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Viertes Kapitel.
Ein Besuch


Franceska stand also hinter den beiden Freunden, und als sich Tannhäuser ebenfalls herumdrehte, hielt sie, wie schon bemerkt, plötzlich in ihren Bewegungen inne und blickte mit gerötheten Wangen tiefathmend, aber mit lächelnd zuckenden Mundwinkeln vor sich nieder.

»Sie hat eigentlich Recht,« sagte der kleine Thiermaler zu seinem Freunde, »daß sie vor dir nicht forttanzt; du verstehst das doch nicht zu würdigen; aber ich sage dir, es war wunderbar schön, und ich selbst könnte auf die Idee kommen, darnach eine Skizze zu versuchen, wenn – wenn ja zum Henker, wenn ich es überhaupt könnte.«

Der Andere hatte sich wieder nach dem Affenbilde umgewandt und meinte lächelnd: »Jetzt wirst du mich wohl für einige Zeit in Ruhe lassen; ich kann mich viel zu wenig in deine Intentionen finden, um dir was Nützliches oder auch nur Angenehmes sagen zu können. – Hast du Zeit, Franceska, so komm mit mir,« wandte er sich an das junge Mädchen.

»Ja,« versetzte diese, ohne aufzublicken, so lange nämlich der Tannhäuser noch dieseits des Verschlages war. Als sie ihn aber nicht mehr sah, lachte sie lustig gegen Wulf hin, nickte hastig mit dem Kopfe und sprang dann auf ein paar Augenblicke zu dem kleinen Affen hin, der durch freundliches Knurren sein Wohlgefallen an den Tag legte, als sie ihn mit ihrer kleinen Hand auf den Kopf pätschelte. Darauf grüßte sie mit beiden Händen und sprang dann hinter die spanische Wand.

Wulf war in diesem Augenblicke komisch anzuschauen; er richtete sich in die Höhe und nahm in Carricatur die Haltung seines Freundes Tannhäuser an – er hielt, wie dieser, den Kopf etwas hoch, beschaute sein eigenes Bild mit einem halben flüchtigen Blick und sagte dann mit affektirter Stimme: »Ich kann mich viel zu wenig in deine Intentionen finden, um dir was Nützliches oder auch nur was Angenehmes zu sagen. – Natürlich!« setzte er murmelnd hinzu, »das besieht sich in seinem Spiegel und hält sich selbst schon für eine Art Halbgott. – Komm, Franceska, wenn du Zeit hast. – Sie hätte ihm sagen sollen: nein, ich mag nicht, aber – doch was geht's mich an?«

Wahrscheinlich hatte der kleine Thiermaler, wie er oft zu thun pflegte, sein Selbstgespräch so laut geführt, daß der Andere etwas davon verstanden; oder hatte ihn dieser auch nur brummen oder murren gehört – genug, Tannhäuser rief jetzt herüber: »Du, Wulf, welche Krümmung gibst du einem deiner Affenschweife, wenn du ausdrücken willst, daß derselbe über die Bemerkung eines Freundes erbost ist?«

Der kleine Maler gab aber keine Antwort, sondern seinen Stuhl näher zur Staffelei rückend und ein Lied pfeifend, fing er wieder an zu arbeiten.

Franceska hatte sich auf den Platz gesetzt, wo sie schon so oft gesessen – hinter seiner Staffelei, hell bestrahlt von dem hereinfallenden Lichte. Es dauerte eine Zeitlang, ehe sie vollständig zur Ruhe kommen konnte; von ihrer heiteren Lust und dem Tanze aufgeregt, leuchteten ihre Augen ungewöhnlich, ihre Lippen zuckten und lächelten abwechselnd, und dabei hob sich ihre Brust, von tiefen Athemzügen geschwellt.

»So geht's nicht,« sagte Tannhäuser; »plaudern wir zuerst ein bischen, ehe ich anfange zu malen. Du bist ein recht tolles Kind. Wie mag man sich so ohne Grund echauffiren und plagen!«

»Ohne Grund?« fragte verwundert das Mädchen. »O nicht ohne Grund! Joco saß so schläfrig und mißvergnügt da, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihn ein wenig aufzuheitern.«

»Und wenn du jemand aufheitern willst, so kannst du es,« versetzte freundlich lächelnd der junge Mann.

»Den Joco?«

»O nicht nur den Joco, auch Andere vermagst du heiter zu stimmen, wenn sie traurig sind.«

»Aber dich doch nicht?« fragte das Mädchen. Und darnach unterbrach sie plötzlich einen tiefen Athemzug und ließ einen ihrer leuchtenden Blicke mit der Schnelligkeit des Blitzes auf ihn fallen.

»Und warum mich nicht?«

»Nun, weil du nie traurig bist, nicht einmal verdrießlich; wenigstens sieht man nichts davon – das ist ganz eigenthümlich,« fuhr sie nach einer Pause fort, »und ich habe meinen Vater einmal darum gefragt. Ich habe ihm gesagt: woher mag das wohl kommen? Wir alle sind einmal verdrießlich oder traurig, ich sehr oft, und wenn mich alsdann Einer lachend ansieht, so fühle ich, daß ich weinen könnte, und wenn er mich ernst und traurig beschaut, so wird mir das Herz noch schwerer. Dem Wulf geht es gerade so – nicht wahr, Wulf?« rief sie mit lauter Stimme.

»Ja wohl, mein Kind, alles, was du willst,« gab dieser, der ihre Worte nicht verstanden hatte, zur Antwort zurück.

»Der Joco hat viele betrübte Stunden,« fuhr Franceska fort, »wo er ein Auge zuschließt und mit dem andern melancholisch um sich schaut. Auch unsere alte Magd und mein Vater. – Ja richtig, und den letzteren fragte ich, wie es doch wohl komme, daß du immer heiter und glücklich seiest.«

»Und was sagte er dir?«

»Nun, er meinte, du hättest auch gar keine Ursache, dich über irgend etwas in dieser Welt zu beklagen; dir verliefen deine Tage unter lauter Sonnenschein; du wärest in einer guten Stunde auf die Welt gekommen.«

»Es kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dem wechselnden Mond!«

sang der kleine Thiermaler, der sich wahrscheinlich seit der Frage des jungen Mädchens bemüht hatte, etwas von dem Gespräch zu vernehmen.

»Hörst du, wie der Wolf heult?« sprach lachend der Tannhäuser. »Und er hat recht,« setzte er ernster werdend hinzu, »es kann ja nicht alles so bleiben hier unter dem wechselnden Mond. Wer weiß, Franceska, ob du mich nicht noch einmal traurig, recht traurig siehst!«

Das schöne Mädchen blickte auf den Boden nieder, dann sagte sie nach einer Pause mit leiser Stimme: »O ich möchte wohl.«

»Was, mein Kind?«

»Dich auch einmal traurig sehen.«

»Und warum das, Franceska?«

»Um den Versuch zu machen, ob es mir möglich wäre, dich aufzuheitern.«

Sie sprach das langsam, mit stockender Stimme, und es war, als ob sie fühle, daß seine Blicke auf ihrem lieben Gesicht ruhten; sie vermochte nur langsam ihre Augen aufzuschlagen und auch nur einen kleinen Moment seinem Blicke zu begegnen, worauf er lächelnd sagte: »Du wirst mich schon noch einmal so sehen, Franceska.«

»Wer weiß, wo ich dann längst schon bin, wenn du einmal anfängst traurig zu werden.«

»Ich glaube nicht, daß wir so bald getrennt werden, mein Kind.«

»O doch, o doch, ich fühle es!«

»Nun gut,« sagte Tannhäuser mit einem leichten Lächeln; »vielleicht wäre das ein Mittel, deinen Zweck zu erreichen.«

Sie schaute ihn fragend mit ihren großen, glänzenden Augen an.

»Mich nämlich traurig zu sehen.«

»O nein.« erwiderte sie, »das wird dich nicht betrüben.«

»Aber wenn es doch der Fall wäre? Denke dir, Franceska, es geschähe, wie du eben sagtest: wir würden nämlich getrennt, Gott weiß durch welchen Zufall, und zwischen uns, die wir uns jetzt so hübsch und freundlich die Hand reichen können, legten sich weite Länderstrecken.«

»Ja, Berg und Thal, weite, weite Strecken,« sprach sie in tiefe Gedanken versunken.

»Und nun käme über mich, was ihr, wie du sagst, an mir vermisset – Leid und Traurigkeit. Und so träte ich vor dich hin – mühselig und beladen,« fuhr er mit einem Ernste fort, der eigentlich nicht zu der heiteren Situation paßte. »Würdest du dich alsdann deines Wortes von vorhin erinnern und mich mit einem freundlichen Blick, einem guten Worte aufheitern – oder würdest du sagen, und ich fürchte fast das Letztere: – den traurigen, verdrießlichen Mann kenne ich nicht; das ist nicht der Tannhäuser, der so oft meine Augen gemalt. – Ich glaube fast, so würdest du sprechen, denn wie mein heulender Wolf sagt:

Es kann ja nicht alles so bleiben
Hier unter dem wechselnden Mond.«

»Und darin hat er recht,« rief Wulf; »es wird eine Zeit kommen, schöner junger Mensch, wo auch deine Sonne sich abwärts neigt, wo auch um dich her die feuchten, kalten Nebel aufsteigen, wo du dich sehnen wirst nach der treuen Brust eines Freundes, selbst wenn dieser Freund auch nur Affenschwänze malt.«

»Du sprichst ja gerade wie ein prophetischer Rabe,« gab Tannhäuser zur Antwort, »der jeden seiner Sprüche mit: wehe, wehe! schließt. Sollte man, wenn man euch hört, nicht glauben, bei mir wäre nur Lust und Freude zu finden, ich kannte bis jetzt keine Schattenseiten des Lebens.«

»Du kennst auch keine,« versetzte der Thiermaler.

»Und du« – wandte sich Tannhäuser nach einer kleinen Pause an das junge Mädchen, »du hast mir auf meine Bemerkung noch keine Antwort gegeben. Glaube mir, mein Kind, ich habe recht; die Stunden folgen einander, aber sie gleichen sich nicht; heute würdest du dir vielleicht einen Spaß daraus machen, mich, wenn ich traurig wäre, aufzuheitern; nächstens aber fragst du vielleicht: Tannhäuser? – Wer ist das?« –

»O nie, nie!« rief Franceska leidenschaftlich, und wenn auch nicht aus dem Ton ihrer Stimme die Wahrheit so überzeugend heraus geklungen hätte, so würde ihr Blick dafür gezeugt haben; ihr leuchtender Blick, offen, klar, ihr heißes Gefühl offenbarend, ihr Blick, der während einer langen Pause auf seinem Gesichte ruhte. – Dann fuhr sie sich mit der Hand über die Augen, wie um das Feuer desselben, das sie wohl fühlen mochte, zu dämpfen, und sagte hierauf mit leicht zitternder Stimme: »Ich hoffe nicht daß es so kommen wird, wie Freund Wulf gesagt, daß die Sonne deines Glückes sich umziehen wird mit kalten traurigen Nebeln, oder daß ich dich nach langer Trennung wiedersehen werde, wie du vorhin sprachst: mühselig und beladen. Sollte es aber doch so kommen, dann sollst du erfahren, ob Franceska den Versuch machen wird, dich zu erfreuen, deinen traurigen Sinn aufzuheitern. – Da,« fuhr sie nach einer kleinen Pause mit leiserer Stimme fort, »nimm!«

Man sah in ihren glänzenden Augen, an den heftigen Bewegungen ihres Körpers, daß sie gewaltig erregt war. Sie tauchte ihre rechte Hand in das Mieder, welches ihre Brust umschloß, und zog einen kleinen Ring von Achat hervor, den sie dort an einem Schnürchen verwahrt trug, das sie nun mit einer raschen Bewegung von ihrem Halse schlang und es mitsammt dem Ring dem Tannhäuser einhändigte, »das nimm,« wiederholte sie dringend; »und so oft du es anziehst, soll es dich an mein Versprechen erinnern, das ich dir gewiß halten werde.«

Der junge Mann, etwas überrascht, fast verwirrt, nahm das Geschenk Franceska's entgegen – es war an ihrem Herzen gewärmt – und hielt es einen Augenblick zwischen seinen beiden Händen.

»Dafür danke ich dir innig!« sagte er nach einem kleinen Stillschweigen mit bewegter Stimme, »für deine guten freundlichen Worte, für dein liebes Geschenk! Ich will es als Talisman bei mir tragen, und schwöre dir zu, es soll nie von meiner Brust kommen, bis ich es dir selbst bei irgend einer Veranlassung zeigen oder wieder geben werde.«

Ihre Augen funkelten von Thränen, und er nahm sanft ihre rechte Hand, welche sie auf die Stuhllehne gelegt, und fuhr fort: »Du bist ein gutes, närrisches Kind; siehst du, Franceska, jetzt muß ich den Versuch machen, dich aufzuheitern.«

»Und es soll dir gelingen,« gab sie mühsam lächelnd zur Antwort; »aber unter einer Bedingung: du darfst mich heute nicht malen; ich kann jetzt nicht ruhig und still sitzen. Laß mich hinaus, ich will zu meinem Freunde Wulf gehen und ihm zuschauen.«

In diesem Augenblicke vernahm der kleine Thiermaler draußen im Gang Schritte und gleich darauf wurde an die Thür des Ateliers geklopft. »Herein!« rief Herr Wulf, ohne aber darauf nachzusehen, welchen Erfolg sein Ruf wohl haben mochte.

»Meine Gnädige,« rief eine trockene Stimme in den Gang hinaus, »mir scheint, wir sind hier gänzlich fehlgegangen; wollen Sie die Gnade haben, einen Augenblick zu warten? – Erlauben Sie, Herr-rr –«

Da dieses ›Herr‹ sehr nahe am Ohre des kleinen Thiermalers erklang, so mußte er nothwendig aufschauen und bemerkte neben sich einen schon ältlichen, elegant gekleideten Herrn mit sehr freundlicher, lächelnder Miene, der seinen Hut ein klein wenig aufgelüpft hatte und dessen Miene und Haltung so genau wie ein Fragezeichen aussah, daß er nur die Worte: Herr Tannhäuser, auszusprechen brauchte, um von Wulf die Antwort zu erhalten: Herr Tannhäuser male im selben Atelier, sei aber augenblicklich beschäftigt, er, Wulf, wolle jedoch die Gefälligkeit haben, ihm die Wünsche des fremden lächelnden Herrn vorzutragen, wenn man ihm diese Wünsche anvertrauen wolle. Der kleine Thiermaler in seiner uns schon bekannten Eifersucht hätte selbst nicht einmal den Landesherrn zu einer Sitzung der kleinen Italienerin zugelassen; schon der Gedanke, man könne sie nur so für ein Modell nehmen, hätte ihn wüthend gemacht. Auch Tannhäuser dachte so, und da er seinen Namen aussprechen hörte, trat er aus der spanischen Wand hervor, worauf sich Wulf wieder unbekümmert seinen Affenschwanzphantasien überließ.

Der freundliche ältliche Herr stellte sich dem Maler mit sehr ausgesprochener Herablassung als Graf Portinsky vor und lenkte mit einem vielsagenden Blick die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf die offenstehende Thüre des Ateliers, wo sich im Gange etwas rauschend näherte und gleich darauf eine Dame sehr elegant, aber dabei mit ausgesuchter Einfachheit gekleidet, erschien, die sich aber, ehe sie eintrat, umwandte und zu einer zweiten Dame, die ihr folgte, lächelnd sagte: »man muß ihm folgen, sonst läuft man Gefahr, in diesem Labyrinth den Weg vollständig zu verlieren.« – »Ah, da ist er!« fuhr sie darauf fort, indem sie überall anstreifend durch die übrigens nicht allzuschmale Thüre des Ateliers trat. »Aber horreur!« setzte sie dann hinzu, indem sie sich rings umschaute, »das ist ja wie das Vorzimmer zu einer Menagerie! Wohin sind wir gerathen?«

»Die Fürstin Lubanoff,« flüsterte der freundliche Herr dem Maler zu, wobei er ihn lächelnd betrachtete, um den Ausdruck des Glückes und der furchtsamen Ueberraschung zu genießen, welche unbedingt auf den Zügen des jungen Mannes erscheinen mußten bei Nennung des Namens jener vornehmen und reichen Frau, die als eine mächtige Beschützerin der Kunst bekannt war. Tannhäuser that übrigens nicht besonders dergleichen; er verbeugte sich bescheiden, aber nicht allzu stark und hielt gleich darauf ruhig den einigermaßen erstaunten Blick der Fürstin aus, als er dieser von dem ältlichen Herrn vorgestellt wurde.

»Herr Tannhäuser, jener junge und talentvolle Künstler, von dem Sie« – dabei verbeugte er sich lächelnd vor der fremden Dame, »auf den ersten Blick jenes hübsche Bild entdeckt, obgleich es sich auf der großen Ausstellung etwas versteckt hält.«

»Es ist doch von Ihnen?« fragte die Fürstin, nachdem sie nochmals einen zweifelhaften Blick auf all' die Affen geworfen, die sich hier auf Leinwand, auf Papier, auf den Fensterscheiben und auf allen Wänden befanden.

Der Graf Portinsky hatte währenddem einen Katalog aus der Tasche gezogen, darin geblättert und sagte jetzt: »Numero vierhundertsechzehn.«

Tannhäuser verbeugte sich leicht und versetzte: »Eine junge Mutter mit ihrem Kind auf dem Schooß; das ist allerdings von mir.«

»Sie gaben einen Preis bei der Ausstellungs-Commission an?« fragte der ältliche, beständig lächelnde Herr; »ich habe ihn wahrhaftig vergessen. Dürfte ich Sie vielleicht bitten, uns diesen Preis zu nennen? Die Frau Fürstin haben außerordentlichen Gefallen an Ihrem Bilde gefunden und wünschen es, glaube ich, zu besitzen.«

»Gewiß – es ist charmant, ich möchte es gern haben.«

»Ich glaube, daß ich bei der Ausstellungs-Commission den Preis auf vierzig Louisd'or stellte,« sprach Tannhäuser mit einer leichten Ungeduld, denn es war ihm von jeher peinlich gewesen, über dergleichen, namentlich mit fremden Leuten, zu sprechen.

Die Fürstin hatte einen mächtigen Fächer entfaltet und gebrauchte ihn mit jener wunderbaren nachläßigen Geschicklichkeit, die einer Andalusierin alle Ehre gemacht haben würde. Wenn man auch durch dieses Spiel des Fächers, den sie jetzt auf die rechte, jetzt auf die linke Seite ihres Kopfes brachte, den sie im nächsten Momente dazu anwandte, das stark hereinfallende Licht des sonnigen Frühlingstages von ihren Augen abzuhalten, um ihn darauf zuklappen zu lassen und ein paar Sekunden später wieder rauschend zu entfalten, – wenn auch die Nebenstehenden durch diese blitzschnellen Bewegungen gehemmt waren, der Richtung ihrer Blicke zu folgen, so konnte es doch dem jungen Maler, der vor ihr stand, nicht entgehen, daß ihre Augen, so oft sie solche anderswohin gewandt, gleich wieder zu ihm zurückkehrten, um ihn mit Wohlgefallen zu betrachten.

Und die Fürstin Lubanoff hatte schöne Augen, gefährliche Augen! seufzten ihre zahlreichen Verehrer. Es war ein dunkles, sinnendes Auge, etwas umflort erscheinend, sowie es nicht ganz geöffnet war; und sie liebte es, mit jener so reizenden Schläfrigkeit ihre Augenlider ein wenig herabfallen zu lassen, um alsdann, wenn sie es für passend hielt, die ganze Glut ihrer Blicke mit unerwarteter Gewalt auf ihr Opfer schleudern zu können. Dabei aber hatte dies halbgeschlossene Auge etwas dämonisch Anziehendes; wenn es gleich wie etwas erschien, das zu fürchten war, so konnte man doch nicht unterlassen, hinein zu schauen, sich Anfangs fürchtend, nach und nach dreister werdend und zuletzt mit einer Art von schauerlichem Wohlbehagen den so eigenthümlichen, erregten und doch wieder so ruhig scheinenden Blick in sich aufnehmend.

Gerade so dachte der Tannhäuser, als er vor ihr stand, sie anblickte, während sie dies und das mit ihm sprach und während er sich dabei gestehen mußte, daß der Kopf der schönen Fürstin eine der prachtvollsten Studien wäre, die sich ein Maler nur wünschen könne. Ihr Gesicht war oval, eher noch von runder Form, die Nase grade und fein gezeichnet, mit wenig, aber ersichtlicher Bewegung, wenn sie erregt sprach oder tiefer athmete. Der Mund hatte frische, schwellende, etwas starke Lippen, die sich auch, wenn sie nicht sprach, so viel geöffnet zeigten, um die weißen Zähne durchschimmern zu lassen; ihre Gesichtsfarbe war von jener eigenthümlichen, etwas gelblichen Blässe, wie man sie bei Frauen aus dem äußersten Süden, aber auch bei solchen aus dem äußersten Norden häufig findet. Bei der Fürstin aber wich diese Blässe, sowie sie animirt sprach, vor dem schnell erregten Blut, welches dann mit leichter Röthe auf der feinen, durchsichtigen Haut erschien. Ueberhaupt, wenn sie schon im gewöhnlichen, ruhigen Dahinleben eine schöne Erscheinung war, so mußte man sie entzückend, hinreißend finden, wenn sie sich über etwas enthusiasmirte, wenn sie lebhaft sprach, wenn ihre Augen blitzten, wenn ihr dunkler Teint dem Pfirsich gleich von einem sanften Roth angehaucht erschien. Ihr Haar war dunkelbraun, fast schwarz, doch ohne den blauen Glanz, den man zum Beispiel an dem Haar Franceska's sah. Die Fürstin war über Mittelgröße; schlank und doch voll zeigte sich ihre Gestalt in tadellosen Formen, und trotz ihrer sichern Haltung und ihres festen, sich selbst bewußten Auftretens hatten doch ihre Bewegungen zuweilen etwas Mädchenhaftes, etwas Scheues, Schüchternes und dadurch etwas unendlich Anziehendes.

Die Fürstin Lubanoff, jetzt vielleicht 26 Jahre alt, war die Wittwe ihres Vetters, des Generals Lubanoff, eines alten Herrn, der nur geheirathet hatte, um das kolossale Vermögen der Lubanoff nicht in fremde Hände kommen zu lassen, sondern seiner wenig bemittelten Cousine zuzuwenden, wofür er wahrscheinlich im Himmel seine Belohnung finden wird; denn hier auf Erden war ihm nicht mehr viel Zeit vergönnt, die Früchte seiner edlen Handlung zu genießen, da ihm bald nach seiner Hochzeit die unangenehme Ueberraschung zu theil wurde, durch ein Avancement zur Armee des Kaukasus versetzt zu werden, wo er kurze Zeit darauf bei Erstürmung eines feindlichen Aul's in einem furchtbaren Handgemenge fiel, in mancher Beziehung vielleicht ein Glück für ihn, denn er war ein vortrefflicher Soldat, wäre aber, wie seine Freunde vermutheten, ein weniger guter Ehemann geworden.

Von der Fürstin aber fand man es damals sehr gerechtfertigt, daß sie ihre Heimat verließ, um längere Zeiten auf Reisen durch Deutschland, Frankreich, Italien auswärts zu bleiben. Im Besitze ihres alten Namens und eines ganz außerordentlichen Vermögens, wie schon oben angedeutet, ward sie in hohen und höchsten Kreisen mit der größten Zuvorkommenheit empfangen, hatte nebenbei einen eigenen kleinen Hof um sich und war bei ihrem feinen Geschmack, sowie bei ihrer Liebe für alle Künste bald überall die Tonangeberin. Dabei glänzte sie durch eine gediegene Einfachheit; ihr Haus mit seiner Einrichtung, ihre Equipagen, die Livreen ihrer Dienerschaft, alles war von einer ausgesuchten Bescheidenheit, alles glänzte, weil die kostbarsten Stoffe jeder Art so angebracht waren, daß sie nicht glänzen konnten.

Am heutigen Morgen hatte die Fürstin ein einfaches Kleid von perlfarbener Seide, einen weißen Burnuß und einen grauen Hut, und wenn dabei alles mit einer solchen Zierlichkeit gearbeitet war, daß die reichen Stoffe vollkommen als Nebensache erscheinen konnten, so kam doch wieder die sorgfältige Arbeit derselben nur dadurch zur Geltung, weil sie von der reizenden Figur der schönen, eleganten Frau getragen wurden. Ihren Fuß hatte ihr Pariser Schuhkünstler für das feinste und tadelloseste Modell erklärt, und für ihre Hand sah sich Jauvin gezwungen, eine neue Nummer zu erfinden.

»Vierzig Louisd'or,« hatte Tannhäuser mit einiger Zurückhaltung gesagt, sei der Preis für sein Bild Nr. 416, eine Mutter mit ihrem Kinde. Und darauf betrachtete ihn die Fürstin kopfschüttelnd und so eigenthümlich lächelnd, daß dem guten Maler, der nicht anders glaubte, als man finde seinen Preis zu hoch, das Blut in den Kopf zu steigen begann und seine Augen sich zusehends belebten.

»Vierzig Louisd'or?« wiederholte die schöne Frau und drehte ihren Fächer so, daß er eine förmliche spanische Wand bildete zwischen ihr und den Uebrigen, die sich im Zimmer befanden. »Vierzig Louisd'or – ich finde, das ist ein sehr mäßiger Preis.« Dabei öffnete sie ihre Augen und blickte dem jungen Mann ein paar Sekunden fest ins Gesicht, wobei ihre Brust von einem tiefen Athemzuge geschwellt wurde. Gleich darauf ließ sie aber ihre Augenlider wieder langsam niederfallen und fuhr fort, nachdem sie den Fächer zusammengeklappt: »Darf ich das Bild mein nennen? – Darf ich?« wiederholte sie hastig und erhob ihre Blicke abermals zu dem Maler.

Dieser verbeugte sich mit wahrer Erleichterung; es hätte ihn geschmerzt, wenn man den Preis für sein Bild zu hoch gefunden hätte; wahrhaftig, es hätte ihm das gerade dieser Frau gegenüber, die er heute zum erstenmale sah, einigermaßen wehe gethan. Deßhalb sprach er auch mit belebterer Stimme: »Ich schätze mich glücklich, Madame, dies Bild, das ich gern und mit Fleiß gemalt, in Ihren Händen zu wissen.«

Die Fürstin wandte sich rasch herum, und nachdem sie abermals einen fragenden Blick rings um sich her geworfen, sagte sie: .Aber wo ist denn eigentlich Ihr Atelier?«

»Gleich nebenan,« gab der Tannhäuser zur Antwort; doch setzte er mit der ihm eigenen ruhigen, ja vornehmen Haltung hinzu: »Ich bedaure unendlich, die Frau Fürstin in diesem Augenblicke nicht dorthin führen zu können, da ich gerade eine Sitzung habe, die ich selbst durch den verehrtesten fremden Besuch nicht unterbrechen darf.«

Bei dieser Antwort erhob die schöne Dame leicht ihren Kopf und sagte: »Vielleicht ein andermal denn.« Dabei erschien sie ebenso ruhig und freundlich wie vorher, denn der leichte Schatten, der über ihre Züge flog, war so unmerklich, daß er selbst dem schärfsten Beobachter entgehen mußte, umsomehr dem Maler, welcher vor ihr stand und mit der Lust des Künstlers diese interessanten Züge studirte.

»Da fällt mir ein,« wandte sie sich an den ältlichen Herrn, »daß ich Herrn Tannhäuser bitten könnte, mein Portrait zu malen; – die Zeichnung Ihres Bildes, die Behandlung der Farben hat mir außerordentlich gefallen, und wenn Sie sich überhaupt mit Portraits abgeben,« sagte sie zu dem Maler, »so werden Sie mir vielleicht meine Bitte nicht abschlagen. – Aber ehe Sie sich dazu entschließen,« fügte sie rasch hinzu, »ehe Sie vielleicht so freundlich sind, Ihre Zustimmung zu geben, muß ich eine kleine Bedingung stellen, die Ihnen vielleicht lästig ist, die ich aber deßhalb vorher ausspreche. Es ist mir nämlich unmöglich, zu den Sitzungen hieher in Ihr Atelier zu kommen. Ich würde auch das thun,« schloß sie verbindlich, »wenn ich nicht einem andern, ebenfalls renommirten Künstler, der mich früher gemalt – Sie werden sein Bild bei mir sehen – dieselbe Bedingung gestellt hätte und sie auch festhielt.«

Da es nun dem guten Tannhäuser, der ja die ersten, wenn auch gelungenen Schritte auf der dornenvollen Künstlerlaufbahn that, niemals in den Sinn gekommen wäre, auch von einer viel minder vornehmen Dame zu verlangen, sie solle sich hieher ans Ende der Welt begeben, um ihr Portrait malen zu lassen, so versicherte er auf's bereitwilligste, er fühle sich durch den erhaltenen Auftrag geehrt und bitte nur, ihm die Zeit bestimmen zu wollen, er werde sich dann einfinden. Er sagte das freilich so verbindlich, als es ihm möglich war, und er fühlte sich auch in der That durch diesen Auftrag geehrt, doch da er dabei keine allzutiefe Verbeugung machte, wie die Fürstin es bei ähnlichen Veranlassungen sonst wohl gewohnt war, auch die Worte von seinem tiefen, klingenden Organ ausgesprochen, ziemlich ernst klangen, so war es gerade, als erweise er der vornehmen Dame eine Gunst – ein Gedanke, den diese ebenfalls durch jene ganze Haltung bestätigt fand, der sie im ersten Augenblick überraschte, der aber gleich darauf ein wohlwollendes und sehr freundliches Lächeln auf ihren Zügen hervorrief.

»Das wäre also abgemacht,« sagte sie heiter; »ehe wir aber die Sitzungen beginnen, möchte ich Ihnen wohl das Zimmer mit seinem Lichte zeigen, um Ihre Ansicht zu hören, ob es Ihnen tauglich erscheint. Wann könnten Sie zu mir kommen, um es zu sehen? Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht unnütz in Anspruch nehmen.«

Während sie so sprach, war es natürlich, daß sie ihn aufmerksam ansehen mußte, was sie denn auch that. »Hätten Sie vielleicht heute Zeit?« fragte sie.

»Gewiß, Madame,« versetzte Tannhäuser; »ich bitte nur eine Stunde zu bestimmen, die Ihnen angenehm ist.«

Sie dachte einen Augenblick nach, sie schien etwas zu überlegen, dann sprach sie lächelnd: »Sie werden es vielleicht komisch finden, wenn ich Ihnen sage, daß meine Zeit sehr in Anspruch genommen ist. Und doch ist dies der Fall, namentlich heute, wo ich nur zwischen Vier und Sechs für mich habe.«

Tannhäuser zeigte durch eine leichte Verbeugung an, daß ihm diese Zeit vollkommen genehm sei.

»Es ist dies aber gerade die Stunde meines Diners,« fuhr sie fort, »und ich würde mich nur dann ungenirt mit Ihnen berathen können, wenn Sie so freundlich wären, bei mir speisen zu wollen.«

Obgleich dieser Vorschlag dem jungen Maler einigermaßen unerwartet kam und ihn überraschte, so fand er doch nicht gleich einen triftigen Vorwand, um ihn abzulehnen, und sagte deßhalb, was man bei solchen Veranlassungen zu sagen pflegt, er mache sich eine Ehre daraus, um vier Uhr zu erscheinen. Dabei verwirrte es ihn doch einigermaßen, als er, vor sich hinausschauend, mit seinen Blicken auf das Gesicht seines Freundes Wulf traf, der sich wieder an die Arbeit gesetzt hatte und an seinen Affenschwänzen fortmalte, als gäbe es um ihn her keine fremden Besuche oder dergleichen. Jetzt aber hatte er seinen Kopf herum gewandt, den Freund mit einem recht sarkastischen Lächeln angeschaut und dann, wie er es zu thun pflegte, wenn er eine seiner Lieblingsbemerkungen von sich gegeben, die er aber jetzt begreiflicher Weise nur dachte: was geht's mich an? – seinen Mund gespitzt, als wolle er sich oder den Anwesenden etwas vorpfeifen.

Die Begleiterin der Fürstin, die wir bis jetzt noch nicht genau betrachtet – sie hielt sich auch in bescheidener Entfernung – war eine schon ältere Dame und hatte das Ansehen einer gesetzten Gesellschafterin, die, vielleicht aus gutem Hause, es wahrscheinlich vorzog, im Hotel Lubanoff sich bei angenehmem Leben in einem dienenden Verhältniß zu befinden, als selbständig ihrer vollen Freiheit bei geringem Brode froh zu werden.

Frau von Bauvallet, die Gattin eines französischen Bergbeamten – er hatte das Unglück gehabt, sich in den Goldminen am Ural zu verirren, das heißt, er war eines Tages eingefahren und darauf spurlos verschwunden – war von einem angenehmen, heiteren Charakter; selbst ziemlich sorglos, hatte sie die Gabe, mit anscheinenden Vernunftgründen auch andere Leute davon zu überzeugen, daß es am besten sei, man lasse sich vom Strom des Lebens, ohne viel zu ringen und zu kämpfen, dahintragen, suche sich dabei so behaglich wie möglich einzurichten, pflücke die Blumen am Ufer, die man erreichen könne, und hoffe immer darauf, vom lieben Gott an eine Insel geführt zu werden, die viel Aehnlichkeit mit dem Schlaraffenland der Kinder habe. Für ein solches Schlaraffenland schwärmte Madame Bauvallet überhaupt, den Goldberg und die Diamantenfelder hätte sie dabei andern Leuten überlassen und wäre schon mit dem Thal zufrieden gewesen, wo der Mandelberg thront, wo die fettesten Fasanen umherfliegen und wo die gespickten Rehe inständigst bitten, ihren Ziemer gefälligst abschneiden zu wollen. Im Vertrauen gesagt, war die würdige Französin eine Art Haushofmeister, und wo es galt, die Ehre des Hauses zu zeigen, hätte sich der Chef der Küche, ein berühmter Landsmann, nicht einmal unterstanden, das Menü ohne ihren Rath zu entwerfen.

Frau von Bauvallet hatte sich hinter den Stuhl des Thiermalers gezogen, betrachtete dessen Bild mit unverkennbarem Interesse und that einige Fragen, welche so sehr davon zeugten, daß sie von einer oberflächlichen Neugier hervorgerufen waren, daß sich Wulf veranlaßt sah, der alten Dame eine leichte Erklärung seines Werkes zu geben, welche von derselben mit den Ausrufen: »außerordentlich! deliciös! charmant!« belohnt wurde, – Ausrufungen, welche sie so laut betonte, daß diese nothwendig die Aufmerksamkeit der Fürstin erregen mußten, welche sich denn auch einige Augenblicke, nachdem der Tannhäuser die Einladung zum Diner angenommen, mit der Frage, was es denn dort eigentlich gebe, dem Stuhle des Thiermalers näherte. Frau von Bauvallet gab die Erklärung des Bildes in einer so launigen Art, daß auch die Fürstin darüber lächelte und dann einige Worte in russischer Sprache zu ihrer Gesellschafterin sagte, worauf diese eifrig und sehr heiter mit dem Kopfe nickte.

»Herr Wulf blieb ruhig auf seinem Stuhle sitzen und beugte sich nur so viel auf die Seite, als nöthig war, um den Damen die Aussicht auf sein Bild frei zu lassen. Kein Gefühl der Ehrfurcht vor denselben hätte ihn gezwungen aufzustehen, und es war etwas ganz Anderes, was ihn im nächsten Augenblicke vermochte, seinen Sitz zu verlassen, mit der Behendigkeit und Eilfertigkeit einer Schlange zwischen den Damen hindurchzuschlüpfen.

Er hatte nämlich mit seinem scharfen, beständig umherirrenden Auge bemerkt, daß sobald Tannhäuser und die beiden Damen hinter seinen Stuhl getreten waren, der ältliche, beständig lächelnde Herr sich der Oeffnung in der spanischen Wand näherte, dort einen Augenblick stehen blieb, listig um sich schaute, und dann mit einemmale in dem Atelier des jungen Malers verschwand. Er war aber nicht zwei Sekunden dort gewesen, so befand sich Wulf, ohne draußen durch sein Verschwinden irgend ein Aufsehen erregt zu haben, neben ihm, legte die Hand auf den Arm und sagte ihm mit seiner rauhen, aber festen Stimme: »Man tritt hier nicht herein, mein Herr, und wenn man das doch thut, so bleibt man wenigstens nicht da. – Darf ich bitten?« Er zeigte mit der andern Hand nach dem Eingange.

Und doch wäre der alte freundliche Herr so außerordentlich gern dageblieben. Er schien erstaunt, überrascht, entzückt von der Schönheit des jungen Mädchens, welches still und schweigend in dem großen Lehnstuhl saß und den Eintretenden einen Moment mit ihren großen, glänzenden Augen anschaute und dann ihren Kopf in die Hand niedersinken ließ. Wie wohlwollend und freundlich, wie süß und angenehm lächelnd war in diesem Augenblicke das Gesicht des alten Herrn anzusehen. Der überhaupt nicht allzu große Raum zwischen Nase und Kinn verminderte sich fast zusehends, und um den dazwischen sehr in der Tiefe liegenden Mund spielten eine Menge feiner, beweglicher Falten und gaben den dünnen, blassen Lippen das Ansehen, als beschäftigten sie sich mit dem Vorgeschmacke von irgend etwas besonders Köstlichem.

Welch' angenehme und höchst unerwartete Ueberraschung! hatte er sagen wollen, war aber nicht über das »welch« hinausgekommen, als er schon den zudringlichen Menschen an seiner Seite sah, der es obendrein noch wagte, seine plebejischen Malerfinger auf seinen vornehmen russischen Grafenärmel zu legen. »Baschol durak!« wollte er mit begreiflicher Indignation sagen; doch begnügte er sich mit der ersten Silbe und schlenkerte dabei mit seinem Aermel, wie man es zu machen pflegt, wenn man eine lästige Fliege entfernen will. Aber der kleine Thiermaler war bei Veranlassungen, wie die gegenwärtige eine sehr zudringliche, ja wie Graf Portinsky dachte, eine freche Fliege, denn er pflanzte sich ruhig zwischen den ältlichen, freundlichen Herrn und das schöne junge Mädchen, das Gesicht gegen den Ersteren gekehrt, steckte seine Hände in die Hosentaschen und erhob seine Nase mit wahrer Insolenz um drei bis vier Zoll.

Daß der Graf Portinsky den freundlichen Wunsch hegte, diesen angenehmen deutschen Maler statt hier in seinem eigenen Atelier, wenn auch nur für ein paar kleine Tage auf einem seiner Güter vierhundert Werst hinter St. Petersburg zu besitzen, finden wir ebenso begreiflich wie natürlich, kennen auch ähnliche Gelüste, die aber ebensowenig in Erfüllung gingen, wie dieses, und wo der Betreffende ebenfalls mit langer Nase abziehen mußte, was aber der alte freundliche Herr hier nach dem ersten Moment unangenehmer Überraschung mit einem wahren Aufwand von Bonhomie that.

»Ah, diese Maler!« sagte er grinsend; »wir müssen ihnen da für ihre Kopien, allerdings nach der Natur, unser schönes russisches Geld bezahlen, während sie die kostbaren Originale für sich behalten. O diese Egoisten! – Doch vederemo

Es war gut, daß in diesem Augenblicke die Frau von Bauvallet draußen ziemlich laut den Namen des Grafen rief und ihn so zu einem schnellen Rückzüge nöthigte, denn der Thiermaler war schon im Begriff, ihm eine recht grobe Antwort zu geben, die vielleicht zu unangenehmen Erörterungen hätte führen können. Nachdem demnach der alte freundliche Herr bei Wulf vorbei einen langen Blick auf das schöne Mädchen geworfen hatte, das aber natürlicher Weise darauf nicht achtete, wandte er sich um und verließ das Atelier, um die Damen aufzusuchen, die das Haus schon verlassen hatten und, von Tannhäuser begleitet, durch den kleinen Krautgarten des guten Bildhauers Pisani nach ihrem Wagen gingen, der auf der Straße draußen hielt.

Herr Wulf hatte sich eine Zeit lang nachdenkend am Kopfe gekratzt, dann zuckte er mit den Achseln und setzte sich wieder vor seine Staffelei, wo er auch ruhig sitzen blieb, nachdem Tannhäuser wieder eingetreten war, der sogleich zu Franceska ging, seine Hand auf den Kopf des jungen Mädchens legte, denselben etwas aufrichtete, um ihr in die Augen sehen zu können und dann zu ihr sprach: »Was sagst du dazu, mein Kind?«

Sie blickte ein paar Sekunden zu ihm empor mit ruhigem, doch nicht ganz so heiterem Auge wie vorher. Dann gab sie zur Antwort: »Es hat mich recht gefreut, daß die schöne fremde Dame dein Bild gekauft hat. Sie war doch schön?« setzte sie hastig fragend hinzu. »O ja, dem Klange ihrer Stimme nach muß sie schön sein,« gab sie sich selbst zur Antwort. »Und ist jener alte häßliche Mann, der zu mir hereingeschaut, ihr Gemahl?«

»Nein, mein Kind,« antwortete Tannhäuser lachend, »sie ist Wittwe.«

»So, sie ist eine Wittwe? – Und du speisest heute bei ihr? – Da mußt du dich schwarz anziehen und nimmst eine weiße Halsbinde, wie damals, als du zu dem Fürsten gehen mußtest. Nicht wahr, du nimmst wieder wie damals die weiße Halsbinde von meinem Vater. Ich habe sie selbst gewaschen, gebügelt und zurecht gemacht.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang sie heftig auf und eilte durch die Oeffnung der spanischen Wand. In dem vordem Atelier angekommen, blieb sie aber mit einemmale stehen, preßte heftig die Lippen zusammen, fuhr mit der Hand über ihre Stirn und that einen tiefen Athemzug. Dann ging sie zu dem Thiermaler, kauerte sich neben ihn hin auf eine kleine Ecke von seinem Stuhle, legte ihren Kopf auf seine Schulter und sagte mit leiser, aber inniger Stimme: »Du – Wulf, dein Bild ist auch schön, und gib nur Achtung, es wird es nächstens auch jemand haben wollen. Aber thu' mir den Gefallen und verkauf' es nicht an so fremde, stolze, übermüthige Damen,«

»Gewiß nicht, mein Kind.«

»Lieber behalte es für uns, und wir haben dann unsere Freude daran.«

»Ja, meine Kostbarkeit.«

»Nenne mich nicht so, auch nicht im Scherz. Was habe ich Kostbares? – Aber dein Bild behalten wir, nicht wahr, Wulf?«

»Gewiß, gewiß, Franceska.«

Es schien, als wolle das junge Mädchen noch mehr sagen, doch verschloß sie alles in einem Seufzer, als sie aufstand. »Ich hole die weiße Halsbinde,« sagte sie darauf und verließ das Atelier.

Der kleine Thiermaler legte hierauf einen Augenblick beide Hände auf seine Kniee, er blickte vor sich nieder, dann auf seine Affen, hierauf in die Höhe, fuhr plötzlich mit seinem Kopfe wieder hinab und stieß darauf halblaut die Worte hervor: »Ich Narr, ich dummer Kerl, ich selbst ein Affe! – Zum Teufel mit allem, was schön ist!«

Und wie um diesen Worten mehr Nachdruck zu geben, schleuderte er den Pinsel, den er in der rechten Hand hielt und mit dem er eine Rose auf dem Fenstergesims angelegt hatte, hoch empor an die Decke, daß er, dort gegenstoßend, einen kleinen blutrothen Flecken zurückließ.

Herr Wulf schien sehr verstimmt, der Tannhäuser aber ganz und gar nicht; denn hinter seiner spanischen Wand hörte man ihn ganz gemüthlich singen:

»Schöne Minka, ich muß scheiden.«


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