Karl Gutzkow
Briefe eines Narren an eine Närrin
Karl Gutzkow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunter Brief

Eine Symbolik der Thiere! Die Idee ist nicht uneben. Sie beruht nicht nur auf der Anerkennung des thierischen Organismus, daß er mehr sei, als die todte Bildung des Instincts, sie öffnet auch den Thieren die Ein- und Ansicht in die Licht- und Nachtseite des menschlichen Lebens.

Sie geben dem Thierreiche das bis jetzt den Menschen nur zugestandene Vorrecht der Wappenzeichen, bei uns meist bestialischer Symbole.

Der Ursprung der Heraldik reicht bis ins tiefste Alterthum hinauf. Schon in dem ochsenäugigen Blick der Juno, in dem Attributenwesen der alten Mythologie liegen die Anfänge jener Kunst und Sitte. Man wollte mit jenen Symbolen nicht so sehr die Tugenden der Wappenträger bezeichnen, sondern sie drückten, als sie erblich wurden, nur die Möglichkeit solcher Tugenden und ihrer Bewährung in guten oder bösen Thaten aus. Anders wäre die Vererbung eines Wappenbildes auf die fernsten Sprossen einer urahnlichen Lende eine Lächerlichkeit gewesen. In so fern sich Wappenwesen – durch Wesen bezeichnen wir Deutsche immer das Gegentheil, Unwesen, ein im Hegelschen System glänzende Behauptungen beweisender Satz – an Ritterthum anschloß, so möcht' ich den Adel und seine Verdienste auch nur eine Möglichkeit nennen.

Nun aber fragen Sie nach Ihrem System der Repressalien gleichsam den Adler, den Fuchs, den Esel, wen es sich unter den Menschen als Ersatz für den Gebrauch seines Bildes wählen würde? und Sie geben nicht undeutlich zu verstehen, daß die Wahl sich nicht immer decken dürfte. Nero, Perier, Caligula, W. Alexis, Marat, Krug, Epikur, Hr. v. Schlegel – da steht die Wahl offen. Ich entziehe mich jeder Versuchung zu einer genauern Ausführung des Angedeuteten, um dem Einen nicht fabelhaft, dem Andern nicht grob zu erscheinen.

Aber sagen Sie mir, Beste, haben denn die Griechen noch immer keinen König? Sollt' ich also wirklich noch in meinen alten Tagen aus dem Dunkel meiner Abgeschiedenheit auf einen Thron und sein flüchtiges Glück berufen werden! Mit dem alten Capodistrias, an dem doch über kurz oder lang einmal ein Edler das beschleunigen wird, was ihm die Bestien des unglücklichen Landes Alle wünschen, müßt' ich dort einen förmlichen Sicherungstractat abschließen, ordentlich wie Louis Philippe und Casimir Perier eine Salutarassecuranz mit einander abgeschlossen haben. Der junge Prinz von Baiern hat den Vorzug, ein Thierschit zu sein, und vielleicht bietet man mir daher die Krone nicht an. Ich würd' auch dadurch der großen Verlegenheit, diese selbst anzuschaffen und mitzubringen, so wie auch vieler im Lauf meiner Amtserfüllung auf mich eindringender Schwierigkeiten überhoben sein. Erhalt' ich das Anerbieten und schlag' es aus, so werden mich zwar die englischen Minister wie einst den Leopold einen Stockjobber nennen, der die Ungewißheit der Entscheidung benutze, um die griechischen Coupons fallen oder steigen zu machen. Darüber wär' ich freilich bald gerechtfertigt, weil ich deren nicht besitze. Capodistrias hat sich übrigens in seiner Art Verdienste um Griechenland erworben. Er hat seine vollständige Local- und Sachkenntnis dort ebenso bewiesen, wie die gründlichste Einsicht in die Art, ein Volk überhaupt und einen Staat insbesondere zu regieren. Ein Gesangbuch ist gedruckt worden, ein Priesterseminarium angelegt, Bäder zu etwaigen Congressen theils restaurirt, theils neu aufgefunden. Der Geist der Unruhe und Gährung wird vor dieser friedlichen Begegnung, wie vor wehrlosen Jungfrauen, freiwillig seine Waffen von sich legen. Durch sein eigenes Verschwinden wird er das hohe Ziel humaner Sittigung befördern helfen.

Nur begreif ich nicht, warum der Präsident Plato's Werke im Lande verbieten konnte. Diesen Widerspruch eines in Griechenland verbotenen Plato's mag jene Weisheit lösen, die das Schicksal der Völker auf die tiefsten Grundlagen der Liebe und der Billigkeit, wie sie ja vorgibt, anlegt. Nur bitte ich, welcher deutsche Fürst würde sich einfallen lassen, Göthes Werke in seinem Bezirke zu verbieten! Und Plato sollte fähig sein, politische Träume in den Köpfen der Jugend aufzuregen! Plato, dessen Republik nur von einer Republik den Namen hat, der nichts als das hellenistische Vorbild eines Machiavell heißen kann!

Plato ist der Flügelmann der preußischen Aristokratie der Geistreichen, die jetzt die Stelle der ehemaligen Potsdamer Riesen einnehmen. Den Zeitgenossen Plato's war seine Republik eine Restauration der Staatswissenschaften. Für uns soll sie aber die höchste Wichtigkeit haben. Man hat sehr oft die Frage aufgeworfen, ob Plato sich die Möglichkeit einer Einführung seiner Verfassungsformen gedacht habe. Sollt' er von jenem Worte Ahnung gehabt haben, das ich aus eines berlinischen Universitätsprofessoren eignem Munde vernahm: überhaupt gäb' es nur zwei Staatsformen; die eine sei durch Preußen und Plato's Republik, die andere durch das andere Zeug erklärt?

In dieser Republik ist vom Volke gerade so viel gesagt, als von Solchen besagt werden kann, die auf einen ruhigen Genuß des Daseins, auf die kleinen Freuden der Familie, auf die notwendigen Prüfungen, die Gott über seine duldigen und schuldigen Geschöpfe verhängen muß, angewiesen sind. Wie auf einem Bühnenzettel stehen oben die Civil- und Militairpersonen ersten und zweiten Ranges, und dann unten erst die unbestimmte Allgemeinheit des dritten Standes, Volk, Arbeitende genannt. Die ersten Classen sind solche, denen wie dem Steffens'schen Adel das Genießen ihre Arbeit ist, den Letzteren ist ihre Arbeit zugleich Genuß. Die Bureaukratie und der Militairdespotismus ist da nicht nur kein notwendiges Uebel, sondern wird sogar durch Unterricht und Erziehung, und durch alle Prüfungs- und Läuterungsgrade hiedurch zum eigentlichen Narren des Staatslebens gemacht. Das höhere Band des Organismus soll in der festen Bestimmung und Abgränzung der einzelnen Thätigkeiten schon enthalten sein, und den Schlußstein des Ganzen bildet die Lehre vom Vertrauen auf landesväterliche Huld. Schon die Ahnung eines Uebels käme dem Vorhandensein desselben gleich. Jeder Vertrag setze schon die feindseligste Gesinnung voraus.

Newton hat der Physik zugerufen, sie möchte sich vor der Philosophie in Acht nehmen. Dieselbe Warnung thut der Politik Noth. Ein Politiker, der seine Verfahrungsweise nach philosophischen Bestimmungen des Rechts und der Sittlichkeit abwägt, ist wohl eine ehrenwerthe Erscheinung. Aber ein Philosoph, der nach seinem Schema in die Wirren der Welt- und Zeitlagen mit constructivem Hiatus hineinfährt, macht sich lächerlich. In seinen Verhältnissen zum Syracusanischen Hofe hat Plato dies Schicksal getroffen. Die Ideale der Tugend und Glückseligkeit, für die er den jungen Dionys entflammen wollte, sollten die Philosophie auf den Thron bringen, ähnlich wie am Ende des vorigen Jahrhunderts die Kronprinzen vieler Staaten von den Kantianern bestürmt wurden, die Kritik wenn nicht der reinen, so doch der praktischen Vernunft mit großartiger Anwendung in ihre künftige Regierung einführen zu wollen. In vielen hinterlassenen Briefwechseln liest man die Aeußerungen dieser Sorge mit Vergnügen: »Wie ist's, theurer Bruder, hat Dein Prinz schon meine Abhandlung über das radicale Böse gelesen? o trag' sie ihm doch ja vor! sie ist so ganz auf das Eine abgesehen, was jetzt der Menschheit Noth thut!« Welch' unschuldige Täuschung! Wenn deutsche Fürsten ihre Regierung zur praktischen Anwendung des Unterrichts, den irgend ein aus den bestäubten Winkeln seines Museums hervorgeholter Schulphilosoph oder Moraltheolog ihnen beigebracht hatte, machen wollten, glaubten sie nicht da das Edelste zu thun? Tugend und allgemeine Wohlfahrt, Herrschaft der Vernunft, Aufklärung, die edle Gönnerhuld als Beförderung der Künste und Wissenschaften, Friede, Edelmuth, Moral in Beispielen – o warum hat es doch eine französische Revolution, einen Napoleon geben müssen! Weinen möchte ich, wenn ich die Folge von Friede und Zufriedenheit bedenke, die bei solchen Gesinnungen, bei so wohl angewandtem Fleiße der auf die Regentschaft präparirten Prinzen über unser glückliches Vaterland hätten einziehen können! Jetzt will man den Herrschern gern das Schulgeld wieder erstatten, will ihnen die saure Mühe, die sie sich in ihren Studien über Volksbeglückung gegeben haben, gern bezahlen. Der Thron, den sie verlassen sollen, enthält wohl noch so viel Gold, Sammet und Seide, als zum Ersatz nöthig ist. Das ist der Glaube der argen Zeit.

An Plato's Republik lobe ich mir nur zwei Dinge. Ein entdeckter guter Stoff zu einem humoristischen Romane, und die Annäherung an den St. Simonismus.

Die Frauen wollen keine Engel mehr sein, sie wollen Menschen werden. Ihr Mund soll nicht zum Küssen, zu leisem Liebesgeflüster, sondern zur politischen Beredtsamkeit geformt sein. Da sie ihn nun aber nie öffnen können, ohne den Mann mit süßem Zauber zu bestricken, so steht davon mehr zu erwarten, als selbst die Londoner Conferenz als europäisches Amphiktyonengericht zu leisten vermag. Kommt es zum Kriege, so gehen die französischen Damen den Russen bis an den Rhein entgegen. Liebreiz und Anmuth, kriegerischer Adel und männlicher Stolz werden die schönsten Ingredienzien zu Romanen sein, die die deutsche Gränze entlang sich anlegen, entwickeln und mit allgemeiner Entsagung und Entwaffnung schließen werden. So auch die Simonisten. So auch Plato, nur weniger zärtlich, mehr preußisch. Die Frauen sollen bei ihm nicht nur ihren Landwehrmännern das Essen auf die Wache bringen, sondern während der Mahlzeit selbst das Gewehr ergreifen, und in Reihe und Glied treten.

Das andere Anziehende liegt in der trefflichen Vorsorge, daß die Weiber sich nicht versehen und Mißgeburten gebähren. Alle Krüppel nämlich, Blinde, Lahme, Krumme, Bucklige kommen nach eigenen Oertern als Gränzbannat. Der Feind nimmt schon an der Gränze vor ihnen die Flucht. Welch' schöner Gegenstand ist nicht an sich die Liebe zweier Krüppel, etwa eines Krummen zu einer Lahmen, und nun gar die Annalen einer Stadt, die allein mit solchen körperlichen Gefährlichkeiten bevölkert ist! Wenn die Leute dort nicht infibulirt werden, was doch unerträglich wäre, welche Uebergänge der Naturbildung! Jedes Kind hätte die Hälfte der mütterlichen Gebrechlichkeit, dafür aber auch einen Fehler seines Vaters weniger. Der Vater schielt mit beiden Augen, die Mutter ist krumm an beiden Füßen, wie nun die Tochter? Nur am rechten Auge wird sie in die Quere sehen, am linken Bein in die Quere gegen. Ich glaube fast, die Menschen werden über diese Formation weniger, als die Natur in Verlegenheit kommen. An einen Zufall wollen wir auch hier nicht einmal glauben.

Nicht wahr? meine Verehrte, wollen auch wir uns nicht so begegnen, nicht wie der Augenblick, sondern wie die Ewigkeit es will.

Ueber Berge und Thäler werd' ich wandern und Ihre Spuren suchen.

Jede Blume am Bache, jeder Vogel in der Luft wird mir Ihre wonnige Nähe verkünden. Gleichviel, ob Sie zu Haus bleiben oder mir entgegenkommen, nur suchen Sie mich nicht. Denn dann könnten wir uns Beide wieder nicht finden. Wo Sie eine helle Quelle sprudeln sehen, oder eine Blume duftet, wo in der blauen Luft die Lerche jubelt oder eine Glocke schallt, das soll immer das Zeichen Ihrer Nähe sein. Ich weiß gewiß, Ihr mildes Engelsantlitz wird mir dann hinter Rosen bald einen freundlichen Gruß zuwinken.

Sehen Sie, es ist mir so, als stände ich, auf einem kahlen Hügel, und zu meinen Füßen säh' ich ein liebliches Thal ausgebreitet. Grüne Wiesen und blaue Bäche, Weiden und weiße Birken und in der Ferne des Horizontes unten am Rande des Thals ein grüner Eichenkranz. Und da gehen Sie, und suchen Blumen im Klee und blaue Vergißmeinnicht. Und ich kann nicht zu Ihnen; denn der Hügel hat kein Ende, und an diesem Ende, das ich nicht finden kann, ist doch immer erst der Anfang des Thales. Sie klagen, es ginge Ihnen auch so, Sie könnten nicht zu mir hinauf, das Thal sei unermeßlich, und der Hügel fange doch erst da an, wo jenes aufhöre! Haben wir denn irgend einen Gott beleidigt? Ich weiß nur, daß die Götter der Erde uns nicht gewogen sind. Die haben aber doch nur Macht über die Hölle, nicht über den Himmel auf Erden, dessen Thore wir suchen und nicht finden können.

Aber wie gnädig hat sich doch die Cholera bei Ihnen bewiesen, und nicht so mit der Sterblichkeit der Menschen gewüthet! Es ist wahr, Berlin hat sich immer durch Unsterblichkeit ausgezeichnet.

Ich grüße Sie mit treuester Freundesliebe.


 << zurück weiter >>