Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechstes Kapitel.

Welches abermals von dem Geheimnis der Gräfin handelt, und worin schließlich der Erzähler den geneigten Leser verläßt, indem er ihm ein Räthsel aufgibt.

Der Major war unterdessen durch das ihm wohlbekannte Haus gegangen, durch hohe, elegant möblirte Zimmer, in denen Kaminfeuer flackerten und Lichter brannten. – Es war das ein Comfort, auf den der Graf sehr viel hielt – Wärme und Licht, die ein Haus außerordentlich wohnlich machen. Der Major wußte genau den Salon, den er suchte, zu finden, und als er an die Thür desselben gelangte, öffnete ihm die Kammerfrau geräuschlos und ließ ihn eintreten.

Dieses Gemach war mehr ein kleines, zierliches Boudoir und mit außerordentlichem Geschmack, mit großer Eleganz eingerichtet. Man sah hier die schaffende Hand, die jedem Möbel, jedem Gemälde, jeder kleinen Bronze-Statuette ihren Platz anwies, die verständig in Auswahl der hier stehenden Pflanzen war, die ihre Blumentische aufs reizendste selbst arrangirte. Dicke Teppiche bedeckten den Boden, lange, schwere Vorhänge verbargen die kalten, dunkeln Fensterscheiben, und das ganze kleine Gemach war von einem süßen, aber unbestimmten Wohlgeruche durchweht.

Die Gräfin saß in einem kleinen, sehr niedrigen Fauteuil in der Kaminecke und hatte einen Schirm von bunten Federn in der Hand, den sie zuweilen zwischen sich und die lodernden Flammen hielt, mit dem sie aber auch hier und da ihr Gesicht fächelte.

Daß die Gräfin nicht aufstand und ihrem Freunde wie sonst entgegen sprang, befremdete den Major einiger Maßen. Doch rief sie ihm ein Willkommen zu, so herzlich wohl klingend wie früher, nur nicht so freudig.

Der Major setzte sich ihr gegenüber, und da sie in diesem Augenblicke gerade ihr Gesicht fächelte, so war es ihm deßhalb unmöglich, ihre Züge zu betrachten. Aber die Stimme, mit der sie auf sein Befragen nach ihrem Befinden antwortete: O, sehr gut, wie immer! zitterte ein klein wenig.

Hier hat sich doch Einiges verändert, dachte der Major und sprach von seiner Zurückkunft, von seinem neuen Hauswesen und von seiner Frau, die sich sehr darauf freue, die Gräfin häufig zu sehen.

»Ich hoffe, wir werden gute Freundinnen,« antwortete die junge Dame. »Es wäre mir so recht angenehm, Jemanden zu finden, eine junge Frau namentlich, mit der ich sehr, sehr bekannt würde.«

»Ellen wird sich darüber unendlich freuen,« erwiderte der Major. »Doch Ihnen, beste Gräfin, fehlt es wahrhaftig nicht an Bekannten, ja, ich möchte sagen, Freundinnen.«

»In Ihrem Sinne nicht,« entgegnete sie, »aber in meinem wohl. Ein junges Mädchen, das heirathet, tritt aus dem Kreise ihrer Bekannten in einen ganz neuen ein, wo sie sich ebenfalls fremd fühlt. Für meinen bisherigen Umgang, die jungen, lachenden Fräulein, bin ich auf einmal eine gesetzte Frau geworden; die wirklich gesetzten Frauen dagegen schauen mich noch immer an wie einen kleinen Eindringling, zählen mich noch immer zu der jungen lustigen Welt, der ich bis jetzt angehörte.«

»Aber, Gräfin, Sie gehören auch noch immer zu dieser jungen, lustigen Welt.«

»Ach nein!« sagte sie, halb traurig lächelnd, während sie ihren Fächer sinken ließ und so dem Major zum ersten Male den vollen Anblick ihrer Züge gönnte.

Sie hatte sich wirklich verändert. Das mußte sich der Major gestehen, nachdem er einen langen Blick auf sie geworfen. Ihr Gesicht, obgleich zierlich und voll wie immer, sah ermattet aus. Ihre Züge waren bleich, und ihr Blick war schwimmend, als sammelten sich in Einem fort Thränen in ihren großen blauen Augen. Dabei zuckten zuweilen ihre Lippen, was sie früher nie gethan.

Die Gräfin bemerkte den forschenden Blick des Majors und sagte: »Warum sehen Sie mich so an, lieber Freund? Finden Sie mich verändert?«

»Ich kann es nicht läugnen – ein wenig.«

»Ha!« entgegnete sie, und eine plötzliche Röthe überflog ihr Gesicht; »wenn Sie es also gern läugnen möchten, so muß mein Aussehen nicht vortheilhaft sein.«

»Ich meine, Sie seien ein wenig blaß. Oder thut es der Schein der Lichter?«

»Ich glaube nicht,« antwortete sie, und der Federschirm in ihrer Hand zitterte. »Ich meine wirklich, ich sehe in der letzten Zeit etwas blaß aus.«

»Verzeihen sie die Frage eines alten Freundes, Gräfin Marie,« sagte ernst der Major: »Fehlt Ihnen etwas? Haben sie einen kleinen Kummer?«

»Auch Sie fragen mich das?« antwortete sie vorwurfsvoll und hob ihren Fächer vor das Gesicht.

»Auch ich? – Und wer sonst?«

»Nun – Ferdinand!«

»Ah, Ferdinand? Richtig, ich erinnere mich, er sprach mir davon, mein liebes Kind sei ein wenig leidend. Aber er konnte mir keine Ursache angeben. Hat er Sie nicht oftmals selbst gefragt?«

»O, sehr oft! zu oft!« entgegnete sie unruhig. »Aber ...«

»Aber?«

»Aber – ich sagte ihm, was ich auch Ihnen sagen muß: mir fehlt nichts, durchaus nichts. Ich bin glücklich, ganz glücklich, oh, so sehr glücklich!« Dabei füllten sich ihre Augen mit Thränen. »Verzeihen Sie, Marie!« sprach ernst der Major, »Sie wissen, welchen Freund Sie an mir haben. Sie haben mich oft um Rath gefragt, und mein Rath war, glaube ich, nie schlecht für Sie. Nun denken Sie daran. Fragen Sie mich auch heute um Rath!«

»Oh!« machte die junge Frau und hob ihren Fächer dicht vor das Gesicht.

Man wußte nicht, lächelte sie hinter demselben, oder flossen ihre Thränen. Doch rasch faßte sie sich, warf ihren Fächer auf den Boden und reichte dem Major ihre beiden Hände, die er zutraulich und freundlich faßte.

»Nicht wahr, bester Major,« sagte sie, »Sie haben mich schon als kleines Kind gekannt. Sie wissen, wie ich Ihnen beständig zugethan war, wie ich nie ein Geheimniß vor Ihnen hatte. Glauben Sie denn, ich habe mich geändert, können Sie denken, wenn ich Sie um einen Rath zu fragen hätte, ich würde es nicht unaufgefordert thun?«

»Hm!« machte der Major nach einer Pause, während er beruhigt in dieses offene, ehrliche Auge sah. »Ja, ich glaube es Ihnen, Gräfin. Ich danke Ihnen für dieses Wort; und da Sie mir meine alten Rechte als Ihr Rathgeber wieder einräumen, so erlaube ich mir, Ihnen auch einen Rath zu geben.«

»Darauf bin ich begierig und schon im Voraus dankbar!«

»Eine goldene Regel, die namentlich in der Ehe von außerordentlicher Wichtigkeit ist.«

»Nun?«

»Wenn Sie glücklich sind, so müssen Sie es auch zu sein scheinen.«

»Und scheine ich nicht glücklich?«

»Nein, Gräfin.«

»Wer sagt das?«

»Zuerst ich,« antwortete der Major, »als ich – in Ihr so liebes, freundliches Gesicht sah; vorher aber schon sprach mir Ferdinand darüber.« »Ferdinand?« rief die junge Frau mit schmerzlichem Ausdrucke.

»Ja, Ferdinand; und es hat ihn sehr betrübt.«

Sie hatte ihre kleinen Hände vor sich auf der Brust gefaltet und schaute dem Major forschend und ängstlich in die Augen. »Ferdinand hat mich bei Ihnen verklagt?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Gewiß nicht verklagt!« antwortete der Major. »Aber Ferdinand, der kein Geheimniß vor mir hat, sagte mir, Sie haben sich gegen ihn verändert, Sie seien stiller geworden, gedankenvoll, ja, Sie vermieden seine Gesellschaft, kurz, Sie hatten ein Geheimniß vor ihm.«

Die junge Frau war in ihren Fauteuil zurückgesunken, drückte beide Hände vor ihr Gesicht und verharrte in dieser Stellung mehrere Secunden.

»Sie können Ferdinand darüber keinen Vorwurf machen,« fuhr der Major fort. »Sie wissen, Marie, wie unendlich er Sie liebt, wie Sie ihm Alles sind.«

»Ja, er liebt mich!« rief sie freudig. »Aber liebe ich ihn denn minder?«

»Das glaube ich gewiß nicht,« antwortete rasch der Major. »Aber wozu etwas Geheimnißvolles zwischen euch? Er klagt mir. Sie meiden seine Gesellschaft, Sie fahren sehr häufig zu Ihrer Mutter, Sie diniren dort und lassen ihn allein, ihn, der Sie so sehr liebt und der im Augenblicke krank ist.«

»Ach, das ist wahr!« rief sie mit kindlich bewegter Stimme. »Ach, das ist nur zu gewiß wahr! Ich habe Unrecht gehabt!«

»Und ein Geheimniß vor ihm?« fragte lächelnd der Major.

»Vielleicht!« sagte sie stockend und roth werdend. »Aber es sollte ihm kein Geheimniß bleiben – gewiß nicht!« setzte sie süß lächelnd hinzu. Dann sprach sie mit kaum vernehmbarer Stimme: Und es wird ihn gewiß recht glücklich machen.«

Dem Major kam plötzlich ein Gedanke; er faßte an seine Stirn, er strich mit der Hand über seinen langen Schnurrbart hinab, und wir müssen gestehen, daß er in diesem Augenblicke dieser jungen Frau gegenüber, einem wahren Kinde, ziemlich albern drein schaute. Ja, er beugte sich zu dem flammenden Kaminfeuer hinab, er warf die Kohlen durch einander, um eine kleine Röthe zu verbergen. Dann veränderte er das Gespräch gewaltsam, ohne aber, wie ein kluger Feldherr, der seines Feindes sicher sein will, das Terrain zu verlassen. »Wissen Sie auch,« sagte er nach einer Pause, »daß ich Sie schon vor einigen Tagen gesehen, flüchtig, wie ein Schatten?«

»Mich? – Und wo das?« fragte erstaunt die Gräfin.

»Schloßstraße Nr. 120,« entgegnete so unbefangen als möglich der Major. »Ihr Wagen hielt vor dem Hause Ihres Arztes.«

»Ah!« machte die Gräfin überrascht. Doch faßte sie sich schnell wieder und antwortete: »Ja, ich war da.«

»Ich konnte mir das denken,« versetzte ruhig der Major. »Hier sehen Sie den Arzt freilich jeden Tag, aber nur in Gegenwart Ferdinands. Sie aber wollten ihn allein sprechen, um ...«

»Um?« fragte erschrocken und hoch erröthend die Gräfin, während sie ihre Hand fest in den weichen Sammt des Fauteuils drückte.

»Nun, um ihn zu fragen – ob die Verwundung Ferdinands etwas Gefährliches habe.«

»Richtig, Sie haben es errathen!« sagte aufathmend die junge Dame. Sie reichte ihrem Freunde die Hand und setzte hinzu: »Ihnen entgeht nichts, Major.«

»In der That nichts, liebe Gräfin.«

In diesem Augenblicke hörte man vor der Thüre eine kleine Bewegung.

Rasch erhob sich der Major. »Es ist Ferdinand,« sagte er. »Erlauben Sie mir, beste Gräfin, daß ich mich bei Ihnen verabschiede und ihm entgegen gehe. Wir hatten drüben auf Ihre Gesellschaft gehofft; aber es ist schon spät. Ich will mich mit meinen Freunden nach Hause begeben. Aber Eines versprechen Sie mir, Ihrem besten Freunde, Ihrem langjährigen Bekannten – Ihrem Erzieher, setze ich stolz hinzu: Haben Sie keine Geheimnisse mehr vor Ihrem Manne!« Damit faßte er eine ihrer Hände und drückte einen freundlichen Kuß darauf.

»Gewiß nicht,« erwiderte die Gräfin und setzte stockend hinzu: »Und wenn ich ja eines habe, so will ich es Ferdinand mittheilen.«

Draußen vor der Thüre traf der Major seinen Freund, der im Begriffe war, in das Boudoir seiner Frau zu treten. Er zog ihn zurück in eine Fenstervertiefung des Vorzimmers, sah ihm lachend in die Augen und sagte: »Thu mir den Gefallen und nenne mich einen Esel!«

»Warum das?« fragte der Graf erstaunt und mit ernster Miene.

»Damit ich auch dir diese Benennung geben darf. Lieber Freund, wir waren Beide im Begriffe, uns vor unseren Frauen lächerlich zu machen.«

»Ah!« machte der Graf, immer mehr erstaunt.

»Glücklicher Weise habe ich Ellen noch nichts von dem Geheimnisse der Gräfin mitgetheilt. Geh hinein, sie wird es dir anvertrauen.«

»Und hat sie dir davon gesprochen?«

»Gott bewahre! Das ist eine Sache, die den Ehemann zuerst angeht.«

Das Gesicht des Grafen überflog eine plötzliche Röthe. Sein Auge glänzte, er drückte seinem Freunde die Hand und rief aus: »Verstehe ich dich recht?«

»Vielleicht kann ich mich irren,« entgegnete der Major, »was ich aber kaum glaube. Wenn ich mich aber nicht irre, so bitte ich mir aus, daß du meiner gedenkst. Meine Vornamen sind: Maximilian Paul Julius Karl. Ich meine, hier hättest du eine schöne Auswahl.« Damit eilte er lachend von dannen und suchte seine Freunde auf, um mit ihnen nach Hause zu gehen.

Der Graf ging bewegt in das Zimmer seiner Frau. Als er eine kurze Zeit lang mit der jungen Gräfin gesprochen, mußte er sich gestehen, daß es in dieser Welt doch recht süße und liebenswürdige Geheimnisse gäbe.

Reise-Abenteuer.


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