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Zehntes Kapitel.

 

Die Anatomie und der Mumienzahn.

 

Es war ja vorauszusehen, daß die jungen Waghälse sich in dem Verstand und der Liberalität der Bewohner von Kaputh verrechnet hatten, selbst, wenn man nicht in den Umtrieben Blaustrumpfs das Haupthinderniß sehen will, an welchem das journalistische Unternehmen scheiterte. Es war ja auch weniger das Urtheil, welches den Kaputhern fehlte, als die Fertigkeit, Gedrucktes so schnell zu lesen, als nöthig war, wenn ein Exemplar acht Abnehmer hatte (denn einer eines? das geschah nicht einmal bei Herrn von Lipmann, der das Journal mit seinem Sohne, und bei Celinden, die es gar nicht hielt!) und es seine Wochenrunde machen sollte, und jeder Bürger dann nur einen Tag daran buchstabiren konnte? Der Hof hielt ein Exemplar, aber nicht einmal auf Velinpapier, und der Finanzminister schrieb eigenhändig an die Redaction, als sie darüber die Rechnung eingesandt hätte, ob er für dieses Exemplar nicht auch den gewöhnlichen Buchhändlerrabatt in Anspruch nehmen dürfe? In Wirths- und Kaffeehäuser hätten die Brüder es gern eingeführt, wenn sie nur Geld genug gehabt hätten, dorthin zu gehen und sich ein Glas Zuckerwasser und das neue Journal auszubitten und im Fall der Erklärung, daß man es nicht halte, auszurufen: Sie halten diese Zeitschrift nicht? und dem Wirthe soviel Angst zu machen, daß er fürchten mußte, seine Kundschaft zu verlieren.

Jetzt hätte eigentlich Guido von Lipmann zeigen müssen, wie werthvoll für ihn die neue prosaische Dichterschule war, und was für Trümpfe er ausspielen konnte, wo es sich um etwas Schöngeistiges handelte. Aber, sey es nun, daß er den Ehrgeiz hatte, nur so viel auszugeben, als er sich selbst erwarb, oder, daß die ewige Zumuthung an reiche Leute, als wenn sie nie nöthig hätten, ihr Geld anzusehen, ihm den Ellenbogen steif gemacht hatte: genug, er fuhr nie in den Beutel, sondern immer in die blaue Luft und die großen Fragen der Zukunft, wenn ihm die Brüder ihre Noth klagten. Schlachtenmaler dachte ganz bestimmt, daß er die Wochenschrift mit der Andeutung erhalten könne, die inzwischen von Guido von Lipmann erschienenen Proben seines Ahasver im nächsten Quartale, für das aber gar keine Aussicht war, anzeigen und ihn mit Dante, wenn auch nur entfernt (denn Guido von Lipmann erröthete dabei), vergleichen zu wollen; allein selbst diese Aussicht bestach den weltumfassenden Dichter nicht; im Gegentheil frug er, ob er für seine Beiträge nicht eine angemessene Entschädigung in Anspruch nehmen dürfe? Alle Brüder schrien aus einem Tone auf, wie wenn auf dem Wasser ein Kahn umbiegt, und alle Passagiere mit einem Rufe ihren Schrecken zeigen. Nur Schlachtenmaler erholte sich bald und sagte, indem ihm das Blut bis an die Ohren drang: »Nein, Herr von Lipmann, wir glauben sogar, daß Ihnen der Drucker eine Rechnung für Insertionsgebühren, Zeile für Zeile, Buchstab für Buchstab schicken wird!« Des jungen Dichters Züge bewegten sich krampfhaft, er wollte etwas sagen, schlug mit dem goldnen Knopf seines spanischen Rohres einige Male auf den Tisch (spräng' er ihm nur ab, dachte Amandus, er sollte ihn wohl wiederfinden!) und schwieg, indem er die kleine Räuberhöhle schleunigst verließ. »Die Millionäre,« sagte Schlachtenmaler zur Beruhigung seiner höchst gewaltthätig überlegenden Brüder, »sind ärmer, als wir. Es hat einen Namen, hunderttausend Thaler zu besitzen, aber nur der Logarithmus davon ist wahr, nur die Zinsen sind reell und machen, daß der reiche Mann doch nur denkt: Ich habe dreitausend Thaler zu verzehren! Wer einmal auf hohen Fuß eingerichtet ist, hält sich, wenn ihm das Geld fehlt, ein diplomatisches Essen nicht mit dem außerordentlichsten Feenzauber zu bekränzen, für einen größern Bettler, als wir in dem Augenblicke, wo wir nicht wissen, wovon morgen leben, geschweige die nun bis auf zwanzig Thaler angesammelte Miethe zahlen!«.....

Und in allen diesen Nöthen kam von Klein-Bethlehem nur Zufuhr von Schinken und Würsten, von Brod und Käse, nie baares Geld. Wie oft schnitten die Brüder die Brode auf und hofften (wie Diebe auf Feilen!), die Mutter würde ihnen einige Thaler hineingebacken haben, oder in den Briefen des Vaters würden außer Lebens- auch einmal Geldanweisungen kommen; aber Blasedow wünschte ihnen ja immer Glück zu dem Erfolge ihrer Studien und bat sie, ihre Diskuswerfer, ihre marathonischen Schlachten, satirischen Froschmäusler und Volkslieder nicht zu wohlfeil in Cours zu setzen; ja, sie waren in ihren Lügen an den glücklichen Mann so folgerichtig gewesen, daß er ihnen einmal eine lange Epistel schrieb über die beste Art, im Kaufe vorzuschlagen, Gebote anzunehmen, mit Anstand zu handeln und den Werth der Goldmünzen ohne Waage zu schätzen. Er rechnete ihnen nicht selten vor, wieviel sie je an hundert Stück Friedrichsd'or, die sie à neun Gulden sechsundfünfzig Kreuzer annehmen, verdienten, wenn sie sie für zehn Gulden in Bausch und Bogen wieder ausgäben. Und in seinem Edelmuth hatte er nie etwas von ihnen verlangt, nie ein baares Agio zu der Dankbarkeit, welche sie ihm für die glücklichen Folgen seiner Erziehungsmethode schuldig wären, nie ein Geschenk, nie einen Abguß der classischen Arbeiten seines zweiten Sohnes, weil sie ihm doch nur Gyps und Geld kosten würden: Zeichnungen davon, die Schlachtenmaler verfertigte, genügten ihm ja! Er rieth ihnen, unter allen Umständen nie an ihn, sondern immer nur an Italien zu denken.

Celinde hatte den Schlachtenmaler oft genug einladen lassen, und Sophie schickte ihm immer die Briefe, die sie von ihrem Vater bekam. Er sollte ihre Unschuld bewundern, ihren reinen Charakter, mit dem sie vor ihrem Vater dastehe. Aber Schlachtenmaler vermied das Haus und war einst unglücklich genug, als Celinde ihm den Bedienten mit der Bitte schickte, ihr die bereits erschienenen Nummern seiner Wochenschrift zu leihen. »So soll mich Gott strafen!« rief er aus, als seine Augen über diese unzarte aristokratische Behandlung trocken waren: »sie soll sie haben!« Damit packte er die Nummern zusammen und schrieb über jede derselben mit zusammenrinnenden Dintenklecksen: Freiexemplar für die Armen, und ließ mit seinem jüngsten Bruder sagen: er bedauere, jetzt kein anderes zu Hause zu haben. Celinde war auch so gutmüthig, den Spott nicht zu verstehen, und seufzte tief für sich: »Wie gut er ist: selbst den Armen predigt er sein liebes, goldnes, herziges Evangelium!«

Der Hauswirth, unsrer armen Ritter längst überdrüssig, hatte schon oft geschworen, sie, bis zu einem bestimmten Termin, wo er bezahlt seyn wollte, vor die Thüre zu setzen. Nur die mehrfach wiederholten Besuche des jungen Herrn von Lipmann, die ihm einige Achtung vor seinen jungen Miethsleuten einflößten, hatten ihn bewogen, den Termin auf eine fernere Zeit hinauszuschieben. Nun aber auch diese aufhörten, hatten sie nur noch zwei Tage Zeit, über ein Rettungsmittel nachzudenken, und, um die Leser nicht zu ängstigen, wollen wir nur gleich sagen, daß auch Schlachtenmaler eines gefunden hatte.

Wir dürfen nicht vergessen, daß Schlachtenmaler noch immer die Akademie besuchte und an Professor Silberschlag, der aber leider zu arm war, Silber schlagen zu lassen, einen edelmüthigen Freund besaß. Der Galerie-Inspector verfolgte ihn allerdings mit Ingrimm. Weckenesel beschuldigte ihn, daß er im Winter bloß in die Akademie käme, um sich zu wärmen, und im Sommer, um sich abzukühlen. Er hatte ihn stark im Verdacht, daß er wohl gar im Winter unter dem Mantel Holz forttrüge, um sich's auch zu Hause warm zu machen, eine Vermuthung, die ihm bei jedem Akademiker mehr als gewiß schien und ihn längst auf die Idee gebracht hatte, die Mäntel an der Thür abfordern und beim Herausgehen wieder ausliefern zu lassen, was jedoch keinen Beifall fand, da die jungen Künstler behaupteten, die großen Säle heizten sich nicht gut, und ohne Mäntel könnten sie in ihnen nicht warm werden. Damit die jungen Akademiker das Licht, welches sie bei langen Abenden bekamen, nicht zur Hälfte mitnähmen, so pflegte Weckenesel sie unten, wo sie hätten abgeschnitten werden können, bunt zu bemalen. Als nun ein fremder Herr eines Tages die Galerie besuchte, und Weckenesel ihm ganz zuletzt schon den vermuthlichen Raphael gezeigt hatte, trat Schlachtenmaler mit einem jener bunten Lichter herein und zeigte dem Fremden zu allgemeinem Ergötzen (Silberschlags und der andern in der Galerie beschäftigten Eleven) die Fortschritte in der Talgmalerei, welche die Kunst dem Herrn Galerie-Inspector verdanke. Durch solche und ähnliche Vorfälle hatte sich Schlachtenmaler Weckeneseln verleidet; aber die dritte Person der Akademie, der Anatom Sägenreißer, liebte ihn, und hier ist es, wo Schlachtenmaler Hülfe fand, auf eine Art freilich, die schauderhaft ist, da unser junger Freund viel zu stolz war, etwas geschenkt zu nehmen.

Bei einer allein auf das Praktische gerichteten Kunstakademie konnte Sägenreißers Wirksamkeit nicht groß in der Lehre über Muskelbau und Knochenwesen bestehen. Die jungen Akademiker benutzten seine Anstellung weit mehr, um sich unentgeltlich die Zähne ausreißen zu lassen, als von ihm zu lernen, wodurch Zähne eigentlich hohl werden. Nur bei dem Zweige der Akademie, welcher der Tapetenmalerei und Musterzeichnung (namentlich für Cattundrucker) gewidmet war, nützte sein Vortrag in allen jenen Beziehungen, die man versteht, wenn man Leonardo da Vinci's und Hogarths Vorliebe für die menschlichen Knochen kennt: beide Künstler haben ja in ihren theoretischen Werken darauf aufmerksam gemacht, daß die schönsten Arabesken zu Gemälderahmen und Commoden und Kaminen von den menschlichen Steißbeinen und Backenknochen hergenommen würden; daß selbst die Form der Petersilie und Raute, so beliebt zu Randverzierungen, übertroffen würde von den sanften Biegungen und Verschlingungen der Zwickelbeinchen, der Pflugschar (ein Schädelknochen), des Hammers, des Ambos und des Steigbügels (im Ohr) und nun gar erst, mit Respect zu sagen, des weiblichen Beckens mit den Kuckusbeinchen und Schamknöchelchen. Sägenreißer verband in der That die Aesthetik mit der Anatomie. Er bestritt es, daß die Muster zu Möbeln und Kleidercattunen, die Tischlerzeichnungen immer und immer nur von der Botanik hergenommen wurden, und brachte es in der That dahin, daß man seine Vorschläge befolgte und seinen osteologischen Arabesken künftig den Vorzug gab.

Dennoch war Sägenreißer sehr unglücklich. Für seine Leidenschaft zur Anatomie war das Land zu moralisch, waren die Gefängnisse zu leer, waren auch die Vorstände der Armenhäuser und der Spitäler zu religiös, als daß ihm der Stoff zu einem tüchtigen Skelett oft geboten wurde. Die Skelette, welche er besaß, waren alle nicht echt. Sie waren alle nur aus hundert verschiedenen Menschen zusammengesetzt, und manches werthvolle Stück, das man nicht hatte auftreiben können, war wohl gar daran nur aus Wachs bossirt. Er hätte so gern ein ganzes, ein frei in sich selbst zusammenhängendes Individuum besessen; aber, wenn er auch den Kopf erst hätte darauf setzen sollen, wer wurde denn in Sayn-Sayn hingerichtet? Wer konnte denn jenen Capitalverbrecher im anatomischen Kochkessel brauchen, der als das Paradepferd der göttlichen Gerechtigkeit, wie wir schon wissen, immer im Lande herumgeführt wurde, da ihm von den vielen mit Eisen beschirrten Mustermärschen die Füße ganz krumm geworden waren? Alte Spittelweiber, verkümmerte Invaliden – was verlohnten diese die Mühe! Schmerzhaft pflegte Sägenreißer schöne, menschliche Gestalten, z. B. den jungen Erbprinzen, den Finanzminister, den Präsidenten des Gerichtshofes und ähnliche adelige Figuren, zu betrachten und dabei im Stillen seine eigenen Gedanken zu hegen.

Das Vertrauen aber, welches Schlachtenmaler in den Professor setzte, rührte von einer Sage her, die den gelehrten Mann vielleicht nicht ohne Grund verfolgte. Sein Thurm (er wohnte in einem) war nicht allein deßwegen sehr verrufen, weil man des Nachts dort mehrere Male wollte ein Wimmern und Rufen gehört haben, sondern es war ganz erwiesen, daß Sägenreißer jeden unheilbaren Arm, jedes Bein, ja jeden hohlen Zahn, wo er mit der Säge oder der Zange hatte auftreten müssen, in seiner Sammlung aufbewahrte. Gab dies nun schon seiner Erscheinung etwas Unheimliches, indem man ihn ordentlich für den Archivar aller amputirten Glieder der Stadt und des Fürstenthums (denn er war ein großer Chirurg und schnell mit dem Abnehmen zur Hand!) halten durfte, so wollte man auch für ganz gewiß ausgeben, daß Sägenreißern mancher Christ auf Leben und Tod verpfändet wäre. Man behauptete, da er ein reicher Mann war, daß verunglückte Spieler, bankerutte Familienväter, junge Mädchen, die nicht in Gefahr kommen wollten, niederzukommen, ja, selbst einige Officiere von den Landestruppen ihm entweder ganz oder theilweise verschrieben waren. Er hatte im Stillen ordentlich eine Gothaische Lebensversicherung eingerichtet, wo man sich verpflichtete, gegen eine bestimmte Summe als Leibrente, ihm, falls er der überlebende Theil sey, ein Bein, einen Arm, eine Hand oder wohl gar den ganzen Körper zu überlassen. Vom Grafen von der Neige erzählte man, daß er im Verlauf mehrerer Jahre sein ganzes Knochensystem an Sägenreißern verkauft hatte: erst seinen rechten Arm, dann den linken, dann die Füße und endlich sich mit Haut und Haar, und die Sage fügte hinzu, in der Verzweiflung auch schon den linken Oberarm der Gräfin! Man denke sich die unheimliche Erscheinung eines so eigenthümlichen Speculanten, wenn er in Gesellschaft war oder sich auf der Straße sehen ließ und sein Lächeln immer verrieth, wer bei ihm auf Pfänder geborgt hatte, die sie selber bis zu ihrem Tode aufbewahren mußten! Die närrischen Leute hatten Sägenreißern nun zwar nie bei einem Begräbnisse mit seinem Versatzzettel auftreten und das verfallene Gut abschneiden sehen; aber gerade, um das Unheimliche seines Treibens vollkommen zu bezeichnen, hatten sie kein Hehl, daß Sägenreißer schon die Mittel wüßte, sich vom Kirchhof kommen zu lassen, was ihm gebührt: denn umsonst, behauptete man, wäre des Nachts nicht so viel Rennens und Laufens an seinem Thurm. Schlachtenmaler war ein Narr, diesen Dingen Glauben zu schenken. Bedachte er denn nicht, daß er, selbst, wenn sie wahr seyn sollten, viel zu jung war, um mit irgend einem Gliede seines Körpers dem in Jahren schon vorgerückten Professor eine Perspective zu eröffnen! Sollte er auch die Absicht haben, unter die Soldaten zu gehen: wie konnten denn in Friedenszeiten für Sägenreißern jemals Chancen entstehen! Die Verzweiflung jedoch, in der er und seine Brüder sich befanden, trieb ihn an, die Stufen des unheimlichen Thurmes zu besteigen, die hämischen Blicke einer alten Aufwärterin zu ertragen und mit gefaßtem Herzen einzutreten.

Sägenreißer winkte ihm, als einem ihm sehr lieben Schüler und Bekannten, sich zu setzen und einem Experimente zuzusehen, das nicht gestört seyn wollte. Es war Mittagszeit gewesen. Die Reste der Mahlzeit standen noch alle auf dem mit Knochen und Schädeln besetzten Tische. Rings an den Wänden hingen, wie in katholischen Kapellen in Wachs, so hier in Natur, eine Menge schöner, weißgebleichter Arme und Beine. Es wurde Schlachtenmalern so unheimlich, als müßte er im Mondenschein über einen Kirchhof wandeln. Sägenreißer hatte eine lebendige Taube in der Hand und in einer Schachtel mehrere rothe Kügelchen, die er dem Thiere einzwängte. »Sie sollen hier ein rothes Wunder zu sehen bekommen,« sagte der Professor und winkte Schlachtenmalern, näher zu treten. Die Taube mochte mehrere rothe Kügelchen verschluckt haben, als sich eine wunderbare Veränderung ihrer Farbe beobachten ließ. »Diese Kugeln,« sagte der Professor, »sind aus Krapp, und nun geben Sie Acht, je mehr das Thierchen sie verdaut, desto durchsichtiger wird es. Seine Knochen nehmen alle eine blutrothe Farbe an und schimmern durch die Federn hindurch.« Das Letzte sah nun freilich Schlachtenmaler nicht; wohl aber, daß der Schnabel, die Krallen blutroth wurden, ohne daß sich dabei das Wohlbefinden des Thierchens zu verändern schien. Die Haushälterin nahm es schnell fort, und Sägenreißer lachte laut auf, weil sie ihm einen schnurrigen Blick dafür zuwarf, und nun fragte er doch Schlachtenmalern noch immer nicht, was er wolle. »Sie sollen meine Schätze kennen lernen, junger Freund,« unterbrach er den sich zur Anrede Räuspernden: »fassen Sie an!« Damit zog er eine Schublade aus dem Wandschranke und trug sie mit Schlachtenmalern auf den inzwischen etwas aufgeräumten Tisch. Ein wirres Gemisch von osteologischen Gegenständen lag in diesem Kasten, und Sägenreißer schickte sich an, seinem jungen Freunde jede Einzelnheit derselben zu erklären. Wir müssen uns auf einen kurzen Auszug seines langen Vortrags beschränken und mit Bedauern die feinen wissenschaftlichen Bemerkungen unterdrücken, die Sägenreißer gleich z. B. an das erste Stück seiner Sammlung anreihte, nämlich den Milchbackenzahn eines jungen Elephanten, ein Thema, über das Sägenreißer ordentlich kindlich wurde. Dann zeigte er dem Schlachtenmaler die beiden, leider nicht zum Durchbruch gekommenen Weisheitszähne des enthaupteten Königs Karl I. von England. Hierauf die verkleinerte Copie des berühmten Skeletts eines donischen Kosaken, dessen Sitzbeine vom vielen Reiten eine ganz auffallende Mißbildung bekommen hatten. Sägenreißer bemerkte übrigens, daß er auf diesen Kosaken weit weniger gäbe, als Blumenbach: denn er müßte sich sehr irren, wenn nicht jeder deutsche Postillon, auf Routen, wo es viel Extraposten gäbe, z. B. zwischen Frankfurt und Wiesbaden, hinten eben so geformt wäre, wie jener Kosak. Dann zeigte er Schlachtenmalern einen Hirnschädel ohne Nähte, der um so auffallender war, als er einem Schneider angehörte. Auch der Schädel eines rhachitischen Kindskopfes war ohne Naht. Hierauf kam der berühmte natürliche Stelzfuß jenes unglücklichen Morand'schen Hasen, dem ein Bein in seiner Jugend verloren ging, und die Natur aus einer wunderbaren Verknorpelung dafür ein neues gab; natürlich war dieser Stelzfuß auch nur eine Copie. Wie Sägenreißer an dem donischen Kosakenskelett etwas auszusetzen hatte, so mäkelte er (ein Beweis für seine Wahrheitsliebe) an Blumenbachs Schneidezahn eines jungen anthropophagischen Neuholländers und sagte: »Wer weiß, ob dies nicht ein ganz einfacher, ungeschlachter, deutscher Bauernzahn von einem Schlingel ist, der, um keine Patronen beißen zu können und von der Conscription frei zu werden, ihn sich mit einer Drahtzange ausgerissen hat.« Hierauf zeigte er Schlachtenmalern einen kleinen Erdglobus, gut ausgeführt, und fügte hinzu: »Das ist das Gestell eines ehemaligen Matrosen der englischen Marine!« Als Schlachtenmaler über diese sonderbare Verwandlung erstaunte, erklärte ihm Sägenreißer, wie man Knochen im Papinianischen Topf zu einem flüssigen Teig kochen könne und aus diesem Matrosen, aus Anerkennung seines geographischen Berufes, deßhalb auch einen Erdglobus geformt hätte. Schlachtenmaler faßte den verwandelten Matrosen an, und er war ordentlich elastisch, wie ein Gummiball. Nun kamen einige von den hundert und sechsunddreißig Knorpeln an die Reihe, die der Veterinärarzt Havemann in Hannover in dem sogenannten Luftbeutel an der eustachischen Röhre einer vierzehnjährigen königl. hannöver'schen Stute entdeckt hatte. Dann einige Splitter aus dem Hirnschädel eines Troglodytenaffen und, in Ermangelung eines Kamschadalenkopfes, nach dem Sägenreißer behauptete so außerordentlich begierig gewesen zu seyn, leider nur ein gewöhnlicher Filzhut von jenem Transport modischer Hüte, die ein Pariser Hutmacher angefertigt hatte und in den Norden schicken wollte. »Da diese Hüte jedoch alle nach Pariser Schädeln modellirt waren, und keiner in Kamschatka und Spitzbergen passen wollte, so können Sie allerdings,« sagte Sägenreißer, »von diesem Filzhut auf die Form der dortigen Schädel schließen, indem man ja nur anzunehmen braucht, daß dieser Hut einem Kamschadalen nicht paßt.« Und er hatte Recht: wie oft muß sich die Wissenschaft nicht damit begnügen, bloß zu bestimmen, was eine Sache nicht ist, während das, was sie ist, sich nicht erweisen läßt. Auf eine Schädelguirlande, theils von Cretins, theils von Blödsinnigen, folgte eine Copie des berühmten Wagler'schen Wasserkopfes, dann ein höchst merkwürdiges Original, nämlich die wunderbare Feuerassel ( scolopendra electrica), dies auffallende Thierchen, welches ein Frauenzimmer in den besten Jahren, die jedoch immer am Kopfe litt, zur glücklichen Stunde und zu ihrer Genesung einmal ausschnäuzte. Hierauf lächelte Sägenreißer: denn er war im Begriff, einen Witz zu machen. Er zeigte Schlachtenmalern einen Schädel, dessen Fontanelle weit auseinander stand, und sagte dann: »Dies ist gewiß ein offener Kopf gewesen,« worüber Schlachtenmaler, in Erwartung seines eigentlichen Handels, viel Munterkeit und Beifall bezeugte. Beim folgenden Schädel lachte Sägenreißer schon wieder. »Sehen Sie,« sagte er, »die Alten hatten nicht Unrecht, das Hinterhauptbein, diese muschelförmige Schale, – Teufel, bei Ihnen ist sie stark,« unterbrach er sich, weil er Schlachtenmalern dort hinfaßte, – »ich sage, diesen Theil den Gedächtnißknochen zu nennen. Mein alter Schulmeister hatte immer die Gewohnheit; wenn ihm neue Kinder zugeführt wurden, sie hinten am Kopfe zu betasten und ihnen gleich aus der Stärke dieses Knochens ein Prognostikon zu stellen, ob sie vergebens oder mit Erfolg studiren würden. Dieser Schädel ist von einem berühmten, mehrmals gesessenen und endlich gehängten Spitzbuben, bei dem sich merkwürdigerweise ein kaum andeutungsweise ausgebildeter Gedächtnißknochen befindet. Man sieht hieraus, daß nie eine Strafe bei ihm fruchten konnte, und daß der arme Schelm eigentlich für alle gute Lehren, Warnungen und Strafen gar kein Gedächtniß hatte. Wäre der Schädel nicht zu interessant, ich trüge jetzt darauf an, den Hallunken von der Instanz zu absolviren und ehrlich zu begraben.« Hierauf zeigte Sägenreißer, jedoch mit etwas ungläubiger Miene, die Thränenfistel des unglücklichen Klostergeistlichen Siegwart vor; und mit noch größerm komischen Kopfschütteln einige Knorpel aus dem berühmten Buckel des Aesop. Einen Türkenschädel, klagte er, hätte er nie ergattern können, dafür nur diesen Pfeifenkopf aus Adrianopel, der wenigstens ein schönes, lebendes Türkenhaupt vorstelle. Bei einigen Wirbelbeinchen, deren nähere Bedeutung Schlachtenmaler überhörte, faltete Sägenreißer die Hände und sagte: »Wissen Sie, wer bei der Aufgabe, die höchste Zahl der menschlichen Lendenwirbel zu bestimmen, eines kläglichen Todes gestorben ist?« Als Schlachtenmaler darauf ein sehr natürliches Stillschweigen beobachtete, sagte Sägenreißer: »La Peyrouse! Den unglücklichen Mann schickte die Pariser Akademie nach Afrika, um zu sehen, ob Völkerschaften von großer Statur mehr als sechs Lendenwirbel haben; und noch immer fehlt La Peyrouse und eine Antwort auf jene Frage!« –

Sägenreißers Merkwürdigkeiten waren jetzt bald zu Ende. Es kam nur noch das, wie Sägenreißer versicherte, sehr auffallende Kuckusbein einer abiponischen Dame, von der der Pater Dobritzhofer die Versicherung gegeben hat, daß sie, wie der obige donische Kosak, in ihrem Leben nur geritten hatte. Kleine Skelette von chinesischen Weiberfüßen machten den Schluß, so wie die Zehen jenes berühmten Schwaben, Namens Grieben, der ohne Arme geboren war und sich mit den Zehen nicht nur musikalisch, sondern auch schriftlich ausdrücken konnte. Der Zehe war in ein Stück Papier gewickelt, auf welchem etwas zu lesen stand. Es lautete:

 

                   

Ihr sollt Gott fürchten und lieben!
Dieses hier ist ohne Hand geschrieben
Von Johann Christian Grieben.

 

»Sie sehen,« schloß Sägenreißer den Kasten mit gutmüthiger Ironie, »der Mann war mit den Zehen auch ein Dichter!«

Schlachtenmaler aber freute sich ausnehmend, daß Johann Christian Grieben ohne Arme geboren war: denn nun konnte er doch mit seinem Plane vorrücken und, um das Terrain zu sondiren, Sägenreißern fragen: »Irgend einen merkwürdigen Arm hab' ich in der Sammlung nicht gefunden?« »Ach,« entgegnete Sägenreißer ganz harmlos, »selten bieten diese Extremitäten etwas Anomales dar; es müßten denn gerade Hände mit sechs oder nur vier Fingern vorkommen oder die abgeschlagene Hand des Götz von Berlichingen, die er aber selbst nicht hatte, geschweige ich, oder ich müßte denn einmal den Arm eines Schriftstellers bekommen, um zu sehen, ob der Processus styliformis, in dem ja bekanntlich (er griff nach Schlachtenmalers Arm) die Hand hängt, von dem guten Styl, den ein solcher Mann schreibt, eine andere Gestalt bekömmt, als er gewöhnlich bei Spitzbuben hat: denn ich muß sagen, bei Gaunern und Taschendieben sind die Greifknochen des rechten Armes fast immer wunderbar schön und ungemein gelenkig geformt.« – »Nun,« sagte Schlachtenmaler mit der größten Seelenruhe und wie im Scherz, »Herr Professor, ich bin ja im besten Zuge, ein großer Schriftsteller zu werden, und Maler bin ich ohnehin schon, kaufen Sie mir meinen Arm ab!« Sägenreißer streifte den dargebotenen rechten Arm Schlachtenmalers bis oben an die Oberarmröhre auf und sagte gar nichts, sondern lachte nur über den schalkhaften jungen Mann. Er maß mit Wohlgefallen an den schönen Formen und Muskeln und prüfte und wog und drückte und brummte dann: »Hätt' ich Sie nur unter dem Messer, Freundchen; die Haut so mit einem Schnitt herunter, und nun all die zappelnden Muskeln, Nerven und Arterien – das sollte eine Freude seyn! Aber gesetzt, ich wollte menschlicher seyn und Sie nur als Leiche besitzen, Freund, so sind Sie doch zu jung und werden mich früher begraben, als ich Sie präpariren kann.« Schlachtenmaler bemerkte hierauf, indem er den Arm bis an das Schulterblatt entblößte: »Es handelt sich nur um meinen Arm, und ich verspreche Ihnen ja, Chancen zu geben. Ich will nicht allein nächstens unter die Soldaten gehen, sondern gebe Ihnen auch das Versprechen, daß, wenn ich hundert Thaler jetzt für meinen Arm bekomme, Sie sich in fünf Jahren entweder meines Armes bemächtigen dürfen oder die hundert Thaler nebst den Zinsen zurückerhalten!« Alles dies wurde von Schlachtenmalern so nachdrücklich und fast krampfhaft bestimmt ausgesprochen, daß Sägenreißer ihn groß anblickte und in die Chatoulle griff mit den Worten: »Sind Sie toll, Blasedow, Sie scheinen Geld zu brauchen.....« »Nein, nein,« wehrte Schlachtenmaler seine Herzensgüte ab; »nein, ich kann ohne Verdienst nichts annehmen; ich opfre mich gern der Wissenschaft. Entweder ist der Processus styliformis in fünf Jahren in Ihrer Hand oder das Geld. Ich bitte um Papier und Feder.....« Sägenreißer lachte, übrigens doch nicht so laut, daß man nicht hätte ein leises Klopfen an der Thür hören sollen. »Eine Dame, die mit mir Geheimnisse hat,« flüsterte Sägenreißer, drückte Schlachtenmalern die Geldrollen in die Hand und ihn selbst hinter einen Vorhang, der eine Art Alkoven bedeckte. Mechanisch nahm er das Geld und die Weisung und stand mit klopfendem Herzen hinter dem Vorhange in einem Kreise von Gerippen, kaum wissend, wie ihm geschah.

Das schwere Geld beschämte ihn so, daß er fühlte, er müsse etwas dafür leisten, und zu seiner Freude fand er in seinem durch ein kleines Fenster erhellten Versteck ein Pult mit allen Schreibbedürfnissen. Er setzte eine deutliche Erklärung darüber auf, daß er dem Professor Sägenreißer für hundert Thaler schulde und binnen fünf Jahren ihm entweder diese Summe mit Zinsen zurückzahlen oder seinen rechten Arm geben wolle. Sein Name beschloß dieses Instrument, und nun erst ward ihm wohl und heiter, obschon, was im Zimmer geschah, seine Aufmerksamkeit noch immer nicht fesselte. Endlich horchte er auch dorthin. Sägenreißer ließ eben erst die Dame ein und sagte: »Entschuldigen Sie, Kind, ich mußte hier erst die Beckenlehre, die für ein unverheirathetes Frauenzimmer unpassend zu sehen ist, bei Seite bringen und die nachgemachten Gebeine Abälards und Heloisens einpacken, die bekanntlich in einem Sarge wild unter einander lagen und nur durch gewisse Kennzeichen von einander getrennt werden konnten. Die Aebtissin des Klosters zum Paraklet in Paris wollte nicht zugeben, daß dies anstößige Verhältniß, welches fünfhundert Jahre lang im Sarge gedauert hatte, nun noch ferner fortgesetzt würde, und, da die Aerzte nichts als Knochen in ganz wilder Ehe fanden, woran sollten sie Abälard, der doch gewissermaßen auch ein Frauenzimmer geworden war, woran Heloisen erkennen? Nun, sie verfuhren eben so vernünftig, wie galant. Alle zarte, feine, rundlich schön gewölbte Knochen wurden Heloisen zugeschrieben: denn allerdings bei Frauen sind die Röhrenknochen schwächer, die Ecken und Fortsätze sind nicht so scharf ausgewürkt (Blumenbach), die Furchen sind nicht so tief, die Insertion der Sehnen ist nicht so rauh, die Artikulationen sind flächer, wenn auch die Rippen dicker und rundlicher; und nun, setzen Sie sich, Sophiechen!«

Als Schlachtenmaler den Namen hörte, lauschte er durch die Spalte des Vorhangs und erstaunte, in der That seine Jugendfreundin leichenblaß anzutreffen; sie legte eben den Mantel ab und hatte ein Tuch um den Kopf. Begierig, welche Operation hier vorgehen würde, zog er sich doch schnell zurück, weil Sägenreißer aufsprang und Sophien ein Buch von dem Stuhle wegnahm, worauf sie sich eben setzen wollte. »Nicht des Buches wegen,« sagte Sägenreißer schelmisch; »aber es sind Hallers berühmte Beobachtungen des Fötus im Ei; das ist nichts für Sie: auf dergleichen Bücher müssen junge Frauenzimmer nicht einmal sitzen!« Nun ging er zu ihr heran und that ihr den Mund auf. Da sie Miene machte, zu schreien, sagte er mit künstlichem Aerger: »Potz Velten! der Zahn ist gestern ausgezogen, und, den neuen einzusetzen, das ist Kinderspiel. Sehen Sie, Sophiechen, da Sie doch die Lücke nicht haben wollen, welcher Zahnarzt würde Ihnen einen solchen Ersatz bieten können, wie ich? Die Andern fertigen ihre Gebisse entweder von guillotinirten Köpfen oder von Elephanten-Zähnen an oder gar aus gewöhnlichen Knochen. Sonst thu' ich es auch, will ich Ihnen nur gestehen, Sophiechen; aber, weil Sie es sind –« Hier brach er ab, trippelte an seine Schubladen und suchte etwas. Sophie, ganz Resignation, blickte in einen kleinen Handspiegel, den sie an der Klappe ihres Pompadours hatte, und betrachtete eine Zahnlücke, die ihr Sägenreißer ausfüllen sollte. In ihrer wilden Art stampfte sie mit dem Fuß auf und rief abgestoßen: »Abscheulich, schändlich!« – »Nun, nun,« kam Sägenreißer jetzt an, »solche Zähne haben Sie in Ihrem Leben keine gehabt, wie Sie hier einen bekommen sollen!« Damit wickelte er vorsichtig ein kleines Papier auf, worin, in Wolle gewickelt, ein Zahn lag, den Sophie selbst nicht umhin konnte ungemein liebenswürdig zu finden. »Wie alt, glauben Sie wohl,« frug Sägenreißer pfiffig, »daß dieser Zahn seyn kann?« – »Lieber Gott,« sagte Sophie, »der ist ja durchsichtig wie Elfenbein und scheint ganz natürlich.« – »Wozu die Umschweife?« konnte sich Sägenreißer nicht länger halten; »dieser Zahn ist älter als dreitausend Jahre! Er ist der Augenzahn einer beispiellos schönen Mumie, die ich vor einigen Jahren in London auf einer Auction egyptischer Gegenstände erstehen ließ. Wollen Sie, Sophiechen, die eigentliche Besitzerin des Zahnes sehen?«; »Um's Himmelswillen, nein,« erklärte Sophie, sie könne dann unmöglich den Zahn im Munde haben, es würde ihr immer vorkommen, als könne sie sich in ein ähnliches Scheusal verwandeln. Sägenreißer neckte sie, daß sie aber den Zahn des Scheusals nicht verschmähe, gab ihm eine Golddrahtbefestigung und setzte ihn Sophien ein, die vollends erst glücklich wurde, als er noch dies hinzufügte: »Sie wissen, Kind, daß falsche Zähne den Nachtheil haben, daß sie einen Geruch im Munde verbreiten, den ich – pfui! —« Sophie blickte mit gebrochnen Augen gen Himmel und seufzte, daß es einen Stein, viel mehr Schlachtenmalern erweichen mußte. »Allein,« fuhr Sägenreißer fort, der sich von der Vorstellung des Geruches falscher Zähne bald erholt hatte, »hier ist nichts zu fürchten. In diesen Zahn ist die Materie, durch welche die egyptische Dame vor dreitausend Jahren noch sich zu einer Mumie verschönerte, so balsamisch im Grabe eingedrungen, daß er – riechen Sie – ordentlich eine wohlriechende Ausdünstung hat.« Sophie ließ nun Alles an ihrem Munde geschehen, und der Mumienzahn, mußte sie am Spiegel gestehen, war weißer und glänzender als alle übrige. Sie sagte, als sie jetzt ihr Umschlagetuch ergriff und sich zu gehen anschickte, leise: »Herr Professor, Sie wissen, wem Sie diese Geschichte in Rechnung stellen?« Sägenreißer bückte sich und antwortete ironisch: »Dem Baron von Höllenstein!« Sophie aber, um den Spott ertragen zu können, erhob sich stolz und empfahl sich mit affectirter Würde.

Schlachtenmaler trat nun hervor, und Sägenreißer bedauerte ihn, daß er den Mumienzahn nicht auch gesehen hätte. »Ei, ich seh' ihn wohl noch,« entgegnete dieser: »der Mund dieser Dame hängt gerade nicht sehr hoch; aber lassen Sie uns auf unsern Handel zurückkommen!.....« – »Sie sind ein Narr,« entgegnete Sägenreißer, nahm Hut und Stock, drängte den Schlachtenmaler zur Thür hinaus und begleitete ihn die Treppe hinunter. »Ich habe Eile,« erklärte er und flog unten hurtig davon. Schlachtenmaler aber war sehr vergnügt: erstens über die hundert Thaler; zweitens darüber, daß er sie nur geliehen und etwas Bedeutendes dafür verpfändet hatte; drittens über den Zufall, der es fügte, daß Sophie sich gerade in dem Augenblick (sie ging schnell über den Platz, an dem Sägenreißer wohnte) umsehen mußte, wo er mit dem Professor aus dem Thurm trat. Erschrocken blickte sie wieder vorwärts und lief spornstreichs quer durch die Straßen, als sich Schlachtenmaler anschickte, sie zu verfolgen. Sie hatte ein neues Interesse für ihn gewonnen, seitdem sie ein Stück egyptischer Antiquitäten im Munde führte und gebrannte Mandeln und Rosinen mit einem Zahn essen wollte, der vielleicht dem König Sesostris angehörte. Er beschloß, wieder Celindens Haus zu besuchen und sich für Sophiens Untreue, Flatterhaftigkeit, Eitelkeit und Intrigue dadurch an ihr zu rächen, daß er jetzt methodisch anfangen wollte, ihr fortwährend auf diesen eingesetzten Mumienzahn zu fühlen. Er kaufte sich auch gleich bei dem ersten Buchbinder Kapuths, der auch zugleich der beste Buchhändler des Orts war, Morizens Götterlehre und fing schon auf der Straße an, das Kapitel über den Vogel Ibis und den Gott Osiris zu lesen. Was werden seine Brüder für Freude haben, nicht an Morizens Götterlehre, sondern an Schlachtenmalers metallisirten Rock- und Westentaschen!

 


 


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