Karl Gutzkow
Briefe eines Narren an eine Närrin
Karl Gutzkow

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Sechster Brief

Dein Labsal vom 8. hujus habe richtig empfangen.

Du treue, nie gewesene Seele, wie Du mich wieder mit solchen Gefühlen erfüllt hast, daß ich vor Verehrung gar nicht zum Beifall kommen kann. Solltest Du einst Alles, selbst mein Herz, verlieren, meine Liebe bleibt Dir ewig.

Du hast mir eine würdige Ansicht über das unsterbliche Alphabet und Dictionär der Sprache Gottes mitgetheilt. Die Buchstaben sind wie Geister und menschliche Seelen, die Weltordnung ist die Syntax, und dies Buch des Lebens ein origineller Band von Gottes sämmtlichen Werken, die bei Cotta erscheinen und in Preußen werden verboten werden des Princips wegen.

Aber Du merkst, daß in diesem an sich möglichen Dinge eine Reihefolge der gewaltsamsten Widersprüche liegt. An einem will ich Deine ganze Ansicht umstoßen.

Den Pleonasmus hat nur die Schwäche unserer Sprachmeister erfunden. Die pneumatische Grammatik der höhern Rangordnung sollte seiner füglich entbehren, und doch ist er in ihr zu finden.

Das Ich – denk' an das meinige! ist gegen das Du – ich denk' an das Deinige – eine arge Tautologie. Theuerste, wir stehen ja beide für Einen.

So also würde mich Deine Ansicht zwingen, Dir meine Bewunderung zu zollen, wenn sie mich nicht zugleich hinderte, Dir meine Liebe zu sichern. Und diese sollte Dir nicht mehr sein, als Alles, was ich Dir sonst zu weihen vermöchte! Wärest Du eine historische Person, eine Heldin des Jahrhunderts, eine Königin des Tages, oder auch nur eine Tänzerin, so würd' ich die Empfindungen meines Herzens zu den Gesinnungen meines Kopfes machen.

Ich nehme es mit solchen Unterscheidungen sehr genau. Die Grenzen, bis zu welchen ich Dinge in die innersten Falten meiner Empfindung aufnehme, sind meist sehr scharf. Der Geist eines Schiller bringt mich nicht dazu, ihn zu verehren, aber ich liebe ihn. Göthe weiß ich zu achten, ohne ihn zu lieben. Jener ist für mich mehr Person, dieser mehr Begebenheit.

Wenn die Zeit, in welche die Blüthe dieser beiden Männer fiel, nicht noch so reiche Beziehung auf die Interessen der Gegenwart hätte, so würde ich das Maß ihrer Schätzung in dem billigsten Urtheile auflösen. Aber noch mehr! sie verschmähen diesen Ausweg einer Versöhnung. Obschon sie Kinder ihrer Zeit waren, wollten sie doch höher stehen als sie, und brachen hochmüthig genug den Stab über ihre Zeitgenossen. Sie glaubten, in Jahrhunderten zu leben, die erst kommen würden, das war eine Thorheit. Wenn sie ihre Zeit verdammten, weil sie nicht jede Begegnung zu einer Begrüßung, jede Begrüßung zur Weihe eines Ehrenkranzes machte, so war dies lächerliche Eitelkeit. Nicht wahr, Du kluges Weib, Du wirst den Irrthum einer versalzenen Suppe gegen Deine Mägde mit Nachdruck berichtigen, Dich aber nie deshalb aus Deinem Hause heraus wünschen? Hat in der That ein Luther für unser Jahrhundert gelebt, ein Cäsar Schlachten gewonnen, um in der Zeit der Völkerwanderung seine Triumphzüge zu feiern?

In Berlin gilt es einen berühmten Mann, Namens F. Förster, der die Kunst versteht, das Todte lebendig zu machen. In Erwartung des kommenden preußischen Neumittelalters ist er deshalb auch beim Antiquitäten- und Raritäten-Cabinet angestellt worden. Dieser bringt nun so einen Helden eines abgeschiedenen Jahrhunderts mitten in die Tage der Gegenwart. Er läßt jährlich in der Neujahrsnacht den großen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin – die darum die lange heißt, weil sie nicht kürzer als die andern der Stadt ist – von den Todten auferstehen, und über die Dinge, die im verflossenen Jahr in der Spener-Spiekerischen Zeitung gestanden haben, recht altklug politisiren. Ich bewundere das Talent der Vivificirung, das sogar einen Berliner Witz Lügen straft, nämlich der eiserne Kurfürst drehe sich auf seinem Pferde um, wenn er des Nachts den Dom zwölf schlagen hört; aber was sprechen Sr. Kurfürstlichen Gnaden für sonderbares Zeug! Und wie schlägt sich das Organ selbst ins Gesicht.

Das weißt Du gewiß so gut, als ich, daß die Könige in Preußen wenigstens bis auf diesen Augenblick keine persönliche Ahnen haben, sondern ihnen immer nur die dynamische Idee des Königthums voranging. Wo sollte sonst die Lehre von der garantirenden Persönlichkeit hin! Bei jedem Thronwechsel müßte für die Principien des Staatsrechts eine neue Stunde schlagen. Bis jetzt hat das Hohenzollern- das Wittelsbacherthum noch nicht nachgeahmt, nicht aus Mangel leerer Wände und wegen übermäßig beschäftigter Malerpinsel, sondern man vermeidet die Ursprünge, weil sich nicht läugnen läßt, daß sie menschlich sind. Friedrich der Große, der unstreitig allein die Natur eines preußischen Staates erkannt hat, findet die meisten Bewunderer außerhalb des Landes, wenige im Lande selbst und keine am Hofe oder auf dem Throne. Die Zukunft meiner Heimath – o wär' ich doch ein Glasmaler geworden, und könnte, wie sie sagen, beitragen zur Belebung alles Großen und Herrlichen, das untergegangen! oder auch ein Wappenschneider. Denn es wird eine Zeit kommen, wo ich, falls ich noch im Besitz meiner Kehle bin, singen werde nach dem alten Liede:

Viel Wappen sah' ich rund her hangen,
Mit Trauren ward mein Herz befangen!

Was meinst Du, soll ich ein Buch schreiben; das Schloß Marienburg oder Ideen zu einer Vergangenheit des preußischen Staates? Ich dedicire es sämmtlichen Gesellschaften zur Erforschung vaterländischer Alterthümer, deren Oberhäupter, wenn nicht lustige, doch mächtige Patrone sind. Wie Jean Paul die Capitel seiner Schriften in Jobeljahre oder Posttage oder ähnlich eintheilte, so würden in diesem Versuche die Unterabtheilungen nach Glasfenstern ausfallen. Die drei Hauptklammern wären drei Domcapitel; eines an der Nogat, das andere an der Havel, das dritte an der Elbe.

Soll ich Dir einige Ideen zu dieser Vergangenheit mittheilen?

Albrecht der Bär hat nicht Cöln an der Spree, sondern jenes am Rhein gegründet; folglich sind die Westphalen und Rheinländer gehalten, ihre vaterländische Geschichte mit Wenden und Slaven anzufangen.

Wer sich untersteht, den sogenannten falschen Waldemar ferner für den Müllerburschen Jäckel zu halten, sei es durch Wort oder Geberde, ist zu Geld- oder angemessener Leibesstrafe zu verurtheilen.

Der Nürnbergische Burggraf war nahe daran, R. Kaiser zu werden. Folglich hat die Krone Preußen bei vorkommender Gelegenheit ein Haus- und Hofrecht auf jene Würde. Sind deshalb auch die Bestrebungen der Deutschthümler nach Kräften zu unterstützen.

Wer an der Regierung der Kurfürsten in Brandenburg Tugenden aufzufinden im Stande sein sollte, erhält die Erlaubniß, für jede entdeckte Tugend ein Dutzend Fehler in der Regierung Friedrichs des Einzigen mit vollkommener Preßfreiheit zu rügen.

Preußen war von jeher ein organischer Staat. Wer dagegen zu sprechen wagt, soll zur Strafe die geringe Zuhörerzahl des Herrn von Lancizolle vermehren.

Der Ritterschaft ist nie durch ordentliche Urkunde die Steuerimmunität genommen worden. Auch verdienen ihre Ansprüche auf die secularisirten Domstifte aus historischen und archivarischen Gründen die ernsteste Berücksichtigung.

Meinen lieben Ancillon ernenn' ich u.s.w.

Nach der Herausgabe dieser Ideen reisest Du, geliebte Freundin, mit mir nach Berlin. In den höhern Regionen werden wir willkommen sein. Wir lassen uns von den Rochow's, Quitzow's, Arnim's, von den Jagow's, den Barde- Witz- um Wartenslebenern, den Puttlitzischen Gänsen, sämmtlichen Märkern und Bismärkern fetiren. Zum Scherz wird man Dich die faule Grete – die erste ultima ratio regum im Preußischen – nennen. – Deinen alten Freund und Verehrer, ich verstehe mich darunter, magst Du nicht vergessen, und mir besonders zum nächsten Wettrennen am Kreuzberge einen Sitz unter der Elite des weiblichen Märkischen Adels verschaffen. Ich werde vor langer Weile und Staub mit diesen Damen sterben, hoffentlich aber am dritten Tage des Rennens wieder auferstehen.

Wer doch in dieser Zeit auch ein Pferd hätte! Auf Ehre, Herr Lieutenant, beim Rennen auf der Bahn mit Hindernissen gewänn' ich den Preis. Ich bin diese Art von Bahn gewohnt. Hier ist eine Laufbahn eröffnet, wo noch Lorbeeren, silberne Becher und Ducaten zu holen sind.

Unstreitig ist diese Institution, wie die Städteordnung, eine von den Grundlagen, auf die sich das Fragezeichen einer preußischen Verfassung erbauen soll. Dies Dermaleinst muß eintreten, wenn die Zeit erfüllet ist. Klagt also nicht, daß bei Euch die Pferde besser dran sind, als die Menschen. Auch Euren Talenten wird eine Bahn geöffnet werden, nur müßt Ihr eilen, Euch Schild, Lanze und Roß anzulegen, an und für sich schon vorausgesetzt, daß Ihr im Besitz von Stammbäumen seid! Weder Grundeigenthum noch gar die Intelligenz werden Eure Delegirte vertreten, sondern einzig historische Interessen. Wenn diese vorhanden sind, so werden sie mit höchster Sorgfalt wahrgenommen werden. Sind sie nicht da, so müßte ja der selige Herr v. Stein am Rhein und ein Anderer an der Nogat vor süßem Wein nicht gewußt haben, was es sagen will, wenn sie tranken »auf Wiederbelebung alles Hohen und Edlen.«

Ueberhaupt, Herr Buchholz, nehmen Sie sich vor den Urideen in Acht, die aus Deutschlands alten Wäldern stammen. Werfen Sie bei Zeiten ihre angebeteten Reliquien, des alten Fritzen Zopf und Krückstock, ins Feuer! Beeilen Sie sich mit Ihrem neuesten Leviathan, dem gegen die Restauration der Staatswissenschaften kein herbes Wort entfahren darf! Sie sind übler dran, als man zu denken pflegt. Unstreitig besitzen Sie den Muth, als ein Märtyrer Ihrer Ueberzeugung unterzugehen. Aber wozu das? Ueberlassen Sie den Codicem Fridericianum seinem Schicksale! Sie haben die Alten studirt; citiren Sie den Horaz weniger und befolgen ihn mehr! Als alles verloren, warf auch er seinen Schild weg, und huldigte dem Helden der beiden zusammenstoßenden Jahrhunderte, in denen er lebte. Bei Ihrer in Deutschland nur dämmernden Bekanntschaft wird man das Quiproquo dieser Metamorphose nicht merken. Fragen Sie nur meine Freundin, meine liebste Brief- und Herzempfängerin, ob man so nicht besser sein Fortkommen hat.

Nicht wahr, Du Gute, man muß, wie Polonius sagt, in seine Tollheit eine Art Methode bringen? Man lobe oder tadle mich, ich werde immer rufen, daß es hier alle Könige, dort alle Journalisten hören, ich sei verkannt, und im Grunde ein Anderer, als ich scheine. Ich verzichte auf die Ehre der Consequenz, wenn mich nur keine Partei in Beschlag nimmt.

Du aber, Holde, nimm mich in den Beschlag Deines liebewarmen Herzens. Neben ähnlichen Gefühlen hatten wir immer gleiche Ansichten. Wann hätt' ich Dich je mißverstanden? O, es ist wahr, ich verkenne wohl bald einmal einen Engel, der Hosen, aber nie einen, der eine Schürze trägt.

In steter Seelenumarmung bin ich ewig der Deinige!


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