Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Dreißigstes Kapitel: Die Erziehung.

Rosmaries Telegramm hatte im Palais Brauneck in Berlin nicht geringe Aufregung verursacht. Der Fürstin Augen hatten wunderlich geglänzt, als ihr der Fürst das Telegramm zeigte.

»Das ist seltsam! Hoffentlich bedeutet es nichts Schlimmes. Wenn junge Frauen plötzlich bei ihren Eltern wieder auftauchen, so pflegt das auf Stürme zu deuten...«

Der Fürst jammerte, daß Harro Rosmarie allein reisen lasse, die doch so unerfahren sei. Ob sie nur wisse, wo man die Billette bekomme! Den ganzen Nachmittag – Rosmarie hatte erst von Würzburg aus depeschiert – trieb es ihn von einem zum andern, alles mögliche Reiseunglück schien ihm seine Tochter zu bedrohen. Es öffneten sich Abgründe zwischen Würzburg und Berlin. »Unverantwortlich von Harro.« stöhnte er immer wieder. Er war schon seit einer Viertelstunde auf der Plattform des Anhalter Bahnhofs auf und ab gewandelt, als der Zug endlich hereindampfte. Die Türen öffneten sich, und eine bunte Menschenwoge füllte in einem Augenblick den leeren Platz.

Der Fürst starrt hinein, daß es ihm vor den Augen flimmert; als das Allerunwahrscheinlichste will es ihm bedünken, daß Rosmarie nun wirklich auftauchen könnte.

Und da steht sie plötzlich vor ihm: »Vater, ach wie schön, daß du da bist!«

Er schließt sie in die Arme, als käme sie übers Weltmeer. »Da bist du!« Und seine Augen werden feucht. Wie ist sie rosig und blühend, trotz der langen Reise, und mit einem unternehmenden Funkeln in den Augen, das er gar nicht kennt.

»Und ist dir denn gar nichts Unangenehmes geschehen?«

»Aber Vater, ich bin doch jetzt endlich groß genug, daß ich mich allein, das heißt mit Lisa, nach Berlin wagen kann. Wir sind zweiter Klasse gefahren, in der ersten war es uns zu einsam. Und es war eine Dame mit zwei Kindern da, und wir haben uns vorzüglich unterhalten.«

»Und geht es dir gut und Harro?«

»Sehr gut, Vater, und ein klein bißchen solltest du dich doch freuen, daß ich gekommen bin!«

»Sehr freue ich mich,« ruft der Fürst, der plötzlich fühlt, daß ihm eine Last vom Herzen geht, von der er erst jetzt die Schwere spürt. Und nun fahren sie nach dem Palais Brauneck, und Rosmaries Mund steht keinen Augenblick still, so viel hat sie zu erzählen, aber warum sie gekommen ist, das verrät sie nicht.

Die Fürstin erwartet sie mit seltsam gespanntem Gesicht, aber ein Blick in Rosmaries erhobenes, schönes Angesicht scheint ihr Interesse vollständig aufzuheben. Nachdem sie mit Rosmarie einige gleichgültige Worte gewechselt, erinnert sie sich, daß sie den dritten Akt einer Premiere, in dem etwas besonders Packendes vorgehen sollte, sehen wollte. Noch an der Tür wendet sie sich:

»Ja, Rosmarie, warum bist du eigentlich gekommen?«

Über Rosmaries Gesicht fliegt eine helle Röte, und der Fürst sagt schnell:

»Weihnachtsüberraschungen für Harro!«

Der Fürstin Interesse erlahmt wieder, und sie läßt die beiden allein.

Und dann setzt sich Rosmarie in ihres Vaters Arbeitszimmer in das tiefe Ledersofa, zieht ihn neben sich und sagt:

»Und du wunderst dich gar nicht, daß ich dir keine Grüße von Harro mitgebracht habe?«

»Hast du nicht? Ja, richtig!«

»Ich bin durchgegangen!«

»Aber Rosmarie!« entsetzt sich der Fürst. »Was überkommt dich mit einem Male! Ich bitte dich!«

»Ich will auch einmal selbständig handeln! Und Harro wird schon nicht böse sein. Komm Vater, laß dir erzählen...«

»Das Durchgehen scheint bei dir periodisch geschehen zu müssen. Ich bin aber doch nicht ohne Sorge, wie Harro es aufnimmt.«

»Höre, wie ich's angefangen. Ich habe gestern den Entschluß gefaßt. Lisa fand das Kursbuch und studierte darin ohne Erfolg, bis wir zu Märt gingen. In Thorstein kann man nichts ohne Märt machen. Ich sagte ihm, es gälte eine Überraschung für den Herrn. Dann telephonierte ich an die Stallwache in Brauneck und bestellte mir einen Wagen an den Schloßberg. In meinem Leben bin ich nicht so früh aufgestanden! Es war rabenschwarze Nacht. Märt trug das Gepäck und ein Laternchen, so gingen wir den Schloßberg hinunter. Der Wind seufzte in der Reiherhalde, und Lisa weiß, daß es da spukt, und fürchtete sich sehr. Ein paar von den Reihern, die bleiben ja im Winter da, so hörten wir die sonderbaren Schreie. Märt stapfte voraus, als könnte es gar nichts Einfacheres geben als den Weg durch Schneewehen und Blätterhaufen, und sein breiter Rücken sah sehr trostreich aus. Und wie froh waren wir, als wir die Lichter des Wagens sahen. Von da an ging alles glatt.«

»Und Harro weiß, daß du angekommen bist?«

»Gewiß! Und keine solche Sorgenstirne, Vater! Wenn ich komme und du mich wieder hast!«

»Liebe Rosmarie, du würdest mich doch verbinden, wenn du mir endlich mitteilen wolltest, warum du eine so plötzliche Reise, zu Fuß und durch die Nacht, für nötig befunden hast!«

»Liebster Vater, auch Traumliesen wie ich können einmal energisch werden. Ich bin aufgewacht aus sieben Träumen, und von Schwanenjungfrauen habe ich nun genug und übergenug gehört. Harro hat dir ein Wort gegeben.«

»Er hat es dir also gesagt!«

»Ich quälte ihn so lange darum, bis ich es erfuhr. Ich kann nun nicht mehr über mich verhandeln lassen, als ob ich ewig ein unmündiges Kind bleiben müsse! Harro weiß von dem, was ich tue, nichts. Du mußt ihn von seinem Wort erlösen, Vater!«

»Ich habe ihn schon an deinem Hochzeitstage davon frei gemacht – er wollte nichts hören. Die Gründe wirst du nun auch wissen. Aber Rosmarie, es handelt sich doch nicht nur um euch allein! Um die Zukunft eures Hauses handelt es sich. Du hast im letzten Jahre einen heftigen Sturm durchgemacht, ob du wirklich schon imstande sein wirst, ein gesundes und kräftiges Kind zu haben... Rosmarie, du bist meine einzige Hoffnung! Wenn mir auch diese noch aus der Hand genommen wird, so weiß ich gar nicht, wofür ich gelebt habe!«

»O Vater, laß mich alles wissen... versuch's doch mit mir!«

»Du sollst es wissen, Rosmarie... Ich kann ja keine Hoffnung mehr haben, eigene Kinder zu bekommen. Zu Zeiten ist mir's, als ob ich noch unglücklicher sein würde, wenn meine Wünsche in Erfüllung gegangen wären. Aber dann ist's mir doch, als sei mir die Axt an die Wurzel gelegt. Meine Lebensarbeit ist umsonst gewesen. Ich habe vieles angefangen, was sich in dreißig, fünfzig Jahren als nützlich erweisen kann. Ich habe Altes erhalten, weil in alten Dingen, wenn sie auch nur noch Pietätswert haben, doch ein Segen liegt. So haben's mein Großvater und Vater auch gemacht. Wir müssen für den Enkel leben. Wir sind doch nur Glieder einer Kette, ist ein einziges Glied morsch geworden, so ist der Kontakt zerrissen. Eine Generation zerstört, was zehn aufgebaut. Und die Zeit reißt mächtig an der alten Kette!

Aber nun denke dir, Rosmarie, wie ich nun so allein dastehe, – ich habe versucht, mich mit dem Gedanken abzufinden. Ich kann dir ja noch ein schönes Erbteil herauswirtschaften, ohne dem Nachfolger zu schaden, – aber ist das ein Lebensinhalt?«

»Vater. Harro will doch gar nicht –«

»Ich weiß. Aber es kommt auch das Verpflichtende, das auf uns, die wir Erben sind, ruht. Das hat ihn mir so wert gemacht, Rosmarie. Sein Erbteil waren ein paar zusammengefallene Mauern und ein alter Name! Wie treu hat er sich verpflichtet gefühlt! Und weil der Mensch doch nicht ohne Hoffnung leben kann, habe ich nun angefangen, in Harros Familienpapieren zu stöbern. Zum Glück führte der alte Herr die wichtigsten Dinge in einer eisernen Kiste bei sich, so daß die wenigstens gerettet wurden. Einen gelehrten Herrn in Leipzig, der sich mit derlei befaßt, habe ich konsultiert. Ich habe S. M. sondieren lassen. Du verstehst mich doch, Rosmarie.«

»Leider durchaus nicht, Vater. Es schwirrt mir im Kopfe von eisernen Kisten und Herren aus Leipzig. Du weißt ja, wie töricht ich bin!« Der Fürst ergriff ihre Hand und sah sie mit seinen schönen dunkeln Augen an, wie er noch nie auf sie gesehen hatte, mit einer anklopfenden, fast stürmischen Sehnsucht.

»Rosmarie, wenn deine Söhne Herren von Brauneck würden!«

Eine glühende Röte ergießt sich über ihre Wangen, ihre Brust weitet sich, wie die Augen so klar und tief zu ihr aufleuchten. Es war ihr, als stehe sie auf einem Berge und sähe in wallende Nebel hinein, und ein blitzender Sonnenstrahl zerrisse sie und zeige ihr aus seinem grünen Mantel aufsteigend das silberne Band des Flusses um die Hüften der Bergzüge von Brauneck, die Türme, und in all den vielen Fenstern läge die Sonne wie ein goldenes Feuer.

»Es ist noch sehr weit bis dahin, Rosmarie! Ich müßte noch zwanzig Lebensjahre sicher haben, um es dir versprechen zu können. Und an irgend welcher Klausel kann alles noch scheitern. Es spielt auch Persönliches mit. Große und schwere Opfer müssen gebracht werden. Ein Faulpolster würde deinen Söhnen die Braunecker Herrschaft nicht werden, alles werde ich nicht erhalten können. Die Herren Vettern, die zwei letzten, in Böhmen, müssen abgefunden werden. Der eine hat es zum Glück schon selbst besorgt, indem er eine so wenig standesgemäße Heirat gemacht hat, daß die Hausgesetze ihn jetzt schon ausschließen. Und der andere... ein Genußmensch ... ein sehr lockerer Herr. Je länger ich lebe, je eher wird er zu einem Vergleich bereit sein.

Aber ich muß kräftige Enkel haben, die nicht schon von vorneherein im Kampf mit dem Leben behindert sind.

Und gerade der Älteste...

Man wird mich einen Phantasten schelten, der verwirft, was er hat, und alles in einem Wechsel auf die Zukunft anlegt. Es kostet Opfer, Rosmarie. Palais Brauneck werde ich verkaufen, sein Wert hat sich verdreißigfacht. Mein Vater kaufte es mir, er wollte nicht, daß ich mich zu früh in Brauneck einspinne. Er wünschte, ich solle tätigen Anteil nehmen am Leben des deutschen Volkes und nicht immer rückwärts sehen...«

»Ist das nicht furchtbar hart für Mama?« seufzte Rosmarie, »wenn sie nun in Brauneck bleiben soll, immer, und für etwas Opfer bringen, was sie im tiefsten Grunde verletzen muß?« »Rosmarie, ich binde dir die Sache aufs Herz, es ist dein tiefstes Geheimnis. Nicht einmal dein Mann soll es wissen. Sei treu, Rosmarie!

Sieh, Rosmarie, ich habe mich abzufinden gesucht mit meinem Schicksal. Ich habe mir die Herren Vettern angesehen. Eine Generation zerstört, was so viele Generationen geschaffen. Diese Genußmenschen... Eine peinliche Unruhe befiel mich. Als ob mich die alten Herren in der Braunecker Gruft einmal nicht ruhig neben sich schlafen ließen. Daß ich müßte spuken gehen in dem verlassenen und verdorbenen Brauneck.

Und du schweigst, Rosmarie!«

»Ich werde schweigen, Vater. Ich bin doch auch eine Brauneck!«

»Das mußt du nun erst beweisen, Rosmarie, Braunecksche Art kommt langsam aus dem Menschen heraus.«

Rosmarie hat nicht sehr nach Hause geeilt. Aus dem Palais Brauneck zwar vertrieb sie bald der dort herrschende Eiswind; es war ihr noch gelungen, in einem heimlichen Stelldichein mit ihrem Vater einen schönen Vormittag am einsamen, vereisten Sakrower See zuzubringen. Aber dann war sie zu Tante Helen geeilt, die durch ihren Unfall so sehr in ihrem Behagen gestört war.

Die Dame war rührend glücklich über ihr Kommen und versteht sie von Tag zu Tag festzuhalten. Und endlich händigt sie ihr auch den längst und heiß ersehnten Brief ihres Mannes aus. Bisher hatte er nur in lakonischen Postkarten sein Wohlsein berichtet. Und Rosmarie entschlüpft mit dem Briefe in ihr Zimmer.

»Liebste Rose? Kommst Du eigentlich wieder? Warum Du fortgegangen bist, das habe ich so ungefähr geahnt. Aber warum bleibst du jetzt noch an Tante Helen kleben! Fürchtest Du, ich nehme Dich zu früh aus Deiner grünsilbernen Altarnische? Damit hätte ich eigentlich gesagt, was ich wollte, und könnte die Epistel schließen, indem ich das weitere Dir überlasse, Du schlimme Rose! Im Davongehen wirst Du Dir wohl im Lauf der Jahre eine Force erwerben. Die letzte Aventiure war nicht übel arrangiert, alle Achtung! Aber ich gedenke weiteren Übungen einen Riegel vorzuschieben!

Wenn ich nicht im Augenblick Deine grauen Augen vor mir sähe – mit angstvollem Entsetzen auf mich gerichtet, so wäre ich schnöde genug, diesen Brief zu schließen und ihn mit kaltem Lächeln der Post zu übergeben. Aber ich muß befürchten, dann gehst Du wieder der Tante Helen durch und kommst ganz Reue am Ende mit der Kupferberger Abendpost an, dem fürchterlichsten Fortbewegungsmittel der Welt. Darum schreibe ich nun auf der zweiten Seite und berichte Dir weiter. Die Köchin muß Dich für geizig halten, denn seit Du fort bist, führe ich ein Schlemmerleben. Heute habe ich mich in einsamer Verzweiflung durch ein ganzes Diner hindurchgegessen. Infolgedessen war ich heute nachmittag zu allem zu faul, und nun zünde ich mir schon die zweite Zigarre an. Ich räuchere Dir sogar Dein Heiligtum, Deinen Schmollwinkel, ein. Und dabei siehst Du mir von allen Wänden her zu! Dornrose!

Etwas von Dir ist in den Räumen hängen geblieben, und wie ich durch meinen blauen Rauch starre, muß ich Dich immer mehr sehen und bedenken. Du schlimme Rose, und dabei wirst Du immer schöner! Es ist notwendig, daß Du kommst und Deine leibhaftige Erscheinung das Phantasiebild vertreibt. Es fing schon an, sich einen netten kleinen Heiligenschein wachsen zu lassen. Und – kannst Du das verlangen – Durchgängerin?

Nun stecke ich doch schon an der Tinte, und so sollst Du noch erfahren, daß ich heute in der Kirche war. Im Kirchenstuhl. Es hat eine nicht geringe Aufregung in der Gemeinde verursacht, bis in den Pfarrstuhl hinein. Aber ich gedenke die Bußübung nicht so bald zu wiederholen. Die Thorsteiner sind alle lang gewesen, und sie müssen es als notwendiges Ingredienz ihrer Andacht angesehen haben, ihre langen Beine in den engsten Kasten von Kirchenstuhl zu pressen. Und eiskalt war es auch noch dazu. Überhaupt Andacht. Sie scheint in unseren Kirchen hier als störend mit der Wurzel ausgerottet zu sein. Der Herr Pfarrer gab sich die redlichste Mühe und sprach recht gut, soviel ich davon verstand, aber die Kirche war eiskalt, und eiskalt blieb auch ich. Als ganz verstockter und verhärteter Sünder wandelte ich nach Hause. Ich fühlte mich an Leib und Seele durchfroren, so daß ich mich ins Atelier flüchtete, abschloß, den bewußten Vorhang zog und mich vor unserem Bild auf Deinem Stuhl ausstreckte und eine Zigarre anzündete. Es ist schön, das Bild. Wenn ich das sage, so ist das nicht eitel und Stolz etwa, sondern eher das Gegenteil. Wenn ich so ein Wort in den Mund zu nehmen wagte, möchte ich eher demütig sagen. Man muß ja jetzt als moderner Mensch das schöne Wort Unterbewußtsein benützen, die Goethesche Dumpfheit gefällt mir aber viel besser. Aus dieser heraus ist es gemalt. Ich habe manches jetzt erst daran entdeckt. Plötzlich empfand ich es als profan, vor Deiner Holdseligkeit mit einer Zigarre zu sitzen. Ich schämte mich und legte sie weg.

Dann entdeckte ich Deine linke Hand, die den Brunnenrand umschließt. Und da war mir's, als zöge mir jemand eine Binde von den Augen hinweg. Ich muß es doch gesehen haben, denn ich habe es gemalt, und hab's doch nicht gesehen. Wie fest die Hand sich an dem Brunnenrand hält. Wie ein Beben ist's an ihr, und das läuft hinauf die Linie des Armes entlang und spannt sich wie ein ganz feiner Schatten unter der Brust hinüber. Da wußte ich, was es Dich gekostet haben mag. Und ich sah Dich erbeben unter meinem Blick, und Deine stolze reine Seele sah ich sich beugen vor mir, ihre Krone vom Haupte nehmen und sie mir darreichen. Ein junger Baum im Maienglanz ist schön. – Wie schön ist die Lilie, wenn ihre weißen, dufterfüllten Kelche im Morgenwinde beben. Aber wie kalt und glatt ist ihr Weiß gegen das beseelte, von rotem, warmem Feuer durchglühte Weiß Deiner Arme. Wie matt das schöne Gelb der Staubfäden gegen den metallischen Glanz Deines Haares. Die Schönheit aus allen Naturreichen hat der Schöpfer auf sein Menschengebilde zusammengerafft.

Es ziemt sich wohl, daß der Braunecker vor der Fee auf die Knie sinkt, andächtig.

Er ahnt den Schöpfer, ganz abgesehen davon, was den Mann im tiefsten Grund seiner Seele vor euch niederzwingt.

Ich blieb vor dem Bilde sitzen, bis die grauen Schatten aus allen Ecken krochen und das Spinnweb der Dämmerung mich ganz versponnen hatte. So bin ich doch noch zu meiner Andacht gekommen. Tante Ulrike würde zwar die Art und Weise nicht billigen und sie heidnisch finden. Ich bin hie und da gespannt, ob ich mich zu einer höheren Erkenntnisstufe emporschwingen werde. Vorderhand muß ich schon so verbraucht werden.

So, nun bist Du gekratzt und gestreichelt worden, vom letzteren für Erziehungszwecke zu viel, und weißt, was Du zu tun hast. Dein Harro.« – – –

Tante Helen war trostlos, als ihr Rosmarie mitteilte, daß sie mit dem nächsten Zuge nach Hause fahren müsse. Sie ächzte über den schnöden Egoismus der Ehemänner und über die gänzliche Wehrlosigkeit ihrer Nichte.

»Du solltest doch nicht von vornherein ganz geduldige Ehesklavin sein. Und wenn man den Männern allen Willen tut, so macht man auch den anständigsten zum Haustyrannen. Und dein Harro hat Talent dazu, man sieht es an seinem steifen Nacken. Telegraphiere: Komme Samstag. Heute ist Donnerstag. Das zeigt dann ein Eingehen auf seine Wünsche und zugleich eine Verwahrung gegen zu diktatorische Befehle. So macht es eine kluge Frau, die weiß, was sie sich und ihrer halblahmen Tante schuldig ist.«

»Tante Helen,« flehte Rosmarie, »du bist ja gar nicht mehr so lahm, ich nehme dich mit nach Thorstein.«

»Als ob ich Lust hätte, in eurem Liebesnest den unbequemen Dritten zu spielen! Müßt ihr euch denn immer betanten lassen! Das finde ich stillos. Harro würde eine sehr schlechte Freude haben. Nein, du bleibst und zeigst Charakter und Selbständigkeit.«

Rosmarie lächelt: »Und tue mit Charakter und Selbständigkeit, was Tante Helen will.«

»Rosmarie,« klagte die Tante, »aus dir spricht bereits der trotzige Thorsteiner. Gehe nur schnell zu ihm und verthorsteinere ganz.«

Alles Flehen hilft nichts. Rosmarie erreicht noch den Dreiuhrzug, und nachts um zehn Uhr fährt das Braunecker Coupé in die Thorsteiner Schloßpforte, die der Märt aufreißt.

»Märt, guten Abend, und wo ist der Herr Graf?«

»Der Herr Graf ist heute nachmittag auf den Kupferberger Bahnhof gefahren.« »Hat denn der Herr mein Telegramm nicht mehr bekommen?«

»Es kam eines um zwei Uhr. Ein Brief ist da ... Durchlaucht.«

Rosmarie eilt in ihr Eßzimmer, der Tisch ist schön für sie gedeckt und geschmückt, auch liegt ein Billett da. –

»Liebe Rosmarie! Ich werde heute eine kleine Reise nach Stuttgart und den umliegenden Gegenden antreten und werde Dir von überallher Nachricht senden. Du nimmst doch mit Postkarten vorlieb? Du weißt, auf Reisen liebe ich lange Schreibereien nicht. Unterhalte Dich gut, und laß unter Deiner Aufsicht, ja nicht ohne sie, das Atelier reinigen. Es hat es hochnotwendig! Herzlich grüßt Dein Harro.«

Rosmarie setzt sich zu einem einsamen Mahl nieder mit einem dumpfen Druck auf dem Herzen. An Tante Helen nur zu denken weigert sich ihr entsetzter Geist. Und die Suppe schmeckt plötzlich salzig. Aber sie mahnt sich zur Ruhe und Abwarten und versucht sich auszudenken, daß die Winterreise für Harro ganz genußreich werden könne. Und morgen bekommt sie wieder Nachricht. Der Morgen bringt außer zwei wehrhaften Thorsteiner Putzweibern, wider die den Kunstgegenständen gegenüber allerdings Vorsicht geboten scheint, eine Postkarte. Sogar mit Ansicht.

»Liebe Rosmarie! Bin gut angekommen. Über Ansicht von Stuttgart schlage Bädeker, Das südliche Deutschland, Seite dreihundertvierundzwanzig nach. Es steht alles darin. Auch die Luft ist gleich dick geblieben, vielleicht noch durch ein Rüchlein Benzin bereichert. Treffe H. Fr. und höre die H-Moll-Messe. Mein Schlafzimmer ist abgeschlossen, weil ich unser großes Bild hineingeflüchtet habe. Unter keinen Umständen aufmachen, da Putzweiber immer Bilder von Staffeleien stoßen. Habe hierin Erfahrung. Dein Harro.«

Merkwürdig, auch Rosmaries Frühstückstee schmeckt salzig. Sie lernt die Karte auswendig, zieht jedoch den Bädeker nicht zu Rate und begibt sich dann an ihr schweres Tagewerk. Lisa entsetzt sich über ihre Herrin, muß aber bald einsehen, als sie eine geschnitzte Holzfigur mit Wurzelbürste und Seife attackiert sieht und in einer Lache von einem umgestoßenen Kübel ein paar Skizzenblätter schwimmen, daß es nicht nur zwei, sondern vier Augen braucht, um Unglück zu verhüten. Rosmarie zieht ihre Sealskin-Jacke an und ihre Kappe, denn von den Putzweibern scheint ein fürchterlicher Zug unzertrennlich zu sein, sie bringen ihn wohl in ihren Rücken mit. Sie macht verzweifelte Anstrengungen, das Chaos mit ihrem Geiste zu durchdringen. Wohin mit dem, wohin mit diesem, wie muß das gereinigt werden?

Ganz zerschlagen in allen Gliedern und mit einem Gefühl, als könnte sie im Leben nicht wieder sauber werden, schließt Rosmarie die Putzorgie um fünf Uhr ab und schickt die Weiber zu deren großem Entzücken mit dem vollen Tagelohn heim. Zunächst flüchtet sie ins Badezimmer; fürchterlich wäre es allerdings, wenn Harro jetzt heimkäme. Er würde eine Wüste finden, gegen die der vorige Zustand noch paradiesisch genannt werden müßte. Beim Abendessen bringt die Babette wieder eine Postkarte. Wieder mit Ansicht. Das Lustschloß Solitude bei Stuttgart! Darunter: »Sehr stimmungsvoll, nicht wahr! Hoffentlich bist Du auch vergnügt wie wir. Grüßend Dein Harro.« Und unten noch ein feines »H. Fr.«

Vergnügt! Das Wort überwältigt Rosmarie so sehr, daß ihr Abendessen zu einem plötzlichen Abschluß kommt. Sie muß sich in den Schmollwinkel zurückziehen und kommt sich einen Augenblick ganz verraten und verlassen vor. Und der nächste Morgen bringt wieder die Putzweiber. Rosmarie ist nun schon so weit, daß sie sich von Lisa eine große Schürze borgt, ihre lilienweißen Arme entblößt und selbst mit angreift. Es ist nicht ganz so schlimm wie das Danebenstehen. Und allmählich steigt eine Hoffnungsküste auf. Die Wasser verlaufen sich langsam. –

Wenn der Fürst seine Tochter jetzt sähe! Sie steht hinter einem großen Tisch, hat sämtliche angefangenen Holzschnitzereien vor sich, die rot- und weißgestreifte Schürze um, einen Schleier um ihre Haare gebunden. Und nun wird Stück für Stück sorgfältig abgestäubt und abgerieben, in die Wandregale untergebracht und ein Verzeichnis angelegt für jedes Fach, daß man alles leicht finden kann. Das schreibt Rosmarie, und Lisa klebt es in das Fach hinein. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Mühe, die bewältigt werden muß. Die Mappen sind noch nicht einmal angefangen. Und Lisa drückt das Gefühl, daß sie nicht dulden sollte, daß ihre junge Herrin sich so anstrengt. Aber sie fühlt, daß sie nicht allein gelassen werden kann diesem entsetzlichen Vielerlei von Dingen gegenüber.

Heute wird Rosmarie aber zu Nacht essen, und wenn noch so vergnügte Postkarten kommen. Noch im Leben nicht hat sie einen solchen grabenden Hunger verspürt. Und die Köchin scheint ihr gegenüber durchaus nicht der Ansicht zu sein, daß geschlemmt werden müsse. Ihr Beefsteak ist lederzäh, und an dem Kartoffelpüree scheint der heilige Florian vorübergegangen zu sein. Wenn Rosmarie nicht gar so grün als Hausfrau wäre, so müßte sie bemerken, daß die Köchin an ihr Erziehungsversuche macht. Und nun kommt die Karte.

»Liebe Rosmarie! Gestern in Musik geschwelgt. Heute im Kunstverein den Herbstabend gehängt. Gute Wandfläche, keine allzu störenden Nachbarn. Bin in den ersten Saal avanciert. Hoffe, Du unterhältst Dich immer gut. Dein Harro.«

Diesmal werden Rosmaries Wangen nicht naß, aber sehr rot. Wie lange hat sie sich das gewünscht, einmal mit ihm eines seiner Bilder zu sehen, wenn es nun in der Fremde unter den andern da hängen würde. Und nun wäre es möglich gewesen, daß sie mit dem Künstler auch dabei gewesen wäre, ihre Meinung hätte abgeben dürfen, wie hoch – wie nieder... Und um diese Wonnen kommt sie nun. Und die schöne Musik! Statt dessen muß sie Magddienste tun, und man fragt sie noch, wie sie sich unterhält? Hätte sie sich da nicht noch ein paar Tage von Tante Helen hätscheln lassen können? Alle Muskeln schmerzen ihr von der ungewohnten Arbeit. Aber daran denkt Harro gar nicht, und wenn es Vater wüßte! Harro meint wohl, man dürfe es den Weibern nur sagen, dann machten sie es auch. Aber nein, dem widerstreitet seine offenbar auf Erfahrung gegründete Kenntnis der Putzfrauen. Und es dämmert eine Ahnung in ihr auf. Bisher hat sie beinahe gefürchtet, wenn Harro erfahre, was sie alles getan, werde er ärgerlich sein. Aber je mehr sie die Arbeit, nun sie die einmal durchgemacht, überlegt, desto weniger kann sie sich verbergen, daß Harro auch wissen muß, daß sie nun durch dick und dünn mitmüsse. Eine für eine Prinzessin von Brauneck, Durchlaucht, zuerst etwas bitter anmutende Erkenntnis.

Und fertig ist sie auch noch nicht! Einen Augenblick besinnt sich Rosmarie, ob sie nicht streiken soll. Kann man die Mappen auch noch verlangen! Aber ein gewisser Trotz überkommt sie. Wenn schon einmal Magddienste, so will sie nicht als schlechte Magd erfunden werden. Und sie macht sich am nächsten Morgen über die staubigen Mappen, von denen manche seit Jahren nicht geöffnet worden sind. Und es wäre sehr verlockend, bei dem Inhalt zu verweilen, aber dann verfliegt die Zeit so unheimlich schnell, und mitten drin will sie sich nicht überraschen lassen. Und heute bringt ihr die Post eine weitere Anfeuerung.

»Liebe Rosmarie! Du wirst mit der Putzerei wohl nicht zu Streiche kommen, da auch die Mappen nachgesehen werden sollten. So lasse denn alles liegen und stehen, wie es liegt und steht, bis ich komme. Unter keinen Umständen laß unbeaufsichtigte Putzweiber darin wüten. Hans Friedrich bringe ich mit. Du kannst ihm die Weststube richten lassen, er ist mehr für die untergehende als die aufgehende Sonne. Erwarte uns nicht vor Sonntag. Dein Harro.«

Eine leise Befriedigung schleicht sich in ihr Herz. Harro hat ihr doch zu wenig zugetraut. Nun, er wird sehen. Rosmarie wird es ganz elend und erbärmlich ums Herz und demütig. Ach, wenn er nur wieder käme! Sie hat so gar keinen Charakter, würde Tante Helen –, sie ist so wenig neues Weib, würde der Herr Professor sagen. Dann am andern Tag wirft sie sich wieder in ihr Arbeitsgewand und klopft und schrappt und sucht aus und klebt Mappenschilde mit Inhaltsverzeichnis. Und der Abend bringt ihr sogar einen Brief. Allerdings nur eine eingeschlossene Karte. Auf der Vorderseite ist ein reizend zierlich mit der Feder gezeichneter Frühstückstisch mit einem Glas voll Chrysanthemen in der Mitte, neben dem ein Brief liegt. Auf der Rückseite der Karte steht nur:

»Liebe Rosmarie! Wie schmeckt das plötzliche Alleingelassenwerden? Dein Harro.«

O Harro! Also hat Vater doch recht, der sich ängstigte, wie ihr Gatte die Flucht aufnehmen würde. Und es taucht in ihr die Erkenntnis auf, daß ihr alter Harro, der immer nur Güte und Liebe für sie gehabt, auch seine Ecken und Kanten haben könnte. Sollte es nebenbei eine Kur für Hochmut und gar zu prinzessinnenhaftes Wesen sein? Nun könnte Rosmarie Charakter zeigen! Sie fühlt ordentlich Tante Helens Augen auf sich ruhen. »Die Ehe, auch wenn sie glücklich ist,« hatte sie doziert, »ist ein Kampf. Und man muß sich nicht schon von vornherein in den Nachteil bringen lassen. Und durch zu große Nachgiebigkeit verdirbt man die Männer. Die möchten freilich, so modern sie sich gebärden, am liebsten eine Griseldis haben. Aber sage einmal, hat dieses übrigens sagenhafte Frauenzimmer, ich glaube nicht, daß je ein solches existiert hat, – ihren Mann durch ihre Schwäche zu einem abscheulichen Tyrannen gemacht? Sie hat ihn verdorben und ihn und sich um alle Lebensfreuden gebracht, wenn man die Geschichte weiter ausdenken will.«

Rosmarie kann nicht umhin, sich dieser Worte und der daran geknüpften guten Lehren zu erinnern. Und ein wenig nach Griseldis schmeckt diese ganze Putzarbeit. Die junge Herrin von Thorstein bringt einen sehr nachdenklichen Abend zu... Und am andern Morgen geht sie in das Atelier und besieht ihr Werk. Diese noch herumliegenden Mappen sind sehr störend. Sonst wäre alles so schön frisch und mit Lisas Hilfe auch praktisch eingerichtet. Eine Riesenarbeit, und sie kann sich die Anerkennung nicht versagen. Und diese hoffnungslose Ehesklavin begibt sich mit einem Seufzer an den Rest der Arbeit. Die Angst beflügelt den eilenden Fuß, denn ums Leben möchte sie jetzt nicht dabei erfunden werden. Und jetzt schlägt auch die Stunde der Befreiung. Die letzte Mappe ist geordnet. Rosmarie geht nach ihrem Bad in das Schlafzimmer, läßt sich von Lisa die Haare waschen und ißt mit dem wallenden Mantel um sich dort zu Nacht. Eine Karte kommt nicht, und der Sonntag ist auch morgen. In der Nacht hört sie einiges Geräusch, aber sie schläft so tief und ruhig nach ihrer Mühe, daß sie es bis zum Morgen vergessen hat.


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