Anastasius Grün
Nibelungen im Frack
Anastasius Grün

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Eine Vision. Die Saiten klingen aus.

                      Der Sturzbach einst im Fallen wird festgebannt zu Eis,
Dem grünen Baum entwallen treulos die Blätter leis,
Des Meisters Hände, müde, herab die Harfe gleiten,
Nachdröhnen still und stiller, bis sie verstummen ganz, die Saiten.

Es lehnt im Sorgenstuhle der Herzog schwach und krank,
Sein Haupt am Halse nieder der Favorite sank;
Der Zauber ihrer Stimme verfluthet in den Räumen
Und singt ihn leis in Schlummer und wiegt ihn in ein süßes Träumen.

Die Klänge scheinen Wellen, verspülend an die Küste,
Das Saitengedröhn Orkane, durchjagend des Meeres Wüste;
Der Geige Hohl durchschauert ein heimlich Knistern, Beben,
Wie eine Riesenpuppe spürt sie Entfaltungsdrang und Leben.

Zum Schiffe wird die Geige, ihr Boden wird zum Kiele,
Ein Ruck, da schwankt's vom Stapel auf glattgeseifter Diele!
Vom Land jauchzt Jubel! Freudig Okeanos aufspringt,
Schlägt Felsenbecken als Cymbeln; Posaunenstoß, Meerorgel klingt!

Das Schiff schwimmt stolz im Meere mit Flanken und Bastionen,
Der Hals streckt sich zum Mastbaum, die Schrauben sind Kanonen,
Vorüber legt als Bugspriet sich keck der Fiedelbogen,
Die Saiten werden Taue, Griffbrett das Steuer in den Wogen.

Die Anker auf! Ein tüchtger Schnellsegler ist die Fregatte,
Daß bald des Festlands Anblick der Ozean bestatte!
Nun rings nur Fluth und Himmel! Die Sterne sinken und steigen,
Die Wellen fliehn und kommen; ringsum ein tiefes, ewges Schweigen.

O sieh, Fata Morgana, schwingst du hier Zauberruthen?
Es taucht ein grünes Eiland urplötzlich aus den Fluthen!
Doch aus den Büschen klingen auch Stimmen und Gesänge
Von nie geschauten Vögeln, doch lauter wohlbekannte Klänge!

Sieh, mächtge Ahornhaine mit breiten Blättern sprießen,
Und Fichten, deren Nadeln die Wolkenkissen spießen,
Auch Pernambuko's Sträucher mit krummgebeugtem Schafte,
Seltsamer Form dazwischen der Ebenbaum, der fabelhafte.

Und Elephantenrudel scheu durch die Büsche rasen,
Milchweiße schöne Rosse mit Lämmern auf Triften grasen.
Doch jetzt zerstob's! – Der Geige war's nur ein Wiederschein,
Zu deren Bau gesteuert Lamm, Pferd, Olfant, Gehölz und Hain.

Forttos't das Schiff im Meere, von Well' und Wind getragen,
Der Herzog lehnt am Maste, das All möcht' er befragen:
»Soll, die ich übrall suche, ich nirgend finden, nie?
Wohin bist du geflüchtet, du all mein Sehnen, Harmonie?«

Auftauchen, Muscheln blasend, im Binsenkranz Tritonen,
Und singende Sirenen mit grünen Lockenkronen:
»Auch wir, auch wir sie suchen!« Der Fürst hört nur dieß Wort,
Dann hält er zu die Ohren: »Ei sucht nur noch ein Weilchen fort!«

Da rief der Geist des Sturmes: »Ich auch, ich suche sie!
Wenn Flotten ich zertrümmre, zum Abgrund Thürme zieh',
Wenn ich das Segel reiße, wie ein Libell, entzwei
Und Felsen rüttle, – zweifelt, daß Harmonie die Kraft nur sei!«

Da kamen mildre Geister: Windstille, Westhauch, Brise;
Sie gossen Oehl aus Krügen, das Meer schien eine Wiese,
Sie sangen süß im Chore: »Wir auch, wir suchen sie!
Wir helfen, heilen, schmeicheln; ist denn nicht Liebe Harmonie?«

Der Geist des Wirbelwindes rief aus der Wasserhose:
»Was nütze jenes Toben, was helfe dieß Gekose?
Herab zieh' ich die Wolke, das Meer empor ich zieh',
Zusammen schraub' ich beide: Vermittlung nur ist Harmonie!«

Da kam die Nacht und legte um jedes Aug die Binde:
»Willst du im Geiste schauen, dein irdisch Aug erblinde!
Sie kommt, wenn du nicht suchest; nicht suchend – such' ich sie.
Stark Ein Sinn, todt die andern! Bewußtlos findst du Harmonie!«

Jetzt blendend hell wird's plötzlich! Anstürmen aus aller Ferne
Kometen mit brennender Schleppe, Laternenknaben Sterne,
In goldner Rüstung Sonne, pfeilschleudernde Amazone,
Nordlicht im wallenden Purpur, am Haupt die funkelnde Islandskrone;

Auch Mond, der bleiche Jüngling, schwärmend für Licht und Recht,
Manch irdisch Feuer: auf Erden gefallnes Engelgeschlecht;
Die Fackeln sprühn und prasseln! »Wir auch, wir suchen sie!
Im Licht ward sie geboren! Bewußtsein nur ist Harmonie!« – –

Herr Moritz fühlt sich gehoben, entrückt der Erdensphäre,
Sein Schiff, es ist verwandelt zur leichten Mongolfiere;
Nicht mehr durch grüne Wogen, durch Wolken geht sein Schiffen,
Durch's blaue Meer des Himmels, vorbei der Sterne goldnen Riffen.

Tief unter ihm die Summen der Welt zusammenschlagen,
Was sie vereinzelt suchen, sie all vereint es tragen!
Selbst Schweigen ward nur Pause, Mißklang zur Note hie;
Ein süßes Tongebrause: »Der Ganzheit All ist Harmonie!«

Empor geht's rasch im Fluge zu sonnigen Strahlenstätten;
Sieh da, schon Cherubime, die himmlischen Vedetten!
Leiblose Flügelköpfchen! – »Mein Weib, du sahst noch nie
So allerliebste Fächer!« – Sie aber singen: »Wir fanden sie!«

Herr Moritz denkt: das sollte mich wundern übermaßen,
Euch fehlen ja die Händchen, ein Saitenspiel zu fassen! –
Doch immer steigt er höher und immer fliegt er schneller,
Und immer tönt es süßer und immer wird es heller, heller.

Sieh nun, aus Sanzio's Bilde die himmlische Musica:
Die lockigen Seraphime, den Bogen führend, da!
Zum goldgewölbten Basse das Haupt verklärt sie neigen:
Das ist die heilige Stelle, allda der Himmel hängt voll Geigen.

Begeistert lenkt am Pulte die Meisterschaar der Frommen
Jubal, von dem die Geiger und Pfeifer all herkommen;
Dabei manch einst Verkannter! Nicht dacht' er hier zu finden
Des Hirten Flöt' aus Schilfrohr, des Dorfes Fiedler auch, den Blinden!

Cäcilia in die Tasten der Orgel mächtig greift,
Sankt Peter selbst im Takte aus seinen Schlüsseln pfeift,
Posaunen führen Jene, und Cymbeln, Harfen Die;
Ein Ozean der Töne: »Wir fanden sie, wir fanden sie!«

Der Sinn Herrn Moritz schwindet, denn lichter ward's und lichter;
Sein Aug von Glanz erblindet, er fühlt's: nah ist sein Richter!
Geblendet und vernichtet sinkt er in sich und spürt,
Wie ihm ein feuriger Finger das Haupt, das Herz, die Hand berührt.

Berührt hat's seine Stirne: – ein himmlisches Kopfschütteln!
Er sieht der Strahlenlocken fast unzufriednes Rütteln;
Berührt hat's nun sein Herze: – sieh ein befriedigt Lächeln!
Er fühlt der Lichtfluth Wellen, Glanzfittige, heitrer ihn umfächeln.

Nun ihm's die Hand berührte, hört eine Stimm' er sagen:
– Der Ton schien's seines Lehrers aus fernen Kindertagen! –
»Die Hand blieb ohne Makel! Als Sternbild rage sie
Inmitten Harf' und Lyra und beider Saiten schlage sie!« – –

 


 

»Laßt uns den Leib begraben!« So sang ein Trauerzug
Im Merseburger Dome. Die schwarze Bahre trug
Den Herzogshut des Todten. Falsch klang die Melodei;
Ist's, weil erstickt von Thränen? ist's weil der Meister nicht mehr dabei?

Längst ruht er bei den Seinen. – Die du aus Erz und Stein
Denkmale thürmst, o Nachwelt, ist dir mein Held zu klein?
Laß ihn im Standbild ragen, wie lebend mit dem Basse:
Zum erstenmale wäre gehaun der Baß in Marmors Masse.

Heiß' einen Steinblock wälzen die Bergeswächter Zwerge,
Ein Prachtstück sei's, wie jener Koloß am Zobtenberge!
Dann grabe – du kannst es selten – die Worte in den Stein:
»Dem Fürsten, dessen Hände von Blut- und Dintengräuel rein!«

Nicht fehl' ein Kranz! Statt Lorbers Palmzweige nur, Jasmine!
Und meinst du, daß mit nichten sein Haupt den Kranz verdiene,
So wind' ihn als Sordine grün um die Saitenstränge,
Tondämpfend, wenn das Bildniß vielleicht, ein neuer Memnon, klänge. –

Euch, die dem Sänger folgten zu Ende des Gedichts,
Euch wünscht er die Lebensschale voll reinsten Sonnenlichts,
Und eurem Rößlein – ihr reitet wohl eines? – Futter in Menge,
Und daß zu allen Zeiten voll Geigen euer Himmel hänge.


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