Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Buch.
Englische Gerechtigkeit

 

(Fortsetzung.)

 

Zwölftes Kapitel.
Herr Potter wird in die Gesellschaft eingeführt

Dicht nebeneinander verfolgten Fräulein Potter und der glückstrahlende Arthur ihren Weg nach dem Gasthofe. Während dessen machte ihm das junge Mädchen eine Reihe vertraulicher Mitteilungen, die ihn sehr beglückten, weil sie ihm bewiesen, daß sie ihn schon jetzt als zu ihrer Familie gehörig betrachtete. Sie erzählte ihm, daß ihre Mutter, die sie nie gekannt hatte, einer jener alten virginischen Familien entstamme, die sich an den ersten Niederlassungen in Kentucky beteiligt hatten und dann im Jahre 1850, vom Goldfieber angesteckt, nach Kalifornien auswandern wollten. Als sie durch Texas reisten, wo damals die Lieblingsjagdgründe der Comanchen lagen, wurden sie von Indianern angefallen und die ganze Gesellschaft ward niedergemacht, mit Ausnahme von Idas Mutter, die noch ein Mädchen war, und eines englischen Jungen von fünfzehn oder sechzehn Jahren. Dieser Knabe rettete das Leben ihrer Mutter in so tapferer Weise, daß er um seines Mutes willen im ganzen Staat berühmt wurde, obgleich man dort an derartige Zusammenstöße und tödliche Kämpfe gewöhnt war.

Trotz aller Verschiedenheit der Stellung und Erziehung liebte Idas Mutter ihren Retter und heiratete ihn; ihr Vermögen gab die Grundlage ab zu Sampson Potters späterm Reichtum. Sie starb an Idas Geburt, gerade als Potter auf den Tod verwundet von einem Kampf an der Grenze heimgebracht wurde.

»Ich habe nur zwei nahe Verwandte in der Welt, sagte das junge Mädchen schwärmerisch, »von einem davon, meinem ältern Bruder Houston, hast du Lady Annerley sprechen hören; er ist Lieutenant in der amerikanischen Marine und führte die Matrosen an, die sie und Herrn Errol in Alexandria gerettet haben. Er ist wild, unüberlegt und manchmal etwas verschwenderisch, wenigstens sagt Papa dies, wenn Houston sich veranlaßt sieht, Wechsel auf ihn zu ziehen, was ziemlich häufig geschieht, aber ich liebe und achte ihn, weil jedermann sagt, er mache seinem Dienst und seiner Flagge Ehre. Der andre ist mein Vater, den ich noch mehr verehre und liebe, weil er gegen jedermann gerecht und edel ist, nur nicht gegen sich selbst, weil sein Name, in einem Staat, in dem nur ein wirklich braver Mann es wagt, immer recht zu handeln, der Schrecken aller schlechten Menschen und Gesetzesübertreter ist. Als Grenzler hat er die texanischen Heimstätten gegen Indianer und Räuber verteidigt; als Kongreßmitglied war er um eine ganze Eisenbahn nicht käuflich, und als Sheriff hat er nie gestattet, daß einer gelyncht wurde, was viel heißen will in Texas.«

Nach einer Weile fuhr die junge Dame errötend fort: »Jedermann sagt, ich habe Gesicht und Gestalt von meiner Mutter, aber ich glaube, mein Herz habe ich ganz von meinem Vater, der mich in seinen Armen groß gezogen hat und der seinem kleinen Waisenkind, wie er mich zu nennen pflegte, zugleich Vater und Mutter war.«

Alle weitern Lobpreisungen des abwesenden Potter wurden kurz abgebrochen, als sie ihres Vaters Stimme durch das offene Fenster aus dem Kaffeezimmer vernahm. Im Handumdrehen war Ida von Arthurs Seite verschwunden und die Treppenstufen in den Gasthof hinaufgeflogen, und mit Freudenrufen, mit Thränen des Glückes und zärtlichen Küssen lag diese Königin der Mode und Schönheit in den Armen des wetterfesten, mit Narben bedeckten Veteranen der Prairieen, dessen Herz nur für sie allein schlug. Jede nähere Schilderung würde ein solches Wiederfinden entweihen.

Arthur glaubte, auch seine Gegenwart würde dies thun, und blieb, in Betrachtungen über seinen künftigen Schwiegervater versunken, auf der Straße zurück. Indessen wurde er bald in seinem Sinnen gestört, denn Lady Annerley und Errol, die irgend ein Zufall an dem Gasthof vorbeiführen mochte, näherten sich ihm von der andern Seite her.

Nachlässig betrachtete er die beiden, da fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. »Bei Gott! Mylady sieht Errol an, als ob sie ihn liebte. Ich bin froh, daß Ethel nicht da ist und sie sieht. Sonderbar! Ich habe es nie zuvor bemerkt!«

Er war sehr überrascht, denn in Venedig und während ihrer Reise durch Frankreich hatten Ida und Arthur, Ethel und Charley so ganz sich selbst und ihrer eigenen Liebe gelebt, daß ihnen in ihrem großen Glück jeder Kummer und jedes Leiden ihrer Wirtin entgangen war; allerdings hatte diese ihr Elend hinter ihrem Stolz verborgen, obgleich sich ihr Jammer manchmal in der Nacht, wenn sie allein in ihrem Zimmer war, in schrecklicher Weise Luft machte.

Lady Annerley hatte Errol mit Absicht auf einem Umweg nach dem Gasthof geführt, denn sie hatte ihm etwas zu sagen und dies war die einzige Gelegenheit dazu. Sie wußte, daß dies der letzte Augenblick war, an dem sie ihre Pflicht erfüllen konnte – sagte sie ihm jetzt nicht, weshalb sie ihm nach Aegypten nachgereist war, so konnte sie es nie mehr thun, nie mehr den Mut dazu finden. Während sie dies dachte, bot er ihr selbst die Gelegenheit, Frieden mit ihrem Gewissen zu schließen und ihre Pflicht zu erfüllen.

»Liebe Lady Sarah,« sagte er, »ich habe mich oft besonnen, auf welche Weise ich Ihnen am besten meine Dankbarkeit beweisen könnte für die liebevolle Pflege, durch die Sie mir das Leben gerettet haben!«

Sprechen Sie nicht von Dankbarkeit,« erwiderte sie, »ich würde nicht wert sein, ein Weib zu heißen, hätte ich nicht alles für Sie gethan, nachdem Sie in Aegypten so tapfer und so edel für mich gekämpft haben!«

So kamen die beiden auf Alexandria zu sprechen und erinnerten sich an den arabischen Knaben, an Osman, den Dragoman, und an Constantin Niccovie, den Levantiner, und sie vergaß sich für kurze Zeit und war glücklich, allein er schreckte sie plötzlich in die Wirklichkeit zurück durch die Frage: »Wie kam es eigentlich, daß Sie mich dort trafen? Ich glaube, mich jetzt zu entsinnen, daß sie mir etwas Wichtiges zu sagen hatten.«

Schon war sie, von Gewissensbissen getrieben, im Begriff, ihm alles zu gestehen, als sich Ethels Stimme hinter ihnen vernehmen ließ und sie sehen mußte, wie das Antlitz neben ihr bei diesen Tönen aufleuchtete und lächelte. Sie preßte ihre Lippen fest zusammen und biß die Zähne übereinander aus Angst, sie könnte dennoch dem Mann an ihrer Seite einen Talisman geben gegen das Unheil, von dem er heute noch befallen werden sollte.

Wohl war sie ein wenig ängstlich geworden, denn Errols Worte hatten ihr gezeigt, daß er anfing, sich an Alexandria zu erinnern, allein trotzdem war sie jetzt fest entschlossen, ihre Sache zu verfechten.

So gingen sie nach dem Gasthof; sie gab sich alle erdenkliche Mühe, ihn zu unterhalten, und sagte ihm, daß sie noch diesen Abend nach Boulogne zurückfahre, wo sie sich vor ihrer Rückkehr nach Paris noch einige Tage im Hotel des Bains aufhalten werde, er solle versprechen, hinüber zu kommen und sie zu besuchen.

Errol erwiderte darauf, daß er dies gern thun werde, wenn seine Braut es ihm erlaube, und stieß damit einen Dolch in Lady Annerleys Herz.

Mit bebenden Lippen stammelte sie: »Es ist ja nur für einen Tag!«

Damit wandte sie sich ab, um, wie er glaubte, auf das Meer hinauszublicken, in Wahrheit aber nur, um ihre Thränen zu verbergen. Einen Augenblick später bat sie: »Sie versprechen mir, zu kommen? Womöglich morgen; bedenken Sie nur, wie gute – Freunde wir waren!«

»Aber Ethel –«

»Ach, Sie denken jetzt immer nur an sie!« Lady Annerley konnte nicht alle Bitterkeit aus ihrer Stimme fernhalten. Dann fuhr sie fort: »Ich werde hier keine Zeit finden, Abschied von Ihnen zu nehmen, und dieser Besuch raubt Ihnen nur wenige Stunden!«

»Gut, ich werde morgen kommen,« entgegnete Errol, der fürchtete, sie verletzt zu haben, und eine große Freundschaft empfand für diese Frau, die so viel für ihn gethan hatte.

»Sie wollen kommen? Versprechen Sie mir's fest!«

»Gewiß! Morgen oder an welchem andern Tag Sie wollen. Warum auch nicht? Dank Ihnen gehört Ethel ja mein ganzes übriges Leben.«

»Gehört es ihr?« dachte Lady Annerley bei sich. »Ich möchte meine Aussichten nicht um die ihren geben,« und sie zeigte sich so liebevoll und unterhaltend, so strahlend und heiter, und führte die ganze Macht ihrer schönen Seele und ihres vornehmen Wesens ins Feld, daß der Australier sich ganz glücklich fühlte, obgleich sein Schatz mit dem jungen van Cott hinter ihm ging. Ethel, der die Liebenswürdigkeit der jungen Witwe gegen ihren Abgott nicht entging, wurde zum erstenmal eifersüchtig.

Diese Empfindung wurde durch die Bemerkungen des scherzhaften van Cott nicht vermindert, der sehr böse darüber war, daß ihm Arthur Fräulein Potter wegschnappte, »gerade als sie anfing, mich zu lieben, meiner Six!« und deshalb beschloß, die Schwester dafür büßen zu lassen.

»O, wie verliebt sie in ihn ist!« flüsterte er. »Sehen Sie nur! Welch ein Blick! Ich habe gar nicht gewußt, daß Mylady so schöne Augen hat. Mich hat sie abscheulich behandelt, hoffe, sie wird gegen ihn milder sein! Wahrhaftig, diese neueste Geschichte der Witwe übersteigt alle Begriffe – finden Sie nicht auch, Fräulein Ethel?«

»Sie glauben, daß sie ihn liebt?« fragte die Gequälte.

»Auf Ehre, ich weiß es gewiß!«

»Woher?« Und Ethels Augen schossen Blitze.

»Ich habe den Beweis! Glauben Sie denn, wenn sie ihn nicht liebte, hätte Lady Annerley mir einen Korb gegeben?« Er sagte dies in einem solchen Ton der Überzeugung, daß Ethel trotz der Thränen in ihren Augen in Lachen ausbrach.

So langten sie in dem Gasthof an und Arthur geleitete sie, von Lubbins unterstützt, in ein Empfangszimmer und sagte, die Wagen würden in Bälde vorfahren, um sie nach der Villa seines Vaters zu bringen.

Das Warten gestaltete sich durchaus nicht angenehm, denn van Cott rief plötzlich: »Wo ist denn Ida?« Diese Vertraulichkeit ärgerte Arthur so sehr, daß er ziemlich scharf erwiderte: »Fräulein Potter ist bei ihrem Vater, mein Herr!«

»Oh – ah – richtig! Bei dem ah – Beefsteakmann. Ich – bitte um Vergebung, wollte sagen Ochsenkönig!« stammelte van Cott und drückte sich nach einem Augenblick aus dem Zimmer, denn Herrn Lincolns Augen blickten ganz grimmig.

Errol ging auch hinaus, kam aber einen Augenblick danach, ein Telegramm in der Hand, wieder ins Zimmer zurück.

»Das heiße ich Glück!« sagte er. »Ich brauche nicht nach London zu gehen. Mein Vater telegraphiert mir, er werde mit dem Nachmittagszug hier eintreffen!« Dann ging er auf Ethel zu und beglückte sie, indem er ihr zuflüsterte: »Ich werde ihn vielleicht heute abend mit hinüber bringen, jedenfalls aber morgen früh, damit er bei deinem Vater in aller Form um dich anhält.«

Nur ihr Erröten antwortete ihm darauf, aber Lady Annerley sagte einen Augenblick nachher: »Versäumen Sie nicht, Ihren Vater mitzubringen – Sie wissen schon wohin, Charley,« wofür sie mit einem traurigen Seufzen ihrer jugendlichen Nebenbuhlerin belohnt wurde, die sich noch keine Selbstbeherrschung im Leiden erworben hatte. Als Lady Annerley dies bemerkte, nannte sie Errol im Laufe des Nachmittags noch recht oft Charley und fand, daß dies eine sehr wirksame Art der Züchtigung für Fräulein Ethel Lincoln sei.

Sie war begierig, genau die Zeit zu erfahren, um welche der ältere Herr Errol eintreffen sollte, was nicht vor sechs Uhr abends der Fall sein konnte. Jedenfalls lief sie nicht Gefahr, während der Stunde, die sie noch in Folkestone weilte, mit des Australiers Vater zusammenzutreffen, denn obgleich sie sehr danach verlangte, die Wirkung ihrer Grausamkeit kennen zu lernen, konnte sie es doch nicht über sich gewinnen, sie mit anzusehen. Wie aber Mitteilung hierüber erhalten? Auch diese Schwierigkeit war bald gelöst, denn sie erkannte in Lubbins, der sie mit ganz besonders kriechenden Verbeugungen bediente, einen Mann, der früher als Haushofmeister auf einem ihrer Güter angestellt gewesen war; zu ihm sagte sie: »Ich brauche für mein Hotel in Paris einen englischen Haushofmeister. Ich nehme Sie in meine Dienste und erwarte Sie morgen im Hotel des Bains in Boulogne.«

»Aber der Besitzer des West Cliff Hotels?«

»Finden Sie ihn ab, ich bezahle es, denn ich brauche Sie!«

»Soll ich nicht schon mit dem Nachtboot kommen, Mylady?«

»Morgen mit dem Nachmittagsboot, nicht eher! Sie können gehen!« erwiderte Sarah Annerley in einem Ton, den Lubbins von früher her kannte.

Als der Kellner das Zimmer verließ, wußte sie, daß sie von ihm, wenn sie ihn richtig ausholte, alles erfahren würde, was ihr zu wissen not that, denn Lubbins hatte Augen im Kopf und benutzte diese so gut, als die Schlüssellöcher an den Thüren.

Zu längerem Ueberlegen blieb ihr keine Zeit, denn van Cott stampfte in das Zimmer, und nach zwei oder drei Schluchzern – er war blau im Gesicht vor Lachen – keuchte er: »Ach Herr Jemine! Ich habe ihn gesehen! Ach Gott, was bin ich erschrocken, als meine Blicke zum erstenmal auf ihn fielen! Sie sollten sich ihn ansehen, er wird Aufsehen erregen!«

»Wen haben Sie gesehen?« riefen alle, Arthur ausgenommen.

»Idas Alten! Den alten Potter, den Ochsenkönig! Er ist eine Figur, wie man sie nur auf der Bühne sieht und in Romanen geschildert findet. Passen Sie mal auf!« und damit ahmte er Potter in einer Weise nach, daß alle Anwesenden in ein schallendes Gelächter ausbrachen, Arthur wiederum ausgenommen, dessen Augen Blitze auf den angenehmen Jüngling schleuderten, der, wie die meisten schwachgeistigen Menschen, groß im Nachahmen war.

Lady Annerley sagte schließlich in ungläubigem Ton: »Sie übertreiben!« und Fräulein Ethel rief: »Unsinn! Welcher Einfall! Fräulein Potters Vater muß ein Gentleman sein!«

»Nun, wir wollen warten, bis Sie ihn gesehen haben!« meinte der kleine van Cott.

Allein hier verstummten alle entsetzt, denn man hörte Potter in der Halle rufen: »Lubbins, Sie sagen, die jungen Leute sind also in das Zimmer da?« und gleich darauf meldete Lubbins, der das Fremdenbuch gründlich studiert hatte: »Der ehrenwerte Sampson Potter von Comanche County, Texas, U. S., und Tochter!«

Dann trat Ida gelassen ein und stellte ihren Vater vor.

Arthurs Liebe zu dem Mädchen verdoppelte sich, als er sich ihre grausame Lage klar machte und sah, in welch edler Weise für sie sich beinahe zu einem Triumph gestaltete, was für jede andre eine völlige Niederlage gewesen wäre.

Sie blickte ihren Vater liebevoll und ermutigend an, obgleich dieser keiner Ermutigung bedurfte, denn der alte Potter war in Gegenwart vornehmer Personen genau so unbefangen wie in Gesellschaft Lubbins'. Alle Menschen in der Welt standen für ihn auf einer Stufe, seine Tochter ausgenommen, die alle andern um eines Hauptes Länge überragte.

Er grüßte sie alle mit freundlichem Lächeln, waren sie ja doch die Freunde seiner Tochter, und als Fräulein Potter, aus Liebe und Anhänglichkeit, vielleicht auch aus Stolz, denn offenbar war sie stolz auf ihn, leicht errötend sagte: »Gestatten Sie mir, Ihnen meinen lieben Vater vorzustellen,« da rief der alte Mann: »Meine Damen und Herren, ich kenne Sie alle aus meiner Doochter Briefe so gut als die eingebrannten Zeichen meiner Herden – Ihre Hände!« Dann ging er umher und schüttelte allen mit ungekünstelter westlicher Anmut die Hände. Als er auf seiner Runde zu Arthur gelangte, merkte dieser es sofort, daß er über die Beziehungen unterrichtet war, in die er zu ihm zu treten wünschte; davon überzeugte ihn der freundliche Händedruck und der herzliche Klang seiner Stimme, als er sagte: »Der ehrenwerte Arthur Lincoln, glaube ich! Meine Ida hat mir schon von Sie gesprochen!«

Dann trat er zu Errol, und Lincoln fing an, ihn lieb zu gewinnen, denn er war in seiner rauhen Weise so natürlich und gut gegen alle.

Allein wenn Potter auch mit allen sprach, so erfüllte in Wahrheit doch nur eins seine Gedanken. Ab und zu sah Arthur seine kalten, stahlgrauen Augen blitzen und aufleuchten, wenn sie der schönen Gestalt seiner jetzt glückstrahlenden Tochter folgten, als ob er fürchtete, es sei alles nur ein Traum und er könne im nächsten Augenblick auf einer seiner großen Viehtriften in Texas erwachen, während die Tochter seines Herzens noch immer im fernen Europa weile.

Als Arthur den liebevollen Strahl sah, der Potters Augen erhellte, wenn sie denen seiner Tochter begegneten, und sein herzliches Wesen eine Weile beobachtet hatte, da dachte der junge Mann: »Es mag leicht sein, daß der ehrenwerte Sampson Potter aus Texas einen besseren Schwiegervater abgibt als mancher Herzog!«

Der Texaner hatte sich, nachdem er Arthur begrüßt, zu Errol gewandt und sah diesen an, als ob er sich auf etwas besinne, dann sagte er: »Errol, Ihr Gesicht ist mir bekannt. Schon in Texas gewesen?«

»Nein, ich bin Australier.«

»Ah, ja, ich erinnere mir. Mein Sohn schrieb mir aus Alexandria über Sie. Sie sind der junge Mensch, wo Lady Annerley dort gerettet hat. Ich habe Mexikaner und Indianer und Eisbären bekämpft, aber Arabesken und Mosoleums habe ich noch nie angepackt. Da sind Sie mich über!«

Jetzt aber konnte sich der kleine van Cott nicht mehr zurückhalten, er trat auf Herrn Potter zu und rief, dessen Dialekt genau nachahmend: »Dies ist meine Gefühle! Ja, Herr, ich hätte die Mosoleums gern selbst angepackt! Ihre Hand!« und ergriff Herrn Potters Rechte, der seinen Händedruck so kräftig erwiderte, daß dem jungen Gecken fast die Augen aus dem Kopfe quollen. Herr van Cott fing an, im Vertrauen auf die Liebenswürdigkeit des Ochsenkönigs mit diesem zu spielen, wie ein Köter mit dem Schweife des Löwen, und dachte nicht daran, daß der König der Tiere eines Tages zornig werden, brüllen und den kleinen Hund zu Tode erschrecken könnte.

»Junger Mann, Ihre Aussprache gefällt mich, Sie haben den richtigen englischen Ton. Ich bin selbst aus England ausgewandert, als ich noch ein junger Gelbschnabel war.«

Dies erklärte der Gesellschaft seine merkwürdige Aussprache zur Genüge. Mit Ausnahme van Cotts behandelten ihn alle sehr artig; Lady Annerley bestand darauf, daß er sie in den nächsten Tagen besuche, so lange sie noch im Hotel des Bains in Boulogne-sur-Mer sei.

Darauf sagte Herr Potter: »Wo?«

»Boulogne-sur-Mer, der Badeort.«

»Oh! Ah! Ja wohl! Ich danke, ich verstehe Ihnen, Lady Saharah! Boulogne Sommers und England Winters. Ganz recht!«

So verbrachten sie eine ganz angenehme halbe Stunde, bis Lady Annerley aufstand und sagte, sie müßte das Boot nach Calais benützen, denn nachdem sie die Petarde gelegt, hatte die vornehme Dame verzweifelte Eile, der Explosion aus dem Weg zu gehen.

»Sie gehen?« fragte Herr Potter. »Dann will ich Eure Herrlichkeit sicher bis nach Dover geleiten. Ich habe ein kleines Privatgeschäft in London, und außerdem hält Ida es für nötig, daß ich mir eine neue Perücke kaufe, obgleich man meinen sollte, ich verstehe das besser, da ich doch von Jugend auf eine getragen habe.«

»Von Jugend auf?« kicherte van Cott.

»Ich bin nämlich mit fünfzehn Jahren von den Comanchen skalpiert worden und seither kahlköpfig,« erklärte Potter stolz. »Wenn ich zurück bin, will ich ihnen allen meinen Kopf zeigen – er ist eine Merkwürdigkeit.«

Nun zog er Arthur ins Kaffeezimmer und sagte vertraulich: »Ich komme morgen zurück und besuche den Lord, Ihren Vater. Ich habe Gutes von Ihnen gehört – Sie können hoffen!«

»Danke tausendmal!« sagte Arthur warm und erhielt dafür einen sehr kräftigen Händedruck. Als sie vors Haus traten, saß Mylady schon im Wagen. Herr Potter nahm seine Tochter in die Arme und küßte sie von ganzem Herzen, was sie errötend erwiderte, trotz der Zuschauer, die sich um den Gasthof versammelt hatten, weil durch Lubbins die Nachricht unter die Leute gekommen war, es sei ein berühmter Indianerkrieger da, der skalpiert worden sei. Unter den Umstehenden befand sich auch der Sergeant Brackett von Scotland Yard, seinen getreuen Schnapper neben sich. Offenbar bewunderte auch Schnapper den Texaner, denn er rannte auf diesen zu und machte einen großen Luftsprung, um ihm die Hand zu lecken. Brackett fühlte sich hochgeehrt, als Potter sagte, dies sei der netteste kleine Hund, den er je gesehen habe, und mit ihm spielte, während Lady Annerley zu Ethels Schmerz Errol an den Wagen winkte und sagte: »Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht, Charley!«

Dann wandte sich die Dame noch zu Lubbins: »Sie folgen mir also morgen mit dem Nachmittagsschiff!«

»Ja, Euer Herrlichkeit!«

Damit fuhren die beiden fort, während sich van Cott ärgerte, daß Potter ihn zum Abschied »Söhnchen« genannt hatte, und Brackett dem Texaner mit großen, verwunderten Augen nachstarrte, denn er hielt ein neues Buch in der Hand mit dem Titel: »Die Abenteuer Sampsons des Skalpierers«, und bildete sich jetzt ein, dies sei Herrn Potters Lebensbeschreibung.

In Dover trennten sich Lady Annerley und Herr Potter. Sobald sie sich allein auf dem Schiff befand, wurde Lady Sarah von wilden Gedanken bestürmt und, wäre nicht die Erinnerung an Ethels Glück gewesen – sie hätte noch im letzten Augenblick bereut und telegraphiert. Unter dem Druck ihrer Gewissensqualen benahm sie sich so sonderbar, daß die Martin meinte, sie leide an der schlimmsten Art von Seekrankheit, die sie je gesehen habe.

Was Herrn Potter betrifft, so langte er ungefährdet auf der Station Charing Croß an, speiste im Hotel Langham und begab sich dann trotz der späten Stunde noch zu dem Advokaten, dessen Aufruf er in der Times gelesen hatte.


 << zurück weiter >>