bis zwei Jahren schwerlich ein Ende finden.


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