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Zweites Kapitel.
Durch die Straßen von Alexandria

Auf dem Platze Mohammed Ali befanden sich nicht viele Leute, er erschien ganz verödet, obgleich die Bäume noch ebenso träumerisch rauschten und die Brunnen noch ebenso munter plätscherten als ein paar Tage zuvor, wo dieser Ort noch durch fröhliches Kindergeschrei und das Geräusch des geschäftigen Treibens einer Großstadt belebt wurde. Alle Europäer waren von diesem Mittelpunkte des fränkischen Stadtviertels geflohen, und die mohammedanische Bevölkerung hatte sich größtenteils am Hafen und auf den Festungswerken zusammengeschart, die von marschierenden Truppen, Munitionstransporten und andern Vorbereitungen zu dem morgigen Kampf gegen die Feinde Allahs belebt waren. Diese Volksmengen waren noch durch eine Anzahl Beduinenstämme vermehrt worden, die Kampf, Blut und Plünderung witterten und aus der Wüste herbeigeeilt kamen, um das Blutbad, das Gemetzel und die Plünderung noch zu vermehren, deren Schauplatz diese Stadt werden sollte.

Abgesehen von dem Lärm der Vorbereitungen bei den Batterieen lag die Stadt ruhig und unheimlich dunkel da, denn selbst die Hafenlichter und Leuchtturmfeuer waren auf Befehl Arabi Paschas gelöscht worden. All diese Eindrücke drängten sich Errol auf, als er einen Augenblick still stand, um Atem zu schöpfen und zu sehen, in welcher Richtung sie weitergehen müßten.

Plötzlich drängt sich Lady Annerley an ihn, die Jungfer schreckt geängstigt zusammen und sinkt fast ohnmächtig in Osmans Arme, dessen Zähne viel zu arg aufeinanderschlagen, als daß er eine Verwünschung hätte ausstoßen können. Errol selbst flüstert vor sich hin: »Himmel, was für ein Greuel mag das sein?«

Denn vom ersten Hafen her gellte ein solches Gebrüll barbarischen Schreckens und feiger morgenländischer Angst in ihre Ohren, daß man hätte glauben können, jeder einzelne Schrei trage Tod und Verderben in sich. Nach dem Hafen blickend, sah Errol das große, weiße elektrische Rekognitionslicht eines englischen Kriegsschiffes auf etliche Tausend dieser Wüstensöhne fallen, die dies für eine neue, furchtbare Kriegsmaschine hielten und mit dem gesteigerten, angstvollen Entsetzen flohen, das die Unwissenheit stets mit sich bringt.

So unnatürlich seine Heiterkeit in diesem Augenblick auch erscheinen mochte, der Australier brach in ein helles Gelächter aus und sagte, Osman die Sache erklärend, mit echt angelsächsischer Geradheit: »Wenn Eure Leute heute nacht vor dem Licht davonlaufen, so werden sie, bei Sankt Georg! morgen nicht übel vor den Geschützen springen.«

Dies war in diesem Augenblick unklug, denn von nun an haßte ihn Osman persönlich und nicht nur im allgemeinen; vorher hatte er ihn nur als Engländer gehaßt, jetzt haßte er ihn auch als Person. Das einzige, was die Orientalen an einem Engländer nicht hassen, ist dessen Geld, obgleich ihre englischen Gebieter dies merkwürdigerweise nie eher zu glauben scheinen, als bis sie in ihrer sorglosen Weise sich selbst, ihre Frauen und ihre Kinder von ihren morgenländischen Sklaven und Brüdern haben niedermetzeln lassen, wie so viele Grabstätten in Afrika, China und Indien und so viele Trauer und Wehklagen auf englischen Landgütern und in Londoner Stadthäusern schon bewiesen haben.

Der Morgenländer zischt etwas zwischen den Zähnen und schüttelt die Schottin derb auf ihre Füße; dann nimmt er sich wieder zusammen und sagt: »Sahib, die Esel stehen um die nächste Ecke in der kleinen Straße. Kommen Sie nach.«

Eilig folgen sie ihm und finden, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Zwei kleine, boshafte Tiere, mit Damensätteln versehen, erwarten sie. Während Errol Lady Annerley sorgsam, beinahe zärtlich auf den Rücken des einen Tieres hebt, wird die Martin von Osman auf das andre so zu sagen hinaufgeschleudert. Dann vertiefen sie sich, Osman als Wegweiser neben der Kammerjungfer und Errol zur Seite der Herrin wandelnd, in das dunkle Labyrinth von Seitengassen, die zwischen den zwei größten Straßen des arabischen Stadtviertels, Ras-el-Tin und Moschee Ibrahim nordwärts führen, und streben, das Café Sphinx zu erreichen, das von einem levantinischen Griechen Constantin Niccovie, einem Freund und Spießgesellen Osmans, gehalten wird.

Die Straßen sind so menschenleer, daß Lady Annerley, die, seit sie den Gasthof verließen, nichts gesprochen hatte, glaubt, ein Wort wagen zu dürfen; sie sieht den jungen Australier sehr freundlich an und flüstert: »Wir sind auf seltsame Art miteinander bekannt geworden!«

»Auf sehr ungewöhnliche Weise, gewiß,« erwidert Errol, »und jetzt werden Sie vielleicht Zeit finden, mir zu sagen, warum Sie Ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben und in Alexandria geblieben sind. Mein Gott, Sie werden ohnmächtig, die Anstrengung war zu groß für Sie,« und rasch stützt er sie mit seinem Arm, denn sie wankt und zittert und wäre ohne seinen Beistand aus dem Sattel geglitten. Sie dachte nämlich bei sich selbst: »Wie wird dieser Mann mich hassen, wenn ich ihm sage, was ich ihm doch eines Tages sagen muß. Aber nicht jetzt – nicht heute nacht. Kein Mensch in der Welt wäre edel genug, mich noch zu retten, wenn ich ihm dies gesagt hätte!«

Während Osman ermüdet neben dem schottischen Mädchen hergeht, ist er in freudige Gedanken versunken. Er hatte das Geld und die Diamanten der englischen Dame als seine eigene persönliche Beute aus der allgemeinen Plünderung gerettet, es sollte alles sein werden und noch mehr dazu. Denn dieser selbe Armenier hatte schon vor dieser Zeit einen kleinen schlauen Handel in Menschenfleisch geführt und hoffte, daß Aegypten nach dem Kampf wieder das alte Aegypten werden würde. Er kannte einen großen Pascha, der weit von hier, stromaufwärts in den nubischen Bergen einen Harem besaß und für europäische Weiber früher schon manchen Beutel bezahlt hatte, und verstohlen betrachtete er das schottische Mädchen neben sich und schätzte sie ab wie ein arabischer Pferdehändler seine Tiere. Dann fuhr er zusammen, und seine Augen funkelten vor Geldgier, als er an die schöne englische Dame dachte, die hinter ihm ritt. Hätte sie gewußt, in welcher Weise er sich mit ihr beschäftigte, ihr hätte geschaudert und ihre Gedanken wären noch schmerzlicher geworden, als sie ohnehin schon waren, während Backschisch Osman mit katzenartigem Schritt vor ihr her durch die Straßen tänzelte und seinem Esel in seiner lustigen ägyptischen Weise ins Ohr zirpte: » Yal-lah! Yal-lah!« und dann wieder, von unlauterer Freude berauscht, vor sich hinflüsterte: »Morgen wird ein großer Tag sein für Alexandria!«

So suchten sie ihren Weg weiter durch die engen, schmalen morgenländischen Gassen, in denen die arabischen Häuser oft beinahe über ihren Köpfen zusammenstießen und die am hellen Mittag dunkel, jetzt aber so pechschwarz waren, daß die Gesellschaft über halb ausgehungerte Hunde stolperte, die nach ihnen schnappten und sie anknurrten. Diese Hunde wurden nämlich im Aufsuchen der kärglichen Nahrung gestört, nach der sie in einem Schmutz und Unrat wühlten, wie er nur in den Nebengäßchen einer ägyptischen Stadt zu finden ist, deren Unreinlichkeit die Luft mit giftigen, stinkenden Dünsten erfüllt. Endlich bogen sie in eine breitere Straße ein, nachdem sie an einigen bettelnden Fellahs vorübergekommen, denen Osman Rippenstöße statt Paras gab, und einem arabischen Jungen begegnet waren, der mit lautem, übertriebenem Jammer irgend einen Verlust beklagte, sofort aber mit Fluchen und Schreien innehielt und seine Ohren spitzte, als er der zwei Esel ansichtig wurde, die beide leicht wieherten. So langten sie endlich vor dem Café Sphinx an.

Obgleich sie meinten, sie seien unbemerkt geblieben, war ihnen doch der arabische Knabe von dem Augenblick an im Schatten gefolgt, als er die Esel gesehen hatte, und diesem jungen Araber sollte die ganze Gesellschaft, er selbst mit eingeschlossen, noch eine schmerzliche Überraschung verdanken.

Die Vorderseite des Café Sphinx geht auf die Straße Moschee Ibrahim; es sieht halb türkisch, halb abendländisch aus und befindet sich in einem Hause von morgenländischer Bauart mit einem kleinen Hofe an der Rückseite. In diesen Hof führte Osman seine Begleiter und hieß Lady Annerley und ihr Mädchen auf den Eseln sitzen bleiben, weil ihr Aufenthalt nur sehr kurze Zeit dauern sollte. Da er sie in diesem abgeschlossenen Raum für völlig sicher hielt, folgte Errol Osman in das Café, denn es war unbedingt nötig, sich einen hinlänglichen Vorrat von Lebensmitteln zu verschaffen, zur Verproviantierung des maurischen Hauses, das ihm Osman als zeitweiligen Zufluchtsort für die Dauer der Beschießung und eines aus dieser entstehenden Aufstandes zu verschaffen versprochen hatte.

Nachdem er durch einen dunklen Thorweg in der Mauer gegangen war, befand sich der Australier in einem kleinen von Alter und Schmutz geschwärzten Raum und sah sich dem Dragoman und dem levantinischen Griechen, dem Besitzer des Kaffeehauses, gegenüber. Weiterhin bemerkte er ein größeres Gelaß, das eigentliche Café, das auf einer Seite für morgenländische Besucher mit Diwans, Matten und Teppichen versehen war, auf denen man sich in türkischer Weise niederlassen konnte, während sich auf der andern, offenbar für Europäer bestimmten, eine Menge Tische mit gewöhnlichen tannenen Stühlen befanden, wie man sie in europäischen Städten, etwa in Bierhallen dritten Ranges, zu finden pflegt. Der ganze Raum war mit ein paar jetzt heruntergeschraubten Oellampen beleuchtet, die offenbar den zeitweiligen Ersatz bildeten für die an den Wänden angebrachten, in dieser Nacht aber unbrauchbaren Gasarme. Ueber diesem düstern Bild lag der Dunst von verschaltem Bier, schlechtem Wein und noch schlechterm Tabak. Im Augenblick war zu Errols Freude alles leer, da die europäischen Besucher auf die Schiffe entflohen waren und die ägyptischen Kunden sich auf den Docks und Quais im Hafen versammelt hatten, um zu sehen, was die Kriegsschiffe der Ungläubigen unternahmen.

Der Besitzer des Kaffeehauses selbst hatte wie dieses einen halb morgen-, halb abendländischen Anstrich. Seine Beinkleider waren schmierig und ägyptisch, sein Rock französisch und knopflos. Er trug einen struppigen englischen Backenbart und einen schäbigen türkischen Turban um seinen runden Kopf, in dem zwei dunkle, falsche Augen funkelten; eine große gebogene Nase und sehr rote Lippen bildeten einen scharfen Gegensatz zu seinen bleichen Wangen und weißen Zähnen. Sein Salam war würdevoll, seine Bewegungen lebhaft und ausdrucksvoll; hielt er sich ruhig, so war er Türke, bewegte er sich, so war er Franzose.

Als der Australier eintrat, waren Herr Osman und Herr Constantin Niccovie in eine lebhafte Beratung in einem ihm unbekannten Dialekt vertieft, wobei sie die Augenbrauen in die Höhe zogen und mit Armen und Beinen lebhaft gestikulierten. Als Constantin ihn sah, unterbrach er sich plötzlich und sagte in sehr mangelhaftem, aber immerhin verständlichem Englisch ausdrucksvoll: »Wie ich glaube, Sheik Errol?«

»Das ist mein Name,« erwiderte der junge Mann.

»Mein Haus und meine ganze Familie sind Euer, ganz Euer,« gab der Levantiner mit einem feierlichen Salam zurück, den Errol mit englischer Plumpheit dadurch erwiderte, daß er Osman fragte, ob er dem Mann gesagt habe, was er brauche.

»Gewiß – alles, Sahib,« lautete die Antwort des Dragoman.

»Osman Ali, dessen Atem lieblich duftet nach Wahrheit, ist mein Belehrer und sagt, Sie seien der Verteidiger von Frauen. Auch ich würde mein Leben für die Frauen lassen, wäre es mir so beschieden. Sie wünschen Mundvorräte? Sie sollen welche haben! Aber Nahrungsmittel stehen hoch im Preis. Dies ist eine Zeit des Mangels. Wir sehen einer Hungersnot entgegen, aber dennoch berechne ich Ihnen nichts! Nichts! Nichts

Das letzte Nichts wurde beinahe herausgeschrieen, denn Constantin war Franzose und höchst aufgeregt geworden; er ergriff Errols Hand und rief: »Beachten Sie meine Preise!« und dann durchlief er das Verzeichnis der verlangten Sachen, für die er ihnen das Zehnfache des Wertes abforderte.

Errol, der keine Zeit zum Handeln oder Feilschen hatte, befreite seine Hand aus des Levantiners schmieriger Faust und sagte nur: »Bringen Sie die Sachen sofort!«

Nachdem sie auf diese Weise schnell handelseinig geworden waren, ging Constantin, um das Verlangte zu holen, und verwünschte sich selbst, daß er nicht mehr gefordert hatte, während der Australier sich zu seinem Dragoman wendete und fragte: »Ist es Ihnen gelungen, ein für unsre Zwecke geeignetes moslemitisches Haus zu ermitteln?«

»Ja, Sahib; Allah ist gut gewesen gegen uns. Abdallah Yusef, der Maure, fürchtete die fränkischen Kanonen und hat sich mit seinem Harem, seiner Familie und seinen Sklaven auf seine Villa bei Rosetta geflüchtet. Constantin Niccovie, der ein gutes Herz besitzt, hat den Schlüssel zu seiner Besitzung. Abdallahs Bowab, sein Thürhüter, liegt im Augenblick trunken von Wein und Angst versteckt im Keller unter uns. Constantin will uns das Haus Abdallahs, das seine Bewohner vor jeder Belästigung schützt, weil Abdallah von allen Rechtgläubigen hochgeachtet wird, um fünftausend Franken vermieten.«

»Fünftausend Franken für ein paar Tage? Das ist ein ganz unerhörter Preis!« wandte Errol ein.

»Das sagt Constantin selbst; aber er macht sich ein Gewissen daraus, das Haus eines andern Mannes zu vermieten. Jeder Para dieses Geldes wird an Abdallah abgegeben, und er fürchtet, Abdallah möchte ihm fluchen, wenn der Preis nicht hoch genug ist. Ich will aber noch einmal mit dem Levantiner reden und sehen, daß er seine Bedingungen ermäßigt.«

Damit verschwindet Osman, um Constantin aufzusuchen, und murmelt in sich hinein: »Was liegt daran, wie viel der Engländer jetzt bezahlt? Morgen haben wir ja doch alles, was sie besitzen, und noch mehr dazu!« Denn dem Dragoman fährt wieder der Gedanke an den Sklavenhandel durch den Kopf.

Errol wendet sich um, öffnet die Thür und sieht nach seinen Schutzbefohlenen. Alles ist still im Hof und Lady Annerley und ihre Jungfer sitzen ruhig in ihren Sätteln. Er tritt zu der englischen Dame hinaus, und da er weiß, wie ängstlich sie sein muß, flüstert er ihr zu: »Alles geht prächtig. Wir haben die Vorräte, die wir brauchen, und in Bälde habe ich auch einen unzweifelhaft sichern Unterschlupf für uns alle, aber diese Morgenländer stellen unerhörte Forderungen. Ich fürchte, ich werde noch einmal von Ihnen borgen müssen.«

»Borgen von mir? Herr Errol, leihen Sie mir etwa nicht heute nacht Ihr Leben? Bitte, verwahren Sie alles für mich; geben Sie es aus, für was Sie wollen – ich werde doch noch immer Ihre Schuldnerin bleiben,« dabei ließ sie ihre Börse in seine Hand gleiten.

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Lady Annerley,« sagte der junge Mann und wandte sich wieder dem Hause zu, im Vorbeigehen auch noch ein Wort der Ermutigung an die Martin richtend, die, wie versteinert vor Angst, auf ihrem Esel hing.

Unter der Thüre traf er mit Osman zusammen, der mit bedauerndem Achselzucken sagte: »Es nützt nichts. Niccovie ist ein Ehrenmann und er sagt, sein Gewissen würde ihm schlagen, wenn er Abdallah das Unrecht zufügte, auch nur einen Franken von den fünftausend abzulassen. Nehmen Sie sein Anerbieten an! Denken Sie an die Frauen!«

»Schon gut! Ich habe keine Zeit, zu handeln. Geben Sie ihm das Geld,« und Errol händigte dem Dragoman die Summe ein, setzte aber beinahe mißtrauisch hinzu: »Wie, zum Kuckuck, kann es Niccovie, von dem Sie sagen, er sei ein Levantiner, wagen, in solchen Zeiten offen in Alexandria zu bleiben?«

»O – ah – Constantin Niccovie ist vor allem Geschäftsmann und würde sein Leben aufs Spiel setzen, um ein gutes Geschäft zu machen, – er ist so mutig,« antwortete Osman und ging dann mit dem Geld, um Niccovie aufzusuchen, der noch immer damit beschäftigt war, die Vorräte zusammenzurichten, über die sie handelseinig geworden waren. Das sagte er aber dem Australier nicht, daß der Levantiner ein erst kürzlich zum Mohammedanismus übergetretener Renegat und deshalb so sicher war, wie irgend ein Vollblutmoslem, der diese Nacht in Alexandria zu Mohammed schrie und die Franken verwünschte.

Wenige Augenblicke danach kamen der Armenier und der Levantiner mit den Vorräten, die Errol untersuchte und gut und für eine Woche ausreichend fand.

»Wie zum Kuckuck sollen wir die Sachen tragen?« fragte er und war Osman dankbar für die Andeutung, daß die Esel stark und kräftig seien.

»Ich habe für die beiden Tiere einen hohen Preis bezahlt, Sahib,« sagt der Dragoman stolz und nennt eine Summe, über die Errol große Augen macht.

Trotzdem bemerkt er nur: »Ich werde dies abmachen, sobald wir in Abdallahs Haus sind.« Dann geht er, um einige kleine Einzelheiten mit Constantin in Ordnung zu bringen, wobei er plötzlich und unerwartet durch einen durchdringenden Schrei der Martin draußen im Hof unterbrochen wird. Lady Annerley stürzt ganz verwirrt ins Zimmer und flüstert ihm zu: »Es muß mit den Eseln irgend was los sein. Gerade haben zwei Männer und ein Knabe meine Jungfer von dem ihren heruntergerissen und …«

Aber sie sagte nichts weiter, denn plötzlich wurde die Thür aufgestoßen und zwei nubische Polizisten erschienen, von denen einer die Martin am Arm nach sich zog, die in tragischem, flehendem Ton immerfort rief: »O nicht! O nicht!« und ihre Hand vor den Kopf hielt, als sei sie gewärtig, daß der Mann ihr im nächsten Augenblick die Ohren abschneide. Ihnen folgte ein arabischer Knabe, der, trotzdem seine Augen noch rot vom Weinen waren, mit freudigem Grinsen auf Osman deutete und rief: »Seht! Dies ist der Schakal, der mir in der Dunkelheit das Brot des Lebens gestohlen hat, die zwei hübschesten, stärksten und flinkesten Esel in Alexandria. Möge Allahs Zorn seine Augen mit Blindheit schlagen und die Hunde der Wüste das Grab seines Vaters schänden!«

Einen Augenblick zuckte der Dragoman bei dieser Beschuldigung zusammen und schlug seine Augen nieder, nachdem er aber einen Blick mit Niccovie gewechselt hatte, kehrte seine Kaltblütigkeit zurück. Als er wieder aufsah und entdeckte, daß sein Ankläger nur ein Knabe war, feuerte er, um in Schimpfreden nicht hinter ihm zurückzubleiben, nun ebenfalls eine von drohenden Bewegungen begleitete Salve ab: »Die Zunge soll dir ausgerissen werden! Deine Mutter war eine Lügnerin und dein Vater nichts besseres! Ich habe diese Tiere heute auf dem Markt gekauft und mit dem Gold dieses fränkischen Herrn bezahlt, dessen Dragoman ich bin!«

Bei diesen Worten blickten die Polizisten erst einander und dann die beiden Frauen und Errol an, und einer von ihnen sagte heftig: »Diese Leute sind nicht in Gutem hier! Sie sind unsre Feinde!« Und der andre erwiderte: »Wir wollen sie alle ins Gefängnis werfen. Morgen sollen diese ungläubigen Hunde dann das morgenländische Gericht kennen lernen!«

Indessen lag ihre Sache in Osman Alis Händen, und da diesem wirklich darum zu thun war, seine Beute für sich zu retten, so war es nicht wahrscheinlich, daß sie aus Mangel an der feinen Diplomatie des Orients verloren gehen würden. Als er diese Worte hörte, trat der Dragoman einen Schritt vor, zog eine Anzahl Zwanzigfrankenstücke hervor und sagte: »Die Worte dieses Burschen sind so trügerisch wie der Sand der Wüste! Nach Allahs Willen sind die Esel mein!«

»Sie sind nicht dein, du Lügenbrut!« schrie der Knabe. »Bei Allah, sie gehören mir! Sie kennen ihre Namen und folgen meiner Stimme. Einer heißt Boozeh und der andre Doarrah!« Nun rief der Junge laut: »Boozeh! Doarrah!« und die Esel streckten den Kopf in die Thür und wieherten und schrieen zum Zeichen des Erkennens.

Allein dies war bei den nubischen Polizeidienern verlorne Liebesmüh, denn sie hatten das Gold nicht mehr aus den Augen gelassen, seit Osman es hervorgezogen hatte.

Mit diesen Münzen klimperte er und fuhr, da er nun seiner Sache ziemlich sicher war, gelassen fort: »Daß der Junge lügt, beweist dies! Ist es wahrscheinlich, daß ich, Osman Ali, ein Mann von Ansehen und Reichtum –« hier ließ der Armenier die Goldstücke von einer Hand in die andre gleiten, und die Augen der beiden Wächter des Gesetzes leuchteten bei jedem Klimpern der Münzen in tierischer Gier.

»Seht sein Gold nicht an!« schrie der arabische Gamin verzweifelt.

»– und einem Reichtum, der so groß ist, daß ich zwei zuverlässigen Dienern des Gesetzes aus schierer Barmherzigkeit und lauterm guten Willen je tausend Piaster schenken kann. Werde ich wohl zwei Esel stehlen, deren Wert für mich so gering ist, wie der Staub an der Erde?« Und dabei glitt der goldige Regen in die ausgestreckten Hände der Polizeibeamten.

Der dadurch hervorgebrachte Eindruck wurde noch verstärkt, als Constantin hinzufügte: »Und mich kennt Ihr auch. Ich bin Niccovie, dessen Wirtschaft euch schon manchen kühlen Trunk geboten hat und, wenn es Allah gefällt, hoffentlich noch manchen bieten wird. Dieser Mann hier ist Osman Ali, ein Mann, dessen Odem so lieblich nach Wahrheit duftet, wie die Rosen von Sofia!«

»Ist es wahrscheinlich, daß ich ein Dieb bin?« fragte der Dragoman die beiden Beamten beinahe streng.

»Nein, Effendi,« lautete die Antwort.

In diesem Augenblick schrie Constantin plötzlich: »Ah, noch ein weiterer Beweis für seine Unschuld! Der falsche Ankläger flieht!« Denn der arabische Junge hatte, sobald er gesehen, daß die durch Geld beschwerte Wagschale sich nach der andern Seite neigte, pfeilschnell die Straße zu gewinnen gesucht.

Nun wurde der Unglückliche von den Polizisten gefaßt, deren einem Osman etwas ins Ohr flüsterte, während sie den Knaben in den Hof zurückschleppten.

Die ganze Begebenheit war für Errol und Lady Annerley kaum verständlich gewesen, da nur arabisch gesprochen worden war; der Dragoman gab ihm nun eilig die Erklärung, daß der geizige kleine Gassenbengel noch nachträglich einen höhern Preis für seine Esel verlange, und er ein paar Hundert Franken geopfert habe, um die Sache beizulegen, eine Erklärung, die mit den gemachten Bewegungen und der Auszahlung des Geldes in vollstem Einklang stand.

Hätte nur eines von beiden etwas verstanden, so wäre der Araberjunge wohl besser gefahren, denn Herrn Osmans Beweisführung würde ein nicht zu seinen Gunsten eingenommenes Gemüt wohl schwerlich von seiner Unschuld überzeugt haben. Uebrigens hatten sie nur wenig Zeit, über die Sache nachzudenken, denn das Geschrei der Volksmenge am Hafen wurde lauter und eine Abteilung Artillerie kam eilig die Straße herabgerasselt; eines der englischen Kanonenboote hatte einige Signalraketen steigen lassen und dadurch erneute Aufregung hervorgerufen.

Eiligst packen sie ihre Vorräte auf die Esel und sind eben im Begriff, aufzubrechen, als Osman Errol einige Worte zuflüstert und ins Haus zu Niccovie zurückstürzt, der weder mit in den Hof herausgekommen war noch geholfen hatte, die Esel zu bepacken.

»O, warum läßt er uns denn so lange warten?« flüsterte Lady Annerley, die seit dem Erscheinen der Polizisten ängstlich und aufgeregt geworden war. »Warum ist dieser Mensch ins Haus zurückgegangen?«

»Er sagte, er habe den Schlüssel zu Abdallahs Haus vergessen,« lautete Errols Antwort.

»Den Schlüssel? Wie? Ich habe ihn ja in seiner Hand gesehen,« fuhr sie hastig fort, hielt aber plötzlich schaudernd inne und rief: »O, Himmel, was ist dies?« Denn aus der dunkelsten Ecke des kleinen Hofes drang unterdrücktes Wimmern herüber, und dann ertönte plötzlich ein solcher Schrei der Verzweiflung, wie ihn die zarte englische Dame nie zuvor vernommen hatte.

Dieser Schrei fand in der Martin, deren schon vorher schwaches Nervensystem sich nachgerade in entsetzlicher Verfassung befand, einen Widerhall.

»Bei Sankt Georg! Sie schlagen jemand,« sagte Errol.

»Oh, es ist der arme kleine arabische Junge,« rief Lady Annerley, aus ihrem Sattel gleitend. »Oh, Herr Errol, beeilen Sie sich. Retten Sie ihn, retten Sie ihn! Wenn Sie's nicht thun, thu ich's.« Denn noch ein zweiter angstvoller Schrei der jugendlichen, frischen Kinderstimme war schneidend durch die stille Nachtluft gedrungen.

Also angespornt lief der Australier nach jener Ecke des Hofes und fand dort die beiden Polizisten, die nach Art der morgenländischen Gerechtigkeit dem Jungen eine kräftige Bastonnade zu teil werden ließen, nachdem ihnen Osman einen Wink in dieser Richtung gegeben hatte.

Er stieß sie zurück und rief: »Halt!« was die beiden nicht verstanden. Dann gab er ihnen Geld, was sie wenigstens zu verstehen glaubten, denn als sich Errol im nächsten Augenblick umwendete, fielen ihre Stöcke mit vermehrter Kraft auf die aufwärts gekehrten Fußsohlen des hilflosen Jungen, der verzweifelter schrie, als je zuvor; denn Grausamkeit gegen die Nebenmenschen wird im Osten gar oft gekauft – Barmherzigkeit nie.

Heftig stieß Errol den einen Peiniger beiseite und wollte eben den andern packen, als Lady Annerley sich zwischen ihn und den Mann warf, ihn mit ihren zarten Händen zurückdrängte, sich über das arme Opfer ihrer Grausamkeit herabbeugte und selbst in Thränen ausbrach, als sie die Angst des kleinen Dulders sah.

»Heben Sie ihn auf!« rief sie Errol zu, dann drehte sie sich nach den Männern um: »Rühret ihn nicht mehr an, oder ich töte euch!« Es lag etwas in ihrem Wesen, das die Nubier zwang, die Augen unter ihrem Blick zu senken; dann bat sie den Australier, ihr zu helfen, den Knaben ins Haus zu tragen, denn er lag mit geschlossenen Augen da, obgleich er ab und zu ein schweres Seufzen und Stöhnen vernehmen ließ.

»Ich könnte nicht von ihm weggehen, ohne zu wissen, ob er sehr verletzt ist!« flüsterte sie. »Bitte, tragen Sie ihn vorsichtig und sanft.«

Errol folgt ihrem Geheiß, und in dem schmutzigen Café beugt sich die vornehme englische Dame, ohne der Gefahren dieser Nacht und dieses Ortes zu achten, über das jugendliche Opfer menschlicher Ungerechtigkeit und sucht es mit stärkendem Wein, gütigen Worten und tröstendem Streicheln, welch letzteres ihm noch wohler thut als der Wein, wieder ganz ins Leben zurückzurufen.

Der junge Mann sieht ihr einen Augenblick schweigend zu, dann flüstert er: »Sie ist mutiger als ich,« und tritt zu Osman, den der Lärm herbeigelockt hat, hinaus und heißt ihn, die Polizisten entfernen und Sorge tragen, daß sie den Jungen nicht weiter belästigen. Dies thut der Dragoman, etwas beschämt sofort, denn Osman Ali hegt einige Zweifel darüber, inwieweit sein Herr die Wahrheit durchschaut.

Unterdessen verbindet Lady Annerley, von ihrer herbeigerufenen Jungfer unterstützt, mit ihrem eignen Taschentuch die zerquetschten Füße des kleinen Knaben, der mit seinen durch den Kampf ums Dasein schon frühzeitig geschärften Augen verwundert und ungläubig zu ihr aufsieht. Und die Thränen des schönen Weibes tropfen auf ihn herab, während sie sich über ihn neigt und ihn tröstet und ihm Worte zuflüstert, so freundlich, wie er sie noch nie gehört, denn der arabische Gamin hat in den Straßen von Alexandria Brocken von den meisten Sprachen aufgelesen, natürlich auch von der englischen.

Bei diesem ungewöhnlichen Anblick wendet sich Constantin Niccovie mit einem Zucken seiner breiten, kräftigen Schultern ab – der Levantiner ist nämlich groß und knochig von Gestalt –, während über Osmans zarte, schlaue Züge ein übermütiger Hohn fliegt, indem er Lady Annerley aus der Entfernung beobachtet und denkt: »Schon morgen wird diese hochmütige Schöne über sich selbst weinen, und wer weiß, ob sie nicht vielleicht selbst einmal die nämliche Züchtigung erdulden wird wie der Knabe, den sie jetzt tröstet.« Denn Osman Ali hat im Laufe seiner im Osten gesammelten Erfahrungen die Entdeckung gemacht, daß die Bastonnade keineswegs aus dem Harem der Großen verbannt ist, und er denkt, daß, wenn morgen alles geht, wie es soll, die schöne englische Dame eine der Verschleierten in der Zarina eines großen Paschas werden wird, der weit von der Civilisation entfernt lebt, sehr reich ist und für eine fränkische Odaliske unerhörte Preise bezahlt. Trotz all seiner Schlauheit ist dieser armenische Schurke nicht Analytiker genug, um zu erkennen, daß das Weib, das er verschachern will, nie und nimmer von etwas anderm geknechtet werden kann und wird, als von ihrer eignen Leidenschaft.

Unterdessen fährt Lady Annerley in ihrem barmherzigen Thun fort, bis das Schluchzen des kleinen Dulders erstirbt und er ihr ins Ohr flüstert: »Backschisch Osman hat meine Esel gestohlen; sie haben mich geschlagen, weil ich Allahs Wahrheit sprach.«

»Wenn sie dir gehören, sollst du sie auch wieder bekommen,« antwortet die Dame. »Kennst du das Haus Abdallahs, des Mauren?«

Der kleine Bursche antwortet ihr durch ein Kopfnicken und unterdrückt einen Seufzer.

Weil sie weiß, daß sie ihm trauen kann, sagt sie: »Komm morgen nach diesem Hause und hole sie dir. Heute nacht brauchen wir sie nötig.« Damit läßt sie eine Menge Gold- und Silbermünzen in seine Hand gleiten, gerade als Errol kommt und ruhig, aber entschieden zu ihr sagt: »Gnädige Frau, wir dürfen nicht länger zaudern.«

Als sie sich von des Kleinen Seite erhebt, zittert noch eine Thräne in ihren Wimpern und fällt auf sein ihr zugewandtes Gesicht, das sie unablässig beobachtet, bis die Gesellschaft, von Osman geführt, in der Dunkelheit der Stadt verschwindet. Dann humpelt auch der Eselsjunge, der sich mit seinem Geld in der Tasche in Gegenwart von Herrn Niccovie keineswegs sehr sicher fühlt, stöhnend und schwankend in die Nacht hinaus und schluchzt sich in der einsamen Ecke einer schmutzigen aber ruhigen Straße in Schlaf, während ein mattes, trauriges Lächeln über sein Gesicht huscht und er in der poetischen Ausdrucksweise seines Volkes sagt: »Die Thränen der schönen fränkischen Dame liegen gleich Perlen auf meinem Angesicht.«

Und Sarah Annerley hat in den fünf Minuten, in denen sie dem armen, kleinen, herumgestoßenen Schlingel so viel weibliche Güte zeigte, sich selbst einen größeren Dienst geleistet, als sie ahnen oder vermuten kann.


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