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Erstes Kapitel.
Straßenwanderung


Es ist eigenthümlich, daß trotz des längst aufgehobenen Wohnungs- und theilweise auch Zunftzwanges doch selbst in unsern größern deutschen Städten die gleichbeschäftigten Handwerker so häufig um und neben einander wohnen, mit ihren Straßen Gruppen bildend, wie damals, als noch die Schuster, Schreiner, Schlosser, Schwertfeger, Sattler und alle dergleichen Gewerbe in der nach ihnen benannten Gasse hausten. Man sollte glauben, heutzutage, wo nicht mehr jeder Handwerker nach alt hergebrachter Form und dem Modell arbeitet, das ihm vom Vater und Großvater überkommen, sondern wo es jeder dem Andern zuvor thun will und muß, wo in mancher kleinen Werkstatt eine Erfindung auftaucht, die des Nachbarn Staunen und Aerger erregt, – heutzutage, wo die Concurrenz, der Feind aller, jeden sich abmühen läßt, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, würde sich der Schlosser vom Schlosser, der Sattler vom Sattler so weit als möglich entfernen. Und doch ist das, wie oben schon erwähnt, nicht immer der Fall.

Wir reden hier nicht von den Gewerken, die an gewisse Oertlichkeiten gebunden sind; so zum Beispiel finden wir es ganz natürlich, daß drunten in den Gassen am Kai die Schiffer hausen, und dort das dritte und vierte Haus ein Seiler- oder Segeltuchladen ist, oder eine Eisenhandlung, und daß sich dort die zahlreichen Magazine befinden, eines neben dem andern, wo der Schiffer seine Bedürfnisse findet. – Daß man um den Marktplatz herum in jedem Hause Bänder und bunte Stoffe heraushängen sieht, versteht sich ebenfalls von selbst; dort kaufen die Bauern ein, wenn sie den Inhalt ihrer Säcke und Körbe zu Geld gemacht haben. Daß auch weiter in die Stadt hinein – ein scharfer Geruch dringt uns entgegen, sowie wir uns dort einem zahlreich überbrückten Bache nähern – die Gerber bei einander hausen, und weiter oberhalb, wo das Wasser des Baches noch klarer ist, die Schönfärber, finden wir auch sehr natürlich; daß wir aber auf unserem Gange durch die Straßen in einigen derselben andere Gewerke, die durchaus von keiner Oertlichkeit abhängig sind, beisammen und so zahlreich vertreten finden, kann einigermaßen unser Staunen erregen. Und doch ist es so, wie jeder sich überzeugen kann, der sich die Mühe nimmt, durch eine unserer mittelgroßen deutschen Städte aufmerksam zu flaniren.

Daß daneben die ganze Handwerkerschaft wieder einen besonderen Theil der Stadt ausmacht, sich namentlich, wie seit unvordenklichen Zeiten, um Marktplatz und Rathhaus herum schaart, ist ebenfalls noch ganz genau ersichtlich. Da, in den schmalen Häusern mit den spitzen, verschnörkelten Giebeln, die sich nicht selten altersmüde vornüber beugen, drängt sich ein Laden, eine Werkstatt an die andere. Hier hört man immer noch das Klopfen des Hammers, das Knirschen der Feile; hier sind auch größere Magazine, die so viel wie möglich in erweiterten Räumen, in großen Spiegelfenstern sich der Zeit angepaßt haben, dadurch aber bei der Beschränktheit der Lokalitäten den Kaufmann selbst, der früher im dunklen Stübchen hinter dem Laden mit seiner Familie gehaust, jetzt zum Auszug zwangen in die benachbarten Straßen, wo es luftiger, heller, wohnlicher ist. Haben es doch auch größere Handwerker so gemacht; die Werkstätten im alten engen, winkligen Theile der Stadt sind geblieben und nun schuld daran, daß jene Stadttheile des Abends, wo der Hammer ruht, wo der Laden geschlossen ist, ein so trübes, ödes, fast unheimliches Ansehen haben. Da sieht man nicht mehr wie früher die Familie des Meisters oder des Ladenbesitzers, während er selbst auf der Rathstube seinen Schoppen trinkt, auf der Bank vor der Hausthür sitzen, lachend, singend oder mit den befreundeten Nachbarn plaudernd.

Das ist vorbei. Ein helles Gaslicht beleuchtet verschlossene und verriegelte Thüren und Fenster, und wir müssen schon ein paar Straßen weiter gehen, um in belebtere Gegenden zu kommen, wo große Handwerker oder Ladenbesitzer ihre comfortableren Wohnungen haben. Aber auch hier ist die Bank vor der Hausthür verschwunden, es wäre sehr gegen den Anstand, wenn dort die Töchter des Hauses sitzen würden und wenn der Danziger oder der Berliner sich unterstehen wollte, ihnen etwas von seiner Heimat zu erzählen. – Vorbei alles das! Droben ist ein Fensterflügel geöffnet, und wir hören die Töne eines Pianoforte. Es ist das Fräulein Mine oder Fräulein Friederike, und wenn wir uns etwas länger aufhalten, so können wir sie vielleicht auch singen hören:

»Du kleines, blitzendes Sternlein!«

Weiter! Wir entsteigen dem Kreis der innern Stadt, wir kommen aus dem Dunste der winkligen Gassen und Häuser in hellere breitere Straßen und finden hier in den Häuser- und Stadtvierteln wieder dasselbe Princip. Sehen wir die breite Straße hinab, die wir vor uns haben; ein stolzes, palastähnliches Gebäude reiht sich an das andere, vor einigen dieser Häuser bemerken wir breite Anfahrten oder gewaltige Hofthore, die sich leicht und geräuschlos öffnen, um die heranrollende schwere Equipage ohne die geringste Mühe zu verschlingen, an andern reiche, breite Glasdächer, weit in die Straße hinein, um den aus dem Wagen Steigenden Schutz zu verleihen. Etwas Stilles, Oedes, man möchte sagen etwas Langweiliges hat diese Straße – sie ist ziemlich leer, man sieht da keine Kinder spielen, auch keine Hunde balgen sich herum; was man von dieser vierbeinigen Staffage allenfalls sieht, ist vielleicht ein prächtiger Neufundländer oder ein edler Jagdhund, die sich dort im Sonnenschein auf der Rampe dehnen und strecken, oder vielleicht auch ein kleiner Wind- oder Wachtelhund, den ein Diener in Livree an einem Schnürchen neben sich führt. Aber sie scheinen hier ihre eigentliche Hundenatur verloren zu haben, wenigstens der Windhund; denn er läßt seine Ohren hängen, zieht den Schweif ein und schreitet so bedächtig, wie wir es von Seinesgleichen nicht gewohnt sind.

Manche der großen Einfahrten neben den Häusern haben alte, verwitterte, schweigsame Wappenschilder. Die Löwen, Adler, Bären, Wölfe in ihnen schauen so griesgrämig drein, daß wir überzeugt sind, sie würden plötzlich ihre steinernen Mäuler aufreißen und Ruhe gebieten, wenn sich irgendwo einmal ein ungebührliches Geräusch breit machte. Aber das hat hier in dieser Straße keine Noth; was von Klavieren und dergleichen vorhanden, ist in die Hinterzimmer nach den Gärten zu verwiesen; vorne wird nur gelispelt, hie und da auch gegähnt, im Ganzen sehr leise gesprochen. Seine Erlaucht begnügt sich häufig damit, seine Gedanken und Meinungen durch Geberden und Blicke auszudrücken, Ihre Erlaucht versteht man nicht auf zwei Schritte, und dem sich anpassend schlendert die ganze Dienerschaft wie körperlose Wesen umher. Allenfallsige Streitigkeiten hebt man sich auf, um sie an andern, besser passenden Orten auszugleichen. Im Stalle pfeift der Reitknecht den Pferden gedämpft etwas vor, damit sie nicht in unanständiges Schnauben und Wiehern ausbrechen, und wenn der Koch sich genöthigt sieht, dem Küchenjungen eine Ohrfeige zu verabreichen, so umwickelt er zuerst die Hand mit einer Serviette, damit es nicht klatsche.

Wer in dieser vornehmen Straße wohnt, brauchen wir dem geneigten Leser wohl nicht zu sagen. Eilen wir lieber hindurch zu kommen; die ruhige und langweilige Größe dieser Häuser könnte uns die gute Laune verderben.

Unten am Ende angekommen, biegen wir links in eine andere, nicht minder breite Straße, die ebenfalls mit stattlichen und schönen Gebäuden besetzt ist. Aber hier hat alles einen neueren, wenn man will, glänzenderen Anstrich. Hinter dem Haupthause sieht man viel Grün, und durch die eleganten Gitterthore blickend Statuen und Springbrunnen, auch Glashäuser, hie und da bespannte Equipagen, die des Befehls zum Vorfahren harren. Aber diese Equipagen sind sehr verschieden von denen der anderen Straßen. Dort ernste, einfache Livreen und Karossen, nur die Wappenschilder hervortretend, hier die letzteren Nebensache, sehr verschwindend unter dem Golde der Geschirre und Stickereien der Livreen. Ist doch auch der Mann, der in derselben steckt, hier ein ganz anderer. Dort unter der neunzackigen Krone steht er ruhig da, steif, mit einer bezeichnenden Gleichgültigkeit in seinen Mienen gegen alles, was um ihn her vorgeht. Er, der Kutscher und die alten vornehmen Pferde halten da, fast ebenso unbeweglich wie die Schildhalter am Wappen, während hier der bewegliche Lakai mit dem pfiffigen Gesicht – er zerkaut den Stiel einer Rose, die er so eben abgepflückt – neben dem Kutscherbocke steht, seinem Collegen etwas ungeheuer Komisches erzählt und dazu hin und her tänzelt, während der Rosselenker seine Peitsche leicht und gewandt auf und ab wickelt. Auch Musik schlägt hier wieder an unser Ohr; wir vernehmen gutgespielte Passagen auf einem Instrument von prachtvollem Tone, vielleicht auch eine Phantasie von Chopin, ja wir hören auch singen, aber nicht das kleine, blitzende Sternlein, sondern

»Ah je veux briser ma chaîne
disait le bel Ivan.«

Wenn wir langsamer gehen, werden wir auch vielleicht das Glück haben, die Sängerin zu erblicken. Dort tritt sie auf den Balkon, frische Luft athmend nach den Anstrengungen ihres Gesanges und dabei gelegentlich die Straße auf und ab blickend. Es ist eine junge Dame in sehr reicher und sehr eleganter und sehr leuchtender Toilette. Ihr Teint ist etwas bleich, der Gesichtsschnitt südlich scharf, Augen und Haare schwarz. Sie bleibt auf dem Balkon stehen, bis sich die Hausthüre öffnet und durch dieselbe ein kleiner dicker, lebhafter Mann auf die Straße tritt. Dieser hat im Hausgange sein Taschentuch benutzt, aber vergessen, es einzuschieben, und schwenkt es nun in der Hand hin und her. Offenbar ist sein Geist mit etwas beschäftigt, gerade so, wie der andere kleine dicke und bewegliche Mann, der drüben im gleichen Augenblicke aus dem Hause tritt, und wie ein Dritter und Vierter, welche die Straße hinab gehen im eifrigsten Gespräch über Krieg und Frieden – ob sie steigen werden oder fallen – nicht die Heere des Vaterlandes, sondern die kostbaren Papierchen.

Weiter! Wie sich in allem die Extreme berühren, so auch hier. Wir biegen abermals links um die Ecke und haben hier die Grenze des fashionablen Quartiers plötzlich überschritten; wir sind in einer ganz andern Region angelangt. Zwei Reihen gleicher, vierstockiger Häuser mit unendlich vielen Fenstern zeigen sich unsern Blicken. Aber trotz der Höhe dieser Gebäude haben sie ein ärmliches und dürftiges Aeußere, die Dächer haben sehr viele und unregelmäßig stehende Schornsteine; die Fensteröffnungen sind klein, meistens ohne Läden, und den vielen ganz verschiedenartigen Vorhängen nach zu urtheilen, die wir an ihnen sehen, sind diese Häuser durch all' ihre Stockwerke von ebenso verschiedenartigen Partieen bewohnt. Merkwürdig viele ältere Frauen und ältere Jungfrauen sieht man an diesen Fenstern; die Ersteren blicken meistens sehr melancholisch auf die Straße, und bei den älteren Jungfrauen – eine größere Anzahl derselben hat wegen Ohren- und Zahnschmerzen den Kopf verbunden – sieht ein scharfer Beobachter häufig einen gewissen Zug freiwilliger Entsagung, der sich aber bei den geringfügigsten Veranlassungen immer noch in einen Schimmer der Hoffnung verwandelt. Und auch hier vernimmt man Musik, und viel Musik durcheinander, unten Violine, in der Mitte Klavier, oben Gesang.

»Ach, wenn du wärst mein eigen,
Wie lieb solltst du mir sein!«

Wenige Männer bemerkt man in dieser Straße, und alle, die wir sehen, haben ein gedrücktes, gebeugtes, pensionirtes Aussehen, die Mehrzahl unter ihnen trägt gelblich gewordene weiße Halsbinden, und kann es immer noch nicht lassen, zusammengefaltete Papiere, die wie Akten aussehen, im Rockschooße oder unter dem Arme zu tragen. Alle aber, obgleich sie gar nichts mehr zu thun haben als Morgens aufzustehen und Abends sich zu Bette zu legen, werden doch bei gewissen Tagesstunden von einer quälenden Unruhe befallen; so Morgens um acht Uhr, beim Beginn der Kanzleistunde, wo sie kaum in ihrem dürftigen Zimmer zu bleiben vermögen, namentlich aber Mittags um zwölf, wo sie jeder noch so sehr nach einer andern Richtung hin unternommene Spaziergang vor jenes große Gebäude führt, welches in einer der Hauptstraßen liegend, für Kanzleien erbaut ist, und wo sie sich unter die Schaar ihrer ehemaligen Collegen mischend, sich noch so zu betrachten vermögen wie damals, als auch noch auf ihren Schultern mit das Wohl des Staates ruhte.

Aber auch noch eine andere Klasse von Leuten wohnt in dieser Straße mit den vierstockigen Häusern. Es sind das Männer über die guten Lebensjahre hinaus, oft von Alter und Strapazen gebeugt, die aber in ihrem Auftreten, in ihrer Art zu gehen, in der Haltung des Körpers, wenn das irgend möglich ist, noch etwas Strammes zur Schau tragen, sei es auch nur in der Haltung des Kopfes oder in der abgemessenen Bewegung des Ellenbogens. Man könnte viele von diesen Leuten mit dem Ausdrucke: Gespenster des Tages bezeichnen; denn wie die wirklichen Phantome sich nur in der mitternächtigen Stunde zwischen Zwölf und Eins öffentlich sehen lassen, so diese nur zu Mittag, wenn die Militärparade aufzieht. Da erscheinen sie plötzlich, aus den verschiedensten Seitenstraßen auftauchend, entweder mit der Musik marschirend oder die Truppe mit einer Geberde der Zustimmung oder einem Zeichen des Mißfallens an sich vorüber ziehen lassend.

Im Gegensatz zu den pensionirten Beamten tragen diese Herren eine hohe, steife, schwarze Halsbinde und meistens eine Mütze mit der Farbe ihres früheren Regiments und einer kleinen Cocarde versehen. Ob sie bei der Infanterie oder Kavallerie gedient, erkennt man leicht am Schnitt des Bartes; der Infanterist trägt ihn klein, oft zu ein paar unbedeutenden Punkten zusammenrasirt, der Kavallerist dagegen lang, herabfallend oder wenn er sich noch zu Ansprüchen berechtigt hält, keck hinaufgedreht. Am besten aber unterscheiden sich beide Waffengattungen in ihren Pensionären durch die verschiedene Gangart; während der ehemalige Infanterist etwas darauf hält, daß immer noch seine Fußspitzen zuerst den Boden berühren und daß sich das Bein so gestreckt wie möglich präsentirt, befleißigt sich der Andere einer ausgesuchten Nonchalance, geht ziemlich breitspurig und schlenkert bedeutend mit dem linken Fuße, wenn er Husar gewesen ist. Eigenthümlich ist, daß beide Arten häufig und gern Sporen tragen, wobei denn der ehemalige Hauptmann gewiß nicht ohne Sprungriemen erscheinen wird, der alte Rittmeister zu Fuß aber darauf durchaus nichts hält und es ganz natürlich findet, wenn seine weiten Beinkleider sich angenehm und bequem in die Höhe ziehen.

Aber weiter auf unserem Spaziergange! Die Straße, die wir eben durchwandert, verbindet in ihrer Dürftigkeit zwei bessere Quartiere; denn drüben ist wieder eine breite Straße, ebenfalls mit hohen Häusern besetzt; doch haben diese Häuser größere Fenster und Eingangsthüren, kurz einen wohnlicheren Anstrich. Das weibliche Dienstpersonal, welches man hier sieht, erscheint besser gekleidet, rennt auch nicht so in größter Eile an einander vorbei, ja überläßt sich an Haus- und Ladenthüren schon einem behaglichen Plaudern oder wechselt ein paar Worte mit irgend einem Bedienten, die hier schon wieder, wenn auch in einfacher Livree, sichtbar werden, hält doch auch schon hier und dort vor den Häusern eine Equipage; freilich ist eine davon nur ein Fiaker, aber die andere, jene schwere, grüne Kalesche mit dem alten brummigen Kutscher auf dem Bocke, bespannt mit ziemlich steifen Mecklenburgern, ist Eigenthum des Herrn Präsidenten des Obertribunals. Und diese Kalesche wird schon von weitem ehrfurchtsvoll gegrüßt von all' den Dienern in grauer Livree, die wir hier mit großen Aktenstößen beladen von einem Haus ins andere wandern sehen.

Doch setzen wir unsern Weg fort. Wir kommen in ein Stadtviertel, wo sich Eleganz und Armuth die Hand zu reichen scheint, wo wir aus all' den Straßen, die wir bisher durchwandert, etwas vereinigt finden. Dort halb zurückgezogen in die Seitengasse bemerken wir einige der einfachen und eleganten Equipagen mit hochadeligem Wappen, nicht weit davon vor einem ansehnlichern Hause hält einer jener glänzenden Wagen mit den reich geschirrten Pferden, Kutscher und Bediente in ausgesuchter Livree, ja wir meinen sogar jenen alten dicken Herrn wiederzusehen, der drüben vergaß, sein Sacktuch in die Tasche zu stecken und der nun hier aus der Hausthüre tritt, behaglich schmunzelnd. Es kann aber auch ein Anderer sein; sie gleichen sich alle; ist auch für uns gleichgültig, denn der Wagen rollt mit Ostentation davon. Aber hie und da an den Fenstern erscheinen Köpfe, meistens weibliche, frisirte und unfrisirte, um ihm lächelnd nachzuschauen. Aber die Art dieses Lachens ist so verschieden, wie die Lacherinnen selbst und ihre Toilette, und lustig oder hämisch, spöttisch oder boshaft, ganz darnach, ob sich das dichte volle Haar in zierlichen Buckeln und Locken zeigt, oder sich unter einem grauen Tuche verbirgt, oder ob der Busen rund und voll ein seidenes Kleid hebt oder gänzlich unsichtbar ist unter einem wollenen, buntkarrirten Umschlagtuch.

Außerordentlich belebt ist diese Straße, dieses Stadtviertel. Wenn man alle die vielen glänzenden Reiter sieht, meistens junge Offiziere, wie sie lorgnettirend und höchst eigenthümliche Bewegungen mit der Reitpeitsche machend, hin und her caracolliren, so könnte man zu dem Glauben kommen, das Galoppiren auf dem Pflaster sei für Vieh und Menschen ein außerordentliches Vergnügen. – Aber neben diesen Berittenen, die von ihren vielen Freistunden ein paar hier oft ohne allen Nutzen vertrödeln, sieht man auch ganz sonderbare Fußgänger, alte und junge Herren, hier, um Aufsehen zu erregen sich inmitten der Straße haltend, dort wie scheu und verstohlen an den Häusern hinschleichend. Neben ihnen schlendern Lakaien dahin, laut Adressen austauschend, in den Händen kleine Billets, die in gar keinem Verhältniß stehen zu den kolossalen Blumenbouquets, denen sie als Begleitschein dienen. Auch Musik hören wir hier, viele Musik, verschiedenartige Musik.

»An jenem Tag, wo du mir Liebe geschworen,
Als ich in Wonn' und Schmerz zu deinen Füßen lag!«

Wir würden stehen bleiben, aufmerksam lauschend, ja überrascht, wenn wir uns nicht besännen, wo wir sind und daß wir das heute Abend noch viel schöner hören werden. Auch stört uns einigermaßen das Solfeggiren, das fast gellend aus dem andern Hause an unser Ohr schlägt.

Weiter, weiter! Lassen wir hinter uns die Bettler und Könige, die Prinzessinnen und all' die unschuldigen Landmädchen; ziehen wir dahin durch einige Straßen, von deren Eigenthümlichkeiten, das heißt von den Eigenthümlichkeiten ihrer Bewohner, wir wohl einiges sagen könnten, wenn wir nicht fürchten müßten, den freundlichen und geneigten Leser zu ermüden, und nähern wir uns so allmälig dem Ende der Stadt, jener Gegend

»dort, wo die letzten Häuser stehen.«

Das sind eigenthümliche Häuser und sie haben noch eigenthümlichere Bewohner; – eine ganze Straße hier aufzufinden, hält eigentlich schwer, denn wo einmal drei oder vier Häuser neben einander stehen, da folgt alsdann wieder eine Reihe von Gärten, an deren Ende, aber nach einer ganz andern Richtung hin sich dann wieder ähnliche Gebäude erheben, aber auch wieder nur zu zwei oder drei; dann folgen wieder Gärten oder Bauplätze, und so geht es fort, eine weite Strecke über die Grenzen der eigentlichen Stadt hinaus, fast bis zum nächsten Dorfe, das am Fuß der Berge liegt, jenseits der Wiesenfläche, die sich noch zwischen ihnen und den zerstreuten Häusern einschiebt.

So willkürlich nun die Lage dieser Häuser ist, so hat doch die Bauart fast eines jeden derselben etwas Besonderes, etwas Verschiedenes von der übrigen Stadt; an jedem der Gebäude hier, mag es noch so unbedeutend sein, sehen wir, nach Norden gerichtet, irgend ein Fenster von so unverhältnißmäßiger Höhe und Breite, daß es durchaus nicht zum Uebrigen paßt; oft sogar haben diese Fenster eine solche Ausdehnung, daß man glauben könnte, man habe ein Treib- oder Gewächshaus vor sich; ja es scheint uns von weitem, als sähen wir wirklich bunte Blumen an denselben. Kommen wir aber näher, so bemerken wir alsbald, daß das, was wir für Pflanzen oder Blüthen gehalten, bunte Farbenklekse sind, womit die Fenster stellenweise, aber ohne allen Zusammenhang, bemalt sind.

Passend zu diesen sonderbaren Häusern haust aber auch hier ein seltsamer Menschenschlag; meistens sind es junge Leute, die wir ab- und zugehen sehen, mit lang herabwallenden Haaren, mit großen Bärten, wo die Natur dergleichen bescheert, mit Kopfbedeckungen vergangener Jahrhunderte oder freier Phantasieen, breitkrämpige, zugespitzte Hüte oder barettähnliche Mützen von Tuch oder Sammt. Den letzteren fehlt nur die Agraffe und aufstehende Feder, um den Kopf eines Edelknaben der ehemaligen malerischen Zeit fertig zu machen. Auch in der Kleidung vieler dieser jungen Leute ist ein Uebriges gethan, um sie so verschieden als möglich zu machen von dem spießbürgerlichen Anzug unserer jetzigen prosaischen Zeit.

Zwischen diesen Leuten, die wir häufig mit Mappen unter dem Arme erscheinen sehen, bemerken wir aber auch ganz von ihnen verschiedene Gestalten, die ebenfalls dort aus den Häusern kommen oder hineingehen: alte Männer mit langem, weißem Haar und dichten, graumelirten Bärten, Köpfe von so ehrwürdigem Aeußern, daß man sie augenblicklich und vollkommen passend auf die Statue eines Apostels setzen könnte; ihr Gesichtsausdruck ist feierlich, ja ehrwürdig, oft tragen sie lange Hirtenstäbe in den Händen, in der Art, wie die alten hochseligen Patriarchen, und wenn sie statt des schäbigen, dürftigen Röckchens, das sie anhaben, mit einem faltigen Talar bekleidet wären, so würden uns nur noch Palmbaum und Brunnen fehlen, um eine alttestamentliche Geschichte beieinander zu haben, – Bilder voll Licht und Schatten; denn während wir hier den Kopf eines solchen fürstlichen Hirten in vollem Glanze zu erblicken wähnen, bemerken wir neben ihm ein Gesicht mit so falschem, widerwärtigem Ausdrucke, daß wir den Träger desselben nur etwas gebückt dahin schleichen zu lassen brauchen, den Dolch im Gewande, um den prachtvollsten Mörder fertig zu haben, den man sich nur denken kann.

Aber neben einem solchen stechenden Dorne der menschlichen Gesellschaft erscheinen uns auch hier blühende Rosen, welche das Leben verschönern, prachtvolle weibliche Köpfe, zarte und üppige Gestalten, die wir mit Erstaunen ebenfalls kommen und gehen sehen. Stolz und aufrecht schreiten sie daher, und man könnte glauben, eine Schaar von Fürstinnen und Heldinnen aller Zeiten hätte sich das Vergnügen gemacht, hier einmal im halben Incognito unter gewöhnlichen Menschenkindern umher zu wandeln. Wir sagen im halben Incognito, denn oft verräth uns eine leuchtende Granatblüthe im blauschwarzen Haar, trotz dem langen, verhüllenden Shawl, daß wir es eigentlich mit einer granadischen Prinzessin zu thun haben; oder es erzählt uns jene weiße Rose dort in den blonden Locken, daß die Dame, welche sich so bescheiden in ihr kurzes dünnes Mäntelchen hüllt, eigentlich ein geborenes Burgfräulein ist, welches wir schon sahen, schmachtend niedergebeugt zum spiegelnden See, wo die weiße Wasserlilie blüht, oder Schwäne fütternd, oder Vergißmeinnicht pflückend, oder Gänseblümchen zupfend, oder einen Liebesbrief lesend, oder dem entschwindenden Taucher nachschauend in dem Augenblick, wo die Wasser alle zurückkommen, ihn aber keines wiederbringt, oder – oder – oder – doch genug des grausamen Spiels!

Treten wir lieber in eines dieser kleinen Häuser, nicht in das erste beste, – dazu ist uns die Gesellschaft des geneigten Lesers zu lieb, sondern in eines, wohin wir ihn schon zu Anfang dieser wahrhaftigen Geschichte zu führen willens waren und es nur auf diesem Umwege mit Absicht gethan, da wir uns schmeicheln, viel zu gut erzogen zu sein, um fremden Leuten so geradezu mit der Thüre ins Haus zu fallen.


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