Anastasius Grün
Nibelungen im Frack
Anastasius Grün

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Der Herzog meint die Harmonie zu finden.

                              Ein Tag ist's voll Verhängniß, Sonnaufgang rothentbrannt,
Der Weichselzopf in Polen, die Pest im Turkenland,
In allerlei Gestalten zerweht die Wolkenränder,
Kometen, nicht am Himmel, berechnet doch im Hofkalender.

Der Herzog mit dem Kanzler durch Wies' und Feld lustwallte,
Horch, aus dem hohen Grase ein Schrei, ein Wimmern schallte:
»O weh, in Urwaldsdickicht hab' ich mich ganz verloren!
Ach, Stamm an Stamm ohn' Ende! Weh mir zum Bärenfraß erkoren!

»Daß ich sie nie gesehen, daß nie geliebt ich hätte!
O daß ich nie verlassen der Jugend sichre Stätte!«
Aufhorcht gespannt der Herzog, der Kanzler spricht: »Ich mein'
Es wird nach Tagesmode ein malkontenter Laubfrosch sein!«

Der Herzog sucht im Grase; da sitzt auf einem Stein
Ein Männlein bärtig, runzlig, doch wie ein Kind so klein,
Nach Zollen nur zu messen, das weint gar bitterlich;
Aufhebt den Zwerg der Herzog: »Wer bist du und von wannen? sprich!«

»Ich war an Peters Hofe, des Zaaren, wohlgelitten,Peter der Große und König Friedrich Wilhelm I. waren Zeitgenossen des Herzogs Moritz Wilhelm. Die von Ersterem 1710 zu Petersburg veranstaltete Zwergenhochzeit ist nicht minder bekannt, als des Letzteren Vorliebe für seine Potsdamer Riesengarde.
Es stand mein festes Schlößlein auf seiner Tafel mitten;
Sie nannten es Pastete. Wie jubelten sie Alle,
Als ich, Goldfahnen schwingend, in ganzer Rüstung sprang vom Walle!

»Einst mir genüber glommen die Augen einer Dame,
Nicht Augen! Lichtgestirne, Gluthsonnen sei ihr Name!
Verzückt stand ich, gezogen zu ihr von jeder Fiber,
Doch, ach, ein See lag zwischen, See Suppenteller! Wie hinüber?

»Das sehend sprach Zaar Peter: Bist du so liebesschmächtig,
Will dir ein Bräutlein geben, ein Fest dir halten prächtig!
Da wies ein klein Zwergdirnlein er mir, dem schönsten Manne!
Die niedre Krüppelbirke anstatt der höchsten, schlanksten Tanne!

»Nur Zwerge die Hochzeitgäste, großköpfige, höckrige Kerle!
Und Zwerge die Musikanten, breitmäulige, dürre Schmerle!
Truchseß und Festmarschälle Zwergkrabben ungestalte!
Nur häßlich Zwerggesindel, damit der Schönste Hochzeit halte!

»Nun liebt, tanzt, musiziret nach dem Commandostabe!
Doch ich, die freie Seele, ich lief davon im Trabe;
Hui, dem Kosakenpferde flink an den Schweif mich hängt' ich,
Wie der Komet durch die Räume, durch Feld und Steppen sausend sprengt' ich!

»So wandr' ich fort, ein Opfer der Lieb' und Tyrannei,
So kam ich her todmüde und steh zu Dienst euch frei.«
Der Kanzler steckt mitleidig den Kleinen in den Sack,
Der Herzog Moritz Wilhelm vor Freudenunmaß fast erschrack.

»O Seligkeit, nun hab' ich den Zwerg, den also kleinen,
Der leicht die Violine als Baß streicht zwischen den Beinen!«
Er spricht es, wie von einer Lichtglorie umfangen;
Es war von seinem Glücksmond das erste Viertel eingegangen.

Sie wandern fröhlich weiter. Der Herzog plötzlich spricht:
»Mich dünkt, am Gotthartsteiche den Thurm dort sah ich noch nicht!«
»»Es thut mir, Sereniss'me, zu widersprechen leid,
Kein Thurm ist's, nur Windmühle! die Flügel rührt's ja beiderseit!««

»Sei's Windmühl oder Kirchthurm, Entsetzen ist's zu sehn!
Denn seht, es regt sich, schreitet, auf uns scheint's los zu gehn!«
Und immer näher wallt es, hat Arme, Beine, Kopf,
Und steht vor ihnen endlich, ein Goliath mit steifem Zopf.

Nach Ellen ist's zu messen vom Scheitel bis zur Ferse,
Langbeinig, wie hier im Liede die Nibelungenverse;
Sein Athem dröhnt, als blähten der Orgel Bälge sich.
Der Herzog ruft fast zitternd: »Wer bist du und von wannen? sprich!«

»Oh! Kennt ihr nicht den Jonas vom Regiment der Langen?
Ich komm' auf Meilenstiefeln von Potsdam hergegangen,
Vom König, der den Riesen in Lieb' und Huld geneigt,
Nur nicht dem einen jungen, dem Riesen, den er selbst gezeugt.«

»Wie Finkler im Gehege, wie auf der Beize Sperber,
So locken Diplomaten, so packen uns die Werber:
Wie Schlingen junge Füllen, so fangen uns Verträge,
Daß nur der Tritt von Riesen den Staub am Haveldamm errege!

»Wozu dieß Trommeln, Blitzen, dieß Rasseln, Wallen, Dröhnen?
Will er August entsetzen und Stanislaus dann krönen?
Nein, er zerbrach das Zepter dem Weichling Staatsperücke
Und hob zu Thron und Ehren den Helden Steifzopf im Genicke!

»Schön war's zu sehn im Marsche die blauen Reihn der Riesen,
Als kämen die blauen Berge herabgewallt die Wiesen;
Schön war's, wie festgemauert die Fronte goldner Mützen,
Als ragte eine Zeile Leuchtthürme mit den feurigen Spitzen.

»Der Glanz hat seine Schatten. Seltsam hat sich's begeben,
Der König kam uns mustern, als ich im Schenkhaus eben;
Zufall, daß ich bisweilen kein musikalisch Ohr,
Und mich der Trommel Wecker umsonst vom Schlafe rief empor.

»Heißt's Unstern nicht, daß grade des Königs Blick sich wählte
Zur Rast das einzge Knopfloch, an dem der Knopf mir fehlte?
Da hat es sich getroffen, – o schwärzester Schicksalsbock! –
Daß eben mich getroffen von Rohr der königliche Stock.

»Der stand nicht im Kontrakte! Da macht' ich mich von dannen,
Und steh euch hier zu Dienste, ein Opfer des Tyrannen.«
Den Stift schon nimmt der Kanzler, den Steckbrief aufzusetzen,
Der Herzog Moritz Wilhelm doch ruft in freudigem Entsetzen:

»Nun hab ich auch den Riesen, – o Anblick, Götter zu laben! –
Der Contrabaß als kleine Armgeige kann handhaben!«
Ohnmächtig all der Wonne, sinkt er mit bleichen Wangen,
Es war von seinem Glücksmond das letzte Viertel eingegangen.

Der Riese lädt auf den Rücken den Herzog huckepack,
Der Kanzler wallt daneben, das Zwerglein in dem Sack,
Wie Baß und Violaträger zur Stadt heimwandeln sie,
Selbst tragend und getragen, ein schönes Bild der Harmonie.


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