Karl Gutzkow
Briefe eines Narren an eine Närrin
Karl Gutzkow

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Zwölfter Brief

Verehrungswürdige Freundin! Außer vielen erhabenen und seltenen Eigenschaften besitzest Du auch ein kleines Holz, ordentlich ein Kerbholz, worauf Du Dir anmerkst, welche Posttage für Dich ohne Sonnenschein, ohne Briefe von meiner Hand, vergangen sind. Vergib mir, Du Gute, wenn jetzt die Zahl der Striche so sehr gewachsen ist. Mir ist die Zeit des letzten und ersten Mondviertels nie recht günstig, da laß' ich auch jede großartige Unternehmung.

Nun aber will ich wieder mit erneuter Kraft die alte Seefahrt beginnen, meine Liebe verläßt mich nicht, und mit Macht rudr' ich schon hinunter weithin nach dem Ende des Stromes, wo ich die goldenen Kuppeln und die Fenster hoher Paläste in dem Wiederschein sinkender Sonnenstrahlen funkeln sehe.

Daß doch nur das Land der Erinnerung in solchen Sonnenfernen strahlt! Daß Nichts hell und glänzend ist, als was durchlebt schon hinter uns liegt! Daß auf der Gegenwart nur die trüben Nebel des Morgengrauens ruhen, und die Zukunft nur eine sternenlose Nacht ist!

Ich gäbe die noch übrige Spanne meines Lebens gern hin, wenn ich jenen Augenblick noch einmal leben könnte, da ich an der Hand einer freundlichen Mutter – ich weiß nicht, was da zu lachen ist! – an einem heiligen Tage zur Kirche gieng, und die blendend weißen Mauern eines neu erbauten Domes unter Glockenklang im Sonnenlichte schimmern sah. Du bist in der That zu heidnisch gesinnt, als daß Du bei der Nachmittagsruhe eines stillen Freitags an die ferne Heimath Deiner Jugend denken solltest! Für so Etwas hast Du wohl gar keinen Sinn – in die dunkeln Gänge einer Kirche mit Gebet eingehen, dann mit leisem Fußtritt und pochendem Herzen durch die hallenden, noch leeren Räume treten, vor dem ersten Ton der Orgel zusammenschrecken – das ist Dir Alles unbekannt?

Reisen willst Du machen, berühmte Männer von Angesicht zu Angesicht sehen, Dein Stammbuch präsentiren, nach Italien ziehen, Briefe vom Capitol schreiben. Ich spreche nicht von der weltlichen Klugheit, mit der Du Deine Pläne anlegst, nur in so tiefen Irrthümern Dich noch befangen zu sehen, schmerzt mich. Diesmal bist Du auch wirklich schon auf meinen Widerspruch gefaßt, forderst mich auch nicht zur Theilnahme an Deinen Reisen auf, sondern verlangst nur eine Art Programm, das Deine Erscheinung bei unsern noch lebenden, großen Geistern gleichsam einführen soll. Fahre denn also hin in Deinem trüben Sinne, und streue den Weihrauch, den Du in dem Heiligthume unserer Liebe hättest anzünden sollen, auf die Altäre jener Götzen! Siehe zu, was Du mit folgenden Bemerkungen ausrichtest.

Soviel mir bekannt ist, bist Du nie verheirathet gewesen. Doch zwingt mich die große Verehrung, die ich für Dich empfinde, Dir abzustreiten, daß Du noch Jungfrau bist. Ich muß Dich nämlich für die Wahrheit halten. Wozu bedarf es neuer Gründe für diese Behauptung, da mir die alten noch Keiner widerlegt hat! Die Wahrheit erröthet nicht, sie ist im edelsten Sinne schamlos. Warum findet man nun in all den tausend Schriften, die man mit dem Ehrennamen deutscher Literatur belegt, Dich nicht?

Aber wo willst Du denn hin? So bleibe doch! So wie Du nur vom Stande kindlicher Unschuld hörst, wogst und sprudelst Du in solchen Entzückungen auf, daß mich der süße Wahn des Mädchens rührt, der sich so gern in eine Welt hineinzaubert, deren Aequator eine Rosenkette, deren Meridiane Seidenbänder sind. Wohlan! die Hälfte unserer Autoren geb' ich Dir auch immerhin unter dem Bilde eines schuldlosen Lammes. Ein rothes Bändchen ziert den wolligen Hals, worunter ein silbernes Glöcklein im lieblichsten Tone. Gehe hin, und führe es auf die Weide unter Blumen und Klee.

Aber mit der andern Hälfte muß ich männlicher reden. Ich meine die, die über gewisse Dinge nur erröthet, weil sie fürchtet, über sie wirklich ihre Farbe nicht zu verändern. Sie muß die Tugend lieben, weil ihr sonst das Laster aus tausend Löchern hervorsehen würde.

Die meisten Menschen sind im Besitz so weniger Empfindungen, die ihnen das Zeugniß ihrer edleren Natur sichern könnten, daß sie es auch nicht um einen Schritt wagen, sich von dem großen Ruhekissen zu entfernen. Warum haben unsere Schriftsteller nie einen bleibenden, schlagenden Eindruck auf ihre Zeitgenossen gemacht? warum sind unsere Zustände bis jetzt noch immer nicht das Werk unserer eigenen Entwickelung? weil unsere Wortführer früher nichts Edleres, Höheres empfanden, und als ihre Meinung auszusprechen wagten, als was unter der Menge der Geringsten Einer nur denken und fühlen mochte. Wenn ein Roß den Sieg in der Rennbahn davongetragen hat, wie kann es auch dann gekränzt werden, wenn es sich auf die Hinterfüße stellt! Manche haben sich zwar als Verächter ihrer Zeitgenossen angestellt; ist es aber nicht die Weise der Cokette und Buhlerin durch scheinbare Ungunst den begünstigten Liebhaber nur noch mehr an sich zu fesseln? Wo ist die Macht – vergiß nicht, Du Gute, ich meine nicht den blinden Wahn irgend einer schwachen Leidenschaft, eines in sich schon erstorbenen Irrthums, – wo ist die sanctionirte Macht, die zu ihren Füßen je einen Fehdehandschuh gefunden, von jenen ihr hingeworfen? So sind z.B. die geheimsten, innersten Schwächen unseres kirchlichen Zustands von Tausenden, die sich zum heiligen Schlüsselamt der Feder berufen dachten, erkannt worden. Die Einen ließen einmal zwei Worte davon fallen, und beim dritten gingen ihnen schon vor Thränen die Augen über. Die Andern wußten es noch viel besser, sie hüteten sich aber wohl, es auch nur bis zum ersten Worte kommen zu lassen. Darum werden wir noch lange in dem Truggewebe eines gegenseitigen Vertrages, nichts verrathen zu wollen, fortleben müssen. Ich kann nicht zwei Schritt auf der Straße gehen, so seh' ich auf allen Gesichtern ein Siegel, das uns jedes Wort des Lehrers, jede Prüfung eines Obern, jede Einführung in ein neues Amt zur Erinnerung an das Gelübde ewiger Verschwiegenheit aufgedrückt hat. Recht und Unrecht, Leben und Tod sind auf diesen Grundvertrag aufgeführt. Alles ist verabredet, bis auf den Wink, den der Fürst dem nachrichtenden Henker gibt.

O ja, man hat sich mit dem Suchen der Wahrheit beschäftigt, dabei aber egoistisch genug nur an die Uebung seiner Geisteskräfte gedacht; wie Lessing, wenn ihm die Wahl frei stände zwischen der Wahrheit und dem Streben nach ihr, lieber das letzte wollte. Noch mehr, man hat wirklich eine Formel, einen Zauberspruch gefunden. Wer besaß nun aber jenen Lebenshauch, daß sich die Buchstaben solcher Formeln zu dehnen und zu bewegen anfingen, lebendig wurden, immer größer und natürlicher, bis sie zuletzt als Thaten selbst das schwächste Gemüth fassen konnte? Und dies lebendige Eingreifen in die bewegten Räume der Wirklichkeit ist so sehr immer das Wahrere, daß ich, wenn ich in den Himmel Deiner Augen blicke, aus dem klaren Grunde der Wellenlinien Deines unübertrefflichen Angesichts köstlichere Perlen über Schönheit und Anmuth hole, als aus den Systemen der Weltweisen.

Die Wahrheit ist immer so indiscret, mit den Fingern zu zeigen. Man muß sie mitten auf den Weg legen, damit Jedermann darüber fällt. Meine Beste, so sehr ich die Forderungen achte, die Deine Schwestern an die Welt machen, so sollen doch die Scribenten nicht nur Menschen, sondern auch Männer sein. Das Gaukeln und Schmetterlingswesen, das sie bis jetzt immer verhindert hat, den gehaltenen Ton des Ernstes anzustimmen, sollen sie mit Würde und Adel vertauschen. Nicht mit den Ansichten der Partei kämpfen wir allein – Du natürlich immer mit – sondern mit dem unredlichen Willen, mit der Untreue auf die Dauer eines Kampfes, mit der Dummheit, die sie bei aller Klugheit nicht verbergen können.

Wenn man Männer zum Kampfe ruft, so stellen sich nur Dichter, Schriftgelehrte, Erzieher, Philosophen. Unter ihnen vergißt ein Jeder über seine Welt die des Andern. Mit Recht; denn Alle stehen sie an Oertern, wo sie nicht hin gehören. Der Dichter verehrt den Katholicismus, weil er ohne ihn nicht Dichter sein kann. Der Philosoph verwirft ihn, weil ihm sonst die Nothwendigkeit der Reformation unerwiesen bleibt. Der Erzieher opfert gern die Idee des Volkes, wenn er nur noch die der Menschheit behält, ein Anderer hat das entgegengesetzte Interesse. So bildet sich auf der Oberfläche unseres Lebens eine Menge kleiner, nicht einmal mit ihrem Umkreis zusammenstoßender Cirkel.

Da ich mich heute fast zum Declamatorischen aufgelegt fühle, so will ich Dir an den Parteiungen und dem bisherigen Streite unserer Theologen beweisen, wie sich jede Einseitigkeit an der andern aufreibt.

In einer Legende streiten sich zwei Klosterjungfrauen über den Vorzug ihrer Heiligen. Die Eine verehrt Johannes, den Täufer, die Andere den Jünger dieses Namens. Ueber Nacht erscheinen die Heiligen ihren Anwälten, und belehren Jede, daß nicht ihr Liebling, der jetzt zu ihnen rede, sondern der Andere der größere sei. Am folgenden Morgen hatten sich nun Beide von ihrem Irrthum bekehrt, nur daß unsere Kleriker das sich nicht so offen gestehen, und reumüthig um den Hals fallen. Kann es aber etwas Thörichteres geben, als einen Zank über den Anfang oder das Ende eines Cirkels? Den Einen erscheint Gott in den ersten Anfängen seiner Erkenntniß unbestimmt, unerklärbar; die Andern erhalten diese Unbegreiflichkeit zum Resultat. Die fünfzehn Jahre der Restaurationsperiode hat man mit solchen Mißverständnissen hingebracht, und die geringe geistige Kraft, die sich in jener Zeit entfalten wollte, auf diesen Streit verwendet.

Ich spreche noch immer von den Theologen. Zwischen jene Ungereimtheiten sind schon früh Vermittler, Versöhner getreten. Mit eigenem Ohr hab' ich einen solchen Besänftiger mit dem tönenden Glockenspiel seiner Rede aussagen hören, daß Christus am Kreuze subjectiv gestorben, objectiv aber nicht gestorben sei. Von diesen Concordienformeln mußt' ich mich also bald abwenden, und in Gemeinschaft mit Deinem zarten Sinne hofften wir auf die Aesthetischen, auf jene Liebhaber des Christenthums, die uns Fragmente aus ihren Jugendjahren geben, wie sie die Mutter zur Kirche und zum Wiedererzählen der Predigt angehalten, wie sie vor Wehmuth an heiligen Oertern sich nicht hätten lassen können, wie dies Heimathland das Ziel alles wahren Lebens sei. Wie wir da entzückt waren! welche poetische Seligkeit empfanden wir! Nun mußten wir aber doch nach und nach von diesen rechten Dilettanten auf Christus auch verlangen, daß sie uns über Wunder, die uns in diesem Gebiete bei jedem Schritt aufstoßen, ihre Erklärung abgeben. Gleich waren sie da mit der Meinung zur Hand, so wär' es eigentlich nicht gemeint gewesen, die Bibel gäb' ein religiöses Epos ab, das nach richtiger Kunsttheorie ohne Wunder nicht sein könne, und vor Allem sei das das Wunder, daß eine solche Lehre, wie die christliche, sich nach Jahrhunderten noch habe erhalten können. Diese letzte Ausflucht erinnert mich an einen Historiker, – thue doch etwas in Berlin für den Mann, der an sich selbst unschuldig ist: sie wollen ihm da jetzt arg zu Leibe! – der seine christliche Gesinnung nicht für die kleinste Tugend seiner Geschichtsauffassung hält. Er soll erklären, wie es mit des heiligen Bernhard von Clairvaux auffallenden Wundern stände. Dafür replicirt er, das sei eben das Wunder, wie ein so unscheinbarer Mann auf die Höchsten seiner Zeit mit solchem Einfluß habe wirken können, wie er ihn besaß.

Ich kehre zu den Theologen zurück. Eine andere Classe, ordentlich eine Schule, die sich weit bis in die Schweiz, selbst auf die protestantischen Institute Frankreichs verbreitet hat, umgibt sich gern mit dem köstlichen Dufte evangelischer Salbung. Sie hat die Entdeckung gemacht, daß man das Christliche unter jeder Gestalt verehren müsse. Ihr ganzes Geschäft ist, fremden Glaubenseifer mit Andacht zu beschreiben, Ersatz für die Forderung, den eignen zu zeigen. Sie sind duldend, nachgiebig, sagen sich von denen los, die mit ihnen einerlei Meinung, aber mehr Muth, sie zu vertheidigen, haben. Es fehlt ihnen sogar nicht an Tadel, wenn sie in der Kirchengeschichte, ihrem Hauptfache, auf Märtyrer der Ueberzeugung stoßen. Man erkennt sie an ihrem Schiboleth: seit fromm wie die Tauben, aber klug wie die Schlangen!

Wir Beide wären nun wohl schon so thöricht, und setzten uns mit Marius auf die Trümmer Karthago's, und weineten blutige Thränen. Bietet man uns in Glaubenssachen nicht noch einen Trost an, den absoluten, die Bestrebungen der Speculation um die Wahrheit des Christenthumes? Hast Du Knigge's Umgang mit den Menschen gelesen? Chesterfield's Briefe und Aehnliches? Gewiß, es gibt im Handeln eine Lüge, die den täuschenden Schein der Sittlichkeit annimmt? Dieselbe Verschlagenheit hat bei uns im Wissen fast immer gegolten. Die angedeutete neue, jetzt hirt-, aber nicht herdenlose Secte ist auf Kunststraßen zu Lehren gekommen, die sie um so leichter aufopfern wird, je weniger ihre einzelnen Glieder wissen mögen, wie sie zu den symbolischen Büchern, zum heiligen Augustinus, zur Erbsünde und zum Teufel gekommen sind. Der Schein der Ueberredung ist täuschend, aber der täuschendste der der logischen Wahrheit. Und wenn es wahr ist, daß man sich selbst schon zehnmal belogen hat, ehe man einem Andern nur eine Lüge aufheftet, so schaudert's mich vor der Tiefe jenes Elends, wenn einmal von einer wunderthätigen Hand den Blinden die Augen sollten geöffnet werden.

Willst Du nun dennoch eine Reise zu unsern großen Geistern machen? Thu' es nicht! Ich beschwöre Dich, Geliebte, bei Deiner Unsterblichkeit, bleibe diesen Augenblick an Deinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte! Der Kaiser und die Kaiserin wollen Euch ja besuchen.

Schreibe mir dann doch ein kleines Fascikel Schloßplatzbeobachtungen, von dem Standpunkte jenes niedlichen Galanterieleuchters aus, den die Handlung Quittel und Comp. als Waarenschild mitten auf jenen Platz gestellt hat.

Wird man vielleicht das rührende Schauspiel: Familienliebe auf dem Throne wieder dort auf dem Balcone aufführen? wird sich der zweiköpfige Adler dem einköpfigen an die Brust werfen? wird der Pöbel Hurrah schreien? wird man den Polen ein Pereat bringen?

Als die Kaiserin von Rußland vor drei Jahren mit ihrer stolzen Wagenburg durch die Königsstraße sprengte, und schon einige Flämmchen der kommenden Generalillumination aufflackerten, sagte eine Hökerfrau im stolzen Selbstgefühle: Ja, das ist auch unser Kind! Du lieber Gott, sie meinte damit, daß die Fürstin innerhalb der Mauern Berlins geboren. So äußert sich in Preußen die Liebe zum Herrscherhause bei Hohen und Niedrigen. Es ist rührend!

Aber ich wag' es dreist, meine Liebe zu Dir jener an die Seite zu stellen! Bis über die Sterne dauert sie fort! Sollte man uns das letzte Brett der rettenden Hoffnung entreißen, so verlassen wir dies Gewühl und Treiben, und gehen auf meine Schlösser, deren ich in Spanien sehr viele besitze. Nur ein kleiner Hügel Erde ist meine Sehnsucht. Auf oder unter ihm, wenn ich Dich nur in meinen Armen habe.

Du bist mir ewig lieb, und mit Gesinnungen, für die ich vergebens den Ausdruck suche, verbleib' ich unaufhörlich der, der ich sein werde.


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