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Sechzehntes Kapitel.
Ein Wirbelsturm aus dem Westen trifft Herrn van Cott

Van Cott war plötzlich verschwunden. Etwa eine Stunde nachher ging auch Arthur, denn es war keineswegs angenehm, allein im Hause zu sein mit seiner Schwester, die, statt liebevoll und bewundernd zu ihrem Beschützer und Rächer aufzusehen, zusammenschauderte und sagte: »Du hast ihn in meiner Gegenwart geschlagen, und er hat dir den Schlag nicht zurückgegeben, weil ich deine Schwester bin und er mich liebt. Ah, dies war echter Edelmut und wahre Männlichkeit!«

Nachgerade waren ihre Blicke so vorwurfsvoll geworden, daß Arthur, um ihnen zu entfliehen, sich in recht schlechter Laune auf den Weg zu seiner Herzallerliebsten in Boulogne machte, ohne seiner Schwester etwas davon zu sagen.

Als Ethel dies einige Zeit darauf zufällig erfuhr, versetzte sie das heimliche Vorgehen ihres Bruders in große Sorge. Sie glaubte, er sei hinübergegangen, um ihren verlassenen Charley in Boulogne noch einmal wegen Lady Annerley zur Rechenschaft zu ziehen. Und in verzweifelter Angst, diese Männer, die ihr beide so teuer waren, könnten sich, wenn sie nicht durch ihre Gegenwart in Schranken gehalten würden, tödliches Leid zufügen, eilte die arme Ethel schreckensbleich unter dem Schutz der alten Haushälterin nach Folkestone und auf den Dampfer nach Boulogne, wo Lady Annerley bereit war, mit allen den Kampf um Charley Errols Hand aufzunehmen.

So geschah es denn, daß Ethel etwa sieben Viertelstunden später im Hafen von Boulogne den ehrenwerten Sampson Potter mit zitternder Stimme anredete. Er war den Damm hinunter geschlendert, um den Dampfer ankommen zu sehen, da er Lady Annerley, die sich in Erwartung Errols vor allen andern Besuchern verleugnen ließ, nicht zu Hause getroffen hatte.

»Was ist denn los, Kleine?« fragte Potter, der auf des Mädchens bleichem Antlitz die Spuren ihres Herzeleids bemerkte.

»Haben Sie etwas von meinem Char – ich wollte sagen, von Herrn Errol gesehen? Ich fürchte, sie könnten zusammentreffen, und das muß ich verhindern.« Weiter konnte Fräulein Lincoln nichts sagen, denn die Thränen erstickten ihre Stimme.

Der alte Texaner hatte, wie die meisten guten Männer, eine große Neigung, die Schönheit in Not und Verzweiflung zu beschützen, und tröstete und ermutigte Ethel nach Kräften. Diese verschluckte denn auch ihre Thränen und schluchzte: »Lieber Herr Potter, kann ich auf Ihre Hilfe rechnen?«

Worauf der alte Herr feierlich erwiderte: »Als ob Sie meine eigene Doochter wären.«

Auf diese Weise beruhigt, erzählte sie nun unter lebhaftem Erröten und unter sanften Thränen ihre tragische Geschichte. Als sie an den Streit der beiden jungen Männer und den Schlag kam, versetzte Herr Potter sie aber in großen Schrecken, denn er sagte: »Gerechter Gott! Ein Schlag ist gefallen? Wie lang ist das her?«

»Drei Stunden!«

»Dann ist es unmöglich, daß noch beide am Leben sind!«

»Ach, Sie wissen …« schrie Ethel verzweifelt, denn sie fürchtete, ihr Arthur und ihr Charley seien schon zusammengestoßen, und Herr Potter habe das Duell mitangesehen.

»Nein, ich weiß nichts Bestimmtes,« sagte Potter mit sehr ernster Miene. »Aber in Texas könnte kein Schlag fallen, ohne daß drei Stunden später jemand umgebracht wäre, – nein, in Texas nicht!«

»Aber hier ist es nicht so, hier bringen die Leute einander um eines bloßen Schlages willen nicht um.«

»Wegen was in aller Welt bringen sie sich aber dann um?« fragte der Texaner ganz verblüfft.

Sie antwortete darauf nicht, fuhr aber sehr ernsthaft fort: »Sie müssen die beiden vor einander bewahren, Ihre Tochter liebt einen von ihnen.«

Bei diesen Worten fuhr Herr Potter zusammen und stammelte: »Guter Gott, meine Ida! Ich muß Arthur auffinden, ehe etwas geschieht, falls er noch am Leben ist.«

»Sie denken doch nicht, daß er tot ist?« rief Ethel zu Tode erschrocken.

»Nein, aber wir müssen sie finden, ehe sie einander abschlachten.«

Damit hob er Ethel in einen vorüberkommenden Wagen und fuhr mit ihr nach dem Hotel des Bains, wo er schlauerweise den einen der jungen Männer sicher zu finden glaubte. Auf das Rufen und Schreien von Ethels Beschützerin, die sie allein auf dem Damm hatten stehen lassen und die nun dem Wagen verzweifelt nachlief, achtete er nicht im geringsten.

Ethel hatte von Lady Annerley so viel über Errols Tapferkeit gehört, daß sie auf der kurzen Fahrt Herrn Potter versicherte, sie wisse ganz gewiß, daß Arthur das Opfer würde, wenn die beiden Herren zusammenträfen.

»Niemand kann meinem Charley widerstehen,« schluchzte Ethel, »aber er weiß, daß ich meinen Bruder liebe. Ich will meinen Stolz opfern und ihn bitten, Arthur zu schonen, denn wenn sie sich schlagen, bin ich ihm für immer verloren.«

»Der Gedanke ist ganz vorzüglich, wenn er Sie liebt,« erwiderte Potter.

»Wenn er mich liebt?« und so viel Glaube und Vertrauen klang aus ihrem Ton, daß der alte Potter keine derartigen Andeutungen mehr machte, obgleich er bei näherer Ueberlegung zu der Annahme gelangte, Errol sei ein Schurke und habe sich durch Lady Annerleys großartige Schönheit bezaubern lassen, denn die Reize dieser Dame hatten den Tag zuvor auf Herrn Potter selbst großen Eindruck gemacht. »O diese Witwen, die sind gar gefährliche Gegner, wenn sich's um Heiraten handelt,« sagte er leise zu sich selbst, was bei Ethel neues Erröten hervorrief, denn leider hatte sie ihn gehört und verstanden.

Im Hotel des Bains angelangt, trafen sie zu ihrer Verwunderung weder Arthur noch Charley, aber nach langem vergeblichen Suchen fand Potter zu seiner Freude Lubbins, den Exoberkellner aus dem Gasthofe in Folkestone.

Diese würdige Persönlichkeit hatte sich soeben bei Lady Annerley angemeldet, und von ihm hatte sie erfahren, daß die grausame Katastrophe, die sie vorbereitet, stattgefunden und den Mann, den sie liebte, in Elend und Verzweiflung gestürzt hatte.

So dürftig auch Lubbins' Mitteilungen waren, so hatten sie doch Lady Sarah in einen entsetzlichen Zustand versetzt. In dem einen Augenblick rief sie triumphierend: »Der Mann, den ich liebe, ist nun getrennt von dem Mädchen, das sich zwischen uns gedrängt hat!« Und im nächsten fluchte sie sich selbst um des Elends willen, das sie über ihren Abgott gebracht hatte oder flüsterte auch: »Ich will es wieder gut machen, Charley! Wenn du erst weißt, wie glühend ich dich liebe, dann verzeihst du mir auch, dann verzeihst du mir sogar dies!«

Trotz alledem dachte Lady Annerley nicht daran, zu bereuen oder zu gestehen, obgleich sie einige Angst empfand. Wohl hatte sie in der Zeitung den Aufruf an Sammy Potts, den Lehrling von Jaffey und Stevens gelesen, allein bei näherer Ueberlegung erschien es ihr höchst unwahrscheinlich, daß dieser nach dreißig Jahren des Verschollenseins und Schweigens noch zum Vorschein kommen würde.

Nachdem Potter sich überzeugt hatte, daß er sich in der Persönlichkeit nicht irre, rief er herzlich: »Holla, Lubbins, was hat Sie in einen Franzosen verwandelt?«

Mit tiefer Verbeugung erklärte der Gefragte darauf, daß er jetzt die Ehre habe, in den Diensten Lady Annerleys zu stehen, daß aber ihre Herrlichkeit im Augenblick nicht zu Hause sei, denn er erinnerte sich, daß die Dame nur Herrn Errol zu sehen wünsche.

»Schon gut,« sagte Potter und drückte ihm eine ansehnliche Gabe in die Hand, »nun sollen Sie sich einmal recht nützlich machen.« Damit führte er ihn zu Ethel und hieß ihn, dieser jungen Dame für ein gutes Mittagessen zu sorgen. Dann zog er Fräulein Ethel beiseite und sagte: »Sie bleiben hier und fassen jeden ab, der etwa kommt, um Lady Sarah zu besuchen, und ich gehe aus, um sie aufzuspüren. Fürchten Sie nur nicht, von ihrer Herrlichkeit aus dem Felde geschlagen zu werden, dann kommen Sie schon oben auf – da seien Sie nur ganz ruhig!«

Herr Potter nahm seinen Weg den Quai entlang, über die Brücke, die zum Bahnhof führt, denn er vermutete, daß durch irgend einen Zufall noch keiner der jungen Männer angekommen sei.

Was Arthur betrifft, so war diese Vermutung richtig, denn er hatte den weitern Weg gewählt und war soeben erst mit dem Zug aus Calais eingetroffen. Aus dem Bahnhof tretend, sah er sich plötzlich der alten Haushälterin gegenüber, die in ihrer Verlassenheit sein Erscheinen mit Jubel begrüßte und ihm über Ethels plötzliche Reise hierher berichtete. Arthurs Züge nahmen dabei einen höhnischen Ausdruck an, denn er glaubte, seine Schwester habe allen Stolz beiseite gesetzt und sei ihrem ungetreuen Galan hierher nachgeeilt, um mit ihm um seine ihr von Lady Annerley geraubte Liebe zu rechten.

»Kommen Sie nur mit mir, ich weiß, wo sie zu finden ist!« rief er der Haushälterin mit rauher Stimme zu und eilte, von der Frau gefolgt, über den Pont du Barrage und lag, ehe er sich dessen versah, in Herrn Potters Armen. Dieser rief: »Hallo, mein Söhnchen!« und umarmte ihn mit solcher Ueberschwenglichkeit, daß Arthur sagte: »Man könnte ja glauben, ich sei von den Toten auferstanden!«

»Und das bist du auch! Ich hab' dich schon aufgegeben gehabt. Gar manches schöne junge Gesicht habe ich draußen in Texas durch einen Revolverschuß unter den Rasen der Prähärie befinden sehen. O, diese Duhelle! Diese Duhelle, das ist eine wüste Geschichte!«

»Was bringt dich denn auf den Gedanken, daß ich ein Duell haben könnte?«

»Na, das ist gut; sich nun auch noch auf den Unschuldigen spielen zu wollen,« gab Potter zurück. »Deine Schwester hat mir alles gesagt,« und rasch erzählte er dem jungen Mann, was er von Ethel gehört hatte. Er sagte der Haushälterin, wo sie ihre Herrin finden könne, und zog Arthur mit sich in ein naheliegendes Kaffee- und Weinlokal.

Hier sagte er streng: »Nun will ich dir was sagen, mein Junge, wenn du meine Doochter willst, so darfst du sie auch nicht im Gefühl zur Witib machen, ehe sie in Wirklichkeit überhaupt einen Mann gehabt hat. Arthur, du darfst dich nicht mit ihm schlagen!«

»Ich habe über die Sache nachgedacht und beschlossen, Herrn Errol aufzusuchen, ihn nochmals um eine Erklärung zu bitten, und, falls ich, falls ich unrecht – –« Hier zögerte der junge Mann, aber Potter legte ihm das mangelnde Wort in den Mund. »So ist's recht,« sagte er, »entschuldige, entschuldige dich nur! Das ist recht, mein Sohn! Aber, Arthur, es scheint fast eine überflüssige Frage, aber hier sind die Leute so sonderbar – bist du bewaffnet?«

»Bewaffnet?«

»Ja, bewaffnet, gut bewaffnet?«

»Ich habe in meinem Leben noch keine Waffe bei mir getragen.«

»Und du hast ihn geschlagen und warst nicht bewaffnet? Großer Gott, wie übereilt!« und Herr Potter ließ seine Augen in Staunen und Entsetzen rollen.

»Hätte ich denn daneben stehen und die Angst in meiner Schwester Augen lesen und den Schurken, der ihr Herz gestohlen hat, ungestraft zu seiner Witwe laufen lassen sollen?« rief Arthur, der sich durch die Erinnerung an das Ethel widerfahrene Unrecht wieder in neuen Zorn hineinsteigerte.

»Und hat er dies gethan? Nun, in Texas würde er nicht mit dem Leben davonkommen, ganz gewiß nicht!« Hier wurde Potter ganz aufgeregt: »Arthur,« schrie er, »wenn du ihn nicht geschlagen hättest, würdest du meine Tochter nicht bekommen!« Dann entsann er sich, was ihm Ethel gesagt hatte, und er flüsterte: »Still, du kannst auch zu rasch gewesen sein. Deine Schwester glaubt, daß er sie liebt!«

»Warum hat er sich dann geweigert, zu sprechen? Nein, ich habe recht gehabt!«

»Dann entschuldige dich nicht. Bewaffne dich! Um meiner Doochter willen, bewaffne dich! Zeig dich ihm nicht, ehe du dich bewaffnet hast. Versprich mich, so wahr du meiner Doochter liebst, dir gleich einen Revolver zu kaufen!«

In der Absicht, den alten Mann zu beruhigen, der sich nun so besorgt um seine Sicherheit zeigte, versprach Arthur, dies zu thun, und ging. Doch da lief ihm Potter nach und sagte: »Er könne dir irgendwo auflauern. Ich habe einmal einen Burschen gekannt, der durchbohrt wurde, gerade als er sich eine Pistole kaufen wollte. Nimme meine!« Und damit drückte er die furchtbare Waffe, die er gewöhnlich bei sich zu führen pflegte, in Arthurs Hand.

»Ich sehe keine so unmittelbare Gefahr voraus – wir befinden uns nämlich in Europa,« versetzte der Engländer, denn der Revolver war so umfangreich, daß er äußerst unbequem zu tragen war.

»Du mußt die Pistole nehmen! Wie glaubst du denn, daß ich meiner Ida wieder ins Gesicht sehen könnte, wenn ich dich unbewaffnet abthun ließe.«

»Deine Tochter – hast du sie nicht gesehen? Sie ist hier!«

»In Boulogne? Ist auch sie herüber gekommen, um den Zweikampf zu verhindern?«

»Nein, sie ist vor dem Streit gegangen. Sie schrieb mir, es geschehe um deinetwillen!«

»Ah, sie kann nicht ohne ihren Alten sein, jetzt, wo sie ihn wiedergefunden hat,« rief Potter entzückt. »Sie ist wahrscheinlich in meinem Gasthof. Ich sagte ihr, ich werde im Pavillon absteigen, der ist ziemlich weit von der Stadt entfernt, deren Lärm mich nachts stört. Da, nimm die Pistole, sprich mit diesem Errol, und wenn er nicht klein beigibt, so jage ihm eine Kugel durch den Leib.«

So bestürmt, schlug Arthur den Weg nach dem Hotel des Bains ein und ließ Potter zum erstenmal seit dreißig Jahren ohne »Schießgewehr« zurück.

Im nächsten Augenblick besann sich der Texaner wieder auf sich selbst und brummte vor sich hin: »Da habe ich nun Arthur zum Mord und Totschlag aufgereizt, statt daß ich Oel auf die stürmischen Wellen gegossen hätte. Potter, auf dich ist kein Verlaß! Dein alter Cowboygeist kommt halt eben immer wieder zum Durchbruch und muß niedergekämpft werden. Du mußt diese Jungens versöhnen!«

Eifrig eilte er in dieser Absicht auf die Straße, wurde aber zu seinem Verdruß von dem kleinen van Cott erwischt, der in ungewöhnlicher Erregung einherstieg und ihm zurief: »Ich habe Sie überall gesucht, mein lieber Herr Pottah!«

Nach einem Augenblick des Erstaunens brummte Potter ziemlich verdrießlich: »So, Sie sind's!«

»Ja. Habe Sie überall gesucht. Ihre Tochter sagte mir, ich solle mit Ihnen sprechen,« fährt der kleine van Cott fort, der sehr aufgeregt und sehr glücklich zu sein schien.

»Meine Tochter hat Sie geschickt?«

»Ja. Sie wünschte, daß ich, ah, daß ich Sie interviewte, um ah, um bei Ihnen um ihre Hand anzuhalten.«

»Um ihre Hand anzuhalten?« Potter starrte ihn in höchstem Erstaunen an. »Lügen Sie mich nicht an, Sie kleiner Balg.«

»Nein, es ist wahr. Auf Ehre, wahr.«

Und merkwürdigerweise war es so. Der arme kleine van Cott hatte erfahren, daß Fräulein Potter eilig abgereist sei, und infolgedessen angenommen, sie habe aus irgend welchem Grund mit Arthur gebrochen. Da er es für wahrscheinlich hielt, daß er nun Aussicht auf Erfolg bei der amerikanischen Erbin habe, war er ihr rasch nach Dover gefolgt, wo er sie eingeholt hatte. Von da fuhr er via Calais in ihrer Gesellschaft nach Boulogne, obgleich sie Einwendungen gegen sein Mitkommen erhob, allerdings nur in matter, gleichgültiger Weise, weil ihre Gedanken viel zu sehr mit den soeben gemachten Entdeckungen in Betreff ihres Vaters beschäftigt waren.

Der kleine Bursche setzte alles dran, ihr zu gefallen, und da seine Grimassen und Possen genau so komisch waren, wie die eines Affen, schenkte ihm das junge Mädchen ab und zu ein schwaches Lächeln, was ihn so ermutigte, daß er ihr zwischen Calais und Boulogne seine Hand antrug und sie sein »liebes Mädchen«, sein »Blümchen aus dem Westen« nannte und sich noch anderer zärtlicher Ausdrücke bediente, wodurch Fräulein Potter in furchtbaren Zorn geriet.

Sie wurde so boshaft, daß sie auf einen teuflisch grausamen Gedanken verfiel. Fast grinsend sagte sie zu van Cott: »Mein Herr, der Mann, der mich zu heiraten wünscht, muß sich zuerst an meinen Vater wenden.«

»O meine einzige Wonne, mein Entzücken!« rief van Cott, von Glut und Freude erfüllt, und hätte gar zu gern seine Gefühle durch einige Liebkosungen handgreiflich ausgedrückt, allein es lag etwas in Fräulein Potters Auge, das ihn von einem derartigen Versuch abstehen ließ. Sobald sie aber in Boulogne angelangt waren, rief er: »Will mit Papa sprechen, Liebste, will dich nicht lange warten lassen, Herzblatt!« und enteilte, um Vater Potter aufzusuchen, während die junge Dame seiner entschwindenden Gestalt nachsah und sich grimmig überlegte, wieviel von diesem Geschöpf wohl noch übrig sein werde, wenn Sampson mit ihm zu Ende gekommen sein würde.

Bei Herrn van Cotts Erklärung starrte ihn Potter eine Sekunde lang ungläubig an, dann sagte er mit rauher Stimme: »Holla, da gibt's noch mehr Pech!« Im nächsten Augenblick war es van Cott, als sei er von einer Lokomotive ergriffen worden, denn Potter hatte ihn am Kragen gefaßt und ihn durch das Wirtszimmer in ein kleines Privatgemach geschleppt, wo er auf einen Stuhl sank und rief: »Ist nicht die Möglichkeit!«

»Ja, vollkommen möglich. Endlich hat sie mich doch daran gekriegt! Aber ich wollte, Sie gingen etwas vorsichtiger mit meinen Manschetten um – Sie haben sie ganz zerdrückt,« erwiderte van Cott, der sich einbildete, Potter könne an ein solches Glück nicht glauben und sei deshalb so verwundert.

»Kümmern Sie sich nicht um Ihren Firlefanz!« sagte der Texaner. »Es ist ruhig und still hier – erzählen Sie mir alles, aber wenn Sie nicht die Wahrheit sprechen –«

Dabei schnaubte Herr Potter unheilverkündend, er konnte nicht glauben, daß seine Tochter, die doch mit Arthur verlobt war, jemand mit solchem Auftrag zu ihm schicke, und am allerwenigsten dies kleine Gewächs, das er nur mit Widerwillen betrachten konnte.

»O ja! Alles ist abgemacht! Sie brachte mich als ihren Beschützer mit nach Boulogne herüber.«

»Sonst nichts mehr?« unterbrach ihn Potter grimmig.

»Nun nehme ich an,« fuhr van Cott fort, der es nicht zu bemerken schien, daß Vater Potter sich in sehr grimmiger, unchristlicher Stimmung befand, »daß Sie die Geldverhältnisse entsprechend ordnen werden. Sie wissen, ich bin der Schwager des Lords Landsdown, und wir alten Familien erwarten immer, daß die neuen nicht knausern.«

»Und meine Doochter hat eingewilligt, Sie zu heiraten?« grunzte der alte Mann, der es immer noch nicht glauben wollte.

»Nun, das noch nicht gerade; aber sie sagte mir, ich solle zu Ihnen gehen, und Sie würden die Sache mit mir in Ordnung bringen.«

»Das werde ich auch.« Und ein grimmiges Lächeln erhellte die verwitterten, narbenvollen Züge des alten Grenzlers.

»Aber ihrem Benehmen nach hat Ida –«

»Das ehrenwerte Fräulein Potter, Herr!« welche Berichtigung durch einen entsetzlichen Schlag auf den kleinen Tisch verstärkt wurde, der ein paar Kellner herbeilockte, die sich aber nach einem Blick auf Herrn Potter rasch wieder zurückzogen.

»Natürlich, das ehrenwerte Fräulein Potter,« sagte Sidney, der nun doch etwas ängstlich wurde, »würde sich jedenfalls freuen, in eine Familie wie die meine hineinheiraten zu können!«

»Würde sie, so, würde sie? Sind Sie Amerikaner oder Engländer, Herr B. Sidney van Cott?«

»Von Geburt unglücklicherweise zum Teil Amerikaner, durch Verbindungen und Heirat Engländer, ganz entschieden Engländer; meine Schwester hat einen Lord geheiratet. Meine Nationalität genau festzustellen, würde einiges Nachdenken erfordern – ich will mich darüber besinnen.«

»Dann will ich es Ihnen ohne langes Nachdenken sagen,« rief Potter. »Sie sind ein Niemand von Nirgendwo. Das sind Sie.«

»Bitte, Herr Potter, bleiben Sie ruhig,« flüsterte van Cott, sich nach der Thür drückend.

»Sie schämen sich, ein Amerikaner zu sein, und sind doch kein Engländer!« brüllte Potter, außer sich vor Wut. »Und Sie haben die Unverschämtheit, zu denken, das ehrenwerte Fräulein Ida Potter würde eine solche Mischung von Nullen heiraten, wie Sie?«

»Herr Potter, diese Beleidigung –«

»Das ist recht! Jetzt kommen wir schnell zur Sache,« sagte Potter kampfbereit. »Ja, es ist eine Beleidigung, daß Sie es wagen, Ihre nationalitätslosen Augen auf eine Prähärieblume, wie das ehrenwerte Fräulein Potter zu richten!«

»So, ist es dies?« rief van Cott, der sehr zornig geworden war und wie die meisten Leute eine gewisse Art von Mut hatte, wenn er gereizt wurde. »Sie sind ganz der rechte Mann, um so mit mir zu sprechen!« und damit brach er los und teilte Herrn Potter mit, welche Meinung er von ihm hatte, sagte ihm, wie gemein er sei, und daß er nicht einmal ordentlich englisch sprechen könne und nur zur Demütigung seiner Tochter herüber gekommen sei.

Da rief der alte Potter zitternd, mit heiserer Stimme: »Mein Gott, Sie wollen doch nicht sagen, daß Ida sich an mir – an ihrem Vater schämt?« Und er wischte seine Augen, die bei dem Gedanken rot geworden waren, aber er sprach ganz demütig weiter, daß er ja den Unterschied zwischen sich selbst und seiner geliebten Ida wohl kenne, und daß er, wenn er denken müßte, seine Anwesenheit verletze ihre Gefühle oder demütige sie unter dem vornehmen Volk, mit dem sie verkehre, lieber nach Texas zurückkehren wolle, wo ihn die Leute ehrten. Dann brach er los: »Weiß ich denn nicht, daß sie hoch über mir steht, wie die Sonne über der Erde? Beklage ich es nicht all die Zeit her, daß ich nicht auf gleicher Höhe mit ihr stehe?« Dabei traten Thränen in des alten Mannes Augen und er weinte wie ein Kind, denn Herr van Cott hatte seine einzige verwundbare Stelle getroffen.

»Ja, und Sie haben mich abgewiesen, mich, der ich sie aus der Gosse auflesen und Ihre Tochter zu einer Dame machen wollte,« sagte van Cott sehr großartig.

»Meine Tochter aus der Gosse auflesen? Aus Fräulein Potter eine Dame machen?!« Dies drang wie der Schrei einer wilden Katze von ihres Vaters Lippen, und bei dieser Beschimpfung seines Abgotts leuchtete ein neues schreckliches Bild in seinen Augen auf. Er sprach nicht mehr laut, er sagte nur ganz ruhig: »Junger Mann, sprechen Sie nicht von meiner Tochter, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist! Es wäre besser, Sie gingen fort.«

Dieser Blick beunruhigte van Cott.

»Ich will, ich will einen Freund schicken, um – um Ihnen alles zu erklären!« stammelte Sidney, der es für ratsam hielt, sich zu entfernen, und auf die Thür zusteuerte.

»Einen Freund, das ist recht, das ist mutig!« echote Potter. »Das ist gut gesagt.«

So ermutigt, glaubte van Cott, der alte Mann habe nur seinen Mut auf die Probe stellen wollen, kam einen Schritt zurück, nahm eine drohende Miene an und sagte: »Ich hätte Sie gerne gezüchtigt, Herr Potter, aber –«

»Mich gezüchtigt!«

»Ich würde mich mit Ihnen schlagen, aber das Duell ist heutzutage aus der Mode.«

»In Texas nicht!« sagte Potter, griff hinter sich und entdeckte, daß er seit dreißig Jahren zum erstenmal ohne Schießwaffe war.

Da er sich aber rascher Einfälle erfreute, rief er: »So – würden Sie –« und den Augenblick darauf fühlte sich van Cott wie von einem Wirbelsturm erfaßt, stieß einen Schrei des Entsetzens aus und flog durch das offene Fenster auf den Hinterhof, wo er zum Heil seiner Knochen und zum Verderben seiner Kleider auf einem Düngerhaufen landete.

Das erste, was Potter that, nachdem er zugesehen hatte, wie van Cott zwischen den aufgescheuchten Hühnern emporkrabbelte, war, daß er sich einen großen mörderisch aussehenden, altmodischen Revolver kaufte und sich in einen kleinen Schießsaal begab, dessen Besitzer er durch seine meisterhaften Schüsse so begeisterte, daß er auf die Straße eilte und seinen Nachbarn von dem unvergleichlichen Schützen erzählte, worauf der Raum bald von einer kleinen Menge bewundernder Zuschauer angefüllt war.

Unter diesen befand sich zufällig auch Sergeant Brackett, der eben nach Boulogne herübergekommen war, selbstverständlich gefolgt von seinem treuen Schnapper. Die Pistolenübung Herrn Potters machte einen großen Eindruck auf den Detectiv, denn er hatte eben ein Buch gelesen, »Salomon Falkenauge, der nie fehlende Schütze des Westens«, und die Triumphe, die Potter mit seiner Pistole errang, erinnerten ihn an des schrecklichen Falkenauges Heldenthaten gegen Spieler, Cowboys und Rothäute. Auch der kleine Schnapper freute sich offenbar, wenigstens bellte er bei jedem Knall so laut und wedelte so fröhlich mit seinem Schwanz, daß sich schließlich Potters Aufmerksamkeit auf ihn lenkte und dieser nach seinem Namen fragte.

Brackett fühlte sich dadurch geschmeichelt und erzählte ihm allerlei Anekdoten über die Klugheit und Treue Schnappers, und wie ihn dieser bei allen Arten von Dienstleistungen unterstützt hatte. »Aber ich muß gehen – Geschäfte – Ihr Diener, Herr Potter,« und Brackett, der fürchtete, daß Errol schon allzu lange auf ihn gewartet habe, enteilte, um diesen aufzusuchen.

Der Texaner sah ihm nach und murmelte: »Nach seinen Reden zu schließen, ist dieser Mann ein Detectiv, kannte meinen Namen; na, das ist nur natürlich, bin überall ziemlich berühmt, wohin ich auch gehe.«

Von da begab sich Herr Potter nach dem Hotel des Bains, wo er als ersten Gegner ein Weib antreffen sollte, das ihn beim ersten Gang entwaffnete und, bildlich gesprochen, zum zweitenmal skalpierte.


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