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Der alte Johannisfriedhof

L Leicht könnte die Zeit kommen, wo es unbedingt notwendig erschiene, den Friedhof wiederum aus der Stadt zu verlegen, wie es 1536 geschah. Dann wird vielleicht das geschäftigte Leben bald auf den Plätzen sich regen, wo wir jetzt zwischen Grüften wandeln und gleich wie einst das Römervolk seine Gräberstraße hatte, so wird auch der künftige Bewohner Leipzigs auf Straßen und freien Plätzen der Stadt seine Blicke den Gedächtnissteinen verdienter Männer zusenden können und sagen: Es waren Denkmale, die einst den Johannisfriedhof und jetzt die Stadt zieren.« Diese am 20. Juni 1836 geschriebenen prophetischen Worte C. C. C. Gretschels, des Historiographen des alten Johannisfriedhofes, sind größtenteils schon in Erfüllung gegangen. Der älteste, um die Johanniskirche liegende Teil der altehrwürdigen Begräbnisstätte ist zu einem öffentlichen Platze umgewandelt worden, der zu den belebtesten Punkten der Stadt gehört. Hier teilt sich der über den Grimmaischen Steinweg hinauswogende Verkehrsstrom in die beiden Arme der Dresdener und der Hospitalstraße und wird überdies an dieser Teilungsstelle von einem zweiten Strome, dem der Quer- und der Nürnbergerstraße, gekreuzt. Ununterbrochen sausen hier die Wagen dreier Linien der elektrischen Straßenbahn vorüber, und zu dem zahlreichen Lastfuhrwerk, das tagaus, tagein den Platz passiert, gesellen sich hunderte von gelben Postwagen und als charakteristisches Merkmal des Verkehrslebens dieser Gegend die Buchhändlerkarren mit ihren Packetkörben aus Weidengeflecht.

Bis zum Jahre 1850 sah es hier völlig anders aus. was heute freier Platz ist, war zu jener Zeit noch die von hohen Mauern umgebene erste und älteste Abteilung des Gottesackers, in deren Mitte sich die Johanniskirche mit ihrem damals noch so schmucklosen Schiff und dem heute noch stehenden hübschen Turm erhob. Etwa da, wo heute Schillings Reformationsdenkmal die Blicke der vorübergehenden auf sich zieht, befand sich der Haupteingang, seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ein einfaches Portal, früher, d. h. vom Jahre 1671 an, ein zu jener Zeit vielbewundertes, von Valentin Silbermann erbautes Tor, das als Hauptschmuck eine höchst realistische Darstellung der Auferstehung der Toten zeigte. Die Umfassungsmauern waren, genau wie bei den später entstandenen Abteilungen des Friedhofes, innen mit »Schwibbogen« versehen, in denen sich die Erbbegräbnisse der vornehmen und wohlhabenden Familien befanden.

Diese Erbbegräbnisse haben ihre Bestimmung, den Angehörigen des Stifters eine gesicherte gemeinsame Ruhestätte zu bieten und ihren Namen auf die Nachwelt zu bringen, schlecht genug erfüllt. Nicht nur, daß sie beim Aussterben eines Geschlechtes in andern Besitz übergingen und dann fast ausnahmslos auch neue Bezeichnungen erhielten: in den meisten Kriegen, die unsere Stadt heimsuchten, mußten die dumpfigen Gewölbe, wie wir später sehen werden, als Unterschlupf für vandalisch hausende fremde Söldnerscharen dienen und schließlich, bei der Beseitigung der ältesten Friedhof-Abteilungen, fielen zugleich mit den Mauern gerade die Erbbegräbnisse der Spitzhacke zuerst zum Opfer, während manche der bescheideneren Grabplatten und Monumente sich bis heute erhalten haben und zum Teil als äußerer Schmuck der vor wenigen Jahren neuerbauten und erweiterten Johanniskirche Verwendung fanden. Dort nehmen sich die verwitterten Steine mit den Bildnissen der ehrenfesten Bürgermeister, Schöffen und Senatoren und ihrer Eheliebsten in den seltsamen Trachten einer vergangenen Zeit recht dekorativ aus. Andere, wie das vom Erbgrafen Leopold zu Lippe-Detmold seinem Lehrer Joh. Wilh. Kersten errichtete Denkmal mit dem schönen Medaillon-Portrait, passen sich dem Stile der Kirche und dem Charakter ihrer Umgebung gar nicht übel an. Kunstwerke sind freilich nicht darunter, und wenn wir berücksichtigen, daß doch gewiß nur die bedeutendsten der alten Grabsteine hier aufgestellt wurden, so wird es uns schwer, die Begeisterung zu verstehen, mit der frühere Generationen von den Monumenten des Johannisfriedhofs reden. So schreibt z. B. Elias Weidemann im Jahre 1647: »Der Gottesacker war mit hohen Mauern, Dächern und Schwibbogen um und um gar zierlich angebauet und mit schönen und herrlichen kostbaren Epitaphien aus Marmorsteinen, Holzwerk und Malwerk, mit biblischen Gemälden, Sprüchen, Figuren, Historien und anderen Gemälden von Bildhauern, Malern und Künstlern herrlich gezieret. Die alten Geschlechter, welche vorlängst abgestorben, die hat man nebst ihren rühmlichen Thaten und Herkommen, nach ihren alten Gebräuchen, Trachten, Kleidungen und andern Monumentis allda finden können. In Summa dieser Leipziger Gottesacker ist so wohl erbauet gewesen, daß wenn fremde Nationen und Völker anhero kommen, sie denselben als ein Wunder angeschauet, und ist dergleichen Gottesacker an Zierrath, Gebäuden und Gemälden im ganzen Römischen Reiche nicht zu finden gewesen.«

Wir stehen nicht an, den Gottesacker oder richtiger: das, was davon übrig geblieben ist, auch heute noch für einen der bemerkenswertesten Deutschlands, ja, nächst dem Nürnberger Johannisfriedhofe, für den interessantesten überhaupt zu halten, aber für uns liegt seine Bedeutung auf einem andern Gebiete. Seine Denkmäler sind, vielleicht mit der einzigen Ausnahme des prächtigen neuen Grassi-Monumentes, mehr als bescheiden, aber viele der Namen, die wir auf den schlichten Steinplatten lesen, sind mit der Geschichte deutscher Wissenschaft, Kunst und Kultur so unzertrennbar verknüpft, daß wir schon deshalb die Nekropolis Alt-Leipzigs mit Ehrfurcht durchwandern. Die Wahrheit des Schiller'schen Wortes: »wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch« wird uns hier eindringlicher als auf den meisten andern Friedhöfen dargetan, und wie der Odem der Unsterblichkeit hier den Moderduft, der solchen Stätten – im figürlichen Sinne – anhaftet, von dannen trägt, so hat auch die gütige Natur mit einer märchenhaft üppigen Vegetation den letzten peinlichen Gedanken an Sterben und Vergehen überwunden. Ein grünender, blühender Garten, der mit seinen Zweigen, Farnwedeln und Ranken die steinernen Blätter einer inhaltreichen Geschichte überspinnt und umkränzt, wo uralte spanische Flieder-Holunder und Crataegus-Büsche sich unter der Last ihrer Blütentrauben und -Dolden beugen, wo die Rosen in ungeahnter Fülle blühen, wo tausend Vögel den Sommer über nisten und von früh bis spät ihre vielstimmigen Symphonien erschallen lasten – das ist der Johannisfriedhof von heute.

Ehe wir einzelne, dem Leipziger besonders teuere Gräber aufsuchen, wollen wir uns die Entstehung und die Geschichte des schönen Gottesackers in knappen Zügen vergegenwärtigen. In der Gegend des heutigen alten Johannishospitals erwarben im Jahre 1278, als der aus dem Orient eingeschleppte Aussatz auch unsere Stadt heimsuchte, die Leipziger Leprosen ein Grundstück von etwa vier Morgen Landes. Zu der kleinen, von ihnen dort gegründeten Kolonie gehörte auch ein Begräbnisplatz, der wahrscheinlich schon früh eine Kapelle, die erste, bereits 1305 urkundlich erwähnte, natürlich sehr bescheidene Johanniskirche erhielt. Bei der großen »Pestilenz« von 1476 verordnete Kurfürst Ernst, daß auf diesen Gottesacker fortan auch die Leichen der in den Vorstädten und Dörfern Gestorbenen bestattet werden sollten. Bis dahin waren diese nämlich innerhalb der Stadtmauern, auf den alten Kirchhöfen der Pauliner-, Nikolai- und Thomaskirche beerdigt worden, und zwar vorzugsweise auf dem der letzteren, die als Hauptpfarre der Stadt für die erste und vornehmste Kirche galt. Da aus den Beerdigungen auf dem Thomaskirchhof dem Probste des Thomasklosters erhebliche Einnahmen erwuchsen, so mußte dieser für den Ausfall an Gebühren entschädigt werden. Er erhielt deshalb außer einer je nach dem Stande und den Mitteln des Toten bemessenen Geldsumme auch die Hälfte des bei dem Begräbnis benutzten Bahrtuches und der Kerzen. Dafür mußte ein Kleriker des Thomasklosters jederzeit in Bereitschaft sein, die geistlichen Funktionen bei den Beerdigungen auszuüben. Im Jahre 1536 wurde diese Weise und zweckmäßige Verfügung von Herzog Georg dahin verschärft und erweitert, daß von nun an auch alle in der Stadt selbst Gestorbenen auf dem Johannisfriedhof bestattet werden mußten, mit alleiniger Ausnahme solcher, die durch ihren geistlichen Stand oder besondere Verdienste ein Anrecht auf eine Gruft innerhalb der Leipziger Pfarrkirchen hatten, oder als »Universitätsverwandte« ein Grab auf dem bis 1790 benutzten, erst 1817 verschwundenen Paulinerkirchhofe vorzogen.

Anfangs, d. h. bis zum Jahre 1580, erstreckte sich der Johannisfriedhof nur bis zum Hospital, an dessen dem Platze zugewandter Seite wir noch heute zwei der ehemaligen »Schwibbogen« erkennen können. Die späteren Erweiterungen sind meist durch Epidemien veranlaßt worden, so die erste, in dein genannten Jahre, durch den damaligen grassierenden »Spanischen Pips«. Sie umfaßte das Gebiet vom alten Zuchthause (dem heutigen Sitz des Vereins für die Geschichte Leipzigs) bis zu der jetzt noch bestehenden Umfassungsmauer beim Volksbrausebade. Hierzu kam dann 1616 als nächstes Stück die Abteilung hinter den Scheunen des Hospitals, an deren Rückwand die heute noch vorhandene »Ratsgruft« erbaut wurde, ferner im Pestjahre 1680 eine dritte, um das Jahr 1800 eine vierte und 1826 die fünfte und letzte. Da eine weitere Vergrößerung aus räumlichen Gründen unmöglich war, wurde 1846 der neue Johannisfriedhof an der nach Thonberg führenden Straße angelegt.

Äußerst merkwürdig ist die Geschichte des alten Gottesackers. Bei ihm trifft Uhland's Wort: »Am Ruheplatz der Toten, da pflegt es still zu sein« nicht zu. Es ist, als hätten auch die Verstorbenen unter den Schicksalen leiden sollen, mit denen beinahe jeder auf deutschem Boden geführte Krieg die lebenden Bewohner Leipzigs bedrohte. Bei der Belagerung unserer Stadt durch den Kurfürsten Johann Friedrich im Jahre 1547 brannten die Belagerten selbst das Johannishospital nieder, um dem Feinde die Gelegenheit zu nehmen, in dem immerhin beträchtlichen Gebäudekomplex festen Fuß zu fassen. Auch die Friedhofmauern sollten rasiert werden, erwiesen sich aber als zu fest. Der Feind bemächtigte sich ihrer und gestaltete die Kirche zu einem Belagerungswerke um, indem er das Dach abdeckte, das Schiff mit Erde anfüllte und auf dieser Bastion drei Geschütze auffuhr. Am ärgsten wüteten im dreißigjährigen Kriege die Schweden, während der Belagerung der Stadt durch General Banér im Jahre 1637 biwakierten dessen Truppen in den Grüften und Gewölben der Erbbegräbnisse, benutzten die Särge als Brennholz, beraubten die Zeichen und zerschlugen Grabplatten und Monumente. Ähnlich trieb es 1642 die Soldateska Torstenson's und 1644 die schwedische Besatzung Leipzigs. Diese hauste dermaßen auf dem Friedhöfe, daß dieser bei ihrem Abzüge einem wüsten Felde glich. Erst im Jahre 1647 stellte der Löwen-Apotheker Elias Weidemann als erster das Erbbegräbnis seiner Familie wieder her, wofür er vom Rate der Stadt mit besonderen Vergünstigungen bedacht wurde. Im siebenjährigen Kriege wurde der Friedhof zwar nicht verwüstet, aber die Zahl der aus den Lazareten eingelieferten Toten war so groß, daß man die Wege aufreißen mußte, um Massengräber zu schaffen, während der Völkerschlacht von 1813 tobte hier ein heftiger Kampf. Die »Schwibbogen« mußten als Aufbewahrungsort für die gefangenen Franzosen dienen, und auch hierbei soll es vorgekommen sein, daß einzelne Särge verbrannt wurden.

Von den Grabstätten bekannter Männer hatte sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in nächster Nähe der Kirche nur eine einzige erhalten. Eine einfache Steinplatte mit kleinem Medaillonbildnis bezeichnete die Stätte, wo Christian Fürchtegott Gellert an der Seite seines Bruders schlummerte. Heute ruhen die Gebeine des frommen Dichters neben denen Johann Sebastian Bachs in der Kirche selbst. Die ehemalige zweite Abteilung des Friedhofs ist in neuerer Zeit zu freundlichen Anlagen umgewandelt worden, doch hat man, um den ernsten Charakter des Ortes zu wahren, einige der alten Denkmäler an ihrem Platze gelassen, unter diesen das von einem Holunderbusche überwölbte malerische Monument des Buchhändlers Crusius und die mehr seltsame, mit Hieroglyphen bedeckte egyptische Grabsäule des Orientalisten Spohn. Dicht an der Hospitalstraße erhebt sich ein Grabstein mit Ornamenten in »einer Art von gotischem Geschmack«, unter dem der 1828 in jugendlichem Alter verstorbene Schauspieler Eduard Stein – mit rechtem Namen Franz Matthias v. Treuenfeld – ruht. Das Grabmal ist wegen der trefflich gewählten, auf den Tod bezüglichen Zitate aus »Hamlet«, der »Braut von Messina«, »Tasso« und Calderons »Leben ein Traum« bemerkenswert. Ganz in der Nähe ragt das prächtige Monument empor, das in allerneuester Zeit dankbare Verehrung der mutigen Verfechterin der Frauen-Emanzipation, Luise Otto-Peters errichtet hat.

Das Verschwinden der meisten älteren Grabsteine in den beiden ersten ehemaligen Friedhofsabteilungen ist kaum zu beklagen. Nach den Beschreibungen der Zeitgenossen scheinen sie teilweise wahre Muster von Geschmacklosigkeit gewesen zu sein. Berüchtigt und als Kennzeichen eines traurigen Krämergeistes angesehen war schon bei früheren Geschlechtern die in Form zweier Folioseiten eines Wechsel-Haupthandelsbuches abgefaßte Grabschrift des Kaufmanns F. A. Blechschmidt. Kann es etwas widerlicheres geben, als einen von Jesus Christus ausgestellten, im echtesten Börsenjargon abgefaßten Solawechselbrief? Und doch gab es eine Zeit, die derartige Albernheiten für geistreich und erbaulich hielt. Blechschmidts Grabstein ist übrigens zufällig bis auf unsere Tage gekommen. Er steht heute vorne rechts an der Kirche hinter dem kleinen Denkmal J. W. Kerstens.

Die schon erwähnte Ratsgruft ist vor allem als Ruhestätte des verdienstvollen Bürgermeisters C. W. Müller, des Schöpfers unserer Promenaden und des Begründers der Gewandhauskonzerte, bemerkenswert. Hier wurde auch der am 27. Oktober 1806 gestorbene erste französische Kommandant Leipzigs, General Macon, bestattet. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich zum ersten Male wieder seit der Reformation die katholische Geistlichkeit im Ornate auf der Straße. Seine Grabschrift: » Son nom est dans les fastes de la gloire, et sa mémoire dans le cœur des habitants de Leipsic« enthält, wenigstens in ihrem zweiten Teile, keine bloße Schmeichelei. Der brave Offizier hatte sein schwieriges Amt mit Humanität und Delikatesse verwaltet. Erwähnt sei, daß auch Poniatowskys Überreste in der Ratsgruft provisorisch beigesetzt wurden.

Zeichnete sich der nun verschwundene älteste Teil unseres Friedhofes durch pomphafte Monumente aus, so trägt der noch vorhandene fast durchgehends den Charakter schlichter Würde und vornehmer Bescheidenheit. Grabhügel, zum Teil mit schmucklosen Steinplatten bedeckt, hie und da von einem eisernen oder hölzernen Gitter umgeben, selten eine Urne oder ein Kreuz – das sind die einzigen Zeichen, die uns verraten, daß wir auf dem Saatfelde des Todes wandeln. Da preist keine bombastische Inschrift die Tugenden des Verstorbenen und seine Verdienste um Mit- und Nachwelt, da klagt kein trostloser Hinterbliebener über den erlittenen unersetzlichen Verlust; hier nennt jeder Stein nur Namen und Geburts- und Todestag des Schläfers unter dem Hügel. Desto reicher hat die Natur die Gräber geschmückt. Es ist, als ob ein milderer Himmel über diesem Garten blaute. Aus dem grünenden und blühenden Chaos heben sich turmhohe Pappeln, die Zypressen des Nordens, empor und weisen gleich Riesenfingern nach jenen Regionen, die sich der Gläubige so gern als die Wohnstätte seiner Toten vorstellt.

Gleich am Eingange, dem Häuschen des Friedhofwächters schräg gegenüber, liegt das einzige architektonisch bemerkenswerte Erbbegräbnis, einst im Besitze der Bernhardtschen, jetzt in dem der Baumgärtnerschen Familie. Es ist genau im Baustile der Leipziger Kaufmannshäuser und »Höfe« des ausgehenden 17. Jahrhunderts gehalten, nur daß sich hier zu den bekannten Motiven des Barock-Ornaments an beiden Seiten des Einganges auch noch ein in Basrelief ausgeführtes Totengebein gesellt, zum Zeichen, daß dies Portal in einen »Hof« führt, aus dem es für den müden Wanderer keinen Ausgang gibt.

In der zweiten der noch bestehenden Friedhofsabteilungen, rechts an der Hospitalstraße, finden wir ein Grab, dessen Anblick jedem Literaturfreunde Erinnerungen an Goethes Leipziger Jahre wachruft, Hier schlummert Anna Katharina Kanne, geb. Schönkopf, das »Kätchen« aus »Dichtung und Wahrheit«. Sie starb am 20. Mai 1810. In neuester Zeit hat die Hand eines Nachkommen auf diese Grabstätte einen ebenfalls durch Goethe berühmt gewordenen Baum gepflanzt, ein Exemplar des im »Westöstlichen Diwan« besungenen Gingko biloba, der als Übergangsglied zwischen Nadelhölzern und Laubbäumen dem Dichter zu denken gab, und in dessen zweilappigen scheinbar miteinander verwachsenen Blättern er ein Symbol der Freundschaft zu erblicken glaubte. Überhaupt werden wir an Goethe auf unserm Friedhofe öfters erinnert. Nicht weit von Kätchens Grab nennt ein einfacher Steinwürfel den Namen Christian Felix Weißes. In seinem bürgerlichen Berufe Kreissteuereinnehmer, gehörte er zu den beliebtesten Dramen- und Lustspieldichtern seiner Zeit, der auch von Goethe »geliebt und geschätzt« wurde. Auch ein Vertrauter aus des Altmeisters Spätzeit ruht auf dem Johannisfriedhofe: Wilhelm Gerhard, der Dichter vielgesungener Volkslieder und feinsinnige Übersetzer aus dem Serbischen. Und wie viele Namen lesen wir noch, die auf den Titelblättern zierlicher Oktavbändchen oder gewichtiger Folianten durch die ganze Welt gewandert sind, Namen von Schriftstellern, Gelehrten und Buchhändlern! Wie viele dieser Namen gehören freilich Männern an, über deren Lebenswerk die Zeit dahingestürmt ist, und deren Bücher heute ebenso vergessen sind wie sie selbst! Wenn auch am Johannistage keine Menschenhand mehr ihre Schlummerstätte schmückt: der Frühling vergißt sie darum nicht. Alljährlich bekränzt er auch ihre Gräber mit frischem Grün und bunten Blumen. Ja, uns will es scheinen, als ob auf den Hügeln der Vergessenen die Rosen noch üppiger blühten und die Amseln ihr Lied noch fröhlicher sängen, als auf den Grabstätten, denen die Sorgfalt der Hinterbliebenen Pflege und Säuberung angedeihen läßt!

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