Balduin Groller
Vom kleinen Rudi
Balduin Groller

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Rudi, der Gymnasiast.

Der griechische Athlet Milo hat vor mehr denn zweitausend Jahren sich großen Ruhm dadurch erworben, daß er einen vollständig ausgewachsenen, großen Ochsen herumgetragen hat. So ein großer Ochse ist keine Kleinigkeit – und das kann nicht jeder! Nun fällt aber auch ein großer Ochse nicht vom Himmel, ebensowenig wie ein Meister, und wäre es auch nur ein Meister in der Bewältigung von Schwergewichten. Ein Ochse muß vorher ein Kalb gewesen sein, und in dem Kalbe liegt der Schlüssel des Geheimnisses. Milo hatte damit begonnen, das kleine Kalb herumzutragen. Er trug es täglich auf den Armen und trainierte sich dabei so, daß er es kaum inne wurde, wie es von Tag zu Tag an Gewicht zunahm, und so war unversehens aus dem Kalbe ein – –

Nein, nicht weiter! Mein armer kleiner Freund Rudi; das hast du doch nicht um mich verdient, daß ich deine Entwicklung zum tertium comparationis für solche Vergleiche mache! Aber sieh, mein Freund, wenn wir's nicht selbst tun, dann tut's ein anderer, und das ist dann immer schlimmer. Der Vergleich liegt so nahe. Ich habe dich aus der Wiege gehoben; ich habe dich auf dem Arm getragen, da dein Hemdchen aus tiefdurchdachten Gründen der Zweckmäßigkeit hinten noch offen war, ebenso, als deine Höschen hinten noch keinen rechten Verschluß hatten – die menschliche Kultur 90 nimmt ihren Gang von hinten nach vorne – und so trug ich dich, wie manche der freundlichen Leser und Leserinnen sich erinnern werden, durch verschiedene Entwicklungsstadien hindurch. Ich präsentierte dich, wie du lesen lerntest, wie du zum erstenmal mit Tinte schreiben durftest und wie sie dich damals heimgebracht haben, und so bist du uns unter den Händen gewachsen, bist gar Gymnasiast worden und sogar schon Gymnasiast der zweiten Klasse.

Eine Regel gibt es, Gott sei Dank, die kaum eine Ausnahme hat, und das ist die, daß alle Vergleiche hinken. Wir werden uns also, mein Lieber, die Geschichte von dem starken Milo nicht zu sehr zu Herzen nehmen.

Ein Gymnasiast! Alle Achtung! Im vollen Ernste und ohne den leisesten Anflug des Spottes oder der Ironie sei es gesagt, ein Gymnasiast ist heutzutage schon »wer«! Multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit, sagt unser Freund Horaz. Er hat sich redlich geplagt und hat gebüffelt nach Noten.

Einem Gymnasiasten sind die Herren Professoren schon verpflichtet, Sie zu sagen. Es geht ihnen nicht immer leicht vom Herzen, und ich habe Kenntnis von einem Fall, daß ein Herr Professor in grimmiger Bitterkeit aus der Tiefe seines Herzens vor der versammelten Klasse die geflügelten Worte sprach: »Und zu so einem Esel muß ich Sie sagen!« Der Fall aber betraf nicht dich, mein Lieber, und ich wüßte schlechterdings nicht, wie du mit deinem sinnigen, klugen Verstande Anlaß zu so einem Herzensschrei geben solltest. Also, sie tun's nicht immer gern, die Herren Professoren, aber sie 91 müssen; das Gesetz verpflichtet sie, und somit nimmst auch du schon eine gewisse soziale Stellung ein.

Da waren denn meine Bedenken wohl begründet, ob ich denn noch meine Berichte über den kleinen Rudi fortsetzen dürfe. Und – du mußt schon entschuldigen – dabei waren nicht einmal nur die Rücksichten auf deine glücklich erreichte, nicht zu unterschätzende soziale Stellung maßgebend, sondern auch künstlerische Bedenken. Und merkwürdig! Du selbst warst es, der mich mit seinem sinnierenden Köpfchen auf diese letzteren Bedenken gebracht hat.

Das trug sich erst vor einigen Tagen zu, und zwar folgendermaßen: Herr und Frau G. vertrauen den kleinen Rudi dem Onkel Groller gern und ruhig an. Es war Sonntag vormittag, und Onkel Groller und Rudi rückten also los. Es war bitter kalt und windig, und so beschloß man denn, in ein Museum zu gehen. Aber in welches von den beiden? Onkel Groller zog das kunsthistorische vor; denn da war er über und konnte dozieren; Rudi war aber für das naturhistorische; denn da ist er entschieden über und Onkel Groller kann da nur mit offenem Munde zuhören und staunen, wie viel er von seinem kleinen Begleiter lernen kann. Nur ein Beispiel: muß der Teufel den Onkel Groller reiten, die Erklärung abzugeben, daß ihm unter allen Muscheln die Seepferdchen die liebsten seien. So eine Bemerkung darf man doch riskieren, und man durfte doch zu der Hoffnung berechtigt sein, mit dieser Ansicht auf einiges Entgegenkommen von seiten des kleinen Rudi zu stoßen. Diese kleinen Wasserungeheuer gleichen ja fast einem 92 Steckenpferdchen, sie haben einen Kopf wie ein Pferd und der Leib läuft ornamental geschwungen aus – man kann sich nichts Zierlicheres denken und nichts, was der Vorstellung eines kleinen Knaben sympathischer sein könnte; es muß ja die freundlichsten Reminiszenzen wecken.

Und doch hatte Onkel Groller kein Glück mit seiner Bemerkung. Lächeln Sie nicht so überlegen, meine verehrten Leserinnen; Sie wissen ja auch nicht, um was es sich hier handelt. Sie wissen es nicht; da nützt kein Protest, ich behaupte und bleibe dabei, Sie wissen es nicht. Der kleine Rudi sieht mich groß an und erklärt mir, daß das Seepferdchen, Hippocampina, keine Muschel, sondern ein Fisch sei. Ich bitte Sie, ein Fisch! Wer hätte sich das denken sollen? Ich könnte nun allerdings einen der mir befreundeten Universitätsprofessoren fragen, aber das ist überflüssig. Denn wenn Rudi etwas behauptet, dann pflegt es auch richtig zu sein, und ich glaube es jedenfalls bombenfest.

Sie werden vielleicht einwenden, daß der Karpfen eigentlich doch ganz anders aussehe als das Seepferdchen, das überhaupt einem Fische gar nicht ähnlich sehe. Darauf erwidere ich: um so schlimmer für den Karpfen! Denn dann ist vielleicht der Karpfen kein Fisch und ich kann ihn nunmehr nur noch in dem Falle als Fisch gelten lassen, als es ihm gelingen sollte, eine gewisse Verwandtschaft mit dem Seepferdchen nachzuweisen. Über das Seepferdchen aber sind für mich seit Rudis Ausspruch die Akten geschlossen.

Das war es aber gar nicht, was ich erzählen wollte, obschon ich ein ganzes Buch zusammenschreiben könnte 93 über das, was ich nicht gewußt habe und worüber mir mein kleiner Freund ganz merkwürdig interessante Aufschlüsse zu geben vermochte. Man kommt nur, wenn man von meinem kleinen Freunde spricht, leicht vom Hundertsten ins Tausendste, weil eigentlich alles, was er sagt und tut, interessant ist. Natürlich nicht für alle, sondern nur für mich, seinen speziellen Verehrer, aber ich bin es ja, der von ihm spricht, und da werde ich leicht das Opfer.

So fällt mir, obgleich gar nicht hierher gehörig, jetzt ein, was er uns neulich für eine Überraschung bereitet hat. Er hatte sich bisher, obschon er gute Anlagen zum Klavierspielen gezeigt hatte, doch immer standhaft geweigert, zu singen. Das Singen gehört in der Schule nicht zu den »obligaten Gegenständen«, er ging also nicht ins Singen. Nun hatte sich aber an seinem Gymnasium, es ist ein geistliches, ein Mangel an Chorsängern für die Kirche herausgestellt. Es wurde also Musterung gehalten und dabei Rudi abgestellt und als tauglich für den Chor behalten. So ging er als »Freiwilliger«, weil er mußte. Die Sache hatte ja auch etwas für sich. Auf dem Kirchenchore kann man sitzen, außerdem befinden sich die Chorknaben in gedeckter Stellung, und das Hinauf- und Hinunterstürmen über die Treppe hat doch auch viel für sich. Also Rudi ging ins Singen. Wie er an allem, was er lernt, eine – wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke – ganz unbegreifliche Freude hat, so kam er bei dieser Gelegenheit auch dem Singen auf den Geschmack, und wenn er nun durch die Zimmer rast, so geschieht es singend. 94 Onkel Groller hält ihm auch da die Stange. Wenn Kinder in Freude und Lachen und Singen Spektakel machen, dann soll man ihnen nicht wehren, gräßlich ist nur die Heulerei und das zornige Schreien. Madame G., die vielgeplagte Mama, findet allerdings auch Rudis Indianergesang für gräßlich, und Herr G. ist entweder nicht zu Hause, oder wenn er zu Hause ist, arbeitet er und dann hört er nichts, so daß er auf Rudis neueste Leidenschaft überhaupt erst durch einen Zufall gekommen ist.

Mama G. wollte nämlich versuchen, etwas System in den Indianergesang Rudis zu bringen. Sie nahm ihn also vor, und da hat sich etwas sehr Merkwürdiges herausgestellt. Man gab ihm Mendelssohnsche und Schubertsche Lieder in die Hand und der kleine Bengel sang alles hell und klar und richtig vom Blatt, jawohl, vom Blatt! Das hörte sogar Herr G. bei seiner Arbeit, Onkel Groller war natürlich auch dabei und – er will nicht gerade behaupten, daß die G.s Rabeneltern seien, aber er hatte doch die größte Freude und war am meisten stolz auf »seinen« Rudi unter allen, die sich da erstaunt ansahen, ohne daß es der kleine Sänger bemerkte.

Aber daß ich weiter erzähle! Auf dem Heimwege aus dem naturhistorischen Museum führte ich ihn an einigen plastischen Kunstwerken auf öffentlichen Plätzen vorbei, um endlich doch auch mein Licht leuchten lassen zu können. Bei den neuaufgestellten marmornen Rossebändigern auf dem Museumsplatze ging's noch gut. Ich konnte ihm doch etwas von der Plastik überhaupt erzählen und von der griechischen insbesondere, von der 95 wir in künstlerischem Sinne ja auch heute noch leben. Ihn freilich interessierten mehr als die großen Gesichtspunkte die Muskeln der Männer und die so deutlich markierten Adern auf den Bäuchen der Pferde. Schon beim Liebenberg-Denkmal ging aber die Sache für mich schief. Ich wollte ihn da auch historisch belehren, es stellte sich aber heraus – es tut mir leid, es bekennen zu müssen –, daß er viel mehr wußte als ich. Und da geschah es auch, daß er mich auf die vorerwähnten Bedenken brachte, ob ich noch über ihn berichten dürfe.

Das Denkmal ist anmutig aufgebaut. Auf einer breiten Treppenbasis, auf welcher ein eherner Löwe Wache hält, erhebt sich ein sich verjüngender mächtiger Steinobelisk, der von der Figur der Nike gekrönt ist. Am Fuße des Obelisken halten zwei geflügelte Genien das Porträt-Medaillon Liebenbergs empor. Ich hatte also meine Gründe, bei unserer Unterhaltung den historischen Boden zu verlassen, um mich auf das sicherere kunstkritische Gebiet zu begeben. Wie ihm das Werk gefalle? Sehr gut, erwiderte er, dann fügte er aber sinnend hinzu: »Sag, Onkel Groller, wachsen die Engerln auch?«

Das war eine kritische Frage, wenn auch keine kunstkritische, und mir leuchtete es wie ein Blitz auf, daß der kleine Bursche da über eine außerordentlich treffende Wahrnehmung spekuliere. Ich wollte der Sache auf den Grund kommen und holte ihn aus.

»Wahrscheinlich,« erwiderte ich also vorsichtig, »denn es gibt große und kleine Engel.«

»Das weiß ich,« sagte er mit Selbstgefühl. »Es gibt ganz kleine, dicke Engel, die Blasengel, und dann 96 wieder große, wie den Erzengel Gabriel. Ein kleiner Engel hätte ja das feurige Schwert nicht tragen können, und vor dem hätten sich Adam und Eva gar nicht gefürchtet.«

»Na also!«

»Ja, aber ob der Erzengel Gabriel früher ein kleiner Engel war?«

Ich war schon wieder blamiert, ich wußte das nicht.

»Ich glaube,« fuhr er fort, »daß die Engel gleich so erschaffen werden, wie sie sind, und daß sie dann so bleiben.«

Möglich; ich konnte keine genauere Auskunft geben.

»Warum mußt du denn das so genau wissen, mein Rudi?«

»Weil ich solche Engel (er meinte die beiden Genien) noch nie gesehen habe. Sie gefallen mir auch nicht.«

»Warum denn nicht, Rudi?«

»Weil das Buben sind, wie ich. Es kann doch keine Engel in den Flegeljahren geben. Komm' ich bald heraus aus den Flegeljahren, Onkel Groller?«

Ich schwöre, daß er in diesen Jahren noch gar nicht drin ist.

Erst vor kurzem hatte ich in einem Aufsatze über ein Schlachtengemälde, dessen Hauptfiguren in Zweidrittel-Lebensgröße vorgeführt waren, die Größe der Figuren beanstandet und ausgeführt, daß, wenn nicht lebensgroße Figuren dargestellt würden, die Phantasie des Beschauers williger zu Hilfe komme und der Künstler die Wirkung des Großen leichter erreiche, wenn er durch die räumliche Kleinheit seiner Darstellung sich mehr von 97 der Wirklichkeit entferne. Die Zweidrittel-Lebensgröße sei der Wirklichkeit zu nahe, man gewinne deshalb den Eindruck, als seien es Knaben, die da miteinander kämpfen.

So kurz und treffend und schlagend hatte ich aber den wichtigen ästhetischen Lehrsatz nicht formuliert, wie mein kleiner Freund Rudi, den Lehrsatz nämlich, daß es gewisse Formate gibt, die Gott verboten hat, Formate, in welchen nicht gemalt und nicht gebildet werden dürfe.

Nun ist aber Rudi selber so ein Mensch in halber oder Zweidrittel-Lebensgröße. Seine Blasengelzeit ist längst vorbei; jene schrecklichen Jahre, in deren Mitte er sich, fälschlich! bereits wähnt, rücken immer näher. Ich weiß nicht, ob es nicht ein ästhetisches Gebot ist, das Geschäft, über ihn zu berichten, aufzugeben. Dein Format wird nachgerade zu groß, und ich werde wohl von dir Abschied nehmen müssen, mein lieber Rudi – natürlich nur für die Öffentlichkeit. Privatim bleiben wir doch die besten Freunde, ich hoffe das schon aus eigennützigen Motiven. Denn ich lerne bei keinem Menschen so viel wie bei dir.

Noch aber sind wir bei ihm und so sei noch eins über ihn geplaudert. Also neulich war ich wieder im Hause G. zu Tische. Es war an einem Montag, und Montag ist in diesem Hause ein kritischer Tag. Rudi geht um ein Uhr von der Schule und um zwei Uhr muß der Große, Beludschistan, schon wieder in der Schule sein. In diese Stunde fällt auch das Mittagessen; es muß ihr also viel abgerungen werden. Man setzt sich zu Tische, ohne Rudi abzuwarten, er kommt denn auch bald und da er auch ein passionierter Sportsman ist (richtig Sportsman! auch das würde noch ein 98 Kapitel verdienen!) so erklärt er, daß er trotz des verspäteten Starts sich doch auf seinen großartigen Endspurt verlasse. Auf einmal, mitten im Essen, legt er den Suppenlöffel nieder und sagt strahlend: »Heute war's aber lustig in der Schule!«

»So? Was hat's denn gegeben?«

»Wir haben die Spinnen gelernt!«

So ein Esel! Klatscht in die Hände und freut sich, als wenn ihm jemand etwas geschenkt hätte, weil sie heute in der Schule die Spinne gelernt haben! Nun erfährt Onkel Groller eine Menge des Wissenswerten über die Spinnen. Er hätte es vorgezogen, wenn diese Erörterungen nicht gerade bei Tische gepflogen worden wären, aber Rudi ist im Zuge – da kann man nichts machen.

Von der Spinne kommt aber dieser Dreiviertelmensch auf den Bandwurm, und das ist schon etwas bedenklicher. Leider gibt es von diesem viel interessantere Dinge zu erzählen, als von den Spinnen. Ein Versuch Onkel Grollers, das Gespräch auf die Rekords im Radfahren zu bringen, mißglückt vollständig. Herr und Frau G. sind solche Themata schon gewöhnt und hören geduldig zu, aber Onkel Groller versucht es doch noch, sich zu wehren. Er ist nämlich, er kann nichts dafür, etwas grauslich, zumal bei Tische. Ein Haar in der Suppe macht ihn nicht gerade unglücklich, aber es verdirbt ihm den Appetit, und ein Haar ist noch lange kein Bandwurm!

Nun lassen aber unglücklicherweise die wissenschaftlichen Plaudereien des Kleinen den Großen nicht ruhen. Der ist schon im Ober-Gymnasium, und da mußten sie leider an dem Tage Anatomie gehabt haben. Sie hatten 99 an dem Tage in der Klasse – Rudi weiß sich bei dem Bericht vor Entzücken nicht zu fassen – ein Knie herumgereicht bekommen.

»War noch die Haut daran?« fragt Rudi.

Auf dem Tische stehen Bratwürste mit Sauerkraut. Ich bin kein exaltierter Mensch. Ich sage nicht, daß es nichts Besseres gibt auf der Welt, als Bratwürste mit Sauerkraut, ich sage auch nicht, daß das ein Schlangenfutter sei. Ich bin gerecht und finde, daß Bratwürste mit Sauerkraut, um mich ganz treffend auszudrücken, so gewissermaßen – jupeidia jupeida sind; aber eines ist unbedingt richtig: für Bratwürste mit Sauerkraut braucht man unbedingt einen robusten Appetit.

»Die Haut von dem Knie war schon abgezogen.«

Onkel Groller überlegte, wie das mit der Bratwurst sei und ob er sich doch eine nehmen solle.

»War es das Knie von einem Menschen?«

Beludschistan überhörte Rudis Frage, um nicht eingestehen zu müssen, daß es nicht ein menschliches Knie gewesen sei. Onkel Groller glaubt, daß er doch eine Bratwurst nehmen könnte.

»Wir haben aber noch etwas viel Interessanteres gehabt!« renommiert der Große wieder.

»Was denn?« fragt Rudi mit leuchtenden Augen.

»Ein Gehirn!« – Ein Gehirn! Und bei so etwas konnte Rudi nicht dabei sein!

»Von einem Menschen? Ein wirkliches Gehirn?«

»Jawohl; es hat schon gewildelt.«

Onkel Groller legt die Vorlegegabel wieder nieder, er braucht keine Bratwurst mehr.

100 »Geh, erzähl!« bittet Rudi ganz Feuer und Flamme.

Es wird erzählt. Das Gehirn wurde herumgereicht, bis der Brackl Johann – pardautz! die ganze Bescherung auf den Fußboden fallen ließ!

Onkel Groller war sich nunmehr vollkommen klar über seine Stellung zu den Bratwürsten mit Sauerkraut.

»Wer hat das Gehirn aufheben dürfen?« fragt Rudi fast atemlos vor Eifer.

»Ich!« erklärt mit ruhiger Würde Beludschistan. Allen Ehrenämtern und Ehrenpflichten in der Klasse hat der Primus zu genügen.

Onkel Groller hat den größten Respekt vor den geistigen Fähigkeiten Beludschistans, aber er weiß nicht, wie oft er sich im Tage die Hände wäscht.

Die Mahlzeit ist zu Ende; Onkel Groller wünscht, wohl gespeist zu haben.

Der Große muß wieder in die Schule und der Kleine läuft ihm über die Treppe nach, um sich die Geschichte mit dem Gehirn noch genauer erklären zu lassen. –

So, da hätten Sie wieder einen Beitrag zur Werdegeschichte unseres kleinen Freundes. Wenn Sie im übrigen gewisse Unklarheiten plagen sollten über die Bluttemperaturen der Reptilien oder über die Resultate von Untersuchungen über den horizontalen oder vertikalen Schnitt des Mundes bei Tieren, so wissen Sie – ich bin da. Ich habe alles aus guter Quelle. Auf unseren Rudi dürfen wir uns verlassen. 101

 


 


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