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Elftes Kapitel.

 

Militärische Schicksalswendung.

 

Wie ist aber doch der lederne Schmachtriemen der Armuth ein weit festeres Band für Freundesherzen, als die goldene Kette des Reichthums! Die Brüder nahmen Schlachtenmalers Eroberung mit Jubel auf; aber keiner von ihnen wollte ihm eine Triumphpforte bauen, keiner ihn auf seinem tapfern Schilde in die Höhe heben; sondern ihre Freiheit benutzten sie nur, wie so oft in der Staatengeschichte, gegen den, der sie ihnen verschafft hatte! Schon lange glühte unter der Asche, in der sie bis zu dieser Stunde ihre Kartoffeln hatten braten müssen, eine dunkle Zornesglut gegen den Aeltesten, die jetzt als lodernde Flamme aufschlug. Schlachtenmaler hatte das Geld nur unter der Bedingung auf den Tisch geschüttet, daß sie das Wochenblatt eingehen ließen. Er machte ihnen Vorstellungen über den Geist des Kaputher Publikums, über die mannigfachen Hindernisse, die ihnen Blaustrumpf, Wiesecke, Mörder, die Schule, der Hof und die Censur legten, und, als diese nichts fruchteten, über ihre eigene Unreife, die Nutzlosigkeit verschwendeter Knabenkräfte, über die Druckfehler, die sie stehen ließen, über ihren affectirten Witz – und, als diese Steine, die Schlachtenmaler in ihre Gemüthsteiche warf, erst Blasen und, da sie sich häuften, einen ordentlich reißenden Wasserfall von Zank erregten, sprang er, wie Mephistopheles in der Hexenküche, auf und schlug zwar nicht die wenigen Gläser und Schüsseln entzwei, die sie hatten, wohl aber fuhr er mit einem Rappier, das über seinem Bett hing, in die von ihm selbst gezogene und bemalte Redactionstapete, durchlöcherte sie und riß allen Musen die Fetzen vom Leibe herunter. Seine Waffe schützte ihn gegen die mit mehr Zorn als List ausgeführten Angriffe der Brüder. Er hielt sich den Rücken und den Mund frei und konnte, indem er nach allen Seiten parirte, ihnen einige donnernde Philippiken halten. »Schande über euch!« rief er und wiederholte es mehrere Male als Text seines Vortrags. Dann umschrieb er ihn: »Ihr habt,« sagte er, »alle Berechnungen unseres armen Vaters Lügen gestraft; bin ich auch kein Wouwermann geworden, so könnt' ich doch unsern Kampf hier eben so gut zeichnen, wie ich ihn führe; aber euch hat weder das Lakiren, noch Schumacher, noch der künstliche Aesopbuckel zu etwas Ordentlichem gebracht. Nüsse könnt ihr knacken und Charaden für Poesie ausgeben, Das schlechteste Trauerspiel, hatte Schlachtenmaler früher schon einmal nicht ohne Anspielung gesagt, bietet noch einen reizenden Anblick, so schön wie ein Feuerwerk, dar, – wenn man es nämlich in den Ofen steckt! gleichsam literarische Lehmkügelchen kneten und in schönen Frühlingstagen in die warme Erde eure poetischen Löcher graben, um damit zu spielen. Was seyd ihr? Drahtpuppen ohne meine lenkende Hand.« In dieser Art parirte er und griff an zu gleicher Zeit. Gedemüthigt, aber nicht gebessert, ließen die Empörer endlich von ihren mörderischen Plänen, zu deren Ausführung sie keine Schüssel, kein Glas, Alles, was Schlachtenmaler so besonnen geschont hatte, unbenutzt ließen. Amandus aber, nichts so schmerzlich empfindend, als die Zerstörung der Redactionstapete, entschädigte sich auf die keckste Art und strich die auf den Tisch noch aufgezählten Thaler ein. Man konnte Schlachtenmalern nicht verdenken, daß er jetzt das Rappier fortwarf: denn wie leicht hätt' er vor Zorn seinen Bruder niedergestoßen! Mit der Linken packte er Amandus Genick, und mit der Rechten – die sank ihm plötzlich wie abgestorben nieder; er trat einen Schritt zurück, der Gedanke, wie wunderbar jenes Geld und dieser rechte Arm zusammenhingen, hatte sein ohnehin zur Reflexion geneigtes Gemüth so heftig erschüttert, daß er jetzt als schlafend im Schoße Delilens angesehen werden konnte, wenn ihn die Philister oder seine Brüder binden wollten. Der Anblick, den er darbot, hatte viel Aehnlichkeit mit jenem Momente, als ihn Guido von Lipmann gefragt hatte: ob er denn den Schmerz des Jahrhunderts nicht verstünde? Es wurde Abend, wie damals, nur schien die Sonne nicht. Die Brüder, innerlich furchtsam und ahnungsvoll, was ihm wohl in den Sinn gekommen wäre, halfen sich durch unmächtige Renommistereien, pfiffen sich Muth, nahmen Hut und Stock und nur einen Thaler von der Summe, die sie wohlweislich doch unangerührt ließen, und stürmten tobend und hohnlachend zur Thür hinaus. Schlachtenmaler rief ihnen nach. Sie standen, wie gebannt, doch verächtliche Blicke lügend. »Nehmt Alles,« sagte Schlachtenmaler feierlich; »von heute an tret' ich aus eurem Kreis, ihr trefft mich in diesem Zimmer nicht wieder!« Ein grelles Lachen nahm diese Erklärung auf. Sie stürzten fort.

Schlachtenmaler war zu Thränen reif; aber er vergoß keine, weil er sich vorgenommen hatte, etwas Männliches und Entschlossenes auszuführen. Es wurde immer grauer im Zimmer, und er vergriff sich oft, indem er seine Sachen zusammensuchte, um sie zu einem Bündel zu packen. Er war noch dabei beschäftigt, als sich die Thür öffnete, und der jüngste Bruder Alboin noch einmal zurückkehrte, ganz keck und frech, und etwas vergessen zu haben schien. Schlachtenmaler hörte nicht auf ihn. Alboin kam ihm beim Suchen in den Weg und fragte ihn barsch, was er da suche. Als Schlachtenmaler kein Gehör gab, fragte Alboin sanfter, was ihm denn fehle. Und, als sich nun der Aelteste aufrichtete und ihn mit seinen dunkeln, durchbohrenden, seelenvollen Augen, die in der Nacht des Zimmers wie Sterne funkelten, anblickte, fiel die geborgte Maske des Uebermuths von dem kleinen Mann, und er fing bitterlich an zu weinen. Schlachtenmaler blieb ruhig und weidete sich an dieser Selbsthülfe des Gemüths, welche das Zeichen aller noch unverdorbenen Gemüther ist, wie auch der Körper noch nicht verloren ist, der sich, etwa durch Hautreactionen, selber helfen kann. Alboin drückte sein schluchzendes Antlitz an die Brust des Bruders und fragte ihn: ob er denn ziehen wolle? »Ja,« sagte Schlachtenmaler mild und doch entschlossen: ihm selbst wollte das Herz vergehen. Alboin fühlte das starke Klopfen seines Herzens und umschlang ihn mit all jener Zärtlichkeit, die unter Geschwistern rührend ist, weil sie zwar immer im Hintergrunde liegt, nicht aber, wie bei Liebenden, immer und immer in äußern Geberden sichtbar. Schlachtenmaler setzte sich und nahm den Bruder halb auf den Schoß, halb an die Brust, ohne daß Beide sprechen konnten. Und auch da, als sie, von einem Gedanken geleitet, seufzten: »Der arme Vater!« vermochten sie keine Worte für das, was sie fühlten, zu finden. Sie ahnten, wie sie in dem Netz einer verfehlten Bestimmung gefangen waren, und hatten doch weit weniger Mitleid mit sich selbst, als mit Blasedow, dem trübsinnigen, schwermüthigen Fischer, der Wunder dachte, was er gefangen hatte! »Sein Netz,« sagte Schlachtenmaler leise, »ist so falsch gestrickt, daß wir jungen Fische wohl noch Maschen finden, aus denen wir heraus können; aber was hat er dann?«..... »Die Mutter,« dachten Beide, und es war ihnen, als spalte sich die Erde, und hier stände der Vater, und dort weit, weit am jenseitigen Ufer des Abgrundes die Mutter, und eine Welt, ein großes verlorenes Leben läge zwischen Beiden! So saßen sie eine Weile und hielten still, daß die Engel durch ihre Herzen zogen und ihnen Weihwasser in die Augen sprengten und jene seligen Chöre anstimmten, von denen so oft des Jünglings Herz zerspringen möchte. Liegen nicht im Gemüth der Jugend mehr elegische Klaglaute, als im Herzen des Mannes, der schon gelernt hat, dem Himmel die Stirn zu bieten? Wird nicht das Knabenherz von so seligen Schmerzen oft beängstigt, wie wir später sie nie mehr empfinden? Es ist der ängstliche Traum eines Engels, der in ihnen schlummert; ein unnennbares Weh, das sich in so süße, überwältigende Gefühle auflösen kann. Es ist, als läse sich Gott selbst die Messe in einem so bewegten Jünglingsherzen.

Sanft lehnte jetzt Schlachtenmaler den Bruder zurück und nahm sein Bündel von der Erde. Seine besten Kleider, um sie nicht zu zerdrücken, zog er an; auf Alboins besorgte Fragen und Zureden antwortete er nichts, weil sein Entschluß fest stand, und er das Uebrige, was nun werden sollte, selbst noch nicht wußte. So stiegen Beide die Treppe hinunter und hätten beinahe Celindens Bedienten verfehlt, der sich mit einer Klage über die schlechte Beleuchtung in Kaputh bei ihnen meldete und dann erst sagte, daß er Herrn Oscar Blasedow zu heut' Abend einladen solle! »Zu Celinden?« fragte Schlachtenmaler erstaunt. »Nein, zum Baron; die Baronin jedoch läßt hinzufügen: sogleich!« Schlachtenmaler sagte, er würde kommen, und sann, indem er mit Alboin in den Straßen schlenderte, über das Vorhaben des Barons nach. Nie hatte er den Baron Satan von Höllenstein, der, wie er hörte, vom Kriegscollegium an die Spitze eines reitenden Scharfschützenregiments (wegen welches Scharfschießens auch manche von diesen Jägern eine Brille auf dem Pferde trugen) versetzt war, anders als in zweideutiger Beleuchtung gesehen. Wie kam er heute und so in aller Eile zu dieser Einladung! »Sieh',« bemerkte jetzt Alboin, »deßwegen waren wir dir auch gram, daß du immer deine eignen Wege gingst und uns nur zu den hellen Fenstern aufblicken ließest, wo du zum Besuche warst.« Schlachtenmaler, voller Erwartung, hörte kaum darauf und ließ sich bis an den Platz begleiten, an dem die Wohnung des Barons lag. Alboin wollte ihm hier sein Bündel abnehmen, weil er Psychologie genug verstand, um zu wissen, daß große Entschlüsse oft durch die kleinsten Querbegebenheiten gelähmt werden, und die, welche kurz zuvor etwas Außerordentliches leisten wollten, bald, durch eine glückliche Begegnung erfreut, Gott danken, wenn man vergißt, sie beim Wort zu halten. Doch Schlachtenmaler umarmte ihn, ließ seine Rückkehr zweifelhaft und eilte schnell mit seinem Bündel in das Haus. Alboin begriff nicht, wo er es daselbst, ohne beschämt zu werden, verstecken würde.

Schlachtenmaler fand aber unter der Treppe den Versteck für sein Reisebündel und trat Celinden und Sophien, die Beide schon auf ihn warteten, mit einem Lächeln gegenüber, in dessen Falten und Furchen mehr Saatkörner von Vorwürfen und Spott lagen, als er hoffen durfte heute noch reifen zu sehen. Ja, er hatte auch kaum Celinden gegenüber Platz genommen, als ihre sanften, besorgten, neugierigen Blicke sich ihm in kleine Vögel verwandelten, die alle die Saatkörner aus dem Antlitz und Herzen pickten, soweit sie wenigstens für Celinden in Rache und Spott (besonders des Abonnements wegen) hatten aufgehen sollen. Sie sagte ihm, daß sie an eine Art Seelenwanderung, selbst unter den Lebenden schon, glaube, und meinte damit, daß ihr Schlachtenmaler zwar wie ein abgestorbener und begrabener Freund vorgekommen wäre, daß aber sein Geist und sein Herz ihr in hundert sie umgebende Dinge gefahren geschienen hätte, und sie nur den von der letzten Lection noch liegen gebliebenen Solger'schen Sophokles hätte anblicken dürfen, um das große wunderliche Buch seines Herzens gleich aufgeschlagen zu finden. Schlachtenmaler dachte aber weder an Solger, noch an die Hieroglyphen seines Herzens, sondern an die Seelenwanderung und an die Katze, welche Sophie so eben mit falschen Blicken streichelte. Er war ja nun durch die Seelenwanderung schon dicht bei Egypten und fing rasch an, Sophien auf den eingesetzten Mumienzahn zu fühlen. »Ja,« sagte er (nach einigen Betrachtungen über die Seelenwanderung, die Celinde so gern in ihr Tagebuch eingeschrieben, wenn sie nicht gefürchtet hätte, indem er sprach, etwas von seinen Worten zu verlieren), »wie leicht wär' es möglich, Sophie, daß diese Katze die Seele eines Egyptiers enthält, von dem Sie, als von einer zerstoßenen Mumie, wenn Sie krank würden, alle Stunden zwei Eßlöffel voll nehmen müssen!« Sophie, glücklich, daß er nicht an ihrem Zahne stocherte, bat um Erklärung dieses Witzes, wie sie spöttisch die Bemerkung nannte. Und Schlachtenmaler erklärte ihr, daß man Mumien in den Apotheken brauche, sie zerstoße und, nach der Meinung des Paracelsus, in dem sich ergebenden Pulver die Quintessenz der menschlichen Substantialität finden wolle. Celinde sah hierin etwas so Wunderbares, daß sie Sophiens Zorn gar nicht begriff, als Schlachtenmaler hinzusetzte: nur die Zähne der Mumien würden von der Chirurgie benutzt, und es bleibe noch immer möglich, daß diese Katze die Seele eines Egyptiers enthalte, von dem Sophie einen Zahn im Munde trüge. Schlachtenmaler überhörte alle Einreden der beleidigten Kammerzofe und fuhr fort, alle Katzenbeziehungen der egyptischen Mythen vor den beiden Frauen auszukramen; er schilderte, während Celinde vor Erstaunen die Arbeit einstellte, und Sophie die seelenwanderische Katze vom Tische jagte, die reizenden Attribute der Göttin Bubastis, welche, statt eines menschlichen, einen Katzenkopf trug; er fing, da Sophie alle diese Bemerkungen als Lügen in Abrede stellen wollte, von ihren, nämlich Sophiens, blendenden Zähnen zu sprechen an und setzte lachend, gleichsam, um sie nur leise zu necken, hinzu: er wisse ja, wie falsch sie wären, und der egyptische Gott Knuphis, der das weiße blendende Ei im Munde trage, wäre ja auch bekannt genug dafür, daß er – der Schlangengott wäre! Und, als Sophie jetzt keine andere Hülfe mehr wußte, als einen krampfhaften, stieren Blick, gefährlich wie die Spitze eines Dolches, auf ihn zu richten, legte er mit mitleidsloser Bosheit den Finger an den Mund und sagte ruhig: »Harpokrates, der egyptische Gott des Stillschweigens, wird so mit einem Finger am Munde gezeichnet, und ich möchte doch weit öfter glauben, daß diese Geberde eher von Zahnschmerzen, als von einem – Geheimniß kömmt.« Sophie suchte jetzt die immer deutlicher werdenden Anspielungen, die ihr seine Mitwissenschaft um ihr Geheimniß entschieden verriethen, auf andere Art unschädlich zu machen. Sie ließ die vornehme Maske einer dem Adel gleichsam zur linken Hand angetrauten Weltdame fallen und versuchte es mit der Jungfer Tobianus und der jugendlichen Gespensterdecke, unter welcher sie mit Schlachtenmaler einst gesteckt hatte. Sie nannte ihn plötzlich wieder du und griff ihm dabei so heftig in die schwarzen, krausen Haare, daß Celinde erschrocken auffuhr und sich – wie sie vorgab – des Anstandes wegen diesen Rückfall in die frühere Vertraulichkeit verbat. Doch that sie dies mit so wenigen Worten und so vieldeutigen Blicken, daß man auch Eifersucht oder Besorgniß, wenigstens in ihrer Rüge, finden konnte. Schlachtenmaler flüchtete um einige Zoll in ihre Nähe und verbat sich bei Sophien mit komischer Entrüstung, ihn doch nicht in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen zu stören. Es wäre doch lehrreicher, wenn er mit ihr über Mumien spräche, als über ihre Toilette: was ihn denn ihre Zahnbürsten angingen! Er glaube auch nicht einmal, daß alle Mumien echt wären, daß die von hinten einbalsamirten Egyptier besser ihre Zähne erhalten hätten, als die von vorne, und daß diejenigen Zähne sich gar nicht erhielten, welche von Pseudomumien kämen und statt in einer egyptischen Pyramide allmählich im Bleikeller von Bremen vertrocknet wären. So könne Mancher glauben, er trüge den Zahn einer egyptischen Mumie, und er gehörte jenem gedörrten und von der Luft in Leder verwandelten Dachdecker an, der im Bremer Rathskeller so viel Epoche mache. Ein Zahn, von dem wir uns einbilden, daß er nur Datteln und Feigen im schönen Morgenlande gegessen hätte, könne gerade vom Tabakskauen so weiß sich erhalten haben. Und in dieser Art hätte sich Schlachtenmalers Spott in eine Schraube ohne Ende verwandelt und Sophiens Ehrgeiz bis zur Ohnmacht durchbohrt, wäre ihr nicht ein Mann zu Hülfe gekommen, den Schlachtenmaler bisher nur im Mantel gesehen hatte und auch heute nicht sogleich erkannte. Indessen war es der Obrist Satan von Höllenstein.

Der Oberst saß in seinem Namen drin, wie ein Kind in ein paar Courierstiefeln. Der Name war viel zu weit für seine schmächtige Figur, viel zu dunkel für seine gutmüthigen wasserblauen Augen, viel zu donnernd für eine wunderbar zirpende Stimme, von der Schlachtenmaler gleich dachte: Ist sein Regiment nicht akustisch aufgestellt, dann weiß ich nicht, wie es ihn hören wird. Jedoch hielt diese Widersprüche ein geheimer Draht zusammen, den man bald als militärisch-aristokratische Conduite erkennen konnte. Wie mancher berühmte Husarenobrist der preußischen Armee sitzt nicht in einem orthopädisch-elastischen Schnürgestell auf seinem Pferde, worunter ich hier etwas ganz Anderes verstehe, als eine Anspielung auf die künstlichen Taillen der Gardelieutenants. Nein, alte Spieler, alte Badbesucher von Aachen, rheumatische Jäger, wilde, tolle Husarenknaster sitzen nicht selten nur noch durch Stahlfedern auf dem Pferde fest, während sich freilich Baron Satan von Höllenstein früher auf dem Kriegsministerium nicht daran gewöhnt hatte, mit Stahlfedern zu reiten, sondern eher wohl, damit zu schreiben. Nun war er aber einmal in die active Armee übergegangen und commandirte die berittene Scharfschützengarde. Jetzt war Alles knapp und eng an ihn anliegend, Sporen rasselten ihm an den Füßen, keine Stubendecke war mehr sicher vor ihm. Es währte auch lange, als er in's Zimmer trat, daß er einen Knäul von den Stiefeln loswurde, in den er sich gleich (er gehörte zu Sophiens Strickstrumpf) auf der Schwelle verwickelt hatte. Mit jenen gerundeten Formen, die dem Adel so vielen Vorsprung vor der Canaille geben, winkte er Schlachtenmalern, sich zu setzen, und fixirte ihn wiederum mit einem jener Blicke, die nicht die Stärke der Seele, sondern die kecke Schule des Privilegiums dem Auge des Vornehmen eingeübt hat. Ganz kurz abgestoßen, wie Einer, dem etwas gut schmeckt, schnalzte er mit der Zunge: »Sind Herr Blasedow?« Und, als dieser sich leise verneigte, nickte der Obrist drei-, viermal mit dem Kopf und stieß noch kürzer ab: »Freut mich; Vergnügen gehabt; sehr angenehm; sehr angenehm; längst gewünscht; sehr angenehm!«

Schlachtenmaler erklärte mit Würde, seine Befehle zu erwarten; doch der Obrist erwiderte lächelnd: »Findet sich, findet sich!« und erstaunte, keine Zurüstungen zum Thee anzutreffen. Sophie erhob sich mißlaunig und klingelte; doch Celinde war selig, daß sich ein so behagliches, trauliches Band um sie Alle knüpfen sollte. Der Obrist erwähnte einige Unerheblichkeiten und wandte sich dann wieder an den jungen Mann mit holdseliger Protectormiene und denselben Lakonismen des Styls und derselben Geschwätzigkeit des Vortrags (denn die kurzen Sätze wurden alle dreimal wiederholt): »Sind Maler? – Weiß's; sind Maler; guter Maler; Renommée, haben Renommée; Maler, gute Pferde, Militärmaler, weiß's: – Silberschlag hat's gesagt, tüchtiger Mann, Director Silberschlag, tüchtiger Mann – sehr gelobt, sehr gelobt, – gute Pferde malen, habe Pläne, Pläne, große Pläne.....« Doch verschwieg er sie noch, und Schlachtenmaler biß so lange in die Theetasse, als er nöthig hatte, sich an die Manieren des Obristen zu gewöhnen. Dieser rückte endlich in seiner kurzen, mehr im Infinitiv als im Indicativ redenden Sprechweise, die beinahe auf eine gründliche Lecture des Tacitus schließen ließ, mit einem vollständigen Feldzugsplan heraus, den der Fürst von Sayn-Sayn, jedoch nur in friedlichen Absichten gegen seinen Nachbarn, den Fürsten von Vierhufen, entworfen hatte. Es war der beiderseitige Wunsch dieser Fürsten, ihre Truppen einmal wieder an die Strapazen des Feldlagers zu gewöhnen, wie auch einige neuere Fortschritte der Kriegskunst, statt auf dem Excercirplatze, im offnen Felde zu versuchen. Der Obrist war zum Generalissimus der diesseitigen Truppen ernannt worden und wünschte, um der Geschichte von diesen vorhabenden denkwürdigen Manoeuvres eine deutlichere Erinnerung zu hinterlassen, einige Hauptcoups, mit denen er das Schicksal der künstlichen Schlachten zu entscheiden sich kluglächelnd schmeichelte, in dem Moment, wo sie gemacht wurden, von einem geschickten Maler in Sepia oder Oelfarbe oder auch vorläufig nur in Kreide sich aufnehmen zu lassen. Schlachtenmaler sollte den Generalissimus in nächster Nähe begleiten und jeden malerischen Moment benutzen, um die Gruppen und die Conflicte der Truppen aufzufassen und vorläufig wenigstens in Umrissen wiederzugeben. Er würde schon Sorge tragen, bemerkte der Obrist, daß Schlachtenmaler immer einen sichern Punkt träfe, wo er das Ganze am besten treffen könnte, und selbst, wenn es mit scharfen Patronen herginge (was jedoch gänzlich unterbliebe), so wäre sein Reisewagen so gut als bombenfest. Celinde, die schon wußte, daß sie mit Sophien bestimmt sey, das Manoeuvre ihres Mannes mit anzusehen, schwoll wie eine gepflückte Rose im Wasserglase auf, ein unnennbares Gefühl der süßesten Vertraulichkeit überkam sie, sie hätte ihren Gemahl, um wieder ihres seligen Dranges nur auf eine passende Weise loszuwerden, gern an ihr Herz drücken mögen, wenn er sich gerade nicht im Momente so wunderlich geberdete. Er zog nämlich Tranchéen und Verhaue um sich und that, als koste es den Hals, bis zu ihm heranzukommen. Er signalisirte seine Frau als das feindliche Hauptquartier, Sophien als einen Pulk künstlicher Kosaken, den sich der benachbarte Fürst, aus Sympathie für Rußland, hielt, Schlachtenmalern als das ästhetische Gewissen aller seiner Bewegungen und commandirte mit so großer Geistesgegenwart, als wenn er schon im Feuer stände. Er suchte den jungen Künstler schon im Voraus mit den Glanzstellen seiner eingelernten Manoeuvrerollen bekannt zu machen und griff in der That in die Tasche, wo er den ganzen Plan schon vorgezeichnet und nur nöthig hatte, ihn auswendig zu lernen. Schlachtenmaler bemerkte, er wisse allerdings, daß es bei Manoeuvres nicht auf Improvisationsgabe ankäme, sondern auf die gewandte Ausführung einer mechanischen Vorschrift; doch könne vielleicht der jenseitige Kriegsplan von dem diesseitigen sehr verschieden seyn. »Gott bewahre!« fiel der Generalissimus ein, »Alles diplomatisch vermittelt, Alles schon vermittelt, keine Verwirrung, Alles bis auf Linie und Schritt berechnet, keine Tücke, keine Hinterlist, Alles reines Kunstmanoeuvre!« – »Nun,« bemerkte Schlachtenmaler, »dann, seh' ich, ist für die beibehaltene Fassung und Geistesgegenwart des Commandirenden wohl unter allen Umständen gesorgt; aber, ob dabei die malerische Gruppe auch berücksichtigt ist, ob das logische Rechen-Exempel auf dem Papier auch bildlich sich gleich interessant machen wird!«..... Der Obrist sah ihn halb bös, halb verlegen an und fuhr ihn dann (nur die Contenance nicht verlieren! war ja sein Wahlspruch) barsch an: »Herr, Sie müssen Standpunkt haben; Massen sind immer schön... Uebersicht; Perspective... Die bunten Monturen, die Pferde, die Pferde, die geraden Linien, die Tornister hinten, Alle wie Einer, Alle wie Einer, ganz präcis, und die Kamaschen unten, hundert wie eine, sehr malerisch, ausnehmend malerisch!« – »Ach,« seufzte Schlachtenmaler, »ich denke immer noch, wenn doch die rechten Verschiebungen der Lichter nicht kommen wollen, so springen, mir zu Liebe, ein paar Pulverwagen in die Luft, und die Scene bekommt plötzlich eine ganz andere Beleuchtung!« —»Sind Sie des Teufels!« mischte der Generalissimus seinen Unwillen in das Geschrei der beiden Frauenzimmer; »darauf keine Rechnung machen, gar keine Rechnung; ist bestens gesorgt; kein Trainknecht die Pfeife rauchen, keiner, absolut keiner; wollen doch sehen, wer Generalissimus ist! Fünfzig Schritt von jedem Pulverwagen darf Niemand mit etwas Feuerfangendem vorübergehen. Wer stählerne Schnallen an seinen Hosenträgern hat, setzt sich einer empfindlichen Untersuchung aus; nichts Feuerfangendes – fünfzig Schritt von jedem Pulverwagen – unter keiner Bedingung. Niemand, der eine stählerne Brille trägt, darf in die Nähe kommen; bei wem ein Messer attrapirt wird, verfällt in Strafe; wer von den Zuschauern in der Nähe eines Pulverwagens zuviel auf- und abgeht, muß seine Schuhe ausziehen: denn die Friction von Leder auf frischem Grase ist merkwürdig. Also diese Hoffnung lassen Sie sich vergehen! Kein Pulverwagen wird in die Luft springen. Dem Fürsten hab' ich meine Ehre verpfändet, daß kein Unglück geschieht. Die Generalsepaulettes stehen darauf. – Mich nicht unglücklich machen.«..... Schlachtenmaler erwiderte sehr ruhig, daß er dann aber auch seine Bleistifte nur mit beklommenem Herzen würde spitzen können, geschweige, daß er nun gar Kohle zu den Hauptumrissen würde ganz entbehren müssen. Der Baron zuckte die Achseln und wiederholte, daß er seine Tressen und seine Ehre verpfändet hätte; doch fügte er gnädig hinzu, daß er dennoch aus Schlachtenmalers Art, sich in das Manoeuvre hineinzudenken, zu seiner Phantasie nun wahrhaftes Zutrauen gefaßt hätte; nur bät' er ihn, in der Ausführung seiner Bilder weniger auf die Gruppirung, als auf die authentische Treue der einzelnen Montirungen zu sehen. Der Fürst hätte an der Uniformirung seiner Armee einen Narren gefressen, ja, seine Teller bei Tafel wären ja auch alle mit den Monturen seiner Armee bemalt. Die Suppe schmecke ihm einmal nicht, wenn er, als Belohnung seiner Mühe, den Löffel zu führen, nicht unten immer auch ein Portrait von der fürstlichen, gleichsam Löffelgarde erblicke. Der Baron (der also noch nicht einmal General, aber doch schon Generalissimus war) sprach dies sehr leise: denn er konnte, ein umgekehrter alter Dessauer, die Infanterie nicht so gut leiden, wie die Cavallerie, und fügte, die Conduite ganz vergessend, etwas grimmig hinzu: »Fürstliche Durchlaucht haben die Pferde nicht so gern, weil sie etwas schwieriger auf Suppenteller zu malen sind, oder wenigstens die Cavallerie nicht in so angenehmer Größe das Gewehr präsentirt, wie auf den Präsentirtellern die Infanterie.« Celinde bekam Herzklopfen, weil sie wußte, daß ihr Mann hier etwas von seinen innersten Geheimnissen, die ihm fast den Charakter eines Staatsunzufriedenen gaben, verrieth. Doch besann er sich bald darauf, wen er vor sich hatte, und lobte auch wohl wieder den Fürsten als eine musterhafte Ausnahme. Er rühmte das Talent desselben für die Oekonomieverwaltung der Armee, seinen umsichtigen Scharfblick für das Bekleidungsfach, das Train- und Proviantwesen. Er rühmte sein Talent und seinen Muth in durchgreifenden Veränderungen, die er manchmal mit der ganzen Armee anstellte. Ein Wink, und alle Soldaten haben im Nu einen Knopf mehr oder weniger auf dem Leibe. Der Obrist nannte das, was den Fürsten so sehr auszeichnete, seinen »militärischen Geschmack,« seinen Sinn für Propreté und Zweckgemäßes. Er erzählte, daß der Fürst Tagelang an einigen mit Haaren beklebten Holzköpfen mit der Friseurscheere herumgeschnitten hätte, bis er die eigentliche militärische Tour der Haare erfunden, die noch jetzt die Landestruppen trügen, und die sogar in die preußische Armee übergegangen wäre. Wenn es einen bedeutenden Regenten gegeben habe, der wohl nur deßhalb die Liebhaberei gehabt, Siegellak zu gießen, weil unter seinen Auspicien die Diplomatie und das Briefgeheimniß in so großer Blüthe standen, so könnte sich bei dem Landesfürsten Niemand wohler befinden, als wem es gelänge, neue Firnißmethoden und Lakmischungen zu entdecken. Wolle Schlachtenmaler sein Glück machen, so müßten auf seinen Zeichnungen die feinsten Unterscheidungen der verschiedenen Truppentheile angebracht seyn, müßte jeder Hosenknopf getroffen, jeder Riemen, selbst unter der Montur, in einer gewissen Spannung angedeutet seyn. – Schlachtenmaler antwortete darauf: o, er hätte davon Erstaunliches gehört; der Fürst hätte zwar nicht die Haare auf dem Haupte jedes seiner Unterthanen gezählt, wohl aber die Haare auf dem Haupte jedes seiner Soldaten: denn er wisse ja genau, wie viel Haare jeder Federbusch auf dem Tschako ordonnanzmäßig enthalten müsse. Uebermorgen, sagte endlich der Obrist, würden die Truppen ausrücken, und Schlachtenmaler solle sich theils an das Hauptquartier, theils an die bombenfeste Kutsche halten, welche die Damen führe, und, als Schlachtenmaler erklärte, aus gewissen Gründen, namentlich aber, um sich an das Soldatenwesen zu gewöhnen, möchte er diese und die folgende Nacht in der Kaserne der Scharfschützen schlafen, gab ihm der Obrist, erfreut über diesen Beweis der engsten Anschließung an seine Pläne, einige Bleistift-Bemerkungen an seinen Adjutanten mit und verließ dann, ermüdet von den langen Auseinandersetzungen, das Zimmer. Sophie folgte ihm, und gleich hinterher die Katze, die in andern Umständen war. Schlachtenmaler stand noch einige Minuten Celinden gegenüber und blickte ihr mit Schmerz in die himmlischen Augen. Sie verstand es nicht, daß dieser Schmerz dem Generalissimus, ihrem Manne, galt, und daß eine verstohlene Thräne seines Auges, die aber nicht zum Vorschein kam, sie bemitleiden sollte. Sie war selig über die Annäherung, die zwischen Schlachtenmalern und ihrem Manne so eben stattgefunden, und das Echo des Beifalls, den jener in der That bei diesem gefunden, klang in seligen Blicken aus ihrem Auge nach. Nur, daß er ihre Freundin Sophie so schneidend behandelte, hatte sie selbst verwundet, und im Tone des zärtlichsten Vorwurfs sagte sie nur noch: »Glänzt denn die Oberfläche ihres (Sophiens) Herzens nicht wie das blaue Meer, wenn zuckende, muthwillige Sonnenblicke darauf hinweggleiten? Ist sie nicht, wenn auch keine immer naturgemäße, aber darum doch immer wunderbare Erscheinung, wie man deren im Naturleben so viele hat?« – »Ja,« sagte Schlachtenmaler, »wie die Galläpfel, die auch etwas Wunderbares, aber eine Krankheit der Bäume sind.« Celinde hätte ihm die Hand mit ihren beiden gedrückt, wenn er diese feindselige Vergleichung nicht ausgestoßen hätte. Sie blickte ihn lang und starr an und prüfte, wie es in der Tiefe seines Herzens wohl rauschen und wallen möchte. Da er aber den Blick mit übereinandergebissenen Lippen erwiderte, und seine feinen satirischen Mundwinkel- und Nasenfalten immer maliciöser hervorzuckten, seufzte sie wie eine Verzweifelnde auf und ging mit den Worten in ihr Zimmer: »Oscar, Sie sinken immer tiefer; bald wird im Lucifer keine Spur mehr vom Engel seyn.«

Schlachtenmaler dachte aber bloß an die Scharfschützenkaserne und packte schnell, da er allein war und sich schon als Marodeur fühlte, die übriggebliebenen Theezwiebacke in die Tasche und lief fort, da auch längst Appell geschlagen war. Unten fiel ihm sein Bündel ein. Er griff blindlings unter die Treppe und nahm seinen Sack, der ihm etwas schwerer geworden schien, unter den Arm. Unterwegs fing es in dem Bündel an lebendig zu werden, und ein eigenes Gewimmer drang aus demselben bei der Stille des Abends an sein Ohr. Eben wollte er über eine Brücke gehen, als ihm das Gewühl seines Bündels so ängstlich wurde, daß er's, wie Einer, der sich zu verbrennen fürchtet, fortwarf. Beim Schein einer Laterne, sah er die Bescherung: Sophiens Katze hatte ihm, aus Dankbarkeit für die Vermuthung, daß ihre Seele demselben Egyptier angehören möchte, von dem Sophie einen Zahn im Munde trug, ihre Entbindung zum Geschenk gemacht. Das warme Päckchen unter der Treppe war in den fünf Secunden, wo Schlachtenmaler und Celinde sich noch über ein Bild erzürnten, Hätte sie mit ihren Augen ihn doch früher schon einmal vernichten mögen, als er, einem englischen Dichter nachsprechend, die Morgenröthe mit einem gesottenen Hummer verglich! ihr Wochenbett geworden, und nun hatte der glückliche Vater nicht einmal den Muth, die Thierchen anzufassen und in's Wasser zu werfen. Er sah, als ihm die Nothwendigkeit, den ganzen Bündel zu opfern, nun einleuchtete, in der Katze die Verbündete Sophiens und in den Jungen ihre beiderseitige Rache. Schaudernd faßte er einen Zipfel seiner Wäsche und warf mit einer krampfhaften Anstrengung das ganze Gewühl über das Geländer der Brücke hinunter und lief, als wenn ihm Gespenster folgten, nun ganz nackt und arm, nichts als ein Manoeuvremaler geworden, spornstreichs und von allen abwechselnden Eindrücken dieses Tages übermannt, in das einzige ihm übrig gebliebene Asyl der reitenden Scharfschützenkaserne. Der Namenszug des Generalissimus verschaffte ihm Einlaß; er fand ein Zimmer und legte sich auf eine leidliche Matratze.

 


 


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