Karl Gutzkow
Briefe eines Narren an eine Närrin
Karl Gutzkow

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Fünfter Brief

Jetzt möcht' ich freilich lieber in Schwaben, als in den märkischen Sandsteppen geboren sein! Dein trauriges Schicksal, Geliebte, ist so recht dazu geeignet, in Verse und Reime gesetzt zu werden.

Du hörst von der treulosen Gefangennehmung Deines Gemahls. Der edle Lafayette eilt zu der bestürzten Gattin, Du fliegst in Sturmeseile den Pyrenäen zu, forschest in dem Blicke des Wanderers, fragst den Gemsenjäger auf den steilsten Klippen, und erfährst die unselige Botschaft, des Edeln Tod. O, daß mich die mordende Kugel getroffen, daß ich den Schmerz eines solchen Verlustes von Dir abgewandt hätte!

Du weißt ihn zu ertragen. Das ganze Leben Deines Mannes ist wie eine Sage an Dir vorübergegangen. Wie im Traume hast Du ihn ewig auf schwankendem Fahrzeuge mit dem empörten Elemente kämpfen sehen; wie er mit den lieben, treuen Gefährten im Mondenschein am Ufer des Heimatlandes anlegt. Er küßt die feindselige und doch so geliebte Scholle, mit den blitzenden Schwertern deuten sie nach den Sternen, und schwören sich ewige Treue auf Leben und Tod. Ha! ich sehe die perlende Thräne, die über die dunkle Narbensaat seines Antlitzes rinnt! Wie ihm die Blumen der Hoffnung unter dem buschigen Moose der Augenbraunen aufkeimen! Ein hehres Weib in flatterndem Reitermantel, auf ihrem stolzen Haupte die winkende Reiherfeder ruft ihm. Er folgt auf die schneeigen Wipfel der Sierra Nevada. Von einem Abhänge sieht er das wunderbare Farbenspiel des lachenden Frühlingsgrüns, die Streiflichter der fernen Thalebenen und Alles in die blaue Dämmerung des Mondscheins gehüllt. Hinten am äußersten Ende des Horizontes liegen in dunkler Ferne die tausendzackigen Höhen der Sierra Morena. Hesperia deutet wehmütig nach den Ufern des Manzanares, Dein Gatte verbirgt sein Angesicht und stirbt.

Unglückliches Weib, Deinetwegen werd' ich katholisch, und begleite Dich auf der Pilgerfahrt zu des Heiligen Grabe.

In Andalusiens Thälern, an den Ufern des Geeil erhebt sich ein einsamer Felsen, losgerissen von dem nahen Gebirge, der Stein der Liebenden, ein Denkmal treuer und unglücklicher Liebe. Hier sei Deines Ermordeten Ruhestätte, und die Hütte, die uns müde Lebenswaller berge! Du pflanzest auf den Hügel seines Grabes erst einen süßen Mandelbaum, auf den unsere Trauer dann die bittere Frucht, wie den Dorn auf der Rose impft. Ich benutze die Muße zu einer Abhandlung über das Poetische im Liberalismus.

Bei all dem Jammer bin ich gestern noch ins hiesige freie Reichsstadttheater gegangen; das verzeihst Du mir, oder darf die Liebe zürnen? Man gab den kannegießernden Zinngießer. An einer Stelle wollt' ich sehen, ob man wohl mit einiger Hoffnung in Deutschland bleiben könne, sie ist aber richtig so ausgefallen, daß ich die Fluren der Heimat um so lieber verlasse.

Vor einigen Tagen war hier nämlich eine so entsetzliche Revolution, daß Herr v. Bellinghausen schon mit der Mainzer Besatzung gedroht hatte. Du weißt, daß in Deutschland die meisten Thorflügel in stetigem Parallelismus mit dem Auf- und Untergang der Sonne stehen. Um die Kosten der Beleuchtung zu verringern, glaubt man so ein gutes Stück Finsterniß von der Stadt abzusperren.

Ich hätte nur gern gewußt, ob ein deutscher Schauspieler so vielen Muth besitzt, wenn man ihn als einen Lehrjungen fragt, worüber denn der bei seinem Meister versammelte Klubb politisire, zu den nach der Rolle vorgeschriebenen Gegenständen noch einen hinzuzusetzen aus dem Stegreif, der allen den Hörern als das Vertrauteste sogleich zugegen war, hier die Thorsperre. Aber der Mann hatte ihn nicht.

Überhaupt hab' ich mir den Staub, was man im Winter Staub nennen kann, von meinen Füßen geschüttelt, als Frankfurt hinter mir lag. Ich fragte dort Jemand nach dem Hause, wo Göthe geboren. Ich wollte, wie Uhland in seinem Straßburgermünstergedichte, der Thorheit der Welt und meinem Tage- und Wanderliederbuche eine Huldigung bringen, aber dumm sah er mich an: »Göthe? das Haus Göthe? muß längst fallirt haben?«

Auf der Mainbrücke postirte ich mich gerade dahin, wo früher ein metallener Hahn seinen Krummschweif stolz in Höhe schlug. Mich jammerte Frankfurts. Aus eigenem Entschluß hat es das Symbol der Freiheit gewiß nicht aus den Augen der Gewalthaber weggeschafft. Nun aber ergriff mich jene große Frage, die ich mich erinnere, in einem Briefe an Dich einmal früher angedeutet zu haben, über das Poetische im Liberalismus, ob der Hahn die Lilien aufwiege.

Die Lehre, daß die Poesie nur im Sonnenglanze des Königthums blühe, ist alt, aber welcher Irrthum ist nicht alt! Gellert und Gleim sind freilich auch Leute. Dieser wäre nichts gewesen, ohne die siebenjährigen Thaten eines königlichen Helden, Jener wurde Alles durch den bekannten Gaul, in dem nur ein später gebornes Geschlecht, das da lacht, wo die Alten gerührt weinten, Ironie sehen konnte. Homer scheint uns Nichts ohne die edlen Geschlechter des Landes, Ossian Nichts ohne Fingal, Tasso's Leiden sehr wenig ohne den Florentinischen Hof; was ist die ganze deutsche Literatur ohne das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach! Das Ringen dieser Zeit nach Freiheit scheint uns eine nackte, todte Abstraction und eine zu weite Entfernung vom Ziele unserer Illusionen, obschon wir damit nicht sagen wollen, daß wir mitten in der Poesie des Lebens sitzen. Wir freuen uns nur dann des Lebens, wenn wir seine Erscheinungen zu Gegenständen unserer Reflexion machen können. Wir sprechen weniger von Wundern, Thaten, Begebenheiten, als von den Versen darüber, und theilen das Epos unseres Daseins nicht so sehr nach seinen Strömungen und Wallungen, Klippen und Häfen ein, als nach Strophen und numerischer Reihenfolge der Gesänge. Weil wir in der That die Künste nur im Schutze des Throns blühen sehen, so lieben wir diesen aus denselben Gründen, die uns zur Kunst begeistern. Aus angeborner Leibeigenschaft knieen wir nicht vor den Königen und demüthigen uns, nur aus Gemüthlichkeit. Wir haben einmal Alle eine Geschichte gehört, wie vom treuen Eckart, und wenn uns der Zufall dabei nicht die erste Rolle gab, so nehmen wir mit Freuden die zweite.

Wie liebenswürdig ich meinen Feind schildere! Warum reißt Du mir nur die noch leeren Seiten dieses Briefbogens nicht ab, daß ich mit der unaufgelösten Dissonanz, in die mein Herz und der mich beschäftigende Gegenstand gerathen sind, allen ästhetischen Regeln Hohn sprechend von Dir scheide. Ich wollte beweisen, so war meine Absicht, daß wenigstens drei Messen mit erzromantisch historischen Geniestücken aus dem Leben und Treiben der constitutionellen Prätendenten auf dem Doppelthron der iberischen Halbinsel versorgt werden könnten; aber meine deutsche Natur sträubt sich dagegen; ich bin überhaupt ein viel zu gemüthlicher Narr. Die Regierung will ja nur das Beste des Landes, man wird unsere Beschwerden hören, und ihnen bereitwillig abhelfen.

Du vergißt doch nicht, daß ich dies Alles von der Höhe des Brandenburger Thors aus schreibe, und ich nicht mehr berichte, als was die Rosse der Victoria neben mir mit dem Pegasus drüben auf dem Schauspielhaus disputiren?

Die Freiheit ist nicht poetisch. Wenn ich mit meinen Landsleuten erst nur die Anfänge eines bessern Zustandes heraufdämmern sehe, so geb' ich mich schon zufrieden, setze mich hin, und schreibe eine Satyre auf die Freiheit, das historisch-poetische Elend eines Nordamerikaners schildernd.

So ein Nordamerikaner ist, gegen einen simpeln Europäer genommen, doch äußerst unvollkommen daran. Jeder Professor auf dem Katheder, jeder Gassenjunge unter uns kann mit Recht zu ihm sagen: schäme dich, du Neuvolkischer! du bist nur ein halber Mensch, und hast ganz und gar keine historische Anfänglichkeit an dir. Du weißt weder von wannen du kommst, noch wohin du fährst. Du bist eine Waise und ein Bastard zugleich. Du ermangelst jener historischen Grundlage, die das breite Fundament unseres Daseins bildet. Dein Staatsleben ist nicht mehr werth, als der todte Mechanismus einer Uhr. Du kannst nichts von dem geheimnisvollen Rauschen jener tiefangelegten Quellen des Geistes vernehmen, die mit ihren goldhaltigen Wogen durch Jahrhunderte strömten. Du weißt nicht, wie von den Bergen der Heimat die Geister der Vergangenheit winken. Die Leier – nicht einmal zerbrochen ist sie dir, du hattest nie eine – und dein Schwert kannst du nicht an den Stamm einer tausendjährigen Eiche als Weihopfer hängen! Was fühlt so ein Kerl wie du von dem Zauber einer Elegie in den Ruinen eines alten Burggemäuers! Ich kann nicht gleich sagen, ob sich naturhistorisch das Vorhandensein von Grillen in Nordamerika erweisen läßt, so viel aber ist erwiesen, daß sie nicht solche Stimmungen in Dir aufregen können, wie in unsern Gemüthern. Wo habt ihr dazu die Klosterruinen, wenn sie in den Milchwellen des Mondes sich baden? Kann je einer deiner Landsleute das Lied singen: Sohn, da hast du meinen Speer! Und, wollen wir das Neueste nehmen, für dich hat Graf Moltke die Nothwendigkeit des Adels gerad' umsonst bewiesen; zu geschweigen, daß die ganze deutsche Philosophie an dir rein verloren ist. In der That wirst du dein ganzes Leben hindurch eine Närrin bleiben. Zur Ritterin vom goldenen Sporn, den du aber am Kopfe trägst, möcht' ich dich deshalb ernennen, weil ich weiß, daß nur Eitelkeit und Aerger über nicht anerkannte vermeinte Verdienste dich bestimmt, die Fahne der Lilien, der deine Unschuld doch immer treu bleiben sollte, zu verlassen. Du trittst über deine Sphäre hinaus. Ein Frauenzimmer muß gar keine Ideen haben, am allerwenigsten liberale. Die Politik der Frauen soll nicht einmal die ihrer Männer sein. Wenn es eine Zeit gab, wo die Mädchen Lorbeerkränze von Eichenlaub für die aus dem Felde zurückkehrenden Sieger wanden, und dabei recht martialische Kriegslieder anstimmten, so verzeiht man solche Tollheiten, weil man weiß, daß sie nur so zu Männern kommen wollten. Jetzt aber wären viele deiner Schwestern im Stande, und ließen Flugschriften drucken über Vertretung am Bundestage, da sie so höchstens solche Begriffe nur mit Gold auf Fahnen sticken sollten, um heimkehrende Deputirte damit zu ehren. Also wenn dich der politische Kitzel doch gar zu sehr sticht, so folge dem letzten Beispiele. Nun hab' ich aber keine Heimath, in die ich zurückkehren könnte, noch weniger bin ich ein Deputirter, du mußt dich also auf Halskragen, Hemden u. dergl. beschränken.

Sticke mir z. B. auf mein Sacktuch die Worte: der deutsche Bundestag – –

Dies aber nur zu gelegentlicher Berücksichtigung. Sonst benutz' ich diesen passenden Ort, meine Gratulation zu Deiner Ernennung zur Geheimen Legationsräthin pflichtschuldigst abzustatten. Bitte mir aber, um mich gegen ungegründeten Verdacht künftig ausweisen zu können, eine Bescheinigung über den richtigen Empfang dieses Glückwunsches aus. Lebe wohl!


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