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Erstes Buch.
Die Beschießung von Alexandria

Erstes Kapitel.
Der verlassene Gasthof

»Mein Herr, ich habe Ihnen etwas zu sagen!«

»Herrgott im Himmel! Befindet sich denn ein weibliches Wesen – eine englisch sprechende Frau heute nacht hier in dieser gottverlassenen Stadt?« ruft der junge Mann, zu dem sie gesprochen und der sich hastig nach ihr umgewendet hatte. Er betrachtet sie mit staunendem Entsetzen, indem er die Patronen seines Revolvers untersucht, den er fest in der Hand behält.

»Ich habe die weite Reise von Europa hierher gemacht, um Ihnen eine Nachricht von größter Wichtigkeit zu bringen.«

»Es ist jetzt gar nichts von Wichtigkeit, als die Rettung Ihres Lebens!«

»Meines Lebens? Sind wir denn in so großer persönlicher Gefahr?«

»Heute nacht findet jeder Europäer und jede Europäerin ihren sicheren Tod in der Stadt. Und Sie hat man im Stich gelassen?« So fragt er überrascht und erstaunt, denn er hat die ungewöhnliche Vornehmheit und Schönheit der Dame, sowie den Reichtum ihrer Kleidung und ihres Schmuckes bemerkt, obwohl sie tiefste Trauer trägt. Auch die Gewohnheit hochmütigen Befehlens, die aus ihrer Haltung spricht, ist ihm nicht entgangen, obgleich sie ihn mit einer sonderbaren, entschuldigenden Demut angesprochen hatte, als ob sie sich eines unbestimmten Etwas wegen vor ihm schäme.

»Man hat mich nicht im Stich gelassen!«

»Wie kommt es dann aber, um Gotteswillen, daß Sie hier sind?«

»Ich sah alle weggehen. Der englische Konsul bestand darauf, ich solle die Stadt ebenfalls verlassen, aber ich weigerte mich. Ich sagte, ich müsse Sie sprechen und sei deshalb weither gereist. Man hat von Kairo telegraphiert, Sie würden heute früh hier eintreffen, und so bin ich geblieben und habe auf Sie gewartet, bis es zu spät war. Als ich dann ans Ufer eilte, fand ich jede Verbindung mit den Schiffen abgebrochen. Was konnte ich, eine Frau und keiner orientalischen Sprache mächtig, in dieser fremden Stadt beginnen? Mein Dragoman brachte mich wieder nach dem Gasthof zurück, dann bekam sogar er Angst und verließ mich. Bald nachher ging die Sonne unter, das Gas brannte nicht, so blieb ich allein in diesem großen, öden, unbewohnten Gasthof, bis ich einen Schritt vernahm. Voll Angst, ein Geräusch zu machen, folgte ich bis hierher, wo Sie ein Licht ansteckten und ich, Gott sei Dank, in ein englisches Antlitz blickte. Ich habe Ihre Photographie gesehen. Sie sind Charles Errol, Sohn von Ralph Errol aus Melbourne in Australien.«

»Ja, und Sie sind?«

»Lady Sarah Annerley.«

»Lady Annerley? Hier, heute nacht, in Aegypten?« stammelt der junge Mann erstaunt, denn der Name, den sie genannt, ist ihm aus den Zeitungen, die über das Thun und Lassen der Aristokratie Bericht erstatten, als ein in der Gesellschaft tonangebender bekannt.

»Ja,« erwidert sie, »Sarah, Witwe des Viscount von Annerley, Tochter des seligen Sir Jonas Stevens. Ich muß Sie eine halbe Stunde sprechen, ich bin nur zu diesem Zweck von Europa hierhergereist.«

»Eine halbe Stunde? Wenn wir eine halbe Stunde hier bleiben, so bin ich ein toter Mann, und Sie –« Er atmet tief auf, erschrocken über den Gedanken, der ihm durch den Kopf fährt, denn je mehr er die frische, vornehme Lieblichkeit der Dame, die er vor sich sieht, gewahr wird, desto mehr entsetzt er sich über die Gefahren, von denen sie umringt ist.

»Wissen Sie denn nicht,« fährt er eilig fort, da ihm jede Minute kostbar erscheint, »daß wir in diesem Augenblick vermutlich die einzigen lebenden Engländer in Alexandria sind? Daß, wenn der englische Admiral das Feuer auf die ägyptischen Batterien eröffnet, dies für jene Fanatiker, die glauben, durch den Tod der Ungläubigen Allah zu ehren, das Zeichen sein wird, mit erfindungsreicher Grausamkeit jeden hierwohnenden Europäer zu töten, der sich nicht an Bord der Schiffe befindet, die heute aus dem Hafen geflohen sind?«

Dieses Gespräch fand um die elfte Stunde der Nacht des 10. Juli 1882 statt, als schon jeder europäische Einwohner Alexandrias, der aus dieser ägyptischen Stadt irgend entweichen konnte, sein Heim, seinen Beruf und sein Vermögen hinter sich lassend, eilends entflohen war, um sein Leben vor der Rache und dem Haß der Moslems zu retten. Sie alle hatten auf jenen Schiffen Zuflucht gesucht, die heute, mit Flüchtlingen überfüllt, fortgefahren waren. In dem verödeten Hafen waren nur wenige fremde Kriegsschiffe zurückgeblieben, denn an diesem Tage hatte der englische Admiral dem Arabi Pascha, der halb als Rebell, halb als Patriot die ägyptischen Streitmächte befehligte, bekannt gegeben, daß er am nächsten Morgen die Forts und Batterien von Alexandria beschießen werde.

Der Ort, wo der Mann und die Frau mit blassen Lippen miteinander flüstern, ist ein einsames Empfangszimmer im ersten Stock des verlassenen Hotel de l'Europe; die Beleuchtung, bei der sie einander sehen, ist das flackernde Licht einer Kerze, denn die Arbeit auf den Gaswerken ist eingestellt worden und Finsternis liegt über der Stadt. Um sie herum liegen, die Einsamkeit und Trostlosigkeit noch erhöhend, Kleidungsstücke und offene Koffer; auf den Möbeln aber sind Trödel aller Art und selbst Juwelen wüst durcheinander geworfen; dies alles zeigt, mit welcher Hast und Eile die europäischen Eigentümer dieser Dinge Leib und Leben aus diesem politischen Sirocco, der Tod und Verderben mit sich trägt, gerettet haben.

»Warum sind Sie nicht mit den übrigen auf die Dampfschiffe gegangen?« fährt Errol eilig fort.

»Ich bin nur drei Tage hier gewesen und man hat mir gesagt, jeder Engländer müsse von Kairo über hier kommen, um noch zu entfliehen. Ich erwartete Sie jede Stunde.«

»Und ich – dieser verfluchte Dragoman – warum er mich nur zurückgehalten haben mag? – Zu welchem Zweck?« ruft der junge Mann, sich an die Stirne schlagend. »Vor einer Woche habe ich ihn von Memphis nach Kairo geschickt; er berichtete: Alles ruhig, und ich ließ mir Zeit.«

»Ich dachte, Sie würden ganz sicher heute morgen hier eintreffen.«

»Das wäre ich auch, wenn nicht unser Zug von den schwarzen Truppen, die der Schuft Arabi zu Kafr-el-Dawar in Reserve liegen hat, aufgehalten worden wäre. So mußte ich siebzehn Meilen in Staub und Hitze zu Fuß zurücklegen. Ich hätte mich niemals hierhergefunden, wäre nicht der kleine Osman gewesen, der jeden Nebenweg in Aegypten kennt. Wie es dieser kleine armenische Bettler angefangen hat, heute mit meinen langen Beinen Schritt zu halten, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls muß ich mich aber auf diese verlassen und vielleicht helfen sie uns aus der Not.« Damit nimmt der junge Mann die Untersuchung seiner Waffen wieder auf, bei der ihn Lady Annerley unterbrochen hat; sorgfältig untersucht er das Schloß einer Remingtonschen Jagdflinte, die von seinem langen Marsch her mit Staub bedeckt ist.

»Ich muß Ihnen aber sagen,« versetzt die Frau, indem sie ihre Hand mit seltsam feierlicher Beharrlichkeit auf seinen Arm legt, »ich muß Ihnen sagen …« Sie will fortfahren, doch er unterbricht sie mit den Worten: »Mein Remington scheint schmutzig zu sein, geben Sie mir einen Lappen! – Ihr Taschentuch – irgend etwas! Reißen Sie ein Stück aus diesem seidenen Rock; die Eigentümerin wird ihn nie vermissen.«

Während Lady Annerley ihm gehorcht, fährt er fort: »Halten Sie die Kerze in die Höhe, bitte, so kann ich das Schloß besser sehen; dies Ding hier kann Sie so gut retten, als mich.«

Während sie es thut, beginnt sie wieder: »Die Mitteilung, um derentwillen ich von Europa hierhergekommen bin, betrifft Ihren Vater –«

Das Knacken des Gewehrschlosses, das der junge Mann probiert, unterbricht sie, und er bemerkt: »Mein Vater kann warten, sein Leben ist nicht in Gefahr, was mit dem Ihrigen entschieden der Fall ist« – und dann ganz plötzlich: »Blasen Sie die Kerze aus!«

»Warum?«

Auf diese Frage erhält sie keine Antwort und sie stößt einen leichten Schrei aus, denn Errol hat sie selbst ausgeblasen.

»Warum haben Sie dies gethan?« fragt sie zaghaft.

Statt jeder Antwort deutet der junge Mann auf eines der Fenster. Lady Annerley war von dem, was sie zu sagen hatte, so erfüllt gewesen, daß sie das eigenartige Gebrüll einer mohammedanischen Volksmasse, das Klirren der Waffen und das Getrampel marschierender Soldaten, das zum Fenster hereindringt und von Sekunde zu Sekunde immer lauter und lauter wird, gänzlich überhörte. Vorsichtig begibt sie sich an das Fenster, blickt hinaus und sieht die Straße Mohammed Ali, diese große Pulsader Alexandrias, voller Bewegung und Lärm. Ein sudanesisches Araberregiment, von schwarzen Truppen Arabi Paschas gefolgt, marschiert die Straße hinab, um den Batterieen und Forts von Ras-el-Tin Verstärkung zu bringen. Die tiefe Dunkelheit der ägyptischen Nacht, welche die Stadt mit Finsternis zu erdrücken scheint, nötigt die Flügelmänner jeder Compagnie, Fackeln zu tragen, deren Flammen die schwärzlichen Gesichter, die orientalischen Züge und die blitzenden Augen dieser Barbaren mit ihrem flackernden, geisterhaften Licht überströmen und mehr teuflisch als menschlich erscheinen lassen. Und wie sie so vorüberziehen mit donnerndem Schritt, schrecklichem Geschrei und äthiopischem Geschnatter, mit Kampflust in den Augen und Blutdurst im Herzen, da erbebt die zarte englische Dame, die in ihrem friedlichen Leben noch nie auch nur den geringsten Streit mit angesehen; erschrocken flüstert sie: »Gott steh mir bei,« und zum erstenmal wird sie sich der drohenden Gefahr voll bewußt.

Errol, der sich an ihre Seite gestohlen hat, flüstert: »Ein Licht würde ihre Aufmerksamkeit auf uns ziehen; so halten sie den fränkischen Gasthof für ganz verlassen. Lieber Dunkelheit als diese Teufel auf dem Hals.« Damit zieht er sie vom Fenster hinweg. Er kann spüren, wie sie zusammenschaudert, und fragt mit einiger Besorgnis: »Sie haben sich doch nicht das Fieber geholt?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Aber Sie haben geschaudert. Sie fürchten sich wohl?«

»Nein.«

»Sie können aber doch in dieser glutheißen Nacht auch nicht frieren?«

Sie sinkt in einen Sessel, antwortet ihm aber nicht; Lady Annerley hat zum erstenmal die Berührung von Charles Errols Hand gefühlt, und dies hat eine Empfindung in ihr erregt, die weder von Furcht noch Kälte noch auch von dem ägyptischen Fieber kommt, aber etwas ist, was sie weder beschreiben noch erklären kann und auch niemals früher empfunden hat, denn Lady Annerley hat, obgleich sie Witwe ist, noch keinen Mann geliebt.

Während sie schweigt, überlegt der junge Mann, wie er sie retten könne. Ehe sie zu ihm gekommen war, hatte er beabsichtigt, sich, wenn möglich, verstohlen, oder wenn nötig, kämpfend den Weg zum Ufer zu bahnen. Dann wollte er, falls es unmöglich wäre, sich ein Boot zu verschaffen, bis zu einem der englischen Kanonenboote im Hafen zu schwimmen suchen; denn schon als Knabe hatte er, der in dem halbtropischen Australien aufgewachsen war, es im Schwimmen so weit gebracht, daß dies eine nicht nur mögliche, sondern sogar eine leichte Aufgabe für ihn war. Nun ist er sich aber bewußt, daß ein derartiger Plan nur ausführbar ist, wenn er diese Frau verläßt, die im Augenblick keinen anderen Schutz anrufen kann, als den seinen. Da indes dem ehrlichen Angelsachsen der Gedanke, sie im Stich zu lassen, auch nicht einen Augenblick in den Kopf kommt, zermartert er sein Gehirn, um einen andern Plan zu ersinnen, der sowohl ihr als ihm Sicherheit und Rettung versprechen würde.

»Ueber was denken Sie nach?« fragte Lady Annerley, das Schweigen unterbrechend, das um so bemerklicher wird, je mehr sich das durch die vorüberziehenden Truppen und die sie begleitenden Volksmengen erregte Geräusch in der Ferne verliert.

Er ist viel zu edelmütig, um ihr zu sagen, inwieweit sich seine Aussicht auf Entkommen durch ihr Dazwischentreten geändert hat, und erwidert einfach: »Ueber einen Weg, der uns beiden etwas Hoffnung gibt, unser Leben zu retten.« Im nächsten Augenblick macht er: »Pst!« Dann hört sie den Hahn seines Revolvers knacken, den er spannt, und einen in der Dunkelheit näher schleichenden katzenartigen Fußtritt.

»Halt, oder ich schieße!«

»Nur ich bin's, Sahib! Ist der vornehme Franke erschrocken?« flüstert eine weiche, wohlklingende Stimme mit leichter armenischer Betonung.

»O, Sie sind's, Osman! Wo waren Sie so lange? Haben Sie unten etwas zum Essen gefunden?«

»Nichts, Sahib; der fränkische Besitzer hat alles in seine Küchen und Keller verschlossen und ist durchgebrannt auf die Schiffe; aber nur hundert Schritte von hier befindet sich das Café eines Levantiners, dem sein Eigentum zu lieb ist, als daß er durch irgend etwas anderes als den Tod davon getrennt werden könnte, vielleicht finden wir dort etwas!«

»Gut, dann müssen wir auf irgend eine Weise dort hinzukommen suchen. Ich habe keinen Bissen zu mir genommen, seit ich gestern abend Kairo verlassen habe.«

»Ich habe auf meinem Zimmer eine Flasche Wein und einige Zwiebäcke, die mir der Wirt geschickt hat, ehe er ging.«

»Bei Gott, das ist ja herrlich!« ruft Errol. »Mit ein bißchen Wein, einerlei welcher Herkunft oder welchen Jahrgangs, und irgend etwas zwischen den Zähnen bin ich ein neuer Mensch.« Dann unterbricht er sich plötzlich und sagt: »Verzeihen Sie die Selbstsucht des Hungers, Sie werden diese Sachen selbst brauchen, Lady Annerley!«

»Durchaus nicht,« entgegnet sie. »Die Martin und ich haben uns erst vor zwei Stunden ganz satt gegessen!«

»Die Martin?«

»Ja, meine Jungfer. Sie ist bei mir geblieben, verkriecht sich aber jetzt in meinem Zimmer, die Einsamkeit und die Dunkelheit haben sie geängstigt. Mir thut nichts so not, Herr Errol, als Ihr Schutz und Ihre Kraft. Ich habe den Wein und die Zwiebäcke in einem Augenblick hier, mein Zimmer ist nur zwei Thüren weiter;« und ehe er sie aufhalten kann, eilt Lady Annerley davon und läßt Errol und seinen armenischen Dragoman allein miteinander.

»Der Sahib hat eine Dame in seinem Schutz?«

»Zwei, wie es scheint!«

»Es ist heute eine böse Nacht. Es ist schlimm, wenn man auch noch durch die Anwesenheit von Damen gehemmt wird.«

»Dessenungeachtet werde ich sie nicht verlassen. Osman, in den zwei Monaten, in denen ich Sie auf meinen Streifzügen durch Aegypten als Dragoman gehabt habe, hat mir Ihr Scharfsinn schon aus mancher Schwierigkeit geholfen; schaffen Sie mir heute nacht diese Frauenzimmer an Bord eines Schiffes, und es soll die bestbezahlte Arbeit sein, die Sie je verrichtet haben.«

»Unmöglich, Sahib! Die Boote im Hafen werden auf Befehl Arabi Paschas alle bewacht. Sämtliche Franken sind aus Furcht vor der Rache der Bevölkerung auf die Schiffe geflohen. Eine Unmenge Aegypter hat aus Angst vor den Kanonen der Engländer ihre Heimstätten verlassen. Morgen wird ein großer Tag sein für Alexandria!« Diese Aeußerung ist von einem katzenartigen Glitzern und Funkeln in seinen ruhelosen orientalischen Augen begleitet, allein das Zimmer ist dunkel, und Errol beachtet es nicht, denn diese Bemerkungen Osmans haben ihm einen Gedanken eingegeben, der zur Rettung führen kann.

»Ein großer Tag für Alexandria!« wiederholt der Dragoman, wie in Nachdenken versunken, denn es gibt keinen größeren Schurken in dieser oder der andern Welt als diesen nämlichen Osman Ali, einen halben Araber und halben Armenier, aber ganzen Halunken, der von seinem Stamm Backschisch Osman, zu deutsch der »bettelnde Osman« genannt wird und der etwas eigentümliche Gedanken hat über das, womit er sich morgen in Alexandria beschäftigen wird.

Im nächsten Augenblick schon unterbricht Errol sein Sinnen mit der Frage: »Sie sagten, eine ganze Anzahl Mohammedaner habe ihre Häuser aus Angst vor den englischen Geschützen verlassen?«

»Ja, Sahib,« erwidert Osman, der auf seinen mannigfachen Wanderungen auch schon nach Indien gekommen ist und seinen Auftraggeber nach indischer Sitte anredet. »Sie kommen erst zurück, wenn der Kampf aus ist, sie verbergen sich auf dem Lande.«

»Können Sie mir nicht eines dieser moslemitischen Häuser für die Frauen und uns verschaffen? Im Hause eines Rechtgläubigen würde der Pöbel keine europäischen Flüchtlinge suchen.«

»Allerdings, dort würde niemand nach Ihnen suchen, wenn Sie sich nicht verraten. Welchen Geist der Sahib hat! Aber in dieser dunklen Nacht ein verlassenes maurisches Haus auffinden, das wird sehr schwierig und sehr kostspielig sein.«

»Sie kennen jede Ecke und auch sonst alles in Alexandria, Osman. Verschaffen Sie mir das Haus eines Verehrers Allahs; wir wollen uns wohl den englischen Geschützen aussetzen, nicht aber dem arabischen Gemetzel. Machen Sie sich gleich daran!«

»Die Nacht ist dunkel. Es ist gefährlich, auf die Straßen zu gehen.«

»Thun Sie es.«

»Ja, Sahib, morgen früh.«

»Jetzt! Sofort!«

»Es wird zu viel kosten.«

»Zum Kuckuck mit den Kosten! Sehen Sie denn nicht, daß die Sicherheit dieser Damen von mir abhängt? Thun Sie, was ich Sie heiße!« Und Errols Stimme hat einen Ton angenommen, der jeden Widerspruch Osman Alis zum Schweigen bringt; er lächelt und seine weißen Zähne glänzen in der Dunkelheit.

»Können Sie nicht die Kerze wieder anstecken, Herr Errol? Diese abscheulichen Soldaten müssen nun weit weg sein, und ich kann mich mit den Erfrischungen nicht wieder zu Ihnen zurückfinden,« klingt Lady Annerleys melodische Stimme von der Thür her.

Osman geht rasch nach den Fenstern hin, zieht die Gardinen vor und sagt: »Das Licht kann uns so nicht verraten.« Als dann Errol ein Streichholz anzündet, die Kerze das Zimmer erhellt und Lady Annerley aus der Dunkelheit hervortritt, stößt er einen unterdrückten Schrei aus, denn dieser zarte, gebrechliche Moslem ist sehr empfänglich für weibliche Schönheit und glaubt einen Augenblick, eine aus dem Paradies geraubte Houri vor sich zu sehen.

Denn obgleich Engländerin, bietet Lady Annerley doch diese Nacht ein morgenländisches Bild. Die Hitze Aegyptens im Hochsommer macht eine tropisch leichte Kleidung nötig, und ihr schwarzes Gewand, das sich eng um ihre vollkommene Gestalt schmiegt und jeden Reiz in der Bewegung und in der Ruhe hervortreten läßt, ist aus dünnem Gewebe gefertigt. Sie sieht darin wie eine Statue aus Jett aus, abgesehen von den Stellen, die wie Elfenbein durch den dünnen Stoff schimmern und die Weiße ihrer Arme und des anmutigen Halses verraten. Dieser Hals aber trägt einen Kopf von der zartesten und vornehmsten weiblichen Schönheit. Der Hochmut in ihren Zügen wird durch einen Zug der Leidenschaft, und diese Leidenschaft wieder durch eine geistvolle Stirn gemildert und ausgeglichen. All dies wird strahlend verschönt und belebt durch ein Paar großer dunkler Augen, aus denen die Seele hervorleuchtet und sagt: »Ich werde nur einmal, dann aber für immer lieben.«

Ihr Blick ist auf Errol gerichtet, und dieser scheint sich jetzt ihrer Schönheit mehr bewußt zu werden, als in den wenigen, erregten Augenblicken, in denen er sie vorher gesehen hat. Der Engländer und der Armenier blicken schweigend auf Lady Annerley, während sie auf sie zukommt, gefolgt von ihrer Kammerjungfer, einem schottischen Mädchen, das ängstlich hinter ihr drein kriecht und eine Flasche Rheinwein und eine Blechbüchse mit englischen Biskuits trägt.

»Martin,« sagt ihre Herrin plötzlich, als das Mädchen mit einem leichten Schrei über eines der Kleider stolpert, die im Zimmer herumliegen, »es ist keine Gefahr mehr vorhanden. Diese Herren sorgen für uns, reiche ihnen den Wein!« Aber einen Augenblick darauf scheint sie andern Sinnes geworden und bedient Errol selbst, während sie es ihrem Mädchen überläßt, bei Osman dasselbe zu thun, der angesichts des von Allah verbotenen Getränkes mit seinen dünnen Lippen schmatzt und mit recht gutem Appetit fränkische Biskuits verschlingt, denn er hat so wenig wie sein Herr etwas gegessen, seit sie am Abend vorher Kairo verlassen haben.

Bei Errol macht sich dieser Umstand ganz besonders geltend, denn der kernige junge Engländer hat in weniger als fünf Minuten die Biskuits beseitigt und den letzten Tropfen Wein die Kehle hinunter laufen lassen.

Schweigend blickt Lady Annerley auf ihn, während er sich, die Flinte quer über die Kniee gelegt, in ein Sofa zurücklehnt. Seine Beine und Füße in derben Schuhen und Jagdhosen sind nachlässig über ein seidenes Kleid hingestreckt, das eine italienische Dame beiseite geworfen hat, als sie am Abend vorher entfloh, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Seine langen, athletischen Arme in den bis über die Ellbogen aufgestülpten Hemdärmeln zeigen ihre starken, weißen Muskeln, während er in einer Weise ißt und trinkt, die beweist, daß nur der Hunger ihn die große Ermüdung und Anstrengung des heutigen Tages vergessen läßt.

Seinen Rock hat er abgeworfen in der heißen Nacht; er ißt und trinkt gleichzeitig; sobald er fertig ist, sagt er rasch: »Osman, gehen Sie und besorgen Sie zwei Esel zum Reiten für Lady Annerley und ihre Jungfer. Wir müssen diesen Gasthof sofort verlassen!«

»Esel werden heute nacht ein gut Stück Geld kosten,« gibt der Dragoman zurück.

»Schon gut! Kaufen Sie Esel! Hier sind fünfhundert Franken,« und der junge Mann nimmt seinen Rock, der auf einem der Stühle im Zimmer liegt, greift in eine Tasche und fährt wie erstaunt zurück. Dann sucht er, offenbar erschreckt, in allen Taschen und sagt nach einer eiligen Durchforschung der Weste und der Beinkleider und einem raschen Blick auf den Fußboden mit gebrochener, erschrockener Stimme: »Mein Taschenbuch ist gestohlen! Mein Gott, heute Nacht in dieser Stadt allein und ohne Geld zu sein!«

»Geld habe ich in Menge,« ruft Lady Annerley. »Ich habe tausend Pfund in Noten der Bank von England und einige tausend Franken in französischem Gold und ägyptischem Silber in meinem Zimmer, außerdem noch meine Diamanten,« und sie deutet auf ihre Ohren, in denen ein Paar Brillanten von beträchtlicher Größe und reinstem Wasser funkeln und selbst in dem matten Licht der flackernden Kerze leuchten und blitzen. Bei Nennung dieser beträchtlichen Summe Geldes fliegt ein grinsendes Lächeln über Osmans Züge, aber er sagt nichts und blickt nur beharrlich die Brillanten an.

Die englische Dame hat sich umgewendet, um in ihr Zimmer zu gehen, allein der australische Herr hält sie zurück, indem er eilig und etwas verdrießlich sagt: »Ich möchte Ihr Geld lieber nicht borgen.«

»Aber Sie müssen! Sie können von niemand sonst welches bekommen. Die Banken sind geschlossen und ihre Schätze an Bord der Schiffe gebracht. Mein Check war der letzte, der von der anglo-ägyptischen Bank ausbezahlt wurde, ehe sie schloß; außerdem soll das Geld ja auch teilweise für mich ausgegeben werden, die Esel waren für meinen Dienst bestimmt.«

»Und doch möchte ich es lieber nicht.«

»Aber Sie müssen,« sagte Lady Annerley. »Nehmen Sie es zu unser beider Rettung!«

Diese Erörterung wird durch Osman unterbrochen, der an Errols Seite tritt und vorschlägt: »Warum wollen Sie Ihren ersten Plan nicht ausführen? Bahnen Sie sich einen Weg nach dem Hafen und schwimmen Sie bis zu dem englischen Kriegsschiff.«

»Und diese Damen soll ich verlassen!«

»Für diese Damen will ich sorgen. Ich kann sie besser ohne Sie als mit Ihnen verbergen. Sie sollen in Sicherheit gebracht werden, das schwöre ich, Osman Ali, bei dem Bart des Propheten!«

»Unmöglich! Ich wäre kein Mann, wenn ich in dieser Nacht die Damen verließe!«

»Sie kannten einen Weg, auf dem Sie sich retten konnten, und gaben ihn auf um meinetwillen, die ich Ihnen ganz fremd bin? Herr Errol, führen Sie Ihren Plan sofort aus. Ich fürchte mich nicht. Ich kann selbst für mich sorgen, und dieser Mann hat geschworen, uns zu –«

Sie beendigt diesen Satz nicht, denn als sie sich umwendet, um den Mann anzusehen, auf dessen Ehre sie trauen will, verliert dieser gerade einen Augenblick die Gewalt über seine Züge, und diese zeigen ein so teuflisch frohes Grinsen, daß die Worte auf Lady Annerleys Lippen ersterben und ein tödlicher Schrecken an Stelle des Vertrauens tritt, das sie in Osman Alis Versprechungen setzte.

Dieser Eindruck wird durch die Jungfer noch verschärft, die stöhnt: »O, gnädige Frau, leiden Sie nicht, daß er uns mit dem Heiden allein läßt!«

»Wir verlieren unsre höchst kostbare Zeit. Unter gar keinen Umständen könnte ich englische Frauen heute nacht allein lassen, und wenn es mein Leben kostete,« und während er dies sagt, schüttelt Errol die blonden Haare aus der Stirn, so daß seine blauen Augen Lady Annerley nur um so hübscher erscheinen. In entschiedenem Tone fährt er fort: »Die Erörterung muß zu Ende kommen. Ich will also Ihr Geld entlehnen, und wenn mir irgend etwas zustoßen sollte, so wird es Ihnen mein Vater, einer der reichsten Männer in Australien, zurückerstatten.«

»Ihr Vater ist reich – und glücklich?« stößt Lady Annerley hervor.

»Gewiß, beides! Er ist der lustigste Mann von der Welt. Warum nicht?«

»Ich – ich wußte nicht, ich habe ihn nie gesehen; ich will Ihnen Geld holen und freue mich ungemein, daß es uns nützen kann.« Damit verläßt Lady Sarah das Gemach wie betäubt oder verwirrt, fast als ob sie in Charley Errols Worte Zweifel setzte.

Das Mädchen läuft ihr nach, und während sie ihre Börse sucht, hört Lady Annerley ihre Zofe ihr ins Ohr flüstern: »O, gnädige Frau, trauen Sie, trauen Sie diesem Aegypter nicht. Sein Lächeln macht mir Angst.«

»Fürchte nichts, Martin,« sagt ihre Herrin scharf, während sie das Geld in ihre Tasche steckt, »ich setze das völligste Vertrauen in Herrn Errol.«

»Ich auch, gnädige Frau,« erwidert die Zofe. »Er ist so hübsch, daß ich ihm mein Leben anvertrauen würde – Sie nicht auch?«

»Vielleicht,« flüstert Lady Annerley mit einem sonderbaren kleinen Seufzer.

Hier werden sie von Errol unterbrochen, der an die Thür klopft und sagt: »Entschuldigen Sie, darf ich eintreten? Osman sagt, es sei besser, wenn Sie beide Ihren Anzug so einrichteten, daß Sie auf der Straße für ägyptische Frauen gehalten würden.«

»Kommen Sie rasch herein! Martin, öffne die Thür!« sagt Lady Annerley, läßt aber sofort einen Ausruf der Ueberraschung ertönen, während ihre Jungfer einen Schrei des Schreckens ausstößt, denn als diese den Befehl ihrer Herrin erfüllt und die Thür öffnet, schreitet, die brennende Kerze in der Hand, eine große Gestalt herein, in einen langen, dunklen, ägyptischen Mantel gehüllt, gelbe türkische Pantoffeln an den Füßen und einen bunten arabischen Turban auf dem Kopf.

»Erschrecken Sie nicht, Lady Annerley,« sagt Errol lachend mit gezwungener Heiterkeit, »auch ich bin in morgenländische Tracht geschlüpft. Osman sagt, es sei das Sicherste, und ich habe die Kleidung im Gasthof aufgetrieben. Ist es nicht entsetzlich einsam hier? Nicht eine Seele außer uns in dieser großen, leeren Karawanserai.«

Aber das Lachen vergeht dem jungen Mann, als er an die Erfüllung der Aufgabe denkt, die er sich für heute nacht gesetzt hat.

»Hier ist das Geld,« bemerkte seine Schutzbefohlene und gibt ihm ihre Börse.

»Ein paar Tausend Franken werden genügen, behalten Sie das übrige, Lady Sarah,« sagt Errol, nimmt sich das Gewünschte und gibt den Ueberschuß zurück. »Meine Waffen und Patronen sind schwer genug für mich nach dem heutigen Marsch. Was soll denn dies?« – und seine Stimme nimmt einen herrischen Ton an, denn Charles Errol hat in seinem Leben meistens eine kommandierende Stellung eingenommen, als Befehlshaber der Oxforder Mannschaft sowohl wie als Beherrscher der Schafhalter auf seines Vaters weitem Grundbesitz in Australien. »Wenn ich den Oberbefehl führen soll, so muß ich auch Gehorsam finden, davon hängt unser aller Leben ab. Dies ist keine Maskerade zum Scherz.« Die Jungfer, die durch die Anwesenheit eines Engländers ihr Vertrauen wieder gewonnen, hatte nämlich ein wenig gekichert über den Anblick, den sie gewährte, vom Kopf bis zu Fuß in eine jener langen Hüllen gewickelt, denen die morgenländischen Frauen ihr abschreckendes Aussehen auf den Straßen verdanken.

»Ich bin mir dessen völlig bewußt,« sagt Lady Annerley, indem sie die Stoffe ordnet, die sie um sich geworfen hat, und ihr Antlitz dicht verschleiert. »Martin, sei ruhig!« Die letztere Bemerkung wird in sehr scharfem Ton gemacht, denn das schottische Mädchen ist offenbar über den Anblick, den sie gewährt, noch immer sehr belustigt.

»So ist's gut,« sagt Errol. »Nun möchte ich aber, daß Sie beide sich noch ein Stück hellen Bandes um den Arm schlingen, denn wenn wir auf der Straße in eine Volksmenge geraten, muß ich Sie auf den ersten Blick erkennen können. Keines von uns darf auch nur ein Wort sprechen, ein einziger englischer Ausruf kann uns vernichten. Nun will ich gehen und sehen, ob Osman die Esel bekommen hat. Er sagte, er habe Geld genug dazu in der Tasche.«

Er wendet sich nach der Thür, dreht sich aber plötzlich um, legt seinen Revolver neben Lady Annerley und sagt: »Vielleicht fühlen Sie sich, so lange ich fort bin, sicherer, wenn Sie dies zur Hand haben; er ist ganz in Ordnung und geladen. Ich werde kaum länger als eine Minute fortbleiben, aber immerhin thäten Sie gut daran, diese Zeit auszunützen und ein Paar derbe Stiefel anzulegen.«

»Stiefel?« wiederholt seine schöne Schutzbefohlene, leicht errötend und einen verstohlenen Blick auf einen Fuß werfend, den sie rasch versteckt. »Nun, meine Füße sind –«

»Stecken in Pantoffeln, und vielleicht müssen wir heute noch einen anstrengenden Weg zurücklegen.« Damit geht Errol der Thür zu, ruft aber noch befehlend zurück: »Sie beide ziehen Stiefel an!« und ist dann verschwunden.

»Welch herrlicher Mann!« flüstert Martin, in Bewunderung versunken.

»Lasse das Schwatzen und ziehe mir meine Stiefel an,« sagt die Herrin. »Zeige diesem Mann, der sein Leben für uns wagt, daß wir ihm wenigstens gehorchen.«

»Ja, gnädige Frau,« und das Mädchen kniet nieder, um dem Auftrage nachzukommen, unterbricht ihre Thätigkeit aber zitternd und bebend, so oft ihr Blick auf den geladenen Revolver fällt, denn auf ihre Natur wirken nur drastische Wahrnehmungen, und in dieser Nacht ist ein Revolver eine große drastisch wirkende Thatsache. Sie wird aber von ihrer Herrin so energisch zu ihrer Arbeit angehalten, daß Lady Annerley und ihre Dienerin bald beide bis zu den Augen hinauf verhüllt sind und so orientalisch als möglich aussehen, als Errol eine oder zwei Minuten später zurückkehrt. Wie sie eben im Begriff sind, zu gehen, sagt der junge Mann plötzlich: »Ich kann Ihnen noch ein paar Minuten Zeit lassen; der größte Teil des Volkshaufens ist den Truppen gefolgt und belagert die Hauptthür nicht mehr. Lassen Sie etwas Weißzeug für Sie und Ihre Jungfer und die Gegenstände, die besondern Wert für Sie haben, in eine kleine Reisetasche packen.«

»Damit Sie, mit Waffen bepackt, wie Sie sind, auch noch die Tasche zu tragen haben? Nein, ich kann mich auch ohne diese Dinge behelfen.«

»Diese Geschichte wird Tage, vielleicht Wochen lang dauern; Sie müssen sich vorsehen. Außerdem wird, wenn Sie es nicht thun, alles, was für Sie hier noch Wert hat, zu Grunde gehen, denn dieser Gasthof wird in Bälde nur noch eine Ruine sein.«

»Dann muß es aber die Martin tragen.«

»Gewiß, denn ich muß für einen etwaigen Zwischenfall die Hände frei behalten; bitte, thun Sie, was ich sage,« flüstert Errol.

»Wie besorgt Sie für mich sind!« erwidert Lady Annerley nachdenklich, ruft dann ihr Mädchen herbei und sucht mit diesem bei dem flackernden Licht der nun verlöschenden Kerze etliche notwendige Gegenstände, sowie auch einige Juwelen und Andenken zusammen, die sie wegen der damit verknüpften Erinnerungen oder um ihres wirklichen Wertes willen besonders schätzt.

Während die Frauen damit beschäftigt sind, beraten Charles Errol und Osman Ali draußen in der verödeten Vorhalle hastig flüsternd den zweckmäßigsten Plan für ihre Rettung.

»Ich bin jetzt bereit, zu gehen,« sagt Lady Annerley, aus ihrem Zimmer tretend und mit Schaudern die düstern langen Gänge hinunterblickend.

»Sofort,« erwidert Errol, den Revolver schußbereit in der Hand.

»O, bleiben Sie nicht länger hier. Thun Sie's nicht! Thun Sie's nicht!« schreit plötzlich die Martin in wahnsinniger Angst, denn die Kerze ist nach einem letzten, hellen Aufflackern erloschen, so daß das Haus noch dunkler und die Stille noch drückender erscheint, als zuvor.

»Kommen Sie,« sagt Errol und faßt Lady Annerley bei der Hand. »Osman, stopfen Sie dem Mädchen den Mund und folgen Sie mir!« Damit will er die große Treppe hinunter nach dem Haupteingang des Hauses gehen, aber der Dragoman hält ihn zurück: »Dieser Weg ist sicherer Tod; es steht ein Haufen Araber vor der Thür, ich habe sie gesehen. Folgen Sie mir, Sahib!«

Er führt die zitternde, schaudernde Martin durch den großen leeren Gang, gefolgt von Errol, der nach dem leichten Geräusch, das Osman verursacht, seinen Weg sucht, mit der einen Hand nach etwaigen Hindernissen tastet und mit der andern die Frau, die er in Sicherheit zu bringen sucht, halb leitet, halb unterstützt. Nach wenig Augenblicken verlassen sie den Hauptflur des Gasthofes und schleichen auf Nebenwegen und durch schmale Durchgänge weiter, wobei sie gelegentlich über Koffer, Möbelstücke und zurückgelassenes Gepäck stolpern – welche Unfälle bei der Kammerjungfer stets ein leichtes Zittern und Aufschreien, bei Osman leise Flüche veranlassen. Er hält ihr den Mund zu und verflucht sie und ihre Eltern und ihr Grab, sowie die Nachkommenschaft, die sie vielleicht haben wird, in allen Sprachen und Dialekten des Ostens, denn diesem treuen Dragoman liegt sehr viel daran, seine Schutzbefohlenen vor der Wut des mohammedanischen Pöbelhaufens zu retten, den er vor dem Gasthof gehört hat, als er auf der Suche nach christlicher Beute die Haupttreppe hinuntergegangen ist. Errol spricht all die Zeit über kein Wort, aber Lady Annerley kann fühlen, daß er sie vor jedem Stoß, vor jedem zufälligen Anprall zu schützen sucht, oft sogar mit eigner Gefahr, und sie flüstert ihm zu: »Sie sind heute nacht nötiger als ich; bitte, denken Sie auch ein bißchen an sich selbst und nicht nur an mich.«

Und so tappten sie im Dunklen durch Korridore mit und ohne Ausgänge, öffnen falsche Thüren, kriechen in die unrechten Ecken und rennen, wie Errol bei sich denkt, »gegen alles im Haus,« bis sie schließlich doch an eine kleine Treppe gelangen, die zu einer schmalen, unbenützten Seitenthür führt, welche Osman, der durch seinen Beruf in dem Gasthof Bescheid weiß, bekannt ist; vorsichtig schleichen sie die Stufen hinab, öffnen die Thür, spähen behutsam umher und stehlen sich mit zerschundenen Gliedern und zerrissenen Kleidern auf die Straßen Alexandrias hinaus.


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