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Viertes Kapitel.
Der Schwur des arabischen Knaben

Errol verließ Lady Annerley, die bleich und betäubt dasaß und auf den Donner der Geschütze lauschte, die sie nicht mehr sehen konnte. Er suchte den Weg in den Keller, aus dem er den Armenier hervorzog, welchem er befehlend »Kaffee!« zurief.

»Nicht, solange die Kanonen feuern; die Gefahr ist allzu groß!«

»Kaffee, du erbärmlicher Feigling!« und der Engländer puffte seinen Dragoman die Treppe hinauf.

Diese Art Püffe hat schon vielen Engländern das Leben gekostet. So haben sie in alten Zeiten in Amerika die Indianer gepufft und es bereut; in Afrika haben sie die Zulus gepufft und bedauert, daß sie es gethan; im fernen Osten haben sie Hindus und Chinesen gepufft und sind dafür gestorben, aber trotzdem werden sie in ihrer unüberlegten Weise fortfahren »Niggers« zu puffen, solange die Welt steht.

Indessen antwortete Osman nur mit einem Gebrumm. Vor der nähern Gefahr, die ihm von des Australiers Fuß drohte, flüchtete er sich zu der fernern der englischen Kanonen und that, wie ihm geheißen war.

Der Kaffee belebte und stärkte sie wieder; sie zwangen sich alle, ein bißchen zu essen, und Errol erfreut sich der letzten seiner drei Cigarren, denn der junge Mann hatte es fertig gebracht, die beiden andern im Laufe des Vormittags während der Beschießung zu verpaffen; große Erregung verleiht allen, die dem Nikotin huldigen, eine größere Fähigkeit, zu rauchen. Als der Kanonendonner in der Richtung von den Meksschen Forts her einigermaßen erstarb und der Lärm nicht mehr ganz so betäubend war, vernahm Errol das Wiehern der Esel im Hof und dachte, auch sie könnten hungrig und vielleicht auch durstig sein, da der Brunnen draußen heute nicht sprang. Da er die ganze Zuneigung des Engländers für Pferde besaß, zu welcher Kategorie er auch die Esel zählte, so eilte er hinunter und fand etwas Futter für sie in dem verlassenen Eselstall – Abdallah liebte, wie die meisten Mauren, diese Art der Fortbewegung – und gab ihnen zu fressen; allein als er sich nach dem Brunnen wandte und Wasser herauslassen wollte, fuhr er erschrocken zurück, denn die Röhre war durchgeschnitten. Ob dies durch Zufall oder mit Absicht geschehen war, konnte er natürlich nicht sagen, allein in diesem heißen, tropischen Klima war es eine ernste Sache, und er ging sofort hinauf, um zu sehen, wie groß der Wasservorrat in den obern Zimmern sei. Es war ihm eine große Erleichterung, zu finden, daß für einige Tage reichlich gesorgt war, daß sich in den Muscharabije oder kleinen vergitterten Altanen des Hauses mehrere poröse irdene Krüge voll Wasser befanden, die nach türkischer Sitte zur Abkühlung dort hingesetzt worden waren.

Er schärfte allen ein, ja recht vorsichtig mit dem Wasser umzugehen, und trug dann den Eseln etwas davon hinunter, die freudig wieherten, als sie es tranken.

Während er dies that, wurde seine Aufmerksamkeit auf den Rauch gelenkt, der selbst in dem Hof alles um ihn her verdunkelte, auf der Seite nach der Stadt hin aber eine gelbe und goldene Färbung angenommen hatte. Er ging nach der auf die Straße führenden Thür und öffnete sie ein wenig, um hinauszusehen und den Grund dieser Erscheinung zu ermitteln; da vernahm er eine sanfte, morgenländische Stimme, die in sehr schlechtem Englisch sagte: »Mich sein gekommen für Esel meiniges!«

»Schon gut,« erwiderte Errol, dem Lady Annerley erzählt hatte, was zwischen ihr und dem arabischen Jungen vorgegangen war. »Komm schnell herein!«

Der Straßenjunge folgte der Aufforderung, erregte aber Errols Verwunderung aufs höchste, als er ihm ins Ohr flüsterte: »Nicht sorge für Esel – Esel alles gut – Dame, schöne Dame, alles schlecht! Denn Sie haben schlechtes Mann oben.«

»Einen schlechten Mann? Wen meinst du? Osman?«

»Backschisch Osman.«

»A–ah!«

»Ihm ging aus letztes Nacht.«

»Letzte Nacht? Unmöglich! Ich hatte den Schlüssel in meiner Tasche!«

»Ihm ging aus letztes Nacht! Mich sah ihm. Mein Fuß mich nicht lassen schlafen viel,« erwiderte der Araberjunge, wobei er sich auf die Bank des Thürhüters niederließ und die leidenden Teile streichelte.

»Du bist ganz sicher, daß du ihn gesehen hast?«

»Sicher! Ich kam zu sprech anderes schlechtes Mann.«

»Welchen andern schlechten Mann?«

»Constantine, den griechisch Lügner.«

»Constantin Niccovie?«

»Ja, Giaur! Zu viel Leut in Haus sein. Backschisch und das Grieche kommen aus zu sprech auf die Straß. Mich liegen in Dunkelheit und hören sie sprech von englisch Houri, wo läßt fallen Thränen wie Perlen.«

»Nun, und was sagten sie?«

»Backschisch sagen, daß englisch Hund wohl haben laute Stimme, aber fettes und dummes Hirn, wo laufen mit Augen offen und thun nichts sehen. Das bist du, Herr.«

»Zum Henker mit seiner Unverschämtheit! Und was sagte er noch von mir?« fragte Errol weiter, durchaus nicht geschmeichelt von der von ihm gemachten Beschreibung.

»Ihm sagen, der Giaur raucht sechs Cigarren jeden Tag!«

»Du, paß auf,« ermahnte ihn Errol, »erlaube dir keinen Spaß mit mir, Junge! Dies ist zu sehr aus dem Leben! Wenn du wagst –«

»Allah mich richten, es sein die Wahrheit!«

»Was sollen denn sechs Cigarren täglich mit dieser Sache zu thun haben? Immerhin glaube ich, daß dies etwa mein täglicher Verbrauch ist. Bei Gott, ich wollte, ich hätte jetzt eine,« fuhr Errol fort und griff in seine Tasche in der Hoffnung, irgend eine verirrte Havanna zu finden. »Was sagten sie dann?«

»Sie gingen weg. Ich konnte ihnen nicht folgen, meine Füße zu weh, sieh!« Dabei enthüllte der kleine Bursche dem Australier die Schwielen, welche die Stöcke der nubischen Polizisten zurückgelassen hatten.

»Ja, ich sehe! Du kannst ja jetzt noch kaum gehen. Und sonst hast du nichts mehr gehört?«

»Viel! Sie kamen wieder her und Constantine ihm sagen, verkaufen schöne Dame für tausend Beutel, andere für hundert.«

»Verkaufen für tausend Beutel?« wiederholte Errol, der den Knaben nicht verstand.

»Verkaufen ihr an Pascha dort droben,« und das Kind deutete in der Richtung nach Nubien hin, »verkaufen an großen Pascha mit Harem, dessen Pforten immer offen sein für fränkische Schönheiten.«

»Lady Annerley verkaufen?« stieß Errol mehr verwundert als erschrocken hervor, denn der Gedanke war ihm zu neu.

»Ja, verkaufen die Dame mit den Thränen, und töten dich! Das ist, was er haben gesagt, töten –« Der arabische Knabe war plötzlich in dem Eselstall verschwunden, denn Herr Osman Ali, der heruntergekommen war, um zu sehen was seinen Herrn so lange zurückhielt, bog um die Ecke des Hofes und erschien in dem Durchgang.

»Was zum Teufel –« begann Errol, kam aber nicht weiter, denn von der nach der Straße gehenden Thür her ließ sich ein lautes Klopfen vernehmen, und die Stimme Herrn Niccovies rief laut: »Oeffnet! Es ist mich, Niccovie, mein Leben ist gefährlich.«

Einen Augenblick zögerte der Australier, teils aus Verwunderung, teils aus Angst. In der nächsten Minute aber hatte er schon Niccovies Bitte erfüllt, den Griechen hereingeschoben und die Thür geschlossen; denn Errol hatte die echt englische Gewohnheit, lieber der Gefahr ins Gesicht zu sehen, als sie zu fliehen, und er dachte bei sich: »Ebenso gut jetzt, als ein andermal.« Vor einem persönlichen Kampf mit dem Armenier und dem Levantiner zumal fürchtete er sich nicht.

Indessen hatte Niccovie keine kriegerischen Neigungen, sondern keuchte und schnappte nach Luft, wie wenn er stark gelaufen wäre. Nach einer Weile ergriff er Errols Hand und begann eifrig: »Großer englischer Gebieter, dir ist mein Leben, dies Haus hat Niccovie gerettet! Sie haben gemacht ein Freudenfeuer im fränkischen Viertel! Sieh den Rauch sein rot!« damit deutet er nach der Stadt, wo der Verkehr im selben Grad geräuschvoller wird, als der Kanonendonner erstirbt.

Nun kennt Errol die Ursache des gefärbten Rauches, die ihn zur Thüre gelockt, und da ihm daran liegt, seinen Besuch sowohl als seinen Dragoman aus der Nähe des arabischen Jungen zu entfernen, führt er beide hinauf.

Dort angelangt, sagt Osman, der mit Niccovie in einer unbekannten Sprache geschnattert hat, zu seinem Gebieter: »Constantin sagte mir, die Engländer seien zurückgeschlagen und ihre Kriegsschiffe untergegangen.«

»O die armen Englisch, es sein schrecklich! Die Krieger Allahs wie haben gefochtet,« stimmte der Grieche mit salbungsvoller Begeisterung ein.

»Unmöglich! Ich glaube euch nicht,« sagte Errol, obgleich sich sein Gesicht verdüsterte, weil er wohl wußte, daß es im Krieg keine Unmöglichkeiten gibt.

»Nun bin ich gekommen, dich zu retten. Das Volk ist noch ruhig, wenn du fliehst, kannst du entkommen. Ich will dich ans Ufer führen!«

»Und die Frauen verlassen?«

»Ja, wir stehen für die Damen; unter unserer Obhut –«

»Sie brauchen kein Wort weiter zu verlieren,« unterbricht ihn Errol. »Ich habe sie gestern nacht nicht im Stich gelassen und werde sie jetzt noch weniger verlassen.«

Allein in diesem Augenblick erscheint Lady Annerley in dem Gemach, sie tritt zu ihm, führt ihn beiseite und flüstert ihm zu: »Herr Errol, ich habe gehört, was diese Männer sagten. Wenn die Engländer geschlagen worden sind, so liegt Ihre einzige Aussicht auf Entkommen in der Flucht. Allein kann es Ihnen gelingen – mit mir sind Sie verloren.«

»Sie – Sie beleidigen mich,« murmelt der junge Mann. »Halten Sie mich denn für einen solchen Feigling, der Frauen im Stiche läßt?«

»Nein, ich halte Sie für sehr tapfer und für wahrhaft edel, aber Sie und die Ihren haben schon viel zu viel gelitten durch mich und die Meinen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Während Sie unten waren, habe ich in der Voraussicht, daß Sie dies alles überleben können, und ich sterben muß, dies niedergeschrieben,« erwidert Lady Annerley leise und zieht ein sorgfältig zusammengefaltetes und zusammengebundenes Schriftstück hervor, das sie ihm übergibt. »Hüten Sie es wie Ihren Augapfel und lesen Sie es, wenn Sie entkommen sind. Es enthält die Antwort auf Ihre Frage.«

»Gewiß, wenn Sie es wünschen, obgleich ich Sie nicht verstehe,« entgegnet Errol und birgt es mit so viel Sorgfalt auf seiner Brust, daß Osman und Niccovie, die dieses Zwiegespräch vom andern Ende des Zimmers aus beobachtet hatten, leise einige arabische Worte miteinander wechselten und nicht mehr auf Errols Fortgehen drängten, denn sie glaubten, dies Briefpaket enthalte die Juwelen und das Geld der englischen Dame.

»Und jetzt gehen Sie?«

»Nicht ehe Sie in Sicherheit sind!«

»Auch nicht, wenn ich Ihnen etwas sage, was Sie zwingt, mich zu hassen?«

»Sie hassen?« Es lag ein seltsamer Unglaube in des Mannes Stimme, als er sie betrachtete, denn ihre Schönheit war sehr groß. »Sie hassen?« Dann änderte er plötzlich seinen Ton und sagte herrisch: »Unterstehen Sie sich nicht, mir etwas zu sagen, das mich meine Pflicht vergessen lassen könnte,« und damit wendete er sich zu dem Armenier und dem Griechen und schrie sie an: »Und ihr beide hört auf, von meinem Fortgehen zu reden!« Während dessen stand die Dame und betrachtete ihn mit geröteten Wangen, denn es lag etwas in Errols Ton, das dieses Weiberherz heftig pochen ließ.

Osman erwiderte nichts auf diesen Befehl, aber der Levantiner schritt feierlich zu Lady Annerley herüber, machte ihr einen feierlichen, höflichen Salam und rief laut: »Dieser Mann ist ein Bravo, ein Beschützer, Protektor der Frauen – mich auch! Mich, Niccovie bleibe bei ihm und rette euch alle, alle, alle! Mich auch sein Protektionist – für Sie!« Hier machte er einige phantastische Bewegungen, faßte seinen schmutzigen Rock in der Nähe des Herzens und bekräftigte seine letzte Bemerkung durch einen so komisch galanten Blick, daß die englische Dame erst lächelte, einen Augenblick darauf aber errötete, wieder erblaßte und halb aus Entrüstung, halb aus Widerwillen zusammenschreckte, denn Herrn Niccovies Blick hatte sich, wiewohl Sarah Annerley sich dies nicht klar machen konnte, in den eines Sklavenhändlers verwandelt, der seine Ware abschätzt.

Errol hatte den letzten Vorgängen nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, er saß da und überlegte, welchen Weg er einschlagen sollte, denn obgleich er dem arabischen Knaben nicht völlig glaubte, weil er dessen Enthüllungen für ganz ungeheuerlich hielt, so war er doch weit davon entfernt, den Herren Niccovie und Osman zu trauen.

Einen Augenblick später kauerte sich der erstere nieder und zog ein Nargileh hervor, das er sich mit morgenländischer Unbefangenheit zu rauchen anschickte, nachdem er es aus einem seiner Tasche entnommenen Paket türkischen Tabaks gestopft und auch sorgfältig nach dem Wasserkopf gesehen hatte, der merkwürdigerweise – vermutlich weil es in der Tasche schwer mitzubringen war – kein Wasser enthielt; die ganze Zeit über betrachtete er die Pfeife mit einem Ausdruck, als ob er sagen wollte: »Wie schlau bin ich!« Gerade, als er die Pfeife anzünden wollte, schien sich Niccovie an etwas zu erinnern und rief: »Meine Freunde nicht rauchen? Ich vergaß mich, ich habe Cigarren in meinen Taschen.« Dabei zog er einige Havanna hervor, nahm selbst eine, zündete sie an, gab Osman eine, der ebenfalls rauchte, und bot dann mit einem Salam und den Worten: »Das ist echter Cubatabak. Möge er Gnade finden vor des Engländers Augen,« Errol mehrere Cigarren zur Auswahl hin.

»Und in seinem Mund ebenfalls,« sagte der junge Mann, eine der Cigarren anzündend, denn er hatte die beiden Männer mit Neid betrachtet, sobald sie zu rauchen anfingen.

Hätte ihm der Levantiner eine einzelne Cigarre angeboten oder hätte er nicht selbst geraucht, so wäre Errol vielleicht mißtrauisch geworden, so aber fand er nach einigen bedächtigen Zügen die Cigarre so gut für das Morgenland, in dem echte Havannas selten sind, daß er halb und halb zu der Annahme neigte, der Araberjunge müsse die Unwahrheit gesprochen haben.

So saßen die drei rauchend beisammen, während das Nargileh fix und fertig, unbenutzt auf einem Diwan stand, wohin es der Grieche gebracht hatte. Ab und zu blinzelte Osman nach der Pfeife hin, wenn er bemerkte, wie Errol sich des Genusses seiner Cigarre freute, während Niccovies gerötete Augäpfel ihre Aufmerksamkeit zwischen der schönen englischen Dame und dem Repetiergewehr des Australiers zu teilen schienen, das dieser den ganzen Tag im Bereich seiner Hand behalten hatte. Auf der ersteren ruhen Herrn Niccovies Augen mit wohlgefälligem Lächeln, auf dem letzteren mit besorgtem Blick, der aber einem höhnischen Ausdruck weicht, sobald er auf den mit solchem Hochgenuß rauchenden Besitzer der Waffe sieht.

»Sie rauchen nicht stark,« sagte er, als Errol den Stummel seiner Cigarre wegwarf. »Eine andre? – Nehmen Sie alle!« und damit legte er alle Cigarren, die er in der Tasche hatte, auf ein in der Nähe befindliches Brett. »Osman und ich begnügen uns mit einer Pfeife.« Damit deutete er auf das Nargileh.

»Danke vielmals,« erwiderte der Australier und war im Begriff, eine zweite Cigarre zu nehmen, als Lady Annerley bemerkte: »Die Geschütze im Hafen sind längst verstummt, ich glaube, der Kampf ist vorüber. Ueberzeugen Sie sich selbst.«

Errol stieg auf das Dach und lauschte in der dunklen aber klaren Nacht auf irgend einen Ton vom Wasser her, der vermuten ließe, die Engländer träfen Vorbereitungen zur Besetzung der Stadt. Von der See her drang kein Geräusch, aber von der Stadt her ertönte das Gemurmel vieler Stimmen und die schweren Schritte marschierender Truppen, als ob in der Stadt streng patrouilliert würde. Das Feuer im fränkischen Viertel wütete noch immer, aber es hatte sich seit nachmittags nicht vergrößert. Er ging wieder in das Zimmer hinab und sah auf seine Uhr. Als er bemerkte, daß es schon neun Uhr war, fühlte er sich hungrig und hieß Osman, etwas zum Essen zu bringen.

Während der Dragoman damit beschäftigt war, rief die Martin den Australier mit einigen geheimnisvollen Bewegungen an ihre Seite und teilte ihm etwas mit, was mit mehreren andern Gründen dazu diente, einen Entschluß in Errol zu befestigen, dessen Ausführung bald danach den Griechen und den Armenier in Staunen versetzte. Das Mädchen hatte den ganzen Tag in einer angstvollen Betäubung gelegen, aber in diesem Augenblick befand sie sich in einer ebenso angstvollen Aufregung: sie flüsterte ihm ins Ohr: »Trauen Sie den beiden Heiden nicht. Wir müssen alle sterben, wenn Sie es thun.«

»Warum glauben Sie dies?«

»Ich habe Osman heute morgen auf der Straße gesehen.«

»Auf der Straße?«

»Ja, wie er die Röhrenleitung durchschnitt, die jetzt nicht mehr laufen wird. Heute hatten wir noch fünf volle Wasserkrüge, jetzt nur noch drei. Er leert sie aus bei jeder Gelegenheit, die er erwischen kann. Und wie er die gnädige Frau und mich anblickt. Sehen Sie den andern nur jetzt einmal an!«

Errol folgte dem Blick des Mädchens mit den Augen und bemerkte den Sklavenhändlersausdruck in Niccovies Gesicht, der sich an dem hübschen Anblick weidete, den Lady Annerley gewährte, wie sie so, von der Aufregung des Tages erschöpft, auf einem Diwan lehnte und träumerisch um sich blickte, als ob sie sich der Gegenwart kaum bewußt wäre. In das schmiegsame, luftige, schwarze Gewand vom Abend vorher gehüllt, das letzte von der Unmasse Kleidern, die sie noch gestern besessen hatte, bot sie einen Anblick, den ein Gérôme gern auf seine Leinwand gezaubert hätte.

»Warum haben Sie mir dies nicht früher gesagt?« fragte Errol, der etwas erblaßte, denn er hatte nun zwei übereinstimmende Aussagen, daß sein Dragoman in der Nacht zuvor draußen gewesen war, und wußte, daß die Erzählung des Eseljungen auf Wahrheit beruhte.

»Das Schießen hat mich so erschreckt, daß ich nicht mehr denken, nicht mehr sprechen konnte. Oh, trauen Sie ihnen nicht, trauen Sie ihnen nicht!«

»Ich werde sie im Auge behalten, seien Sie ohne Sorge,« erwiderte Errol leise und sein Gesicht nahm einen bösen Ausdruck an, als Osman meldete: »Allah hat uns mit Nahrung gesegnet!« Darauf nahmen sie wieder ein gemeinschaftliches Mahl ein, während dessen Niccovie, der sehr munter war, einen langen Vortrag zum besten gab über die Niederlage, welche die Engländer heute erlitten hatten, weil Allahs Krieger gar so tapfer waren. Für sie hieß eben auf dem Schlachtfelde sterben, ins Paradies eingehen.

»Ja,« sagte Errol grimmig. »Dank den englischen Geschützen sind sie heute in großer Zahl in den Himmel spaziert.«

»Aber,« fuhr der Grieche fort, »obgleich die Engländer geflohen sind, ist doch Niccovie noch da. Er wird euch retten! Niccovie morgen ist tot! Niccovie stirbt für Frau! Niccovie der Protektionist! Niccovie der Brave! Armer Niccovie!« und er beweinte sein eignes grausames Geschick in einer komisch-pathetischen Weise, über die Sarah Annerley zu Hause an ihrem eignen Kamin gelacht hätte, hier aber war es eine andre Sache, und sie seufzte.

Aber nun wurde Niccovie von Errol unterbrochen. Die Büchse des jungen Mannes hatte hinter ihm gestanden, allein während des Essens war er etwas davon weggerückt, um Lady Annerley behilflich zu sein.

Während der Grieche am lautesten und lebhaftesten schwatzte und schnatterte, vernahm der Australier das Knacken der Repetiervorrichtung. Nachlässig wandte er sich um und sah Osman von der Büchse weggehen, die leicht berührt worden war; Errol schlenderte auf die Waffe zu, als ob er sie anders stellen wollte, und dabei betastete er Schloß und Magazin – sofort fühlte er, daß sie versagen würden. Es mußte sich jemand mit dem Gewehr, das völlig in Ordnung gewesen war, als er es aus der Hand gestellt hatte, zu schaffen gemacht haben.

Als Errol sich nach den beiden umwendete – denn Osman hatte sich zu Niccovie begeben – lag etwas in seinem Gesicht, was den Griechen veranlaßte, mit einem Schreckensruf von seinem Diwan aufzuspringen. Errols Züge zeigten den Ausdruck eines Mannes, der es aufgegeben hat, ein Spiel zu spielen, das er zu verlieren fürchtet, und ein andres anfängt, bei dem er des Erfolges sicher ist.

»Ihr teuflischen Schelme und Schurken,« begann er, schrie aber dann plötzlich: »Hebt die Hände in die Höhe, oder ich schieße.« Damit spannt er den Hahn seines Revolvers und richtet diesen auf die Brust des Levantiners, der eine Waffe zu suchen scheint.

Herrn Niccovies Hände fahren in die Höhe und die des Armeniers thun es ihm nach. »Nun nehmen Sie diesen Männern ihre Waffen ab,« sagt Errol zu der Martin.

»Oh, das wag' ich nicht!«

»Ich wache über Ihnen, thun Sie's sofort!«

»Ich will es thun, Herr Errol,« sagte Lady Annerley ruhig, und ohne ein Wort weiter zu verlieren, nimmt sie, wenn auch mit zitternden Händen, jedem der beiden ein Messer und eine Pistole ab.

»Was soll ich jetzt thun?« fragt sie, mit den Waffen beiseite tretend.

»Verschließen Sie sie in diesem Schrank.«

Sie thut es, aber Errol sieht, daß sie eine der Pistolen in ihrem Kleid verbirgt.

»Fort!« sagt er nun zu den beiden Männern, die ihm in ihrer lebhaften, südländischen Weise ihre Unschuld zu beteuern anfangen. »Kein Wort weiter! In dies Zimmer mit euch, hier sitzt nieder!« Und er läßt sie in das Zimmer treten, in dem der Armenier die letzte Nacht verbracht hat. Als sie in einer Ecke, die er ihnen bezeichnete, niederkauern, sagt er zur Martin: »Kommen Sie hier unter diese Thür und verwenden Sie kein Auge von diesen Schurken; sobald sie sich rühren, fangen Sie an zu schreien. Schreien! Das ist ja alles, zu was man Sie brauchen kann – zum Schreien!«

Als das Mädchen seinen Befehl befolgt hat, führt er Lady Annerley beiseite und flüstert: »Bitte, gehen Sie in den Stall unten – es ist keine Gefahr dabei, denn die Thür nach der Straße hin ist verschlossen geblieben. Dort finden Sie Ihren kleinen arabischen Jungen, bringen Sie ihn hier herauf. Ich würde es selbst thun, allein ich muß mich unbedingt in der Nähe dieser Männer halten.«

Ohne ein Wort zu sagen, erfüllt sie sein Geheiß und kehrt schon nach ein paar Minuten mit dem kleinen Jungen zurück, der weinte und über Hunger klagte.

»Du sollst etwas zu essen bekommen, sobald du meine Fragen beantwortet hast,« sagt Errol. »Wie heißt du, kleiner Bursche?«

»Ammed.«

»Ammed, glaubst du an den Koran?«

»Ja, und an Allah!«

»Glaubst du, daß einer, der falsch schwört gegen das Leben eines Menschen, gestraft werden wird?«

»Wenn ich das Leben eines Menschen verschwöre, so werde ich von Allah verdammt!«

Während der Araberjunge spricht, vernimmt man eine unruhige Bewegung im Nebenzimmer.

»Dann schwöre mir bei dem Eid, der dir am heiligsten ist, daß du mir heute die Wahrheit gesagt hast!« Errol spricht sehr leise und feierlich und seine Stimme zittert leicht. Als Sarah Annerley ihn ansieht, beginnt auch sie zu zittern.

»Möge ich Allah, Mohammed und das Paradies nimmermehr sehen,« erwidert der Junge sehr feierlich und macht nach der Vorschrift des mohammedanischen Glaubens eine Verbeugung nach Osten, »möge mein Grab geschändet und mein Geschlecht verflucht sein, wenn die Worte, die ich heute zu dir, Giaur, gesprochen habe, nicht lautere Wahrheit sind! Auf mein Haupt falle die Schuld!« Und Errol weiß, daß er ihm glauben kann, denn der Knabe zittert vor seinem eignen Schwur. Er wendet sich zu Lady Annerley und sagt mit heiserer Stimme: »Nehmen Sie das Mädchen und Ammed mit sich in Ihr Zimmer, das am weitesten von hier entfernt ist, und warten Sie, bis – bis ich Sie rufe.«

»Bedenken Sie, was Sie thun wollen,« flüstert die Frau mit blassen Lippen, denn sie liest in des Mannes Zügen, daß er töten will.

»Nehmen Sie das Mädchen und Ammed mit hinweg!«

»Errol, vergessen Sie nicht, daß Sie Gott verantwortlich sind für das Leben dieser Männer.«

»Ja, und auch für das Ihre. Ich befehle hier! Diese Männer haben sich selbst das Urteil gesprochen!« und damit spannt er den Revolver und schiebt sie beiseite.

»Nein, nein!« ruft sie und klammert sich an ihn an. »Auch nicht um meiner Sicherheit willen! Verschonen Sie sie, töten Sie sie nicht! Es wäre ein Mord!«

Bei diesen Worten ertönte ein Schrei des Entsetzens aus dem nächsten Zimmer, das Geräusch einer raschen Bewegung und ein Aufschrei der Martin. Errol erzwingt sich seinen Weg an Lady Annerley vorbei und stürzt in das Zimmer des Armeniers, doch nur, um es leer zu finden und zu sehen, daß der von der Wand gerissene Teppich eine offene Thür und eine nach der Straße führende Treppe zeigt; Osman Ali und Constantin Niccovie sind ihrem Richter auf demselben Wege entflohen, den der Dragoman die Nacht zuvor benutzt hat.

Als die beiden miteinander durch die Straßen eilen, flüstert einer dem andern zu: »Heute nacht wäre es zu früh gewesen, die Ordnung wird immer noch aufrecht erhalten.« Dabei deutet er auf eine starke Patrouille ägyptischer Soldaten, die an ihnen vorbeimarschiert.

Das war wahr, denn Arabi Pascha wußte wohl, welche Zügellosigkeit in einer Stadt Platz greift, die brennend der Plünderung preisgegeben wird.

Als Charles Errol sah, daß ihm seine zum Tode verurteilten Verbrecher entkommen waren, verschloß er die Thür, durch die sie entwichen waren, kehrte in das Hauptgemach zurück und sagte zu Lady Annerley, von deren Antlitz das Entsetzen über die letztverlebten Augenblicke noch nicht gewichen war: »Besser offene Feinde als falsche Freunde. Ich muß jetzt überlegen, was zunächst zu geschehen hat.« Dabei blickte er um sich und rief: »Bei Gott, das ist ein unerwarteter Glücksfall. Dieser griechische Halunke hat mir sechs Cigarren und sein Nargileh zurückgelassen.«


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