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Siebentes Kapitel.
Die amerikanischen Marinesoldaten

Auf der Straße befanden sich einige Aufrührer, die, als sie die Flüchtlinge sahen, wohl in lautes Geschrei ausbrachen, aber davonliefen, denn durch den Kampf dieser Nacht war Errol der Schrecken seiner Feinde geworden.

»Das ist unsre einzige Hoffnung! Laufen Sie, was Sie können,« flüsterte er und begann rasch vorwärts zu eilen, allein sie blieb zurück und fragte: »Wo ist die Martin?«

»Wenn die Martin nicht da ist, ist sie verloren. Bei Gott, sie sind schon im Haus!« rief er, als das Gebrüll enttäuschter Wut aus den Zimmern drang, die sie eben verlassen hatten. »Kommen Sie, es ist unsere einzige Hoffnung!«

So gedrängt, eilte Lady Annerley hinter ihm drein, allein die kurze Verzögerung war verhängnisvoll gewesen. Während sie vorwärts liefen, stürmte eine Rotte Araber, Nubier und Fellahs um die Ecke des Hauses und schnitt ihnen den Weg ab. Errol biß die Zähne zusammen und rief Lady Annerley zu: »Folgen Sie mir dicht auf dem Fuß. Ich schlage uns durch!« und damit rannte er auf die Feinde zu.

Sie feuern auf ihn, fehlen ihn aber mit ihren alten Luntenflinten und Pistolen. Im Vorwärtsgehen legt er seinen Remington an und verwundet zwei. Aber nun vernimmt Lady Annerley auch Lärm hinter sich. Sie blickt zurück und sieht, daß sie umzingelt sind, denn eine andre von Niccovie in Person geführte Rotte stürzt aus dem Hause.

Dies veranlaßt Errol, nur noch rascher auf die erste Bande einzudringen, die er zu durchbrechen hofft, ehe die zweite herangekommen ist.

Keiner der Araber schießt mehr, vielleicht, weil sie fürchten, einander selbst zu treffen, vielleicht, weil Niccovie mit seinem verbundenen Mund schreit: »Bringt die Frau nicht um, sie ist zu wertvoll!«

Errol dagegen schießt noch einen nieder, ehe sie zu ihm herangekommen sind. Dann schiebt er Lady Annerley plötzlich hinter sich in eine durch zwei vorspringende Häuser gebildete Ecke und eröffnet, da er nun die Feinde vor sich hat, das Feuer mit seinem Revolver. Zwei Männer stürzen den übrigen voran auf ihn zu; der eine, ein dürrer Araber, der andre ein wildblickender Schwarzer. Den Araber schießt er nieder. Währenddessen aber sieht Lady Annerley den Schwarzen seinen Pallasch schwingen über dem Haupt, das sie lieben gelernt, und ein Nebel legt sich über ihre Augen; aber durch den Nebel hindurch sieht sie ihren eigenen Revolver erhoben und Rauch aus dessen Lauf kommen, und als sich dieser Rauch verzogen hat, ist der Schwarze tot.

Um dies zu thun, hat sie einen Schritt von der Mauer vortreten müssen, und nun faßt jemand, der hinter sie geschlichen ist, sie um den Leib und zieht sie rückwärts von dem Mann fort, der für sie kämpft.

Vergebens versucht sie, ihre Hand hinter sich zu bringen, um den Schurken niederzuschießen, der sie nun thatsächlich unter rohem Spott und höhnischem Gelächter mit sich fortschleppt. Und nun gesellen sich noch andre zu ihm, die thörichterweise vor sie treten und zur Strafe für ihre Unvorsichtigkeit verwundet werden, denn ihr Arm ist frei genug, um nach vorwärts schießen zu können.

All dies thut sie stumm und hoffnungslos, weil sie weiß, daß sie mit einem Ruf nur Errol veranlassen würde, seine Blicke von seinen persönlichen Angreifern abzuwenden und so seinen Tod herbeizuführen, und weil sie anderseits sieht, wie sich mit jedem Augenblick mehr Menschen zwischen sie und ihren Beschützer drängen. Endlich sind ihre fünf Schüsse abgegeben und sie verzweifelt, denn Niccovie schielt ihr von der Seite her ins Gesicht, und im nächsten Augenblick wird man ihr ihre Pistole entreißen. Schon jetzt spricht er zu ihr, als wäre sie sein Eigentum. Dies treibt sie zur Verzweiflung und der Lauf des Revolvers, kalt und frostig wie der Tod, ist gegen ihre Stirne gedrückt, denn der letzte Augenblick ist gekommen, die letzte Kugel ist für sie. Aber als sie den Drücker berührt, klingen ihr die Worte Errols in den Ohren: »Warten Sie bis zu allerletzt.« Sie gibt sich noch fünf Sekunden Frist und in dieser Zeit glaubt sie, den kleinen Eselsjungen sich an Niccovies Rockschöße hängen zu sehen. Sie hört, daß ein freudiger englischer Zuruf um die Ecke schallt, und sie dreht ihre Hand und feuert den Schuß, der sie hatte töten sollen, dem Griechen in sein lächelndes Gesicht. Währenddessen ertönt eine krachende Salve, und da sind blaue Uniformen und englische Stimmen und rauhe, aber freundliche Männer um sie her. Ein eleganter Lieutenant schießt mit einer Hand den Mann nieder, der sie hält, und fängt sie selbst mit der andern auf, als sie zu Boden sinkt.

Schwindelig und zitternd, nur von dem Arm des jungen Offiziers gehalten, sieht Sarah Annerley die blauen Uniformen in dem Tumult um sie her kurzen Prozeß mit den Moslems machen. Während er sie unterstützt, schießt der Lieutenant noch zwei der Araber nieder.

Dadurch bildet sich eine dichte Wolke von Staub und Rauch um sie her, und als sich diese wieder verzieht, bemerkt Lady Annerley Niccovie, der, ein breites Schwert in der Hand, den kleinen Ammed verfolgte. Sie rief dem Offizier zu: »Retten Sie den Knaben!«

Derselbe eilte dem Levantiner nach und forderte ihn auf, sich zu ergeben, allein Niccovie antwortete nur mit einem Schlag nach dem Knaben. Da krachte der große Revolver des Offiziers, und obgleich dreißig Meter entfernt, schrie der griechische Renegat laut auf und blickte sich nach seinem Verfolger um, aber der Tod ereilte ihn, bevor er ihn erkennen konnte.

Nun kam auch Errol zu Lady Annerley herangeschwankt und die beiden ließen sich auf ein paar Steine nieder, zu erschöpft, um irgend etwas andres zu thun, als nach Atem zu ringen und den Staub und Schweiß des Kampfes abzuwischen. Sie blickte ihn an, und da sie außer einer kleinen Schramme an der Stirn keine neue Verwundung an ihm bemerkte, fühlte sie sich sehr glücklich.

An der Spitze seiner Leute hatte der Offizier die Wohnung Abdallahs, des Mauren, gar schnell von den Aufrührern gesäubert, die er von den Zimmern oben auf das Dach und von diesem auf die Dächer der benachbarten Häuser trieb. Nachdem er dies gethan, erschien der junge Herr (er war kaum fünfundzwanzig Jahre alt), der schneidig und fröhlich gekämpft hatte, wieder auf der Straße, zog ein seidenes Taschentuch hervor, wischte den Staub von seinen Patentsalonstiefeln und verwandelte sich wieder in den Elegant.

Er näherte sich den beiden, verbeugte sich militärisch vor der englischen Dame, nahm seine Mütze ab und sagte: »Lady Annerley, wie ich glaube. Gestatten Sie mir, mich vorzustellen,« dabei zog er ein Kartentäschchen hervor und überreichte ihr dies:

 

Mr. Houston Potter,
U. S. Ship Quinnebaug

 

Sofort, als sie den jungen Mann erblickt hatte, war ihr sein Gesicht bekannt vorgekommen. Sie las seine Karte, und die erklärte ihr alles. Sie rief: »O, Sie sind Fräulein Potters Bruder, der Seeoffizier!«

»Ja, ich bin Fräulein Potters Bruder,« erwiderte der Herr mit leichtem Lachen. »Zu Hause bin ich Herrn Potter aus Texas' Sohn, in Europa Fräulein Potters Bruder; nur in den Schiffsbüchern habe ich eine eigene Persönlichkeit.«

»Das kommt davon, wenn man mit so ausgezeichneten Menschen verwandt ist,« lächelte Lady Annerley, denn Fräulein Potter war die herrschende amerikanische Schönheit in Europa, und die ganze vornehme Gesellschaft Frankreichs und Englands huldigte ihrem großen Reichtum und ihrer noch größern Schönheit.

»Sie sollten stolz sein« – doch unterbrach sie sich plötzlich: »Aber Sie sind ja Amerikaner!«

»Gewiß, gnädige Frau, dies sind auch amerikanische Marinesoldaten,« und als er auf die Leute deutete, sah sie zum erstenmale, daß sie keine englischen Uniformen trugen.

»Sie wissen,« fuhr er fort, »ich bin nicht Seemann, sondern Linienoffizier. Ich erbot mich, um Ihretwillen freiwillig ans Land zu gehen. Ida, meine Schwester, hat mir von Paris durch das Kabelschiff, den ›Cheltnam‹, telegraphiert, Sie seien hier, und ich soll nach Ihnen sehen. Ich hätte lange nach Ihnen sehen können ohne den kleinen Ammed, der uns an der Marina erwartete, mir ihren Zettel gab und sagte: ›Schnell! Sie retten schöne Dame!‹« Bei diesen Worten tätschelte er den Araberjungen freundlich, der Lady Annerley stolz anblickte, dann dem Lieutenant zugrinste und einen Luftsprung machte, denn er war eben erst, das Schwert des seligen Niccovie über der Schulter, zu ihnen herangeschritten gekommen.

Plötzlich sagte die Dame: »Entschuldigen Sie, Herr Potter, dies ist Herr Errol, der Herr, der die ganze Nacht für mich gekämpft hat.«

»Dann wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem Kämpen, gnädige Frau,« erwiderte der Amerikaner, »ich habe soeben da oben das Werk seiner Hände bewundert,« und er deutete auf das Haus Abdallahs des Mauren.

»Ihr Pistolenschießen haben Sie wohl kaum auf dem Quarterdeck gelernt?« meinte Errol, als sich die beiden Männer die Hände schüttelten.

»Nein,« erwiderte der Amerikaner, »mein Vater hat es mich schon als Knaben in Texas gelehrt. Gestatten Sie, daß wir rauchen, Lady Annerley?«

Nach gegebener Erlaubnis zog er seine Cigarrentasche hervor, die beiden Herren zündeten an, und dann sagte der Lieutenant: »Ich muß meine Leute zurückrufen. Sie bringen mir zu viele um. Wir sind an Land gegangen, um Leben zu retten, aber was sich hier unsren Augen darbot, hat die Leute wild gemacht. Sie haben so viele tote Christenfrauen und verwundete kleine Kinder gesehen, daß sie im stande sind, jeden moslemitischen Plünderer in Alexandria niederzumachen. Darf ich Ihnen vielleicht meine Begleitung nach dem Hause anbieten? Sie wünschen vielleicht, Ihre Kleidung zu wechseln?« Die letzten Worte wurden etwas anzüglich gesagt.

»Ich habe eine Unmasse Kleider im Hotel de l'Europe. Lassen Sie uns dorthin gehen! Oh, welche Wohlthat, etwas Frisches anziehen zu können.« Dann folgte sie den Blicken des Lieutenants und sah sich zum erstenmal an diesem Tage selbst an. Sie flüsterte unter tiefem Erröten, das aber niemand sah, weil ihr Gesicht viel zu schmutzig dazu war: »Oh, wie entsetzlich.« Es war auch wirklich arg. Sie war ganz von Pulverdampf geschwärzt, eine Locke ihres schönen Haares war von der Lampe, die sie brennend in den Hof geworfen, gesengt worden; ihr Kleid war in Fetzen zerrissen, und auf ihren wohlgeformten, jetzt aber schwarzen und schmutzigen Armen zeigte sich ein großes rotes Brandmal.

»Ja,« sagte Errol, der ihre Gedanken erriet, »Sie sind nicht mehr die elegante Modedame wie vor drei Tagen.«

Hier sah sie Errol an und lachte: »Aber Sie sehen noch viel schlimmer aus!« Denn er starrte geradezu von Schmutz und Blut.

Allein beim Anblick seines Blutes erstarb ihr Lachen, und ihre Stimme wurde so zärtlich und weich, daß es die Aufmerksamkeit des jungen Potter erregte: »Verwundet, und alles für mich!« sagte sie.

»Oh, das hat nichts zu sagen,« erwiderte Errol und stand auf, aber so steif, daß der Amerikaner seinen Arm um ihn schlang, wofür ihm Lady Annerleys Augen dankten.

Von den Kleidern kamen Lady Annerleys Gedanken auf ihre Jungfer, und sie rief plötzlich: »Oh die arme Martin, sie ist im Hause zurückgeblieben!«

»Ihre Dienerin ist unverletzt.«

»Gott sei Dank!« seufzte sie erleichtert auf, denn in dem Gefühl der Sicherheit dachte sie sogar über der Martin Furchtsamkeit milder.

»Aber Ihre Kleider sind alle fort.«

»Fort?«

»Ja. Das Hotel de l'Europe und das ganze fränkische Viertel ist nichts mehr als ein rauchender Trümmerhaufen. Wenn sie gerettet sind, werden Ihre Kleider alle schwarz sein.« Dann fürchtete er einen faux pas gemacht zu haben, denn er stammelte ein wenig, als er sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, gnädige Frau, ich hatte vergessen, daß Sie in Trauer sind. Ihr Vater, Sir Jonas Stevens, starb in Italien, wie ich gehört habe.«

»Ja, erst vor drei Wochen. Ich bin direkt von seinem Totenbett weg hierher gereist.« Als sie dies sagte, richtete sie einen flehenden, entschuldigenden Blick auf Errol und bat: »Erinnern Sie sich Ihres Versprechens?«

»Ah, wegen jenes Schriftstückes.«

»Ja, wir leben jetzt beide!« Und sie sah ihn an, als ob dies sehr bedeutungsvoll sei für ihre Zukunft.

»Natürlich, ich will es Ihnen holen. Es ist in meiner Rocktasche im Hause!«

Dann schlenderten sie alle zusammen die Straße hinauf und in den kleinen Hof, wobei sie sich heiter und sorglos unterhielten; erschien ihnen ja doch an diesem Morgen, an dem ihnen das Leben neu geschenkt worden war, die ganze Welt so hell und schön und glücklich. Unbesorgt um seine Uniform unterstützte der Lieutenant Errol, der sehr steif ging, aber behauptete, in spätestens einer Woche wieder ganz hergestellt zu sein. Lady Annerley sagte zu Errol, er müsse nach Europa kommen, und sie wolle ihn in die große Welt einführen, in ihre Welt. Er versprach, dies zu thun, sobald er in Australien gewesen wäre und seinen Vater wieder gesehen hätte, der dieses Land nie verlasse. Auch fühlte er sich sehr geschmeichelt und war ganz entzückt, wie wohl jeder andre junge Mann auch gewesen wäre, wenn er von einer der Herrscherinnen der beau monde so gebeten worden wäre, sie zu besuchen.

Allein bei dieser Erwähnung seines Vaters fuhr sie zusammen und sagte: »Ihr Versprechen, rasch!«

»Natürlich!« und er wandte sich der Treppe zu.

Sie war im Begriff, mit ihm zu gehen, aber der Lieutenant hielt sie zurück und sagte: »Hier unten sieht's schon schlimm genug aus, aber oben noch schlimmer; bei Tageslicht könnten Sie den Anblick nicht ertragen.«

»Ich bringe es Ihnen herunter.«

»Vielleicht wäre es besser, ich holte es statt Ihrer, Sie sollten sich nicht so viel bewegen,« schlug der junge Potter vor.

»Nein, ich kann es ganz gut thun,« sagte Errol, schon halbwegs oben auf der Treppe, und als er die Jungfer auf dem Altan bemerkte, rief er lachend: »Hollah, Martin, Sie sind schließlich doch noch gut davon gekommen?«

»Ja, Herr Errol, ich fühle mich ganz wohl,« seufzte die Zofe, »abgesehen davon, daß meine Stiefel blutig geworden sind.«

Errol ging weiter und verschwand im Hause, während die Martin stehen blieb und mit jung Ammed kicherte, der seine Esel aus dem Stall holte und wieder mit ihren Glöckchen schmückte, indessen Lady Annerley und Potter junior im Hofe unten miteinander plauderten.

Sie sprachen von seiner Schwester, und die Dame sagte eben: »Nun müssen Sie mich aber auch besuchen,« als das Geräusch eines Handgemenges und ein unterdrückter Schrei aus dem Fenster drang, während die Martin auf dem Altan brüllte wie eine Besessene.

In zwei Sätzen war der Lieutenant die Treppe hinauf und im Hause; zwei Sekunden später ließ er seine Pistole sprechen.

Lady Annerley eilte ihm nach, aber er trat ihr schon unter der Thür entgegen und sie bemerkte, daß er sehr bleich war. »Es ist besser, Sie kommen nicht herein,« sagte er leise.

»Was soll das heißen?«

»Derartige Dinge ereignen sich manchmal plötzlich im Krieg.«

»Osman hat Herrn Errol ermordet!« schrie die Martin, »ich hab's durch das Fenster gesehen!«

»Sie dummes Geschöpf!« rief der Lieutenant, »Sie haben sie getötet!« Denn Sarah Annerley, die in düsterem Schweigen diese Nacht voll Kampf und Blutvergießen überstanden, hatte nun einen furchtbaren Schrei ausgestoßen und war bewußtlos auf den Haufen Leichen gefallen, der vor der Thüre lag.

Der Lieutenant hieß Ammed den Sergeanten herbeirufen, der mit dem Befehl über die Leute betraut war, hob Lady Sarah auf, trug sie in das große Zimmer oben und sagte zornig zu der Martin: »Holen Sie Wasser und bringen Sie sie wieder zu sich. Der Herr bedarf meiner Hilfe in erster Linie,« dann begab er sich zu Errol, der stöhnend, mit einem furchtbaren Messerstich in der Seite, im nächsten Zimmer lag. Als er die Wunde untersuchte, kam der Sergeant herein und griff an seine Mütze.

»Ich habe Sie geheißen, das Haus zu säubern, und Sie haben einen Mann darin gelassen,« sagte der Lieutenant scharf.

»Ja, Herr Lieutenant, Herrn Errols Dragoman.«

»Wie konnten Sie das wissen?«

»Er zeigte mir das Dokument, durch welches er gemietet worden war. Als ich ihn hier packte, ordnete er ruhig die Kleider seines Herrn!« Bei diesen Worten deutete der Marinesergeant aus Rock und Weste des Australiers, die neben dem Verwundeten lagen.

»Ich mache Sie für die absolute Befolgung meiner Befehle verantwortlich. Geben Sie mir das Papier, mit dem der Hallunke seine Geschichte beglaubigt hat.«

»Wie kann ich dies? Er hat es in seiner Tasche und ist entwischt!« sagte der Sergeant verwirrt.

»Sie werden seinen Leichnam am Fuß dieser Treppe finden!« erwiderte Potter und deutete auf die Treppe, die zu der geheimen Thür führte.

Als der Soldat eben gehen wollte, rief ihn der Lieutenant zurück und sagte: »Bei näherer Ueberlegung ist es besser, Sie bringen mir alle Papiere, die Sie bei dem Leichnam finden – alle!«

Dann trugen die Soldaten, von Ammed und Martin gefolgt, Errol nach der Marina hinab, und Potter brachte mit Hilfe von Ammeds Eseln auch Lady Annerley zu den Booten, obgleich sie halb ohnmächtig, halb wahnsinnig war und dem Lieutenant Dinge ins Ohr flüsterte, über die er große Augen machte. An Bord des Schiffes untersuchte der Wundarzt den Australier und sagte, er könne am Leben bleiben, aber nicht in diesem heißen Klima.

So kam es, da der Dampfer »Calcutta« zur Abfahrt bereit im Hafen lag, daß zwei Tage danach Lady Annerley blaß, von Kummer und Liebe verzehrt, der Schatten ihres früheren schönen Selbst, an der Landungsbrücke stand und von dem Araberjungen und Herrn Potter Abschied nahm. Sie hatte nicht die Kraft, viel zu sagen, aber sie streichelte den Kopf des kleinen Gamin und sagte ihm, sie werde ihm eine gute Erziehung geben lassen (sie hatte dies mit dem englischen Konsul abgemacht); dann ergriff sie die Hand des jungen Offiziers und flüsterte Segensworte über ihn und die amerikanischen Marinesoldaten, die sie, gleich noch so vielen anderen Christenfrauen, in diesen Tagen des Aufruhrs und des Blutvergießens gerettet hatten.

Herr Potter und der Knabe verfolgen den Dampfer solange als möglich mit ihren Augen; er befindet sich auf der Route nach Brindisi und Venedig, und in seinem Hauptsalon liegt Charley Errol zum Tod verwundet und im Nilfieber rasend, und bei ihm ist eine Frau, die ihn wie ein Engel der Barmherzigkeit pflegt und um ihn weint und ihn anfleht, um ihretwillen weiter zu leben, und dann wieder wie im Wahnsinn schwört, er solle, er dürfe nicht sterben – er, der einzige Mann, den sie je geliebt hatte.

Die »Calcutta« entschwand aus ihrem Gesichtskreis und Ammed, der in seinen Taschen die vielen Goldstücke klappern ließ, mit denen Lady Annerley sie gefüllt hatte, sagte ruhig: »Die Thränen der schönen Dame sind Perlen, aber sie hat keine mehr.«

»Nein,« flüsterte der Lieutenant düster, »es hat sie zu schwer getroffen.« Dann begann er in etwas cynischer Weise über die Sache nachzudenken. »Himmel, seit anderthalb Jahren ist sie Witwe, eine Witwe mit einem Titel und zwanzigtausend Pfund jährlich, und ist in Paris und London gegen alle und jeden unerbittlich gewesen, und in einer einzigen Nacht hat sich dieser Australier in ihr Herz hineingekämpft – das nenne ich Glück haben.« Eine Minute darauf seufzte er aber auf und flüsterte: »Quakenboß, unser Knochensäger, sagt, zwischen hier und Brindisi würden sie ihn über Bord werfen. Das ist dann wieder kein Glück! Ich hätte halb und halb Lust, zu versuchen, ob ich nicht sein Nachfolger werden kann. Soll mich wundern, ob ich auf Grund dieses Kabeltelegramms Urlaub in Familienangelegenheiten bekommen kann.« Damit zog er ein Telegramm hervor und las:

 

»Pottersville, Texas, 14. Juli 1882.

Potter
U. S. Schiff Quinnebaug,
Alexandria.

»Wegen Ida beunruhigt. Der ›Texaser Beobachter‹ sagt, sie könne einen Herzog heiraten. Sende das Mädchen geradeswegs heim – ich fürchte, sie gerät in schlechte Gesellschaft.

Dein Alter.«

 

»Der liebe alte Junge!« rief der Lieutenant und lachte hell auf, verstummte aber sofort, denn der Marinesergeant trat an, salutierte und sagte: »Ich habe den Dienst in der Stadt gehabt, es war unmöglich, dies früher abzuliefern. Die bei dem Leichnam Osmans des Dragoman gefundenen Papiere!«

Unter diesen Dokumenten befand sich auch das Briefpaket, das Lady Annerley Errol dem Australier übergeben hatte.

*


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