Karl Gutzkow
Briefe eines Narren an eine Närrin
Karl Gutzkow

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Zwei und zwanzigster Brief

Solche Melodien haben die Karthaunen noch nie gespielt. Heut' ist der erste Tag angebrochen, da sich die Deutschen frei nennen dürfen, Ursache genug zur Freude, da dieser ersehnte Tag nicht der jüngste ist. Vor Jahren glaubten wir noch, nur die Todten dürften ohne Ketten durch das Schattenreich wandeln.

Palmen und grüne Zweige auf allen Wegen, bunte Fahnenwimpel flatternd in der Luft, schwellende Segel auf den blauen Strömen und Gesang aus allen Kehlen. Das entzückte Volk strömt durch die Gassen, hier und da vor den gebrochenen Zwing-Uris den Fuß inne haltend und die Steine bewundernd, in denen einst ihre Hoffnungen bei Wasser und Brod siechen mußten. Freunde, die sich nur des Nachts beim Mondenschein auf den stillen Plätzen begegnet waren, weil sie ihren Schmerz nur den plätschernden Brunnen und dem leisen Nocturnus anvertrauen durften, sinken sich in die Arme, von jubelnden Scharen umringt. Väter heben ihre Kinder hoch über die Menge, und lehren sie, welchen Tag sie heut erlebt hätten.

Warum schleichst Du mir so leise nach? Was birgst Du dort in den Falten Deines Gewandes? Diese Bürgerkrone willst Du mir geben? Zerr' mich nicht auf die Rostra, Du ungestümes Weib! Diesen Ort hab' ich nie betreten wollen.

Wär' es nur dies, daß ich in der Versammlung ein kühnes Wort spräche, und zum Troste und Rathe redete, warum nicht? meine Zunge ist ein zweischneidig Schwert, und ich opfre der Freiheit gern. Aber Du willst mehr, willst mich auf einen Schild und die Schultern des Volkes, die mich tragen sollen, heben, willst mich mit einer Krone zieren und zu einem Manne des Volks machen. Dazu fehlt mir Alles.

Die Geschichte ist reich an Beispielen, da Männer Könige waren, ohne das Scepter zu führen, Archonten, ohne daß das Jahr nach ihnen benannt wurde, Consuln ohne Lictoren, die ihnen vorangingen. Ebenso saßen Fürsten auf den Thronen, die die Menge noch öfter in ihren Hütten sah und jeder glückliche Vater als Pathe seines Erstgebornen einlud. Um ein Mann des Volks zu werden, durfte man nur zu ihm herabsteigen, befehlen, indem man zu gehorchen schien, und einen Rock tragen, den man sich leicht von dem Geringsten unter der Menge auch hätte borgen können. Aber so schön es ist, an den Fingern einen Ring zu tragen, den uns das Volk am Tage der Verlobung schenkte, so schnell verlischt sein Glanz, oder er wird täglich größer und weiter, daß er uns zuletzt von den Fingern gleitet. Nimm eine simple Weltgeschichte, und wenn es die simpelste von allen, die von Pölitz ist, zur Hand, und lies über die Helden, die einst Männer des Volkes genannt und überall von einem Triumphwagen gezogen wurden, dem sich das Volk selbst vorspannte. In einer Nacht war der Triumphbogen aufgerichtet, in der nächsten stand er schon nicht mehr.

Wie Perikles ein Mann des Volkes war, so möcht' ich keiner sein. Die Menge liebt' ihn nicht einmal aufrichtig. Diejenigen, die unter dem Volke ein Schiff im Hafen hatten, oder ihre Sclaven in der Fabrik brauchten, oder mit Gewürz und Colonialwaaren handelten, die Aristokratie der Ruhe- und Friedliebenden haßte ihn, weil sich die Beiträge zum Kriege gegen Sparta täglich mehrten, und die Wege ihres Verkehrs verschlossen wurden. Wenn es auch Augenblicke der Noth gab, wie in der Pest, wo Aller Augen auf ihn sahen, so mußt' er sich doch oft selbst auf dem Markte vertheidigen, und es gelang nur dem Zauber seiner Rede, nicht immer seinen Beweisen, daß er sich die verlornen Herzen wieder gewann.

Alexander wurde nur von Soldaten geliebt, und Cäsar möcht' ich nie sein, weil ich gern bei Philippi gegen ihn gefochten hätte, und die Liebe des Volkes verschmähe, wenn ich sie mir mit vertheilter Beute und hundert Sestertien auf jeden Bettler erkaufen kann.

Auch an Karls des Großen Ruhm beim Volke glaub' ich nicht, weil das Volk weder wiederum jene Bettler sind, die an der Thür des Aachener Doms auf seine spendende Hand warteten, noch jene Ritter, die ihn in ihre Tafelrunde einführten. Man verfolge die ganze Reihe der römischen Kaiser, von Augustus bis Franzerl, man wird Keinen finden, dem jedes Herz im tiers état offen gestanden hätte, und wenn es hier und da, bei dem es sich der Mühe verlohnte, ihn zu beneiden. Die schwäbischen Bauern zerstörten den Stammsitz der Hohenstauffen, die für sie gekämpft hatten; und wie viele Wegelagerer aufgehängt wurden, die Habsburger sind mir immer zuwider gewesen.

Friedrich der Große wird zwar selbst in Spanien vom Volke auf die Bühne gebracht, und jeder Bauer in Deutschland klebt sein wasserfarbnes Conterfei an die braune Stubenthür, aber wie sehr ich ihn als Doctrinär verehre, und für die demagogischen Gesinnungen, die sich bei ihm überall finden, empfänglich bin, so hör' ich doch immer mit Unwillen, daß man ihn einen Mann des Volkes nennt. Er hat es verkannt. Ich weiß wohl, daß das große Niveau zügellos in seinen Leidenschaften, in Liebe und Haß ist, ja daß es selbst patriotische Absichten falsch auslegt. Karl III. von Spanien, ein Fürst, von dem die Geschichte meldet, daß er ein sehr geschickter Drechsler gewesen ist, wollte sich um Madrid verdient machen, und er konnte nichts Besseres thun, als von den Straßen den berühmten Madrider Koth kehren lassen. Was thaten aber die Einwohner? Sie schrien und beklagten sich, man wolle sie in ihrer Nationalität verletzen. Solche Eigenthümlichkeiten, wie die Liebe zum Schmutz, hat allerdings das Volk, aber ein Feind der Gerechtigkeit ist es nie gewesen. Das läugnete Friedrich; denn er sagte: »Das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengesetztes Ungeheuer, das stürmisch von einem Verbrechen zum andern übergeht, und nach seiner Laune beliebig bald die Tugend, bald das Laster in Schutz nimmt.« Und dennoch soll der große König ein Mann des Volkes bleiben? Für diesen Ausspruch verdient er, daß man ihn an seinem Zopfe heraus zieht aus dem Gedächtniß des Landmanns und Bürgers, und die Invaliden, die auf dem platten Lande mit Mäusefallen und Anekdoten vom siebenjährigen Kriege hausiren gehen, aus dem Lande jagt.

In neuerer Zeit sind drei Männer zu der Ehre gekommen, Männer des Volkes zu sein, der alte Nettelbeck in Colberg, Napoleon und Lafayette. Den ersten haben die undankbaren Patrioten bald wieder vergessen, und Napoleon, wie sehr er die staunende Bewunderung der Fremden und die entzückte Liebe der Franzosen sich zugewandt hatte, konnte auf die Zukunft doch nur in ein Pantheon großer Männer gestellt werden, die Herzen der Völker mußt' er schon früh räumen. Ich glaube nicht, daß er in Frankreich noch so populär ist, wie es manche alte Militärs wohl wünschen möchten. Auf Lafayette's Ruhm wird Niemand eifersüchtig sein, der Robespierre verehrt und weiß, daß er von ihm sagte, des Herrn Marquis La Fayette ganzes Talent bestände in der Fähigkeit, ein gewisses sanftes Lächeln zu erkünsteln, und daß ihn die Jacobiner den Helden vom weißen Pferde nannten.

So weit wir gegenwärtig in Deutschland gekommen sind, kann man behaupten, daß von Seiten des Volks es eben sowohl an der Begeisterung fehle, die einem Einzelnen allein könnte zugewandt werden, als auch daß Keiner unserer Köpfe die Fähigkeit zu haben scheint, jene für sich zu erregen. Die politische Regsamkeit ist noch nicht bis auf jene Classen gedrungen, die sich durch Nichts, als durch ihre Kleider und selbst durch diese nicht einmal unterscheiden, wo der Vater wie der Sohn, dieser wie sein Schwager, und Jeder wie sein Nachbar denkt. Noch steht die Liebe zur Freiheit auf einer Stufe, wo die Verschiedenartigkeit der Bildung das Recht, auf die kleinlichsten Dinge trotzige Ansprüche machen zu dürfen, behauptet. Die Wege, auf denen wir zur Einsicht in den Lauf der Zeiten gekommen sind, sind bei Wenigen dieselben gewesen. Der Eine las zufällig eine Ode von Klopstock, aber er schlug den Tacitus auf, dem Andern mißfiel es, daß er nicht rauchen dürfe, wo er wolle, einem Dritten bekommt die Königin zu viel Kinder, nur Wenige sind, die die Tyrannen hassen und die Steuern nicht lieben.

Es ist wünschenswerth, daß es vor dem Anbruch der Revolution zu großen Versammlungen komme, in denen sich die Bedürfnisse auch in der Art, wie sie sich am Verständlichsten gegen Jeden aussprechen lassen, zu erkennen geben müßten, worüber in einem Weinhause oder in den Spalten eines Zeitblatts immer nur sehr unvollkommen geurtheilt werden kann. Das Talent der populären Rede, das in einer Ständeversammlung oder selbst in einem patriotischen Vereine nie rechte Nahrung finden kann, bildet sich unter dem freien Himmel, in einem Thale, dessen Terrassen rings von Tausenden besetzt sind, allein sicher und fest aus. Man lernt dadurch eben so sehr die allgemeine Stimmung des Augenblicks zu der seinen machen, als sie benutzen, um die nöthigen Zwecke zu erreichen.

Ich höre, daß in Deutschland hier und da ähnliche Versammlungen zusammengetreten sind, daß sich aber selbst hier die den Deutschen angeborne Aristokratie, und wenn es zuletzt nur die des Magens sein sollte, nicht verläugnen konnte. Es soll Volksredner geben, die mit Weib und Kind im Lande herumziehen, und in den Orten, wo sie nach solchen Festen zurückkehren, die Stimmung des Volks und die gute Zubereitung der Speisen, die sie angetroffen, nicht genug loben können. Außerdem klagen die Gemäßigten über die ungewöhnlich kühne Sprache, denen manche Redner dem Volke und den Fürsten gegenüber sich bei solchen Gelegenheiten bedienen, als wenn man eine Ausflucht von 15 Stunden machen würde, um sich sagen zu lassen, die Mäßigung sei in allen Dingen gut! Die Adressen, die Pocale, die Versammlungen sind offenbar vortreffliche Mittel, seine Wünsche und Neigungen an den hellsten Tag zu legen, nur seh' ich es schon kommen, daß selbst in diesen Aeußerungen die Deutschen anfangen werden, sich gegenseitig an Gesetzmäßigkeit übertreffen zu wollen, daß sie in der Mäßigung sich unter einander den Rang ablaufen werden. Den Volksversammlungen stürmischer Art gegenüber wird man gemäßigte veranstalten, ich weiß nicht, um den Patrioten der gesetzmäßigen Freiheit eine Komödie zu geben oder die Fürsten zu trösten, daß man nicht mehr von ihnen wolle, als was sie zu geben versprochen hätten. Mit dergleichen muß man aber aufhören, selbst wenn man behauptet, diese scheinbare Enthaltsamkeit gehöre zur Taktik der Opposition. Die Phantome von Oppositionen, die sich in Deutschlands Duodezstaaten bilden, als gält' es dem Englischen Ministerium, führen zu Ergötzlichkeiten, deren Ende nur das Klagelied der wahren Freunde des Vaterlandes sein kann. Es gibt eine Fabel von Fliegen, die sich in die Wunden eines Fuchses festsaugen. Die Fliegen können sich allerdings rühmen, daß sie dem Fuchse in einer wunden Stelle sitzen, aber der Schlaue hält geduldig still, weil ihm diese alten Fliegen nichts schaden, wenn er sie aber abschüttelte, neue kommen würden, die ihm ärger zusetzen dürften. Das könnte in Deutschland die Opposition und die Regierung werden, so daß jene ihren Ruhm, diese ihre Macht behielte, wenn nicht anders gesorgt wäre.

Die Gemäßigten und die Stürmischen unterscheiden sich vielleicht blos durch ihr Temperament: ihre Gesinnungen bleiben dieselben. Das wäre herrlich; denn sie werden sich vereinigen, wenn man ihre Gesinnungen in die Acht erklärt. Für diese Aussicht läßt sich das Schönste vom Bundestag erwarten. Wir bedürfen einiger Gewaltstreiche, die den Unterschied der Parteien aufhöbe und die gute Sache wieder allgemein machte, und in Deutschland ist es Niemanden so unter die Hand gegeben, – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Hoffen wir also auf Frankfurt!

Du ziehst mich noch immer am Rocke, Freundin? Willst Du in der That, ich soll hinaufsteigen auf die Rednerbühne und die versammelte Menge haranguiren? Wohlan, ich gehorche Dir! Drücke mir noch einmal die Hand! Sorge für meine Frau und Kinder, wenn man mich in Preußen für diese Rede hängt!

Vergiß nicht, im Falle des Steckenbleibens mir diese aufgeschlagene Seite des Moniteur von 1793 hinaufzureichen!

Lebe wohl, dort auf dem Balcone sehen wir uns wieder.


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