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Zwölftes Kapitel.

 

Die Revue, die aufgerissenen Nähte und ein Vorabend großer Ereignisse.

 

Wie gern hätte Schlachtenmaler zwei Tage darauf lieber auch ein Pferd bestiegen, als daß er in die bombenfeste Kutsche, wenn auch zu Celinden, kriechen sollte. Der Generalissimus hatte mit ihm gleich einen Beschützer seiner Frauen und bemerkte, daß die besten Pelzhandschuhe auf dem Pferde ihm die Hände zum Zeichnen ja nicht so warm halten würden, als die geschlossenen Wagenfenster, und am Tage des Ausmarsches selbst war auch gar keine Unterhandlung mit dem Feldherrn möglich, da dieser kaum wußte, wo seine Armee, geschweige, wo ihm der Kopf stand. Ganz Kaputh war in Bewegung. Vom Lande strömten Neugierige herbei, um diesen Ausmarsch der Landesjugend, diese Entwickelung von Kerntruppen und gleich dabei den Fürsten zu beobachten, dessen vielfache Geschäfte in der Militär-Oekonomieverwaltung, dessen lebhafte Correspondenzen – mit den Commisschneidern und Posamentirern ihm selten Zeit ließen, sich seinem Volke vorzustellen. Heute war der Balcon des Schlosses mit Teppichen behängt, und, als sollte darauf gefrühstückt werden, eine Anzahl von Schüsseln und Tellern aufgestellt, von welchen jedoch Hoffähige wußten, daß sie nur die Modelle der verschiedenen Truppentheile enthielten und dem Fürsten zur Vergleichung der Wirklichkeit mit seinen Phantasien gleich bei der Hand seyn mußten. Die Truppen hatten Mühe, durch die Straßen sich Bahn zu machen: denn auch die Schuljugend kam unter dem Rector und die ganze männliche und weibliche Kinderlehre unter Blaustrumpf und Mörder angewallt und hatten alle die Landesfarben am Arm und auf einigen Wimpeln, welche vorangetragen wurden. Die Waisenkinder gingen Paar für Paar mit Gesangbüchern hinterher und rührten manches kinderlose Ehepaar, die sich das Gelübde gaben, eins an Kindesstatt davon auszuwählen. Die Akademie der Porzellanmaler und der Töpfer feierte; Silberschlag suchte mit der Brille nach plastischen Gestalten; Sägenreißer kochte mit seinen Blicken die Menge aus und sah nur die Skelette derselben. Nur Weckenesel bewachte die Akademie und litt nicht, daß Einer in diesen tumultuarischen Zeiten die Warnung vergaß: Dieser Ort darf nicht verunreinigt werden! Selbst gegen Hunde litt er's nicht. Die Adjutanten des Generalissimus sprengten durch die Straßen, daß die Funken stoben, und der Lärm wurde immer größer, da der Anführer sich öfters verbessern und, nachdem er kaum seine Gallopins entsendet hatte, ihnen nachsprengen und seine Vorschriften wieder abändern mußte. Dazwischen läuteten die Glocken von allen Kirchen, nur von denen nicht, wo es das Baucollegium schon seit Jahren, des morschen Thurmstuhls wegen, verboten hatte. Die Currende sang vor dem Schlosse so schön und hoch, daß der Präfect heute nicht nöthig hatte, sich den Baß so heftig aus dem Leibe zu pressen, als wollte er die Seele von sich geben. Das dauerte aber Alles nur bis zu dem Augenblick, wo der Fürst gefrühstückt hatte, und er, sich noch den Mund wischend, in Interimsuniform aus den großen Flügelthüren auf den Balcon trat und vom Hurrah! der Armee und dem Parademarsch aller Orchester begrüßt wurde. Jetzt kam ein Geschick in die Parade. Der Generalissimus hatte bisher auf seinem Sattel wie auf Kohlen gesessen: denn der Fürst, erfuhr er ja noch ganz in der Frühe, hatte in der Nacht einen Traum gehabt, daß die rothen Streifen an den Hosen seiner Truppen zu schmal wären und sich, etwas vergrößert, schöner ausnehmen würden. Man hatte im Generalstab und von Seiten des Kriegsministeriums, ja, zuletzt durch einen Fußfall der Fürstin und ihrer Kinder es jedoch dahin gebracht, daß sich der Fürst beruhigte und den Feldzug nicht bis auf die Fertigung der neuen Musterbeinkleider aussetzte. Ein Vergrößerungsglas, in Form eines Dolland, wurde nun schnell auf den Balcon geschoben, und ein langes Sprachrohr von hier aus bis hinunter zu der Stelle des Schloßplatzes, wo der Generalstab hielt, angebracht. Durch jenes beobachtete der Fürst die seine Revue passirenden Truppen, und wehe dem Unterofficier, dessen Gemeine irgend einen Knopf zu wenig zugeknöpft hatten! Das Sprachrohr dröhnte unmittelbar die allerhöchste Entrüstung an das Ohr des Generalissimus, der, ach! nicht bloß an die Parade, sondern noch weit mehr an den Operationsplan und Montecuculi dachte.

Das Zeichen zum Brechen der rings am Platz aufgestellten Linien war gegeben, und ein zweckmäßiges Commando richtete es ein, daß ein Defilée nach dem andern recht artig langsam vor dem Schlosse vorbeizog. Zuerst kam die Cavallerie, welche ausschließlich aus den berittenen Scharfschützen bestand. Wir haben uns früher immer des Ausdrucks Regiment bedient, was jedoch nur so zu verstehen ist, daß die active Truppenzahl, welche die Bezeichnung führte, nur den Stamm eines Regiments bildete, welches der Fürst in Kriegszeiten sich zu complettiren noch vorbehielt. Wäre diese Einrichtung nicht in der ganzen Armee durchgreifend gewesen, so würde man erstens nicht begreifen können, wie sie nur aus vierhundert Mann und doch aus einem Regiment Cavallerie, drei Regimentern Infanterie und zwei Batterien Artillerie, nebst einigen Sappeuren und Pioniers, bestehen konnte; zweitens noch weniger, woher der Fürst die Titel für seine ausgezeichneten Militärs hätte entnehmen sollen, die Obristen alle, die Majore, die Capitäne und die Lieutenants? So bestand das Scharfschützenregiment aus achtzig Mann und theilte sich in vier Escadrons, jede von zwanzig. Sie machten sich prächtig, die Scharfschützen, auf ihren muthigen Pferden, mit ihrem geschulten Wesen und den paar Brillen, die einige unter ihnen deßhalb trugen, um nicht bloß scharf zu schießen, sondern auch zu treffen. Der Generalissimus wäre jetzt schon von dem Schall einer Kanone vom Pferde gefallen, so geängstigt saß er auf dem Pferde da, und sein Adjutant mußte ihm das Lob des Fürsten aus dem Sprachrohr erst übersetzen, so verworren wurde ihm zu Muth, als er aus dem Sprachrohr etwas brummen hörte. Nun kam die Infanterie. Zuerst das Garderegiment, roth, mit gelben Krägen und Vorstößen und weißen Kamaschen, ganz wie eine bewaffnete Bande Lakayen aussehend. Hier donnerte mit einem Male das Sprachrohr: Halt! und der ganze Generalstab, was den Generalissimus so sehr verdroß und dem ihn umgebenden Officier später auch eine Disciplinarnote zuzog, rief diesen Befehl im Unisono nach. Der Fürst behauptete, daß im zweiten Gliede dem sechsten Mann die Naht unterm rechten Arme (den er doch gar nicht sehen konnte!) aufgerissen sey. Der Adjutant hin, der Gardist heraus, wahrhaftig, der Fürst konnte, in Militärgarderobe-Angelegenheiten, durch Bretter sehen. An der ganzen Verschiebung der Uniform hatte er gleich wahrgenommen, daß unterm Arm die Naht zerrissen seyn mußte. Der Gardist wurde in das Depot der Verwundeten abgeliefert und mußte dort von den Regimentsschneidern wieder hergestellt werden. Aber er sollte der Einzige nicht seyn. Der Fürst war mit seinem Teleskop jetzt in den Zug gekommen, und kaum war aus dem Sprachrohr hinten eine Verwünschung heraus, so setzte er vorne schon wieder eine hinein. Das zweite Regiment, das Regiment Mispelheim (Halbgarde), zeisiggrün, roth und gelb, hatte gestern den Marsch von Mispelheim nach Kaputh machen müssen und ließ allerdings Manches zu wünschen übrig. Drei Grenadiere mußten aus dem Glied treten, weil sie sich nicht gewaschen hatten. Zwei hatten an der Patrontasche, statt Lederriemen, schwarzgefärbte Bindfäden genommen. Einer hatte sogar Wolle im Ohr, weil er behauptete, an Rheumatismus zu leiden, was ihm aber der Fürst unter keiner Bedingung gestattete. Er wolle ihn lehren, sagte das Sprachrohr, ihm den Totaleffect zu verderben: es müsse Alles wie über den Kamm geschoren seyn. Das dritte Infanterieregiment, Regiment Kronprinz, gelb, blau und schwarz, hatte weniger Fehler im Einzelnen; meinte der Fürst, seine ganze Haltung mißfalle ihm, es wäre kein Schwung, keine Begeisterung, keine Grazie drin. Denn, natürlich, dies Regiment cantonnirte immer in Dörfern und sah sich nur selten als Ganzes. Auffallend liederlich war aber wahrhaftig die Artillerie! Die beiden Batterien, welche jede aus einer Kanone bestand, zogen mit einer Plumpheit auf, die Se. Durchlaucht zu dem Ausruf trieb: ob diese Artilleristen vielleicht verkleidete Postreiter wären? Ob es ihm so miserabel ginge, wie der bewaffneten Macht von Frankfurt am Main und allen neumodischen Bürgergarden, welche zu ihren Paraden und Manoeuvres immer Extrapost für die Artillerie nehmen und die Postillone in Artilleristen umkleiden müßten? Wenn man bedenkt, daß der Fürst das Militär weit mehr auf dem Papier oder in seinen Suppenschüsseln liebte, als in der Wirklichkeit, daß ferner die Artillerie diejenige militärische Waffe ist, bei welcher sich jetzt am leidenschaftlichsten der Sinn für seine Kriegsführung zu erkennen gibt, so kann man sich erklären, daß ihm das ganze Corps eigentlich verhaßt war. Wie die Spritzenreiter! schrie es hohnlachend aus dem Sprachrohre: denn alles Einzelne zu rügen, wurde der Fürst nach gerade überdrüssig. Hätte er nicht immer in den Zeitungen gelesen, daß die Empörer in Spanien, Paris und Brüssel gewonnen Spiel hatten, sobald ihnen Kanonen zu Gebote standen; hätte er nicht selbst erfahren, daß Napeleon gerade durch die Artillerie die Königreiche der Welt in die Luft sprengte und seinen Vater auch, er würde das ganze Corps aufgelöst und aus den Kanonen eine Statue für diesen seinen höchstseligen Vater haben gießen lassen. Der Generalissimus bekam, als er zum Abschied noch einmal an den Balcon heranritt, eine abweisende Handbewegung in das Manoeuvre mit. Der Fürst war mißgestimmt und fing wieder von den rothen Streifen der Hosen an, die ihm keine Ruhe ließen, und er wolle Gott danken, wenn das Possenspiel mit dem künstlichen Feldzuge erst zu Ende wäre. Erst sein Obertuchscheerer konnte ihn trösten, indem er athemlos mit einer Musterkarte so eben aus Holland angekommener Doppel-Casimire in den Balconsaal trat. Während unten die Musikchöre den Abschied spielten und sich die Züge zum Thor in Bewegung setzten, fing der Fürst zu messen an und sann, einer Gliederpuppe gegenüber, über die neuen Methoden der Militär-Oekonomieverwaltung nach. Neue Säbel und Flintenschlösser wurden untersucht, ein neuer Firniß wurde am Ofen getrocknet, und der Fürst nahm zuletzt einen behaarten Holzkopf vor, band sich eine weiße Schürze um und erfand wieder einen neuen militärischen Haarschnitt, den er nach der Rückkehr seiner Armee bei ihr durchgängig einführen wollte.

Die bombenfeste Kutsche fuhr ganz in der Nähe des Generalstabs, was Schlachtenmalern, der zürnenden Celinde und der mit der ganzen Armee kokettirenden Sophie aus vielen Gründen unbequem war. Besonders hatte er sich in der Kaserne erkältet und mußte den Wagen öfters verlassen, als es der Anstand gebot. Ueberdrüssig dieser Lage, griff er alle seine Papiere und Bleifedern zusammen und wartete den Pulverwagen ab, um sich, weil dieser den Beschluß des ganzen Zuges machte, darauf zu setzen. Man hatte der größern Vorsicht wegen die Pferde nicht dicht an diesen Wagen gespannt, sondern ließ sie einige dreißig Schritte vorausziehen, indem Stricke von dieser Länge das vordere Gespann mit dem Wagen verbanden. Der Generalissimus, der sich oft nach dem Wagen umsah, erblickte Schlachtenmalern, wie er sich eben lustig auf alle die Patronen und Cartouchen, die der Pulverwagen enthielt, setzte. Er sprengte zurück und wies ihn von diesem Posten weg. »Ich muß mit meinen Arbeiten beginnen,« erklärte Schlachtenmaler, und der Generalissimus gestattete ihm seine Tollkühnheit erst, nachdem ihm Dreierlei eingefallen war: erstens, Schlachtenmaler gehörte nicht zur Armee, und der Fürst verlangte ihn nicht zurück; zweitens konnte durch einen längern hitzigen Wortwechsel sich die Luft entzünden, und drittens hatte er ihm wohlweislich seine Zeichenpapiere, von denen er behauptete, sie enthielten Schwefelstoff, mit andern milchblauen und unschädlicheren Papieren vertauscht. Schlachtenmaler dankte Gott, daß er jetzt frei athmen und absteigen konnte; seine Erkältung setzte ihm viel zu, und, so unpassend es ist, können wir doch nicht verschweigen, daß er aus den Papieren, die ihm der Generalissimus gegeben hatte, die weichsten herausgriff und dabei ein merkwürdiges Aktenstück, wir wollen's nur gleich gestehen, den diplomatisch constatirten Operationsplan der beiderseitigen Armeen, unwissentlich zu einem unsäglichen Zwecke mißbrauchte. Schlachtenmaler bemerkte das Unglück erst, als es zu spät war. Er ließ den Plan auf freiem Felde zurück und mußte ohnehin laufen, bis er die Armee und den Pulverwagen wieder einholte.

Je länger der Weg dauerte, desto leichter wurde Schlachtenmalers Gangliensystem und desto schwerer sein Herz. Sie näherten sich den classischen Stellen seiner ersten Jugendzeit und die Hoffnung, seinen Vater wiederzusehen, versetzte alle seine Gefühle in eine andere Tonart, als der Spott über die Revue und die Kunstcampagne sie in ihm aufspielte. Um sich zu zerstreuen, zeichnete er zuweilen eine im Zug entstehende Unordnung, worüber ihm der Generalissimus, der zu Oefterem an ihn heranritt, Vorwürfe, soweit der Pulverwagen gestattete, heftig genug machte. »Um unsere Armee zum Besten zu haben« – ließ der Baron sehr deutlich hören, »hätte man ihn nicht mitgenommen,« und Schlachtenmaler hatte Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß die Verschiebung der Glieder im Zuge der Kunst willkommener wäre, als die gerade Linie. In der Nähe von Mispelheim bezog endlich die Armee ein Dorf, welches bereits für den Empfang der Truppen gemiethet war und einen Anbau von Zelten und Hütten für diejenigen, welche in den Bauerhäusern und Scheunen nicht unterzubringen waren, bekommen hatte. Für den Generalissimus und seine Familie war eine Herberge eingerichtet worden; der Generalstab wohnte dicht nebenan und Schlachtenmaler zog in eine Dachkammer über dem Baron und seinen Frauen. Celindens Freude war unbeschreiblich, als sie Schlachtenmalern wohlgemuth durch das Gewühl sich drängen sah: denn, hatte sie bisher die Rache gehabt, sich nicht nach seiner Aufopferung des Wagensitzes zu erkundigen und zu fragen, wo er hingekommen wäre, so konnte sie sich gegen Abend doch nicht bewältigen und frug, wo er wäre? Von dem Augenblicke an, als sie wußte, er säße auf dem Pulverwagen und zeichne, hatte sie keine Ruhe mehr; das Blut gerann ihr zu Eis, sie wäre krank geworden, wenn jetzt nicht das Ziel des Feldzuges erreicht gewesen wäre, und sie Schlachtenmalern vor dem ganzen Generalstab hätte an beiden Händen ergreifen können und fragen: »Gott, welchen Gefahren setzen Sie sich aus!« Aber es war wie eine höhere Bestimmung, daß sie Beide immer durch ihre Herzen und Blicke zusammengeführt wurden und aus ihren Worten und Wendungen doch nichts als Haß entnahmen. Kaum hatte Schlachtenmaler Folgendes gesagt: »Der Muthige schläft dicht am Kessel einer Dampfmaschine, so heiter lächelnd, wie das Kind an der Mutterbrust. Ist nicht jede Unternehmung, die von einem beherzten Manne kommt, ein geladenes Pistol, das man sorglos in den Mund steckt? In die Mündung einer Kanone, die geladen ist, und wo die Lunte schon um das Zündloch tänzelt, muß Jeder hineinblicken können, der etwas einzusetzen wagt in die Lotterie des Lebens, um zu gewinnen. Sind wir nicht alle blind und wanken mit verbundenen Augen an Abgründen? Sind nicht überall Minen gelegt, wo wir mit allen unsern Plänen und Hoffnungen durch Zufall in die Luft springen können? Sind Sie sicher, daß wir nicht morgen Alle in den Trümmern dieses schlechtgebauten Hauses begraben liegen?.....« ich sage, kaum hatte Schlachtenmaler mit frischer Entsagung kalt und achselzuckend diese Worte gesagt, als auch alle feurige Empfindungen, die ihm eben Celinde entgegengetragen hatte, schon wieder in Asche verwandelt waren, und gerade in so viel, um zeigen zu können, wie sie um ihn – trauerte. Mit einem Blick des tiefsten Mitleids wankte sie dem kleinen Hause zu; ja, als sie ihn in der Dunkelheit nicht mehr sah, floh sie mehr, als sie ging: denn er wurde ihr immer bis zum Entsetzen unheimlich, wenn sie nicht sehen konnte, wie seine dämonischen Worte durch die Sanftmuth seines Auges gemildert wurden.

Es währte lange, bis sich die Armee in dem Dorfe und dem Zeltbau zurecht und ihr Abendessen gefunden hatte. Die tapfern Krieger wurden alle warm gespeist und mit einer Sorgfalt behandelt, die selbst lauwarmes Mund-Spülwasser nach der Mahlzeit nicht vergessen hatte. Gegen Typhus, Scorbut, Krätze waren alle erdenkliche Vorrichtungen getroffen, Obst durfte nur zum Nachtisch gegessen werden: denn es war schon weit im Herbste, und der Luft und Witterung leicht die Cholera zuzumuthen. Einige Tausend Schritte weit, jenseits der Grenze, verrieth eine im Nebel sich wiegende Lichtmasse das Lager des Feindes. Eben schlug man drüben den Zapfenstreich, und auch bei den Unsrigen wurde eine große Trommelmesse und hernach ordentlich ein Hochaltar von Trommeln aufgeführt, hinter welchen die Fahnen in ihrer weißtafftnen Unschuld, gleichsam als segnende Priester, standen. Vielen Anstand verrieth es auch von dem Stabstrompeter der Scharfschützen, daß er seine Leute erst noch vor den Fenstern des Generalissimus oder vielmehr seiner Frauen Variationen auf das Thema: »Schöne Minka, ich muß scheiden,« und andere beliebte neue Stücke mit Baßposaunenbegleitung und brillanten Klappenhornsolis aufführen ließ. Schlachtenmaler lag oben im offnen Dachfenster und trommelte mit den Fingern sanft den Takt dazu. Hernach ward es stille ringsum, und ein Licht verlöschte nach dem andern. Hie und da reckte sich noch Einer im Hemde am Fenster oder holte sich frisches Wasser vom Brunnen. Schlachtenmaler beobachtete Alles und legte sich dann, von der Nacht und ihrer Wehmuth übermannt, mit dem Haupt auf das Brett des offenen Fensters. Wie genoß er einmal wieder den Reiz eines kühlen Herbstabends mit seinen Nebeln und seinem aus den Gärten dringenden reifen Apfelgeruch! Wie verschmolzen, mit seinen frühsten Jugenderinnerungen, in das stille, geisterhafte Weben der Natur, in die stummen, wachsamen Sterne, in das ferne Bellen eines Hundes und hier, um den Zauber zu vollenden, in das abwechselnde Wiehern und Schnauben der Rosse, die vor Träumen nicht gleich zur Ruhe kommen konnten. »Nein,« gestand sich Schlachtenmaler, »das Pferd ist ein so edles Thier, daß es über die Carricatur jedes Reiters erhaben ist, selbst, wenn es hinfällig wäre und ausgedient, wie Rozinante! Können Pferde, wie die Scharfschützen, Brillen tragen? So wenig, als es Horaz konnte, der doch auch kurzsichtig war.....« So träumte Schlachtenmaler in seiner Art fort und schmiegte sich wie ein frommes Kind unter die Decke seiner Mutter, der Natur, und schauerte süß zusammen, wenn sich die Schlummernde regte und sich irgend ein Zauber der Herbstnacht entfaltete. Die Frösche fuhren im Sumpfe zuweilen auf und ließen etwas von ihrer aufgeblähten Luft fahren; die Weidenbäume leuchteten im Phosphorschimmer herüber. Der Hahn im Hühnerstall irrte sich alle Augenblick in der Zeit und wachte zu früh auf und krähte ganz verstohlen, wie Einer, der im Dunkeln seine Uhr repetiren läßt, weil er das Zifferblatt nicht sehen kann. In den Kohlbeeten wird es von Hasen lebhaft; eine Katze schleicht behend durch den Garten, dicht unter der duftenden Spikeneinfassung der Beete fort und findet, statt Feldmäusen, einen Maulwurf, der schnell in seine Höhle flieht. Ach, auch wohl ein Windelkind kräht in der Ferne, und deutlich hört man, wie die Mutter sich müht, es zu beruhigen, und der Vater zuweilen mit einem Fluch dazwischen fährt, oder der Wächter auf der Straße unterredet sich mit seinem Hunde oder hetzt ihn hinter die Katzen her. Dies Alles zog in bunten phantastischen Bildern an Schlachtenmalern vorüber, und die Sterne glitzerten so prächtig über diesem seligen Frieden, daß er das Fenster nicht verlassen konnte, sondern, an das nahe Vaterhaus denkend, sanft einschlummerte.

Bedenkt man jedoch die feuchte Nachtluft, so war es ein Glück für Schlachtenmalers Kopf, daß der Generalissimus eben seinen verloren hatte. Kaum war jener vom Schlaf überwunden, als sich ein Geräusch im Hause erhob, und eine Grabesstimme alles Lebendige wach rief. Schlachtenmaler fuhr auf und vernahm nicht ohne Schrecken, wie Jemand die Treppe heraufstolperte, und eine lange Figur, wie aus dem Sarge kommend, todtenbleich und verstört in sein Zimmer stürzte. Es war der Generalissimus im Hemde, seinen dreieckigen Hut auf, ein großes Nachttuch um den Hals, Cavalleriestiefel an den Füßen, blaß wie eine Kalkwand. Er stürzte dem jungen Manne mit dem Verzweiflungsausrufe entgegen: »Um Gotteswillen, ich kann den Operationsplan nicht finden. Ich habe das ganze Haus schon umgekehrt; war er nicht unter den Papieren, die ich Ihnen gegeben habe?« Schlachtenmalern fiel etwas dunkel ein; doch besann er sich nur schwach darauf und half dem unglücklichen Feldherrn unter seinen Papieren suchen. Wir finden ihn nicht! war das Resultat, und der Baron fiel in dem Aufzuge, wie er war, während seine Ordonnanzen und Adjutanten in's Zimmer traten, halb ohnmächtig in einen Schemel, der sich an das Bett lehnte. Schlachtenmaler meinte, man könne ja doch den Plan schnell wieder zeichnen; aber mit heller, verzweifelter Lache schrie der Feldherr auf, daß er sich ja einmal auf das Teufelspapier verlassen und den Plan sich um so weniger zur Gedächtnißsache gemacht hätte, als er die Frucht einer langen diplomatischen Erörterung wäre und in keiner Linie ohne empfindlichste Störung der eher neutralen, als feindlichen Verhältnisse zwischen den Fürstenthümern Sayn-Sayn und Vierhufen könnte übertreten werden. Die erste unplanmäßige Demonstration seinerseits würde man für eine Verletzung des Völkerrechts erklären und als das Signal zum Rückzuge. Eine Reihe von Grenzstreitigkeiten, deren Lösung von dem guten Erfolge des Kunstfeldzuges abhinge, stände auf dem Spiele. Ja, würde er durch irgend einen operationswidrigen Coup wohl gar Sieger über den Feind, dann wär' er erst gar ein geschlagener Mann. Alle seine Instructionen liefen eben darauf hinaus, das Feld zu räumen und die verabredete Scharte nur durch einen meisterhaften Rückzug nach den Principien des Xenophon und Moreau auszuwetzen.

Man fing noch einmal an, die Papiere Schlachtenmalers Bogen für Bogen zu untersuchen; ach! er hätt' ihnen ja zuschwören können, daß der Operationsplan auf ewig und zwar im freien Felde, nicht weit von der Landstraße, verloren ging. Der Generalissimus beruhigte sich aber nicht, sondern ließ die Lärmkanonen lösen und Appell blasen. Es dauerte etwas lange, ehe die Soldaten aus dem ersten Schlaf in die Höhe und gar erst in die Kleider fuhren. Fackeln wurden angezündet, der Generalissimus in einem langen Mantel, den ihm die aufgewachte Sophie noch schnell über das Hemd geworfen hatte, mit dem Degen an der Seite und eine Brille auf der Nase, durchsuchte das ganze Dorf, wo er sich besann einen Augenblick gestanden zu haben. Alle Mitglieder des Generalstabes, in tumultuarischer Bekleidung, halfen mit den Operationsplan suchen, und manches Papier, mit dem es nicht recht richtig war, wurde für das richtige angesehen. Generalissimus, alle Hoffnung verlierend, kehrte fröstelnd in das Hauptquartier zurück, mußte aber erst noch einen Spion examiniren, den die Vorposten, da sie ja doch einmal nicht schlafen sollten, eingebracht hatten. Der Mann saß zu Pferde und verbat sich den Spion, und allerdings war es der Mispelheimer Postreiter, der das Briefpaket und viele andere Papiere, wie er sagte, nach Kaputh brachte. Generalissimus konnte von Papieren nichts hören, ohne gleich eine Untersuchung anzustellen. Der Postreiter mußte den Briefsack aufschnallen, und Schlachtenmaler half dem Baron, indem er ihm das Licht hielt. Man fand nichts, ausgenommen, daß Schlachtenmaler that, als läge dort in einem Winkel etwas; aber indem fiel ihm das Licht vom Leuchter und schenkte Finsterniß genug, um ein Schreiben mit Taschenspielergewandtheit auf die Seite zu bringen. Schlachtenmaler, der den Operationsplan verdorben und mißbraucht hatte, wußte auch hier wieder nicht, was er that, als er den Brief einsteckte. Die Aufschrift an Se. Hochwürden, den Consistorialrath Blaustrumpf, hatte ihn verführt. Sein Raub geschah so instinctmäßig, daß er wie mit dem reinsten Gewissen darüber schlafen konnte. Der Postreiter wurde entlassen, Generalissimus schlug sich noch einmal vor den Kopf, der Generalstab ließ ihn vor Verdruß, die Armee vor Müdigkeit hängen, und einige Minuten darauf lag Alles in tieferem Schlaf, als die Preußen im siebenjährigen Kriege bei Hochkirch. Doch waren nächtliche Ueberfälle, obschon von Seiten des Fürsten von Vierhufen beantragt, nicht für zweckmäßig gehalten worden. Die Diplomatie hatte keine Ueberfälle in den Operationsplan aufgenommen.

 


 


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