Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zweites Kapitel.

Der Major macht durch einen zu kräftigen Händedruck die Bekanntschaft eines Vaters, der zwei schöne Töchter hat. Der Baron erzählt vom Bienentanze, von der Nilfahrt und von einem sehr angenehmen Paragraphen des Schiffs-Reglements.

In diesem Augenblicke rollte ein Wagen durch die Straßen, bog in den Thorbogen ein und rasselte dröhnend durch das Haus in den Hof.

»Ah, meine Frau!« sagte der Hausherr. Und ein freudiger Zug flog über sein Gesicht. Bald darauf hörte man Schritte im Vorzimmer, der Graf wandte sich nach der Thüre, und als diese geöffnet wurde, trat ihm statt der Erwarteten einer der Bedienten entgegen und meldete, daß die Gräfin bei ihrer Mutter geblieben sei, ihren Wagen nach Hause geschickt habe und erst später heimkehren werde.

Ueberrascht blieb der Graf stehen, preßte eine Sekunde lang die Lippen heftig auf einander, und wie ein leichter Blitz flammte es in seinen Augen auf. Doch nur eine Sekunde lang. Dann glätteten sich seine Züge wieder, er sagte dem Bedienten: »Es ist gut,« und wandte sich mit vollkommen ruhigem Gesichte seinen Freunden wieder zu. Niemand sah, daß er die Hand des verwundeten Armes mehrmals fest zusammen ballle, und daß es ihm Mühe machte, den hiedurch verursachten Schmerz nicht laut werden zu lassen. Er stützte sich abermals auf den Kamin und sprach: »Es thut mir unendlich leid, daß wir unseren Thee allein nehmen müssen. Meine Frau ist bei ihrer Mutter geblieben; ich glaube, Frau von D. ist unpäßlich, und da ist es sehr natürlich, daß die Tochter der Mutter Gesellschaft leistet.«

»Vollkommen begreiflich,« entgegnete der Diplomat mit dem Tone der Ueberzeugung und setzte hinzu: »Du wirst uns erlauben, unser Bedauern darüber auszudrücken, daß wir die Gräfin heute Abend nicht sehen können.«

Der Baron sagte etwas Aehnliches und schien ebenfalls darin nichts Besonderes zu finden. Er blickte in die Gluth des Kaminfeuers und war offenbar mit seinen Gedanken in Aegypten oder sonstwo.

Nur der Major allein that einen forschenden Blick auf den Freund, und ihm war es nicht entgangen, daß die Lippen des Grafen einige Mal gezuckt und daß derselbe einen ernsten Blick auf das Zifferblatt der Uhr neben sich warf.

»Ihr seht,« versetzte der Hausherr nach einer kleinen Pause, »daß ich heute nicht im Stande bin, euch die versprochene Gesellschaft meiner Frau zu verschaffen. Aber es wäre sehr schön von euch, wenn ihr noch ein paar Stunden bliebet, um mit meinem Thee und mir fürlieb zu nehmen.«

»Ich kann nichts Besseres thun,« entgegnete der Baron.

Und der Gesandtschafts-Sekretär meinte: es könne vom Fortgehen keine Rede sein, da der Baron ihnen eine Geschichte von Malta versprochen habe.

»Es versteht sich von selbst, daß wir bei dir bleiben,« sprach bestimmt der Major. »Gib uns eine Tasse Thee und halte uns so lange du willst. Vorausgesetzt, daß du es uns sagen wirst, sobald du oder vielmehr dein verwundeter Arm müde wird.«

»Ich bin euch für euer Anerbieten sehr dankbar,« entgegnete der Graf, »denn ich würde mich sehr einsam fühlen; ich bleibe auf alle Fälle auf, bis meine Frau zurückkommt, und schätze mich glücklich, daß ihr mir Gesellschaft leisten wollt. – Aber trinken wir unseren Thee – nehmt neue Cigarren, und dann muß uns der Baron etwas Heiteres erzählen.« »Ja,« sagte der Major mit bestimmtem Tone, »der Baron muß erzählen. Ich gebe ja auch unsere Geheimnisse Preis. Wir sind ja unter Freunden, und die Geschichte drückt mich doch schon lange.«

»Mit Vergnügen denn,« erwiderte der Baron. »Aber wie der Major eben durchblicken ließ, Alles unter uns; denn es sind Geschichten, die nicht blos den Major und mich, sondern auch Andere betreffen, welche uns sehr theuer und werth sind.«

Hierauf klapperten einen Augenblick die Tassen, die Fauteuils wurden zurück- und wieder vorgeschoben und frische Cigarren angesteckt, wogegen sich der Baron einige der langen türkischen Pfeifen seines Freundes erbat.

»Denn,« fügte er bei, »ich erzähle und muß es würdig und in des Königs Kambyses Weise thun.«

»Der Beduinen-Häuptling,« begann er sodann nach einer Pause, »mit seinen beiden Kawassen begleitete uns also in den Gasthof zurück, und mittlerweile hatte sich unsere Escorte insofern vergrößert, als ein paar Reiter mit Hand- und Packpferden, die dem Beduinen-Häuptling folgten und sein eigen waren, sich an uns anschlossen. Es war aber heute der Tag der Rencontres. Denn als wir in das Thor des Gasthofes einritten – der Major und ich befanden uns schon im Hofe, – da carambulirte unser Gefolge mit zwei Herren, die auf Eseln reitend hinter uns dreinkamen. Von diesen Herren war der eine ein großer, dicker Mann von vorgerücktem Alter, mit grauem, fast weißem Barte, der, wie die Mähne eines Tigers, nach allen Seiten aus dem Gesichte starrte. Von der unerträglichen Hitze war dieses Gesicht schon auffallend geröthet, begann aber ins Purpurfarbene zu spielen, als, wie gesagt, einer aus unserem Gefolge diesen Herrn, ohne es übrigens zu wollen, etwas unsanft gegen den Thorbogen quetschte. Der andere Herr war sehr mager, hatte ein blasses, ächt englisches Gesicht, röthliches Haar und schielte ein wenig.«

»Kaum war der dicke Mann in dem Hofe angekommen, so glitt er von seinem Esel herab, wandte sich an den Beduinen, der ihn gestoßen, und versetzte ihm, ohne etwas dabei zu sprechen, mit seiner Reitpeitsche einen derben Schlag über die Schultern. Der Sohn der Wüste riß sein Pferd zurück, sein Auge blitzte, er zeigte unter den geöffneten Lippen die schneeweißen Zähne und riß ein Pistol aus dem Gürtel, offenbar in der Absicht, den dicken Herrn damit niederzuschießen. Glücklicher Weise aber hatte der Major diesen Vorfall gesehen, warf sein Pferd zwischen die Beiden und rief dem Beduinen ein paar arabische Worte zu, worauf dieser sein Pistol wieder einsteckte. Mochte es nun sein, daß der Major den dicken Herrn bei dem Dazwischenfahren gestreift, oder mochte dieser ihn ebenso für einen Farbigen halten und deßhalb glauben, er könne sich auch gegen ihn eine kleine Artigkeit herausnehmen, genug, er hob abermals die Hand mit der Reitpeitsche. Doch beugte sich der Major in diesem Augenblicke etwas von seinem Sattel nieder, faßte das Faustgelenk seines Gegners und drückte es so zusammen, daß der alte Herr die Peitsche mit einem gelinden Schrei fallen ließ.«

»Es war der erste Händedruck, den wir wechselten,« flocht der Major ein.

»Und als die Peitsche am Boden lag,« fuhr der Baron fort, »da rief unser Freund auf Englisch: ›Herr, bitte recht sehr, zu bedenken, daß wir nicht in Indien und daß freie Beduinen keine Sclaven sind.‹«

»Auf dieses Wort hin blickte sowohl der dicke wie der magere Gentleman den vermeintlichen Beduinen mit wahrem Erstaunen an. Denn sie hatten gewiß noch nie einen getroffen, der so fertig Englisch sprach.«

»Und wovon wußtet ihr, von welcher Nation die beiden Fremden waren,« fragte der Hausherr, »und woher sie kamen?«

»Ich hatte sie in Suez gesehen,« erwiderte der Major, »bei einem ähnlichen Act der Gewaltthätigkeit, der aber keine Folgen hatte, da der Matrose, den jener dicke Herr mit seinem Pfeifenrohr über den Kopf schlug, ein Laskare war.«

»Diese Begegnung hatte auch vor der Hand keine Folgen,« fuhr der Baron fort. »Die beiden Engländer, welche wohl einsahen, daß sie hier den Kürzeren ziehen müßten, begaben sich in den Gasthof, freilich noch immer mit einigem Widerstreben; denn der Dicke ballte mehrere Mal seine Fäuste, als suche er einen würdigen Gegner zu einer Box-Parthie.

»Der Major legte seine Beduinen-Tracht ab, ließ sich seinen zu langen Bart stutzen, und so dinirten wir ein paar Tag darauf seit längerer Zeit wieder zum ersten Male an der Table d'hôte des Gasthofes, wo das Erste, was uns in die Augen fiel, der dicke Gentleman war, der vor dem gedeckten Tische auf und ab spazierte. Bei unserem Eintritt stutzte er, sah den Major forschend an, und dann flog ein leichtes, ich möchte sagen, gutmüthiges Lächeln über seine dicken Züge, was mich veranlaßte, auf ihn zuzugehen, um von dem neulichen Vorfalle zu sprechen, indem ich ihm sagte, wir hätten unendlich bedauert, daß einer unserer Diener ungebührlicher Weise mit ihm zusammengestoßen sei, und würden auch nicht verfehlt haben, ihm schon sogleich damals unsere Entschuldigungen zu machen; doch hätte er sich auf eine Art selbst Recht verschafft, die es uns leider unmöglich gemacht, uns mit freundlichen Worten darein zu mischen.

»Auf das hin lachte der alte Herr heiter hinaus, reichte mir die Hand und erwiderte: ›Ich bin Ihnen in der That dankbar dafür, daß Sie einem alten, heftigen Manne so artig entgegen kommen. Meine außerordentliche Heftigkeit schafft mir nur zu oft ähnliche Auftritte auf den Hals. Von Jugend auf sehr reizbar, sind lange Jahre, in dem indischen Klima zugebracht, leider nicht im Stande, das Blut abzukühlen. Ich bin Sir Nobert J. – wollen Sie mir freundlichst Ihren Namen sagen, um mich alsdann Ihrem Freunde vorzustellen?‹

»Ich nannte mich, führte ihn zu dem Major, der ihm auf halbem Wege entgegen kam und ihm lachend die Hand schüttelte.

»›Wenn an meinem Betragen von neulich etwas verzeihlich ist,‹ sagte der alte Engländer lachend, ›so ist es, daß ich Sie für einen wirklichen Beduinen hielt. Ihr ganzes Aeußeres war mehr als Verkleidung – es war die vollkommenste Natur.‹

»›Da Sie mir das eingestehen,‹ antwortete der Major, ›so werden Sie es ebenfalls verzeihlich finden, daß ich auch vollständig in der Rolle des Beduinen blieb und meine Leute in Schutz nahm.«

»›Sprechen wir nicht mehr davon!‹ versetzte Sir Robert. ›Ich bin dem unangenehmen Vorfalle nur Dank schuldig, daß er mich so angenehme Bekanntschaften machen ließ. Wie ich zufällig gehört, werden Sie noch etwa vierzehn Tage hier bleiben, um über Alexandria und Malta nach dem Festlande zurückzukehren. Das trifft sich wirklich charmant, und wollen wir, wenn es Ihnen genehm ist, diese Tour recht angenehm und friedlich zusammen machen.‹

»In diesem Augenblicke trat sein Begleiter, der sehr blonde Engländer, mit zwei jungen Damen in den Saal.«

»Ei, ei, Baron!« bemerkte der Diplomat, »ihr waret von den Engländern außerordentlich schnell eingenommen. Vorhin hatte der junge Gentleman rothes Haar, jetzt ist er auf einmal hellblond geworden.«

»Ich will euch nur gestehen, daß ihr recht habt. Das Haar war eigentlich roth. Aber unter Bekannten nimmt man das nicht so genau. Er kam also in das Zimmer, und die beiden jungen Damen wandten sich augenblicklich an den alten Herrn und nannten ihn Papa. Was für ein Glück war es, daß wir uns mit ihm ausgesöhnt hatten! Die beiden Mädchen waren – nun, ich kann es mit Aller Bescheidenheit sagen – bildschön, gut erzogen, in jeder Hinsicht von den feinsten Manieren. Auch kannten sie eine ganze Menge Sprachen, Deutsch, Französisch, Indisch, von welch letzterem natürlicher Weise wir keinen Begriff hatten. Wir wurden vorgestellt und zu Gnaden aufgenommen – von den beiden Misses wenigstens. Der röthliche junge Mann, den man als Neffen präsentirte, schien sich dagegen über die neue Bekanntschaft nicht besonders zu freuen. Hatte er uns den Vorfall von neulich noch nicht vergessen, oder wollte er seinen liebenswürdigen Cousinen Alles sein – kurz, er benahm sich so förmlich und steif wie möglich. Mister B., englischer Offizier, in Indien stationirt, hatte einen Jahres-Urlaub, um seinen Oheim zu begleiten.

»Letzterer hatte bekanntlich in Indien ein Kommando gehabt, sich einen tüchtigen Namen gemacht, ungeheure Reichthümer erworben und kehrte nun für immer nach seiner Insel zurück.

»Ich kann euch versichern, wir Beiden, der Major und ich, waren bei Tische die personificirte Liebenswürdigkeit und stiegen gleich so bedeutend in der Gunst des alten Herrn, daß er uns für den Nachmittag zu einer Spazierfahrt nach Schuwra einlud.«

»Hattet ihr Absichten auf die jungen Damen?« fragte der Diplomat.

»Das ist eine Gewissensfrage und eigentlich unmöglich zu beantworten. Nur muß ich mit einiger Indiskretion gestehen, daß der gute Major am Abend dieses Tages schwor, sein Herz sei nie so erregt gewesen, und er wüßte nicht, was geschehen könnte.«

»Der gute Major!« antwortete dieser lachend. »Sag doch lieber: der gute Baron! Standest du nicht nächtlicher Weile am Fenster, schautest den Mond an und triebst allen möglichen poetischen Unsinn?«

»Wenn wir also vielleicht Absichten hatten,« fuhr der Baron in seiner Erzählung fort, »so könnt ihr euch denken, liebe Freunde, daß wir uns sehr in Acht nahmen, etwas dergleichen merken zu lassen. Der alte Herr war – ein sonderbarer Kauz. Was seine eigene Heftigkeit anbelangte, die er uns selbst gestanden, so überschritt dieselbe alles Maß des Erlaubten, ja, des Schicklichen. Ein Wort, eine Miene, die ihm mißfiel, konnte ihn plötzlich aus der heitersten Laune zu einem wahren Ungeheuer machen. Dann färbte sich sein Teint dunkelroth, seine weißen Haare starrten aus einander; der Neffe hustete verlegen, und die beiden jungen Damen schauten zusammen schreckend und zitternd auf ihre Teller.

»Der erste Auftritt der Art ging schon bei Tische los, als ihm der Kellner – er hatte Hochheimer verlangt – eine Flasche recht guten Rüdesheimer brachte. Er kostete einen Tropfen und sagte mit ärgerlichem Tone: ›Das ist kein guter Hochheimer!‹ worauf der unglückliche Kellner antwortete, es sei sogar eine vorzügliche Qualität. Eine Sekunde nachher, und er hatte Glas und Qualität im Gesichte. Es erschienen alle Anzeichen eines starken Zornausbruches, und Sir Robert schaute herausfordernd seine beiden Töchter sowie den Neffen an, ob sich nicht vielleicht ein Opfer finden würde, das an der Stelle des davongeeilten Kellners zu ergreifen wäre. – Es trat eine peinliche Pause ein, bis der Major den kühnen, aber klugen Einfall hatte, dem Tiger in seiner derben, unerschrockenen Manier direkt auf den Leib zu gehen. Er that prüfend einen Schluck, setzte das Glas nieder und sagte: ›Obgleich kein Hochheimer, ist er doch in der That von vorzüglicher Qualität. – Ah, bester Sir Robert, lassen wir uns durch Kleinigkeiten nicht die gute Laune trüben. – Ein frisches Glas und angestoßen! – Auf glückliche Ankunft in England!‹

»Die beiden Misses und der Neffe saßen erstarrt ob dieser Keckheit. Einen Augenblick auch zuckte die Hand des alten Generals, und ihm schien die Wahl wehe zu thun zwischen einer Flasche und einem Ragout-Deckel, um Eines davon in die Ecke des Saales zu befördern. Doch sah ihn der Major so fest und eigenthümlich lächelnd an, und hielt ihm seine Hand entgegen, dieselbe Hand, die der alte Herr neulich hatte kennen gelernt, daß er sich plötzlich eines Besseren besann, hart den Athem von sich blies und endlich sagte: ›Sie haben Recht, Herr Major. Warum uns über Kleinigkeiten ereifern! Mag der Teufel den Kellner holen!‹

»›Er soll ihn holen!‹ antwortete unser Freund, und die Sache war beigelegt. Die armen jungen Damen athmeten tief und freudig auf, und die älteste; Miß Eleonore, hob ihre großen, dunkeln Augen langsam auf und schmetterte dem Major einen Blick zu, ich möchte lieber sagen: eine Legion Blicke in eine Sekunde zusammen gedrängt, einen Blick, in dem sich Dankbarkeit, Achtung so stark ausdrückten, daß ich augenblicklich mit mir im Klaren war.«

»Und worüber warst du im Klaren?« fragte der Hausherr.

»Darüber, daß, wenn ich mich je einer der beiden jungen Damen mit ernsten Absichten nähern würde, dieß nicht Miß Ellen sein sollte.«

»Und er hielt seinen Entschluß,« warf der Major ein; worauf die drei Freunde herzlich lachten.

»Ich habe nur,« fuhr der Baron fort, »diesen kleinen Vorfall erzählt, um euch ein- für allemal mit der Heftigkeit des alten Herrn au fait zu setzen. Dergleichen Geschichten kamen täglich, ja, zuweilen stündlich vor, und dann trat entweder der Major oder ich als eine Art von Sicherheits-Ventil für die Damen oder als Blitzableiter auf. Den zweiten Vorfall, den wir erlebten, nahm ich natürlicher Weise auf mich.«

»Der Baron wollte auch seinen Blick haben,« versetzte der Diplomat.

»Und er bekam ihn,« bemerkte der Major.

»Nun gut, wir lebten so weit sehr angenehm zusammen, bis auf den Neffen. Der konnte es begreiflicher Weise nicht ertragen, daß wir uns bei dem alten General in Gunst setzten, und dann hatte er auch eines Tages die unglückselige Idee, bei einem Zornausbruche des Oheims unsere Rolle spielen zu wollen. Das lief aber für ihn so traurig ab, daß mich Miß Therese, die andere Tochter, augenblicklich holen ließ.«

»Miß Ellen hatte nach mir geschickt,« sagte trocken der Major.

»Ich kam zuerst und muß gestehen, es kostete einige Mühe, den armen Neffen aus dem Zimmer zu bringen. Denn der alte General umkreiste ihn wüthend, wie der Löwe sein Opfer, und wollte es selbst mir anfänglich gar keinen Dank wissen, daß ich dasselbe aus seinen Händen befreite.«

»Der Baron erzählt außerordentlich angenehm und verständlich,« bemerkte hier der junge Diplomat. »Miß Therese schickte nach ihm, Miß Ellen nach dem Major – wir wissen nun, woran wir sind.«

»Das ist jetzt gar kein Geheimniß mehr,« antwortete der Erzähler. »Damals war es freilich eines der gefährlichsten Art. Denn was seine beiden Töchter anbetraf, so verstand Sir Robert nicht den geringsten Spaß, und selbst der arme Neffe, der es eines Tages gewagt, sich der schönen Cousine etwas zu vertraulich zu nähern, wäre um ein Haar nach Indien zurückgeschickt worden. Trotzdem muß ich aber gestehen, daß wir bald bemerkten, wir seien mit unserer Liebenswürdigkeit und unserer glücklichen Manier, den Papa zu behandeln, in der Gunst der jungen Damen gestiegen, natürlicher Weise, so weit eine gutgezogene Dame so etwas merken läßt. – Und fein erzogen waren sie und dabei natürlich herzlich, – es thut mir wahrhaftig leid, daß ich durch die Situation verhindert bin, mich recht breit im Lobe von Miß Therese und Miß Ellen zu ergehen.«

»Wir begreifen deinen Kummer,« sagte lächelnd der Hausherr. »Aber wir erklären feierlich, du wirst nicht im Stande sein, ein Bild der beiden Damen zu entwerfen, das nicht von ihrer liebenswürdigen Wirklichkeit tausendfach übertreffen würde.«

Der Baron verbeugte sich dankend und schien weit beruhigter fortzufahren: »in Indien lernt man mit den Augen sprechen und durch Zeichen sich verständlich machen. Wir Beide lernten als eifrige Schüler und begriffen unsere Lehrerinnen bald. Glücklicher Weise aber begriff der Papa uns nicht. Denn obgleich auch er seine Zeichensprache hatte und dieselbe häufig genug anwandte, so war sie doch sehr verschieden von der seiner Tochter, – handgreiflich derb, ein vollkommen anderes Alphabet. Der Neffe dagegen schien in Indien auch schon auf dem Felde manöverirt zu haben, auf welches wir uns gewagt, und obgleich wir uns so sehr in Acht nahmen, wie möglich, so begriff er doch seinerseits hier und da einen beredten Blick und erlauschte die Wahrheit eines Händedruckes, der gleichgültig aussehen sollte, aber nichts weniger als das war.

»Die vierzehn Tage, die wir noch in Kairo blieben, gingen indessen ziemlich glücklich vorüber. Wenn ich sage »ziemlich,« so will ich damit ausdrücken, daß wir vor Entdeckung sicher blieben, dagegen aber trotz der sehr großen Hitze einige sehr kühle Tage bei unsern Damen verlebten.«

»Aha!« lachte der Major, »wo sie mit uns schmollten!«

»Allerdings!« fuhr der Baron fort. »Und daran war abermals der Vetter schuld. Als lernbegieriger Reisender muß man Alles mitmachen, und so trugen wir auch kein Bedenken, eine Einladung zu einer Abendunterhaltung anzunehmen, wobei sich arabische Tänzerinnen producirten. Der Major hatte dabei die Unklugheit, den blonden Gentleman mitzunehmen; und das Ende vom Liede war, daß dieser den alten General am Morgen darauf durch eine Erzählung des Gesehenen zu erheitern suchte. Weiß der Teufel, ob eine der jungen Damen im Nebenzimmer gelauscht – kurz und gut, wir hatten Schneewetter in Aegypten.«

»War denn diese Abendunterhaltung so außerordentlich gefährlicher Art?« fragte wißbegierig der Gesandtschafts-Secretär.

»Das gerade nicht. Es kamen nur einige Nationaltänze, die für europäische, namentlich für englische Begriffe nicht ganz in den Gränzen des Schicklichen und Erlaubten zu bleiben schienen, z. B. der Bienentanz.«

»Ei der Tausend!« sagte der Hausherr. »Wir wollen wissen, was der Bienentanz ist.«

»Der Bienentanz ist meistens das Finale einer solchen Abendunterhaltung. Als das Schönste in den Augen der Orientalen wird er zuletzt dargestellt. Ihr habt von diesen arabischen Tänzerinnen schon gehört? – Es sind junge Mädchen von ungefähr vierzehn bis achtzehn Jahren, von äußerst elastischem, schlankem und schönem Körperbau. Ihr Teint ist für Aegypten ziemlich hell, ungefähr wie der der Sicilianerinnen. Sie tragen weite, weiße oder blauseidene, mit Gold und Silber gestickte Beinkleider, welche aber im Gegensatze zu denen der anderen Orientalinnen unten nicht zusammen geschnürt sind, vielmehr frei um die sehr kleinen und zierlichen Füßchen flattern. Den Oberkörper bedeckt das bekannte, in unzählige Falten gelegte gelbe, seidene Hemd, über welches eine Art Weste oder Mieder kommt, das sehr tief ausgeschnitten und meistens von violetter Farbe ist, auf der Brust bis zu den Hüften herunter mit goldenen Troddeln und Quasten besetzt. Ein rothseidener Gürtel, sehr knapp und tief um die Hüften gelegt, verbindet Hemd und Mieder; als Oberkleid tragen sie ein Jäckchen von rother Seide mit Silberstickereien und weiten weißen Aermeln. Diese fallen über die Finger herab, ohne am Handgelenke befestigt zu sein, weshalb sie beim Aufheben der Hände herab flattern und sehr wohlgeformte Arme zeigen, an welchen goldene und silberne Spangen glänzen.«

»Nach deiner Beschreibung,« meinte der Diplomat, »kann ich es den beiden Damen nun gerade nicht übel nehmen, wenn sie diese Abendunterhaltung nicht für sehr passend hielten.«

»Still! Hören wir weiter über den Bienentanz.«

»Ah, die Sache ist an sich sehr einfach, sieht sich aber recht gut an. Eine Tänzerin beginnt den Tanz, dann folgen die anderen. Die Grundidee dieses eigenthümlichen Pas ist eine Biene, die summend ins Zimmer geflogen kommt und plötzlich sich in die Kleider einer der Tänzerinnen verkriecht. Sie erschrickt, wendet sich schlangenartig umher, um zu erfahren, wo das Thierchen verborgen ist. Jetzt entdeckt sie es unter ihrem Halse. Hurtig wirft sie ihr Jäckchen herunter, sie hofft die Biene darin gefangen zu haben. – Aber umsonst! Dieselbe ist weiter hinabgeschlüpft. Jetzt folgt auch das Mieder in der gleichen Absicht. – Abermals vergebens! – So untersucht sie weiter und damit ist die ganze Geschichte beendigt.«

»Ich werde mich nächstens nach Kairo versetzen lassen,« sagte der junge Diplomat nachdenkend.

»Wie ich euch also erzählt,« fuhr der Baron fort, »so hatte der Neffe einiges über diesen Bienentanz bei dem Onkel fallen lassen. Der alte Sir hatte sich unsäglich darüber ergötzt, und um unsere Stellung gegenüber seinen Töchtern unbewußter Weise noch viel schwieriger zu machen, neckte er uns täglich mit diesem Vorfalle. So oft wir bei Tisch waren, summte er wie eine Biene und versicherte lachend, man könne sich vor diesen Insekten gar nicht mehr sicher stellen. Im Grunde bedauerte er sehr, diese Phantasie nicht auch mitgemacht zu haben.

»Endlich verließen wir Kairo und schifften uns in Boulak an Bord eines Nildampfbootes nach Alexandria ein. Es war das eine entzückende Fahrt, namentlich die Nächte prächtig und schön. Aus der erstickenden Gluth der Straßen von Kairo schwammen wir jetzt auf dem kühlen Wasser dahin; ein erfrischender Nachtwind kam uns entgegen, mit Wohlgerüchen durchdrungen; wir hauchten ihn gierig ein. Unter uns hatten wir den breiten, majestätischen Spiegel des Nils, diese glatte, glänzende Wasserfläche; über uns den ewig klaren Himmel, wie er namentlich Abends bei Sonnenuntergang in einer unbeschreiblichen Gluth und Pracht strahlte. Dazu die für uns Europäer so fremdartigen Ufer, die lichten Palmenwälder auf denselben, und unter ihnen die so sonderbar geformten ägyptischen Dörfer, ruhig wiederkäuende Kameele, nachdenkend in den Flußspiegel niederschauend, schwere Büffel, welche die Hitze ins Wasser getrieben, und von denen man nur den breiten Rücken und den riesigen Kopf sah, der sich verwundert erhob und ein dumpfes Brüllen ertönen ließ, wenn wir vorüber rauschten; dazu Hunderte phantastisch weißgekleideter Menschen, die ans Ufer liefen, wenn wir uns demselben etwas näherten, um das seltsame Feuerschiff und die sich drehenden Wasserräder anzuschauen; dann die üppig grünenden Felder; alles das machte auf uns einen unbeschreiblichen Eindruck, namentlich aber die Landschaft selbst in der Stille der Nacht. Man fühlte sich in die Jugend zurück versetzt, man träumte wieder wie damals nach dem Lesen der Tausend und Einen Nacht. So aufgeregt, vor uns die Heimat, welcher wir entgegen eilten, an unserer Seite schöne, liebenswürdige Wesen, deren Herzen wir gewonnen – es war wahrhaftig verzeihlich, wenn auch sehr unklug, daß wir unsere Vorsicht bei Seite ließen und in Folge hiervon durch den alten General ertappt wurden. »Wie weit diese Ertappung vor sich ging, kann ich nicht genau sagen. Hatte er gesehen, wie ich beim Scheine des Mondes Miß Theresen feurig die Hand küßte, oder hatte er bemerkt, wie der Major mit Ellen sehr vertraulich am Steuerruder saß? Wir hatten ihn nicht bemerkt, und er mußte das Verdeck betreten und wieder verlassen haben, schleichend und vorsichtig, wie er es vielleicht von den indischen Kriegen her gewohnt war. Auch bin ich überzeugt, daß uns der Vetter bei dieser Veranlassung irgend einen Liebesdienst erzeigt hatte. Dem sei nun, wie ihm wolle, verrathen waren wir einmal und bemerkten das sogleich am andern Morgen, wo uns der alte General erschien wie Jemand, der sich alle Gewalt anthat, um nicht wenigstens den Versuch zu machen, uns Beide in den Nil zu werfen. Was uns sehr überraschte, war, daß trotzdem keine heftige Erklärung folgte. Wir werden sehen, daß Sir Robert als ein kluger General manövrirte. Von Alexandria abreisen mußte er; ein großer Theil seines Gepäcks und seiner Dienerschaft befand sich bereits auf dem Schiffe; auch hatte er in Malta Geschäfte, weßhalb es ihm unmöglich war, über Triest oder Konstantinopel zu gehen.

»Er bezwang sich gegen uns auf eine unbegreifliche Weise. Den ersten Tag stolzierte er freilich beständig allein auf dem Verdeck umher, die Hände auf dem Rücken, ohne uns eines Blickes zu würdigen, und schnaubte dabei stärker als die Dampfmaschine. Aber schon Abends beim Diner fing er an aufzuthauen, trank sein Glas Wein mit uns, ja, er trieb seine Heuchelei so weit, daß er schon am andern Morgen die alte Summserei wegen des Bienentanzes wieder anfing. Er hatte offenbar seinen Entschluß gefaßt. Und daß derselbe nicht günstig für unsere Wünsche war, entnahmen wir daraus, daß die beiden Damen nur in seiner oder des Neffen Begleitung auf dem Verdeck erschienen. Endlich erreichten wir Adfeh und bald danach auf dem Mahmudikanal Alexandria. Es war Freitag, das Dampfboot nach Europa ging am Sonntag früh ab.

»Der alte General,« erzählte der Baron weiter, »forderte uns auf, mit ihm in demselben Gasthofe zu wohnen, was wir auf das Bereitwilligste thaten. Unterweges, vom Hafen in die Stadt, plauderten wir natürlicher Weise mit den jungen Damen; doch blieb uns Sir Robert immer zur Seite, und einmal, als ich ihn sehr plötzlich ansah, bemerkte ich, daß er ein Gesicht gegen mich machte, bei dem mir unwillkührlich ein Tiger einfiel, der seine gewisse Beute mit eingezogenen Krallen streichelt. Den Teufel auch! dachte ich; wir sind nicht in Indien! – Seine Töchter behandelte er ziemlich barsch und rauh, und auch sonst machte sich seine Heftigkeit wieder unerträglich breit. Dabei war es weder mir noch dem Major möglich, ihn durch ein lustiges Wort zu besänftigen. Wir hatten alle Gewalt über ihn verloren, und deß freute sich der röthliche Gentleman auf's sichtbarlichste.

»Samstag früh erhielten wir eine Einladung zum Diner bei Sir Robert. Das Diner war auf vier Uhr bestimmt, um sechs Uhr mußten wir an Bord. ›Meine Herren,‹ sagte er, als die Suppe kam, mit strahlendem Gesicht und triumphierender Miene, ›noch einmal wollen wir so recht angenehm zu Mittag speisen. Morgen kommt vielleicht die Seekrankheit, wir haben vier Tage nach Malta.‹ – Das Diner war vortrefflich, die Weine ausgezeichnet, und zuletzt thaten wir noch einen Abschiedstrunk aus dem Flaschenkeller Sir Robert's, um von hier morgen Abschied zu nehmen und frei der Heimat zuzusteuern. Dann gingen wir auf unsere Zimmer und ließen unser Gepäck abgehen.

»Ich weiß nicht, mir war ganz sonderbar zu Muthe. Ich hatte doch nur sehr wenig Bordeaux und Champagner zu mir genommen, und doch stieg mir das Blut so in den Kopf, alles drehte sich mit mir dergestalt herum, daß ich mich oftmals an einem Tische oder an einem Stuhle halten mußte. Der Major, der eine ungleich stärkere Konstitution besitzt, sah furchtbar blaß aus und spürte eine sonderbare Bewegung in der Gegend des Magens. Wir sahen uns achselzuckend an; aber es war keine Zeit zu verlieren, um lange darüber zu sprechen, wir mußten an Bord.

»Obgleich wir uns vorgenommen hatten, bis ans Meer zu Fuß zu gehen, sahen wir uns doch genöthigt, einen Wagen zu nehmen. Der alte General war schon voraus, und als wir an den Einschiffungsplatz kamen, kletterte er gerade die Fallraffstreppe hinauf und verschwand hinter der Brustwehr des hohen Schiffes. Wir stiegen ins Boot und fühlten uns im stärksten Stadium der Seekrankheit. Als ich die steile Treppe hinan stieg, lief mir ein kalter Schweiß über das Gesicht, mein Haar klebte mir auf die Stirn. Dem Major war es ebenfalls hundeübel; nur befand er sich immer einige Grade besser als ich. Unsere Bedienten, die uns droben erwarteten, erschracken über unseren Anblick; doch glaubten die guten Seelen, es sei der erste Anfall der Seekrankheit, und stauten uns so schnell wie möglich in tie für uns bereit stehende Kajüte hinab. Da warfen wir uns auf die beiden Betten – der Major lag oben, ich unten. So elend wir waren, so tauschten wir doch einige Bemerkungen über unseren Zustand aus, und das Resultat unserer Betrachtungen, das wir uns, aber von der Unmöglichkeit desselben überzeugt, lachend mittheilten, war – Sir Robert habe uns auf die liebenswürdigste Art von der Welt vergiftet, um uns so in den Himmel zu befördern, statt in die Arme seiner Töchter.

»Mein Bedienter trat ein und meldete mit betrübtem Gesichte, der Kapitän verlange die beiden Herren zu sehen, die auf der Liste als Baron so und Major so verzeichnet waren. Ich ließ ihm zur Antwort geben, es sei uns unmöglich aufzustehen, wir hofften aber, morgen früh, von der Seefahrt erfrischt, ihm unsere Aufwartung machen zu können.

»Gleich darauf kam der Kapitän selbst herunter, hinter ihm ein kurzer dicker Gentleman mit einer grauen Perrücke und blauer Brille – der Schiffsarzt. Der Kapitän hatte mehrere Papiere in der Hand, las darin und sagt: ›Herr Major von S.‹

»›Hier!‹

»›Herr Baron von A.‹

»›Hier!‹

»›Ich muß die beiden Herren dringend ersuchen, einen Augenblick aufzustehen und mir aufs Verdeck zu folgen.‹

»›Sie sehen aber wohl, Herr Kapitän, daß dies unmöglich ist,‹ antwortete der Major; ›denn wir haben uns niedergelegt, weil wir uns unwohl fühlten.‹

»›Gerade deßhalb muß ich um so mehr darauf bestehen, meine Herren,‹ versetzte der Kapitän. Und der Doktor hob die Stirn empor und drückte seine Brille fester an die Augen.

»›Ah! mein Herr,‹ fuhr der Major heftiger fort, ›ich habe noch nie gehört, daß man Kranke nöthigt, aus ihren Betten aufzustehen! Gestattet Ihr Schiffs-Reglement, Passagiere so zu behandeln?‹

»›Passagiere nicht,‹ entgegnete ruhig der Seeoffizier. ›Aber das Schiff ist noch im Hafen, und die Herren werden mir keine Karten vorzeigen können.‹

»›Weil wir dieselben,‹ mischte ich mich mit sehr schwacher Stimme in das Gespräch, ›wie es immer der Fall ist, hier an Bord zu nehmen beabsichtigten.‹

»›Ich muß bitten!‹ sagte dringender der Kapitän.

»›Was soll das alles heißen?‹ brauste der Major auf.

»›Ereifern Sie sich nicht, meine Herren,‹ versetzte hierauf begütigend der Doktor. ›Der Herr Kapitän ist in seinem vollen Rechte. Das Schiffs-Reglement verbietet uns, Kranke an Bord des Schiffes zu nehmen. Sie werden sich freundlichst erinnern, setzte er stockend hinzu, daß im gegenwärtigen Augenblicke die Pest sehr stark in Alexandria grassirt.‹

»Das war allerdings wahr, und daran sollten wir uns freundlichst erinnern, verlangte das Ungethüm von einem Arzt.

»›He!‹ rief der Major zu mir herab.

»›Hoho!‹ antwortete ich ihm auf Deutsch, ›das sind verfluchte Geschichten!‹

»Dann wandte ich mich an den Kapitän und sagte ihm: ›Beruhigen Sie sich, mein Herr, wir müssen etwas Unverdauliches gespeist haben. Vor zwei Stunden waren wir frisch und gesund.‹

»Die Pest kommt sehr geschwind, mein lieber Herr,‹ bemerkte der verwünschte Doktor. ›Sie überfällt den gesundesten Menschen, vier Stunden nachher ist er todt.‹ – Damit nahm er eine Prise, klopfte ruhig auf den Deckel und bemerkte gegen den Seeoffizier: ›Ich will gerade nicht behaupten, daß sich die Herren in diesem Falle befinden, aber die Sache ist verdächtig.‹

»Ich habe die Seekrankheit!‹ schrie wüthend der Major, ›und will Ihnen das sogleich beweisen.‹ – Dabei langte er nach einem unaussprechlichen Geschirr.

»Der Kapitän zuckte mit den Achseln und entgegnete: ›Die Seekrankheit bekommt Niemand bei spiegelglattem Meer und ohne die geringste Bewegung des Schiffes. – Meine Herren,‹ fügte er bittend hinzu, ›setzen Sie mich in keine unangenehme Lage. Ich bin überzeugt, die vollkommensten Gentlemen vor mir zu haben, der eine Herr ist sogar Offizier; lesen Sie mein Reglement, es befiehlt mit kurzen und klaren Worten, Jeden, der auf den orientalischen Stationen erkrankt das Schiff betritt, ohne Ansehen der Person zurück zu weisen. Wir haben hundert und zwanzig Passagiere an Bord, und ohne an die Gefahr Ihres Zustandes glauben zu wollen, kann ich mich doch der Gefahr nicht aussetzen, die Pest mit mir zu nehmen. Uebrigens steht es Ihnen frei, augenblicklich in Alexandria gegen mich Schritte zu thun. Ich werde doch um einer Laune willen nicht meine Stelle aufs Spiel sehen!‹

»Dagegen ließ sich nun freilich nichts erwidern, und, um mich kurz zu fassen, wir mußten das Schiff verlassen. Man hißte uns sammt unseren Sachen in ein Boot, das noch zufällig da lag, und während wir abstießen, brachten die Matrosen des Dampfbootes den Anker an Bord. Keine Spur irgendwo von dem alten General, von seinen Töchtern, und ich für meine Person war auch viel zu elend, um in dem Augenblicke weiter darüber nachzudenken. Der Major aber kochte vor Wuth. Jetzt probirte der Dampfer seine Räder im Wasser, drehte sich langsam herum und fuhr davon. Als ich ihm betrübt nachblickte, glaubte ich aus einem der Sternfenster etwas Weißes flattern zu sehen, vielleicht Theresens Schnupftuch oder vielleicht auch die weiße Nachtmütze des alten indischen Barbaren.

»Wir fuhren nach Hause, legten uns zu Bette und ließen einen Arzt kommen. Dieser ließ uns sehr viel warmen Chamillenthee trinken, und als darauf etwas Natürliches eintrat, meinte er, wir hätten vielleicht etwas Unverdauliches gegessen oder unvorsichtiger Weise – ein Brechmittel verschluckt.

»Wir Beiden, nämlich der Major und ich, sahen uns erstaunt an, und Jeder suchte in dem Auge des Anderen dessen Gedanken zu lesen. Wir waren darüber einig, daß uns Sir Robert einen schändlichen Streich gespielt. Was sollten wir machen? – darüber wüthen, toben? ihn bei dem Generalkonsul verklagen? – Wozu hätte das führen können? – Wir thaten das Gescheidteste, was wir thun konnten, wir dankten dem Doktor für seine Bemühungen und erklärten ihm, er habe vollkommen Recht, wir müßten aus lauter Unvorsichtigkeit ein Brechmittel verschluckt haben, und dann fingen wir trotz unseres Unglückes nach einigen Minuten an zu lachen, bis uns die Thränen in die Augen traten. So lange die Welt steht, hat ein Papa noch niemals so kräftig und zugleich erfolgreich gegen seine zukünftigen Schwiegersöhne operirt. Er hat uns am Lande zurückgehalten und wenigstens versucht, uns lächerlich zu machen.

»Aber es ist schon spät,« unterbrach sich selbst der Baron, indem er seine Uhr herauszog. »Ich muß wahrhaftig noch irgendwo hin.«

»Aber deine Geschichte ist noch nicht zu Ende?« fragte der Diplomat. »Du hast unsere Neugierde erregt, ohne sie zu befriedigen.«

»Das ist wahr,« bemerkte der Graf. »Wenn du Geschäfte hast, will ich dich nicht abhalten, so leid es mir thut, deine Gesellschaft heute Abend zu verlieren. Aber deine Geschichte kann unmöglich schon beendigt sein. Wir wollen erfahren, wie ihr von Alexandria weggekommen.« »Nicht mehr als billig,« entgegnete der Major, indem er aufstand; »ich stehe morgen nach dem Diner zu Befehl.«

»Ich werde auch kommen,« sagte der Gesandtschafts-Secretär. »Denn wenn man einen kranken Freund hat, so ist es eine herrliche Gelegenheit, von irgend einer langweiligen Soirée wegzubleiben. – Und der Major wird ebenfalls erscheinen?«

»Natürlich,« erwiderte dieser, indem er sich in seinen Fauteuil zurücklehnte, während die anderen Beiden ihre Hüte nahmen. »Wenn es dir übrigens recht ist,« wandte er sich an den Hausherrn, »so beendige ich erst meine Cigarre vor deinem angenehm wärmenden Kamine. Meine Frau erwartet mich nicht so früh –« dabei warf er einen forschenden Blick auf den Grafen, der ihm mit einem freundlichen, ja, herzlichen Miene dankte und darauf die Klingel zog, worauf ein Diener erschien, der den beiden anderen Herren die Thüre zum Vorzimmer öffnete, wo sie ihre Paletots fanden.

»Also bis morgen!« rief der Baron. »So gegen sieben Uhr werde ich erscheinen. – Gute Nacht!«

»Adieu, Baron!« sagten die beiden Herren, die zurück blieben.

Und damit wurde die Thüre des Vorzimmers wieder zugemacht.


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