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Das Rosenthal

W Was dem Wiener der Prater, dem Berliner der Tiergarten, dem Dresdener der Große Garten, das war dem Leipziger von jeher das Rosenthal: die Stätte seiner Erholung und eine unerschöpfliche Quelle des Naturgenusses. Ja, in dieser letzten Eigenschaft übertrifft es sogar die zum Teil größeren und prächtigeren öffentlichen Lustgärten anderer Städte um ein Erhebliches, denn es ist, trotz der Nähe der stark bevölkerten Großstadt, bis auf den heutigen Tag ein Stück unverfälschter deutscher Waldnatur geblieben, in das menschliche Kunst nur so weit eingegriffen hat, als nötig war, um jederzeit gangbare Wege zu schaffen. Über den Namen »Rosenthal« ist seit langem viel gespottet worden, und wenn wir auch zugeben müssen, daß er nach heutigem Sprachgebrauche in keinem seiner beiden Teile treffend gewählt zu sein scheint, so ist die wahrscheinlich bis in die heidnischen Zeiten zurückreichende und mit irgend einem alten Kult in Verbindung stehende Bezeichnung doch schon so lange in Gebrauch, daß wir sie eben ihres Alters wegen ehren und heute noch gelten lassen wollen.

Man hat die landschaftliche Umgebung unserer Stadt wegen des völligen Mangels an nennenswerten Bodenerhebungen und großen Wasserflächen reizlos genannt. Ob mit Recht oder Unrecht, darüber ließe sich streiten. Es ist ein unleugbares Verdienst der neueren Landschaftskunst, unser Auge für die intimen Schönheiten eines kleinen Naturausschnittes, etwa einer Baumgruppe, einer von Obstbäumen umstandenen Hütte, eines wogenden Kornfeldes oder einer von Herbstnebeln umsponnenen Wiese, geschärft zu haben. Und an solchen oder ähnlichen Motiven ist das Leipziger Rosenthal überreich, wie schön ist zum Beispiel gleich der erste Blick vom Eingange nach dem Teiche hin! Das saftige Wiesengrün im Vordergrunde, das Strauchwerk und die beiden wetterzerzausten Pappeln am Ufer des Weihers und der sich in die Ferne verlierende, in bläuliche Töne verschwimmende Waldrand!

Zu jeder Stunde, zu jeder Jahreszeit bietet dieser Waldstreif auf der rechten Seite der großen Wiese dem Beschauer neue Bilder. Zu Beginn des Jahres scheint es eine hohe graubraune Wand zu sein, die sich ohne Gliederung, ohne Einbuchtungen oder Vorsprünge schnurgrade dahinzieht. Wenn dann der Frühling kommt, lösen sich von dieser düsteren Mauer allmählich deutlich erkennbare Einzelheiten ab, zuerst zeigt sich ein grüner Schimmer am Unterholz, dann umkleidet sich das feine Geäst der Birken mit jungem Laub, dann folgen die Ulmen mit ihren gelblichbraunen Blütenbüscheln, und so geht es fort, bis nur noch die alten Eichen ihre knorrigen Äste unbelaubt zum Himmel recken. Im Sommer gehen die feineren Nuancen nach und nach in ein sattes Grün über, aber die vollbelaubten Baumkronen und Sträucher wirken dann im Wechsel von Licht und Schatten wie körperhafte Massen, die bald vorspringen, bald zurücktreten und unter denen wiederum nur die spärlich belaubten Eichen die kräftige Struktur ihres Astwerkes erkennen lassen. Besonders schön heben sich gegen den grünen Hintergrund einzelne leuchtend weiße Birkenstämme ab. Am prächtigsten präsentieren sich jedoch die Waldkulissen, wenn der Herbst als Regisseur oder Dekorationsmaler in ihnen waltet. Er verschmäht keinen Bühneneffekt, er spart keine Farbe seiner Palette und gleichsam, als wollte er den Zuschauern Gelegenheit bieten, seine Leistungen mit denen seines Vorgängers zu vergleichen, verschont er einzelne Bäume und Sträucher mit seinem Pinsel, so daß sie noch wochenlang in sommerlichem Grün mitten unter ihren gelben und roten Gefährten stehen, bis die erste Frostnacht sie dann plötzlich ihres Blätterschmuckes entkleidet.

Handelt es sich hier um die Gesamtwirkung einer größeren Gehölzpartie, so verdienen einzelne kleinere Baumgruppen wegen ihrer landschaftlich äußerst fein abgestimmten Zusammensetzung nicht minder hervorgehoben zu werden. Namentlich auf der rechten Seite der großen Wiese, auf den Wegen zwischen dem Teiche und dem Fechnerdenkmale, findet der aufmerksame Naturfreund so viele wirklich malerische Szenerien und Durchblicke, daß es schwer halten würde, sie alle aufzuzählen. Jedem regelmäßigen Besucher des Rosenthales bekannt und lieb ist die prächtige Baumgruppe am Ende der großen Wiese. Sie bildet ein Wäldchen für sich, das ebenso sehr durch den Laubschmuck wie durch die Schönheit der schlankgewachsenen Stämme und der tiefhinabhängenden Äste das Auge auf sich lenkt. Wir kommen auf diese Gruppe weiter unten noch zurück.

Völlig anderer Art sind die landschaftlichen Vorzüge des »wilden« Rosenthales. Fernsichten dürfen wir hier nicht suchen. Dafür gibt es hier lauschige Waldwinkel, wohin am hellsten Sommertage kaum ein Sonnenstrahl fällt, wo auf feuchtem Grunde üppige Farne sprießen und wo im Mai die typische Pflanze des Rosenthals, der vielgeschmähte Knoblauch, seinen weißen Blütenteppich ausbreitet. Der Duft dieser Pflanze ist freilich nicht nach jedermanns Geschmack, dafür entschädigt sie uns aber durch das frische Grün ihrer Blätter und die reizenden, zu Dolden vereinigten Blumensterne. hoffen wir, daß aus dem Vernichtungskampfe, den man gegen die armen Pflänzchen heraufbeschworen hat, wenigstens einige Exemplare unversehrt hervorgehen, damit dem Botaniker einer späteren Zeit die zierliche Liliacee nicht fehle, die, ursprünglich ein Kind des Südens und durch irgend einen Zufall dem Gehege des Küchengartens entronnen, zwischen Pleiße und Elster eine zweite Heimat gefunden hat!

Berühmt ist der Reichtum des Rosenthals an schönen, Jahrhunderte alten Eichen. Sie geben dem Walde ein gewisses vornehmes Gepräge, etwa wie einem Patrizierhause die durch Geschlechter hindurch vererbten Stücke des Hausrates jenen aristokratischen Charakter verleihen, den keine modische Eleganz und Pracht zu ersetzen vermag. Wie Könige ragen die ehrwürdigen Baumriesen über ihre Nachbarschaft empor, umgeben von einem Hofstaate schlanker Buchen und umdrängt von dem Volke der Sträucher und Stauden, und wie ein König über seine Garden Parade abnimmt, so läßt die allgemein bekannte stattliche Eiche am Wege nach Möckern die Fichtenkolonne an sich vorüberziehen.

Wem das Wasser als das unentbehrliche Element eines Landschaftsbildes erscheint, auch der findet im Rosenthal seine Rechnung. Die Windungen der Elster bis zum Amelungswehr und darüber hinaus bis zur Marienbrücke bieten einen malerischen Ausblick nach dem anderen. Hier gesellen sich zu den vielen Einzelheiten der echten Waldlandschaft die Motive des rauschenden, schaumbedeckten Wassers, hoher, gestrüppbewachsener und von der Hochflut zerklüfteter Ufer, knorriger Weiden und endlich, kurz vor der genannten Brücke, eine fast niederländische Fernsicht über Wiesen, Äcker und Pappelreihen bis auf die Dörfer an der alten Straße nach Halle.

Was neben den landschaftlichen und forstlichen Schönheiten unseres Rosenthales jedem Naturfreunde zur Freude gereichen muß, ist die äußerst reiche Fauna des ausgedehnten Waldgebietes. Der mannigfache Baumbestand, die Verbindung von Hochwald und Unterholz, Wiesen und Wasser gewähren dem Wilde und namentlich der Vogelwelt die günstigsten Existenzbedingungen, die durch den ununterbrochenen Verkehr nicht im geringsten beeinträchtigt zu werden scheinen. Das Schwarzwild, das noch im achtzehnten Jahrhundert die Spaziergänger gelegentlich erschreckte, ist freilich längst verschwunden, aber noch heute können wir wenige Schritte abseits vom Wege einen Sprung Rehe äsen und ohne Furcht nach dem ruhigen Beobachter hinüberäugen sehen. Freund Lampe und sein kleiner Vetter, das wilde Kaninchen, fehlen ebenfalls nicht, und wenn uns das Glück günstig ist, so sehen wir auf dem Wasser, namentlich zur Winterszeit, Stock- und Krikenten. Von kleinerem Raubzeug haben wir Igel, Wiesel, Iltis und Baummarder bemerkt und im letzten Winter nach der Fährte auch einmal Meister Reineke angesprochen, der aber wohl nur aus dem Leutzscher Gehölz herüberwechseln dürfte. Von der Menge der Eichhörnchen, dieser zierlichen Äffchen des deutschen Waldes, erhält man am besten einen Begriff, wenn man an einem milden Winter- oder Vorfrühlingsmorgen sein Augenmerk auf die Kronen der alten Eichen richtet. Dann sieht man die niedlichen Tierchen sich sonnen oder von den Winternestern zu ihrer Vorratskammer in irgend einem Rindenspalt oder Astloche hinabsteigen und geschickt von Ast zu Ast voltigieren, wobei der federartige Schweif als Steuer und Stütze dienen muß.

Es ist erstaunlich, wie viele Vögel unser Rosenthal trotz all der Eichhörnchen beherbergt. Hier horsten Mäusebussard, Turmfalk, Finkensperber, Waldohreule und Waldkauz, hier nistet die Holz- oder Ringeltaube und der Pirol; überall vernimmt man das Hämmern der Grün-, Schwarz- und Buntspechte; geschäftig läuft der Kleiber am Stamme auf und nieder, und sogar der Kuckuck scheint hier sein scheues Wesen abgelegt zu haben und sich nichts daraus zu machen, wenn ihn ein profanes Menschenauge einmal aufs Korn nimmt. Von den Nachtigallen, die hier an stillen Sommerabenden ihre Koloratur-Arien zum Besten geben, werden die Leipziger Liebespärchen zu erzählen wissen, und von der Menge der Finken, Ammern und Meisen können wir uns selbst überzeugen, wenn wir im Winter die Futterplätze besuchen. Wie schön ist es, wenn dann durch das schneebedeckte Astwerk ein Flug lebhaft gefärbter Dompfaffen mit monotonem Lockruf dahinstreicht und zierliche Schwanzmeisen und Goldhähnchen, die Kolibris unserer Wälder, durch die kahlen Sträucher schlüpfen! Der aufmerksame Naturfreund, und mag er noch so oft das Rosenthal durchwandern, wird bei jedem Spaziergange etwas neues wahrnehmen.

Aber auch der Historiker und Literaturfreund bewegt sich hier auf einem interessanten Gebiete. Gustav Wustmann darf das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, durch sein prächtiges Buch »Aus Leipzigs Vergangenheit« (Leipzig, Fr. W. Grünow, 1885) endlich Licht in die Geschichte des Rosenthals gebracht und auf Grund eines reichen Aktenmaterials die bemerkenswertesten Daten und Tatsachen zusammengestellt zu haben. Wir verweisen hier ausdrücklich auf Wustmann's Arbeit und beschränken uns darauf, in knappen Zügen das Allgemein-Interessante daraus hervorzuheben.

In früheren Zeiten erstreckte sich der Wald etwa bis zur heutigen Rosenthalbrücke. (Er war Eigentum des Landesherrn, der ihn von einem Förster, dem »Rosenthäler« bewirtschaften ließ. Das Forsthaus stand etwa in der Mitte der heutigen Rosenthalgasse. Urkundlich erwähnt wird der Wald, » quae vulgariter Rosintayl nuncupatur«, zuerst im Jahre 1318. Damals belehnte Markgraf Friedrich den Bürger Johann von Mockau mit einem Teile des Gebietes. 1519 erhielt der Bürger Hermann von Freiburg ein anderes Stück zu Lehen. Gebahnte Wege waren zu jener Zeit natürlich noch nicht vorhanden, doch führte, vermutlich an der Stelle des jetzigen Dammweges, ein Pfad nach Gohlis, der von Bürgern und Studenten viel benutzt wurde. In einer 1495 bearbeiteten Sammlung akademischer Gesetze wird den Studenten ausdrücklich verboten, im Rosenthal Wild zu hetzen oder sonstigen Unfug zu treiben. Im Jahre 1380 schenkten die Markgrafen Wilhelm, Friedrich und Balthasar den Leipziger Barfüßern, deren Kloster durch Brandschaden gelitten hatte, 36 Acker ihres Holzes im Rosenthal, d. h. sie verschrieben es, da die Barfüßer als Franziskaner kein Eigentum besitzen durften, formell den Klarissinnen zu Seuselitz, die es den Mönchen zur Nutznießung überlassen mußten, wobei diese die Verpflichtung hatten, alljährlich vier Messen für die Stifter zu lesen. Als 1458 eine strengere Observanz des Ordens eingeführt wurde, kamen den Mönchen wegen ihres Besitzes Bedenken, und so verschrieb Kurfürst Friedrich II. das Stück Waldes der Stadt Leipzig, indem er bestimmte, daß die Mönche ihren Bedarf an Holz nach wie vor daraus entnehmen sollten. Bei der Säkularisation der Leipziger Klöster zur Reformationszeit fiel das Gehölz an den Landesherrn zurück, der es wieder mit dem übrigen Waldgebiete vereinigte, dafür aber nach und nach kleinere, an den Flußufern gelegene Parzellen an Private veräußerte. Im Jahre 1588 verlieh Kurfürst Christian I. seinem »Rosenthäler« das Recht, jährlich 40 Faß fremden Bieres einzulegen.

Diese anscheinend so geringfügige Tatsache war der Anfang zu einem 75jährigen Konflikte zwischen dem Rate der Stadt und der Regierung und schließlich die Veranlassung dazu, daß die Stadt das Rosenthal erwarb. Da die Förster es nie bei den erlaubten 40 Faß bewenden ließen, sondern angeblich bis zu 360 Faß bezogen, sah sich der Rat, der seit 1459 die alleinige Schankkonzession für fremdes Bier im Umkreise einer Meile besaß, in seinen Rechten verkürzt und wandte sich, ohne sonderlichen Erfolg, mit immer erneuten Beschwerden nach Dresden. Um für die Zukunft gesichert zu sein, bezahlte er sogar eine Bestätigung seiner alten Gerechtsame mit 12 000 Gulden. Aber auch damit war dem Übelstande nicht abgeholfen und so sah sich der Rat endlich, wenn auch nach langen Erwägungen und mit schwerem Herzen, gezwungen, mit dem Kurfürsten Johann Georg II. in Kaufverhandlungen zu treten. Diese zogen sich durch lange Zeit hin und wurden bald von dieser, bald von jener Seite abgebrochen, bis eine größere Geldverlegenheit des Dresdener Hofes 1663 den endlichen Abschluß des Geschäftes herbeiführte. Der Rat bezahlte für das Rosenthal 15 000 Taler, eine für jene Zeit allgemeinen Notstandes immerhin beträchtliche Summe. Entscheidend für den schwerwiegenden Entschluß war die Erwägung: »es sei nicht undienlich, daß auch auf die Posterität ein Absehen gerichtet und derselben zu allem dankbaren Nachruhm gegen die jetzigen Administratores Ursach gegeben werde«.

Aber die Stadt sollte sich ihres neuen Besitzes nicht allzulange ungestört erfreuen. Seit dem Jahre 1694 hatte August der Starke ein Auge auf den schönen Stadtwald geworfen und suchte ihn in der Folge auf jede Weise an sich zu bringen. Er focht den Kaufbrief an und verlangte, allerdings vergeblich, die Nachzahlung von 500 Gulden als Entschädigung für die der Regierung entzogenen, von einigen Wiesenbesitzern an den Rat gezahlten Kapitalzinsen. Eine angedrohte Exekution gelangte nicht zur Ausführung, und im Jahre 1702 gab die Regierung endlich nach, wohl mit Rücksicht auf die von der Stadt auf fünf Jahre im voraus bezahlte Zollpacht. Im Jahre 1707 äußerte der König den Wunsch, das Rosenthal zu kaufen, und ließ das Gebiet in aller Stille ausmessen, fand aber beim Rate kein Entgegenkommen, da dieser das Kaufgebot »um den Kredit der Stadt nicht zu schwächen« rundweg ablehnte, sich jedoch bereit erklärte, »mit Durchhauen und sonstigen allem ersinnlichen Vorschub zu tun«, wenn der König »zu Dero höchstem Plaisier eine Allee oder dergleichen etwas« anlegen wolle.

Nach erneuter Anfechtung des Kaufbriefes kam es endlich zur Einigung. August der Starke verlangte den Durchschlag von 13 Schneißen, die strahlenförmig von einem Punkte am Ende der großen Wiese ausgehen und ebenso viele Prospekte auf schöne Örtlichkeiten der Umgegend bieten sollten, ferner die Anlage eines hohen lebenden »Spaliers« um die vordere Wiese. Die Schneißen wurden 1708 wirklich geschlagen und ihrer sieben mit dem Durchblick auf den Kuhturm, die Lindenauer Kirche, die Leutzscher Kirche, den Kirchturm von Wahren, die Ziegelei von Möckern, das Gohliser Schloß und Eutritzsch haben sich bis heute erhalten. Aus einem von Wustmann im Ratsarchiv entdeckten Situationsplane geht hervor, was der König mit dieser Anlage bezweckte. Er hatte die Absicht, sich dort, wo jetzt die erwähnte schöne Baumgruppe steht, von der Stadt ein Palais mit einem Garten in französisch-holländischem Geschmack, mit Teppichbeeten, Laubgängen, Pavillons und Wasserkünsten bauen zu lassen, stieß aber auch jetzt wieder beim Rate auf entschiedene Ablehnung. Im Jahre 1715 wiederholte er seinen Wunsch in bescheidenerer Form und verlangte ein Haus mit vier Zimmern. Auch gegen dieses Ansinnen wehrte sich der Rat, indem er durch eine schreckliche Schilderung der Lokalverhältnisse Serenissimo das Rosenthal gründlich zu verleiden suchte. Alles, was sich gegen eine solche Anlage einwenden ließ, wurde ins Treffen geführt: die Feuchtigkeit des Bodens, die Überschwemmungsgefahr, das »Fliegen- und Mückengeschmeiß« und endlich sogar die hier hausenden »Räuberrotten«. Das Fehlen des Knoblauchs auf dieser Liste beweist wohl, daß sich diese Pflanze damals noch nicht im Rosenthale breitgemacht hatte. Im Jahre 1717 wurde der König noch anspruchsloser. Er legte dem Rate nahe, an dem bezeichneten Punkte eine Schänke zu bauen, in der ein Zimmer für ihn reserviert bleiben solle. Aber sogar damit hatte er kein Glück, doch verstand man sich endlich dazu, einen hölzernen Turm mit gedeckter Halle zu errichten, von dem der König dann bei jedem Besuche die Reize der dreizehn Prospekte genoß. Nach seinem Tode geriet der Aussichtsturm allmählich in Verfall, feierte jedoch etwa 150 Jahre später an einer anderen Stelle – auf dem Gipfel des Scherbelberges – eine fröhliche Auferstehung.

Mag auch der Plan des lebenslustigen Herrschers und noch mehr die Art und Weise, wie er ihn zu verwirklichen dachte, das Befremden unserer, in solchen Dingen anders denkenden Zeit erregen, so gebührt August dem Starken doch das Verdienst, die Bedeutung des Rosenthals als Lustwald und Erholungsort zuerst erkannt zu haben. Es dauerte freilich lange, bis der Rat der Stadt diese Auffassung teilte. Nachdem er 1776 auf Anregung des als Goethes Gönner bekannten Hofrats Böhme, des Besitzers des Gohliser Schlößchens, einen gebahnten Pfad nach Gohlis angelegt hatte, erteilte er 1782 dem Kaffeeschenker Exter die Konzession zur Errichtung einer Eisbude (»Kalte Madame«) am Eingange des Rosenthals und 1824 dem Schweizer Bäcker Kintschi die Genehmigung zum Bau des »Schweizerhüttchens«. 1835 wurde der erste Weg durch das wilde Rosenthal gebahnt und 1837 der Kunstgärtner Siebeck damit betraut, den Wald in einen Naturpark umzuwandeln. Wir dürfen ihm das Zeugnis ausstellen, daß er diese Aufgabe mit großem Geschmack und unter möglichster Erhaltung der vorhandenen Naturschönheiten gelöst hat.

Im Jahre 1878 gründete ein unternehmender und umsichtiger Privatmann, Ernst Pinkert, in unmittelbarer Nähe der Eisbude (Bonorand) auf dem Areal des alten Hofes Pfaffendorf einen Zoologischen Garten, der sich unter der Leitung seines Besitzers und – nachdem er im Jahre 1898 an eine Aktiengesellschaft übergegangen war – seines Direktors zu einer Musteranstalt entwickelt hat. Die landschaftlich schönen Anlagen mit ihrem reichen Schmuck an alten Eichen und ihren von fremdländischem Wassergeflügel belebten Teichen bergen in Gehegen, Häusern, Zwingern und Käfigen einen reichhaltigen, durch Zucht und Kauf fortwährend anwachsenden Tierbestand. Geradezu weltberühmt ist die Kollektion großer Raubtiere, und die Zahl der im Garten geborenen Löwen würde ausreichen, die nordafrikanischen Küstenländer wieder mit den Königen der Tiere zu bevölkern. Das neue Gesellschaftshaus an der Pfaffendorfer Straße weist den größten und wohl auch schönsten Saal der Stadt auf.

Tierfreunde werden im Zoologischen Garten, der besonders in den Morgenstunden Gelegenheit zu ungestörter Beobachtung bietet, reiche Anregung finden, nicht zum wenigsten, wenn sie ihr Augenmerk auf die im Garten frei umherschweifende Spezies Homo sapiens richten, die sich dadurch auszeichnet, daß sie, trotz ihrer so hoch gerühmten Schulbildung, mit wunderbarer Zähigkeit an den Ammenmärchen von der Furchtbarkeit der Hyänen, Geier und anderer harmloser Aasvertilger festhält, daß sie jedes geweih- oder gehörntragende Tier vom Zwerghirsch bis zum Wapiti als »Reh« anspricht, daß sie im Fischotter einen Seehund sieht und daß sie dem Glauben huldigt, Papierdüten seien für Affen und Kraniche eine verdauliche und bekömmliche Nahrung.

Es bleibt uns nur noch übrig, der Beziehungen zu gedenken, in denen das Rosenthal zu den großen Dichtern und Denkern der Vergangenheit steht. Als erster hat es einer poetischen Verherrlichung Paul Fleming gewürdigt, der von 1628 bis 1653 an unserer Universität studierte. Als nächster berühmter Besucher wäre dann Leibniz zu nennen, dessen Biographen berichten, er habe in den Jahren 1664 bis 1666 ganze Tage im Waldesdunkel damit zugebracht, über die »Versöhnung« des Plato und des Aristoteles nachzusinnen. Der Dichter Johann Christian Günther gedenkt 1718 des Rosenthals in einem Hochzeitscarmen. Allgemein bekannt wurde es jedoch erst 1744 durch Zachariaes »Renommist«, in dem die Aussicht auf »Golitz«, die Dörfer der Umgegend und die Pleißenburg sowie die mit Schnitzwerk verzierten Gondeln auf der Pleiße ausführlich beschrieben wurden. Von Gellert wissen wir, daß er einer besonderen Vergünstigung des Rates das Recht verdankte, im Rosenthal zu reiten, und jeden Morgen auf seinem frommen Schecken mit der blauen Schabracke hier erschien. So sah ihn noch Goethe, der als Student im Rosenthal auf »poetisches Wildpret« ausging, »obgleich zur besten Jahreszeit die Mücken keine zarten Gedanken aufkommen ließen«. Auch Schiller wandelte im Sommer 1785 auf dem Gohliser Pfade dichtend auf und nieder und soll nach einer allerdings angezweifelten Tradition am Ufer der Pleiße das »Lied an die Freude« geschrieben haben. Um die Wende des Jahrhunderts gehörte endlich auch Seume, der »Spaziergänger nach Syrakus«, zu den täglichen Gästen unseres Lustwaldes. Er mag mit einigen Versen, die er gegen die ihm unnötig erscheinenden forstwirtschaftlichen Eingriffe in den Waldbestand richtete, unsern heutigen Spaziergang beschließen:

»Herzlose Männer zerstören den Hain mit wütender Mordaxt,
Und der Schlag hallt von der Entheiligung weit in die Flur fort;
Meine Geliebtesten fallen, die Starken, die Helden des Tales,
Denen das rauschende Laub noch gestern ums männliche Haupt klang.
Haben die Männer des Lindenhains denn Seelen von Eisen?«

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