Franz Grillparzer
Das goldene Vließ
Franz Grillparzer

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Eine waldichte Gegend an der Straße, die zum Lager der Argonauten führt.

Jason, Milo und Andre Argonauten kommen.

Milo.
Hier laßt uns halten Freunde. Die Barbaren
Verfolgen uns nicht mehr. Der Ort hier scheint bequem
Zum Angriff so, wie zur Verteidigung.
Auch ist's der einz'ge Weg, der, seit der Sturm
Die Brücken abgerissen heute Nacht,
Vom Sitze führt des Königs nach dem Innern
Und lagern wir uns hier, so schneiden wir
Ihm jeden Hilfszug ab, den er erwartet.
Geh' einer hin zur Schar der Rückgebliebnen
Und leite sie hierher. Wir warten ihrer.
(Erster Argonaut ab.)
(Zu Jason der mit gekreuzten Armen auf und nieder geht.)

Was überdenkst du Freund?

Jason.
        Gar mancherlei!

Milo.
Gesteh' ich's dir? Du hast mich überrascht
Du zeigtest eine Falte deines Innern heut
Die neu mir ist.

Jason.
        Hätt' ich doch bald gesagt:
Mir auch!

Milo.
        So liebst du sie denn wirklich?

Jason.
                Lieben?

Milo.
Du sagtest heut es mind'stens laut genug!

Jason.
Der Augenblick entriß mir's – und gesteh!
Sie rettete mir zweimal nun das Leben.

Milo.
Wie? zweimal?

Jason.
        Erst im Turm! –

Milo.
                Das also war's
Was dir den Turm so teuer machte?

Jason.
        Das war's.

Milo.
Ja so.

Jason.
        Nun denk' dir; so vollgült'gen Anspruch
Auf meinen Dank und – Milo sie ist schön –

Milo.
Ja, doch eine Barbarin –

Jason.
        Sie ist gut –

Milo.
Und eine Zauberin dazu.

Jason.
        Ja wohl!

Milo.
Ein furchtbar Weib mit ihren dunkeln Augen!

Jason.
Ein herrlich Weib mit ihren dunkeln Augen!

Milo.
Und was gedenkst du nun zu tun?

Jason.
        Zu tun?
Das Vließ zu holen, so mein Wort zu lösen,
Das andre aber heimzustellen jenen
Die oben walten über dir und mir.

Milo.
So mag ich's gern! Beim Zeus so denkst du recht!

Ein Argonaut kommt.

Argonaut.
Links her vom Fluß sieht man sich Staub erheben,
Ein Häuflein Feinde naht heran.

Jason.
        Wie viele?

Argonaut.
An vierzig oder fünfzig, kaum wohl mehr.

Jason.
Laßt uns zurückziehn und am Weg verbergen,
Denn sähn sie uns, sie kämen nicht heran.
Verschwunden ist die Hoffnung zum Vergleich
So mögen denn die Schwerter blutig walten
Und die dort nahn, den Reihen führen an.
Zieht euch zurück, und haltet bis ich's sage.

Milo.
Nur leis und sacht, daß sie uns nicht erspähn.
(Ziehen sich alle zurück und ab.)

Absyrtus und Kolchische Krieger treten auf, Medea verschleiert in ihrer Mitte.

Absyrtus.
Die Waffen haltet bereit zum Schlagen,
Leicht könnten wir treffen 'ne Feindesschar,
Der Weg hier führt vorbei an ihrem Lager.

Medea (den Schleier zurückschlagend und vortretend).
Am Feindeslager? Warum diesen Weg?
Warum nicht den andern, mein Bruder?

Absyrtus.
Der Sturm hat die Brücken abgerissen heut Nacht;
Jetzt erst erfuhr ich's. Aber sorge nicht!
Ich verteidige dich mit meinem Blut.
Wärst du nicht hier, ich forderte sie heraus.

Medea.
Um aller Götter willen –

Absyrtus.
        Ich sagte: wärst du nicht hier;
Aber nun, da du hier bist, tu' ich's nicht.
Nicht um den höchsten Preis, nicht um Kampf und Sieg,
Setzt' ich dich in Gefahr, meine Schwester!

Medea.
So laß uns eilig vorüberziehn.

Absyrtus.
        Kommt denn!

Jason (hinter der Szene).
Jetzt ist es Zeit! Greift an, ihr Freunde! (Hervorspringend.) Halt!

Medea (aufschreiend).
Er! (Zu Absyrtus.) Laß uns fliehen, Bruder!

Absyrtus.
        Fliehen? Fechten!

Jason (zu den andringenden Argonauten).
Wenn sie sich widersetzen, haut sie nieder! (Zu den Kolchern.)
Zu Boden die Waffen!

Absyrtus.
        Du selber zu Boden!
Schließt euch Gefährten! Haltet sie aus!

Medea.
Bruder! Hältst du so dein Versprechen?

Absyrtus.
Versprach ich zu fliehn so verzeihn mir die Götter,
Nicht daß ich's breche, daß ich's gab das Wort!
(Zu den Seinen).
Weicht nicht! Der Vater ist nah, er sendet uns Hilfe!

Jason (Medeen erblickend).
Bist du's Medea? Unverhofftes Glück!
Komm hierher!

Medea (zu den Kolchern).
        Schützet mich!

Jason (die sich ihm entgegenstellenden Kolcher angreifend).
                Ihr! aus dem Wege!
Eu'r Eisen hält nicht ab, zieht an den Blitzstrahl.
(Die Kolcher werden zurückgedrängt, die Griechen verfolgen sie.)

Jason.
Die Deinen fliehn. Du bist in meiner Macht!

Medea.
Du lügst! In der Götter Macht, in meiner.
Verläßt mich alles, ich selber nicht!
(Sie entreißt einem fliehenden Kolcher die Waffen und dringt mit vorgehaltenem Schild und gesenktem Speer auf Jason ein.)
Stirb oder töte!

Jason (indem er schonend zurückweicht).
        Medea was tust du?

Medea (näher dringend).
                Töte oder stirb!

Jason (mit einem Schwertstreich ihre Lanze zertrümmernd).
Genug des Spiels!
(Das Schwert in die linke Hand nehmend, in welcher er den Schild hält.)
        Was nun?

Medea.
                Treulose Götter!
(Die abgebrochene Lanze samt dem Schild hinwerfend und einen Dolch ziehend.)
Noch sind mir Waffen!

Jason (indem er Schild und Schwert von sich wirft und vor sie hintritt).
        Töte mich wenn du kannst.

Medea (mit abgewandten Gesicht, den Dolch in der Hand).
Kraft!

Jason (weich).
        Töte mich Medea, wenn du kannst!

Medea (steht erstarrt).

Jason.
Siehst du, du kannst's nicht, du vermagst es nicht!
Und nun zu mir! Genug des Widerstrebens!
Und weigerst du's? Versuch' es wenn du kannst.
(Sie rasch anfassend und auf seinem Arm in die Höhe haltend.)
So fass' ich dich, so halt' ich dich empor
Und trage dich durch unsrer Völker Streit,
Durch Haß und Tod, durch Kampfes blut'ge Wogen.
Wer wagt's zu wehren? Wer entreißt dich mir?

Medea.
Laß mich!

Jason.
        Nicht eher bis du gütig sprichst,
Nicht eher bis ein Wort, ein Wink, ein Laut
Verrät daß du mir weichst, daß du dich gibst.
(Zu ihr empor blickend und heftig schüttelnd.)
Medea, dieses Zeichen!

Medea (leise).
        Jason! laß mich!

Jason.
»Jason!« – Da sprachst du meinen Namen aus,
Zum ersten Male aus! O holder Klang!
»Jason!« wie ist der Name doch so schön
Seit du ihn sprachst mit deinen süßen Lippen.
Hab' Dank Medea, hab' den besten Dank!
(Er hat sie auf den Boden niedergelassen.)
Medea, Jason; Jason und Medea
O schöner Einklang! Dünket dir's nicht auch?
Du zitterst! Setz' dich hier! Erhole dich!
(Er führt Medeen zu einer Rasenbank. Sie folgt ihm und sitzt mit vorhängendem Leibe, die Augen vor sich starr auf dem Boden, die Hände, in denen noch der Dolch, gefaltet im Schoße.)

Jason (steht vor ihr).
Noch immer stumm, noch immer trüb und düster?
O zage nicht; du bist in Freundes Hand.
Zwar geb' ich leicht dem Vater dich nicht wieder,
Ein teures Unterpfand ist mir sein Kind;
Doch soll dir's drum bei mir nicht schlimm ergehn,
Nicht schlimmer wenigstens als mir bei dir.
Wenn ich so vor dir steh' und dich betrachte,
Beschleicht mich ein fast wunderbar Gefühl.
Als hätt' des Lebens Grenz' ich überschritten
Und stünd' auf einem unbekannten Stern,
Wo anders die Gesetze alles Seins und Handelns,
Wo ohne Ursach' was geschieht und ohne Folge,
Da seiend weil es ist.
Dahergekommen durch ein wildes Meer,
Aus Ländern, so entfernt, so abgelegen,
Daß Wünsche kaum vorher die Reise wagten,
Auf Kampf und Streit gestellt, lang' ich hier an,
Und sehe dich und bin mit dir bekannt.
Wie eine Heimat fast dünkt mir dies fremde Land,
Und, abenteuerlich ich selbst, schau' ich
Verwundrungslos, als könnt' es so nur sein,
Die Abenteuer dieses Wunderbodens.
Und wieder, ist das Fremde mir bekannt,
So wird dafür mir, was bekannt, ein Fremdes.
Ich selber bin mir Gegenstand geworden,
Ein andrer denkt in mir, ein andrer handelt.
Oft sinn' ich meinen eignen Worten nach,
Wie eines Dritten, was damit gemeint,
Und kommt's zur Tat, denk' ich wohl bei mir selber,
Mich soll's doch wundern, was er tun wird und was nicht.
Ein einz'ges ist mir licht und das bist du,
Ja du Medea, scheint's auch noch so fremd.
Ich ein Hellene, du Barbarenbluts,
Ich frei und offen, du voll Zaubertrug,
Ich Kolchis' Feind, du seines Königs Kind
Und doch Medea, ach und dennoch, dennoch!
Es ist ein schöner Glaub' in meinem Land,
Die Götter hätten doppelt einst geschaffen
Ein jeglich Wesen und sodann geteilt;
Da suche jede Hälfte nun die andre
Durch Meer und Land und wenn sie sich gefunden,
Vereinen sie die Seelen, mischen sie
Und sind nun eins! – Fühlst du ein halbes Herz
Ist's schmerzlich dir gespalten in der Brust,
So komm – doch nein da sitzt sie trüb und düster,
Ein rauhes Nein auf meine milde Deutung,
Den Dolch noch immer in geschloßner Hand.
O fort!
(Ihre Hand fassend und den Dolch entwendend.)
        Laßt los ihr Finger! Bunte Kränze,
Geschmeid und Blumen ziemt euch zu berühren,
Nicht diesen Stahl, gemacht für Männerhand.

Medea (aufspringend).
Fort!

Jason (sie zurückhaltend).
        Bleib!

Medea.
                Von hier!

Jason.
                        Bleib da, ich bitte dich!
Ich sage dir: bleib da! Hörst du, du sollst!
Du sollst, beim Himmel, gält' es auch dein Leben!
Wagt es das Weib, dem Mann zu bieten Trotz?
Bleib!
(Er faßt ihre Arme mit beiden Händen.)

Medea.
        Laß!

Jason.
                Wenn du gehorchst, sonst nimmermehr!
(Er ringt mit der Widerstrebenden.)
Mich lüstet deines Starrsinns Maß zu kennen!

Medea (in die Kniee sinkend).
Weh mir!

Jason.
        Siehst du? du hast es selbst gewollt.
Erkenne deinen Meister, deinen Herrn!
(Medea liegt auf einem Kniee am Boden, auf das andre stützt sie den Arm, das Gesicht mit der Hand bedeckend.)

Jason (hinzutretend).
Steh auf! – Du bist doch nicht verletzt? – Steh auf!
Hier sitz und ruh', vermagst du es zu ruhn!
(Er hebt sie vom Boden auf, sie sitzt auf der Rasenbank.)

Jason.
Umsonst versend' ich alle meine Pfeile
Rückprallend treffen sie die eigne Brust.
Wie hass' ich dieses Land, sein rauher Hauch
Vertrocknete die schönste Himmelsblume,
Die je im Garten blühte der Natur.
Wärst du in Griechenland, da wo das Leben
Im hellen Sonnenglanze heiter spielt,
Wo jedes Auge lächelt wie der Himmel,
Wo jedes Wort ein Freundesgruß, der Blick
Ein wahrer Bote wahren Fühlens ist,
Kein Haß als gegen Trug und Arglist, kein –
Und doch, was sprech ich? Sieh, ich weiß es wohl
Du bist nicht was du scheinen willst, Medea,
Umsonst verbirgst du dich, ich kenne dich!
Ein wahres, warmes Herz trägst du im Busen,
Die Wolken hier, sie decken eine Sonne.
Als du mich rettetest, als dich mein Kuß –
Erschrickst du? – Sich mich an! – Als dich mein Kuß! –
Ja deine Lippen hat mein Mund berührt,
Eh ich dich kannt', eh ich dich fast gesehn
Nahm ich mir schon der Liebe höchste Gabe;
Da fühlt' ich Leben mir entgegen wallen
Und du gibst trügerisch dich nun für Stein!
Ein wahres, warmes Herz schlägt dir im Busen
Du liebst Medea!
(Medea will aufspringen.)

Jason (sie niederziehend).
        Bleib! – du liebst Medea!
Ich seh's am Sturmeswogen deiner Brust
Ich seh's an deiner Wangen Flammenglut
Ich fühl's an deines Atems heißem Wehn,
An diesem Beben fühl' ich es – du liebst,
Liebst mich! Mich wie ich dich! – ja wie ich dich!
(Er kniet vor ihr.)
Schlag deine Augen auf und leugne wenn du's kannst!
Blick' mich an und sag' nein! – du liebst Medea!
(Erfaßt ihre beiden Hände und wendet die sich Sträubende gegen sich, ihr fest ins Gesicht blickend.)

Jason.
Du weinst! Umsonst, ich kenne Mitleid nicht
Mir Aug ins Aug, und sage: nein! – du liebst!
Ich liebe dich, du mich! Sprich's aus Medea!
(Er hat sie ganz gegen sich gewendet. Ihr Auge trifft das seinige. Sie schaut ihm mit einem tiefen Blick ins Auge.)


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