Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Drittes Kapitel.

Von einem deutschen Gasthofe, inclusive seiner Leiden und Freuden.

Wenn man in früheren Zeiten vom Eilwagen gestiegen war und seinen Effekten, die auf den rüstigen Schultern eines Postsubalternbeamten ruhten, vorausschlenderte, und so das Hotel erreichte, welches man zu beglücken gedacht, so sah man vielleicht einen Kellner am Thore lehnen, die Nase des Portiers aus seiner Loge hervorragen, und bemerkte den Lohnbedienten, der, nach herrschaftlichen Wagen ausspähend, an der Ecke stand. Aber alle drei bekümmerten sich nicht sonderlich viel um den mit Staub bedeckten, zu Fuß ankommenden Passagier. »Höchstens etwas für den vierten Stock!« dachte der Kellner! »kein Trinkgeld!« seufzte der Portier, und der Lohnbediente klagte in seinem Herzen: »wenn der die Merkwürdigkeiten der Stadt anschaut, so fragt er lieber an jeder Straßenecke zehnmal, ehe er mir etwas zu verdienen gibt!«

Und gemäß dieser kühlen Ansichten war denn auch der Empfang des Gastes. Der Kellner, ohne seine Stellung am Thore zu verändern, besah dich von oben bis unten, meinte: es sei Alles zu sehr überfüllt, und murmelte etwas von einem kleinen Zimmer im fünften Stock, hinten heraus, mit der Aussicht auf die Brandmauer des Nachbars. – Du wünschtest ein Zimmer im zweiten oder dritten Stock, – der Kellner lächelt mitleidig und zuckt die Achsel, die Nase des Portier verschwindet indignirt: denn er selbst ist nicht im Stande zu begreifen, wie Jemand, der zu Fuß ankommt, und vorderhand noch gar kein Gepäck bei sich hat, in den zweiten und dritten Stock verlangen kann. Du miethest also das Zimmer mit der Brandmaueraussicht, der Kellner zieht schläfrig die Glocke und überliefert dich einem Collegen, der vor dir die Treppe hinaufeilt. Im zweiten und dritten Stock siehst du genug Zimmer leer stehen ... »Könnte ich nicht vielleicht hier ein Zimmer haben?«– »Sind für russische, englische, französische Herrschaften bestimmt!« Da ist keine Gnade, du kommst doch unter das Dach und der Postbeamte, der endlich nachkeucht, verlangt das Doppelte, da er so hoch steigen muß.

Das ist nun heutzutage, Dank sei es den Eisenbahnen und Dampfschiffen, ganz anders geworden. Der Standpunkt der Reisenden ist vollkommen verrückt worden, und demnach haben auch die Ansichten des Kellners, Portiers und Lohnbedienten eine Veränderung erlitten. Die vornehmsten Leute kommen zu Fuß von der Eisenbahn, ohne Gepäck, und die Reise-Equipage des bestaubten Mannes, der auf das Hotel zueilt, steht vielleicht noch draußen auf dem Waggon. Der Portier reißt an der großen Glocke, daß es durch alle Stockwerke schallt, der Oberkellner stürzt an sein Bureau, die Feder hinterm Ohr, streicht sich durch das Haar und zupft die Halsbinde in die Höhe. Ihm folgt eine ganze Schaar vom zweiten, dritten und vierten, von Salon- und Zimmerkellnern. Es präsentirt sich der Lohnbediente mit einem freundlichen Gesicht, der Hausknecht macht eine kühne Bewegung mit seiner Bürste, aber Alle bleiben ehrfurchtsvoll hinter dem Oberkellner, der nun händereibend auf dich zutritt, dich süß anlächelt, oder auch wohl lispelnd seine Freude ausdrückt, daß du das Hotel, in welchem du niemals warst, abermals mit deiner Gegenwart beehrst. Der Empfang ist so herzlich, Alle sehen aus, als haben sie eigentlich nur auf dich gewartet, als sei blos dir zu Ehren die Treppe mit Blumen garnirt und mit Teppichen belegt. Der Oberkellner sagt: »die Dienerschaft des Herrn – – kommt wohl nach?« Er hat augenscheinlich sagen wollen: des Herrn Grafen oder des Herrn Baron, aber er ehrt dein Incognito. – »Ich habe keine Dienerschaft, ich bin allein.« – Der Oberkellner hustet. Allein! und sämmtliche Kellner räuspern sich gelinde. »Für den ersten Stock muß ich bedauern!« sagt er alsdann, »aber vielleicht ein hübsches Appartement im zweiten oder dritten?« – »Mir ist ein kleines bescheidenes Zimmer im dritten Stock schon recht!« – Der Oberkellner zupft abermals seine Halsbinde, aber mit einer ganz anderen Miene. »Ein kleines Zimmer im dritten!« sagt er alsdann, worauf der Portier plötzlich in seiner Loge verschwindet und der Lohnbediente angelegentlich die Landkarten an den Wänden betrachtet, der Hausknecht pfeifend in den Hof geht, und die meisten Kellner voll Abscheu verschwinden. Der Oberkellner allein, der Würde des Hauses bewußt, steht groß und erhaben vor dir. »Nummer 124!« bemerkt er würdevoll, und diese schwere Zahl klingt wie ein Verdammungsurtheil. »Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht.«

Darauf macht er dir eine sehr leichte Verbeugung, und der Zimmerkellner klettert mit dir von Stockwerk zu Stockwerk, bei Blumen und Teppichen und Bronze-Candelabern, Springbrunnen und lakirten Thüren vorbei, immer höher und höher. Zuerst bleiben die Springbrunnen hinter dir, die Bronze-Candelaber verwandeln sich in einfache Gaslichter, die Teppiche der Treppe in harmlose Strohmatten, die Blumen endlich in ein melancholisches halbverwelktes Bouquet an der Treppe des zweiten Stocks und auch die lakirten Thüren, die dir bis in den dritten Stock treu geblieben sind, verschwinden ebenfalls in einer noch höheren Region. Du wandelst über unendliche Korridors, zwei Treppen hinab, eine hinauf, du siehst mehrere Thüren mit O bemalt, oder zur Abwechslung mit »içi.« Du stehst vor Nummer 124. – ein schlechtes, miserables Zimmer, mit einem Bette für einen Zwerg eingerichtet, die alten wackeligen Stühle dagegen breit und hoch wie für eine Riesenfamilie.

Aber warum in diesem elenden Zimmer verweilen? Freilich wenn du als schüchterner Neuling in das Gasthofleben trittst, so folgst du, ein wehrloses Lamm, dem Zimmerkellner zur Schlachtbank auf Numero 124.; bleibst du aber plötzlich auf der Treppe zum dritten Stock stehen, siehst hier deinen Führer ernst und würdevoll an und sagst ihm: »Lieber Freund, Sie sind gewaltig im Irrthum, wenn Sie sich einbilden, ich sei in ihren Gasthof gekommen, um unter das Dach logirt zu werden. Ich bitte« – dies »bitte« spreche man sehr scharf und bestimmt aus – »um ein gutes Zimmer im zweiten Stock, oder im anderen Fall um den Befehl, meine Sachen drunten zu lassen!« so kannst du versichert sein, daß er eilig hinab zum Oberkellner springt, um dich, wenn wirklich kein Platz ist, ziehen zu lassen, oder auf ein anständiges Zimmer im zweiten Stock unterzubringen. Deine Fenster, sie gehen sogar auf die Straße, dein Zimmer ist nicht groß, aber der Boden ist mit Teppichen belegt, Bett, Sopha und die übrigen Möbel sind gut, und du fängst ganz behaglich an, deine nun endlich nachgekommenen Sachen auszupacken, denn bald kommt die Zeit der table d'hôte, wo du anständig zu erscheinen hast, erstens, weil alle Welt dort anständig erscheint, und zweitens, da besonders du, der sich ein Zimmer im zweiten Stock gewaltsam errungen, der Zielpunkt sämmtlicher Kellnerblicke sein wirst und du dir deßhalb keine Blöße geben darfst. Tritt würdevoll aber höflich in den Saal, ersuche den Kellner freundlichst, dich nicht in die Nähe einer offenstehenden Thüre zu placiren, da du am Rheuma leidest, und doch nicht zu weit von den täglichen vornehmen Gästen der table d'hôte entfernt, da du Bekannte unter ihnen zu finden hoffest. Aber um Alles in der Welt keine Vertraulichkeit mit dem Personal, ja nicht einmal mit dem Oberkellner! Erinnere dich ja nicht, denselben anderswo gesehen zu haben, nimm fremd und förmlich deinen Platz ein, trink einige Tropfen des sauren Tischweins, und bitte alsdann den Kellner, wenn er gerade in deine Nähe kommt, auf die freundlichste Art und flüsternd um die Weinkarte. Rufe um Gotteswillen ja nicht laut darnach, überhaupt verhalte dich still, ruhig, feierlich, auch mit deinen Nachbarn, und wenn du alsdann bemerkst, daß die Kellner dich mit einer gewissen Hochachtung, ja Ehrfurcht ansehen, bedienen, so kannst du dir schon am Ende der Tafel erlauben, einen derselben höflichst und im Geheimen um etwas Mundwasser zu bitten. Dieses ist ein Hauptcoup und gut ausgeführt, vollkommen im Stande, deinem aristokratischen Air die Krone auszusetzen.

Erst Abends kommst du nun endlich dazu, von deinem Zimmer förmlich Besitz zu nehmen, dich in deinen vier Pfählen gehörig umzusehen. Du warst den Tag über in der Stadt, Abends im Theater; du liegst behaglich im Sopha, der Kellner hat deine beiden Stearinlichter angezündet, Stearinlichter, in neuerer Zeit ein Surrogat für Bougis auf der Rechnung, wo die Wachskerzen in ihrem mit Ausnahme alten Namen und Preise prangen.

Draußen auf den Treppen des Gasthofs läuft es auf und ab, klirren Schlüssel, klappern Teller, rufen die Kellner einander zu, und unten herauf läutet die große Glocke, hie und da fährt ein Wagen an und davon, kurz, es ist ein immerwährender Spektakel. Auch zu beiden Seiten deines Zimmers lacht und flüstert es – wer mögen deine Nachbarn sein? – Es ist eilf Uhr und sie sind schon vor dir nach Hause gekommen, denn als du bei den langen Zimmerreihen vorbei kamst, sahst du an jeder Thüre irgend eine Art Fußbekleidung stehen, hier Stiefel, da Halbschuhe, an jener Seite schwere Reiseschuhe, dort leichte Brodequins – wer mag nun neben dir wohnen? Du warst leichtsinnig genug, an der andern Seite der Thüre die Schuhe oder was sonst dastand, nicht in's Auge zu fassen. Ist's eine Dame, ist's ein Herr? – ist's Beides? Aber was es auch sein mag, Lust zum Schlafengehen haben deine Nachbarn noch nicht, der Eine pfeift: »Als ich jüngst die Normandie verlassen,« der Andere spricht, wahrscheinlich mit sich selbst, von der Stelle: »wo die letzten Häuser standen.« Dazwischen aber kichert und lacht es und man müßte offenbar blödsinnig sein, wenn man so mit sich selbst kichern und lachen wollte. Wenn man nur wüßte, ob das eine Dame wäre! Aber man kann in der That nichts deutlich hören, denn der links, offenbar ein Herr mit einer Baßstimme, hört nicht auf, die Normandie zu verlassen. –Ein unerträglicher Narr! Du hast lesen wollen, aber das geht nicht. Jetzt kichert es rechts wieder so fein und lustig. – Wenn ich nur wüßte, ob das eine Dame wäre! Es könnte auch ein ganz junger Mensch sein, der auf so weibische Art lacht. – Doch – was geht's dich eigentlich an? – Nun ja – freilich – gar nichts! – Das ist schon richtig; und doch spazierst du mit großen Schritten auf und ab und schielst nach der Thüre rechts. Der Nachbar links hat endlich die Normandie glücklich hinter sich und ist plötzlich ganz still geworden. Ist er vielleicht schon zu Bett oder – beobachtet er dich vielleicht durch irgend ein geheimes Loch in der Thüre? – Dergleichen Löcher sind auf beiden Seiten genug vorhanden, wie du vorhin entdecktest, große und kleine, mit Holz verstopft und mit Papier. Auch haben die Schlüssellöcher keine Klappen.

Behutsam näherst du dich demselben auf der linken Seite, doch wie du dein Auge davor bringst, fährst du plötzlich zurück, denn auch von drüben ist das Schlüsselloch durch ein anderes Auge bedeckt, welches gespensterhaft in deines blickt. Indignirt über diesen naseweisen Nachbar drehst du einen Zipfel des Handtuchs in das Schlüsselloch, und der da drüben macht es gerade so, untersuchst auch alle Löcher in dieser Thüre und dein Nachbar thut das Gleiche. – Jetzt bist du von der linken Seite sicher und du kannst beruhigt zur Untersuchung schreiten, wer da drüben beständig so lustig kichert. Eine passende Oeffnung ist bald gefunden, du steigst auf einen Stuhl und schaust hindurch. Was Teufel! Das Wesen in dem Zimmer nebenan befindet sich in jenem Zustande, wo es von seinen Kleidungsstücken zu viel und zu wenig abgelegt hat, um mit Bestimmtheit sagen zu können, welchem Geschlecht es angehört und ist merkwürdiger Weise so interessant beschäftigt, wie du selber. Ei, ei, diese Neugierde! –

Wenn ich nur wüßte, ob es eine Dame ist!


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