Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechstes Kapitel

Allein auf der Welt. Erzählung des alten Portiers

»Da war in unserer Familie ein sonderbarer Kauz, ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, ein weitläufiger Vetter von mir – von dem alten Portier nämlich. Dieser Mann war Assistent auf dem Haupt-Zoll-Amt und das Haupt-Zoll-Amt befand sich in den Festungswerken in großen kassemattirten Räumen, worin ein kleiner, sehr kasemattirter Raum das Bureau dieses Mannes war.

Dieser Zoll-Assistent und Vetter des Portiers hieß Herr Schnipfel, und die Natur hatte unter diesem Namen etwas sehr Bezeichnendes geschaffen, denn der Zoll-Assistent sah in der That aus, nicht wie ein Glied des Menschengeschlechts, sondern wie ein Schnipfel desselben; seine Figur war lang und dürftig, sein Gesicht blaß und mit kaum erkennbaren Zügen, ungefähr so, als sei er einmal von Schnee gewesen und das Beste an ihm weggeschmolzen. Ebenso schattenhaft wie sein Aeußeres war sein Gang, sein Wesen, seine Sprache. Auf der Straße huschte er nur so dahin, ohne den Blick vom Boden zu erheben, ohne einen Menschen anzusehen – von Begrüßen irgend Jemandens war natürlich keine Rede. Auch vermied er auf seinen Gängen nach dem Bureau und von da nach Hause, – andere hatte er nicht – das Sonnen- und Mondenlicht, und wenn er einmal über eine Straße mußte, die hell beschienen war, so fuhr er so gespensterhaft darüber her, daß man darauf hätte schwören mögen, es bewege sich da nichts Körperhaftes, sondern nur ein Schatten, der irgendwo verloren gegangen sei.

Das Innere des Herrn Schnipfel war analog seinem Aeußeren, ebenso trostlos und unheimlich bestellt; so menschenscheu er überhaupt war, so bösartig ließ er sich an, wenn er mit Menschen in irgend eine Berührung kam, und das geschah auf seinem Bureau in der Kasematte sehr häufig. Er hatte das Berechnen der Steuersätze eingeführter fremder Waaren und so saß er den ganzen Tag in seinem kleinen feuchten Gewölbe, wie eine Spinne in ihrem Netz, auf unglückliche Fliegen lauernd. Diese Fliegen waren harmlose Laden-Jünglinge, welche er auf alle Weise plagte und quälte, auch wohl bedeutend über das Ohr hieb, zum Nachtheil ihrer Prinzipale, aber nur zum Vortheil der Steuerkasse, denn der Herr Schnipfel war ein ehrlicher Mann.

Die Kasematte hatte zwei Oeffnungen, eine Thür, zu welcher er herein kam, und ein kleines Fenster, zu welchem er hinausschaute. Die Thür schloß er sorgfältig hinter sich ab und wälzte obendrein zur Vorsicht jedesmal einen großen Aktenstoß davor. Dann setzte er seine Brille auf, zog den Kanzleirock an und streifte die Schreibärmel darüber, die von anklebender Tinte entsetzlich gesteift waren. So gerüstet öffnete er den Laden des kleinen Fensters – seinen Anzug hatte er natürlicher Weise im Dunkeln besorgt – schloß aber das Fenster selbst augenblicklich wieder, sobald er davor eine ziemliche Anzahl Wartender erblickte. Nachdem er sich eine Zeitlang die Hände gerieben, mehrere Federn gespitzt, die Tinte umgerührt, Papier für ein ganzes Jahr zurecht gelegt, öffnete er langsam das Fenster wieder und ließ sich einen Zettel hereinreichen. Wehe aber dem Besitzer des Zettels, wenn das Geringste an der Ausfertigung desselben fehlte, wenn die Signatur nicht bis auf Punkt und Komma übereinstimmte, wenn zum Beispiel auf dem Frachtbrief eine lange magere Flasche, auf der Waarenkiste dagegen, die der Vorzeiger zu empfangen hatte, eine dickbauchige gemalt war! Da kam der Zettel wieder aus dem Fenster heraus – »unrichtig!« und da konnte der arme Handlungslehrling sich stundenlang den Kopf zerbrechen, wo denn eigentlich der Fehler stecke.

Wenn sich Neulinge in Geschäften des Hauptzoll-Amts wohl die schüchterne Frage erlaubten, welcher Steuersatz wohl auf ein neu einzuführendes Fabrikat anzuwenden sei, so überflog ein düsteres Lächeln die schattenhaften Züge des Herrn Schnipfel – das war ein glücklicher Moment in seinem Geschäftsleben. Eifrig blätterte er in seinem großen Buche, und wenn auch nur eine Möglichkeit vorhanden war, daß zum Beispiel das Fabrikat einen Schimmer von Seide besaß, so rieth der Zoll-Assistent, und alsdann sogar freundlich, es als Seidewaare zu verzollen, wobei eine ungeheure Summe herauskam, und der junge Handlungsbeflissene zu Haus die nachdrücklichste und unvergeßlichste Nase erhielt. Wehe dann aber diesem Unglücklichen, wenn er kurze Zeit nachher schweißtriefend, erhitzt und athemlos wieder vor der Kassematte erschien, und um Aenderung des Steuerzettels nachsuchte! Bei solchen Gelegenheiten mußte meistentheils eine obere Zollbehörde einschreiten, und es gelang fast nur mit Gewalt und der Anwendung der vollen Amts-Autorität, den einmal ergriffenen Fang seinen Zähnen, respective seinen Büchern zu entreißen. Auch schloß er bei solchen Fällen gewöhnlich seine Fensterläden mehrere Stunden lang und blieb dann in finsteren Betrachtungen allein dasitzen.

Ein solch' unbehagliches und unheimliches Leben führte der Zoll-Assistent Schnipfel als solcher. Als gewöhnlicher Mensch machte er es ebenso, ja seine Beschäftigungen zu Haus waren jedenfalls noch einförmiger und nicht im Geringsten menschenfreundlicher. In einer kleinen Straße des abgelegensten Stadtviertels bewohnte er im dritten Stock hinten hinaus zwei ärmliche Zimmer. Man muß aber hieraus nicht den Schluß ziehen, als ob seine Vermögensumstände gar so schlecht beschaffen gewesen wären – im Gegentheil! Herr Schnipfel hatte sich in früheren Zeiten einiges Vermögen erübrigt, und obendrein erzählte man sich noch, er habe einstmals in der Lotterie einen bedeutenden Treffer gezogen. Dem sei nun wie ihm wolle; in seiner Wohnung sah es nicht darnach aus, als sei der Besitzer derselben ein Mann, welcher über Kapitalien gebieten könne.

Von seinen beiden Zimmern hielt er immer eins verschlossen; Morgens, wenn man im äußern Gemach den Kaffee hinstellte, blieb er in seinem Schlafzimmer, wurde dies in Ordnung gebracht, so betrat er sein Wohnzimmer, welches sich von dem anderen nur dadurch unterschied, daß sich in jenem ein Bett befand. Beim Mittagessen machte er es gerade so. In ein Kosthaus zu gehen, war ihm unmöglich, ich glaube, er wäre lieber verhungert, und aus dieser Menschenscheu kam es denn, daß die Frau, welche ihn seit zehn Jahren bediente, mit Wahrheit behaupten konnte, sie habe ihn während all' der Zeit nur ein einziges Mal gesehen und das war an dem ersten Tage, wo er mit ihr die nothwendigen Verabredungen traf. Sein Abendessen, das einfachste von der Welt, denn es bestand Jahr aus Jahr ein aus einem Weißbrod und einer Wurst, verschaffte er sich selbst, indem er bei einem Bäckerladen vorbei ging, durch das Fenster nach seinem Brod langte, das Geld dafür hinwarf und alsdann so schnell davoneilte, als habe er gestohlen. Ebenso machte er es auch bei dem Metzger, und man war das seit einer Reihe von Jahren schon so gewöhnt, daß man ihm seinen täglichen Bedarf jedesmal zurecht legte, und das Geld dafür, ohne nach ihm zu schauen einstrich.

Es ist wohl überflüssig zu sagen, daß der Herr Schnipfel nie Jemand auf der ganzen weiten Welt einen Dienst erwies. Arme Leute, die ihn um etwas ansprachen, pflegte er dagegen ruhig anzuhören; ja er ließ sich mit ihnen nicht selten in ein längeres Gespräch ein, worin die Bittenden in der Hoffnung auf eine größere Gabe ihm ihre ganzen Leidensgeschichten auf's Umständlichste mittheilten. Doch wenn der Bettler glaubte, jetzt werde der gutmüthige Herr seine Börse ziehen, so drückte der Zoll-Assistent seinen Hut fester in den Kopf, und ging nicht selten lachend, ja sogar pfeifend davon.

Seinen Collegen machte er den beständigen Aufpasser und verrieth es pünktlich seinen Vorgesetzten, wenn irgend Einer einmal einen Nachmittag fehlte, oder sich sonst etwas zu Schulden kommen ließ. Dies war aber eigentlich eine Art Wiedervergeltung, die er diesen seinen Collegen angedeihen ließ, denn da sie seine Menschenscheu kannten, sowie seine Unlust, auch nur das Geringste zu sprechen, so machte es ihnen ein besonderes Vergnügen, ihn anzureden, ihm eine Menge Leute auf den Hals zu schicken, ihm in den Weg zu treten, kurz ihn auf das Empfindlichste zu kränken. Daher kam es denn auch, daß er jeden Abend mit größerem Haß seine Kasematte zuschloß und mit Verwünschungen auf den Lippen wie ein scheues Wild nach Hause lief, um sich dort einzuriegeln, um endlich einsam und glücklich zu sein.

Da ging er in seinem Stübchen auf und ab und horchte auf das verschiedenartige Geräusch auf der Straße, ärgerte sich, wenn in der Nachbarschaft eine helle Stimme ein fröhliches Lied sang, lief heftiger auf und ab, wenn die Wagen auf der Straße rasselten und ballte ingrimmig die Faust, wenn Frühjahrs und Sommers das Jubeln und Jauchzen der Kinder zu ihm hinaufdrang. Wurde es aber später und erstarb das Leben in der Nachbarschaft, wurde es stiller und immer stiller im Hause und auf der Straße, dann athmete der Herr Schnipfel freier und beruhigter, dann lauschte er wohl auf den Gang hinaus, ob sich auf den Treppen und Gängen nichts mehr rege und kehrte darauf in sein Zimmer zurück. Hier beendigte er alsdann sein Abendessen und ging dann nicht selten mit schleichendem Schritt nach seinem alten Koffer in der Ecke des Zimmers, eine kleine Kassette zu holen, die er vor sich auf den Tisch stellte.

Diese Kassette öffnete er mit einem kleinen Schlüssel, schaute aber dabei ängstlich in dem halbdunkeln Zimmer umher, ob ihm nicht zufällig Jemand über die Achsel schaue, und nahm dann alle Papiere heraus, die er vor sich auf dem Tische ausbreitete. Werthvolle Papiere waren es, die aus dem Kästchen hervorkamen: Staats-Obligationen, Sparkassen-Quittungen, Staats-Papiere, kurz, ein kleines Vermögen, das er hier vor Jedermanns Blicken sorgfältig verschlossen hielt. Zuletzt aber nahm er ein kleines, vergilbtes Packetchen heraus, öffnete es behutsam und entwickelte aus demselben ein Bildniß, das er recht in den Schein der flackernden Talgkerze stellte.

Es war das Portrait eines sehr jungen Mädchens, vielleicht von fünfzehn, sechszehn Jahren, ein liebes, rundes, frisches, lebensheiteres Gesichtchen; dicke schwarze Flechten faßten den Kopf ein, helle, lustige Augen blickten ihn an, und unter der etwas emporgezogenen Oberlippe lachten ihm schneeweiße Zähne entgegen.

Um dies Bild herum gruppirte er sämmtliche Papiere, und begann alsdann leise seinen Schatz zu überzählen. »Fünfhundert Thaler,« sagte er, »tausend, zweitausend, drei-, vier-, sechs-, achttausend Thaler – und das wäre Alles dein gewesen – Alles dein und noch viel mehr dazu, denn ich wär' heute nicht mehr Zoll-Assistent, hätte mich emporgeschwungen und wäre vielleicht Inspektor geworden, ja am Ende Steuerrath – verdammt! – und was hätten wir für ein angenehmes Leben geführt! ha! ha! ha!« – dabei lachte er laut hinaus – »und jetzt ist das Alles ganz anders geworden, habe es dir auch immer prophezeit – nun, wie der Teufel will, mir kann's schon recht sein; aber nicht wahr,« fuhr er fort und ballte seine Hand gegen das Portrait, »jetzt könntest du dieses Geld nothwendig brauchen, o wie sehr nothwendig, Madame! Die Hälfte, der zehnte Theil, ja der hundertste Theil wäre im Stande, dich überglücklich zu machen, damit du deinen Kindern etwas Gutes kaufen, damit sie sich einmal satt essen könnten.

– Aber hier soll Alles vermodern und Niemand soll es haben, und wenn ich einmal denke, daß es mit mir zu Ende geht, so werde ich es in den Fluß werfen, da wo er am tiefsten ist.« Diese herrliche Abendunterhaltung, und genau fast immer auf die gleiche Art, machte sich der Zoll-Assistent wöchentlich ein paarmal, und nachdem dies geschehen, legte er die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf und versank in stundenlanges Dahinbrüten.«

Da zog Jemand die Glocke an dem großen Thor des Gasthofs und der alte Portier wurde für einige Augenblicke in seiner Erzählung unterbrochen.


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