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Zwanzigstes Kapitel.
Eine Nacht in Paris

Als Herr Potter ausstieg, sah er sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, in einer großen, fremden Stadt, deren Sprache, Oertlichkeit und Sitten ihm völlig unbekannt waren, einen Mann zu verfolgen, der ihm zu entkommen trachtete, und falls er die Spur dieses Mannes verlor, eine Zusammenkunft mit seinem Sohn herbeizuführen, von dessen Gewohnheiten, Bekanntschaften und Aufenthalt in dieser Weltstadt er ebenfalls keine Ahnung hatte.

Niemand war seiner Erziehung und seinen Kenntnissen nach zur Lösung dieser Aufgabe weniger geeignet, als der Texaner, und doch war andererseits auch nicht bald ein Mann durch angeborene Schlauheit, zähe Körperkraft und unbezähmte Entschlossenheit besser für die erfolgreiche Durchführung dieser Aufgabe ausgestattet. Er sagte zu sich selbst: »Ich habe Indianer in der Prairie aufgespürt und kann auch einen Polizeimenschen in ›Par ie‹ aufstöbern!« In den letzten paar Stunden war er nämlich bestrebt gewesen, seinen französischen Wörterschatz zu bereichern, und hatte »Parie« dem Verzeichnis hinzugefügt.

Indessen war das Gedränge so groß, daß Gefahr vorhanden war, die Sache könne damit beginnen, daß er überhaupt die Spur nicht mehr finde, denn beim Verlassen des Zuges war es ihm unmöglich gewesen, Brackett zu entdecken. Beim Ausgange des Bahnhofes indessen erblickte er Schnapper, der glücklich, der Tasche seines Herrn entronnen zu sein, hin und her hüpfte. Dann erschrak Potter, denn Brackett stieg eben in eine Droschke. Wäre er der Landessprache mächtig gewesen, so hätte er ohne weiteres eine andre Droschke nehmen und der ersteren folgen heißen können, allein seufzend machte sich der Texaner klar, daß er hierzu nicht genügend französisch verstand.

Brackett war mit Schnapper in die Droschke gestiegen, der Kutscher knallte mit der Peitsche und wäre im nächsten Augenblick fortgefahren, da erhob Potter verzweifelt die Stimme und rief den abfahrenden Kutscher an. Obgleich ein halbes Hundert andrer schon sich seiner zu bemächtigen suchten, drängte er sich durch und folgte der Droschke zu Fuß, während der Kutscher, der mit echter Pariser Schlauheit den doppelten Fahrlohn einem einfachen vorzog, sein Pferd anhielt und wartete, bis ihn der Texaner eingeholt hatte.

Dies that er denn auch, aber gerade als er herangekommen war, streckte Brackett seinen Kopf heraus und sah ihn; sofort sprang er aus dem Wagen, und Potter, der dies bemerkte, sprang hinter ihm drein, ohne sich um den aufgeregten Kutscher zu kümmern, der nun das Nachsehen hatte.

Sie bildeten eine wunderliche Prozession von Sergeant Brackett angeführt, der bleichen Angesichts auf dem Bürgersteig dahin eilte; dann kam der kleine Schnapper hinter seinem Herrn einhergetänzelt, und hinter diesem folgte Potter, der Texaner, mit einem grimmigen, entschlossenen Aussehen, obgleich er ab und zu nach dem Kutscher zurückblinzelte, der dicht am Rinnstein hinter dem Amerikaner dreinfuhr, und Mitleid erregend flehte: Eh bien, Messieurs! Vous m'avez pris! Gardez moi! Je suis engagé. Faites votre course avec moi!« Dazu winkte er lächelnd mit der Hand, brach aber dann sofort in ein » Sacrés cochons!« und ähnliche Pariser Liebenswürdigkeiten aus.

So gelangten sie über die Rue Saint Quentin bis an die Ecke der Rue Lafayette, wo der Kutscher ihnen nicht mehr zu folgen vermochte und sich mit einem wahren Feuerwerk von Verbalinjurien entfernte.

In diese Straße einbiegend, wandte sich Brackett, der schon früher in Paris gewesen war, nach der Place de l'Opéra und den eleganten Boulevards hin.

Es war eine schöne, balsamische Herbstnacht, und Paris zeigte sich in all seinem Glanz, und je mehr sie sich den Mittelpunkten des Verkehrs näherten, desto dichter wurde die Menge und desto schwieriger war es, Brackett im Auge zu behalten. Thatsächlich hätte Potter den Detectiv auch längst verloren, wenn nicht Schnapper gewesen wäre, der im Gaslicht hinter seinem Herrn dreintänzelte.

Der Texaner bemerkte dies und brummte: »Noch ein paar Parlez-vous mehr und ich bin der angeführte Teil!« Aber nun fand er in seiner Tasche einen Rest Schnur, der um irgend ein Paket gewickelt gewesen und von ihm sparsamer Weise eingesteckt worden war, und dies brachte ihn auf einen guten Einfall. Er lief eilig vorwärts und ergriff den kleinen Schnapper, der sich gar nicht vor ihm fürchtete, weil er in ihm den Herrn erkannte, der in der Schießhalle so angenehmen Lärm gemacht hatte; darauf band er dem Dachshund die Schnur um den Hals, denn er hatte beschlossen, Brackett vermittelst der Witterung durch Paris zu verfolgen, und hier hatte er nun den Hund gleich zur Hand.

Als der Detectiv seinen Hund vermißte, drehte er sich um und, da er halb sah, halb erriet, was der Texaner vorhatte, und ihm auch Schnappers bedeutender Spürsinn wohlbekannt war, so eilte er mit einer von der Verzweiflung gesteigerten Geschwindigkeit vorwärts. So legten sie etwa eine Meile zurück, bis endlich in der Nähe der Place de l'Opéra das Gedränge immer größer wurde und die Schwierigkeiten sich häuften. Nun wurde der Texaner auch noch von einem besondern Unglücksfall betroffen; Schnapper, der bis zu diesem Augenblick getreulich und unentwegt mitgerannt war, begegnete einem andern Dachshund und mußte stehen bleiben, um diesen zu beschnuppern, was ihn so lange aufhielt, daß Brackett, die Gelegenheit wahrnehmend, zwischen einer Reihe Wagen hindurch über die Straße eilte und entkam.

Während der langwierigen, vergeblichen Versuche, die verlorene Fährte wieder aufzufinden, brummte Potter mehr als einmal vor sich hin: »Wäre es mir nicht um meine Tochter, so hätte ich dem Kerl längst eine Kugel durch den Leib gejagt.«

Schnapper hatte eine Spur aufgenommen, die über die Place de l'Opéra nach dem Boulevard des Capucins führte, und Potter schrie beinahe auf, als er nun das eigentliche Paris in seinem nächtlichen Glanze vor sich sah, denn nie hatte er einen ähnlichen Anblick gehabt, und er kam sich vor wie in einen Traum aus Tausendundeine Nacht versetzt; bald aber verdüsterten sich seine Mienen wieder und er brummte etwas von einer Nadel in einem Heuhaufen.

Als Potter sich schließlich überzeugen mußte, daß Schnapper, ebenfalls von dem ungewohnten Anblick überwältigt, die Spur seines Herrn endgültig verloren hatte, hob er ihn auf und steckte ihn in seine Rocktasche, denn die Vorübergehenden stolperten über die Schnur und zeigten sich nicht sehr erfreut darüber.

Von der drängenden Menge hin und her gepufft, weit von seinem Hafen und Ankerplatz verschlagen, stand Sampson Potter da, hob verzweifelnd seine Augen auf und blickte sich nach einem amerikanischen Gesicht um, denn er wußte, daß, wo Heiterkeit und Lebensgenuß, auch Landsleute von ihm zu finden waren.

Nachdem er einige Minuten vergeblich geharrt hatte, sah sich Herr Potter, der äußerst hungrig war, nach einem Wirtshaus um, entdeckte, daß er sich neben dem Café de la Paix befand, und trat in das glänzende Lokal.

Er erwiderte das höfliche Lächeln der Kellner freundlich, und als einer vorschlug: » Cabinet particulier,« nickte er mit dem Kopfe und murmelte: » Oui! Bringen sie es aber rasch!« Sofort wurde er die Treppe hinauf und in ein Privatzimmer im Zwischenstock geführt.

»Sie sind außerordentlich höflich,« dachte Potter, »werden jedenfalls von mir gehört haben, vielleicht kennen sie meine Doochter, sie hat sich ja in diesen Regionen herumgetrieben!«

Plötzlich wurde er aber aus seinem Sinnen aufgeschreckt, denn der Kellner erschien mit einer Speisekarte, die er Potter unter die Nase hielt.

»Ich dachte, ich hätte drunten schon was bestellt,« brummte der alte Herr; da aber der Kellner offenbar beharrte, so zog er seinen Reiseführer hervor und bezeichnete auf der englisch-französischen Speisekarte, die dieser enthielt, dem Kellner die Gerichte, die er wünschte. Als er dann die Weinkarte ansah, tupfte er mit dem Finger auf Veuve Cliquot und sagte: »Das ist das Wahre! Das wird mir die Grillen schon vertreiben!« Dann rieb und drückte er, um den Kellner zur Eile anzuhalten und ihm pantomimisch zu zeigen, wie hungrig er sei, seinen Unterleib mit großem Eifer, was im Verein mit des Texaners düsterer, aber erregter Miene den Mann auf den Glauben brachte, Potter sei krank und er müsse ihm schleunigst einen Arzt beischaffen.

Endlich begriff er ihn und sandte ihm einen andern Kellner, der in der Meinung lebte, er spreche englisch. Nachdem Potter in Gemeinschaft mit dem ebenfalls ausgehungerten Schnapper sein Mahl mit echt amerikanischer Eile zu sich genommen hatte, sah er nach der Uhr und fand, daß es zehn Uhr vorüber sei und er sich wieder auf den Weg machen müsse, um Oberst Cottontree aufzusuchen.

So bezahlte er denn seine Rechnung, half dem Englisch des Kellners durch einige Franken nach, zeigte ihm die Karte seines Freundes und sprach das eine Wort: » Cab!« Der biedere Garçon las die Adresse: Boulevard Malesherbes Nr. 34 und entzückte Potter dadurch, daß er ihn hinausbegleitete, einen Wagen anrief und dem Kutscher die nötige Weisung erteilte.

In Oberst Cottontrees Wohnung angelangt, fand Potter, daß dieser und sein Diener ausgegangen waren, und er beschloß, nicht auf seinen Freund zu warten, denn er wußte, daß dieser erst früh am Morgen wieder heimzukommen pflegte.

Wieder in den Wagen gestiegen, rief er dem Kutscher zu: »Zurück! Heim!« denn er wollte in seiner Verzweiflung den Kellner im Café de la Paix noch einmal zu Rate ziehen. Da der Rosselenker den Befehl nicht verstand, glaubte er, nichts Besseres thun zu können, als Herrn Potter die Sehenswürdigkeiten von Paris zu zeigen, und führte ihn trotz all seiner Einsprache, seines Scheltens und Drohens in die Champs Elysées.

Hier sah sich der wutschnaubende Texaner dennoch mit erstaunter Begeisterung um, denn dieser Platz erschien dem Grenzer aus dem Westen wie der reine Feengarten, und er sagte zu sich selbst: »Großer Gott! Wenn ich das Leben behalte, komme ich noch einmal hierher zurück!«

Dann dachte er: »Es ist hier zu lustig und festlich, als daß keiner unserer Jungen hier wäre,« und mit Mißachtung des Widerstandes von seiten des Kutschers sprang er aus dem Wagen und hätte seinen Weg zu Fuß fortgesetzt und nach amerikanischen Gesichtern gesucht, wenn nicht Schnapper in diesem Augenblick sein Erstaunen erregt hätte.

Er hatte das kleine Thier im Wagen neben sich gesetzt, und Schnapper hatte sich des malerischen Anblicks ebenfalls gefreut. Beim Aussteigen wollte er ihn eben in seine Rocktasche stecken, als das Thier mit leisem Bellen in dem verlockenden Eingang eines Café chantant verschwand; er folgte seinem kleinen Liebling und befand sich im Café des Ambassadeurs.

Niemand verlangte ein Eintrittsgeld, und Potter blickte freudig überrascht auf die prächtige Scene und murmelte: »Ich habe immer sagen hören, die Franzosen seien das höflichste Volk der Welt, aber ich hätte nie gedacht, daß sie so über alle Maßen nobel wären.«

Zunächst verfolgte er Schnapper, der den Gang zwischen den Stuhlreihen entlang lief, hob ihn auf und steckte ihn in seine Rocktasche, dann stieß er ein überraschtes, freudiges Grunzen aus, denn etwa zwölf Reihen vor ihm war Sergeant Brackett, der Detectiv, eben im Begriff, sich behaglich niederzusetzen und die bezaubernden Pirouetten einer Ballettänzerin zu bewundern, die sich hier auf der im Freien errichteten Bühne sehen ließ.

Dieser unerwartete Glücksfall rührte einfach daher, daß Brackett bei Lieutenant Potter vorgesprochen, diesen aber nicht zu Hause getroffen hatte und nun hier die Zeit totschlagen wollte, bis er nochmals zu ihm gehen konnte. Sein Anblick erregte aber ein solches Behagen bei dem alten Texaner, daß er beschloß, ruhig zu warten, dann dem Detectiv zu folgen und, falls dieser wieder den Versuch machen würde, davonzulaufen, ihm eine Kugel durch den Leib zu jagen, und mit diesem Entschluß sank er auf einen Stuhl und bestellte bei dem Kellner, der schon neben ihm stand, etwas zum Trinken.

Brackett, ganz in die Ballettänzerin vertieft, hatte gar nicht bemerkt, wie ihn die Liebe seines Hundes wiederum verraten hatte, und er wäre diesmal jedenfalls verloren gewesen, wenn ihm nicht die eigentümlichen Sitten dieses Lokales zu Hilfe gekommen wären.

Der Eintritt in diesen Tempel der Thespis, Terpsichore und Thalia war nämlich allerdings frei, aber jeder, der durch das offene Portal trat, pflegte eine Cigarre oder ein Getränk zu bestellen, dessen Preis sich je nach dem Platze richtete, den der Besteller einnahm. So mußten die Leute auf den Sitzen vor der Bühne drei Franken und die in der Mitte des Raumes zwei Franken bezahlen für das nämliche Getränk oder die nämliche Cigarre, die den Besucher, der sich bescheiden im Hintergrund hielt, nur einen Franken kostete. Die Gäste bezahlten also dem Anscheine nach das, was sie tranken, in Wirklichkeit aber zugleich den Platz, auf dem sie saßen.

Nun hatte sich Herr Potter anfangs bescheiden im Hintergrunde niedergelassen, und sein erstes Glas kostete ihn daher nur einen Franken. Aber teils um die auftretenden Damen, deren Reize sein galantes Herz zu rühren begannen, teils um Brackett besser beobachten zu können, hatte sich der Texaner frei und unbefangen vorwärts bewegt und einen andern Sitz eingenommen. Allein auch der Detectiv machte sich immer mehr an die Bühne heran, um die schönen Damen besser besichtigen zu können, und nun begannen sich die Preise der Getränke, die Potter zu sich nahm, in einer Weise zu steigern, die ihn überraschte, reizte und kriegslustig machte. Denn obgleich Herr Potter stets freigebig war, liebte er es doch nicht, wie ein Dummkopf übervorteilt, beschwindelt oder ausgebeutet zu werden.

Als ihm der zweite Kellner für den gleichen schlechten Whisky, der eben nur einen Franken gekostet hatte, zwei abnahm, fing er an, ärgerlich zu werden, und als ihm der dritte nun gar in unverschämter und drohender Weise begreiflich machen wollte, daß der Whisky noch einmal im Preis gestiegen sei und drei Franken koste, da war Herr Potter mit dem Café des Ambassadeurs fertig.

Die singende Dame auf der Bühne brach mit einem lauten Schrei ab, das Orchester verstummte mit einem Mißklang und die Zuhörer erhoben sich unzufrieden, denn der ehrenwerte Sampson Potter hatte den Kellner in den mittleren Durchgang getragen, weil er dort mehr Raum hatte für dies Geschäft, und kehrte buchstäblich den Fußboden mit dem unglücklichen Franzosen, dessen jämmerliches, verzweifeltes Hilferufen allen andern Tumult übertönte.

Doch plötzlich ließ Potter sein Opfer los und wollte nach der Thür eilen, denn Brackett, der ihn gesehen und erkannt hatte, entfloh mit ganz verstörtem Gesicht.

Durch Potters offenbare Absicht, ebenfalls zu entweichen, gereizt, stürzten sich ihm einige andre Dienstleute des Hauses entgegen, versperrten ihm den Ausgang und wollten an dem Störenfried Rache nehmen.

Als er dies sah, erhob der Texaner seine Stimme und schrie mit einem furchtbaren Ausdruck im Gesicht: »Wenn irgend ein Amerikaner hier ist, so komme er um Gotteswillen schnell, ehe ich dieses ganze Kellnervolk umgebracht habe!«

Hierauf antwortete eine Stimme auf englisch: »Ich bin Amerikaner und will diese Kellner retten!« Und Herr Potter sah einen jungen Mann in elegantem Gesellschaftsanzug, der sich mit dem Ellbogen seinen Weg durch die Menge bahnte.

Sein Erscheinen erregte allgemeines Gemurmel; die Damen betrachteten ihn mit Bewunderung, die Männer vielleicht mit ein klein wenig Neid, denn er war eine der augenblicklichen Pariser Berühmtheiten. Er rief etwas auf französisch, und die Kellner murmelten: » Le Prince de Baccarat!« verbeugten sich vor ihm und waren gerettet.

»Ich freue mich recht, daß Sie gekommen sind!« sagte Potter. »In einer Sekunde wäre ich auf die Kerls losgegangen, und dann hätten sie gedacht, die Belagerung von Paris fange noch einmal von vorne an.«

»Ja, ich begriff, daß ich schnell sprechen mußte,« erwiderte der junge Herr, der in Europa und Amerika viel gereist war und den Mann verstand, mit dem er sprach. »Ich will die Sache für Sie in Ordnung bringen,« sagte er dann und erklärte Herrn Potter die Sitte, die diesen so in Harnisch gebracht hatte. Dann wandte er sich an den Eigentümer, und rasch war mit ihm und den anwesenden Gendarmen alles erledigt, so daß Herrn Potter der Weg offen stand. »Kann ich sonst noch etwas für Sie thun? Sie scheinen mir des Französischen nicht mächtig zu sein, und ich bin meinen reisenden Landsleuten immer gern behilflich. Gestatten Sie mir!« und damit übergab er dem Texaner seine Karte.

»Sie sind furchtbar liebenswürdig, Herr Deucey,« erwiderte Potter, »und wenn Sie mich zu meinem Sohn bringen könnten, so würde ich Sie segnen bis zu meinem letzten Atemzug! Es handelt sich um Leben und Tod, unter Umständen sogar um einen recht schnellen Tod!«

»Wer ist Ihr Sohn?« forschte der andere, ernsthaft werdend, denn Potters Ton verriet, daß er in vollem Ernst gesprochen hatte.

»Lieutenant zur See Potter, im Dienste der Vereinigten Staaten.«

»Ich kenne ihn,« gab der junge Deucey zurück, und da er ein Mann der That war, schob er den alten Texaner durch die Menge, half ihm vor dem Eingang in seinen eigenen Wagen und rief dem Kutscher zu: »Klub der Presse, blitzschnell!« Dann warf er einen langen Blick auf Potter und sagte mit verhaltenem Lachen: »So sind Sie also Fräulein Potters Vater?«

»Ja, und ich bin herzlich froh, daß ich Sie getroffen habe. Ich war ganz in Verzweiflung,« flüsterte der ehrenwerte Sampson und blickte seinen Führer freundlich an.

Und froh konnte er wirklich sein, denn endlich hatte sich die Vorsehung Herrn Potter freundlich erwiesen und ihn mit dem Mann zusammengeführt, der ihm in Paris am leichtesten den Weg ebnen konnte. »Le Prince de Baccarat« war ein junger amerikanischer Herr, dem zu dieser Zeit das Glück so hold war, daß er beinahe eine Million Franken in diesem verzweifelten Spiel gewonnen hatte und dadurch in Paris eine berühmte Persönlichkeit geworden war. Am Abend zuvor hatte er mit Lieutenant Potter im Klub der Presse gespeist und er wußte, daß dieser dort wohnte.

Er sprach französisch wie ein Einheimischer, und auf sein Geheiß flog der Wagen die Boulevards entlang und an der großen Oper vorbei. Dann stiegen sie aus und traten in den prächtigen Klub der Presse, der in Lichterglanz strahlte.

Da ihn Herr Deucey einführte, öffneten sich alle Thüren für Sampson Potter, an die er sonst vielleicht lange vergeblich geklopft hätte. Ohne irgend welchen Aufenthalt und ohne Erfüllung von Formalitäten, die bei Potter sonst stattgefunden hätten, stiegen sie die große Treppe hinauf und traten in das Baccaratzimmer. Da er sich unter solchem Schutz befand, verbeugten sich alle Kellner bis zur Erde vor ihm, und obgleich sein unkultivierter Anzug einen seltsamen Gegensatz zu den eleganten Gesellschaftskleidern bildete, welche die andern anhatten, schritt Sampson Potter, wohl bespöttelt, aber unaufgehalten, durch das Zimmer und kreischte: »Houston, mein Junge! Endlich!«

Und Lieutenant Potter, der sich eben an einem der Tische niederlassen wollte, rief: »Guter Gott! Mein Vater!« Und dann schüttelten sie sich die Hände, daß sie einander fast die Arme ausrenkten.


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