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Viertes Kapitel.

 

Wiedersehen und Celinde.

Nicht dem Registrator sahen die beiden Damen in dem Eckzimmer so lange nach, sondern Jemand anders wünschten sie herbei, wie zwei sehnsüchtige Sonnenstrahlen, welche Wasser ziehen. Jener schlängelte, obwohl in gerader Linie, über den Markt, um in's Ministerium zu seinen Acten zurückzukehren. Er hatte Sophien, die so gut als versprochen mit ihm war, vor einer Rotte Landkrabben warnen wollen, welche erst kürzlich in die Stadt und in seine Nähe gekrochen und in vergangener Nacht ihren heiligen Namen auszusprechen gewagt hätten. Sophie glaubte, an der Beschreibung gewiß seyn zu können, daß dies Signalement nur auf ihre Gespielen und besonders ihren Spukgenossen, den Schlachtenmaler, mit welchem sie unter mehr als einer Gespensterdecke stack, passe, und hatte in ihrer Freude die Baronin Celinde mit ihrer Erwartung angesteckt, so daß sie erst auf Kohlen saßen, als der Registrator ihnen wie Jeremias so viel Klägliches declamirte und tragirte, und nun auf Nadeln vor Erwartung und Verlegenheit. Denn ein Bedienter der Baronin hatte gleich laufen müssen, der den Schlachtenmaler, wenn er's war (und er ist's! rieb Sophie sich die Hände und steckte noch eine Schleife mehr in's Haar), nur gleich mitbringen sollte. So wogten nun beide Frauen, wie das Meer, das ein Opfer haben will. Sophie breitete außer ihren Armen auch ihre Gedächtnißfalten auf und wußte so viel zu erzählen über das Vergangene, daß die liebe Celinde selbst anfing, sich mit über das Zukünftige zu freuen. Es war Sophien, als hätte sie in ihrem Leichtsinne (und der war groß) irgend eine Kostbarkeit verstellt gehabt und fände sie nun wieder, und als streiche sie alles Spinnenweb, was sich durch den Registrator darüber gezogen hatte, von ihm ab, und Celinde, dieser sanfte, in stiller Feier prangende Morgenstern, diese bescheidene, kleine, weiße Myrthenblüthe auf dem kolossalen Stocke ihrer Ehe (denn die Sanfte trug den fürchterlichen Namen Baronin Satan von Höllenstein), Celinde also wankte selbst wie im Traume durch das große Zimmer und griff nur zuweilen im Vorübergehen in die Saiten einer aufgerichteten Harfe, um nur außer ihrem und Sophiens laut hüpfenden Herzen noch sonst etwas leben zu hören. Endlich kam der Bediente und brachte die Botschaft, daß der Herr schon angezogen sey, nur hätt' er Noth gehabt mit der Cravatte, weil er fast keine hätte, auch mit den Handschuhen, die erst noch gekauft werden müßten. »Ach,« sagte Celinde, als sie wieder allein waren, »hätten wir ihm nur von meinem Manne das Alles mitgeschickt!« – »Vom Baron?« lachte Sophie; »solche wattirte Feldbinden mit eisernen Schnallen und hirschlederne Handschuhe, die im Leben nicht reißen, wird Oscar nicht tragen.« Und Celinden war's dabei, als müßte ein lichter, goldner Engel kommen, als sie hörte, daß es Männer gäbe, die nicht so wie der ihrige wären, weniger barsch und stark, und überhaupt mehr ihr Ebenbild. Unbefangen sagte sie das auch; aber Sophie brach mit einer fast unerlaubten Naturlust hervor, daß Oscar um nichts in der Welt blond, sondern schwarz am Kopf und im Auge wäre. Und Celinde seufzte dabei, als wäre von ihrer Puppe die Rede und dachte: »Um so weißer wird sein Herz seyn.« Ein Papagei im Zimmer kreischte zu dem Tumult von Empfindungen, welcher diese beiden weiblichen Wesen beunruhigte.

Endlich kam über den Platz her Jemand so Bekanntes, daß Sophie aufsprang. Nicht deßhalb, weil es Oscar war, hätte sie Celinden in ihrer wilden Art zerdrücken mögen, sondern, weil er ihr so viel Ehre machte durch seinen anständigen Gang, durch ein paar von unten schon heraufblitzende weiße Handschuhe, durch ein kleines Spazierstöckchen, welches einer so frühen Morgenvisite ganz angemessen war. Je näher er kam, desto mehr schob sie sich vor und Celinde desto mehr zurück. Jene würde das Fenster aufgerissen haben, wenn nicht Schlachtenmaler in vornehmer Gleichgültigkeit rings um sich her geblickt hätte und Sophien, die er längst erkannte, absichtlich vermeiden wollte. Jetzt hatte er das Haus betreten, der Bediente meldete den Herrn Oscar von Blasedow. Celinde saß, ohne Affectation, nur aus angebornem Instinkt, längst mit vornehmer Haltung auf dem Sopha, und Sophie, die dem Ankömmling gern gleich in die Ohren gekniffen hätte, vermochte nichts gegen diese Beobachtung eines gewissen äußern Anstandes auszurichten. Schlachtenmaler ging mit klopfendem Herzen durch die prachtvollen Zimmer. Ueberall auf Decken zu treten, war ihm eine um so peinlichere Empfindung, als er wirklich Sporen an den (von ihm selbst gewichsten!) Stiefeln trug. Doch ein angebornes Talent lehrte ihn, sich dem phantastischen Cavalier, den er vorstellte, ganz gemäß zu benehmen. Die Reitgerte, die Sporen, die Glacéehandschuhe und der gleichfalls eben erst gekaufte Castorhut harmonirten allerliebst zu seinem bloßen Halse, auf welchem ein schwarzes Tuch den weißen Hemdkragen zusammenhielt. Natur und Kunst durchdrangen sich bei ihm so, daß er so nett, wie ein Kupferstich, und doch so wild, wie die Phantasie selbst, aussah.

Wie er nun zu den Frauen in's Zimmer trat, war Celinde ohnehin gefaßt, und auf Sophien wirkte die abgerundete Erscheinung so überwältigend, daß sie keinen der tollen Streiche, mit welchen sie den Jugendfreund empfangen wollte, auszuführen mehr den Muth hatte. Es war ihnen allen Dreien, wie einer Gesellschaft, die eine Glashütte besucht und plötzlich von allen Seiten in gläsernen Ketten und Banden gefangen ist durch die Kunst eines Blasers, der sich ein Trinkgeld verdienen will. Schlachtenmaler trug mit Leichtigkeit seine Grüße vor und überreichte Sophien den Brief, während Celinde Gott dafür dankte, daß sie damit doch etwas Innigeres anknüpfen könnte, da sie schon bei sich verzweifelte: für wie kalt und herzlos wird mich der Gute halten! Sie hatte ein so inniges Herz, daß sie's ihm gleich geschenkt hätte, wenn nicht versteckte Genien im altfränkischen Putze, Genien voller Muhmenlehren, sie am Rocke gezupft und ihr eine gewisse Steifheit als standesmäßig vorgeschrieben hätten. Sie frug nun Sophien, was ihr Vater schriebe; doch war diese in den Anblick Oscars so verloren, daß sie den Brief nicht einmal öffnete und sagte: es hätte Zeit damit! Der Schlachtenmaler weidete sich an den Reizen beider Frauen: denn er war schon weltklug genug, um ihre Schwächen zu übersehen; auch fing er gleich an, gegen Sophien eine satirische Petarde loszusprengen. Denn, als ihn Celinde nach seiner häuslichen Einrichtung frug, seufzte er künstlich und sagte: »Alles gut, gnädige Frau, nur wohnt eine in einen Menschen verwandelte Heuschrecke neben uns, die mir und meinen Brüdern viel Gezischels und Grillenfangens macht.« Sophie erröthete und schwur sich zu, noch heute dem Registrator Wiesecke, den ihr der Baron Satan von Höllenstein als die beste Partie beim Kriegsministerium zugewiesen hatte, den Abschied zu geben. Allein Schlachtenmaler, der das Verhältniß zufällig erfahren und gestern noch durch das Rohr des Schlüssellochs so tödtliche Kugeln auf den Gegner damit hatte schleudern können, fuhr fort: »Denken Sie sich, meine Damen, einen Menschen, der die Zunge eines Wagenbalkens zu seyn scheint, der ewig nach dem Gleichgewichte trachtet und nie zu viel oder zu wenig thut, sondern Alles so, wie es seyn muß! Gießt er auf der Flur das Seifenwasser aus, mit dem er sich seinen grauen Bart rasirt hat, so geht das Schritt vor Schritt, ohne etwas zu verschütten, Alles mit edler Besonnenheit und einer ganz in dem Geschäft aufgehenden Hingebung. Raucht er Tabak, so stellt er nicht etwa den Speinapf in seine Nähe, um Alles bequem zu haben, sondern er steht jedes Mal auf und wandelt gravitätisch dorthin, wo der Napf das Recht hat, ihm zu befehlen. Dieser Mensch ist ein sklavischer Götzendiener der Ordnung, die er einmal für sich und seine Umgebung beliebt hat. Kömmt er die Treppe herauf, so geht dies Tritt vor Tritt; an der Stubenthür kratzt er dreimal seine Schuhe am Eisen, dreimal auf der Strohdecke ab; dann erst wird der Schlüssel gesucht, dann eingesteckt, dann gedreht. Das Zimmer geht auf. Nun hört man ihn, wie er erst den Stock wegsetzt, dann den Hut in eine Schachtel thut, dann den Rock auszieht, kurz, man möchte den Mann für einen Professor der Mathematik halten.« Celinde lachte herzlich über diese natürliche Freimüthigkeit, mit welcher sich der Schlachtenmaler über seinen Nachbar aussprach; doch erblaßte sie, als sie Sophie sah, die blutroth dasaß. Und als nun Oscar erst den Namen des Mannes nannte, wußte sie, von wem die Rede war, und schrack ängstlich zusammen, als jener fortfuhr: »Dieser ausgedörrte Aal soll verliebt seyn und sich mit der Frühlingspetersilie eines ganz jungen Mädchens schmücken wollen, wie man in Gasthäusern ihn wohl so auf den Tisch gesetzt bekömmt. Ich denke mir's lächerlich genug, wenn so ein alter Hahn zu seiner jungen Frau sagt: Sophie, mein Haar wird zu lang, schneid' es mir! Und nun muß Sophie die Scheere nehmen und dem entnervten Simson, der keine Thür mehr aushebt, selbst, wenn es eine Tapetenthür wäre, hinter der seine Eifersucht einen Nebenbuhler vermuthet, muß, sag' ich, ihm die Stoppeln auf dem Kopfe reinigen. Oder des Sonntags setzt sich so ein alter Krämer hin und zieht sich weiße Wäsche an, und seine junge Frau muß dann kommen und ihm vorne die Bänder an den Hemden zubinden, muß ihm die Elsteraugen ausschneiden und dann mit Rühreiern, als zweitem Frühstück, bewirthen. Sophie....«. Hier war aber Celinde so blaß geworden, daß sie sich selbst vor einer Ohnmacht nur durch die Erklärung zu retten wußte: »Ach, ich gehe nur in den Garten, kommen Sie mit Sophien nach!« Nach dieser Flucht vor Schlachtenmalers Rohheit hatte Sophie freies Terrain gewonnen, sprang auf und umarmte den Freund, indem sie lachend erklärte, die Partie wäre erst im Anknüpfen und das Besinnen noch bei ihr gewesen. Der Satan (nämlich der Baron von Höllenstein) wollte es so, und, überroth werdend, fügte sie hinzu, es wäre Alles weit lustiger in der Stadt, als auf dem Lande, und er selbst würde schon mit der Zeit noch klug werden. Schlachtenmaler verstand sie wohl und drückte sie von seinem Schoß fort, weil ihn die Neugier trieb, die Gemälde im Zimmer, den Papagei und die Kostbarkeiten der Toilette Celindens zu bewundern. Er mußte bei dieser Wanderung durch das Zimmer Sophien mitschleppen, die sich an ihn hing und nichts zugeben wollte, als er satirisch lächelnd bemerkte: »Wenn das euer Satan sähe! Der Mann ist Officier und scheint den Registrator als Redoute zu brauchen, um seine eigenen Operationen zu maskiren.« Sophie nahm aber einen Fächer, als er nicht aufhören wollte, und schlug ihm damit so derb auf den Mund, daß er, an Rache denkend, genöthigt war, sie zu verfolgen. Sie floh nämlich wohlweislich durch einige Zimmer in die ihrigen und warf die Thür ihres Schlafcabinets erst da in's Schloß, als Schlachtenmaler mit ihr schon drin war. Sie erzählte ihm da Mancherlei von der Vergangenheit.

Indessen duftete Celinde im Garten mit ihren Blumen um die Wette. Manche Thräne perlte in den dunkeln Augenkelchen, daß Menschen, die so lieb und gut wären, so zornige Falten auf ihrer Stirne sammeln und die Gesichtszüge zu so menschheitsfeindlichem Spottgelächter verzerren könnten. Hätte sie doch von allen Rosen gern die Dornen fortgezaubert! Sie war nur deßhalb geflohen, weil sie, wie durch ein Kaleidoskop sehend, fürchtete, die geringste Bewegung, die Schlachtenmaler nun ferner noch machen würde, könnte sie um das schöne Bild bringen, welches sie von ihm hatte. Sie wollte ihn nicht sehen, um ihn desto lieber zu haben; und wie sehr sie sich nach ihm sehnte, so erschrack sie doch vor jeder knarrenden Bewegung der Gartenthür, weil sie dachte, nun würd' er kommen und sich selber wieder nicht mitbringen. Dann dachte sie auch wohl, indem sie sich unter dem kleinen Griechentempel, der auf einer Anhöhe stand und durch einen Laubgang eine Aussicht bot, die schöner war, als sie Kaputh eigentlich gewähren konnte (ein Wunder, das sich erst später wird aufklären müssen), niedersetzte – sie dachte dann wohl: Er soll ein so himmlischer Zeichner seyn! Die Menschen wollen nur in dem rechten Lichte stehen, um sich gut auszunehmen. Zeichnet er, so wird er nicht mehr spotten. Jedem ist doch dies seine Religion, worin er etwas schaffen kann, und in der Nähe seines Gottes lästert er wahrlich nicht. Inzwischen stand schon Schlachtenmaler, indem sie Papier zurecht legte und einen Bleistift spitzte, neben ihr, und Sophie ging, Blumen mehr abreißend als pflückend, hinter ihm drein. Schlachtenmaler war ganz erstaunt, woher hier die Aussicht in eine Gegend käme, die es bei Kaputh gar nicht gäbe, und Celinde hätte es ihm gleich sagen mögen, da sie die Lüge auch der leblosen Natur nicht leiden konnte. Sophie glaubte aber Wunder wie klug zu seyn, daß sie gleich sagte: »Rath' einmal!« denn Schlachtenmaler sagte darauf: »Wenn es dabei etwas zu rathen gibt, so rath' ich auf einen Tünchermeister, der die Aussicht mit dem Spritzpinsel gemalt hat, auf ein italienisches Präsepe nicht einmal, wo die Felsen doch von wirklichem Stein und nicht bloß Deckfarbe sind.« Die Frauen lachten; aber Schlachtenmaler drehte den Tisch, den ihm Celinde zurecht gemacht hatte, um und sagte: »Solche Täuschungen sind gut, nur muß man ihnen den Rücken zukehren: wer kann wissen, daß dies eine nur gemalte Aussicht ist, und doch noch hineinsehen!« Damit zeichnete er ein Puppenspiel im Hintergrund und im Vorgrunde zwei gute Bürger, die das Schattenspiel gleichsam für Wahrheit halten und mit kindischer Ueberraschung auf die Figuren deuten, als wenn sie lebten und man ein persönliches Interesse an ihnen nehmen könnte. Celinde lachte über den Wildfang, ob sie gleich lieber gesehen, er hätte zwei Engel gezeichnet, die mit einem Lamme spielen.

So gerade aber Schlachtenmaler den Bleistift spitzte, so wußte Sophie ihn doch in figürlichem Sinne zu krümmen. Sie machte aus ihres Freundes Talent einen Drücker, der ihm zu jeder Zeit das Haus öffnen sollte. Celinde blickte ihn darauf mit einem Auge an, in welchem der ganze Inbegriff aller sieben Bitten zu liegen schien. Ihm war's in dieser ihn überflutenden Bläue, die ihre großen Augen über ihn ausgossen, als taste er blind an dem Azur des Himmels herum und suche eine Pforte, die ihm wieder den Weg zur Erde zeigte. Er verschloß seine Augen, um sich nur wieder zurecht zu finden, und meinte, wie er lehren könne, was er selbst noch lernen müsse! Dabei zeichnete er aber schon etwas Anderes, nämlich Celinden selbst, aus dem Spiegel heraus, der an der Hinterwand des Tempels stand. Sie glaubte erst, es gelte dem Blumenstrauß, der vor dem Spiegel stand, und blickte unverwandt auf ihn, so daß Schlachtenmaler gerad' ihr Antlitz fangen konnte. Als er fertig war, erröthete Celinde und Sophie jubelte über die Aehnlichkeit, nämlich ihrer Empfehlung wegen, und weil sie nun ein Document hatte, welches den Beruf Oscars auswies. Celinde aber wagte gar nichts zu erwidern: denn sie dachte gerade: Wie gut er ist! Keine Falten mehr auf der Stirn, kein Zittern mehr am Nasenflügel! Sie faßte Vertrauen zu ihm und seinen Arm und stieg den kleinen Parnaß hinab, um ihm noch zu zeigen, was an dem Garten wäre. Schlachtenmaler fand die Blumen alle frischer und origineller als daheim in seines Vaters Garten, ob sie gleich von einem und demselben Samen waren. Nur zuweilen erging er sich in Betrachtungen, die Celinden fremdartig waren. Ueber die Passionsblumen sprach er wie ein Ungläubiger; über Fuchsschwanz erzählte er vom Eulenspiegel. Die Gärtnerbursche belustigten ihn. Es waren commandirte Soldaten vom Regimente des Barons, die, statt zu exerciren, den Dienst mit der Gießkanne thaten. Einmal sagte er, sie hätten Alle Aehnlichkeit mit ihrem Befehlshaber, den er im Bilde schon vorn im Hause gesehen; dann wunderte er sich über ihre abstehenden Ohren und meinte, das Kriegsministerium müßte einen Befehl ergehen lassen, daß den Kindern in frühester Jugend die Hauben hübsch über die Ohren und nicht hinter ihnen vorgezogen würden: denn nur vom Zusammenbinden hinter den Ohren kämen die abstehenden und die Esels-Aussichten, wenn man ein Regiment von hinten marschiren sähe. Ueber alle diese Possen lachte Sophie; doch verletzten sie Celinden. So oft sie auch Schlachtenmalers Arm fahren ließ, wußte er, daß er wieder einlenken mußte. So ging eine Stunde hin; die Gemüther mußten sich erst an ihre Sprache gewöhnen. Sophien wurde die Schwatzhaftigkeit gern zugestanden; nur, daß der Schlachtenmaler selbst mit dem wilden Mädchen so oft durchging, betrübte Celinden heftig. Inzwischen vertraute sie auf sein Inneres und enthielt ihm beim Scheiden einen ihrer langen, so sichern und sanft auflösenden Blicke nicht vor. Er schämte sich, diesen wieder nicht aushalten zu können, und lief davon, ohne auf Sophien zu achten, die schnell aus Aerger einen Knoten in ihr Schnupftuch machte und es ihm, da er schon über den Hof eilte, noch zum Schrecken der Enten, die auseinanderstoben, nachwarf.

Als unser junger Freund allein war, kam er sich wie ein verfolgter Verbrecher vor. Er lief durch die Stadtviertel Kapuths und suchte eine Stelle, um allein zu seyn. Eine ungeheure Leere verödete seine Brust, es war ihm so hohl und unermeßlich, daß er sich irgendwo mit Besonnenheit sammeln mußte. Vorm Thore war der fürstliche Park zu mathematisch für seine romantische Beklemmung eingerichtet. Die beschnittenen Hecken wollten, was bei beschnittenen Dukaten leichter ist, kein Ende nehmen. Die Seitenwege waren gartenkünstliche Vexirspiele, die man lösen mußte, weil große Strafe darauf stand, wenn man den Rasen betrat und die Knoten durchhieb. Dann kam wieder ein grüner Platz, um den einige Fechter und mythologische Anspielungen aus Sandstein herumstanden, und den Niemand geradezu überschreiten durfte. Dann hieß es wieder, hier dürfen Reiter, hier Fußgänger, dort keine Hunde durch. Hier standen zwei, dort drei Thaler Strafe vom fürstlichen Landesgestüt- und Garten-Amte angedroht. Die Rabatten, die man nicht betreten durfte, waren recht zum Rabatt des Finanzcollegiums eingerichtet. Schlachtenmaler wußte vor weißen Tafeln gar nicht mehr, wohin, und warf sich in ein ihm entlegen dünkendes Buschwerk nieder, um nur Ruhe zu finden. Er schämte sich seines Aufzuges und der feinen Handschuhe, die aber gar keinen Staat mehr machten, da sie längst vom Schweiß gefärbt waren. Er warf allen Prunk von sich, mit dem er sich in einer Lage hatte heben wollen, wo er Alles so menschlich und empfindungsvoll angetroffen. Celinde stand hoch für ihn, aber so, wie die Blume auf dem Gebirge. Um ihr zu nahen, mußte er geistig steigen und über viele zickzackige Klippen, auf denen er sich aber gefiel. Er hatte links und rechts gesteuert, um in das Fahrwasser eines grünen, sanft sich spiegelnden Flusses in seinem Innern zu kommen, dessen Milde gegen seine Anstrengung auf eine ihn nun so demüthigende Weise abstach. Er fühlte, daß ein Wesen, wie Celinde, das engelgleich an goldnen Flügeln hinschwebte, weniger klatschte und lärmte, als er mit seinen großen Ikarus-Flügeln, und ihm doch um jene ganze Weite voraus war, in welche er jetzt mit so ödem und unklarem Schmerze blickte. Auch mochte ein noch tieferer Zwiespalt in ihm geweckt seyn, indem er die eben empfangenen Eindrücke mit seinem ungewissen und planlosen Daseyn verglich, und nicht so sehr den Reichthum dort gegen seine Armuth hier, als den Geist und die Atmosphäre, die über Beidem zu liegen pflegt, gegeneinander verglich. Und was aus ihm werden sollte? aus den Brüdern, mit denen sein eigenes Erz und Herz verquickt war? Und die Heimath! Sein dürrer, trockener, im Auge so glanz- und hoffnungsloser Vater, sein unglücklicher Meister, dessen tiefen Seelenadel er zu ahnen vermochte, und der nun mit so stiller Ergebung des Schicksals harrte, welches über seine Kinder kommen würde! Das Alles floß ihm in eine einzige große Last zusammen, die auf sein Herz drückte und ihn in jene Wehmuth versetzte, wo glücklicherweise selbst der Schmerz aufhört, weh zu thun, und sich zuletzt aus einem Chaos von Gefühlen nur das eine bestimmt und deutlich herausscheidet, daß unsere Seele adelig und unser innerster Werth höher als unser Schicksal ist.

Indem raschelte etwas durch das Gebüsch, und Schlachtenmaler bemerkte einen Mann, der, so wie er, keine Rücksicht auf die Warnungstafeln nahm und querwaldein über die verbotensten Partien ging. Näher den kühnen Irrgänger betrachtend, war es ihm, als wüßt' er sich auch in der That nicht zurechtzufinden; sondern zuweilen stand er stille und prüfte mit einem Stocke, wohin er gerathen war. Schlug er auf Bäume, so schlich er leise, traf er die Luft, so ging er dreister. Er muß blind seyn, dachte Schlachtenmaler, und ein Bettler ohnedies, da ihm ein Fascesbündel frischgeschälter Stöcke auffiel, das der Mann unterm Arm trug. So drückte ihm die Noth des verirrten Wanderers schwer auf's Herz, und er hob sich schnell von der Erde. Wie der Blinde das Rascheln hörte, hielt er still und rief mit einer frischen und vertrauensvollen Stimme: »Ach, lieber Herr, wo komm' ich denn auf den Weg?« Schlachtenmaler ging auf ihn zu und betrachtete sich den Armen näher. Er trug eine blaue Fuhrmannsblouse, war sonnenverbrannt und lugte mit seinen weißen Augen hinaus, um sich zurechtzufinden. Schlachtenmaler erfuhr mehr von dem Irrgänger. Er war aus Coblenz und hatte Weib und Kind daheim. Beim Felsensprengen nahm ihm das Pulver das Augenlicht, wenn auch nicht gänzlich. Einen leichten, matten Flimmer hatte er immer vor Augen. Feste Körper und die Luft konnte er durch den Grad von Lichtmasse unterscheiden, die auf ihn eindrang. Dabei war er vertrauensvoll und stierte immer in die Luft. Die Stäbe unterm Arme verkaufe er für gute Fußgänger oder auch nur für gute Seelen. Dabei hatte er eine himmlische Ruhe in seinem Wesen, einen klaren, ätherreinen Ton in der Stimme, nichts Bettlerhaftes, keine Mitleid bezweckende Modulation, sondern sein Unglück sprach für ihn. Es lag eine solche männliche Zuversicht und so viel echter, wenn auch durch die Zeit schon überwundener Schmerz in seiner Erzählung, daß Schlachtenmaler die Thränen nicht hemmen konnte, den Armen erst auf den richtigen Weg brachte und ihm dann noch so viel aus seiner Tasche mitgab, als er entbehren konnte. Der blinde Coblenzer dankte freudig und tappte weiter fort, immer den Blick nach Oben gerichtet, vorsichtig und besonnen sich in der Mitte des Weges haltend.

Jetzt mußte sich aber Schlachtenmaler selbst in Bewegung setzen, um nicht in Kummer zu vergehen. Jetzt hatte nur noch das menschliche Elend gefehlt, um ihn im Innersten zu erschüttern. Alle Poren seines Gemüthes gingen auf. Er konnte sich nicht beruhigen, wenn er an den Unglücklichen dachte, der ganz Deutschland mit seiner fast ganz verglommenen Augenlampe durchtastete, und im Vertrauen, daß ihn der matte Lichtschimmer vor seinem erloschenen Blicke nicht täuschen würde, jenes verklärte Lächeln auf seinen Mienen spielen hatte, welches eigentlich kein Lächeln ist, sondern nur die gespannte Aufmerksamkeit seines Schrittes, die lauschend zugespitzte Erwartung, das grübelnde Langen und Horchen in den leeren Raum hinaus. Wer ermißt all das menschliche Leid, das still an den Mauern wuchert, welche unsere prangenden Lustgärten einschließen! Wie viel zitternde Schmerzenstöne werden von der lautrauschenden Melodie des Tages übertäubt! Ach, so kann jeder Kummer, der uns drückt, sich noch als Tröster an das Lager eines größern Elends setzen, so gibt zu den wenigen Vocalen unserer eigenen Leiden erst gleichsam die größere Zahl der Mitlauter die deutlich articulirte Sprache des Lebens. Betrübt hing Oscar den Geheimnissen des menschlichen Daseyns nach und fand im Schmerze mehr, als in der Freude, den Schlüssel derselben. Er irrte lange umher, bis er zu den Seinen zurückkehrte.

 


 


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