Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

 

Das Stelldichein.

 

Wo sollt' es aber mit den Brüdern hinaus! Kamen doch die wichtigsten und wegen ihres sittlichen Charakters geachteten Personen der Stadt, ein Blaustrumpf, ein Wiesecke, ein Weckenesel, Weckenesel hatte, obschon nur Inspector, mehr Gewalt über die Akademie, als Silberschlag. Wollte man etwas von ihm, so mußte man nicht mit den deutschen Katholiken beten: Heiliger Januarius, bitt' für mich bei Gott! sondern mit den neapoletanischen: Lieber Gott, bitt' für mich beim heiligen Januarius! ein Schimmelpfennig, darin überein, daß diese jungen Leute das ganze fürstlich Sayn-Sayn'sche Schul- und Unterrichtswesen von Grund aus verdärben, das Reine ansteckten, die Gemüther halsstarrig und zu Empörungen geneigt machten. Sie waren ein in das Wasserglas der Schulabrichtung geworfenes Salz, das sich allmählich darin auflöste und oben lauter windige Blasen trieb. Sie waren diese Feuchtigkeit, welche die ganze lateinische Jugend Kapuths wie junge Häuser stockig machte. Jener Kreis von allgemein anerkannten Stadt und Landespatrioten zog sich immer enger zusammen und suchte das Quartett des Aufruhrs zu ersticken. Nur dem Aeltesten beizukommen, war schwer, da er sich in einer gewissen anständigen Art zu geben wußte. »Aber,« sagte Blaustrumpf, »gerade dieser Schein von Ehrenhaftigkeit ist es, der die größten Verbrecher aller Zeiten ausgezeichnet hat und namentlich den Räuberhauptleuten jenen Nimbus gab, der ihnen unter ihrer Bande eine meist abergläubische Verehrung verschaffte. Ja, hat sich Catilina nicht gerade durch einen gewissen Adel in seinem Benehmen ausgezeichnet und durch einen äußern Schein alle jene Laster verdeckt, die er im Geheimen und gewiß nicht ohne Mitwissen Cäsars trieb? Wie viele Mörder und vorsätzliche Brandstifter wußten nicht selbst auf dem Galgen noch einen Anstand zu behaupten, der dem Henker mehr Angst machte, als sie in ihrer Verstocktheit selbst empfanden! Ich will,« fuhr er noch jüngst in seinem Kränzchen, welches er gegen die Tractatenverbreitung gestiftet hatte, fort, »ich will nicht mehr viel von dem Vergangenen sprechen; aber gestehen müssen wir doch, daß schon jene Geistererscheinung, welche der Bursche, zum Spott des Consistoriums und der Umgegend, in Kleinbethlehem aufführte, einen Grad von Verruchtheit offenbarte, der, wenn er sich nur wenig gesteigert hat, schon der gefährlichsten Unternehmungen fähig wäre. Die Mitschuldige jener Mummerei, welche mich in die Tage zurückversetzt, wo das Gespenst in Tegel so viel Schrecken verbreitete, die Tochter des sonst vorurtheilsfreien Tobianus, dient jetzt in dem Höllenstein'schen Hause als Gesellschafterin; er besucht sie, und wer weiß, ob sie auch hier nicht wieder, und vielleicht in einem gefährlicheren Sinne, unter einer Decke spielen! Aufrichtig gesagt, Herr Registrator, ich begreife nicht, wie Sie Ihre respectable Person mit einem so zweideutigen Wesen haben in Verbindung setzen können!«

Der Registrator hatte sich längst entfärbt und zitterte vor Wuth. Er mochte den Gedanken an Sophien um so weniger aufgeben, als sie ihn dazu noch nicht aufgefordert hatte, und die Schlaue auf alle Fälle einen Rückzug sich offen zu halten schien: einen in die Jugend, einen in das leichtfertige und den dritten in das gesetzte Alter. »Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er, um den Consistorialrath zu veranlassen, ihn darum zu bitten, »Sophie ist ein unschuldiges Geschöpf, das nur im Bewußtseyn seiner Reinheit jenen falschen Schimmer nicht zu scheuen braucht, den eine theils schwierige, theils harmlose Stellung wirft. Würde die Baronin Celinde, diese keusche Nachtviole, Sie kennen diesen überirdischen Hauch eines mehr Engels als Weibes.....« – »Ach,« unterbrach Frau Doctor Mörder diese poetische Schilderung, die auf Sophien einen Abglanz werfen sollte, »wer kann das Innere dieses Hauses errathen! Die stillen Wasser sind die unreinsten. Die Baronin scheint an dem reizenden Burschen« (hier griff Mörder zur Theetasse, um den kalt gewordenen Inhalt zu leeren, und Wiesecke schon beinahe nach dem Stock) »nicht weniger Gefallen zu finden, als die Gesellschafterin. Der würde nicht den Kopf so hoch tragen können und solche rothe Wangen haben (während es ihnen oft am Nöthigsten fehlt, und der Wirth keine Miethe bekömmt), wenn ihm nicht irgendwo die schwarzen Locken gekämmt und die Barthaare gestutzt würden.« Frau Mörder sprach dies mit einem so sichtlichen Verlangen, es in dieser Zutraulichkeit den vermeintlichen Sünderinnen nachthun zu dürfen, daß Registrator Wiesecke, als hätte er sich auf das Nadelkissen der Doctorin gesetzt, aufsprang und das ganze Kriegsministerium vorschützte, um nur freie Luft und Rache schöpfen zu können. Sey es nun, daß er von Sophiens Treue eine so gute Meinung hatte, wie sie gewiß von der seinigen; sey es, daß er von dem Baron Satan von Höllenstein, seinem Vorgesetzten, die gemessensten Befehle hatte: genug, er wollte wenigstens den Schlachtenmaler einen Blick auf das Gemälde seiner noch immer ungetrübten Hoffnungen werfen lassen und ersann sich einen Brief, den er ihn bitten ließ, da er ja täglich das Höllenstein'sche Haus besuchte, noch heut' Abend mitzunehmen. Die Oblate des Billets feuchtete er mit den Flüssigkeiten seines Mundes so heftig an, daß es lange währte, bis sie getrocknet seyn konnte. Er wünschte, daß Schlachtenmaler sich selbst von dem zuversichtlichen Tone überzeugen sollte, den er das Recht hatte gegen Sophien zu gebrauchen. Nicht einmal ein Petschaft (sonst waren es immer zwei schnäbelnde Tauben) drückte er darauf, damit Schlachtenmaler ganz leicht sehen könne, welchen Uriasbrief er an Sophien hinterbringen müßte. Dieser, eben im Begriff, Celinden zu besuchen, nahm den Brief mit und las ihn, da er offen genug war. Wiesecke sprach wie trockenes Verstandesholz, das durch übermäßiges Reiben plötzlich zu rauchen anfängt und zündet. Eine Wärme, wie von nassem Heu, sprach sich darin aus, die Romantik schweißiger Händedrücke, wie Schlachtenmaler sagte. Das Drolligste war ein Stelldichein, was sich Wiesecke für den Abend so keck bestellte, als wär' es ein Fußbad. Er drückte das Papier wieder zu und hoffte dem Stelldichein einen Fuß zu unterstellen. Sophie wollte den Brief nicht nehmen, als er an ihr vorüberging und zu Celinden eilte, mit der er die griechischen Tragiker in deutschen Uebersetzungen las. Sie hielt ihn fest und schalt ihn seiner Zerstreuung wegen. Da er Celinden zueilte, zog sie ihn mit Gewalt in ein von ihr entferntes Zimmer und weinte, weil sie nicht mehr wisse, wohin. Es wäre ihr das Liebste, wenn er mit ihr fortginge. Er machte sie mit Salbung auf die Pflichten aufmerksam, die sie gegen den Registrator hätte; allein dieser war bei ihr immer nur die äußere, schützende Schale für einen Kern, den Schlachtenmaler errieth, aber aus Achtung vor Celinden nicht aussprechen wollte. Geräusch nebenan trennte Beide, und Schlachtenmaler trat beklommen, wie jeden Abend, zu Celinden, die ihn längst erwartet hatte.

Die zartesten Gespinnste hatten sich seither um diese beiden Menschen gelegt. Sie tauschten Alles gegeneinander aus, was die Veranlassung und dauernde Grundlage der Liebe ist, ohne an diese selbst zu denken oder sie gar zu nennen. Beide nahmen sich wie Aufgaben, die sich zu lösen hätten: denn Celinde schwärmte dafür, den jungen Mann von den Uebertreibungen seines Gemüths und all den Narben und Höckern seines Wesens zu befreien. Er dagegen suchte ihr Geschmack an dem Satze beizubringen, daß alle Dinge zwei Seiten haben; sie, daß die Wahrheit und die Schönheit nur eine einzige, ewige und unveränderliche Form hätte. Was er in hundert Falten legte, das zog sie in eine schöne und aufrichtige Ebene auseinander. Sie hatte ganz den Enthusiasmus junger Frauen, Jünglinge, die sich vom Gegebenen allzuweit entfernen, auf das Leben und seine Gesetze zurückzuführen, und sorgsam hütete sie an dem Paradiese ihrer Gespräche, wie ein Engel mit dem feurigen Schwerte, um ihn immer wieder in die Hecken zurückzutreiben, wenn er sie zu überspringen und, wie sie's nannte, nicht gut zu seyn drohte. Und er dagegen! Wie gern hätt' er sie für den Humor empfänglich gemacht, und wie wenig gelang es ihm mit Jean Paul, sie dahin zu bringen, wohin er sie bringen wollte! Sie hatte ein durchaus klassisches Gemüth, das an dem Humor nie die Doppelstimme unterscheiden konnte, sondern im raschen Umflug ihres pochenden Blutes alle Farben gleich wieder in eine verwandelte, in die blaue, die Farbe des Vertrauens und der treuen Beruhigung, gleich dem Azur des Himmels. Sie ertappte ihn gleich, wenn er, wie strengere Richterinnen würden gesagt haben, in Thorheiten verfiel, oder, wie er's sich oft selbst später im Stillen eingestand, wenn er faselte. Er konnte locken und blasen und die schönsten Töne aus seinem poetischen Wunderhorn zaubern, sie ging nie mit ihm in den Wald der Grübelei, wenn er nicht die gebahnten Fuß- und Fahrwege einschlug. So hatte sie, ohne es zu wissen, sich die keuscheste Unschuld in ihren Gedanken erhalten, den einzigen zauberhaften Brunhildsgürtel, der stark genug ist, Frauen zu wahren selbst gegen Siegfriedsanfechtungen, solange sie nämlich geistig bleiben und nicht, wie in der alten Sage, körperlich werden.

Oft aber, und gerade heute, war Celinde doch nur ein schwaches Weib und der Liebe so nahe, daß nur noch das Geständniß fehlte, was freilich Alles ist, und das nie kommen wird, wo man sich der Schuld nicht bewußt ist. Sie fühlte sich so tief in die Empfindungen ihres Freundes hinein, daß sie ihm ansehen konnte, wie er litt, wenn sie Andern gehörte, die kein größeres Recht auf sie hatten, als er oder ihr Gatte. War er doch schon oft abgewiesen worden, wenn sie Gesellschaft gab, und hatte geschworen, nicht wieder zu kommen! Und nun, statt ihn über das Unumgängliche aufzuklären, litt sie mehr darüber, als er, und schämte sich, wenn sie ihn wiedersah, weil sie doppelt fühlte erstens ihr Unrecht und dann seine Kränkung. So war es gestern gewesen, und heute wagte sie nichts davon zu erwähnen und saß still und fast beschämt da, als er kam. Er trat mit jener vornehmen Entsagung ein, die aber die Mischung einer Entbehrung und eines Stolzes ist, der sich über sie hinwegsetzt und verrathen soll, wie wenig ihm an etwas gelegen, das er nicht haben konnte. Er schlug den Solger'schen Sophokles auf und las die ersten Scenen aus Elektra. Mit erstickter Stimme, die aus einer schwer belasteten Brust sich mühsam hervordrängte, gab sie das Zeichen ihres Verständnisses seiner Erklärungen. Als er schon beim ersten Chor war, und ihr Alles bunt durcheinander lief, fragte sie ihn, ob er zürne, und gerieth, da er antwortete: weßhalb? nun erst recht in Verwirrung: denn sie mußte doch annehmen, daß es ihn kränken könne, ihre Fenster hell erleuchtet und sie nicht selber zu sehen. Es währte lange, bis Schlachtenmaler das ängstliche Schweigen durch ein geborgtes Lachen arithmetisch aufgehen machte, und Celinde dann, um doch etwas zu haben, um sich rächen zu können, ihm sagte: er thäte doch Alles, um ihr den Sophokles zu verleiden! Sie sprach diesen Schmerz, den ihr die griechische Literaturgeschichte einflößte, mit so viel Wahrheit aus, daß Schlachtenmaler fortfahren wollte; aber sie nahm ihm das Buch und schlug es zu. Der junge Mann war einen Augenblick still; dann sagte er: »Und nun seh' ich wohl, was ich bin: das Buch ist zu, und die Thür geht auf.... Ich sollte nun gehen und werde es auch.....« Celinde sagte nichts früher, bis er wirklich aufstand. Da sprach sie denn endlich: »Eine Brücke muß es zwischen uns geben, lieber Oscar, eine schnell aufgeschlagene und abgebrochene Schiffbrücke. So unmittelbar würden wir uns auch nie verstehen; unsere elektrische Kraft muß erst einen Leiter haben. So zünden manche Raketen erst, wenn sie in's Wasser kommen. Wir müssen uns wirklich nur durch Bücher, Musikalien und Zeichnungen nähern und in der Sprache dieser Dolmetscher uns unterhalten. Das sehen Sie gewiß ein und rücken mir's nun vor, als hätten wir nur mit einander zu lesen und zu zeichnen und Musik zu machen.« Schlachtenmaler war gewiß harmlos und achtete die Schranken, die ihm die Verhältnisse zogen. Deßhalb kränkte Celinden gerade sein Drängen und sein Ungestüm; sie wußte, wie edel er von sich und ihr dachte, nur hatte sie schon oft an ihm tadeln müssen, daß Männer überhaupt ihre Kraft gern in den Vorgrund schieben und, wie Hercules mit der Keule, bloß spielen, während sie doch gezähmt sind und recht gerne spinnen, wenn es eine Omphale verlangt. »Kein Mann,« sagte sie ihm, »kann doch so groß seyn, daß er ein Weib achtet, ohne mit den Vortheilen zuweilen zu drohen, welche er freilich voraus hat, wenn die Achtung erwidert wird. Nur die Männer sind es, welche gemischte Freundschaften unmöglich machen. Sie sind wie gezähmte Thiere, bei denen man immer gewärtig seyn muß, daß sie einmal plötzlich wieder in den Zustand der Wildheit zurückfallen.« – »Nun,« sagte Schlachtenmaler, »zähmen Sie diese Leidenschaften!« und führte Celinden an's Klavier. Sie ging widerstrebend und mischte in die Noten, die sie suchte, noch die abgerissenen Worte: »Ich bin wahrhaft unglücklich mit Ihnen. Ich hege für Sie die reinste und innigste Freundschaft, und Ihre Unbeständigkeit macht mir meine Treue so schwer und dornenvoll.« Sie klingelte heftig, um Sophien zu rufen, die doch jetzt, wo sich die Stunde in eine Erholung verwandelt hatte, nicht fehlen durfte. Sie kam nicht. Sie klingelte stärker. Sophie ließ nichts von sich hören. Schlachtenmaler hatte den Hut in der Hand und draußen mit dem Fuß auf und schwur, nie wieder zu kommen.

Es war ein dunkler Abend, herbstfeucht. Schlachtenmaler wandte sich in den Hof und ging in den Garten, weil er gehen und sich doch nicht trennen mochte. Er blickte auf den Hof zurück; Alles war dunkel, nur Sophiens und die Fenster der Dienerschaft waren helle. Wenn die Sentimentalität darin besteht, daß man seine Gefühle nicht nennen kann, so war Schlachtenmaler im höchsten Stadium derselben. Denn was durchkreuzte sich nicht Alles in seinem Innern! Eine Völkerwanderung von Gefühlen und Vorstellungen flutete über ihn her; Altes starb, Neues kam; er war in einer Stimmung, wo man von der Unschuld der Welt überzeugt ist und doch Alles in ihr anklagen möchte. Ueber wen wären so nicht zuweilen die Wellen eines erlebten Tages zusammengeschlagen, bewußtseynraubend, erstickend und doch immer wieder einen Moment ebbend, daß man Athem schöpfen kann zum neuen Andrang der Flut! Sein Stolz und Muth machten ihn zum Götterbild, welches an hundert Stricken geschleift und zertrümmert wird. Hier zog eine Macht, dort stieß eine andre zurück. Er sank wehmüthig auf den feuchten Rasen einer Bank.

Nur zu grell flackerten wie Strohhalme alle seine Verhältnisse vor ihm auf. Bis in die ersten Tummelplätze seiner Jugend grub er sich hin und empfand jetzt erst recht, wie frostig die Hand des Schicksals war, die ihn früh gesegnet. Wo ihm etwas nicht schwarz genug in seinen Erinnerungen schien, da zog er seine Brüder heran und empfand statt ihrer ein Los, das sie noch nicht so reif wie er unterscheiden konnten. Die Thränen stürzten ihm, wie ein unbemerkter Bach, in die Gräben hinein, die er zog, als ihm die graue Gestalt seines Vaters überall in seinen Vorstellungen begegnete, und er sich wohl sagen mußte, welch ein reicher Lebenstrieb an diesem Manne in ein so frostiges Klima gestellt war! »Wie steht er da,« flüsterte er sich zu, »ein Fruchtbaum mitten unter Tannenkiefern, eine indische Palme auf deutschem Sande! Versteinert sind schon seine Gefühle, und das Moos der Kirchhöfe zieht sich über die geborstene Rinde seines Herzens. Er ist eine Cisterne in der Wüste, die Niemanden mehr erquickt, weil ihr Inhalt sich in Salz verwandelt hat. Was hätte er wirken können, wenn er in dem Laub, das von seiner Krone fällt, sich hätte betten und nach und nach seinen nächsten Umkreis mit dem abgelegten Winterschmucke düngen können! Wie fett würde dann sein Boden geworden seyn, während ihm jetzt der Wind des Schicksals oder die Bettlerlage, in der er lebt, Alles gleich fortstiebt, was er zum Schutz seiner Entwickelung hätte brauchen sollen! Nun seh' ich ihn einsam in dem Gespinnst seiner Hoffnungen leben und von der Treibhauswärme der falschen Erziehung, die er uns gab, den Emporwuchs eines majestätischen Urwaldes erwarten, unter dessen säuselndem Schatten er selbst wieder die wilde Freiheit der Selbstbestimmung zu gewinnen hofft, die er seinem verfehlten Lose opfern mußte!«

Das mußte dem jungen Manne wie ein krampfhaftes Lächeln über die Wangen fahren: Treibhauswärme! Und doch fühlte er, wie Alles, was er konnte und verstand, nur leise in den Flugsand gedrückt war oder wie Zwiebeln über einem Wasserspitzglase lag, ohne daß man die weißen langen Wurzeln schon hätte sehen können. Er mochte die Welt, die Wissenschaft und Kunst mit starken Armen umfangen, und es fehlte ihm die innere Reife, um den zärtlichen Bund durch tiefe Kenntnisse und geregelte Worte zu befestigen. Nur sein Eifer und sein ungestümer Drang war da. Er fühlte, daß er damit Alles erobern, aber nichts behaupten konnte. Was war überhaupt sein Antheil und seine Hoffnung auf's Leben! Weder für das, was er seyn sollte, noch für das, was er seyn mochte, hatte er die nothwendigsten Voraussetzungen; und wie er – so seine Brüder, für die er, klar geworden über das verfehlte Erziehungsprincip, eine väterlichere Stimmung hatte, als der Vater.

Und was sind alle diese von den Umständen selbst gegebenen Gefühlsanklänge, diese unvermeidlichen Echos der ausgeführten Lebensmelodien, gegen jene Fülle von verworrenen Dissonanzen, die auf jugendlich-strebende Gemüther eindringen, wenn sich einmal der Nachtthau der Melancholie in ihre Kelche legt! Ach, ein so schwerer Alp lag auf seiner Brust. Es drückte ihm eine so ungeheure Last fast das Herz ab. Es war dies Celinde nicht allein, die wie ein Kranz von entwurzelten Vergißmeinnicht sich um den feuchten Feldstein in der Mitte zog, der sein ganzes Leben und Daseyn bedeutete. Es war mehr als diese Thorheit, welcher sein gesunder Sinn nicht lange nachzuhängen vermochte. Nennen konnte er es aber dennoch nicht. Er hätte es vielleicht ein ander Mal so beschrieben: Gewiß schlägt Gott irgendwo die Saiten der Weltregierung so heftig an, daß ein zitternder Nachhall den ganzen Resonanzboden der Schöpfung erschüttert, und etwas in uns bebt, das vom Zwerchfell gerade das entgegengesetzte Organ ist. Oder sollt' es wahr seyn, daß wir einst schon auf einem schönen Planeten gelebt haben, ohne es wissen zu dürfen oder zu können? will sich vielleicht die göttliche Erinnerung des Plato einen Weg über die dicke Hornhaut unseres tellurischen Daseyns bahnen? meldet sich so geheimnißvoll das, was wir vergessen haben? Aber zum Beschreiben ist es nicht und auch unnütz, da ein jedes Herz, das tiefer liegt, als das Niveau der gewöhnlichen Menschennatur, da ein jedes jugendliches Gemüth, welches die Einsamkeit gesucht und die lockende Nixensprache der in ihr schlummernden Geheimnisse nicht gefürchtet hat, fühlen wird, was Schlachtenmaler damals fühlte. Wehe dem Jünglinge, dem es nicht manchmal war, als gingen ihm alle Glieder von seinem Leibe ab, und als wär' er nicht mehr!

Indem Schlachtenmaler durch die langen Weinlaubgänge wandelte und, was ein Rheumatiker nicht hätte thun dürfen, die feuchte, nebelhafte Ausdünstung derselben wie Kühlung seiner innern Glut einsog, zuweilen auch wohl ein Spinnengewebe zerreißen mußte, das über dem Wege hing, war es ihm, als bemerkte er in dem Pavillon mit der künstlichen Aussicht Licht. Doch verglomm der Schimmer sogleich, wie er ihn sah. Nun aber war es ihm, als huschte am Ende des Weinlaubganges ein Schatten vorüber, der nur von einer menschlichen Gestalt kommen konnte. Sollte sich wirklich, errieth er sogleich, die Liebe des hektischen Actenmenschen so entzündet haben, daß sie ihn mit Fieberhitze in den feuchten Garten zu dem gewünschten Stelldichein trieb? So hatte Wiesecke nicht bloß eine Anstellung beim Kriegsdepartement, sondern auch Muth! Er wußte nicht bloß ein Register über die Pistolen der Landesarmee zu führen, sondern trug wohl selber welche? Schlachtenmaler konnte der Versuchung nicht widerstehen, auf ihn Jagd zu machen. Als er dort stand, wo er den Schatten erblickt hatte, sah er nur noch den Pavillon wieder ein wenig aufblitzen. Er spitzte seine Sehkraft, um durch das Dunkel, das ihn rings umgab, zu dringen. Er stand, als er nichts mehr sah, selber still und drückte sich zur Erde, ob er wo gehen hörte. Nun war ihm fast, als hörte er Schritte, und bog sich in die Höhe und sah auf Jemanden in der Nähe des Pavillons, der bald hinaus-, bald hineinging. Schlachtenmaler hätte dem Registrator diese Sicherheit nicht zugetraut. Die Wahl des Ortes aber, gestand er sich, machte ihm Ehre: denn der Tempel war nach dem zu Knidus eingerichtet und hatte zwar keine Hierodulen zu Priesterinnen, aber doch Sophas und verschließbare Fenster und Thüren. Indessen ging er auf ihn zu und sah oben die lange Gestalt in einen wahrscheinlich zum Train der Landesarmee gehörigen Reitermantel gehüllt. Der Wartende schien ihn zu bemerken und rief leise: »Sophie!« – »Wart',« dachte Schlachtenmaler, aus Aerger, daß er sich nicht getäuscht hatte, »ich blase dir das Pulver von der Pfanne.« Damit lief er schnell die Anhöhe zum Pavillon hinauf und trat den Harrenden so heftig und schnell an, daß dieser zurückfuhr und vor Schreck den Mantel von der einen Schulter fallen ließ. Schlachtenmaler schoß aber eilig an ihm vorbei und den andern Theil des Hügels wieder hinunter. Ein Unbekannter, mit dunkelm Barte, hatte ihn angestarrt. Nun fürchtete er Verrath und lief an die Gartenthür zurück, durch welche Sophie so eben hineinschlüpfen wollte. Er zog ihr im Nu die Haube tief auf die Nase hinunter und eilte davon. Er wollte nun gewiß das Haus nicht mehr betreten: denn er zweifelte nicht, daß der Posten am Pavillon der Baron Satan von Höllenstein gewesen war.

 


 


 << zurück weiter >>