Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Viertes Kapitel

Von den moralischen Folgen eines Brechmittels, sowie sehr Belehrendes über Theebereithung.

»Also ihr wollt meine Geschichte zu Ende hören?« sagte der Baron.

»Welche Frage!« entgegnete der Diplomat. »Abgesehen von dem Interesse, das wir daran nehmen, so hast du deine Geschichte in einem Zeitpunkt unterbrochen, wo ihr euch in einer gar zu komischen Situation befandet.«

»Ah, mit einem Brechmittel im Magen! Zum Teufel auch! Ich glaube erzählt zu haben, daß wir bei der ersten Entdeckung dieses seltsamen Giftes, welches uns Sir Robert aus seinem Flaschenkeller eingeflößt, laut hinaus lachten. Nun, diese Heiterkeit dauerte indessen nicht lange. Denn als wir unsere Lage recht überlegt und besprochen, kamen wir in solche Wuth über den alten General, daß es, unter uns gesagt, keine Verwünschung gab, die wir ihm nicht über das Meer nachsandten. Hätten wir eine Hexe bei der Hand gehabt, wir würden ihm einen artigen Sturm gebraut haben. Zwei junge feurige Liebhaber – und das waren wir – so bei ihrer ersten innigen Liebe – und das war sie ebenfalls – zu unterbrechen, erschien uns mit Recht als eine Barbarei, für die man sich nicht genug rächen kann. Und dann – o pfui! über das jämmerliche Mittel, das er angewandt hatte, um uns von dem Schiffe zu vertreiben! Ich war davon, sowie von dem Kummer, den mir die ganze Geschichte machte, ganz elend und kraftlos. Der Major dagegen, den sein Gleichmuth ebenfalls verlassen, malte mir mit wahrhaft höllischen Farben das Gesicht des indischen Ungeheuers, wenn er seinen beiden Töchtern die ganze Geschichte erzählte. Und dazu lachte wahrscheinlich der rothhaarige Neffe, und dann summte der alte General ohne Zweifel noch obendrein und vergegenwärtigte dadurch den jungen Damen das Abenteuer mit dem Bienentanz und ließ sie erkennen, wie väterlich er für sie dadurch gesorgt, daß er sie von zwei so unmoralischen Subjekten befreit. Ah, es war zum Teufelholen! Wir vergruben uns zeitig in unsere Betten, und nachdem wir sehr lange und sehr gut geschlafen, erwachten wir am anderen Tage frisch und gesund.

»Da saßen wir nun an der ägyptischen Küste fest, und das nächste Schiff über Malta ging erst in zehn Tagen. Freilich fuhr eines nach Triest früher ab; doch hatten wir uns einmal fest vorgenommen, die Spur des alten Generals zu verfolgen und ihm wo möglich seinen Streich mit Zinsen heimzugeben.

»Wer mit den Quarantaine-Verhältnissen auf Malta bekannt war, wie wir, der mußte wissen, wie vortrefflich Sir Robert manövrirt und gerechnet. Die Quarantäne-Zeit war dort auf dreiundzwanzig Tage festgesetzt; zehn Tage mußten wir in Alexandria warten: also wenn wir nach viertägiger Fahrt in Malta ankamen, hatte er schon zehn Tage abgesessen und war nach dreizehn weiteren Tagen frei.«

»Aber dreizehn Tage mit den jungen Damen in demselben Hause ist schon eine schöne Zeit!« meinte Graf Ferdinand. »Lieber Freund, das verstehst du nicht,« fuhr der Erzähler fort. »Da ist von keinem Zusammenleben die Rede; denn jede Gesellschaft, die ankommt, erhält ihr eigenes Quartier, ihren eigenen Hüter. Man geht sich dort aus dem Wege, und die besten Freunde sprechen nur über ein Gitter zusammen. Nicht daß man glaubt angesteckt zu werden, sondern weil die Quarantaine-Regeln auf Malta so verflucht streng sind; wenn du nämlich zweiundzwanzig und einen halben Tag da bist, und es kommt ein Fremder an, meinethalben ein Bekannter, dem du zufällig die Hand drückst, so wirst du ohne Gnade verurtheilt, nochmals dreiundzwanzig Tage abzusitzen.«

»In dem Falle wird sich Jeder in Acht nehmen, mit einer anderen Partei in Berührung zu treten,« sagte der Diplomat.

»Natürlicher Weise hütet man sich so viel wie möglich. Doch sind auch die Quarantaine-Wächter dazu aufgestellt, einen solchen Verkehr unmöglich zu machen. Mit ihren langen Stöcken folgen sie euch auf Schritt und Tritt, beobachten euch mit der größten Sorgfalt, und haben das Recht, Gewalt zu brauchen, wenn es euch allenfalls einfiele, ihren Worten nicht zu folgen.«

»Und diese Quarantaine-Wächter,« fragte der Hausherr, »treten nicht in Berührung mit ihren Pflegebefohlenen?«

»Gott bewahre! Wenn es euch aber an Bedienung mangelt, so könnt ihr von Malta herüber Leute bekommen, so viel ihr wollt. Nur werden die ebenfalls mit euch eingeschlossen und dürfen vor Eurer abgelaufenen Strafzeit ebenfalls nicht mehr mit der äußeren Welt in Verbindung treten. Was sich euch genähert hat, wird als angesteckt betrachtet.«

»Aber es gibt doch Sachen, durch die man unumgänglich mit der Außenwelt in Verbindung treten muß, und die auch nicht so streng abgeschieden werden können: z.B. eure Wäsche muß doch gemeinschaftlich besorgt werden.«

»Im Gegentheil,« erwiderte der Baron, »darüber besteht eine ganz eigenthümliche Verordnung, und wer dieselbe kennt, sieht sich in Alexandria, oder wo er sonst herkommt, so gut wie möglich vor. Denn wenn ihr frischer Wäsche bedürft, so macht euch der Intendant der Quarantaine-Anstalt durchaus keine Schwierigkeit. Ihr braucht nur zu sagen, wie viel ihr Wäscherinnen verlangt, und die erscheinen pünktlich, bleiben dann für die übrige Zeit eurer Quarantaine gleichfalls mit euch eingeschlossen.«

»Ei, der Tausend!« lachte der Diplomat. »Ich finde einigen Sinn in dieser Einrichtung. Und wie sind die Wäscherinnen von Malta?«

»Wie ihr sie verlangt, nach der Qualität eurer Wäsche.«

»Ich danke dir, Baron,« antwortete der Andere. »Ich habe mich bis jetzt vor einer Versetzung nach dem Orient gewaltig gefürchtet. Aber du erzählst so angenehm, so geistreich, daß man sich sogar mit der wirklich unangenehmen Quarantaine-Anstalt befreunden könnte.«

»Und diese Bedienten und Wäscherinnen fürchten sich nicht inficirt zu werden?«

»Was wollen sie machen? Es sind meistens arme Leute, die ihr Geld so gut wie möglich zu verdienen suchen. Uebrigens weiß man auch schon seit langen, langen Jahren von keinem Pestfall auf Malta.«

»Die zehn Tage,« fuhr der Baron nach einer Pause fort, »gingen vorüber, wie Alles auf dieser Welt. Das neue Schiff machte sich zur Abfahrt bereit, und wir gingen an Bord, so rosig und gesundheitstrahlend, wie nur möglich. Ich betrat abwechselnd singend und pfeifend das Verdeck, um dem Schiffsarzt die beste Meinung von unseren körperlichen Zuständen zu geben. Uebrigens war die See in unangenehmer Bewegung. Das Schiff schwankte schon im Hafen ziemlich stark, und der Kapitän meinte lächelnd, er wolle das Diner um eine Stunde vorrücken lassen, denn er fürchte, einmal draußen vor der Rhede würde sämmtlichen Passagieren der Appetit vergehen. Und der Mann hatte furchtbar Recht. Kaum hatten wir das Ufer eine halbe Stunde verlassen, so fing das Schiff an sich zu bäumen, sich rechts und links zu wälzen, daß Niemand, der nicht Seemann war, auf seinen Beinen stehen konnte. Dazu hatten wir scharfen Wind, der uns von der Seite kam. Das Tauwerk pfiff, das Schiff krachte und stöhnte, daß es zum Erbarmen war. Und erst die Passagiere! Ich will euch verschonen mit der Erzählung des Elends und der Verwirrung, die etwa zweihundert Menschen anzurichten im Stande sind, wenn sie von der Seekrankheit überfallen werden. Auch dem Major half seine eiserne Constitution nichts, und das – du wirst mir verzeihen lieber Freund – war eigentlich ein Trost für mich. So dampften wir dahin, den langen lieben Tag hindurch, und die noch langweiligere Nacht immer elend, immer krank, und wenn Morgens der erste falbe Tagesschein zu dem kleinen Kajütenfenster hereindrang, so hatten wir das Gleiche vor uns wie gestern. Das dauerte dreimal vierundzwanzig Stunden, bis endlich am vierten Tage die See ein wenig ruhiger wurde, das Schiff nicht mehr so furchtbar nach allen Richtungen schwankte und die Passagiere anfingen, aufzustehen und herumzukriechen, etwa wie die Fliegen im Spätherbst, wenn der Strahl der Mittagssonne sie etwas erwärmt hat.

»Der Major und ich hatten während der Zeit nicht viel zusammen gesprochen. Jetzt aber versuchte auch er es, aufzustehen. Er lag über mir, rutschte von seinem Lager herab und setzte sich neben mich. Er sah jammervoll elend aus und war mir noch der Schatten des Majors. ›Wir kommen jetzt nach Malta,‹ sagte er, ›vielleicht finden wir dort unseren guten Freund, Sir Robert, mit seinen beiden Töchtern.‹

»›Vielleicht?‹ fragte ich erschrocken. Denn ich muß gestehen, daß der einzige Trost in meinem dreitägigen Leiden der war, bald das Land zu betreten, wo Miß Therese weilte, und wo ich sie, wenn auch nur aus der Entfernung sehen würde.

»›Kann der General nicht seine Reiseroute geändert haben?‹ meinte der Major. ›Der Dampfer auf den er sich eingeschifft, blieb einen Tag in Malta liegen und ging alsdann über Gibraltar nach Liverpool. Auch wird den in England ankommenden Reisenden diese Seereise als ganze Quarantaine angerechnet. Wir müssen auf Alles denken.‹

›Ich habe nur einen Gedanken‹ entgegnete ich mit schwacher Stimme: ›Miß Theresen wieder zu sehen.‹

›Ich hoffe auch, daß mich Ellen freundlich begrüßen soll, und ich hoffe, daß sie auf Malta sind. Aber wir müssen einen Plan machen und ihn festhalten.‹

›Welchen Plan und wozu?‹

›Meinst du vielleicht,‹ erwiderte der Major, ›ich hätte Lust, dem alten Indier einen Gefallen zu thun, um als ein lächerlicher Mensch vor ihn hinzutreten, der in Alexandria zurückbleiben mußte, weil man ihm ein Brechmittel eingegeben? Pfui Teufel! Du liebst wie ich; davon bin ich überzeugt. Aber glaube mir, ridicul zu sein, ist in der Liebe das Schlimmste, was einem begegnen kann. Wir sollten lächerlich gemacht werden, und das von uns abzuwälzen, muß unsere eifrigste Sorge sein.‹

›Aber die Sache ist einmal geschehen und läßt sich nicht ändern.‹

›Aber läugnen!‹

›Pah! Glaube mir, der alte General hat unserem jämmerlichen Auszuge hinter irgend einem Kajütenfenster wohlgefällig zugeschaut.‹

›Gleichviel; willst du mich machen lassen und nach meiner Vorschrift handeln, so wollen wir schon mit ihm fertig werden. Aber du mußt mir unbedingt folgen.‹

Das that ich denn nun recht gern, denn ich habe unter den vortrefflichen und großen Eigenschaften unseres theuren Freundes namentlich seine Geistesgegenwart und Umsicht anerkannt.

Das Wetter wurde Nachmittags immer besser; ich wollte auf das Verdeck gehen, doch der Major wünschte, daß ich im Bett bliebe und mich nicht unter den Passagieren sehen ließe. Er selbst stieg anscheinend mühsam die Treppen hinauf, hustete dumpf und hohl, ging gebückt umher und hielt sich das Sacktuch vor den Mund. Ich fing an zu begreifen, was er wollte, und legte mich matt in mein Bett, wie ein Sterbender. Glücklicher Weise für uns und die Komödie, die wir zu spielen beabsichtigten, ging von den übrigen Passagieren nicht ein einziger in Malta vom Schiff. Am anderen Morgen wurden die Bewegungen des Dampfers sanft und schaukelnd, die Ankerkette rasselte nieder, und er schien sich im Anblick der malerisch schönen Stadt kokett und wohlgefällig auf dem tiefgrünen Wasser zu wiegen. Leider konnten wir die prächtig emporsteigenden Festungswerke und die an die Felsen angeklebten Häuser von La Valette und St. Elmo nicht sehen, – ich wenigstens nicht, der ich in meinem Bette lag.

»Der Major ging hustend die Kajütentreppe hinauf und kehrte dann gebückt und schleichend mit dem Schiffsarzte zurück. Dieser war erstaunt, mich so regungslos auf meinem Bette ausgestreckt zu sehen, hütete sich aber wohl, meinen Puls anzufassen. ›Sie haben Recht,‹ sagte er zu meinem Freunde, ›das können keine Nachwehen der Seekrankheit sein. Alles Andere auf dem Schiffe ist wieder gesund, sogar die zartesten Damen.‹

»›Und Sie fühlen Schmerzen?‹ wandte er sich an mich.

»›Ungeheure!‹ versicherte ich ächzend. – Der Major hatte mich natürlicher Weise instruirt. – ›Ich bin nicht im Stande, ein Glied zu rühren; vom Aufstehen ist gar keine Rede.‹

»›Aber was können wir für Sie thun?‹ fragte hastig der Doktor, der offenbar ängstlich war, wir hätten vielleicht die Absicht, an Bord des Schiffes zu bleiben.

»Der Major zuckte die Achseln und sagte: ›Unser Bestimmungsort ist Malta, ich muß meinen armen Freund hier ausschiffen. Aber da er nicht aufstehen und gehen kann, so bleibt nichts übrig, als daß mir der Kapitän ein paar Matrazen überläßt, die ich natürlich bezahlen werde und auf denen ich den Kranken in das Boot hinablasse.‹

»›Das wird offenbar keine Schwierigkeit haben,‹ entgegnete eifrig der Doctor. ›Ich stehe für die Erlaubniß des Kapitäns; Sie haben wohl Ihre Bedienten bei der Hand? Bitte also, Ihren armen kranken Freund sorgfältig auf die Matrazen schnüren zu lassen, damit ihm beim Hinablassen kein Unfall begegnet.‹

»Das thaten wir denn alsbald, obgleich unsere Leute bei diesem Vorfall große Augen machten. Ich wurde hinausgeschafft, und Jedermann, Passagiere und Matrosen, gingen uns sorgfältig aus dem Wege. Nur die Leute, welche hierzu kommandirt wurden, faßten behutsam die vier Zipfel meiner Matraze, schoben ein Brett unter, hoben mich auf die Brustwehr hinauf und befestigten vier Ziehtaue an mein Lager. Ich muß gestehen, daß ich einiger Maßen unruhig von der beträchtlichen Höhe in das Wasser hinab blinzelte. Wenn die Kerle mich ungeschickt behandelten, so hätte ich möglicher Weise in dem Hafen von Malta ertrinken können. Aber Alles ging vortrefflich von Statten. Der Kapitän sprang auf das Hinterdeck, grüßte mich zum Abschiede mit seinem Hut, machte ein Zeichen mit der Hand, worauf sich eine gellende Pfeife vernehmen ließ und ich an meinen vier Tauen außerordentlich sanft in das Boot hinabrollte.

»La Valette und St. Elmo ließen wir zu unserer Linken und steuerten quer durch den Hafen nach dem Fort Emanuel, wo sich die Quarantaine-Anstalt befand. Unterwegs saß der Major neben mir, tief gebückt, das Schnupftuch vor dem Munde, ließ aber trotzdem seine Augen sorgfältig auf den Wällen des vor uns liegenden Forts umherspazieren. Jetzt beugte er sich dicht zu mir herab und sagte mit leiser Stimme: Alles geht vortrefflich. Dort oben auf dem Walle steht Sir Robert und neben ihm der rothhaarige Neffe, mit einem unendlichen Tubus bewaffnet. Er hat unsere klägliche Ausschiffung mit angesehen, und so ist die Sache außerordentlich gut eingefädelt.

»Die Sanitätsbehörde am Fuße der großen Treppe empfing uns mit ziemlich langen Gesichtern, die sich aber einigermaßen wieder aufheiterten, als der Major ein Papier übergab, welches er sich von dem Schiffsarzte verschafft hatte. Dieser schrieb nämlich seinen Quarantaine-Kollegen, er glaube nicht, daß der vorliegende Fall mit der Pest in Verbindung zu bringen sei. Man möge sich beruhigen; ihm scheine der Zustand der beiden Herren nach dem, was er von dem Einen vernommen, von einer seltsamen Vergiftung herzurühren; woher aber diese stamme, wüßten sich die beiden Kranken selbst nicht zu erinnern.

»Mit großem Vergnügen bemerkten wir Beide, daß das Fernrohr des blonden Neffen alle unsere Bewegungen hartnäckig beobachtete. Sie befanden sich auf einem Außenwerke und hätten, um zu uns gelangen zu können, einen ziemlichen Umweg machen müssen, was uns sehr lieb war. So wurde ich denn in das schloßähnliche Gebäude hinaufgetragen, das im Fort Emanuel zur Quarantaine-Anstalt benutzt wird. Der Major ging tiefgebückt neben mir her und hustete, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. In Folge unseres zahlreichen Gepäckes und auch wohl aus Sorgfalt, weil wir krank waren, erhielten wir ein ganz anständiges Quartier – drei Zimmer auf den Hof hinaus mit der Aussicht auf La Valette, St. Elmo und das Meer; zwei andere gingen auf eine kleine Bastion, einen niedlichen Kugelgarten, der uns zum Spazierengehen angewiesen war. Wir begaben uns sogleich in unsere Wohnung; ich wurde auf den Boden niedergelegt, der Major setzte sich in Ermanglung eines anderen Sitzes höchst erschöpft auf eine Fensterbrüstung. Die Zimmer waren groß, hoch und gut erhalten, aber ohne alles Ameublement, – ein Mangel, dem aber in dieser gut eingerichteten Anstalt sogleich abgeholfen wird. Kaum hatten wir uns nämlich niedergelassen, so erschien ein Intendant, Haushofmeister oder was er war, und übergab ein langes Papier, auf welchem alle Gegenstände verzeichnet waren, die man braucht, um eine leere Wohnung, wie die unsrige, zu möbliren. Diese Gegenstände waren nach verschiedenen Tarifen zusammengestellt, von einer einfachen, nothdürftigen Einrichtung an bis zum größten Comfort mit Teppichen, Kronleuchtern, Blumentischen, Fauteuils; man hatte also nur zu bestimmen, wie man wohnen wollte, d.h. wie viel man auszugeben beabsichtige; denn begreiflicher Weise liefert die Quarantäne-Anstalt nur die nackten Wände; alles Uebrige muß der Reisende auf seine Kosten anschaffen. Mit dem Frühstück und Diner ist es ebenfalls so. Man braucht nur einen Preis zu bestimmen und ist im Verhältniß zur Zahlung immer recht gut bedient. Natürlich ist englische Küche vorherrschend und dazu englisches Bier zu haben von sehr guter Qualität.

»Ich hatte einen mörderlichen Hunger; denn wenn man fast vier Tage seekrank war, so ist der Magen ziemlich ausgeleert. Was war aber zu thun? Wir mußten einmal die Kranken spielen, weßhalb der Major, nachdem er aus den vorgelegten Papieren eine anständige Zimmereinrichtung ausgelesen, einfache Fleischbrühe für uns Beide befahl, dagegen ein sehr reichliches Diner für unsere Bedienten, die, wie er sagte, für das viertägige Fasten zu entschädigen seien.

»Unsere Wohnung war in weniger als einer Stunde vollkommen eingerichtet. Ich legte mich sogleich zu Bett, und der Major wickelte ein gelbes Foulard um seinen Kopf, welches ihm ein äußerst krankhaftes Ansehen gab, und kämmte seinen widerstrebenden kohlschwarzen Bart, daß er melancholisch herabhing. So gerüstet erwarteten wir die Besuche, die nothwendiger Weise bald erfolgen mußten.

»Zuerst kam der Quarantaine-Arzt und ließ sich unseren Zustand schildern. Der Major erzählte ihm eine seltsame Geschichte, wie wir uns, ohne eine Ursache angeben zu können, schon in Alexandria zum Sterben krank befunden hätten, wie man uns vom Schiffe zurückgewiesen, und wie ein französischer Arzt, der uns behandelt, erklärt habe, wir müßten durch einen unglücklichen Zufall vergiftet worden sein. ›Dieser vortreffliche Arzt,‹ fuhr der Major fort,›behandelte uns während zehn Tage mit der größten Sorgfalt und stellte uns so weit her, daß man uns an Bord des eben abfahrenden Schiffes aufnahm. Doch hat diese Seefahrt unser Uebel bedeutend verschlimmert. Mein Freund dort fühlt bedeutende Schmerzen und eine Erlahmung an allen Gliedern, und ich, der ich eine sehr starke Konstitution habe, leide auf der Brust und huste seit mehreren Tagen, daß es zum Erbarmen ist.‹

»Der Quarantaine-Arzt, sehr beruhigt, daß wir keine andere Krankheit nach Malta geschleppt, verordnete uns einige leichte Sachen, empfahl uns Ruhe und Diät und versprach, noch denselben Abend wieder zu kommen.

»Wir hatten absichtlich keine Fragen an ihn gestellt, wer noch außer uns in der Anstalt sei. Wir hatten uns vortrefflich benommen, wie zwei sehr kranke Menschen, die für nichts mehr Interesse haben, und überließen Alles andere dem Zufalle, fest überzeugt, Sir Robert, der unsere klägliche Ankunft gesehen, werde sich baldigst nach uns erkundigen lassen. Unsere Vermuthung war vollkommen richtig. Der Quarantaine-Arzt wurde, sobald er uns verlassen, zu den Engländern geholt und berichtete da getreulich über unseren Zustand, und die Folge davon war, daß unser Quarantaine-Wächter nach einer kleinen halben Stunde eine Karte von dem alten General überbrachte, der uns zu sprechen wünschte.

»›Nehmen wir ihn an?‹ fragte ich.

»›Allerdings,‹ entgegnete der Major und machte ein Zeichen mit dem Kopfe, um den Besuch eintreten zu lassen.

»Der alte General trat ein und sah einigermaßen bestürzt aus, als er uns Beide erblickte. Hinter ihm ging sein Quarantaine-Wächter mit einem großen Lehnstuhl, den er in die Mitte des Zimmers setzte, und auf welchen Sir Robert sich niederließ, entfernt genug von uns Beiden, so daß keine Berührung stattfinden konnte.

»›Ei der Tausend!‹ sagte der General nach einer Pause, ›wie schmerzlich ist es mir, Sie, meine Herren, so wieder zu sehen!‹ – Bei diesen Worten zitterte seine Stimme fast unmerklich, und er fixirte den Major, dem er das Gesicht zuwandte, aufmerksam mit seinem Blicke.

»Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, der Major entgegnete mit sehr dumpfer Stimme: ›So kann man überfallen werden, von dem Schicksal getroffen, ohne zu wissen, woher der Schlag kommt.‹

»›Aber, meine Herren,‹ fuhr Sir Robert fort, ›Sie erschrecken mich in der That. Was ist denn geschehen?‹

»›Wir sind vergiftet worden.‹

»›Vergiftet?!‹ rief der Engländer mit wahrem Entsetzen. ›Auf welche Art denn? – Durch Zufall? – Sie sehen mich ganz begierig, etwas Näheres über diese schreckliche Geschichte zu vernehmen.‹ Dabei zog er sein Taschentuch heraus und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn.

»›Wir sind überzeugt von dem Antheil, den Euere Herrlichkeit an uns nimmt,‹ antwortete der Major. ›Aber was können wir sagen? Sie werden sich erinnern, daß wir die Ehre hatten, in Alexandria vor Ihrer Abreise mit ihnen zu diniren.‹

»›Ganz recht; aber ich befand mich sehr wohl darauf.‹

»›Daß wir nach diesem Diner mit Eurer Herrlichkeit einen Abschiedstrunk nahmen, nicht von dem Weine des Wirthes, aus Ihrem Flaschenkeller.‹

»›Mein Gott, ja!‹ sprach immer ängstlicher der General. ›Das war ein alter vortrefflicher spanischer Wein, der den Magen angenehm erwärmt und stärkt. Sollten Sie die schreckliche Idee haben, der hätte Ihnen schaden können?‹

»›Gewiß nicht,‹ entgegnete ruhig der Major. ›Ich erzähle nur den Verlauf der Geschichte. Wir gingen an Bord, als wir uns auf einmal sehr übel befanden.'

»›Das habe ich von unserem Kapitän erfahren,‹ sagte verwirrt der alte Herr und schaute dabei aufmerksam zum Fenster hinaus. ›Leider war ich in dem Augenblicke mit dem Unterbringen meines Gepäcks beschäftigt, sonst hätte ich Ihnen mein Beileid bezeugt. Als ich heraufkam, waren Sie schon abgefahren. – Und damals fühlten Sie sich schon recht unwohl?‹

»›Wir litten Beide die heftigsten Schmerzen mit Anwandlungen von Uebelkeit.'

»›Ah!‹ machte der General.

»›Wir kehrten nach Alexandria zurück, wir ließen einen Arzt kommen, dieser zog noch einen zweiten zu Rathe, sie untersuchten uns, hielten eine förmliche Konsultation, deren Resultat war, wir seien vergiftet worden.‹

»›Vergiftet!‹ »›Vergiftet, Herr General; mit einem höllischen Gebräu – ich habe den Namen vergessen, – welches man im Orient anzufertigen pflegt, und das auch in Indien bekannt sein soll. Man gibt es vorkommenden Falls dem unglücklichen Schlachtopfer in Kaffee, Wein oder dergleichen. Sie werden davon gehört haben.‹

»Der alte Engländer war sehr blaß geworden; er athmete tief und schwer und schaute bald mich, bald den Major an. Letzterer fuhr fort: ›Dank sei es der kräftigen Konstitution, die wir Beide haben, und den vortrefflichen Mitteln, die uns jener junge Arzt gab! Sie haben uns gerettet, sonst wären wir jetzt die todtesten Menschen.‹

»›Die Sache ist mir vollkommen unerklärlich!‹ brachte mühsam der alte Herr hervor.

»›Auch wir haben nicht den geringsten Verdacht,‹ antwortete der Major. ›Vielleicht war es Ungeschick, vielleicht ein Zufall – Gott mag es wissen, – was uns so weit gebracht. Denn das kann ich Eurer Herrlichkeit Versichern, wir sind Beide noch recht elend.‹

»›Ich sehe es, ich sehe es!‹ entgegnete hastig der General, indem er aufstand. ›Gönnen Sie sich Ruhe, meine Herren, und erlauben Sie mir, daß ich mich stündlich nach ihrem Befinden erkundigen lasse.‹ – Darauf machte er ein paar wankende Schritte gegen uns, und ich glaube, er hatte in dem wirklichen Schrecken, den wir ihm eingejagt, sogar vergessen, daß er uns nicht berühren durfte. Denn er trat an mein Bett und wollte mir die Hand reichen. Doch sprang sein Wächter wie ein Blitz dazwischen und erinnerte ihn an das Quarantaine-Gesetz, worauf Sir Robert sich besinnend vor meiner schon ausgestreckten Hand zurück fuhr, als bäume sich eine indische Natter vor ihm. Dieser Händedruck hätte ihm aber auch unfehlbar zehn weitere Tage Quarantäne eingetragen. Er verließ uns ganz erschüttert, und kaum war er fort, so schickten wir unseren Quarantaine-Wächter hinaus, schlossen alle Thüren und begaben uns in das äußerste Vorzimmer, wo das Diner für unsere Bedienten servirt war, dem wir alle Gerechtigkeit angedeihen ließen.« »Ich muß doch gestehen, Baron,« sagte hier der Diplomat, »daß ihr ein Bischen zu arg Komödie gespielt. Der alte Herr glaubte eurer Erzählung, wie ihr meint. Da muß er ja mit schrecklichen Gewissensbissen von euch gegangen sein. Er hatte am Ende als Vater gehandelt, der seine Töchter von zwei ihm lästigen Bewerbern zu befreien suchte. Die Strafe war offenbar zu hart für ein gelindes Brechmittel.«

»Da hast du vollkommen Unrecht,« nahm der Major das Wort. »Wir klagten ihn freilich eines Mordversuchs an; aber hatte er uns mit dem Brechmittel, seinen von uns geliebten Töchtern gegenüber, nicht moralisch tödten wollen? Ich wiederhole es nochmals: Nichts läßt so leicht selbst eine wahre Liebe verschwinden, als die Lächerlichkeit. Kamen wir frisch und gesund nach Malta, so rieb er sich die Hände, lachte uns freundlich an, summste vielleicht ein wenig und hatte wohl gar die Kühnheit, gelegentlich, wenn auch sehr verblümt, seines Heilmittels zu gedenken. Wir konnten doch mit dem alten Herrn keine ernstlichen Händel anfangen! Dabei wirst du begreifen, daß unser Lebensglück auf dem Spiele stand; denn ich muß gestehen, mich hätte der Verlust des Mädchens, das ich so innig liebte, wahrhaft unglücklich gemacht. Seine Handlung gegen uns war jedenfalls sehr unüberlegt. Wir hatten Recht, ihn dafür zu bestrafen, und es gelang uns vollkommen. Er rieb sich nicht die Hände, er summste nicht und lachte noch viel weniger über uns. Er ging tief erschüttert nach seiner Wohnung, schloß sich mit seiner Familie ein und erzählte zitternd, was uns begegnet. Wir standen da als Opfer einer höllischen Bosheit. Und der Papa kam jetzt erst recht schlecht weg. Ellen, die überhaupt keinen Spaß verstand, wollte augenblicklich zu uns herüberstürzen und war, wie auch Therese, nur mit Gewalt zurück zu halten. Dann aber ging ein Verhör los, wie der alte Herr nie eines bestanden. Die Mädchen wollten wissen, ob eine Verwechselung bei dem Weine möglich gewesen sei und ob der alte indische Kammerdiener, der ihn in Alexandria verlassen, vielleicht ein Gift, wie das genannte, besessen. Sir Robert gab achselzuckend zu, daß dies am Ende möglich sei, und nun erfolgte, wie wir später vernahmen, ein solcher Ausbruch des Schmerzes, ja des Zornes bei den beiden jungen Damen, daß der rothhaarige Neffe schauderte und der alte General vollkommen wußte, woran er war.– So!« unterbrach sich der Major und sagte zu seinem Freunde, dem Baron: »Jetzt nimm deine Geschichte wieder auf und verzeihe, daß ich dich abgelöst.«

»Dafür bin ich dir sehr verbunden,« antwortete dieser, »denn ich habe mich ganz trocken gesprochen. – Bekommen wir eine Tasse Thee?« wandte er sich an den Hausherrn.

»Ganz gewiß,« versetzte Graf Ferdinand in einiger Verlegenheit, indem er auf die Uhr schaute, welche auf dem Kamine stand. »Ich hatte nur gehofft, meine Frau käme zeitig zurück – sie speist bei ihrer Mutter, – und wir würden den Thee gemeinschaftlich nehmen.«

»Ah, das ist etwas Anderes!« rief eifrig der Baron. »Dann warten wir auf alle Fälle. Wie freue ich mich darauf, die kleine Gräfin zu sehen! Ferdinand, du bist ein ungeheuer glücklicher Mensch.«

»Du kannst mit deinem Loose ebenfalls zufrieden sein,« warf der Diplomat dazwischen. »Ihr ruht alle im schönsten Hafen, während ich wahrscheinlich noch sehr lange auf der See des Lebens umher getrieben werde.«

Der Graf hatte nachdenkend geschwiegen und sah alsdann den Major verstohlener Weise mit einem fragenden Blicke an.

»Nehmen wir immerhin unseren Thee,« sagte dieser mit seinem ruhigen Tone. »Wenn junge Damen ihre Eltern besuchen, dauert's immer ein Bischen länger. Man kennt das. Und dann dauert mich auch der gute Baron. Er kann nun seine Geschichte zu Ende erzählen, und die würde doch, schon sehr weit vorgerückt, wie sie ist, kein Interesse für die Gräfin haben.«

Der Major wußte wohl, was er that. Er hatte der Gräfin zwei Zeilen geschrieben, worin er sie bat, ihm nach ihrem Diner eine Viertelstunde zu gönnen. Er war überzeugt, sie würde sich freuen, ihn wieder zu sehen, und ihn augenblicklich nach ihren Zimmern bitten. Wartete man aber mit dem Thee auf sie, so war sie genöthigt, augenblicklich in den Salon herüber zu kommen, und die Unterredung, auf die er gehofft, war für ihn verloren.

Der Graf zog also die Klingel, gab seine Befehle, und einen Augenblick darauf war der Thee auf einem kleinen Tische vor dem Kamine servirt, mit jener Stille und Geräuschlosigkeit, welche gut geleitete Häuser weit angenehmer macht, als alle Pracht und Herrlichkeit, welche sie zu entwickeln im Stande sind.

»Man trinkt bei dir auch nur schwarzen Thee,« sagte der Gesandtschafts-Secretär; »und da ich das weiß, so freue ich mich immer auf eine Tasse. Man bekommt so oft mit grünem gemischt, und es ist mir das unausstehlich. Es kostet mich ein paar Stunden Schlaf.«

»Der Major muß unseren Thee machen,« versetzte der Hausherr. »Es ist eine schwere Kunst, die Niemand so wie er versteht.«

»Meine Frau ausgenommen,« sprach wichtig der Baron, »Ich schließe mich der Ansicht unseres diplomatischen Freundes an. Auch ich weiß wenig Häuser, wo ich Thee nehmen mag. Es liegt mir ungeheuer viel an der Art, wie er gemacht wird.«

»Und du hast es doch schon so oft gesehen,« erwiderte lachend der Major, indem er sich an das ihm aufgedrungene Geschäft machte. »Es kommt hier, wie bei allem, auf gute Stoffe an. Ein ächter schwarzer Thee, siedendes Wasser und zwei Tropfen concentrirten Rahmes.«

»Ich war neulich in einer Gesellschaft,« bemerkte träumerisch der Diplomat, »da warfen sie Zimmt in den Thee.«

»Brrrr!« machte der Baron. »Das war bei einer Kanzleiräthin. Aber dieses Gebräu wurde wieder gut gemacht durch die kleine Hand, die es dir darreichte, und die schönen schwarzen Augen, die dich dabei anblickten.«

»Laß mich dem Major bei seinem Geschäfte zusehen,« sagte der junge Mann ausweichend. »Er weiß die Portionen so sicher zu nehmen. Und dann seht ihr, wie er den Thee vorher so sorgfältig abspült, ehe er die Kanne mit kochendem Wasser füllt!«

»Das ist eine wahre Lauge, die ich zuerst abgieße, die dem Magen wehe thut und die Nerven angreift,« versetzte der Major. »So! jetzt bin ich fertig. Ich hoffe, ihr sollt zufrieden sein.«


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