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Neuntes Kapitel.
Wieder zu Hause

Wenige Tage darauf hatte Doktor Lampson seinen Patienten für gesund erklärt und war mit Hinterlassung eines beträchtlichen Loches in Lady Annerleys Bankguthaben zu seinen Patienten in England zurückgekehrt. Errol aber kam zum erstenmal zu der Gesellschaft hinunter. Die Rosen waren auf seine Wangen und die Kraft in seine Glieder zurückgekehrt und die blauen Augen leuchteten in frischer Lebenslust und neuem Glück, als sie auf die hübsche Ethel fielen, die ihn mit blühenderem Erröten und strahlenderen Augen empfing als je zuvor.

Ueberhaupt sahen an diesem Tage alle glücklich und fröhlich aus, denn Lady Annerley hatte ein kleines Fest gerüstet zur Feier des Tages, und Fräulein Potter und sie selbst waren festlich geschmückt, wenn auch dem Australier das kleine englische Mädchen in seinem einfachen Musselinkleidchen – so kam es ihm nämlich vor, obgleich es in Paris tausend Franken gekostet hatte – bei weitem am reizendsten erschien. Diese beiden jungen Leute waren im besten Zug, Myladys Herz zu brechen, indem sie sich ineinander verliebten.

Wie die meisten Tragödien entwickelte sich die Sache nur langsam, denn es wurde Lady Annerley schwer, zu glauben, daß sie von diesem jungen, unerfahrenen Mädchen, das nichts hatte, als sein liebes, kleines Herz und seine frische, jugendliche Schöne, aus dem Feld geschlagen werden sollte. Denn wenn auch ihr Vater, Percy Lincoln, einer der ersten Juristen Englands, für seine Verdienste noch einmal zum Lord erhoben werden würde, so war doch die Familie nicht sehr reich, und Ethels Mitgift mußte im Vergleich mit Lady Annerleys großartigen Besitzungen und fürstlichem Einkommen höchst bescheiden genannt werden.

So beobachtete Sarah Annerley die beiden jungen Leute, die manchmal, wie sie hoffte, nur mit der Liebe spielten, zu andern Zeiten aber so gereizt gegeneinander waren, daß sie sich darüber freute. Mylady übersah hierbei, daß es eine erste Liebe war, daß Errol trotz seiner dreißig Jahre zum erstenmal eine wirkliche Leidenschaft fühlte, und daß Ethel diesem Mann die erste reine Liebe eines Mädchens entgegenbrachte, dessen Wangen nicht einmal von den Küssen unreifer Schuljungen entweiht worden und dessen Herz durch keine flüchtigen Liebeleien abgestumpft war. Ihr Vater, Richter Lincoln, liebte seine einzige Tochter zärtlich und hatte sie all die Zeit sorgfältig behütet.

Diese für Lady Annerley sehr unselige Angelegenheit wurde durch einen alten Verehrer, dessen Hand sie schon so oft ausgeschlagen hatte, daß sie sich nicht mehr genau erinnerte wie oft, noch rascher zur Entscheidung getrieben. Es war dies ein junger Amerikaner, der in scharfem Gegensatz zu Fräulein Potter sich seines Landes schämte und nur den einen Ehrgeiz hatte, für einen richtigen Londoner gehalten zu werden – ein Geschöpf mit grimmigem Aeußern und schwachem Geist. Er hatte rote, müde, wässerige Augen, die in Verbindung mit einem borstigen Schnurrbart seinem Gesicht den wilden Ausdruck eines zornigen Affen – im Käfig verliehen. Jedenfalls aber konnte ihn niemand für anmaßend halten, denn der einzige Vorzug, den er öffentlich für sich in Anspruch nahm, war: »Meine Schwester hat einen Lord geheiratet!« Indessen sagte er dies so oft, daß die Einförmigkeit wahrhaft entsetzlich wurde.

Dieser kleine Tropf, der in gewissem Sinne ein gesellschaftlicher Bluthund war, hatte auf irgend eine Weise die Gesellschaft aufgespürt und überfiel sie mit einem Schwall von Londoner Neuigkeiten, Pariser Klatsch und Gerüchten aus dem Orient.

»Lady Annerley,« lispelte er, »wir haben alle von Ihnen gesprochen und diesen – uh – diesen Fellah von den Antipoden beneidet. Wollte, ich wäre in uh – ah Aegypten gewesen, ah – hätte Sie auch vor Krokodilen gerettet!«

Mit unterdrücktem Lächeln deutete Ethel an, es seien nicht gerade Krokodile gewesen, die Lady Annerley angegriffen hatten.

»Nei–ein?«

»Es war eine mohammedanische Volksmenge.«

»Oh – ah etwas ebenso Wildes und Schreckliches! Hätte sie auch dagegen verteidigt; etwas Wildes und Furchtbares – wohl wie unsre Cowboys. Oh, bei Gott, habe ganz vergessen – bitte um Vergebung, Fräulein Potter, Ihr Vater ist ja auch ein Cowboy oder was Aehnliches, glaube ich.« Ida war nämlich aufgestanden und auf den Altan getreten, wohin ihr Arthur in Bälde folgte.

Einen Augenblick später drang aus dem Zimmer zu ihnen heraus: »Meiner Six! Ich esse nie ein Beefsteak, ohne daß ich an Fräulein Potters Papa denke!«

»Soll ich gehen und ihm den Mund stopfen?« flüsterte Arthur Ida zornig zu.

»Durchaus nicht, Herr Lincoln; ich finde Herrn van Cott äußerst unterhaltend!« und zur Verwunderung ihres Verehrers lachte sie und zwar etwas sarkastisch, als ob sie sich über sich selbst lustig machen wollte.

Aber nun drang eine andre Bemerkung des scherzhaften van Cott, der keine Ahnung hatte, daß seine Worte draußen gehört wurden, zu ihnen heraus. Sie hörten ihn lispeln: »Fräulein Ethel, ist Arthur sehr weit gegangen?«

»Weit gegangen? Was meinen Sie damit?«

»Nun, mit der Ochsenkönigin! Ah, das Mädchen weiß, was sie will. Sie geht darauf aus, den ehrenwerten Arthur zu fangen, sie will die Gemahlin eines englischen Peers werden.«

»Des ehrenwerten Arthurs? Wer ist dies?«

»Wie, Sie wissen das nicht? Guter Gott! Das wissen Sie noch nicht?« kreischte er aufgeregt. »Sie sind die ehrenwerte Ethel und er ist der ehrenwerte Arthur. Ihr Alter hat den Abschied genommen und ist zum Peer des Königreichs ernannt worden. Ich habe die ›London Times‹ in der Tasche. So froh, Ihnen die gute Nachricht gebracht zu haben. Schrecklich froh! Glückwünsche! Nehmen Sie das Blatt!«

Ethel that dies, eilte auf den Altan und rief: »Arthur, sieh, Papa ist zum Baron Lincoln ernannt worden!« Dann hielt sie verwundert inne, denn Fräulein Potter stand an dem entferntesten Ende der Veranda und klopfte ungeduldig mit dem Fuß, während sie ein lebhaftes Interesse an dem Dom von San Marco zu nehmen schien. Ihr Gesicht war rot und so weit als möglich von Arthur abgewendet.

Der junge Mann machte ein furchtbar böses Gesicht, denn er wußte, wie diese Bemerkungen Fräulein Potters Stolz verletzen mußten, und sagte ernst: »Ich fürchte, diese Ernennung wird uns allen teuer zu stehen kommen, Ethel. Vaters Diensteinkommen war größer, denn sein Ruhegehalt als Peer sein wird.«

Durch diese Standeserhöhung der Lincolns wurden im Laufe dieses Tages verschiedene Ausbrüche von Leidenschaft herbeigeführt, die beim gewöhnlichen Gange der Dinge wohl noch einige Zeit hätten auf sich warten lassen.

Fräulein Ethel wandte sich von ihrem Bruder ab und ging zu Errol zurück, fand aber, daß dieser Herr in seinem Wesen sehr zurückhaltend geworden war. Der arme Bursche hatte stets gewußt, daß Fräulein Lincolns gesellschaftliche Stellung der seinen überlegen war, allein er fühlte nun, nachdem ihr Vater zum Peer des Reiches ernannt worden war, sich durch eine so große Kluft von ihr getrennt, wie es jemand, der mit der englischen Gesellschaft unbekannt ist, kaum ermessen kann. Wenn Errols Vater auch ein großes Vermögen besaß, so war er doch nur ein Kaufmann und Schafherdenbesitzer in den Kolonieen, und sein Sohn kannte das englische Leben hinlänglich, um zu wissen, daß seine Bewerbung von dem Vater der jungen Dame für anmaßend und keineswegs wünschenswert angesehen werden würde.

Als sie nun merkte, daß er sich in seine Würde hüllte, wurde sein Schatz erst empfindlich und dann gereizt und fragte, ob er aus Sehnsucht nach den heimatlichen ›Aschenkuchen‹ und Känguruhbraten so trübselig dasitze, und ob die Schafhirten in Australien auch so wild und so ungehobelt seien wie die amerikanischen Cowboys?

Durch diese Bemerkung fühlte sich Errol sehr niedergeschlagen, obgleich van Cott seine Freude daran hatte und Lady Annerley ins Ohr flüsterte: »Meiner Six! Sieht es nicht gerade aus, als ob Fräulein Ethel nun, da sie die Tochter eines Peers geworden ist, den Australier abfahren lassen wollte?« worauf diese Dame nur mit einem matten Lächeln antwortete. Sie hoffte nicht mehr auf solch einen Glücksfall.

»Jedenfalls,« fuhr van Cott fort, »braucht Fräulein Lincoln sich nicht so schrecklich viel auf die neue Würde ihres Vaters einzubilden. Meiner Six! Mein Schwager, der Graf von Sandsdown, sagt, seit dem letzten Peersschub sei der Lordstitel höllisch gewöhnlich geworden. Wir, aus den alten Familien, Ihre Herrlichkeit und hm – auch ich selbst, verstehen den köstlichen Witz meines Schwagers, des Grafen, zu schätzen.«

»Völlig!« erwiderte Lady Annerley sehr scharf. »Mein Vater hatte ein Bank- und Wechselgeschäft in der City und der Ihre, Herr van Cott, war, wie ich glaube, ein Amerikaner, der Armeelieferungen übernahm!«

Damit ließ sie ihn sprachlos und von Wut erfüllt stehen.

Auch Fräulein Potter war wütend, denn sie hatte Ethels Bemerkung über die Cowboys gehört, und da sie sich verletzt fühlte und ein Weib war, wurde auch sie ausfallend und kränkte ihren Liebhaber damit, daß sie van Cott spitzig fragte: »Wie steht denn der Markt für amerikanische Erbinnen? Wie waren sie zuletzt notiert? Sie müssen es doch wissen, Herr van Cott, Ihre Schwester hat ja einen Grafen geheiratet!«

In dieser Weise fuhren die Damen fort, ausfallend sarkastisch und witzig zu sein, und brachten es denn auch zuwege, daß Errol und Arthur nach dem Essen sehr niedergeschlagen, Ethel hämisch, Fräulein Potter sarkastisch und Lady Annerley ganz dazu bereit war, alles auszuführen, was ihr der Satan einblasen würde, und dieser wartete nur noch, bis er sich etwas ausgesonnen hatte, das fein, schlau und grausam genug war, um einer so hochgeborenen Sünderin, wie Mylady, würdig zu sein.

Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, daß Fräulein Potter Myladys Festmahl schlecht fand, so gut es auch zusammengestellt und gekocht war. Nach dem Nachtisch trat sie auf den Altan hinaus und weinte. Sie hatte den Mann unglücklich gemacht, den sie liebte, und war deshalb selbst unglücklich.

Allein es war ihr nicht vergönnt, sich dieses Genusses lange in Einsamkeit zu freuen; bald tauchte eine brennende Cigarre auf und hinter ihr Arthur Lincoln, der sich schweigend der Schönheit des Mädchens freute, während sie verstohlen die letzte Thräne wegwischte.

Nach einer kleinen Weile sagte er beinahe traurig: »Was für eine glückliche Familie haben wir doch gebildet, bis dieser Kerl, der van Cott, sich uns aufgedrängt und die Sorgen, Eifersüchteleien und den Ehrgeiz der Außenwelt mit hereingebracht hat.«

»Ja, wir – wir waren sehr glücklich hier!« erwiderte Ida mit einem leichten Seufzer, dann merkte sie aber, daß ihr Liebster ihr all ihre unfreundlichen Worte vergeben hatte und setzte heiterer hinzu: »So ist Venedig also Ihr Garten Eden und van Cott die Schlange darin, und Sie und ich sind Adam und Eva – das heißt – ich wollte dies nicht sagen –«

Errötend wandte sie sich ab und blickte auf das Wasser, die Gondeln und die schweigenden Paläste hinab; aber obgleich sie nicht weiter sprach und sich nicht umzusehen wagte, wurde das Erröten immer tiefer und tiefer, denn Arthur konnte so viel Schönheit nicht widerstehen, und leise stahl sich sein Arm um ihren Leib. Seine Kühnheit schien aber seinen Aussichten keinen Eintrag zu thun, denn obwohl sie ihn anfangs zurückstoßen wollte, behielt doch die Liebe die Oberhand über den Stolz, sie erbebte in seinem Arm und ihr Haupt sank auf seine Schulter.

Er sagte leise: »Du liebst mich!« und war im Begriff, sie zu küssen, da entzog sie sich ihm und rief:

»Noch nicht! Der Mann, der mich küßt, heiratet mich auch!«

»Siehst du denn nicht, daß ich beides will?« flüsterte Arthur und wollte sie wieder in seine Arme ziehen, aber sie sagte mit heiserer Stimme:

»Sie sollen keines von beiden thun! – Sehen Sie erst meinen Vater!«

»Warum jetzt nicht?«

»Niemals! Bis Sie meinen Vater gesehen haben! In einem Monat wird er in England sein. Sehen Sie erst meinen Vater!«

Diese eigentümliche Wiederholung »Sehen Sie erst meinen Vater!« machte den jungen Mann stutzig. Langsam sagte er: »Ich verstehe Sie, Ida. Sie fürchten, Ihr Vater werde mich nicht für Ihrer würdig halten. Ich stimme darin ganz mit ihm überein; ich weiß ja wohl, daß Sie Herzöge und Grafen abgewiesen haben, aber, nicht wahr, diese haben Sie auch nicht geliebt, Liebste?«

»Nein!«

»Und keiner hat Sie mehr geliebt als ich!«

»Ich glaube Ihnen, Arthur!« flüsterte das Mädchen, und er erbebte bei diesem Ton, denn es war das erste Mal, daß sie seinen Taufnamen gebraucht hatte.

»Ich zweifle nicht daran, daß ein Mann von so aristokratischen Neigungen, Gewohnheiten und Verbindungen, wie Ihr Herr Vater sein muß, wenn er auch keinen Titel hat, für seine Tochter einen vornehmeren Namen als den unserigen verlangen wird.«

Sie antwortete nicht darauf, aber im Mondenschein sah er sie in unbezwingbarer Erregung zittern und beben.

Als er aber nun den lieblichen Kopf betrachtete, der sich so innig an seine Brust geschmiegt, das muschelförmige Ohr, die Korallenlippen, die er beinahe geküßt hatte, da konnte er seine Leidenschaft nicht mehr beherrschen und flüsterte: »Liebst du mich?«

Wie ein Seufzer klang es durch die Luft: »Ja!«

»Du liebst mich. So habe ich nichts zu fürchten. Du liebst mich!« rief er und wollte sie an sich ziehen, aber sie schreckte vor ihm zurück und wehrte ihn ab. »Sehen Sie erst meinen Vater. Wagen Sie nicht mehr, davon zu sprechen, bis Sie meinen Vater gesehen haben.«

Damit entfloh sie ihm.

»Zum Kuckuck. Es scheint, dieser Potter ist ein in der Wolle gefärbter Aristokrat,« sagte Arthur vor sich hin. »Immerhin aber haben die Lincolns auch einen ziemlich anständigen Stammbaum, sollte ich meinen.« Bald danach hatte er aber den alten Potter über der Tochter gänzlich vergessen.

»Ich – ich habe sie beinahe geküßt,« sagte er träumerisch vor sich hin, »sie liebt mich. Das lieblichste, süßeste, aristokratischste Geschöpf von der Welt liebt mich.«

Und die Dame wandte sich weg und sagte ärgerlich zu sich selbst: »Eine Aristokratin! Wenn er mich nur nicht so genannt hätte. Eine Aristokratin! Wie ich dieses Wortes überdrüssig bin!«

Und dies war bis zu einem gewissen Grade wahr. Die Haltung und Schönheit des Mädchens waren so unabhängig und sicher und dabei so bescheiden und anspruchslos, daß sie von der europäischen Gesellschaft für eine Aristokratin reinsten Ursprungs und Blutes erklärt worden war und von allen Seiten der Wunsch gefühlt und geäußert wurde, die Eltern eines solchen Kindes kennen zu lernen.

Derartige Gedanken in sich hin und her bewegend, war die junge Dame in den großen Salon des Palazzo zurückgekehrt und dort von van Cott und Lady Annerley empfangen worden, die sie mit gegen ihren Willen zitternden Lippen fragte: »Haben Sie Herrn Errol draußen gesehen? Ich – ich fürchte, die Nachtluft wird zu feucht sein für einen Rekonvalescenten.«

»Die Nachtluft wird auch für Fräulein Ethel schädlich sein, sie werden sich beide erkälten,« lispelte Herr van Cott und verabschiedete sich.

Sie begleitete ihn die Stufen hinab bis an seine Gondel und fand den Australier und Fräulein Ethel in einer an den Stufen angelegten Barke sitzend, die Errol von einem vorüberfahrenden Schiffer zu diesem Zweck gemietet hatte.

»Wir wollen mit Hilfe des Mondes unsre Schattenrisse auf das Wasser werfen, was ganz unterhaltend ist,« rief die junge Dame mit etwas schuldbewußter Miene.

»Ja, außerordentlich lustig und sehr romantisch,« echote Errol, leicht errötend, denn sein Gewissen machte ihm den Vorwurf, daß er diese Frau, die ihn so treu gepflegt hatte, etwas vernachlässige, nun, da sie ihm nicht mehr unentbehrlich war.

»Das sehe ich,« sagte Lady Annerley leise, »ganz romantisch!«

»So romantisch als möglich!« sagte der scherzhafte van Cott. »Morgen nacht, wenn der Mond schön scheint, komme ich herüber, dann können wir auch Versuche in Schattenrissen anstellen, Lady Sarah!« Nachdem er dann noch einige Witze über Verliebte und der »Liebe jungen Traum« etc. angebracht hatte, ließ sich dieses angenehme Menschenkind davonrudern.

Darauf traten sie alle wieder ins Haus, und auf Ethel Lincolns und Charles Errols Gesichtern lag ein neuer glücklicher Zug, dagegen zeigte Lady Annerleys Antlitz einen so fremden Ausdruck, daß Fräulein Potter erschrak, als sie Mylady zufällig anblickte. Sarah Annerley sah aus, als ob der Satan ihr soeben seinen neuesten und schändlichsten Einfall eingegeben hätte, und was mehr war, dies Weib, das bis dahin gut, edel und großherzig gewesen, war entschlossen, diesen Einfall auszuführen, falls das unbedeutende englische Mädchen sie so weit treiben würde.

So vergingen die Tage: glücklich und nur allzuschnell für Ethel; trostlos und entsetzlich langsam für Lady Annerley.

Fräulein Ethels ungekünstelter Liebreiz verhalf ihr in diesem Kampf zu einem leichten Sieg über den Witz, den Geist und die gereiftere Schönheit Lady Annerleys. Doch die Entscheidung nahte, der Schlag fiel.

Es war im Oktober; der Tag war wunderschön gewesen, und das Quartett, wie sie sich getauft, hatte unter dem Vorwand, Einkäufe machen zu wollen, eine Gondel genommen und fuhr auf den Wasserstraßen Venedigs dahin. Lady Annerley war nicht in der Stimmung gewesen, sie zu begleiten, und saß allein zu Hause, als van Cott mit der Neuigkeit ankam.

»Jetzt habe ich sie endlich ertappt! Australien hat das kleine Mädel gefangen! Es war so dunkel in dem Schatten der Häuser, daß ich, als ich in meiner Gondel an einer andern Gondel vorbeifuhr, hören konnte, wie sich zwei Leute, die ich nicht nennen will, küßten.«

»Was wollen Sie damit sagen?« stieß Lady Annerley hervor.

»Oh, kein Skandal – alles ganz in der Ordnung – sie sind verlobt – ich weiß es.«

»Wer ist verlobt?«

»Errol und Ethel Lincoln natürlich.«

»Aaah!«

»Ich sah nämlich heute den – ah – Rekonvalescenten die Merceria entlang gehen, als ob er kein Interesse weiter im Leben habe und schlenderte hinter ihm drein. Er glitt in einen Goldwarenladen, schien sich aber über das zu schämen, was er vorhatte. Kenne die Symptome: die jungen Leute schämen sich immer, wenn sie den ersten Verlobungsring kaufen, bei den späteren geht's leichter. Erster Verlobungsring, denke ich, und trete auch in den Laden. Als er mich sah, errötete der gute Kerl thatsächlich und suchte mir seinen Einkauf zu verbergen, allein ich hatte die Augen offen. Ein großer Diamant und zwei kleinere – kosteten dreihundert Pfund. Sehen Sie nur heute abend nach Fräulein Ethels Finger, Sie werden ihn erblicken, dritter Finger, linke Hand – Verlobung – ich liebe Sie, gebunden fürs Leben, na, Sie wissen ja!«

»Wollen Sie, bitte, um ein Glas Wasser läuten?« flüsterte Lady Annerley. »Sind Sie Ihrer Sache sicher?«

»Wasser? Oh, gewiß, ganz sicher! Charley und Ethel an einem Ende der Gondel, Arthur und Ida am andern, in der Mitte die Gondoliere, die nach den Tauben von Sankt Markus sehen sollen. Ich kenne die Kniffe!« Und so schwatzte er weiter, während Lady Annerley ihm halb im Traum zuhörte und alles für eine Art Alpdrücken hielt.

Allein plötzlich fuhr sie heftig auf, denn van Cott hatte geglaubt, dies sei eine günstige Gelegenheit für ihn, und rief fröhlich: »Verliebte, vier Verliebte, lassen Sie uns doch gleich drei Pärchen werden.«

Damit schlang er seinen Arm um ihren Leib – und seine wässerigen Augen glänzten begehrlich, denn selbst der Kummer konnte ihrer Schönheit keinen Eintrag thun – und flüsterte: »Liebste Lady Sarah, Sie und ich, drei Verlobungen – drei Liebespaare – drei –«

Hier hielt er erschrocken inne, denn sie spie beinahe Feuer und Flammen vor Wut und zischte: »Sie! Sie wagen! Sie!«

»Ich – ich – bei meinem Leben, ich meinte es nicht so. Sie waren das letzte Mal, als ich um Sie anhielt, nicht halb so böse. Sie können einem ordentlich Angst machen. Seien Sie doch nicht so!«

Nach einem Augenblick beruhigte sie sich und sagte: »Bah, Sie sind nicht wert, daß ich mich über Sie ärgere! Aber ich will Ihnen eine Mitteilung machen. Als ich Ihnen den dritten Korb gab, habe ich Sie von meiner Besuchsliste gestrichen!«

»Oh, haben Sie dies gethan? Wirklich?« sagte er niedergeschlagen, denn der Zutritt in Lady Annerleys Haus war allen jungen Männern, die eine Rolle in der Gesellschaft spielen wollten, sehr nützlich, »aber, meiner Six,« fuhr er dann fort, als ob ihm ein erleuchteter Einfall gekommen wäre, »wissen Sie, ich habe Sie nicht von der meinen gestrichen. Komme morgen wieder vor. Empfehlen Sie mich den Verlobten!«

Während er in seiner Gondel heimfuhr, zuckte ein plötzliches Licht in seinem Gesicht auf, und er sagte vor sich hin: »Guter Gott! Die Witwe ist sicher in den Australier verschossen! Deshalb war sie so kurios gegen mich. Dies ist zu köstlich! Hahaha!« und der kleine Repräsentant der feinen Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts brach in ein schallendes Gelächter aus über das herzbrechende Leid einer Frau, die stets gütiger gegen ihn gewesen war, als er verdient hatte.

Wie zerrissen und gebrochen aber war das Herz dieses Weibes! Sarah Annerley saß in dem alten Gemach und sann. Sie war still, sehr still und ruhig, nur ein gelegentliches Händeringen bekundete ihre Aufregung. Endlich rief sie aus: »Ich kann es nicht glauben! Schon aus Dankbarkeit muß er mich lieben, wie ich ihn. Die Wunden, die er im Kampf um mich davongetragen hat, mein Ringen mit dem Tod, dem ich ihn entrissen habe, waren unsre Trauung. Wir sind Mann und Weib! Sie soll wagen, ihn mir zu entreißen!« Dann flüsterte sie: »Es ist nicht möglich; so lange er schwach war, war er mein, nun, da er wieder stark ist, kann er mich nicht verlassen,« und auf einen Augenblick lang ist sie wieder glücklich und glaubt es nicht.

Dann aber lassen sich fröhliche Stimmen in der Halle unten vernehmen, und plaudernd und lachend und glücklich treten alle ein. Sie blickt auf Ethels Hand, und wirklich blitzt und funkelt dort der Verlobungsring und erfüllt ihr Herz mit Verzweiflung und Schlechtigkeit.

Errol folgt ihrem Blick und sagt: »Liebe Lady Sarah, Ethel und ich haben Ihnen eine kleine Geschichte zu erzählen, an der Sie, wie wir glauben, von Herzen teilnehmen werden.« Dann sagte er es ihr, und nun weiß Sarah Annerley endlich, daß Charley und Ethel einander lieben und heiraten, wenn die Vorsehung und sie es zulassen.

Der böse Geist hatte die Gelegenheit wahrgenommen und ihr etwas zugeflüstert, das ein Lächeln des Triumphes auf ihr Antlitz zaubert und ihr die Kraft verleiht, die Glückwünsche auszusprechen, die bei solchen Gelegenheiten üblich sind.

Nachdem dies überstanden war, wandte sie sich zu Fräulein Potter und sagte etwas boshaft: »Soll ich dir auch gleich gratulieren, Liebste?«

Ida errötete leicht, trat auf Mylady zu und sagte halb lachend, halb zweifelnd: »Noch nicht! Mir hat noch niemand einen Ring gegeben!« Damit hielt sie eine tadellose Hand und einen wunderschönen Arm empor. Die Hand war gänzlich schmucklos, und nur das Handgelenk zierte ein schmaler Goldreifen, an dem ein englischer Sovereign als Anhängsel hing.

Lady Annerley bemerkte mit einem Blick darauf: »Armbänder sind so bindend als Ringe.«

»Dann bin ich schon in meiner frühesten Jugend gefangen worden,« sagte Fräulein Potter lachend, »denn ich habe dies getragen, so lange ich denken kann. Papa sagt, es sei ein Glückssovereign. Ich glaube, es ist ein Erbstück und war in unsrer Familie schon lange ehe ich geboren wurde. Es trägt die Jahreszahl 1849.«

Unter dem Vorwande, die Münze zu zeigen, kam sie wieder in Arthurs Nähe und dieser flüsterte ihr zu: »Ich habe mich oft besonnen, wer Ihnen wohl das Armband gegeben haben mag?«

»So waren Sie eifer–«. Sie unterbrach sich plötzlich, obgleich ihre Augen verrieten, daß der Gedanke, den sie nicht auszusprechen wagte, sie beglückte.

»Eifersüchtig? Gewiß, entsetzlich eifersüchtig,« erwiderte der junge Mann. »Wann darf ich meine Eifersucht vermittelst eines Ringes aus der Welt schaffen?«

Sie sah ihn einen Augenblick an und sagte dann, nur mit Mühe ihre Ruhe bewahrend: »Ich habe eben einen Brief aus Amerika erhalten. Innerhalb einer Woche wird mein Vater in England sein. Sehen Sie erst meinen Vater!«

»Ich reise noch heute nacht nach England ab!«

»Oh, nicht gar so schnell! Die Dampfboote brauchen trotz all unsrer Sehnsucht nie weniger als sieben Tage, und ich würde gern Ihre Gesellschaft noch ein wenig länger genießen, Arthur, denn vielleicht sehe ich Sie, wenn Sie erst meinen Vater gesehen haben, niemals wieder.« Die letzten Worte klangen traurig.

»Glauben Sie, daß Herr Potter mich zurückweisen wird?« fragte der junge Mann mit so bekümmerter Stimme, daß Fräulein Potter lachen mußte. »Ich bin vorläufig Advokat, und wenn meine Mittel auch bescheiden sind, so reichen sie doch hin, um unseren Unterhalt zu bestreiten, und wenn wir keine Republik bekommen, werde ich noch einmal im Oberhause sitzen.«

»Ach, Geld habe ich genug für uns beide, und ich würde Sie heiraten, auch wenn Sie ein Bettler wären!«

»Gott segne Sie für dieses Wort!« rief er und ergriff ihre Hand. Sie aber zog sie zurück und stammelte: »Sehen Sie erst meinen Vater, vielleicht –«

Dann unterbrach sie sich plötzlich, ging mit gemachter Heiterkeit auf Ethel zu und rief: »Etwas Musik, mein Fräulein, zeige, was du in deinen Stunden zu zwei Guineen die Minute gelernt hast!«

Während sich dies zwischen Arthur und Ida abspielte, war bei Lady Annerley der Teufel geschäftig gewesen. Ein Diener hatte Errol ein eben eingetroffenes Telegramm überbracht. Der junge Mann überflog den Inhalt und rief: »Guter Gott, in einer Woche kommt mein Alter nach London! Dies ist in Gibraltar aufgegeben.«

»Er kommt heim?« und alle umringten ihn und bestürmten ihn mit Fragen, Lady Annerley ausgenommen, die erst zusammengeschreckt war und dann zu sich selbst gesagt hatte: »Jetzt habe ich sie!«

»Was veranlaßte Ihren Vater zu diesem Entschluß?« fragte Lady Annerley.

»Vor etwa einem Monat habe ich ihm gekabelt,« gab Errol zurück, »daß ich mich zu verheiraten gedenke!«

»Oh!« rief Ethel, »wie konntest du dies wagen, Charley, welche Ermächtigung habe ich dir gegeben? Was wird dein Vater von mir denken?«

»Ich habe ihm nur angedeutet, daß ich das Mädchen gefunden habe, das ich liebe, und daß dieses nicht verlobt sei.«

Mit dem nagenden Bewußtsein, daß Errol sich auf den ersten Blick in ihre Nebenbuhlerin verliebt habe, zog sich Lady Annerley, finstere Gedanken im Herzen, unter dem Vorwand der Müdigkeit auf ihr Zimmer zurück. Jetzt segnete sie ihren Vater für seine letzten Enthüllungen. Unten sang Ethel mit heller Stimme ein Liebeslied, in dessen Töne sie alle Fülle ihrer eignen Liebe legte, während Lady Annerley oben deren Requiem schrieb.

Sie hatte schlichtes Papier und einen Briefumschlag ohne Chiffre gewählt und schrieb mit ungeschickt verstellter Handschrift einige Zeilen, die sie sorgfältig an das Ministerium des Innern überschrieb, dann frankierte sie ihn doppelt in heller Angst, der Brief könne irgendwie nicht ankommen.

Als sie fertig war, warf sie noch einen Blick darauf und sagte: »Charley, vergib mir das niedrigste Verbrechen, das je begangen worden ist.« Dann eilte sie, die That zu vollbringen, ehe sie Zeit hatte, sie zu bereuen.

In einen dunklen Umhang gehüllt, glitt sie die Treppe hinunter, an der Thür des Wohnzimmers vorbei, aus dem noch immer glückliches Lachen und Plaudern drang, das sie in ihrer grausamen Absicht noch bestärkte. Vorsichtig winkte sie eine Gondel herbei und flüsterte den Gondolieren zu: »Piazza di San Marco, schnell!«

Als das Boot sie an der Piazza di San Marco landete, hauchte sie: »Warten!« und stahl sich in der Dunkelheit dahin, zitternd vor Furcht, von jemand erkannt zu werden. Als sie indes sah, daß sie ganz allein war, trat sie an einen Briefkasten und ließ nach kurzem Zögern ihren Brief hineinfallen. Den Augenblick darauf bereute sie ihre Grausamkeit und hätte den Brief gern wieder zurückgehabt, wie wohl mancher von denen, die einst vor Hunderten von Jahren auf der nämlichen Piazza ihre verhängnisvollen Anklagen in den Rachen des Löwen hatten gleiten lassen und damit einen, den sie erst geliebt und dann gehaßt, dem Rat der Zehn, dem Kerker und der Folter überlieferten.

Unbemerkt gelangte sie wieder nach Hause, aber als sie am andern Morgen einen Blick in den Spiegel warf, ließ sie den Kopf hängen und flüsterte vor sich hin: »Ob ich mir wohl jemals wieder werde ins Gesicht blicken können?«

Einen oder zwei Tage später begab sich die ganze Gesellschaft in kurzen Tagereisen via Turin und Mont-Cenis nach Paris, wo Damen stets durch nötige Einkäufe aufgehalten werden.

Hier trennte sich Arthur von den übrigen und ging voraus, um seinem Vater zu sagen, was Fräulein Ethel zu thun beabsichtigte und was er selbst vorhatte. An seine Stelle trat sofort Herr van Cott, dem sie in Paris in die Hände liefen.

Als er Arthurs Abwesenheit bemerkte, sagte dieser junge Herr zu sich selbst: »Fräulein Potter hat ihm den Laufpaß gegeben. Ich werde noch einmal auf eine Erbin Sturm laufen! Ich will – es kommt mich hart an – aber ich will mich opfern. Um ihretwillen kann ich auch Cowboy werden.«

Als er hörte, daß die Gesellschaft im Begriff sei, nach England abzureisen, fand auch er sich auf dem Nordbahnhof ein, stieg in ihr Coupé, rieb seine Brillengläser und sagte: »Ist's möglich, Fräulein Potter, Sie lesen ein Telegramm?«

»Ja,« sagte Ida, und erwartungsvolle Freude leuchtete aus ihrem Antlitz, »ja, es ist von meinem Vater. Er ist in Liverpool und will in Folkestone mit mir zusammentreffen. Ich habe ihn seit vier Jahren nicht gesehen.«

»Das ist ja sehr erfreulich. Ich gehe auch nach London und werde Sie sicher zu dem lieben Papa bringen!« lispelte das kleine Ungeheuer.

Auf dem großen Quai in Boulogne erhielt Errol ein Telegramm; er las es und rief: »Hurra! Mein Alter ist in London. Ich will nur sehen, ob er die Stadt noch kennt, er ist so lange nicht mehr dort gewesen!«

Der Kanaldampfer segelte ab nach England; auf seinem Deck befand sich auch Lady Annerley, deren Gewissen sich regte und deren Herz ungestümer schlug, wenn sie Errols glückstrahlendes Gesicht betrachtete und daran dachte, daß dies der letzte Tag war, an dem er sein Haupt hochhalten konnte unter den Menschen. Allein alle Gewissensbisse kamen zum Schweigen, wenn sie sah, wie sich Ethels Hand in die seine stahl.

Das junge Mädchen dachte mit einem gewissen Ernst daran, wie ihr Vater, der berühmte Richter, ihren Geliebten wohl aufnehmen werde; aber wenn sie Errol ansah, dann leuchteten Stolz und Glück aus ihren Augen und sie dachte: »Papa wird ihn auch lieb haben, meinem Charley kann niemand widerstehen!«

Auch der Australier war von Hoffnung und Freude erfüllt; er sollte mit seinem geliebten alten Vater zusammentreffen, den er noch vor drei Monaten nie mehr zu sehen gefürchtet hatte.

So dampfte das Schiff an dem schönen Oktobertag in den Hafen von Folkestone hinein, und manche von denen, die sich auf seinem Verdeck befanden, standen vor dem Wendepunkt ihres Lebens.


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