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Zehntes Kapitel.
Am kleinen Kanal


Wer nicht die Mittel hat, in dem schönen Venedig recht angenehm, recht behaglich, mit einem Worte recht comfortabel leben zu können, ja wer sich einschränken muß und genau berechnen, was ihm seine Reisekasse erlaubt für ein Quartier auszugeben, damit ihm so viel übrig bleibe, um den Bedürfnissen seines Magens zu genügen, der hier trotz den Schätzen, welche die Kunst rings um uns aufgehäuft hat, trotz der wunderbaren Stadt mit ihren reichen Palästen und dem poetischen Leben und Treiben auf den stillen Kanälen ebenso unbescheiden und gebieterisch das Seinige verlangt, wie in der langweiligsten und trockensten Umgebung, der sucht sich für die ersten Tage ein ganz bescheidenes Unterkommen in einem der kleinen Gasthöfe, die sich versteckt in schmalen Seitengassen in der Nähe des Markusplatzes oder auch des Rialto befinden, und geht dann auf den erstgenannten Platz, da seinen ersten künstlerischen Heißhunger an der wunderlichen Façade des Doms, an den beiden Säulen auf der Piazetta und am feenhaften Anblick des Dogenpalastes zu befriedigen, um sich hieraus in das letzte Kaffeehaus unter den Arkaden der Procurazia zu begeben und dort nach einem würdigen Manne zu forschen, der den reisenden Künstlern unter dem Namen il Tirolese bekannt ist, der sich in benanntem Kaffeehaus häufig aufhält und bei seiner ausgebreiteten Bekanntschaft im Stande ist, den Fremden ebengenannter Gattung anständig und billig, wenn auch ohne besonderen Comfort, unterzubringen.

Dieser Tiroler hat auch ein eigenes Hotel-Garni, das wir erreichen, wenn wir vom Markusplatze aus neben dem Militärkaffeehaus durch jenen Thorbogen gehen, hinter welchem wir einen Kanal und eine kleine Brücke sehen. Vor letzterer wenden wir uns rechts und befinden uns nun nur wenige Schritte vom Platz des heil. Markus, jenem Sammelpunkt der unermeßlichen Schätze Venedigs, entfernt an einem der kleinen und stillen Kanäle, die wie ein Symbol der Melancholie erscheinen, die umstanden von unendlich hohen Häusern ihr trüb gefärbtes Wasser beständig in tiefem Schatten zeigen, da kein Sonnenstrahl in diese Tiefe zu tauchen im Stande ist, und die um so trauriger erscheinen durch den Contrast des schmalen Streifchens tiefblauen und klaren Himmels, der uns hier tief unten einen wundervollen Sommer- und Sonnentag nur ahnen läßt. Die Mauern der Häuser sind schwärzlichgrau, einförmig und düster, und deßhalb erfreut uns der Anblick der flatternden buntfarbigen Wäsche, die an Schnüren vor dem Fenster flattert, oder der grünen Geranienbüsche, die hier und dort in hölzernen Kistchen oder flachen Blumenscherben stehen, aber wegen Mangels an Sonnenlicht nur verkümmerte Blumen zu treiben im Stande sind.

Und doch betrachtet der kleine deutsche Künstler, der von der sonnigen Piazetta über den prachtvollen Markusplatz hieher kam, auch diese Schattenseite der stolzen einzigen Lagunenstadt mit unverkennbarem Interesse. Erscheint ihm doch alles hier eigenthümlich, neu, nie gesehen.

Das Leben und Treiben auf dem schmalen Kanal, der ihm an den Häusern nur wenig Raum zum Gehen läßt, – ein Leben und Treiben, das ihn ans die Gefahr hin, jeden Augenblick umgerannt zu werden, doch nöthigt, immer und immer wieder stehen zu bleiben, – ist wohl nur deßhalb so eigenthümlich und seltsam, weil alles, was in unsern Städten auf dem Rücken von Pferden, Eseln oder auf Rädern vorübergeführt wird, hier so still und geräuschlos auf der Barke und der Gondel vorüberzieht: der Bäcker mit seinem Brode, der Metzger mit seiner Waare, die Grünhändlerin mit einem förmlichen Gemüsegarten, der Maurer, der mit seinem Nachen auf die Arbeit zieht. Er führt ein Ruder, der Lehrjunge das andere, zwischen sich haben sie ein paar Dutzend rother Ziegelsteine und einen Kübel mit weißem Kalk.

So zieht es unaufhörlich vorüber, alle Farben schwimmen vor unserm Blick und dabei ist alles so still und lautlos, wie die Bilder in einer Laterna magica; nur zuweilen hört man den kurz ausgestoßenen Ruf des Gondoliers irgend einer herrschaftlichen Gondel, der durch dieses Zeichen die vorderen schweren und langsamen Fahrzeuge um etwas Platz ersucht, damit er eilig durchschlüpfen kann, rasch verschwinden um die nächste Ecke, vor welcher er abermals denselben melancholischen Ruf ausstößt. – Wenn man Venedig zum erstenmal betritt, so kann man sich kaum trennen vom ersten so sehr überraschenden Anblick dieses Getreibes.

So erging es auch dem kleinen deutschen Maler, der den Tiroler glücklich in dem Kaffeehause aufgefunden hat und nun von diesem zur Besichtigung einer allenfalls ausreichenden Wohnung geführt wird; in ein Zimmer, das im Hause des Tirolers heute noch frei werden soll, denn der, welcher es bisher bewohnt, hat schon seinen Koffer gepackt und ist zur Polizei gegangen, um seinen Paß zur Abreise visiren zu lassen.

Trotz des Schattens in den engen Gassen ist doch die Luft hier dick und schwül, weßhalb die Kellerluft des kleinen finstern Hauses, dessen Thür sich nun vor dem Fremden geöffnet hat, gerade nicht unangenehm wirkt. Hierzu passen auch vollkommen die feuchten, moderigen Flecken an den Mauern des Hausganges, sowie auch die Abfälle von Kartoffeln, Gemüse und Salat, die in einem Winkel an der Treppe aufgeschichtet liegen und einen eigenthümlichen Duft verbreiten. Es ist dies aber ein Duft, an den man sich in Italien leicht gewöhnt – ein unbeschreiblicher Parfum, der auf jeder Stadt ruht und in welchem allein der Duft von Käse, von etwas ranzigem Oel oder Fett vorherrschend ist.

Dem kleinen Maler übrigens ging es wie so vielen andern ehrlichen Leuten; dieser Geruch umfing ihn, als er an einem wunderbaren Frühlings-Abend von Splügen herkommend die unaussprechlich schöne Färbung der Berge um den Comersee vor sich sah, als er zum erstenmal an eigensinnig geformten Gewinden von Rebenlaub dahinschritt, die an den Bäumen emporrankend, sich um kunstlose Steinpfeiler ziehend und darüber hinaus auf Baumästen lagernd die natürlichsten, aber schönsten Veranden bildeten, und als er darauf nach dem reizend gelegenen Chiavenna kam, wo sich noch einmal das deutsche Vaterland und das herrliche Italien sichtbarlich die Hand reichten, in vortrefflichem Salami und bairischem Bier.

Von da an verließ ihn dieser Duft nimmer und erschien ihm so vollkommen zur italienischen Reise gehörig, daß ihm etwas gefehlt haben würde, wenn er in eine Stadt gekommen wäre ohne den vorherrschenden Oel- und Käsegeruch. Es war ihm derselbe auch in Mailand treu geblieben und er war in seiner Begleitung auf den prachtvollen weiß marmornen Dom gestiegen. Er hatte ihn in Verona sehr stark wieder gefunden und hatte sich schon so an ihn gewöhnt, daß er ihn beinahe schmerzlich vermißt haben würde, – bei jenem steinernen Brunnentrog, den man für das Grabmal des Julia ausgibt, und bei den schwarzen Grabmälern der Scaliger, die sich auf dem engen Platze so feierlich und malerisch erheben, umflossen vom Mondlicht, umduftet von jenem unvermeidlichen Geruch.

Eine Zeitlang hatte ihn der kleine Reisende auf seinem weiteren Wege vermißt und schaute fast verwundert drein, als er auf der steinernen Eisenbahnbrücke durch die Lagunen dampfte und hier bei dem Funken- und Kohlenstaub auswerfenden Schornstein so außerordentlich an die Heimat erinnert wurde. Als er nun an dem sehr provisorischen Bahnhof in Venedig die Gondel bestieg und den Kanal Grande hinauf fuhr, da staunte er über die unglaublichen Wunder dieser Meerstadt, da sah er leibhaftig vor sich jenes verkörperte Märchen, von dem die Freunde früher erzählt, – Erzählungen, denen er kopfschüttelnd zugelauscht, von dieser Stadt mitten im Wasser, wo auf allen Gassen die Nachen und Gondeln fahren und wo es deßhalb in den Straßen so unheimlich still sei. Dies Gefühl beschlich ihn, wie es jeden Fremden beschleicht, der zum erstenmal nach Venedig kommt. Man glaubt, die Stadt sei ausgestorben und die gewaltigen Paläste, die uns so öde und leer erscheinen, müßten sich ordentlich freuen, daß sich endlich einmal wieder ein lebendiges Wesen zwischen sie hinein wage.

So dachte auch unser kleiner Maler; er hatte den Tornister, der seine sämmtlichen Habseligkeiten barg, vor sich auf die Kniee gelegt und die Arme darauf gelegt, in den Händen ruhte sein Kopf, während er wie im Traume einen Palast um den andern, ein fabelhaftes Bauwerk nach dem andern an sich vorüberziehen sah. Er war überrascht, entzückt, aber er fand im ersten Augenblick Italien nicht wieder, denn jener Duft, an den er sich schon so gewöhnt, war hier auf dem großen Kanal nicht zu finden und wurde ersetzt durch den Geruch der Lagunen, bei dem wir uns mit geschlossenen Augen nach einer holländischen oder sonst einer Seestadt versetzt fühlen können.

Endlich aber fand er sich wieder zurecht. Schon ein wenig an der Treppe der Piazetta, etwas mehr auch auf dem Markusplatze, vollkommen aber vor dem Hause des Tirolers, wo er jenen italienischen Duft mit einer freudigen Herzlichkeit begrüßte. – Und auch als er das Haus betrat, wurde ihm in dieser Richtung von seiner Illusion nichts benommen. Das war alles so ächt und ursprünglich italienisch, wie es sich ein deutsches poetisches Gemüth nur wünschen kann. Da sah man die Treppen unentweiht von dem unbarmherzigen Besen und dem gefühllosen Waschlappen; da konnte man auf den Fußböden der Zimmer die gründlichsten Studien über alle Dreck- und Staubsorten der alten Lagunenstadt anstellen; da waren die Wände malerisch verziert mit Streifen, welche die Feuchtigkeit dort hervorgerufen, mit Inschriften und Zeichnungen der verschiedensten Art. Da lag das Bett auf seinem hölzernen wackeligen Bockgestell noch so, wie es der Gast, der heute abreisen wollte, verlassen; da zeigte der Strohsack des Lagers an einer Seite sein Eingeweide und hatte von demselben auf dem Boden umhergestreut; da war der einzige Stuhl im Zimmer bedeckt mit dem Mantel desjenigen, der im Begriff war, abzureisen; da sah man durch die blinden Scheiben des Fensters eine riesenhafte schwarze Brandmauer, und erst, wenn man dasselbe öffnete und sich weit hinaus legte, entdeckte man ein kleines Stück des tiefblauen Himmels.

Aber dem kleinen Maler gefiel alles das außerordentlich wohl, vor allen Dingen der Preis, der für das Zimmer verlangt wurde: 24 Kreuzer östreichisch, dann die malerisch schmutzige Treppe, sogar die Haufen von Gemüseabfällen drunten im Winkel. Das hat so etwas Ursprüngliches und Frisches, meinte er; vor allen Dingen aber betrachtete er mit Ehrfurcht den seltsam geformten Klopfer an der Hausthür, und seine lebhafte Phantasie ließ denselben erfassen von einer Faust in Stahlhandschuh, welche einem jener alten tapfern Krieger angehörte, oder einem jener finstern Wächter, welche mit der breiten und langen Hellebarde in den geheimnißvollen Gemächern des Dogenpalastes oder an der Seufzerbrücke oder tief unten an dem Brunnen Wache standen und die Opfer, die dort täglich fielen, nur nach Dutzenden zu berechnen pflegten.

Einen schüchternen Blick warf der neue Ankömmling auch in die Küche, die etwas unheimliche Werkstatt jenes Duftes, der ihm so sympathisch war. Glücklicher Weise war es da so finster, daß man nichts unterscheiden konnte, als dunkle rußige Wände, ein dunkles rußiges Weib, das in einem Kessel rührte, ein paar dunkle rußige Kinder, die sich auf dem Boden herumbalgten, und einen dunklen rußigen Mann, der neben dem Herde saß und eine Cigarre rauchte.

Der Fremde hatte nach einer Trattoria forschen wollen, um ein kleines italienisches Frühstück zu nehmen, und der Hausherr erklärte sich mit Vergnügen bereit, ihn in eine billige derartige Anstalt zu führen. Vorher aber ließ er sich den Namen seines Gastes auf ein Stück Papier schreiben, um ihn droben an die Stubenthür zu kleben, damit jeder, der sich dafür interessire, erfahren könne, dort wohne Herr Friedrich Wulf, ein deutscher Maler. Darauf gingen die Beiden mit einander fort nach der kleinen unscheinbaren Trattoria, und während sich dort der Führer des Malers an das Küchenfeuer setzte, um seine Cigarre anzuzünden, ließ sich der deutsche Künstler einige Salamischnitte geben, sowie eine große Staude grünen Salats, die mit gutem Oel und röthlichem Essig besprengt alsdann aus freier Faust gegessen wird.

Wer war glücklicher als der kleine Maler in diesem Augenblick! Sein erstes Frühstück in Venedig, eine vortreffliche billige Wohnung, ein herrliches Wetter, Sonnenschein, so viel in die engen Gassen Venedigs hineingehen wollte, dazu die Freiheit, in wenigen Schritten auf dem Markusplatz und am Dogenpalast sein zu können, um dort nach Herzenslust zu schauen und zu zeichnen, was ihm gerade einfiele.

Nein, es hielt ihn nicht lange in der kleinen, etwas finstern Trattoria, deren Fenster, besetzt mit Eßwaaren, Geflügel, Fischen, Gemüsen aller Art, so wenig Licht herein ließen. – Auf denn zu künstlerischer Schwelgerei! Der kleine deutsche Maler zahlte, verabschiedete sich von seinem Führer, denn er wollte allein sein, und nachdem er sich in der nächsten Tabak-Trafik einen Rattenschwanz gekauft, drückte er seinen Calabreser etwas verwegen auf das rechte Ohr und alles in ihm jubelte, während er dem Markusplatze zuschritt: Venedig! Venedig! ja Venedig! Ich bin gewiß und wahrhaftig in Venedig!

Er hatte aber auch mit Entbehrungen und Mühseligkeiten aller Art zu kämpfen gehabt, ehe es ihm gelungen war, italienische Erde zu erreichen. Glücklicher Weise hatte ein Engländer, der Seltsamkeiten aller Art liebte, ihm sein Bild mit den Affenschwänzen abgekauft, auch sehr anständig bezahlt, und mit diesem Gelde in der Tasche hatte er es dann schon wagen können, eine größere Wanderung anzutreten. Es war die erste derartige in seinem Leben, und als er von dieser neu gewonnenen Freiheit, dahin ziehen zu können, wo es ihm gut dünkte, wo es ihn gewaltsam hintrieb, die ersten tiefen Züge gekostet, da fühlte er sich wie berauscht, da schien ihm ein neues seliges Leben aufzugehen, und nur allein der Gedanke an die letztverlebten Tage in dem kleinen Hause war im Stande, seine heitere Laune zu trüben. Er konnte das Licht der wehenden Lampe, wie er es durch die Sträucher schimmern gesehen, als er geflohen, nicht vergessen, und es war ihm immer, als seien alsdann schattenhafte Gestalten aus dem Dunkel herbeigeschwebt, hätten sich um das Licht gedrängt, um mit weit ausgerissenen, aber glanzlosen Augen in die Flamme zu blicken, – die verlassene Flamme, vor Kurzem ja noch der Sammelpunkt von vier glücklichen Menschen, welche sich jetzt aber mit tiefem Leid im Herzen nach verschiedenen Weltgegenden hin zerstreut.

Um diesen unheimlichen Gedanken los zu werden, hatte sich Wulf bemüht, eine kleine Skizze von der Veranda zu machen, unter welcher Franceska gesessen und tief nachsinnend in die Flamme des Lichtes geblickt. Ja, da saß sie, wartend und hoffend – wohl auf dem kleinen Bildchen, aber nicht in der Wirklichkeit. – Wulf war darauf fortgezogen, den Tornister auf dem Rücken, einen derben Stock in der Hand. Und auf diesen Stock stützte er sich nur selten, meistens schwang er ihn lustig jubilirend im Kreise, oder er trug ihn auf der Schulter, wie der Soldat sein Gewehr. So schritt er dahin, fast immer näheren Fußwegen folgend und die Landstraßen vermeidend. Den Eisenbahnzügen schaute er lächelnd nach und bedauerte die darin Sitzenden. Wie die alles so mit Hast in sich hinein schlingen! dachte er, in einem halben Tage ein Stück Gegend, woran ich dreimal vierundzwanzig Stunden behaglich speise.

Daß er dabei langsam vorwärts kam, kümmerte ihn wenig; trieb es ihn doch nicht eilig einem bestimmten Ziele zu; wollte er doch nur sehen, genießen und zeichnen. Und namentlich das Letztere that er mit unermüdlichem Fleiße. Fand er aber auch nicht alles, wie für ihn gemacht, hauptsächlich, als er einmal den Bodensee hinter sich hatte und die Schweiz betrat? – Die Schweiz mit ihren Viehheerden, mit ihren wunderbaren Naturschönheiten, mit ihren prachtvollen Straßen. Wie oft aber schweifte der kleine Maler von diesen ab und verlor sich für Tage lang in das Gebirge, dort neue Schönheiten suchend und findend. Und als er erst an den Splügen kam, jenen berühmten alten Paß, wie jauchzte da sein Herz vor Freude, wie hätte er da auf jeden Stein am Wege niedersitzen mögen, um jede Windung der Straße zu zeichnen! Dabei das ihm neue, fremdartige Leben auf dieser Straße, die Zug- und Lastthiere, die Karren, Treiber und Fuhrleute, schon italienisch staffirt und ganz anders anzuschauen, als bei uns. Die langen Maulthierzüge, die er hier zum erstenmale sah, mit ihrem weithin tönenden, einfachen und gleichförmigen Geläute, mit den bunten Messingplatten und rothen Lappen am Geschirr.

Eigenthümlich aber war es dabei, daß unwillkürlich in seiner Kunst ein Uebergang stattfand; anfänglich hatte er als ächter und gerechter Thiermaler die Landschaft neben seinen Kühen, Pferden und Eseln – Affen begegneten ihm leider keine – nur so leicht obenhin behandelt. Nach und nach aber in der gewaltigen Natur, die er mit offenem Herzen und aufmerksamen Sinnen durchwanderte, wuchs die bisher so vernachläßigte Landschaft groß, breit, ja man konnte sagen unter seinem Bleistift und seinen Wasserfarben genial hervor, und das Thierreich sank zur Staffage herab. Als ihm zum erstenmal eine Skizze der Art gelungen war, schaute er sie an mit einer gewißen Befriedigung und meinte in seiner derben Manier, es sei doch gut, wenn uns irgend ein Zufall das dicke Brett von der Stirne wegstoße. Daß die landschaftlichen Skizzen und Aquarelle, die er unterwegs anfertigte, durch seine feine Behandlung der Thierwelt, wenn auch diese jetzt nur noch als Nebensache erschien, außerordentlich gewannen, versteht sich von selbst, und als er Mailand erreichte, fand er dort Fremde, die ihm begierig seine Scenen aus der Alpenwelt abnahmen, somit sein Mappe leerten, seine Reisekasse wieder füllten.

An seinen guten Freund Pisani hatte er noch von Deutschland aus geschrieben und denselben gebeten, ihm nach Mailand zu antworten, poste restante. Obgleich er aber dort während seiner Anwesenheit jeden Tag regelmäßig einmal hinging und seinen Namen »Wulf« geschrieben zum Schalter hineinreichte, so schüttelte doch der dienstthuende Beamte beständig mit dem Kopf und sagte sein: »niente" so kalt und herzlos, daß der kleine Maler dies niente ordentlich zu hassen begann.

Einmal passirte ihm an der Post etwas Eigenthümliches: gerade als er dort hinkam, fuhr vom Thor weg eine glänzende Equipage, in welcher ein Herr und eine Dame saßen, beide vornehm und elegant gekleidet, gewiß eine reiche Herrschaft, dafür sprach auch der Bediente in Livree, der aus dem Postgebäude herausgetreten war, der Dame einen Brief übergab und sich alsdann wieder hinten in seinen Sitz schwang.

Wulf, der von der Herrschaft nicht beachtet wurde, rieb sich hastig die Stirn, denn der junge, etwas finster blickende Mann im Wagen hatte eine merkwürdige Aehnlichkeit mit dem Tannhäuser gehabt. – Wahrhaftig mit dem Tannhäuser! Und doch konnte er es nicht sein; so viel Wulf gehört hatte, war der Tannhäuser im Gefolge der Fürstin Lubanoff nach Petersburg gereist, um dort Portraits zu malen, Portraits, von denen jedes mit so und so viel tausend Silberrubel bezahlt würde. Das hatte der Tannhäuser selbst an ein paar Bekannte geschrieben und hinzugesetzt: wenn er sich erst mit saurer Arbeit ein Vermögen gemacht, dann käme er wieder. Die Bekannten hatten darüber gelächelt, den Brief in den Papierkorb geworfen und an den Tannhäuser nicht mehr viel gedacht. Dies war um so erklärlicher, als jetzt und auch später gar keine Nachrichten in irgend einer Zeitung aus Petersburg kamen von dem deutschen Maler Tannhäuser, nicht einmal, ob und wie er das Portrait der schönen Fürstin vollendet, das in seiner ersten Anlage etwas Tüchtiges zu werden versprach.

Und nun sollte dieser Tannhäuser, der gewiß irgendwo fest auf einem Landsitze Rußlands saß, auf einmal hier in Mailand vor der Post erscheinen. – Lächerlich! dachte selbst der kleine Thiermaler nach einigen Augenblicken, wobei er mit der Hand durch sein volles Haar strich, aber mitten in dieser Bewegung anhielt, um sich ein wenig zu kratzen und dabei nachdenkend vor sich nieder zu blicken. – Lächerlich!

»Der da im Wagen,« sprach er dann zu sich selber, »hat allerdings mit dem Tannhäuser eine gewisse Aehnlichkeit, aber der Tannhäuser war frischer, jünger; der da sah ein bischen gedrückt, verlebt aus, hatte einen gelangweilten Zug um den Mund und lange nicht so frische Augen, wie unser Freund.«

Dabei seufzte Wulf tief auf und lief rasch von der Post an den Dom, um durch den Anblick dieses wunderherrlichen Werkes seine trüben Gedanken verscheuchen zu lassen, finstere Gedanken, die ihn nach Deutschland zurückführten, unter die Veranda mit dem flackernden Lichte und ihm immer und immer wieder jene Phantome zeigten mit den großen glanzlosen Augen.

Als am letzten Tag seiner Anwesenheit in Mailand der Postbeamte abermals sein »niente" gesagt, ging Wulf ziemlich verdrießlich ins Hotel Reichmann, wo er gewohnt und eine angenehme Zeit verbracht. Es ist das ein sehr empfehlenswerther Gasthof mit reichen und glänzenden Appartements für die hohen und höchsten Herrschaften, aber auch mit angenehmen und behaglichen Stübchen für bescheidene reisende Künstler. Letztere finden sich aber hier sehr zu Hause, da der Chef des Hotels, Herr Alphons Reichmann, viel gemüthlichen Sinn für Kunst und Künstler hat und diesen die Tage des Aufenthalts angenehm zu machen versteht.

Dankbaren Herzens zog denn auch unser Maler von dannen und erreichte bald Verona, die Stadt mit dem ächten italienischen Charakter, mit ihren schwarzen, trotzigen Häusern, aus denen man überall die vergangene gewaltige Geschichte so deutlich liest, mit ihren Grabmälern mitten in gangbaren Straßen, welche eine so ernste und eigenthümliche Wirkung hervorbringen. Hier hatte sich der Künstler ganz in dem Gegensatze von dem versucht, was er früher gemalt: statt lebendiger, beweglicher bunter Thiergruppen warf er hier starre graue Paläste und Straßen auf das Papier, und als er durch die Preise, die ihm auch hier Fremde für seine Arbeiten bezahlten, einsehen lernte, daß er etwas in diesem Genre zu leisten vermöge, da trieb es ihn mächtig vorwärts nach jener phantastischen Königin der Meere; er packte abermals seinen Tornister und rief: »Auf, nach Venedig!«


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